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Das Wegerecht

1

Man kann die Grenzen von Ländern durch Verträge festsetzen, man kann sie mathematisch berechnen, man kann sie auch durch Schiedsgerichte bestimmen. In dem Gebiet, das Sanders verwaltete, wurden sie zwischen den einzelnen Stämmen von natürlichen Linien gebildet, durch einen Gebirgszug, einen Fluß oder einen Bach.

Zwischen den Ochori und den Lombobo aber bestanden seit alter Zeit Grenzstreitigkeiten, denn in diesem waldigen Gelände war die Jagd gut. Sanders hatte schon auf die verschiedenste Weise versucht, die Sache zu regeln, und war schließlich darauf verfallen, die roten Gummibäume als Grenzbezeichnung einzuführen, denn in dem nördlichen Teil des Waldes gab es etwa zehn Kilometer weit diese Bäume nicht. Sanders bestimmte, daß kein Ochori in dem Wald jagen durfte, wo rote Gummibäume standen, und hoffte, daß damit der Streit für immer entschieden sei.

Aber Bosambo verstand es, durch eine einfache Maßnahme die Grenzen seines Gebietes weiter hinauszuschieben. Wo immer seine Jäger auf einen roten Gummibaum stießen, schlugen sie ihn um. B'limi Saka, der Häuptling der aufgebrachten Lombobo, rächte sich dadurch, daß er rote Gummibäume zwischen den Wald und den Fluß pflanzte. Bosambo erfuhr davon nichts, bis er eines Tages entdeckte, daß auf seinem rechtmäßigen Boden ein großer Keil roter Gummibäume angepflanzt war, der einen bedeutenden Teil seines Gebietes abschnürte, denn dahinter lag das untere Ochoriland.

»Wie soll ich nun zu meinen Dörfern kommen?« fragte er Sanders, der von der Komödie erfahren hatte, die sie dort oben aufführten.

»Du mußt an der Stelle, wo die jungen Gummibäume stehen, Kähne benützen. Du kannst auf dem Fluß zu dem Gebiet rudern, das dahinter liegt«, sagte Sanders zu ihm. »Ich habe mein Wort gegeben, daß das Land, wo rote Gummibäume wachsen, B'limi Saka gehört. Da du deine Not nur deiner eigenen Schlauheit zu verdanken hast, du alter Baumfäller, so kann ich dir diesmal nicht helfen.«

Bosambo hätte kurze Arbeit mit den jungen Bäumen gemacht, aber B'limi Saka setzte einen Wachtposten dorthin, der nicht ohne Blutvergießen hätte überwältigt werden können. So konnte Bosambo nicht viel machen. Um sich aber wenigstens einigermaßen zu rächen, gab er seinen Leuten den Auftrag, beim Vorbeifahren an der verbotenen Stelle dem Wachtposten Schmähungen auf B'limi Saka zuzurufen.

Der Streifen Land, auf dem die roten Gummibäume standen, war noch nicht hundert Meter breit, und wenn Lomboboleute bei Nacht hinausgingen und ihn zu erweitern versuchten, büßten sie es mit ihrem Leben – denn auch Bosambo hatte eine Wache aufgestellt.

Von Zeit zu Zeit kamen die Hauptspäher der Regierung zur Residenz. Sie hatten ihre Nachrichten gewöhnlich auf ein kleines Stück Reispapier geschrieben, das sie in einer Metallkapsel verwahrten, die sie als Ohrring trugen. Das Papier war eng mit arabischen Schriftzügen bemalt und enthielt eine Menge Neuigkeiten, um die Regierungsbeamten auf dem laufenden zu halten.

Manchmal überbrachten sie ihre Botschaft auch mündlich, und eines Tages saß ein vom langen Weg ermüdeter Mann und erzählte seinen Bericht:

»Efobi von den Isisi hat Ziegen gestohlen, weil er aber der Bruder des Häuptlingsweibes ist, wird er nicht bestraft. T'mara von den Akasava hat einen Fluch auf das Weib des Ältesten Ofema gelegt, und sie hat seine Hütte niedergebrannt. N'kema von den Ochori will seine Abgabe nicht zahlen, er sagt, daß er kein Ochori, sondern ein N'gombi sei. Bosambos Leute haben einen Mann von B'limi Saka geschlagen, weil er Bäume auf dem Ochoriland gepflanzt hat. Das Brunnenvolk lagert an der Grenze des N'gombiwaldes, baut Hütten und singt.«

»Wie lange bleiben die Leute dort?« unterbrach ihn Hamilton.

»O Herr, wer kann das wissen?« antwortete der Mann. »Ogibo von den Akasava hat schlecht von seinem König gesprochen und sich gerühmt ...«

»Machen Sie eine Notiz darüber, Bones!«

»Was soll ich aufschreiben, Sir?«

»Ogibo – er sah mir schon nach Schlafkrankheit aus, als ich das letztemal in seinem Dorf war – fahre fort!«

»Ogibo sagt auch, daß der Vater seines Vaters ein großer Häuptling war und der Oberherr über alle Akasava ...«

»Das ist sicher Schlafkrankheit«, bemerkte Hamilton bitter.

»Warum wartet dieser verfluchte Teufel nicht mit seiner Verrücktheit, bis Sanders zurückkommt?«

»Schreiben Sie ihm ein paar Zeilen«, rief Bones. »Er ist ein bemerkenswerter Mann. Verdammt noch einmal, zu welchem Zweck sind Sie denn hier zur Verwaltung des Distrikts eingesetzt, wenn Sie nicht einmal eine solche Sache in Ordnung bringen können?«

»Warum sind kriegerische Verwicklungen zu befürchten?« fragte Hamilton den Späher.

»O Herr, es wird viel darüber gesprochen, daß es deshalb Krieg gibt. Ich weiß es, denn ich diene in der Gegend.«

»Gehe schnell zu Ogibo und fordere ihn auf, zu einem wichtigen Likambo zu mir zu kommen«, sagte Hamilton. »Meine Soldaten werden dich auf meinem neuen, kleinen Schiff, das Wasser brennt (Motorboot), nach oben bringen. Sende mir Botschaft durch Tauben!«

»Bei meinem Leben!« sagte der Späher, hob seine Hand zum Gruß und entfernte sich.

»Sie sprachen eben von einem Brunnenvolk – was sind das für Leute, Sir?« fragte Bones.

Aber Hamilton konnte keine befriedigende Antwort auf diese Frage geben. Er hätte schlauer sein müssen als irgendein anderer, um dazu fähig zu sein.

Die wilden Gebiete enthalten viele unlösbare Rätsel und verwirrende Tatsachen, die einander widersprechen. Oben im N'gombiland lebte ein Stamm, den man offiziell, um ihn in die heimischen Stämme einzureihen, die »inneren N'gombi« nannte. Aber er gehörte weder zu den N'gombi noch zu den Isisi, noch zu irgendeinem bekannten Zweig der Banturasse. Weit und breit im Land hießen die Leute das »Brunnenvolk«. Sie hatten einen bemerkenswerten Legendenschatz und Sagen, die sie einem mythischen I'dusi zuschrieben. Auch hatten sie einen Gesang, der so lautet:

»O Quelle im Walde!
Die die Häuptlinge gegraben haben,
Kein geringer Mann berührt die Erde,
Nur die Speere der Häuptlinge und die
Hände der Könige.«

Es besteht kein Zweifel, daß sowohl die Sagen von I'dusi als auch dieser Gesang von dem Brunnen aus uralten Zeiten stammen und daß I'dusi kein anderer ist als der Verfasser der verlorenen Bibelschrift, von dem geschrieben steht:

»Dies sind die Taten Salomos, die ersten und die letzten. Sind sie nicht geschrieben in der Geschichte Nathans des Propheten und in den Weissagungen von Ahija des Schiloniten und in den Gesichten Idus des Sehers? Chronika 9, 29.«

Und ist nicht der Gesang von dem Brunnen identisch mit dem kurzen Zitat aus dem Buch der Kriege des Herrn, das für immer für uns verloren ist:

»Sprudle hervor, o Quelle, sagt ihr mit Singen: Die Quelle, welche die Fürsten gegraben haben, und die Edlen unter dem Volk mit dem Szepter ... und mit ihren Stäben. Numeri 21, 17.«

Einige behaupten, daß das Brunnenvolk einer der verlorenen Stämme Israels sei, aber das ist eine zu einfache Lösung, der man ihre Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit schon von weitem ansieht. Andere behaupten, daß sie Abkommen irgendeines babylonischen Volkes seien oder daß sie aus Ägypten auswanderten, als Ramses II. starb und dort eine neue Dynastie und ein Pharao auf den Thron kam, der nichts von dem weisen, obersten jüdischen Richter wußte, der so klug regierte und seine Opfer und Gebete in dem kleinen Tempel von Karnak darbrachte. Seine Statue kann man noch heute im Museum von Kairo sehen, aber unter einem fremden ägyptischen Namen. Wir kennen ihn nur als Joseph, der in Gefangenschaft nach Ägypten verkauft wurde.

Wer sie auch sein mochten, soviel ist jedenfalls von ihnen bekannt, daß sie große Geschicklichkeit im Brunnengraben besaßen und allen Leuten damit lästigfielen. Manchmal brachten sie unter der oberflächlichen Entschuldigung ganze Monate damit zu und wählten aus irgendeinem verrückten Grund die Spitze von Hügeln zu ihren Unternehmungen. Sie wühlten die Erde nach Wasser auf, obwohl der Fluß kaum hundert Meter von der Stelle entfernt war.

Von all den merkwürdigen Erklärungen, die man suchte, um dieses Brunnenvolk festzulegen, war keine so interessant wie die von Bones.

»Meiner Ansicht nach, mein Lieber«, sagte er ernst, »sind alle diese Kerle nur schlaue alte Nigger, die ihren Weibern in Timbuktu fortgelaufen sind und aus diesem Grunde ...«

»Nun halten Sie aber Ihren Mund!« sagte Hamilton. –

Zwei Nächte darauf schmetterten die Trompeten über den Exerzierplatz, und Bones eilte mit seinem persönlichen Gepäck zu der »Zaire«, denn Ogibo von den Akasava hatte einen großen Anhang gefunden.

2

Der Häuptling Ogibo, der das Gesetz hielt und den Frieden für seinen Herrn, den König der Akasava, bewahrte, wurde auf einer Jagd in der Nähe des Uturwaldes von der Tsetsefliege gestochen. Zwei Jahre später war er plötzlich von der Wichtigkeit seiner Person überzeugt und ließ sich als Oberhäuptling der Akasava und aller umliegenden Gebiete ausrufen. Und da es ein Naturgesetz ist, daß selbst der verrückteste mondsüchtige Schwärmer seine Gefolgschaft findet, so sammelten sich viele Krieger um ihn, so daß er seine Pläne ausführen konnte. Er marschierte nach Iglili, der zweitgrößten und wichtigsten Stadt des Akasavareiches, überfiel die Streitmacht, die die Stadt verteidigte, zerstörte den Ort und ließ die Hälfte seiner Truppen dort zurück, um den eroberten Platz zu halten. Dann machte er sich auf den Weg nach der eigentlichen Akasavastadt. Er schlug ein Lager im Wald auf, und seine Leute brachten eine unruhige Nacht dort zu, denn es tobte ein Gewittersturm in dem Flußgebiet. Die Finsternis der Nacht wurde von grellen Blitzen zerrissen, und die Himmel donnerten furchtbar. Man hörte noch das Rollen des abziehenden Unwetters, als Ogibo im Morgengrauen seine Krieger versammelte und seinen Marsch fortsetzte. Er war noch keine halbe Stunde unterwegs, als einer seiner Unterhäuptlinge zu ihm eilte.

»O Herr, hörst du kein Geräusch?«

»Ich höre den Donner!«

»Lausche!« sagte der Mann.

Sie standen still, mit vorgebeugtem Kopf.

»Das ist der Donner«, sagte Ogibo. Aber trotz des fernen Rollens hörte man ein scharfes Geräusch.

»O Herr«, sagte der Häuptling, »das ist kein Donner – das ist das Feuergeschütz von Militini!«

Wütend wandte sich Ogibo zurück, um den weißen Mann zu zerschmettern, der es wagte, seine Leute anzugreifen, die er in Iglili zurückgelassen hatte.

Bones war mit einer kleinen Abteilung unterwegs, um ihn zu verfolgen, hatte aber keine Ahnung, wie groß die Streitkräfte Ogibos waren. Ein Späher brachte dem Häuptling Nachricht von der kleinen Schar, die sie verfolgte.

»Nun werde ich der ganzen Welt zeigen«, sagte Ogibo, »was für ein großer Häuptling ich bin. Denn durch meine Tapferkeit werde ich alle Soldaten vernichten, die gegen mich ausgesandt sind.«

Er wählte einen geeigneten Platz für einen Hinterhalt. Zu diesem Zweck mußte er aber erst ein halbes Hundert erschrockener Leute verjagen, die gerade auf der Spitze des Hügels, hinter dem sich Ogibo verbergen wollte, einen Brunnen gruben.

Bones und seine Haussa sahen, wie der Pfad einen mäßig steilen Hügel hinaufführte. Es war eine der wenigen Erhöhungen, die es überhaupt in dem Lande gab. Der junge Offizier seufzte laut, denn er haßte Hügel.

Als er an der Spitze seiner Leute ungefähr die halbe Höhe erreicht hatte, gab Ogibo oben den Befehl zum Angriff. »Boma!« sagte er, und das bedeutet »Tötet!« Die Feinde liefen mit erhobenen Schildern und Speeren zu dreien nebeneinander den Pfad hinunter. Bones sah sie kommen und zog seinen Revolver. Er hatte keinen Raum, seine Mannschaft in Schützenlinie ausschwärmen zu lassen. Der Pfad war schmal, das Unterholz zu beiden Seiten ganz dicht.

Er hörte den Kriegsruf der Gegner und sah über dem Gebüsch, das den herabführenden Weg verdeckte, ihren Kopfschmuck hin- und hertanzen. Er hob die Pistole. Das Geräusch nackter Füße drang zu ihm, dann vernahm er laute Aufschreie, dann herrschte tiefes Schweigen.

Bones wartete, aber der anstürmende Feind erschien nicht. Nur ein schwaches Wimmern erreichte sein Ohr.

»O Herr, sie ziehen sich zurück«, sagte der Sergeant. Zu seinem größten Erstaunen sah Bones eine kleine Abteilung eilig wieder den Hügel erklimmen.

Zuerst argwöhnte er einen doppelten Hinterhalt, aber das war nicht gut möglich. Er konnte in keine schlimmere Lage mehr kommen. Vorsichtig, einen Revolver in jeder Hand, folgte er dem Weg nach oben.

Er gelangte an eine scharfe Biegung des Pfades.

Eine große, viereckige Öffnung gähnte mitten im Weg, die Büsche an jeder Seite waren von der Erde begraben, die die Brunnenleute heraufgeholt und aufgehäuft hatten. In der Tiefe aber lagen die Krieger Ogibos, einer über dem andern, in einer gräßlichen Unordnung. Es mochten etwa hundert Mann sein. Ganz unten lag Ogibo. Er war gleichgültig gegen seine seltsame Umgebung, denn er hatte sich das Genick gebrochen.

Hamilton kam am Nachmittag und brachte Dorfbewohner mit, um bei dem Rettungswerk zu helfen. Später sprach er mit dem Häuptling des scheuen, furchtsamen Brunnenvolkes.

»O Häuptling«, sagte er, »Sandi hat einen Befehl erlassen, daß du keine Brunnen in der Nähe von Städten graben sollst, und doch hast du es getan.«

»O Herr, ich brach das Gesetz«, sagte der Mann schlicht, »auch breche ich alle Gewohnheiten, denn heute werde ich durch deine Gunst, wenn du es gestattest, den Fluß überschreiten, ich und mein Volk, und dies haben wir noch nie getan, solange es eine Zeit gibt.«

»Wohin willst du gehen?«

Der Häuptling der Wanderer stieß seinen Speer in die Erde. Er war ein alter Mann von hervorragender Begabung. Sein langer weißer Bart reichte bis zum Gürtel.

»O Herr, wir gehen zu einem Ort, wie es geschrieben steht. Denn Idusi hat gesagt: ›Ziehet weiter zu den Eingeborenen des Landes, die im Kriege sind, zu jenen, die bei dem Flusse kämpfen. Über das schnelle Wasser sollt ihr gehen, selbst gegen den Strom.‹ Sehr oft sind wir schon zum Strom gekommen, o Herr, aber immer mußten wir umkehren. Doch jetzt scheint sich die Weissagung erfüllt zu haben, denn in diesen Löchern liegen blutige Männer, und man hört die Donner rollen.«

Das Brunnenvolk ging an das andere Ufer zu den Isisi und benützte dazu die Kanus des Akasavahäuptlings. Langsam zogen die Leute durch das Land. Sie hatten keine Möglichkeit, ihre verrückte Tätigkeit fortzusetzen, denn selbst im trockensten Boden fand man einen Spaten tief Wasser.

»Armer alter Sanders«, sagte Hamilton traurig, als er wieder an Bord der »Zaire« war. »Ich habe deine Stämme so durcheinandergewürfelt, daß du dir eine neue Karte zeichnen mußt, um sie wiederzufinden.«

»Sie können mir ja den Befehl geben, daß ich ihm alles erkläre«, rief Bones, aber Hamilton beachtete dieses Angebot nicht weiter.

Er war sehr beunruhigt. Sanders sollte in einem Monat zurückkommen, und es verging kaum eine Woche, ohne daß sich neue Schwierigkeiten zeigten. Dabei war die Lage jetzt schon äußerst verwirrt.

»Hoffentlich ist das Land jetzt wenigstens für eine Woche ruhig«, sagte er und seufzte. Aber er hatte nicht mit dem Brunnenvolk gerechnet.

Das bunte Gemisch von Männern und Frauen zog weiter und sang seine seltsamen Lieder. Die Leute waren schwärmerisch veranlagt, sie hatten merkwürdig schmale Gesichter und lange schwarze Haare; sie nahmen ihren Weg weiter an dem Ufer des Flusses entlang.

Nachdem sie eine Woche lang gewandert waren, kamen sie zu dem Land der Ochori und zu Bosambo, der eben ein großes, wichtiges Palaver abhielt.

Es fand im Ochoriland statt, denn der verbotene Streifen war zu dieser Zeit schon so dicht mit roten Bäumen bepflanzt, daß kein Mann dort mehr Platz zum Sitzen hatte.

»O Herr«, sagte Bosambo, »wenn du mir das Land zurückgibst, das du mir gestohlen hast, so daß ich ungehindert von einem Teil meines Landes zum andern gelangen kann, so werde ich dir dafür viele Inseln auf dem Strom geben.«

»Das ist ein närrisches Palaver«, sagte B'limi Saka, »denn du hast keine Inseln, die du verschenken kannst!«

»Ich sage dir, B'limi Saka«, erklärte Bosambo, »meine jungen Leute sind furchtbar aufgebracht über dich, denn sie wissen, daß du die Bäume auf die Höhe gepflanzt hast, und wenn sie zu ihrem Boden wollen, müssen sie einen langen Weg zum Ufer machen, daß ihre Beine müde werden. Ich fürchte, daß ich sie bald nicht mehr halten kann, denn sie sind sehr kühn und voller Anmaßung.«

»O Herr«, erwiderte B'limi Saka bedeutungsvoll, »auch meine jungen Leute sind sehr kampfbegierig.«

Das Palaver war gescheitert, und als die letzten Ratgeber der Lombobo im Walde verschwanden, zog das Brunnenvolk über das verbotene Gelände zu Bosambos Wohnsitz.

»O mein Herr, wir sind die, von denen du gehört hast«, sagte der alte Mann, der sie führte. »Auch haben wir ein Buch für dich mitgebracht.«

Der Alte nahm das Tuch, das er um seine Hüften trug, faltete es sorgsam auseinander und holte ein Papier daraus hervor, das er Bosambo übergab.

»Von Militini, bei Ogibos Dorf, im Lande der Akasava.

An Bosambo – möge ihn Gott erhalten.

Ich gebe dieses Schreiben dem Häuptling des Brunnenvolkes, damit Du weißt, daß sie in meiner Gunst stehen. Sie sind ein einfaches Volk und sehr furchtsam. Laß sie in Frieden durch Dein Land ziehen, denn sie suchen einen heiligen Platz. Und gib ihnen Hügel, damit sie Löcher graben können, denn sie suchen Wahrheit. Friede sei mit Dir und Deinem Hause, Bosambo.

Auf meinem Schiff beim Kanal der Felsen.«

»O Herr«, sagte der alte Häuptling, »es ist wahr, wir suchen etwas, das Glanz hat, das weiß bleibt, wenn es weiß ist, und schwarz, wenn es schwarz ist. Der weise I'dusi hat gesagt ›Grabt in der Erde nach Wahrheit, sucht in den Tiefen der Erde, denn sie liegt an verborgenen Plätzen im Mittelpunkt der Welt‹.«

Bosambo überlegte. Plötzlich kam ihm eine große Erleuchtung.

»Was für Löcher grabt ihr, alter Mann?«

»O Herr, wir graben tiefe Löcher, denn wir sind kluge Werkleute und fürchten den Tod nicht, wie es die anderen gewöhnlichen Menschen tun. Auch graben wir sie – in das Innere von Hügeln.«

Bosambo schaute haßerfüllt auf die Höhe, die mit roten Gummibäumen bepflanzt war.

»Alter Mann«, sagte er dann freundlich, »hier sollt ihr graben, du und dein Volk, denn in dem Innern dieses Hügels ist eine solche Wahrheit, wie du sie suchst. Meine jungen Leute sollen dir Nahrung bringen und Hütten für dich bauen, und du sollst einen Ratgeber haben, der viel von Hügeln versteht und dir Weg und Richtung zeigen kann.«

Die Augen des alten Mannes leuchteten vor Freude auf, und er umklammerte die Fußgelenke seines großherzigen Gastfreundes.

»O Herr«, sagte er demütig, »nun ist die Weissagung erfüllt.«

Bosambo beobachtete sie, als sie das Lied des Brunnens sangen und sich an die Arbeit machten. Frauen, Männer und selbst kleine Kinder untergruben das Gebiet des Häuptlings B'limi Saka und schufen für Bosambo den Durchgang, nach dem sein Herz sich sehnte.


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