Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Grenze und der Code

Um diese Geschichte zu verstehen, muß man wissen, daß an einer Stelle der Ochorigrenze schmale Zungen des französischen und belgischen Kolonialgebietes wie Segmente eines Halbkreises vorstoßen. Ob sich nun das belgische Gebiet auch noch auf das andere Ufer des N'glili-Flusses ausdehnt, so daß es die Gestalt eines großen Bogens hat, dessen Sehne durch den Fluß gebildet wird, war eine strittige Frage. In Downing Street war man jedenfalls der Ansicht, daß das Gebiet bis zum Fluß englisch sei und daß das »Blutfeld«, wie man es nannte, unter dem Schutz der englischen Flagge stehe.

Als aber Downing Street jenes hitzige Telegramm mit dem Codewort »Banquo« an Hamilton schickte, konnte dieser dem Befehl, der darin lag, nicht nachkommen. Die Gründe hierfür sollen in dieser Geschichte erzählt werden. Der Code ist aber inzwischen vollständig geändert worden, wofür hauptsächlich Leutnant Tibbetts verantwortlich ist.

Hamilton schrieb in einer düsteren Stimmung einen Brief an Bones, der es wert ist, daß man ihn in seiner ganzen Länge wiedergibt.

Daß Bones nur einen Steinwurf weit von Captain Hamilton wohnte und sie sich jeden Tag bei allen Mahlzeiten am gemeinsamen Tisch sahen, erhöhte nur die Schwere des Mißverständnisses. Der Brief lautete:

»In der Residenz, am 24. September.

Von dem kommandierenden Offizier der Haussa-Abteilung in der Residenz an den kommandierenden Offizier der Haussa-Kompanie.

Mein Herr,

ich habe die Ehre, Sie auf den Abschnitt der Dienstvorschriften hinzuweisen, in dem festgehalten ist, daß ein Offizier seine ganze Aufmerksamkeit auf die Ausführung der gesetzlichen Befehle seines Vorgesetzten zu richten hat.

Ich hatte leider neulich die Gelegenheit, Sie wegen Ihrer sonderbaren Neigung zu verwarnen, Eigentum des Kriegsministeriums und königlicher Soldaten für Ihre eigenen Zwecke zu benützen. Ich bemerke ausdrücklich, daß ein solches Verhalten Ihrerseits gegen die Disziplin verstößt und dem Geist und Sinn der Bestimmung direkt zuwiderläuft. Ganz besonders möchte ich feststellen, daß die private Benützung von Telegrafenlinien der Regierung zwecks Beschaffung von Informationen über Ihre Wetten und Hazardspiele unstatthaft ist. Alle diese Angelegenheiten haben sich bis zu einem solchen Grade zugespitzt, daß ich Ihnen dringend raten möchte, in Zukunft jedes Überschreiten der Vorschriften zu vermeiden.

Ich habe die Ehre usw. usw.

P. G. Hamilton, Captain.«

Wenn zwei Weiße auf einem einsamen Posten zusammen leben und es Hunderte von Meilen weit keine andere Ansiedlung von Weißen gibt, so hassen sie sich, oder sie dulden einander. Wenn aber zwei Leute, die den gleichen Dienst haben, unter solchen Umständen harmonieren, so ist es eine sehr große Ausnahme.

Leutnant Tibbetts erhielt diesen Brief, als er gerade beim Rasieren war. Unverzüglich lief er in seinem Pyjama, den Helm auf dem Kopf, über den Exerzierplatz. Mit ein paar großen Sätzen sprang er die Treppe hinauf und klapperte mit seinen Pantoffeln über die breite Veranda. So platzte er in das Schlafzimmer seines Vorgesetzten und unterbrach den gestrengen Captain Hamilton bei seinem ersten Morgenimbiß.

»Sagen Sie, alter Sportsmann«, sagte Bones beleidigt, indem er mit dem Rasierpinsel in der einen Hand heftig gestikulierte, »was hat dies zu bedeuten?«

In der anderen Hand hielt er den zerknitterten Brief.

»Leutnant Tibbetts«, sagte Hamilton ernst, »haben Sie denn gar kein Anstandsgefühl?«

»Anstandsgefühl, mein Lieber!« wiederholte Bones. »Ich bestehe überhaupt nur daraus. Deshalb bin ich ja hergekommen!«

Bones bot in dieser frühen Morgenstunde einen schreckenerregenden Anblick mit seiner offenen Pyjamajacke, die seinen mageren Hals entblößte. Mit schiefgezogenem Mund starrte er seinen Vorgesetzten aus großen Augen an. Seine Locken hingen unordentlich durcheinander, auf seinen Wangen zeigten sich rote Flecken.

Hamilton schaute ihn an. Aber Bones ließ sich durch eine Kleinigkeit wie einen eisigen Blick nicht aus der Fassung bringen.

»Es ist gar kein Grund vorhanden, Ihre böse Laune an mir auszulassen, alter Ham«, sagte er und ließ sich in den nächsten Sessel fallen. »Ich nenne so etwas nur einen dummen, offiziellen, unnötigen Brief. Wozu diese Aufgeblasenheit? Warum diese vernichtenden Anklagen? Diese beispiellose Unhöflichkeit gegen den armen, alten Bones?«

»Sie bringen zuviel Zeit in der Telegrafenstation zu!« erwiderte Hamilton, der die Situation erfaßte.

Bones richtete sich langsam auf. »Captain Hamilton – Sir!« sagte er vorwurfsvoll. »Das sagen Sie mir – nach allem, was ich für Sie getan habe?«

»Abgesehen davon, daß Sie mir eins Ihrer gräßlichen Rennlose für fünf Shilling angedreht haben«, gab Hamilton unwillig zurück, »das bestimmt eine Niete sein wird, weiß ich nicht, in welcher Weise Sie mir geholfen haben. Aber nun hören Sie, Sie müssen Ihrem Dienst mehr Aufmerksamkeit schenken. Es ist jetzt keine Zeit, die Hände in den Schoß zu legen; Sanders wird zurück sein, ehe wir wissen, wo wir sind. Und wenn er erst hier alles revidiert, werden wir eine Masse Unannehmlichkeiten haben. Außerdem scheinen Sie sich gern vom Dienst zu drücken!«

»Ich!« keuchte Bones vor Wut. »Ich – mich vom Dienst drücken? Sie wissen nicht, was Sie sagen, Sir!«

Aber man konnte Bones nicht ernst nehmen, mit einem Rasierpinsel in der Hand und mit einer halbrasierten Wange, die die übergroße Eile bewies, in der er hergekommen war.

»Ich möchte nur feststellen, daß ich während der Zeit, in der ich die Ehre hatte, unter Ihrem Kommando zu dienen, wahrscheinlich mehr Palaver von recht unangenehmem Charakter geregelt habe als ein durchschnittlicher Distriktsgouverneur im Laufe eines Jahres!«

»Da Sie gewöhnlich selbst die Ursache für diese Palaver waren«, sagte Hamilton unfreundlich, »so streite ich dies auch gar nicht ab. Mit anderen Worten: Sie haben sich selbst all die Unannehmlichkeiten zugezogen und mußten eben sehen, auch selbst wieder herauszukommen.«

»Es hat gar keinen Zweck, noch an Ihr besseres Selbst zu appellieren!«

Bones salutierte mit der Hand, in der er den Rasierpinsel hielt, ging steif hinaus und schritt über die Matte nach seinem Quartier zurück, in all der Würde, die man entwickeln kann, wenn man einen rosagestreiften Pyjama und einen Tropenhelm trägt. Auf halbem Wege erinnerte er sich aber an etwas, kam eilig wieder zu Hamiltons Zimmer und trat ohne alle Formalitäten ein.

»Ich habe noch etwas vergessen«, sagte er, »betreffend diese Rennlose. Es ist ja möglich, daß ich bei einer der nächsten Expeditionen in das Innere meinen Tod finde. Deshalb möchte ich Ihnen jetzt schon sagen, daß Sie der Erbe meiner ganzen beweglichen Habe sind. Außerdem möchte ich noch eins hinzufügen, Sir.« Er stand schon in der Türe und hielt sich mit einer Hand am Pfosten fest, um sofort eine strategische Rückzugsbewegung ausführen zu können und außer Schußweite zu kommen. »Ich vergebe Ihnen mit diesem Legat alles, was Sie mir angetan haben, auch daß Sie mein Leben hier so vergifteten. Guten Morgen, Sir!«

Um Mittag fand eine Besichtigung der Haussa statt. Bones schritt quer über den Exerzierplatz, klappte die Hacken zusammen und meldete die volle Stärke seiner Kompanie. Hamilton hatte ihn seit dem Morgen nicht wieder gesehen, und als der Dienst zu Ende war, ging Bones sofort wieder steif zu seinem Quartier. Er war gekränkt.

Er fühlte sich beleidigt, daß man ihm gesagt hatte, er drücke sich vom Dienst, denn in diesem Punkt war er besonders empfindlich. Zwei Wochen lang hatte er seine Kompanie rücksichtslos gedrillt, da er einen Zug ins Innere erwartete. Vierzehn Tage lang hatte er bei jedem Wetter wie ein Eingeborener im Walde gearbeitet, hatte Scheingefechte mit Platzpatronen ausgeführt und Angriffe auf Scheinstellungen gemacht, Barrikaden gebaut – und nun mußte er sich am Ende noch sagen lassen, daß er sich vom Dienst drücke!

Sicherlich war er öfter zur Residenz gekommen, als es nötig war, denn er interessierte sich besonders dafür, ob eins seiner Rennlose gewonnen hatte. Unter Umständen hätte er bei einigem Glück ein großes Vermögen dadurch machen können.

Beim Mittagessen war Hamilton sehr liebenswürdig zu ihm, auch beim Abendbrot redete er ihm freundlich zu und meinte es auch wirklich aufrichtig.

Hamilton war in nicht geringen Schwierigkeiten. Das französisch-belgische Gebiet an der Ochorigrenze machte ihm große Sorge, denn alle schlechten Elemente dieser Gegenden fanden dort einen Schlupfwinkel. Leute, die ihre Steuern nicht bezahlten, Mörder, Verbrecher aller Art, die Hefe aller Stämme und Nationen zogen zu dem Land der drei Hügel jenseits von Bosambos Gebiet.

In letzter Zeit waren die Ansammlungen dort besonders stark geworden. Es wurde berichtet, daß eine zahlreiche Schar von aufrührerischen Eingeborenen einen Tagesmarsch weit von der Ochorigrenze lagerte. Hamilton war davon unterrichtet. Auch früher war das schon vorgekommen, man hatte viele vergebliche Züge ins Ochoriland unternommen.

Eilmärsche durch wenig bekanntes Gebiet und das lange, ermüdende Warten auf einen Feind, der die Grenzen überschreiten sollte und dann doch nicht kam, hatten die Befürchtungen bis zu einem gewissen Grad eingeschläfert. Man mußte es eben darauf ankommen lassen. Der Gouverneur warnte Hamilton von Zeit zu Zeit und bat ihn, alle möglichen Vorbereitungen zu treffen. Sanders hatte immer geantwortet, daß die Lage an der Ochorigrenze stets aufmerksam von ihm beobachtet werde.

»Welche Gründe liegen denn jetzt wieder zur Beunruhigung vor?« fragte Bones bei Tisch.

Hamilton schüttelte den Kopf.

»Sanders' Name wirkte wie ein Zauber.«

Bones' Lippen zogen sich zusammen.

»Mein Lieber«, sagte er, »auch mein Name wirkt mit fast übernatürlicher Gewalt.«

»Ich habe bis jetzt noch nichts davon bemerkt.«

»Ich werde schrecklich populär«, sagte Bones selbstbewußt. »Als ich das letztemal am oberen Lauf des Stromes war, kam Bosambo zehn Meilen weit herbei, um mich zu treffen und einen Tag mit mir zuzubringen.«

»Vermissen Sie nichts?« fragte Hamilton.

Bones dachte nach. »Doch«, gab er langsam zu. »Ich habe eine Menge Sachen verloren – aber der liebe, alte Bosambo würde mir doch das nicht antun – ich kenne ihn!«

»Wenn alles so klar wäre wie das! Sie haben Bosambo noch lange nicht durchschaut!«

Am nächsten Morgen wurde Hamilton um drei Uhr durch den Telegrafenbeamten geweckt. Es war ein Codetelegramm vom Hauptquartier angekommen. Noch halb im Schlaf ging er in Sanders' Büro, um es zu übersetzen.

»Hoffe, daß Sie die Ochorigrenze streng bewachen. Nachrichten von der französischen Regierung, daß die Überschreitung durch Banden unmittelbar bevorsteht.«

Hamilton zog die Moskitoschuhe über, schlüpfte schnell in einen Rock und ging zum Quartier des Leutnant Tibbetts hinüber.

Bones bewohnte eine große Hütte am Ende der Mannschaftslager. Hamilton leuchtete ihm mit seiner elektrischen Taschenlampe ins Gesicht.

»Hallo, ich habe ein Telegramm bekommen!«

Bones sprang mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett und war sofort munter. »Ich wußte doch, daß eins meiner Pferde gewinnen würde«, brüllte er vor Vergnügen. »Ich hab' es auch geträumt ...«

»Nehmen Sie sich zusammen, Sie leichtsinniges Huhn!«

Mit diesen Worten überreichte ihm Hamilton das Telegramm.

Bones las es sorgsam und wollte dem Text eine Bedeutung beilegen, die er gar nicht hatte. »Was werden Sie nun machen?« fragte er schließlich.

»Es ist nur eins zu tun«, sagte Hamilton. »Wir müssen mit allen Mannschaften, die wir nur irgendwie entbehren können, bei Tagesanbruch nach Norden aufbrechen.«

»Das haben Sie gesagt wie der gute, alte Hannibal«, rief Bones herzlich und klopfte Hamilton auf den Rücken.

Ein schrilles Trompetensignal weckte die schlafenden Soldaten. Hamilton ging zu seinem Quartier zurück, um Vorbereitungen für die Fahrt zu treffen. Beim ersten Morgenschimmer sandte er drei Tauben an Bosambo mit einer kurzen, inhaltsschweren Nachricht.

»Besetze mit all deinen Kriegern die Grenze von Frenchiland. Ich komme mit meinen Soldaten nach, um dir zu helfen. Du haftest mit deinem Kopf dafür, daß kein Fremder ins Land kommt.«

Als die aufgehende Sonne die Kronen der Palmen vergoldete und das Zwitschern der Vögel die Morgenluft erfüllte, begann die »Zaire« ihre lange Reise nach Norden. Alle Soldaten waren an Bord.

Kurz bevor der Dampfer auslief, bekam Hamilton noch ein weiteres Telegramm vom Gouverneur. Da es in offener Sprache gegeben war, zeugte es von der außerordentlichen Eile, in der Sir Robert Sanleigh es abgesandt hatte.

»Vertraulich. Angelegenheit an Ochorigrenze sehr heikel. Treffen Sie Vorkehrungen, immer mit mir in Fühlung zu bleiben.«

Einen Augenblick erwog Hamilton die Möglichkeit, Bones als Verbindungsoffizier in der Residenz zurückzulassen, um die Nachrichten nach oben weiterzubefördern. Aber nach kurzer Überlegung sah er die Nutzlosigkeit seines Planes ein. Er brauchte jede nur mögliche Hilfe, und wenn Bones auch seine Schattenseiten hatte, war er doch ein ausgezeichneter Soldat und ein treuer, braver Kamerad.

Es mochte notwendig sein, daß er seine Streitkräfte teilen mußte. In diesem Fall konnte er Leutnant Tibbetts überhaupt nicht entbehren. Aber unnötigerweise mußte er Bones noch eine Erklärung geben.

»Ich glaube, es ist viel besser, daß ich Sie im Auge behalte – dann weiß ich wenigstens, was Sie tun!«

»Sir«, sagte Bones sehr ernst, »es kommt nicht so sehr darauf an, was ich tue, als, was ich denke. Wenn Sie nur meinen Verstand an der Arbeit sehen könnten –«

Hamilton lachte laut auf.

Mindestens drei Tage lang waren die Beziehungen zwischen den beiden Offizieren gespannt. Bones gab in regelmäßigen Zwischenräumen selbst zu, daß er übertrieben empfindlich sei, und hatte dies Hamilton auch schon zu verschiedenen Malen erklärt. Törichterweise nahm der Captain aber keine Rücksicht darauf.

Die meiste Zeit stand Hamilton auf der Kommandobrücke und kümmerte sich um die Steuerung, denn er kannte den Strom sehr gut. Bones aber saß in seiner Kabine, die man auf dem hinteren Teil des Schiffes für ihn zurechtgemacht hatte, und legte Patience. Durch lange Übung hatte er es darin zu bewundernswürdiger Fertigkeit gebracht. Als sie zur Ochoristadt kamen, fanden sie die Ortschaft verlassen, nur eine starke Wache war zurückgeblieben. Bosambo war schon am vorhergehenden Tage mit seinen Kriegern abmarschiert, nachdem er den Kriegsruf durch sein ganzes Land hatte erschallen lassen.

Er war mit tausend Kriegern aufgebrochen, aber seine Streitkräfte wuchsen lawinenartig an, als er durch das Land zog. Die große Straße, die Notiki, der Häuptling des Nordens, zur Strafe hatte anlegen müssen, gewann allmählich Gestalt, und Bosambo kam daher mit unglaublicher Schnelligkeit vorwärts.

Er kam dem Räuberhauptmann aus Angola zuvor, der sich an die Spitze einer Schar von Spitzbuben gestellt hatte, um in ein Land einzudringen, in dem nach seinen Worten Milch und Honig flossen. Auch hatte dieser Mann seinen Leuten erzählt, daß nur furchtsame Männer das Land bewachten und daß es in der Hauptsache von schönen, schlanken Mädchen bewohnt werde. Die Akten geben seinen Namen als Kisini an, in Wirklichkeit stammte er aber aus der Kolonie Angola und hieß Bizaro – ein Name, der portugiesischen Einschlag verriet.

Schon öfter hatten die unruhigen und gesetzlosen Banden in den Wäldern jenseits der Ochorigrenze versucht, in britisches Gebiet einzubrechen. Aber die unbekannten Gefahren und die schrecklichen Gerüchte über einen gewissen weißen Distriktsgouverneur, der die Verbrechen sehr schnell räche und unglaublich viel nachforsche, hatten sie bisher abgeschreckt und zurückgehalten. Aber Jahr für Jahr mehrte sich die Anzahl, und sie schlossen sich zu bewaffneten Banden zusammen, die nur das gemeinsam hatten, daß sie außerhalb des Rechts standen, vor dem sie geflohen waren. Im Süden und im Osten standen starke französische und belgische Streitkräfte bereit, um sofort das Feuer auf sie zu eröffnen, sobald sie nur ihre platten Nasen zeigten.

Es hätte ein Napoleon dazu gehört, all die verschiedenen Gruppen zu vereinen und die Gegensätze zu überbrücken. Aber Bizaro hatte wie viele andere eitle und ehrgeizige Männer versucht, durch große Palaver so etwas wie eine Nation aus diesem Abschaum der Völker zu machen. Wenn ihm auch dieser große Plan nicht gelang, so brachte er doch vier oder fünf Banden zusammen. Diese Nachricht erhielt der französische Gouverneur durch seine Spione und gab sie nach Downing Street weiter. Von dort aus ging sie wieder zurück zur Küste und setzte Hamilton und seine Truppe in Bewegung. Sogar ein Regiment der Königlich Afrikanischen Schützen wurde zur Küste befördert und stand bereit, als Verstärkung der ersten Expedition ins Innere zu marschieren.

Bizaro hielt Heerschau über seine Krieger ab und zog dann fröhlich durch die schattigen Waldwege, auf denen die Sonnenstrahlen spielten. Er hatte sein Gesicht mit roter Farbe beschmiert und wirbelte seinen großen Elefantenspeer zwischen den Fingern. Hinter ihm marschierte seine zusammengewürfelte Kriegerschar.

Er hatte Leute aus Französisch- und aus Belgisch-Kongo, Eingeborene aus Angola und Männer aus dem fernen Barotseland, die auf dem schnellen, gelben Kasaistrom zum Kongo gekommen waren. Auch Jäger aus den fernen Wäldern von Bongindanga, wo das Okapi haust, waren darunter. Jeder einzelne wußte sehr wohl, warum er hier war. Dies waren keine Männer, die nur wegen der Steuer vor der Regierung Bula Matadis Der Streikbrecher. Dies ist der Name, den die Eingeborenen der Regierung des Kongostaates gegeben haben. flohen. Fast auf jeden von ihnen war ein Kopfpreis ausgesetzt. Die meisten waren aus den Gefängnissen von Boma, Brazzaville und Equatorville oder dem weiter südlich gelegenen St. Paul de Loanda entsprungen.

Der wichtigste Übergangsplatz war N'glili Vermutlich eine Verstümmelung des Wortes »englisch«.. Hier fließt ein kleiner, seichter Fluß, der nicht mehr als zwölf Speerlängen breit ist, von einem Wald in den andern. Zwischen diesen beiden Wäldern liegt eine große Lichtung, die mit dichtem Gras und Sträuchern bestanden ist. Im Frühling sind die Ufer mit weißen Blumen bedeckt, und später blühen auf dem Feld dahinter rote, wilde Anemonen.

Bei den Flüchtlingen hatte sich die Legende gebildet, daß jeder Schutz in der britischen Kolonie finde, der das »Blutfeld« durchquere – so nannten sie den anemonenbedeckten Landstrich –, ohne eine Blume zu knicken.

Als Bizaro nun von weitem des Stromes ansichtig wurde und die beiden großen Bäume sah, die die Furt flankierten, sagte er: »Heute werden wir zwischen den Blumen wandeln.« Und damit bezeichnete er endgültig die Richtung seines Zuges.

»O Herr«, fragte ein furchtsamer Mann, als sie im Anblick des versprochenen Landes haltmachten, »was sollen wir tun, wenn wir in dieses fremde Gebiet kommen?«

»Wir werden alle fremden Männer totschlagen«, erwiderte Bizaro wohlgemut. »Später werden sie uns um Frieden bitten, dann sollen sie uns große Landstriche geben, wo wir Hütten bauen und Korn säen. Sie werden uns Frauen geben, und wir werden in Lust und Freude leben, und ich werde euer Häuptling sein und euch zu einem großen Volke machen.«

Sie hätten an diesem Abend noch den Strom überschreiten können und wären dann in dem neuen Lande gewesen. Aber Bizaro war ein entsprungener Verbrecher und ein träger Mann, und so entschloß er sich, die Nacht an der Stelle zu verbringen, wo er sich gerade aufhielt. Das wurde aber für sein Unternehmen verhängnisvoll. Denn als er früh am nächsten Morgen mit seinen Horden zum N'glilifluß marschierte, fand er das jenseitige Ufer von zweitausend Speerleuten besetzt, die unter dem Befehl eines Häuptlings standen, der sich durch Worte nicht erweichen ließ und eine anmaßende Haltung einnahm.

»O Häuptling«, sagte Bosambo, »heute wirst du nicht durch mein schönes Blumenfeld gehen.«

»O Herr«, erwiderte Bizaro demütig, »wir sind arme Leute und suchen nach einem neuen Land.«

»Das sollst du auch haben«, sagte Bosambo grimmig, »denn ich habe meine Krieger ausgesandt, um große Gruben zu graben, damit du in dem Lande ausruhen kannst, das du begehrst.«

Bizaro war unglücklich über diese Wendung und führte langsam seine sechshundert Speerleute in das Gebiet zurück, von dem er ausgezogen war. Bei seiner Rückkehr zu den verschiedenen Banden fand er, daß er ganz unbewußt sein Ziel, alle Gruppen zu vereinigen, erreicht hatte. Denn die Nachricht, daß eine bewaffnete Macht am N'glilifluß stehe, brachte Schrecken und Verwirrung in die Reihen der Verbrecher. Sie standen nun zwischen zwei Feinden und schlossen sich natürlich dem Gegner an, den sie am meisten fürchteten.

Am vierten Tag nach seinem Gespräch mit Bosambo führte Bizaro fünftausend verzweifelte Männer neuerlich zu der Furt. Es entspann sich eine blutige Schlacht, die fast den ganzen Morgen andauerte und bei Sonnenaufgang wieder auflebte.

Hamilton kam gerade mit seinen Haussas an, als der eine Flügel der Streitkräfte Bosambos zurückgeschlagen wurde und die Abenteurer unter Bizaros Führung das Ochoriufer gewonnen hatten. Hamilton eilte über die Lichtung und stellte seine Leute schnell in Schlachtordnung auf.

Mit dem Säbel in der Hand raste Leutnant Bones seinen Soldaten voraus, die mit blitzenden Bajonetten über das rote Feld stürmten. Nach einem kurzen und ruhmreichen Nahkampf wurden die Eindringlinge zurückgeworfen. Ein Schnellfeuer der Haussas auf die Fliehenden vollendete den Zusammenbruch des Feindes.

»Das wäre erledigt!« sagte Hamilton.

Er schlug sein Lager auf dem Schlachtfeld auf, und die Biwakfeuer seiner Soldaten glühten rot zwischen den blühenden Anemonen.

»Haben Sie mich im Kampf gesehen?« fragte Bones ein wenig selbstbewußt.

»Nein, ich habe keine besonders hervorragende Heldentat auf Ihrer Seite bemerkt.«

»Vermutlich haben Sie nicht gesehen, wie ich mich auf einen großen, ungeschlachten Kongoneger warf«, sagte Bones nachlässig, als er eine Büchse Zunge öffnete, »zwei mit einemmal habe ich niedergestreckt!«

»Was erwarten Sie von mir?« fragte Hamilton unwirsch. »Soll ich vielleicht aufstehen und ein Hoch auf Sie ausbringen – oder soll ich Sie zum Viktoriakreuz oder einer hohen Dekoration vorschlagen?«

Bones spießte mit seiner Gabel langsam ein großes Stück Zunge aus der Büchse, bevor er antwortete. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen«, gab er zu, »ich habe nicht an das Viktoriakreuz gedacht, aber wenn Sie glauben, mich für die Verleihung einer Auszeichnung eingeben zu müssen wegen meines ›Mutes vor dem Feind‹, so lassen Sie Ihre Freundschaft keinen Hinderungsgrund sein!«

»Das werde ich nicht tun!« sagte Hamilton.

Eine kleine Pause entstand. Bones blickte nicht von seiner Beschäftigung auf, die augenblicklich darin bestand, ein großes Biskuit mit Marmelade zu bestreichen. Erst als er damit fertig war, fuhr er fort: »Ich habe einem der Unterhäuptlinge Bosambos das Leben gerettet – er lag auf der Erde, und drei Kerle waren über ihm. Als sie mich aber sahen, ließen sie ihre Speere fallen und flohen.«

»Vermutlich war es Ihre merkwürdig große Nase, die das fertigbrachte«, sagte Hamilton, auf den Bones' Heldentaten wenig Eindruck zu machen schienen.

»Ich stand dort«, sprach Bones weiter und überhörte die wenig schmeichelhafte Bemerkung, »und wartete auf irgendein Ereignis. Ich setzte mich den todbringenden Wurfgeschossen aus, mein Lieber, und leitete kaltblütig den Lauf der Schlacht, wenn ich so sagen darf. Es war eine der tapfersten Taten, die ich jemals sah«, fügte er bescheiden hinzu.

Er machte eine Pause, aber Hamilton hatte gerade ein großes Stück seines Zungenbrotes abgebissen und konnte deshalb nicht antworten.

»Wenn Sie mich in Ihrem Bericht erwähnen wollen«, regte Bones an, »so ...«

»Machen Sie sich keine Sorge, das werde ich nicht tun!«

»Aber wenn Sie es doch täten«, bestand Leutnant Tibbetts hartnäckig und balancierte mit seinem dick mit Marmelade bestrichenen Biskuit, »so kann ich Ihnen sagen ...«

»Passen Sie auf, die Marmelade läuft Ihnen in den Ärmel«, unterbrach ihn Hamilton. »Und nun seien Sie nett, Bones, und reden Sie nicht mehr davon.«

Bones seufzte.

»Die Sache ist die, Hamilton. Ich habe bis jetzt in der Armee gedient ohne Hoffnung auf eine Belohnung und habe die Ehren verachtet. Aber jetzt stehe ich in dem Alter und habe eine Position im Leben, und ich fühle, daß mir für meine Verdienste eine kleine Anerkennung zusteht als Trost für meine alten Tage.«

»Wie lange haben Sie denn in der Armee gedient?« fragte Hamilton neugierig.

»Achtzehn Monate«, erwiderte Bones, »nächste Woche werden es neunzehn – eine nette, lange Zeit, Sir!«

Hamilton verließ seinen unzufriedenen Untergebenen und machte die Runde um das Lager. Das rote Feld, wie er es nannte, war in Wirklichkeit eine tiefliegende Wiese, die sich steil nach dem Flußufer hin senkte, noch steiler aber auf der anderen Seite nach dem Ochoriwald zu hob. Er hatte einige Erfahrung in der Taktik der Eingeborenen, und obgleich seine Späher berichteten, daß der Feind tatsächlich auf dem Rückzug begriffen sei und der nächste Trupp fünf Meilen entfernt lagere, stellte er doch eine starke Feldwache an der anderen Seite des Flusses auf und zog eine weitere Linie von Wachtposten um das Lager. Den Sergeanten Abibu beauftragte er damit, den kleinen Fluß im Auge zu behalten, der schnell zwischen seinen Ufern dahinfloß. Zwei Tage lang wachte Abibu, aber er hatte nichts Besonderes zu melden.

Die Späher aber, die die Bewegungen Bizaros und seiner übriggebliebenen Leute beobachteten, brachten die Botschaft, daß der Hauptteil seines Heeres auf geheimnisvolle Weise verschwunden sei. Um Hamiltons unsicheres Gefühl noch zu erhöhen, kam über die Residenz und die Ochoristadt eine Nachricht vom Gouverneur zu ihm.

»Machen Sie sich bereit, auf meine erste dringende Botschaft sich auf Ochoristadt zurückzuziehen. Die belgische Regierung reklamiert das ganze Land zwei Meilen südlich vom N'glilifluß als zu ihrem Gebiet gehörig. Sehr heikle Lage. Internationale Komplikationen befürchtet. Ich vertraue Ihrem Taktgefühl. Aber ziehen Sie sich schnell zurück, wenn Sie meine Befehle erhalten.«

»Überlassen Sie das nur mir«, sagte Bones, als Hamilton ihm die Botschaft vorlas. »Habe ich Ihnen schon einmal erzählt, daß ich früher die Absicht hatte, in den diplomatischen Dienst zu treten?«

 

Die Wahrheit über die Lage an der Ochorigrenze ist niemals ganz preisgegeben worden. Man bedenke, daß drei starke, imperialistische Nationen den Bau einer Eisenbahn quer durch Afrika planten, um die Quellen des Innern zu erschließen. Aber jeder Staat dachte sich diese Eisenbahn natürlich nach seinem System. Einigkeit herrschte nur darüber, daß die Linie die Ochorigrenze berühren müsse. So kann man ungefähr verstehen, warum der Besitz dieses kleinen, nur zwei Meilen breiten Landfetzens von jeder beteiligten Nation mit so großem Nachdruck gefordert wurde.

Als die Nachricht nach Europa kam, daß eine Abteilung britischer Haussa die Ufer des N'gliliflusses besetzt und einer Schar von Verbrechern eine Niederlage zugefügt habe, hätte die zivilisierte Welt Captain Hamilton und seinem tapferen Leutnant eigentlich dankbar sein müssen. Aber die Gefühle wurden doch sehr beeinträchtigt durch die Frage, ob Captain Hamilton und seine Haussa denn überhaupt berechtigt waren, auf das »Rote Feld« vorzustoßen. Der Telegraf spielte zwischen Brüssel und Paris und Paris und London und London und Brüssel und gab in den merkwürdigen Redewendungen der Diplomatie heftige Feststellungen von Ansprüchen kund.

England konnte von seinem Standpunkt, den es einmal eingenommen hatte, nicht abgehen und betonte das sowohl Frankreich wie Belgien gegenüber. Es wurde mitgeteilt, daß man sich auf keinen Kompromiß einlassen würde, aber zu gleicher Zeit gab man heimlich Befehl, die Truppen, die Veranlassung zu diesem ganzen diplomatischen Streit waren, zurückzuziehen. Dieser Befehl wurde aber gleich darauf wieder zurückgenommen, denn die Rede eines zu gesprächigen belgischen Ministers gab dazu Veranlassung. Der Gouverneur der Gebiete erhielt um Mitternacht die offizielle Instruktion: »Teilen Sie Hamilton mit, daß er die Stellung unter allen Umständen halten und die Grenze gegen jedermann verteidigen soll.«

Diese Botschaft wurde weitergegeben.

Nun existiert beim britischen Kolonialdienst und allen Ämtern, die mit ihm in Verbindung stehen, für dringende Notfälle ein Code, der aus den Rollen verschiedener Shakespearescher Dramen zusammengestellt ist.

Ich sage »es existiert«, besser wäre zu sagen, »es existierte«, denn der Code ist inzwischen ja wesentlich geändert worden.

Jeder Beamte des Kolonialdienstes wußte, ohne daß er ein Buch aufzuschlagen brauchte, daß das Wort »Ophelia« bedeutete: »Unruhen bei Eingeborenen werden aus Ihrem Distrikt gemeldet, berichten Sie sofort!« »Polonius« hieß für ihn: »Sofort vorgehen!« »Mercutio« befahl: »Rückzug!« Erhielt er das Wort »Banquo«, so las er darin: »Halten Sie Ihre Position, bis weitere Befehle eintreffen.« Und »Banquo« war auch das Wort, das der Gouverneur durch den Telegrafen weitergab.

 

Sergeant Abibu hatte sich an den Ufern des N'gliliflusses festgesetzt und nicht bemerkt, daß der Fluß an Stärke nachließ und seine Tiefe änderte. Es wäre gut gewesen, wenn er sich darum gekümmert hätte.

Bizaro, der zehn Meilen weiter westlich im Wald lagerte und der die Taktik der Eingeborenen anwandte, fand, daß es unnötig war, den Fluß in ein ganz neues Bett zu leiten.

Die Natur kam ihm in wundervoller Weise zu Hilfe. Er war dem Fluß durch den Wald gefolgt, bis er eine Stelle erreichte, wo er eine Viertelmeile breit war.

Hier fand er überdies einen Damm, den hundert Mann in einem Tag durchstechen konnten, selbst wenn sie sich bei ihrer Arbeit nicht sehr anstrengten.

Bizaro war kein Ingenieur, aber er hatte den Instinkt der eingeborenen Waldbewohner für die Höhe des Wasserstandes und alles, was damit zusammenhängt. Wenn er diesen Damm durchstach, wurde das »Rote Feld« vollständig unter Wasser gesetzt.

»Wir wollen die Hunde ertränken«, sagte er zu seinen Unterhäuptlingen, »und nachher werden wir in das Land gehen und es uns nehmen.«

Hamilton sah diese Gefahr voraus. An den Anzeichen des Bodens erkannte er, daß die große Talsenke schon öfter überschwemmt worden war. Aber seit der letzten Überflutung waren anscheinend schon viele Jahre vergangen. Er konnte jedoch die Stellung, die er eingenommen hatte, nicht aufgeben, ohne seinen Vorgesetzten zu enttäuschen. Auch andere Gründe sprachen dagegen.

Bosambo erklärte ihm ganz offen, daß er dafür sei, sich wieder nach der Ochoristadt zurückzuziehen.

»Warum, o Herr, sitzen wir hier«, fragte er, »und schauen auf das Wasser dieses kleinen Stromes, in dem es keine Fische gibt, und auf das große, häßliche Land, wenn doch meine schöne Stadt da ist, wo ich dich, o Herr, empfangen kann? Wir wollen große Tänze und Feste dort abhalten.«

»Eine hervorragende Idee«, murmelte Bones.

»Ich warte auf ein Buch«, sagte Hamilton kurz. »Wenn du gehen willst, kannst du deine Krieger nehmen und mich verlassen.«

»O Herr«, sagte Bosambo, »du bringst mich in Schande.« Man sah ihm an, daß er sich selbst Vorwürfe machte.

»Ich bin sehr erstaunt über Sie, Hamilton«, murmelte Bones.

»Behalten Sie Ihre teuflischen Bemerkungen für sich. Ich sagte Ihnen doch, daß ich auf neue Befehle warten muß.«

Den Rest des Abends war er schweigsam. Er saß in seinem Kanevasstuhl, um die Nacht im Halbschlaf zuzubringen, als ein mit Staub bedeckter Bote aus der Ochoristadt kam und ihm ein Telegramm brachte, das nur ein Wort enthielt.

Hamilton las es und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. »Was mag das wieder bedeuten?«

Das Wort war jedoch vollkommen klar und eindeutig. Ein Trompetensignal rief die Haussa in Reih und Glied, und die Trommeln versammelten die Krieger Bosambos.

Eine halbe Stunde nach dem Empfang des Telegramms befand sich die ganze Kolonne auf dem Rückmarsch.

Sie durchkreuzten die große Wiese in der Dunkelheit und kletterten an den Abhängen des Waldes in die Höhe, als sie plötzlich ein starkes Brausen hörten, das näher und näher kam.

Der Himmel war klar, und ein schneller Blick sagte Hamilton, daß kein Sturm zu fürchten war. Plötzlich wußte er, was ihnen bevorstand.

»Laufschritt, marsch, marsch!« rief er seiner Truppe zu.

Nackte Ochorikrieger und uniformierte Haussas flohen durch das Dunkel auf das höher gelegene Gelände.

»Gerade noch zu rechter Zeit!« sagte Hamilton grimmig. »Es scheint fast so, als ob der Gouverneur das gewußt hat!«

Sie kamen zur Ochoristadt zurück. Hamilton sandte ein langes Telegramm an die Regierung, das er durch einen Eilboten zur Residenz schickte.

Dieses Telegramm räumte viele Schwierigkeiten aus dem Weg, denn das strittige Gebiet war nun für immer unter Wasser gesetzt, und wo früher die roten Anemonen blühten, dehnte sich jetzt ein zwei Meilen breiter, ruhiger See aus.

In der Ochoristadt erwartete Hamilton eine unangenehme Überraschung. Es war ein anerkennendes Telegramm des Gouverneurs angekommen, mit dem sogar Bones zufrieden war. Aber es stand auch darin: Warum haben Sie sich zurückgezogen trotz dringenden Befehls, die Position zu halten? Ich sandte Ihnen doch das Codewort ›Banquo‹.«

Erst später erfuhr Hamilton, daß der Bote, der diese wichtige Nachricht brachte, ihn während des Rückmarsches durch den Wald verfehlt hatte.

»Banquo!« sagte Hamilton verwirrt. »Ich hatte aber doch den Befehl erhalten, mich zurückzuziehen!«

»Üble Sache«, tröstete ihn Bones mitfühlend. »Der lieben alten Exzellenz muß man nur einmal gut zureden. Sind Sie denn auch sicher, mein Lieber, daß Sie das Telegramm nicht falsch verstanden haben?«

»Hier ist es«, sagte Hamilton. »Aber ich muß gestehen, daß ich die Zahlen nicht begreife.«

Er überreichte es Bones.

»Mercutio 17 178.«

Bones betrachtete es einen Augenblick, dann verging ihm fast der Atem. Feierlich streckte er die Hand aus und ergriff die Rechte seines erstaunten Vorgesetzten.

»Mein Lieber«, sagte er mit fast gebrochener Stimme, »gratulieren Sie mir, ich habe ein Rennlos gewonnen!«

»Ein Rennlos?«

»Jawohl, und zwar in Cambridgeshire! Wie Sie sehen, habe ich ein Los mit der Nummer 17 178 in meiner Tasche, lieber Freund! Und da Mercutio gewonnen hat, lade ich Sie hiermit in unserem Urlaub zu dem opulentesten Diner im ›Ritz‹ ein!«


 << zurück weiter >>