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Friedrich Wilhelm Waiblinger ist am 21. November 1804 zu Heilbronn geboren, wo sein Vater Gerichtsbeamter war. Zum Theologen bestimmt wurde der junge Waiblinger, nach Absolvirung des Gymnasiums in Stuttgart, im Spätherbst 1822 in das tübinger Stift aufgenommen. Bald darauf erschien sein erster schriftstellerischer Versuch, der Roman »Phaëthon von F. W. Waiblinger. Zwei Theile. Stuttgart. Verlag von Friedrich Franckh 1823« (157 und 160 Seiten), und gleichzeitig »Lieder der Griechen« (ebendaselbst, 58 Seiten) – jugendliche Produktionen, welche von Hölderlin inspirirt waren; während die späterLudwigsburg, Nast, 1824 (in Goedecke's Grundriß III, 528 steht infolge eines Druckfehlers 1821.) erschienenen »Erzählungen aus der Geschichte des jetzigen Griechenlands« Lord Byron nachgedichtet sind.
Der Theologie wurde der junge Autor inzwischen untreu und verließ im Herbst des Jahres 1826 die Heimat, um hinfort in dem Lande seiner Sehnsucht, in Italien, seinen Aufenthalt zu nehmen. Die Mittel dazu gewährte ihm der Baron Cotta, für dessen Morgenblatt er schreiben VI sollte. In einem »Abschied. Auf dem Genfersee« überschriebenen Gedichte rief er dem Vaterlande wie seiner Vergangenheit ein poetisches Lebewohl zu, und jubelt einer neuen Zukunft entgegen:
Es siegt der Tag: die falschen Nebel schwinden,
Die Sonne taucht durchs dünne Wolkengrau,
Und herrlich frisch in kühlen Morgenwinden
Erbebt in sanften Schwellungen dein Blau,
Erhabne heil'ge Fluth, bis zu den Gründen,
Wo überm Silberglanze schwarz und rauh,
Ein furchtbar Bild, in duftigen Gestalten
Savoyens Riesenberge sich entfalten.
Doch weg von jenen schaurigen Gestaden
Des Schreckens und der Wildniß eilt der Blick
Hinüber, wo vom Traubenlaub beladen,
Gesegnet von der Freiheit heiterm Glück,
Im klaren See sich Städt' und Dörfer baden,
Und schweift voran und kehrt mit Lust zurück,
Wo hell und südlich in der Morgenstille
Die Schlösser glänzen aus der Gärten Fülle.
Und Jubel hör' ich von den Ufern schallen,
Von Rebenhügeln tönt der Freudenlaut,
Und lachend hör' ich dort ihn wiederhallen,
Wo hold von Sommerhäusern überbaut
Der üpp'ge Berg ins buhlerische Wallen
Der süßen Lichtfluth tief hinunterschaut –
O jene Tropfen, die so blitzend leuchten,
Mit Thränen fühl' ich sie mein Auge feuchten!
Hier, wo aus tausend Augen grün und helle
Der Frühling in den ew'gen Winter blickt,
Wo die Natur des Lebens schönste Quelle
So schreckhaft an des Todes Grausen rückt,
Da, wo des Lemans rein kristallne Welle
Zwei Welten an die Aetherlippen drückt,
Hier Kind und Jungfrau sich mit Rosen kränzen,
Und dort des Montblancs weiße Häupter glänzen, – VII
Da scheidet sich, ich fühl's in tiefstem Beben
Wie einer Ahnung ernsten Geistergruß,
Auf ewig auch für meine Welt das Leben,
Und mit dem letzten stummen Abschiedskuß,
Den ich vom Berg dem Vaterland gegeben,
Und mit dem letzten schweren Vollgenuß
Der Leiden all' und ach der wenig Lieben,
Was ist mir noch als dieses Herz geblieben.
So glaubt' ich nicht die Heimath zu verlassen,
Ein Todtenacker dünkte sie mir einst,
Worin die Freuden alle dir erblassen,
Und nur die Thränen rinnen, die du weinst,
Du Armer, den selbst die Geliebten hassen,
Die du für ew'ge Zeit zu fesseln meinst,
Dem keine Ruh im schweigenden Gemüthe,
Die Todtenrose nur auf Gräbern blühte.
O Götter! wer verlör' in solchen Leiden
Die innre Stimme nicht, und deine Spur,
Von der ich nie mein Lebenlang will scheiden,
Wie nenn' ich dich, o Wahrheit, o Natur!
Welch Wort erfaßte dich, du bist in beiden,
Und Kunst und Leben ist durch beide nur,
So Gott, den jeder ahnt und nicht verstehet,
Der Sonnen lenkt und still im Veilchen wehet.
Du bist die Weisheit und das Maaß, das eine,
Dem Menschen und dem Dichter bist du's gleich!
Wie eingetaucht in duft'gem Silberscheine
Der Morgen lächelt und sein Zauberreich,
So hüllst du dich in ewig junge Reine,
Und wer dich kennt, der ist unsterblich reich,
Du bist das Licht, die Jünger sind die Farben,
Die nie, so lange du bist, noch erstarben.
Drum sei auch mir ein unvergeßlich Zeichen
Der Lichtgruß, den die Sonne heut mir gab,
Ich sah den Dunst, ich sah den Nebel weichen,
Die neugeborne Welt entstieg dem Grab, VIII
Der Himmel scheint die Hölle zu erreichen,
Auf immer sank sie in die Fluth hinab,
Im Schnee und Grün, im See und meinen Zähren
Scheint mir der sanfte Gott sich zu verklären.
So nimm mein Lebewohl, vielleicht auf lange,
Vielleicht auf immer, theures Vaterland,
Du gabst dem ungestümen heißen Drange
So Leid wie Freud mit voller Mutterhand.
Wie wunderbar das Herz ist! Ich verlange
Selbst nach dem Schmerz, von dem ich los mich wand,
Des Lebens Kern sind doch der Liebe Klagen,
Ist doch der Schmerz, den wir um andre tragen.
Und wohl, ich ward, kann ich mirs doch bekennen,
Aus blutend voller Seele schon geliebt,
Nur daß dies ungestillte heiße Brennen
Der Theuren ach zu viele schon betrübt!
Nie will ich mir die holden Namen nennen,
Die schwerste Tugend, die ich je geübt!
Laß unser Bild allmählich stumm vergehen,
Und gleich der Nachtviol' in uns verwehen.
Vergebt mir, möchte keines mehr mir grollen,
Ihr seid ja nicht, ich bin ja nur allein!
Laßt nur das schwarze Schuldbuch nicht entrollen,
Seid mir versöhnt, o wenn auch nicht mehr mein,
Du, der ein Meer von Thränen schon entquollen,
Leb' wohl, es deckt dich bald ein Leichenstein,
Vor allen du, Kind meiner Klagelieder,
Leb wohl, leb wohl, wir sehn uns nimmer wieder.
Und nun, erhabne stolze Stadt der Götter,
Des Lorbeers, der Triumphe, sei gegrüßt!
Du füllst der Weltgeschichte ew'ge Blätter
Und furchtbar hast du deine Schuld gebüßt,
O stolze Roma, die, nun ohne Retter,
Kein Sieger vor Jahrtausenden geküßt,
Des Schicksals größter Kirchhof, nimm auf immer
Mich auf in deine finstern Tempeltrümmer. IX
Da, wo der Vorwelt stumme Bilder wohnen,
Die trauernden, in ernster Majestät,
Und jene himmlischen Gebilde thronen,
Von Rafaels reinem Schöpferhauch durchweht,
Da, wo ihr Hohenstaufen mit den Kronen
In meinem Geist aus eurem Grab ersteht,
Da weihet mich zum einz'gen Werk auf Erden,
Laßt einen Dichter, laßt mich euren werden!
Am 21. November 1826, seinem zweiundzwanzigsten Geburtstage, zog er in die ewige Stadt ein. »Mich bedünkt,« heißt es in einem seiner über die Alpen gesendeten Skizzenblätter, »man kann noch etwas ganz neues, nie gesagtes für dieses Land thun, italienische Eigentümlichkeit in Natur und Leben auf das vollkommenste anschaulich machen, man kann es noch in einem großen Lebensgemälde darstellen, in welchem nach Shakspeares Weise auch das Pöbelhafte seine Stelle finden müßte; man könnte sich dadurch aufs ruhmvollste auszeichnen, sich einen bleibenden Namen erwerben.«
Von diesem »Lebensgemälde«, diesem »Gedicht, das an Leben, Frische und Wahrheit alle übertreffen sollte, die von seiner Art Italien gefeiert« publicirte der Dichter in der Folge verschiedene Fragmente in Theodor Hell's Abendzeitung und anderen deutschen Blättern, zuletzt in den beiden Bänden: »Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1829. Herausgegeben von Wilhelm Waiblinger. Erstes Buch: Rom. Mit acht Kupfern. Berlin, bei G. Reimer« (406 Seiten) und »Taschenbuch aus Italien und Griechenland auf das Jahr 1830. Heraus gegeben von Wilhelm Waiblinger. Zweites Buch: Neapel und Rom. Mit acht Kupfern und einem radirten Blatt von Krafft. Berlin, bei G. Reimer« (369 Seiten).
Während Waiblinger in den ersten Zeiten in Rom, namentlich nach stattgehabtem Zerwürfniß mit Cotta, in X bedrängten Verhältnissen gelebt, so daß Bonaventura Genelli ihn in einer Karrikatur als Bettelpoeten in abgerissenem Kostüm darstellteMit der Unterschrift »der Poet auf klassischem Boden.« Wolfgang Menzel sah das Bild noch 1835 an den römischen Schaufenstern. Vgl. W. Menzels Denkwürdigkeiten, herausgegeben von seinem Sohne. S. 255.: schien sich gegen das Jahr 1829 sein Leben günstiger zu gestalten. Insbesondere interessirte sich der preußische Gesandte, Graf Voß, für ihn, und die Gräfin Voß sandte ihm Raumer's Hohenstaufen zu, welche er für ein projektives Drama »Manfred« excerpirte.
Aber schon zu Anfang des Jahres 1830, am 17. Januar, starb er, von einer sicilianischen Reise zurückgekehrt, in Rom an den Folgen einer Lungenentzündung. Er liegt auf dem protestantischen Kirchhofe an der Pyramide des Cestius, unweit von Shelley und Goethes Sohne, begraben. Im Jahre 1864 ist das Grab mit dem Basreliefporträt des Dichters geschmückt worden.
Waiblingers Schriften sind 1839 von H. von Canitz in neun Bänden herausgegeben worden: Zweite, rechtmäßige Gesammtausgabe. Mit Kupfern. Hamburg, Verlag von Georg Heubel 1842Eine 3. Auflage (Pforzheim 1859) ist wahrscheinlich nur eine s. g. Titelauflage der vorhergehenden.). Es sind Reiseskizzen, Novellen, Tagebuchblätter, ein Jugenddrama, Biographisches über Hölderlin, Gedichte, darunter viele aus dem Nachlasse; »Phaëton« und die »Lieder der Griechen« sind nicht mit aufgenommen worden.
Die beigegebenen und mit Waiblingers Erklärungen begleiteten Kupfer sind größtenteils den beiden »Taschenbüchern« entnommen, aber der Herausgeber hat die Erklärungen Waiblingers willkürlich verstümmelt und sogar in einem Falle eine vom Dichter garnicht herrührende Erklärung eingeflochten, während wieder andere, in den XI Taschenbüchern enthaltene ausgelassen sind. Auch sonst ist diese Gesamtausgabe mit wenig literarischem Geschick gemacht. Namentlich sind jene, italienische Natur und Leben schildernden Gedichte unzweckmäßig geordnet, an verschiedenen Orten verzettelt und in einem Wust von heterogenem Mittelmäßigen wie vergraben. Auf diesen Gedichten allein aber dürfte die literarische Bedeutung Wilhelm Waiblingers beruhen, wenn auch bereits die »Erzählungen aus Griechenland« manche Schönheiten enthalten, insbesondere das in Smyrna spielende Gedicht »Kalonasore.«
Eine Erneuerung des in Deutschland so gut wie verschollenen schwäbischen Dichters lag mir schon seit Jahren am Herzen; das Manuskript einer die sämmtlichen in Italien entstandenen Gedichte umfassenden Ausgabe war auch bereits im Jahre 1875 fertig gestellt, ich freue mich wenigstens die Hälfte des Buches jetzt endlich darbieten zu können.
In dem gegenwärtigen Bande finden sich alle auf Neapel und Sicilien bezüglichen Gedichte in lückenloser Vollständigkeit vereinigt. Die vom Verfasser speziell »Bilder aus Neapel. Hundert Gedichte« betiteltenHiernach habe ich den Gesammttitel der neuen Ausgabe gewählt. Distichen sind ein genauer Abdruck aus dem »Taschenbuch auf 1830,« den übrigen Gedichten liegt der Text der zweiten Canitz'schen Ausgabe zum Grunde, welcher von sehr zahlreichen Druckfehlern &c. gereinigt ist.
Die »Lieder aus Sorrent« sind während Waiblingers letzter Krankheit niedergeschrieben, das »letzte Lied aus Capri« »sein Schwanengesang, auf dem Todbette gedichtet.« (Biographie Waiblingers vor dem ersten Bande der Gesammtausgabe.) Mit Ausnahme der Hymne »An das Meer« und der »Oden. An seinen Eser« (Rentamtmann XII in Württemberg), welche nach von Canitz aus dem Jahre 1828 stammen, sind die sämmtlichen übrigen Gedichte des vorliegenden Bandes im Jahre 1829 entstanden.
Die auf Rom bezüglichen Gedichte, meist dem Jahre 1827 angehörig, behalte ich mir vor in einem besonderen Bande demnächst nachfolgen zu lassen.
Jassy, im November 1878.
Eduard Grisebach.