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Die Panzer-Kasse

Man sah es dem Haus nicht an. Es war ein Haus, das durch keinerlei Eigenart hervorstach, unscheinbar, harmlos, wie abertausend andere, die in den engen Tälern der Schweiz verstreut lagen und an denen der Strom der Reisenden vorbei pilgerte, ohne den Kopf nach ihnen zu wenden.

Es lag gleichfalls in einem Tal, dicht an der Landstraße, und im Hintergrunde umstarrten es hohe Berge. Es hatte sein hölzernes, einstöckiges Dasein schon mehrere Jahrzehnte gefristet, und seine Giebel, seine Fensterläden und Türen waren mit der Zeit recht schadhaft geworden. Viele fremde Familien hatte es schon beherbergt, die im Frühjahr kamen und im Winter wieder gingen, aber auch sie waren mit den Jahren immer kleinbürgerlicher geworden, weil die, die Geld nicht anzusehen brauchten, für ihren Sommeraufenthalt eben ein luxuriöseres Logis wählten. Aber es gab ja auch anspruchslose Menschen, und von denen verirrte sich noch immer allsommerlich ein Jemand in das Haus.

Das war auch im vergangenen Frühjahr der Fall gewesen, nur hatte dieser Jemand den absonderlichen Wunsch gehabt, das Haus nicht nur zu mieten, sondern gleich zu kaufen. Er hatte es für ein Billiges bekommen. Der Besitzer saß in Luzern, und man war schnell handelseinig geworden. Nun gehörte es dem Fremden, der aus Deutschland gekommen war und der mit guten Schweizer Franken bezahlt hatte. Sonderbar, auch ihm hatte man das eigentlich nicht angesehen.

Er war ein Mensch gewesen, der einen einfachen Sportanzug aus grauem Loden getragen und der sich Gabler genannt hatte, einfach Gabler. Wer war er? Man wußte es nicht. Und ebensowenig wie man von seinem Äußeren auf seinen Beruf schließen konnte, konnte man von seinem glatt rasierten, faltigen Gesicht sein Alter ablesen, das wohl, den leicht grau gesprenkelten Haaren nach, zwischen die fünfunddreißig und fünfzig fiel.

Er fragte den Besitzer kurz, was das Haus koste, und erlegte die Kaufsumme sogleich in bar. Und dann verschwand er. Verschwand nach dem stillen Tal, in dem das Haus stand, das nun das seine war und das in einem Umkreis von einem Kilometer keine Nachbarn hatte. In dem lebte er. Lebte darin mit einer alten Frau, die er sich als Wirtschafterin mit aus Luzern gebracht hatte, schon seit dem Frühjahr. Und jetzt war es Herbst.

Es war Herbst, und die Fremden verzogen sich allmählich, von den Tagen, die immer kürzer, und von den Nächten, die immer kälter wurden, in die Flucht geschlagen. Und sonderbarerweise hatte an diesem Septembertag, kurz nach dem Mittagessen, auch die alte Wirtschafterin jenes Mannes, der sich Gabler nannte, ihre Sachen gepackt und war mit ihnen verschwunden.

Nur Gabler selbst war zurückgeblieben, und er stand jetzt, wo es dunkelte, vor seinem Hause und blickte die Landstraße hinab, auf der weder ein Mensch noch ein Gefährt zu sehen war. Er machte den harmlosen, unscheinbaren Eindruck, den er bisher noch immer gemacht hatte, und als er sich jetzt umwandte, um in das Haus zurück zu gehen, da hätte wohl niemand geglaubt, daß er etwas anderes plane, als sich nach einer letzten Pfeife Tabak nieder zu legen und zu schlafen.

Aber dem war nicht so, denn Gabler legte sich durchaus nicht schlafen. Er schloß zunächst sorgfältig die Haustür hinter sich ab und betrat dann ein Zimmer zu ebener Erde, das wohl als eine Art Herrenzimmer anzusprechen war.

Es war nicht groß und hatte nur ein Fenster. An Möbeln befanden sich darin ein alter, wurmstichiger Schreibtisch, ein bequemer Lehnsessel, ein Schrank und eine Chaiselongue. Aus dem Schreibtisch stand eine Petroleumlampe, die Gabler jetzt anzündete. Nachdem er den Docht zur richtigen Höhe geschraubt und Zylinder und Lampenschirm in Ordnung gebracht hatte, setzte er sich an den Schreibtisch, öffnete mit dem Schlüssel ein Fach und entnahm diesem ein Papier. Dieses Papier aber war ein Paß, der, mit dem Visum des nordamerikanischen Konsulates versehen, zu einer Reise über Bremen nach New-York berechtigte.

Während Gabler den Paß durchlas, trat ein Zug großer innerer Zufriedenheit auf sein Antlitz. Er brannte sich eine Zigarre an und blies den Rauch über das Papier hin, das er schließlich wieder mit Sorgfalt zusammenfaltete und in den Schreibtisch zurücklegte, den er verschloß. Dann zog er die Uhr. Es ging auf neun.

Gabler stand auf und durchmaß das kleine, enge Zimmer, das gleichwohl etwas Gemütliches, sehr Anheimelndes hatte, mit langsamen, bedächtigen Schritten, auf eine Art, als grüble er einer Sache nach, die er sich zwar schon längst innerlich sein sauber zurechtgelegt hatte, die er jetzt aber doch noch einmal in aller Behaglichkeit durchdachte.

Er schien sehr zufrieden mit sich. Nachdem etwa eine weitere halbe Stunde verstrichen war, legte er den Zigarrenstummel in den Aschenbecher und griff nach einer Kerze, die er anzündete. Mit der begab er sich in den Hausflur hinaus, ohne die Lampe in dem verlassenen Zimmer auszulöschen.

Was Gabler jetzt tat, das war etwas, von dem kein Mensch angenommen hätte, daß es sich in diesem harmlosen, reichlich ärmlichen Hause hätte zutragen können. Aber auch er selbst würde jeden in Erstaunen gesetzt haben, dadurch nämlich, daß er tat, was er eben jetzt tat, – er, der so harmlos und unscheinbar aussah, etwa wie ein Postsekretär, der gewillt ist, für den Rest seines bisher brav und aufregungslos verflossenen Lebens in stiller Zurückgezogenheit seine knapp ausreichende Pension zu verzehren. Freilich, er tat es ja heimlich, und er begab sich, um von niemandem belauscht werden zu können, in den Keller hinab, die flackernde Kerze in der Hand, die in der muffigen Atmosphäre dort unten kaum genug Luft zum Atmen fand.

Es war ein Keller, wie es deren viele gibt, er fiel durch nichts auf, und die alte Frau, die Gabler während der Sommermonate die Wirtschaft geführt hatte, hatte sich sicher keine Gedanken über ihn gemacht, wenn sie ihn betreten hatte. Und doch barg er etwas, das man von ihm am wenigsten erwartet hätte. Dieses Eine, in dieser Umgebung höchst Verwunderliche befand sich in einem Gelaß, dessen Tür Gabler eben jetzt aufschloß. Die Luft war noch muffiger darin als draußen, und die Kerze wollte, als Gabler eintrat, fast verlöschen. Aber sie erholte sich wieder und gab ein kümmerliches Licht, als Gabler mit ihr vor jenes Etwas hintrat, das ungemein massig und in seiner Massigkeit geradezu drohend wirkte. Es war ein großer stählerner Geldschrank.

Mit einem leisen Knacken öffnete den Gabler jetzt, nachdem er das Licht neben sich auf ein leeres Weinfaß gesetzt hatte. Die schwere Tür drehte sich leicht in den Angeln, und eine Öffnung wurde sichtbar, ein großes, finsteres Loch, das Gabler drohend anstarrte, ohne daß er, der offenbar starke Nerven hatte, freilich darüber erschrak. Er lächelte vielmehr, ein dünnes, leicht boshaftes Lächeln, langte in das Innere des Schrankes und entnahm ihm eine solide rindslederne Reisetasche, die er neben sich aus den Boden stellte.

Und dann wurde ein zweites leises Knacken hörbar. Gabler hatte in dem Inneren des Panzerschranks ein Geheimfach aufgeschlossen. In dieses griff er jetzt hinein. Griff hinein und zog seine Hand mit einem Bündel sorgsam verschnürter Banknoten zurück, das er in die Reisetasche neben sich legte. Und in dieser Tätigkeit fuhr er längere Zeit hindurch fort.

Er nahm viele solcher sorgfältig verschnürter Bündel Banknoten aus der Kasse, zählte sie und tat sie in die Reisetasche neben sich, die groß genug war, um ein Vermögen von vielen Millionen valutastarker schweizer, englischer und amerikanischer Banknoten und Wertpapiere aufnehmen zu können.

Wem gehörte dies viele Geld? Man hätte wohl Ursache gehabt, daran zu zweifeln, daß Gabler sein rechtmäßiger Besitzer war, der doch, wenn er zu dieser Stunde mit seinem reellen Eigentum hantiert hätte, nicht nötig gehabt hätte, dies auf so geheime und so versteckte Art zu tun. Oder war er einer von jenen absonderlichen Käuzen, die mit Armut und mit Anspruchslosigkeit prahlen, während sie in Wirklichkeit Krösusse sind?

Etwas, das in den Augen Gablers jetzt sichtbar wurde, ließ die Möglichkeit eines solchen Schlusses immerhin zu. Gabler betrachtete nämlich den gewaltigen Reichtum auf eine Art, als werde er von ihm geblendet, seine Hände zitterten merklich, während er die vielen Banknotenbündel ordnete und schichtete, damit die rindslederne Tasche von ihnen ordentlich ausgefüllt werde, auf seiner Stirn perlte Schweiß, und es schien, als habe er für alles, was um ihn herum war und vorging, sowohl Augen wie Gehör verloren. So kam es, daß er ein Geräusch nicht wahrnahm, das ihm sonst unmöglich hätte entgehen können. Es kam von der nachtstillen Landstraße draußen.

Deren Stille wurde eben in diesem Augenblick von dem irrsinnig schnellen Rattern eines mächtigen Motors jählings zerrissen. In dem Dunkel der Nacht wurden mit einem Male zwei glühende Augen sichtbar, deren Feuer, je mehr sie sich dem Hause Gablers näherten, immer beißender und stärker wurde. Es war ein gewaltig großes Automobil, das aus der Ferne angesaust kam und das, indem es einen wie seufzenden Ton von sich gab, vor dem Hause Gablers mit einem kräftigen Ruck hielt.

Im gleichen Augenblick sprang vorn vom Sitz des Wagenführers ein Mann herab, der sich kurz umsah, um dann mit einem entschlossenen Sprung über den niedrigen Gartenzaun zu setzen und auf das eine Fenster zuzueilen, hinter dessen Scheiben man eine Petroleumlampe brennen sah.

Durch dieses Fenster blickte er eine Weile in das Zimmer, in dem sich niemand befand. Er schien zu überlegen. Dann aber zerrte er an dem Rahmen, erst nur versuchend, daraus mit zwei kräftigen Rissen, denen das Fenster auch nachgab. Es tat sich auf. Der Mann aber, wohl ein ausgezeichneter Turner, schwang sich mit Leichtigkeit in die Höhe und verschwand in dem dünn erleuchteten Zimmer, dessen einziges Fenster er hinter sich wiederum schloß.

Er sah recht ungewöhnlich aus, dieser eine Mann, den die stille Nacht da gleichsam ausgespien hatte, und ein jeder, der ihm um diese Zeit draußen etwa begegnet wäre, hätte wohl Ursache gehabt, sich vor ihm zu fürchten.

Das lag nicht so sehr an seinem Äußeren, das freilich fast den Eindruck der Verwahrlosung machte. Der Anzug, den er trug und der ihm zudem viel zu eng und viel zu klein war, war arg bestaubt, noch dichter aber war die Staubschicht, die sich in seinem Ulster eingefressen hatte. So wie er, konnte wohl ein Mensch aussehen, der mehrere Tage hindurch nicht aus den Kleidern gekommen ist, der nicht geschlafen und der sich auch nicht gewaschen hat und der, nach langer Reise endlich an seinem Ziele angelangt, auch jetzt noch nicht an derlei Äußerlichkeiten denkt, sondern der nur den einen heißen Wunsch hat, das Vorhaben, das er geplant hat, nun endlich in die Tat umzusetzen.

Und eben diese Entschlossenheit, etwas nun auszuführen, was er vermutlich schon lange geplant hatte, war es, das dem Mann jenen Zug gab, der an ihm wohl Furcht erwecken konnte.

Er drückte sich drohend vor allem in seinem Gesicht aus, das ebenso bestaubt und beschmutzt war wie sein Anzug, in seinen Augen, die den Ausdruck starrer Verbissenheit hatten, und in seinem energischen, fest zusammen gekniffenen Mund, dessen Oberlippe von Bartstoppeln häßlich überwuchert wurde.

Wenn er trotzdem nicht wie ein gemeiner Verbrecher wirkte, dann lag das daran, daß man irgendwie aus dem Grunde seines Wesens eine geistige Kraft zu spüren vermeinte, die ihn trieb und der er untertan war, – wiewohl gerade dieser Umstand den Zug des Unheimlichen an ihm nur noch verstärkte.

Er warf sich, nachdem er das Fenster hinter sich geschlossen hatte, in den Lehnsessel, der vor dem Schreibtisch stand, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte dann den Kopf in die geballten Hände, in welch ruhiger, unbewegter Lage er längere Zeit verharrte. Ob er das tat, weil er todmüde war oder weil er seine Gedanken konzentrieren wollte, um über etwas nachzudenken, das war nicht zu entscheiden. Er hob erst den Kopf, als er draußen Schritte hörte. Da belebte sich mit einem Male sein Gesicht, und er stand auf. Stand auf und trat auf die Tür zu, die sich im nächsten Augenblick auftat und auf deren Schwelle Gabler sichtbar wurde, die rindslederne Reisetasche in der Hand.

Gabler aber, als er den Mann wahrnahm, der in sein Haus eingedrungen war, ohne daß er es bemerkt hatte, wurde weiß wie eine Kalkwand, und in seiner Miene drückte sich ein Schrecken aus, der im wahren Sinne des Wortes tödlich war. Nicht Furcht war es, das er spürte, sondern nur Schrecken, – und zwar einen Schrecken, wie man ihn nicht vor Lebenden empfindet, sondern vor Wesen, die man für tot gehalten hat und die dann plötzlich vor einem stehen, so daß man nicht weiß, ob man sich einem Lebenden gegenüber befindet oder einem Gespenst.

Dieser sein Schrecken war so groß, daß Gabler nur den Mund aufriß, ohne doch einen Ton von sich geben zu können, wobei er gleichzeitig die rindslederne Reisetasche fahren ließ, die klatschend zu Boden fiel. Der nächtliche Gast jedoch, als ahne er, daß sie Kostbares berge, bückte sich sofort nach ihr und hob sie auf.

»Halt!« schrie da Gabler mit heiserer Stimme auf, indem er auf den nächtlichen Gast eindrang.

Doch der wehrte ihn mit einer bestimmten Geste ab, begab sich mit der Tasche in den Hintergrund des Zimmers, wo er sie niedersetzte, schob den Lehnstuhl vor sie, auf dem er Platz nahm, und gab Gabler stumm das Zeichen, sich auf die Chaiselongue zu setzen. Gabler fuhr sich mit der Hand über die schweißfeuchte Stirn und folgte diesem eindringlich gegebenen Befehle. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er den nächtlichen Gast an.

»Du?« sagte er dann endlich.

»Ja,« gab der andere zurück. »Du hast mich wohl nicht erwartet?«

»Was willst du hier?«

»Du fragst? ... Es scheint, ich komme gerade noch zur rechten Zeit.«

»Wieso?«

Gabler stellte diese Frage in unsicherem Tone. Dabei suchten seine Blicke unwillkürlich die Tasche, die hinter dem Lehnsessel stand, auf dem der nächtliche Gast saß. Der Fing diese Blicke auf, und zum ersten Male umspielte seine Lippen ein dünnes Lächeln.

»Wieso? ... Es macht den Eindruck, du willst verreisen.«

Gabler schwieg.

»Und ich wette,« fuhr der andere fort, »diese Tasche enthält etwas, das nicht dir gehört, – nämlich Geld.«

»Das Geld gehört auch dir nicht,« versetzte Gabler lauernd.

»Nicht?«

»Nein, du bist entmündigt.«

»Entmündigt?«

»Ja, man hat dich als irrsinnig erklärt und in einer Anstalt interniert.«

Der nächtliche Gast lachte. Sein Lachen hatte etwas Schattenhaftes an sich, vor dem man sich fürchten konnte. So lachte nur ein Mensch, der nicht normal war. Der etwas plante, das irgendwie entsetzlich war. Was war es?

»Ganz richtig,« sagte er, »man hat mich in einer Anstalt interniert ... Woher weißt du das?«

Jetzt lachte auch Gabler. Sein Lachen klang unsicher und doch spöttisch. Es machte den Eindruck, als habe er sich einigermaßen gefaßt und als halte er es nicht mehr für nötig, mit verdeckten Karten zu spielen. Seine Energie krampfte sich zu einer letzten Entschlossenheit zusammen, die gewillt war, alles auf eine Karte zu setzen. In einem solchen Tone antwortete er jetzt auch.

»Woher ich das weiß? ... Meinst du, ich lese keine Blätter?«

»So,« sagte der andere ruhig.

»Ja. Dein Fall hat natürlich auch die Zeitungen beschäftigt. Und daher weiß ich es.«

»Da hast du dich wohl gefreut, als du es gelesen hast?«

»Vielleicht.«

»Hast dich gefreut, obwohl du mein Freund warst, dem ich volles Vertrauen geschenkt hatte?«

Gabler zuckte mit den Schultern.

»Hm,« machte der nächtliche Gast in einem Tone, als befriedige ihn diese stumme Antwort durchaus. »Und da hattest du wohl jetzt vor, mit diesem Gelde durchzugehen?«

Gabler schüttelte den Kopf.

»Nicht? ... Also wolltest du's wohl jenen Leuten bringen, die sich einbilden, es gehöre ihnen?«

»Ja.«

»So, so,« sagte der andere sachlich. »Wie gut also, daß ich noch zurecht gekommen bin. Es war die höchste Zeit.«

In Gablers Augen leuchtete es tückisch auf. Seine rechte Hand fuhr in die Tasche seines Rockes. Er duckte sich ein wenig.

»Wie kommst du hierher?«

»Ich bin entsprungen.«

»Ja, entsprungen, – das konnte ich mir denken ...

Aber wie kommst du hierher?«

»In einem Auto.«

»Wo hast du das her?«

»Ich habe es gestohlen ... Sein Besitzer ist tot.«

»Du hast ihn umgebracht?«

»Möglich.«

»Du bist ja gemeingefährlich!« schrie da Gabler plötzlich auf, indem er in die Höhe schnellte.

Diese Bewegung geschah blitzschnell. Zugleich hatte er einen Revolver aus der Tasche seines Rockes gezogen, mit dem er auf den nächtlichen Gast eindrang.

Doch so zielbewußt er auch darauf aus gewesen war, den anderen zu überrumpeln, dieser war ihm an Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit dennoch überlegen gewesen. Er hatte sich, kaum daß sein Gegner aufgesprungen war, jäh zu Boden geworfen, zu den Füßen Gablers, dem er einen so heftigen Hieb gegen die Knie versetzte, daß jener gleichfalls niederstürzte. Von diesem Fall erhob er sich nicht mehr, denn der andere fuhr ihm mit der geballten sehnigen Faust in die Magengrube. Gabler war bewußtlos und rührte sich nicht mehr.

Der nächtliche Gast betrachtete ihn eine Weile, schob ihn dann mit einem Fußtritt bei Seite und bückte sich schließlich nach dem Revolver, der auf dem Boden lag. Er untersuchte ihn, lächelte und steckte ihn in die Tasche. Dann wendete er sich der schweren Reisetasche zu, die er auf den Tisch stellte und öffnete.

Sie war bis zum Platzen mit Banknoten und Wertpapieren gefüllt. Der seltsame Eindringling ersparte es sich, die einzelnen Banknotenbündel zu zählen. Ihre Menge schien zudem ohne jeden Eindruck auf ihn zu bleiben. Ohne jede innere Erregung, völlig sachlich, schloß er die Tasche wieder und stellte sie auf das Fensterbrett. Noch einmal wandte er sich Gabler zu, der noch immer bewußtlos da lag. Dann stieß er das Fenster wieder auf, schwang sich hinaus ins Freie und langte von draußen nach der Tasche. Nach einer Weile ratterte schon wieder der Motor des großen Autos draußen. Der Wagen zog an und verschwand alsbald in der Finsternis der Nacht ...

Mitternacht war vorüber, als Gabler endlich die Augen wieder aufschlug. Hatte er geträumt? Da sah er das offene Fenster und spürte den stechenden Schmerz in seinen Knien. Und die Tasche? Mit verzweifeltem Ausdruck suchten sie seine Augen, ohne sie finden zu können. Sie war fort. Da wußte Gabler, daß er nicht geträumt hatte. Und mit einem heiseren Fluch sank er in den Lehnsessel nieder.


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