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Der alte Mauch

Noch eines anderen Originals sei hier Erwähnung getan, und zwar des unersättlichen Essers, ja Fressers Mauch, bei dem mir immer der berühmte Vielesser des griechischen Altertums, Erysichthon, einfällt. Unser Warmbronner Erysichthon hörte auf den Rufnamen Felix, der gewiß ein glückverheißender war. Sein Vater war der vermöglichste Bauer hier gewesen und besaß neben dem stattlichen Wohnhaus mit großem Hof, Nebengebäuden mit Schweinestall, Waschhaus und Backhaus eine geräumige Scheuer mit zwei Tennen und doppelten Viehställen. Sämtliche Äcker und Wiesen bestanden, wie sich's für rechte Leute geziemt, aus großen Stücken von mindestens zwei bis drei Morgen und befanden sich immer in den besten Lagen. Es waren darunter keine Viertelein und Halbmörgelein wie bei den Gütern kleiner Leute. Er brauchte es auch, denn Hungerleiderei lag nicht in seinem Gemüte.

So wurden in der Kirch nie weniger als ein paar hundert Kuchen gebacken; ein Scheffel Weißmehl reichte kaum aus, denn der Felix hatte die Gepflogenheit, stets zwei Stücke Kuchen aufeinander zu legen, um sie zu verspeisen. So spielten auch in der Fastnacht Fastnachtküchlein eine große Rolle, und er ließ sich's absolut nicht nehmen, sie selbst zu backen.

Er hatte einen Buben, ein Jahr jünger als ich, so kam es, daß ich als dessen Schulkamerad oft dabei war, wie er mit aufgestülpten Hemdärmeln am Kessel stand und eine ganz verklärte Miene annahm, wenn er die braungebackenen knusprigen Küchlein herausfischte und in die Wanne tat. Zu diesem Zweck hatte er sich vom alten Schmied Mundinger eine handfeste Gabel machen lassen, denn die gewöhnlichen Küchengabeln deuchten ihm zu kindisch und zu zerbrechlich.

Wanne um Wanne dieser schmalzduftigen Küchlein wurde hinausgetragen. Auch gedörrte Zwetschgen, Hutzeln und Birnschnitze, dazu gebackene Klöße, genannt Schnallen, waren seine beliebte Speise, und seine alte Mutter, die im Hause war, erzählte in ihrer Einfalt, Gott wie oft, daß sie einmal ihrem Felix die Zwetschgensteine nachgezählt habe. Es seien zweihundertundzwanzig gewesen, aber er habe noch viele geschluckt. Dazu kamen noch ungezählte Schnitze und Hutzeln, sowie eine größere Anzahl Klöße. – Felix hielt sich immer zwei Teller, damit das Essen sich eher abkühle. Dem Hause gegenüber wohnte ein Metzger, Jörg-Adam geheißen, der den Winter über fast täglich alte ausgemolkene Kühe zu schlachten pflegte. Da war es nun der Felix, der die Euter mitsamt den übrigen Abfällen aufzuräumen, das heißt zu verspeisen pflegte. Zuweilen half ihm hiebei der früher erwähnte Schulmeister Henzler. Zur Dekoration seines langrippigen Gestells verwendete er mit besonderer Vorliebe Blutwürste vom Jörg-Adam, die, in die Knöpfe seines Kittels eingehängt halbarmslang, wie sie waren, um ihn herumbaumelten.

Einst, es war im Sommer, fuhr er mit seinen Ochsen in den Wald, um Holz zu holen. Da schnitt sich einer derselben, der Zuhänder, beim Abweiden des scharfen Riedgrases so tief in die Zunge, daß er bereits verblutete und an Ort und Stelle geschlachtet werden mußte. Der andere zog ihn heim. Aber ganz gelassen sagte er zu den Leuten, die zu Hause teilnehmend und »O wie schade, wie schade um den schönen Ochsen!« lamentierten »Was heult ihr so! Man kann ihn ja essen!« Und so geschah es auch. Und als er aufgezehrt war und der andere als einzeln nicht gut verkäuflich schien, meinte er kurz entschlossen: »Dem macht man's gerade auch wie dem ersten.« Als er einmal nach Calw ging, auf den Flachsmarkt, nahm er zur Wegzehrung einen tags vorher geschlachteten halben Bock mit. Daß ein Zentnersäule für eine Familie unmöglich über eine Woche hinaus reichen könne, behauptete er bei jeder Gelegenheit als feststehende, offenkundige Wahrheit, und seine stetige Anrede an Schüssel und Laib war: »Komm Schüssel! Komm, Laib!«

Doch kein Ding der Welt hätte unserem Felix mehr Hochachtung abzugewinnen vermocht, als ein richtig gemästetes Schwein. Beim Anschauen eines solchen überkam es ihn wie tiefe innere Rührung. Auf die Metzelsuppe freute er sich wie ein Kind. Da kamen dann seine drei Ältesten mit Würsten dekoriert in die Schule, wo sie nicht bloß des Steinhilbers Kindern sondern auch dem Herrn Schulmeister geradezu Hochachtung einflößten. Das waren doch einmal solide Ordenszeichen. Erstere stellten sich dann unter Absingen des bekannten Metzelsuppenliedes: »Ich sing' um de kleinen Mage, de große kann ich auch vertrage«, und »e Stückle Wurst, e Stückle Speck, sonst gang i nemme vom Haus a'weg«, im Hausgang auf. Sie bekamen reichlich, allein was half's? Würste und Brühe mußten sie ungeschmälert zu Hause abliefern, wo es dann noch Schläge absetzte, daß sie nicht noch mehr gebracht hatten.

Die Familie Mauch hatte Verwandte in Rohr auf den Fildern, etwa drei Stunden von hier, und da war es nun Brauch und Sitte, den Wöchnerinnen in der Verwandtschaft ein Kindbetteressen zu schicken. Als Erstes und Unerläßliches einen mürben Kuchen, so groß wie ein Schleifstein, und dazu noch eine Schüssel mit Küchlein oder Klößlein. Unser Felix, dazumal noch ein Bursche von vielleicht achtzehn Jahren, wurde dazu ausersehen, es fortzutragen; aber oben auf der Steige, kaum drei Minuten vom Dorf, setzte er sich auf einen Steinhaufen und ging, nachdem alles aufgezehrt war, wieder heim.

Das Merkwürdigste an der ganzen Sache war, daß der Kerl stets branddürr blieb, langrippig, wie man zu sagen pflegt, und auch die Kinder – es waren ihrer sechs oder sieben – aussahen, als sie von einem Karfreitag zum anderen nur einmal was zu essen bekämen. Aber jetzt kamen die noch heute in der Erinnerung berüchtigten, schlechten fünfziger Jahre. Mehrmaliger Mißwachs hintereinander. Das schöne Gut, überschuldet, kam unter den Hammer und wurde um einen Spottpreis verkauft. Mauch zog mit der ganzen Familie nach Jux bei Backnang, wo er einen Besenhandel anfing, und der krumme Husärle, ein Spitzbube ohnegleichen, brachte ein Spottverslein auf »vom Luxemburger, der sein Sach' verjuxt habe.«

Einige Jahre später kam er wieder hieher und starb im Armenhaus.


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