Richard Wagner
Auswahl seiner Schriften
Richard Wagner

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Eine Mittheilung an meine Freunde

(1851)

Anmerkung des Herausgebers: 6) Die Schrift erschien 1851. Nachdem Wagner in den »Selbstgesprächen« seiner kultur- und kunstphilosophischen Schriften »Die Kunst und die Revolution«, »Das Kunstmerk der Zukunft«, »Kunst und Klima« und »Oper und Drama« über sein eigenes Streben und Schaffen sich vollkommen klar geworden, wendet er sich mit ihr zuerst wieder dem Publikum zu, nur mehr dem Publikum aber, das ihn von nun an einzig beschäftigt, seinen »Freunden«, denen, »die eine gemeinsame Noth mit ihm empfinden«. Ihnen erklärt er jetzt »den scheinbaren oder wirklichen Widerspruch« zwischen seinem Künstlertum und seiner »schriftstellerischen und kunsttheoretischen« Tätigkeit jener letzten zwei Jahre (1849–51), und als solche Erklärung ist die Schrift heute noch genau so notwendig, ja vielleicht noch notwendiger als bei ihrem Erscheinen. Freilich hatte man damals (in den langsam der Opernform entwachsenden Dramen »Rienzi«, »Holländer«, »Tannhäuser«, »Lohengrin«) nur erst die Vorahnung jener unendlich tiefen künstlerischen und kulturellen Wahrheit vor sich, die wir heute (als »Tristan«, »Meistersinger«, »Ring« und »Parsifal«) in lebendigster Wirklichkeit besitzen, aber – besitzen wir sie denn auch wirklich? Was Wagner in seiner »Mittheilung an meine Freunde« uns zuruft, ist eben die Mahnung, an diesen »Besitz« nicht zu glauben. »Meine Kunst«, ruft Wagner, »ist die Verneinung der Oper, die Verneinung unserer ganzen modernen »Kunstwelt«; und jene Oper, diese »Kunstwelt« sollten sie je wirklich besitzen können? Nein! Nie wird ein Mensch aus noch so vielen und noch so »guten« Opernaufführungen das Kunstwerk meines Dramas verstehen. Nur der kann dieß durch jene Opernaufführungen hindurch, der mich als »Menschen« kennen gelernt hat, der mir als Menschen mein in unserer modernen Theaterwelt nur in gänzlich unkenntlicher Verzerrung erscheinendes künstlerisches und kulturelles Ideal nachsah und nacherlebte. Dieser allein wird einsehen, daß jener »scheinbare oder wirkliche Widerspruch« zwischen meinen »Opern« und »theoretischen Ansichten« in Wahrheit nichts anderes ist als – die Kluft zwischen dem Kunstwerk, wie ich es schuf, und seinen Entstellungen auf unseren Opernbühnen.« (Zur ersten Orientierung über dies »Kunstwerk wie Wagner es schuf« benützt man am besten die kleine Schrift H. St. Chamberlains »Das Drama Richard Wagners« [Leipzig bei Breitkopf und Härtel], hierauf aber natürlich die Schriften Wagners selbst, vor allem die drei: »Die Kunst und die Revolution«, »Das Kunstwerk der Zukunft« und »Oper und Drama« (Bd. III und IV der »Gesammelten Schriften und Dichtungen«).

Die Veranlassung zu dieser ausführlichen »Mittheilung« entsprang mir daraus, daß ich die Nothwendigkeit fühlte, mich über den scheinbaren oder wirklichen Widerspruch zu erklären, in welchem die dichterische Eigenschaft und künstlerische Gestaltung meiner bisherigen Opern-Dichtungen und der aus ihnen entstandenen musikalischen Kompositionen, mit den Ansichten und Behauptungen stehen, die ich kürzlich ausführlicher niederschrieb und unter dem Titel »Oper und Drama« der Öffentlichkeit vorlegte.

Diese Erklärung beabsichtigte ich in dieser Mittheilung an meine Freunde zu richten, weil ich nur von Denen verstandenIch erkläre ein für allemal, daß, wenn ich im Verlaufe dieser Mittheilung von »mich verstehen« oder »mich nicht verstehen« spreche, dies nie in dem Sinne geschieht, als meinte ich etwa zu erhaben, zu tiefsinnig oder zu hochgegeben zu sein; sondern ich stelle an den, der mich verstehen soll, einzig die Forderung, daß er mich so und nicht anders sehe, wie ich wirklich bin, und in meinen künstlerischen Mitteilungen genau eben nur Das als wesentlich erkenne, was meiner Absicht und meinem Darstellungsvermögen gemäß in ihnen von mir kundgegeben wurde. zu werden hoffen kann, welche Neigung und Bedürfniß fühlen mich zu verstehen, und dieß können eben nur meine Freunde sein.

Für solche kann ich aber nicht Die halten, welche vorgeben mich als Künstler zu lieben, als MenschSie verstehen übrigens unter »Mensch« genau genommen nur »Unterthan«, in meinem besonderen Falle vielleicht aber auch Den, der seine eigenen Ansichten hat, und diesen rücksichtslos nachgeht. jedoch mir ihre Sympathie versagen zu müssen glauben. Ist die Absonderung des Künstlers vom Menschen eine ebenso gedankenlose, wie die Scheidung der Seele vom Leibe, und steht es fest, daß nie ein Künstler geliebt, nie seine Kunst begriffen werden konnte, ohne daß er – mindestens unbewußt und unwillkürlich – auch als Mensch geliebt, und mit seiner Kunst auch sein Leben verstanden wurde, so kann weniger als je gerade gegenwärtig, und bei der heillosen Mißbeschaffenheit unserer öffentlichen Kunstzustände ein Künstler meines Strebens geliebt und seine Kunst somit verstanden werden, wenn dieses Verständniß und jene ermöglichende Liebe nicht vor Allem auch in der Sympathie, d. h. dem Mitleiden und Mitfühlen mit seinem allermenschlichsten Leben begründet ist.

Am allerwenigsten können jedoch Die mir als Freunde gelten, die, von den Eindrücken einer unvollkommenen Kenntniß meiner künstlerischen Leistungen bestimmt, das Schwankende und Unsichere dieses ihres Verständnisses aus den künstlerischen Gegenstand selbst übertragen und einem eigenthümlichen Charakter desselben Das beimessen, was seinen Grund nur in ihrer eigenen Verwirrung findet. Die Stellung, in der diese dem Künstler gegenüber treten und mit mühevollstem Aufwande von Klugheit sich zu behaupten suchen, nennen sie die einer unparteiischen Kritik, und unter allen Umständen geben sie vor, die eigentlichen »wahren Freunde« des Künstlers zu sein, dessen wirkliche Feinde Die wären, die sich ihm mit voller Sympathie zur Seite stellen. – Unsere Sprache ist so reich an Bezeichnungen, daß wir, bei verlorengegangenem Gefühlsverständnisse derselben, nach Willkür sie verwenden zu können und zwischen ihnen Unterscheidungen feststellen zu dürfen glauben. So verwendet und unterscheidet man auch »Liebe« und »Freundschaft«. Mir ist es bei erwachsenem Bewußtsein nicht mehr möglich geblieben, eine Freundschaft ohne Liebe zu denken, geschweige denn zu empfinden; noch schwieriger fällt es mir einzusehen, wie moderne Kunstkritik und Freundschaft für den kritisirten Künstler gleichbedeutend sein könnten.

Der Künstler wendet sich an das Gefühl, und nicht an den Verstand: wird ihm mit dem Verstande geantwortet, so wird hiermit gesagt, daß er eben nicht verstanden worden ist, und unsere Kritik ist in Wahrheit nichts Anderes als das Geständniß des Unverständnisses des Kunstwerkes, das nur mit dem Gefühle verstanden werden kann – allerdings mit dem gebildeten und dabei nicht verbildetem Gefühle. Wen es nun treibt, Zeugniß von seinem Unverständnisse des Kunstwerkes abzulegen, der sollte vernünftiger Weise nur Eines zu erforschen sich vornehmen, nämlich die Gründe, warum er ohne Verständniß blieb. Hierbei würde er allerdings zuletzt auch bei der Eigenschaft des Kunstwerkes selbst ankommen, jedoch erst wenn er Aufklärung über das Nächste gewonnen hätte, nämlich über die Beschaffenheit der sinnlichen Erscheinung, in welcher sich das Kunstwerk an sein Gefühl wandte. Vermochte diese Erscheinung nicht sein Gefühl zu erregen oder zu befriedigen, so müßte er vor allem sich die Einsicht in eine offenbare Unvollkommenheit des Kunstwerkes zu verschaffen suchen, und zwar in die Gründe einer gestörten Harmonie zwischen der Absicht des Künstlers und der Beschaffenheit der Mittel, durch die er diese Absicht eben dem Gefühle mittheilen wollte. Nur Zweies könnte dann seiner Erforschung sich darbieten, nämlich: ob die Mittel der Darstellung an die Sinne der künstlerischen Absicht entsprechend waren, oder ob diese Absicht selbst in Wahrheit eine künstlerische war? Wir sprechen hier nicht von dem Werke der bildenden Kunst, in welchem die Darstellung als technische Arbeit die wesenhafte Schöpfung des Künstlers selbst ist; sondern vom Drama, dessen sinnliche Erscheinung von der Technik des Dichters nur bedingt, nicht aber – wie vom bildenden Künstler – verwirklicht wird, und diese Verwirklichung erst durch eine eigenthümliche besondere Kunst, die dramatische Darstellungskunst, gewinnt. Ist nun durch die sinnliche Erscheinung, die hier das Werk der dramatischen Darstellungskunst ist, nicht auf das Gefühl des kritischen Freundes sicher und bestimmend gewirkt worden, so müßte er vor allen Dingen einsehen, daß die Darstellung jedenfalls eine ungenügende war; denn das Wesen jeder sinnlichen Darstellung besteht eben darin, daß sie sicher und bestimmend auf das Gefühl zu wirken hat. Das Unentsprechende der Mittel erkennend, bliebe ihm somit nur übrig zu erforschen, worauf sich das Mißverhältniß zwischen Absicht und Mittel gründe: ob die Absicht von der Beschaffenheit sei, daß sie entweder der Verwirklichung unwerth oder zur Verwirklichung durch künstlerische Mittel überhaupt ungeeignet sei, – oder ob das Mißverhältniß einfach in der Unbeschaffenheit der Mittel beruhe, die zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Orte und unter bestimmten äußerlich gegebenen Umständen, sich eben als unzureichend zur Verwirklichung der bestimmten künstlerischen Absicht herausstellten. Hier gälte es also mit voller Bestimmtheit eine künstlerische Absicht zu verstehen, die nur so weit verwirklicht ist, als es sich den beschränkten Mitteln der Technik des dramatischen Dichters erlaubt. Aber gerade auch dieses Verständniß kann, der Natur jeder künstlerischen Absicht nach, nicht mit dem reinen Verstande, sondern nur mit dem Gefühle gefaßt werden, und zwar mit einem mehr oder weniger künstlerisch gebildeten Gefühle, wie es nur Denen zu eigen sein kann, die sich mit dem Künstler in mehr oder weniger gleicher Lage befinden, unter Lebensbedingungen, die den seinen ähnlich sind, sich entwickeln, und vom Grunde des Wesens und Herzens aus so mit ihm sympathisiren, daß sie jene Absicht unter gewissen Umständen als ihre eigene aufzunehmen im Stande sind, und an dem Streben nach ihrer Verwirklichung einen nothwendigen innigen Antheil zu nehmen vermögen.

Dieß können offenbar nur die wirklich liebenden Freunde des Künstlers sein, nicht aber der absichtlich fern von ihm sich ab stellende Kritiker. Blickt der absolute Kritiker von seinem Standpunkte aus auf den Künstler, so sieht er geradesweges garnichts; denn selbst Das, was er einzig zu sehen vermag, sein eigenes Bild im Spiegel seiner Eitelkeit, ist – vernünftig betrachtet – Nichts. Die Unvollkommenheit der Erscheinung des Kunstwerkes gewahrt er zunächst nicht da, wo sie wirklich begründet liegt; er gewahrt sie höchstens nur an dem empfundenen unvollkommenen Eindrucke, und sucht diesen nun aus der Beschaffenheit der künstlerischen Absicht selbst zu rechtfertigen, die er eben nicht zu begreifen im Stande war. In diesem Verfahren hat er sich bereits so geübt, daß er gar nicht einmal mehr auf den Versuch ausgeht, sich durch die sinnliche Erscheinung des Kunstwerkes bestimmen zu lassen, sondern er glaubt sich, bei seiner Geübtheit im Fache, mit dem gedruckten oder geschriebenen Hefte, in welchem der Dichter oder Musiker – soweit sein technisches Vermögen ihm dies gestattete – seine Absicht als solche kundthat, begnügen zu dürfen, und trägt seine – unbewußter Weise im Voraus empfundene – Unbefriedigung auf diese Absicht insofern über, als er in dieser an sich sie begründet wissen will. Ist diese Stellung die allerunfähigste für das Verständniß des Kunstwerkes überhaupt und namentlich in der Gegenwart, so ist sie es doch einzig, welche der heutigen Kunstkritik ihr unendlich papierenes Leben ermöglicht. Aber selbst mit dieser meiner – leider ebenfalls papierenen – Mittheilung wende ich mich nicht an sie, die in jener Stellung sich selig und stolz fühlen: ich weise jedes Zeichen ihrer kritischen Freundschaft für mich zurück; denn was ich ihnen selbst über mich und meine künstlerischen Leistungen sagen könnte, würden sie nicht verstehen dürfen, und zwar aus dem Grunde, weil sie Alles auf der Welt schon wissen zu müssen glauben.

Habe ich mich so darüber erklärt, an wen ich mich nicht wende, so habe ich ganz von selbst Diejenigen bezeichnet, an die ich mich mittheile. Es sind dieß Die, die mit mir als Künstler und Mensch soweit sympathisiren, daß sie meine Absichten zu verstehen vermögen, welche ich ihnen eben nicht in vollkommen entsprechender Verwirklichung durch die sinnliche Erscheinung vorführen kann, weil die Bedingungen dafür im öffentlichen Kunstleben der Gegenwart fehlen, und über welche ich mich daher nur Denjenigen verständlichen kann, die mit mir gleich fühlen und empfinden, – kurz: an meine Freunde, die mich lieben.

Nur diese Freunde aber, die vor Allem für den Künstler auch als Menschen Theilnahme empfinden, sind fähig ihn zu verstehen, und zwar nicht nur in der Gegenwart, welche die Verwirklichung der edelsten dichterischen Absichten verwehrt, sondern überhaupt und in allen Fällen. – Das absolute Kunstwerk, das ist: das Kunstwerk, das weder an Ort und Zeit gebunden noch von bestimmten Menschen unter bestimmten Umständen an wiederum bestimmte Menschen dargestellt und von diesen verstanden werden soll, – ist ein vollständiges Unding, ein Schattenbild ästhetischer Gedankenphantasie. Von der Wirklichkeit der Kunstwerke verschiedener Zeiten hat man den Begriff der Kunst abgezogen: um diesem Begriffe eine wieder gedachte Realität zu geben, da man ohnedem ihn sich selbst in Gedanken nicht faßlich vorstellen konnte, hat man ihn mit einem eingebildeten Körper bekleidet, der als absolutes Kunstwerk, eingestandener oder nicht eingestandener Maaßen, das Spukgebild im Hirne unserer ästhetischen Kritiker ausmacht. Wie dieser eingebildete Körper alle Merkmale seiner gedachten sinnlichen Erscheinung nur den wirklichen Eigenschaften der Kunstwerke der Vergangenheit entnimmt, so ist der ästhetische Glaube an ihn auch ein wesentlich konservativer, und die Bethätigung dieses Glaubens daher an sich die vollständigste künstlerische Unfruchtbarkeit. Nur in einer wahrhaft unkünstlerischen Zeit konnte der Glaube an jenes Kunstwerk in den Köpfen – natürlich nicht in den Herzen – der Menschen entstehen. Die Vorstellung von ihm gewahren wir in der Geschichte zuerst zur Zeit der Alexandriner, nach dem Ersterben der griechischen Kunst; zu dem dogmatischen Charakter, den diese Vorstellung aber in unserer Zeit angenommen hat, – zu der Strenge, Hartnäckigkeit und verfolgungssüchtigen Grausamkeit, mit der sie in unserer öffentlichen Kunstkritik auftritt, konnte sie jedoch nur erwachsen, als ihr gegenüber aus dem Leben selbst wieder neue Keime des wirklichen Kunstwerkes entsproßten, deren Eigenschaft jeder gesund fühlende Mensch, ganz erklärlich nur nicht gerade unsere, einzig vom Alten, Ausgelebten lebende Kunstkritik erkennen konnte. Daß die neuen Keime, namentlich auch der Kritik gegenüber, noch nicht zur vollständigen Entfaltung als Blüthe gelangen können, ist es, was ihrer spekulativen Thätigkeit immer neue scheinbare Berechtigung zuführt; denn unter anderen Abstraktionen von den Kunstwerken der Vergangenheit, hat sie sich auch den Begriff von der, dem Kunstwerke nöthigen, Wirklichkeit seiner sinnlichen Erscheinung abgezogen: sie gewahrt nun diese Bedingung, mit deren Erfüllung sie allerdings vollständig aufhören müßte zu existiren, an den Keimen einer neuen lebenvollen Kunst noch nicht erfüllt, und spricht ihnen eben deswegen wiederum die Berechtigung zum Leben, genau genommen also die Berechtigung des Triebes, zur Blüthe der sinnlichen Erscheinungen zu gelangen, ab. Hierdurch geräth die ästhetische Wissenschaft in eine wahrhaft kunstmörderische, bis zur dogmatischen Grausamkeit fanatisirte Thätigkeit, indem sie dem konservativen Wahngebilde eines absoluten Kunstwerkes, das sie aus dem einfachen Grunde nie verwirklicht sehen kann, weil seine Verwirklichung bereits in der Geschichte längst hinter uns liegt, die Wirklichkeit der natürlichen Anlagen zu neuen Kunstwerken mit reaktionärem Eifer aufgeopfert wissen will. Das, was jene Anlagen einzig zur Erfüllung, jene Keime einzig zur Blüthe bringen kann, – Das also, was das ästhetische Wahngebilde des absoluten Kunstwerkes ein- für allemal über den Haufen werfen muß, ist der Gewinn der Bedingungen für die vollkommen entsprechende sinnliche Erscheinung des Kunstwerkes aus und vor dem wirklichen Leben. Das absolute, d. i. unbedingte Kunstwerk, ist, als ein nur gedachtes, natürlich weder an Zeit und Ort noch an bestimmte Umstände gebunden: es kann z. B. vor zweitausend Jahren für die athenische Demokratie gedichtet worden sein, und heute vor dem preußischen Hofe in Potsdam aufgeführt werden; in der Vorstellung unserer Ästhetiker muß es ganz denselben Werth, ganz dieselben wesenhaften Eigenschaften haben, gleichviel ob hier oder dort, heute oder damals: im Gegentheile bildet man sich wohl gar noch ein, daß es, wie gewisse Weinsorten, durch Ablagerung gewinne und erst heute und hier so recht und ganz verstanden werden könne, weil man ja auch z. B. selbst das demokratische Publikum Athen's sich mit hinzudenken, und an der Kritik dieses gedachten Publikums, sowie des bei ihm vorauszusetzenden Eindruckes vom Kunstwerke, einen unendlich vermehrten Quell der Erkenntnis gewinnen könne.So wissen auch jetzt unsere litterarischen Müßiggänger sich und ihrem ästhetisch-politisch faulenzenden Lesepublikum keine erquicklichere Unterhaltung zu verschaffen, als nochmals und immer wieder an Shakespeare herumzuschreiben. Sie begreifen allerdings nicht, daß der Shakespeare, den sie mit ihren schwammig-kritischen Saugorganen auszullen, keinen Pfifferling werth ist und höchstens als das Papier zur Ausstellung ihres Armuthszeugnisses taugt, das sie mit so überfließender Wonne sich selbst geben. Der Shakespeare, der uns einzig etwas werth sein kann, ist der immer neu schaffende Dichter, der zu jeder Zeit Das ist, was Shakespeare zu seiner Zeit war. So erhebend nun dieß Alles für den modernen Menschengeist sein mag, so schlimm steht es dabei nur um die Eigenschaft dieses Kunstgenusses, der natürlich gar nicht vorhanden sein kann, weil ein solcher Genuß nur durch das Gefühl, nicht aber durch den Ungegenwärtiges kombinirenden Verstand zu gewinnen ist. Soll daher, diesem unerquicklichen kritischen Kunstgedankengenusse gegenüber, es zu einem wirklichen Genusse kommen, und ist dieser, der Natur der Kunst gemäß, nur durch das Gefühl zu ermöglichen, so bleibt wohl nichts übrig, als sich an das Kunstwerk zu wenden, welches seiner Eigenschaft nach dem von uns gedachten, monumentalen Kunstwerke gerade so entgegensteht, wie der lebendige Mensch der marmornen Statue.

Diese Eigenschaft des Kunstwerkes besteht aber darin, daß es nach Ort, Zeit und Umständen auf das Schärfste bestimmt sich kundgiebt; daß es daher in seiner lebendigsten Wirkungsfähigkeit gar nicht zur Erscheinung kommen kann, wenn es nicht an einem bestimmten Orte, zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen zur Erscheinung kommt; daß es demnach jede Spur des Monumentalen von sich abstreift.

Die Erkenntniß der Nothwendigkeit dieser Eigenschaft wird uns getrübt, und die auf diese Erkenntniß begründete Forderung für das wirkliche Kunstwerk bleibt somit von uns ungestellt, wenn wir nicht vor allem zum richtigen Verständnisse Dessen gelangen, was wir unter dem Universal-Menschlichen zu fassen haben. Solange wir nicht dazu kommen zu erkennen, und nach jeder Seite hin sinnfällig zu bethätigen, daß das Wesen der menschlichen Gattung eben in der menschlichen Individualität besteht, und dagegen, wie es bisher in Religion und Staat der Fall war, das Wesen der Individualität in die Gattung setzen, folgerichtig es dieser aufopfern, – so lange werden wir auch nicht begreifen, daß das stets voll und ganz Gegenwärtige ein für allemal das ganz oder theilweise Ungegenwärtige, das Monumentale, zu verdrängen habe. In Wahrheit haften wir jetzt mit allen unseren Kunstbegriffen noch so ganz und gar in der Vorstellung des Monumentalen, daß wir Kunstwerken nur in dem Grade Geltung zusprechen zu können glauben, als wir ihnen den monumentalen Charakter beilegen dürfen. Hat diese Ansicht allerdings Berechtigung dem Erzeugnisse der frivolen, nirgends ein wahres menschliches Bedürfniß befriedigenden, Mode gegenüber, so müssen wir doch einsehen, daß sie im Grunde nur eben eine Reaktion des edleren menschlichen Naturschamgefühles gegen die verzerrten Äußerungen der Mode ist, mit dem Aufhören der Wirksamkeit der Mode selbst aber ohne alle weitere Berechtigung, nämlich ohne allen ferneren Grund dastehen müßte. Ein absoluter Respekt vor dem Monumentalen ist gar nicht denkbar: er kann sich in Wahrheit nur auf eine ästhetische Abneigung gegen eine widerliche und unbefriedigende Gegenwart stützen. Gerade dieser Gegenwart siegreich beizukommen hat aber diese Abneigung, sobald sie sich nur als Eifer für das Monumentale kundgiebt, nicht die nöthige Kraft: die höchste Bethätigung dieses Eifers kann am Ende nur darin bestehen, daß das Monumentale selbst zur Mode gemacht wird, wie dieß in Wahrheit heut' zu Tage der Fall ist. Somit kommen wir aber nie aus dem Lebenskreise heraus, dem der edelste Trieb des monumentalen Eifers sich eben zu entziehen strebt, und kein vernünftiger Ausweg ist aus diesem Widerspruche denkbar, als die gewaltsame Entziehung der Lebensbedingungen sowohl der Mode als des Monumentalen, weil auch die Mode dem Monumentalen gegenüber ihre volle Berechtigung hat, nämlich als Reaktion des unmittelbaren Lebenstriebes der Gegenwart gegen die Kälte eines unempfindenden Schönheitssinnes, wie er sich in der gewaltsamen Neigung für das Monumentale kundgiebt. Die Vernichtung des Monumentalen mit der Mode zugleich heißt aber: der Eintritt des immer gegenwärtigen, stets neu beziehungsvollen und warm zu empfindenden Kunstwerkes in das Leben, was wiederum so viel heißt, als der Gewinn der Bedingungen für dieses Kunstwerk aus dem Leben. Den Charakter dieses Kunstwerkes dahin festzustellen, daß es nicht das Werk unserer heutigen bildenden Kunst – insofern diese nothgedrungen sich nur als monumentale kundgiebt, und sich selbst nur unserem monumentalen Eifer verdankt –, sondern einzig das Drama sein könne; daß ferner dieses Drama nur dann dem Leben gegenüber seine richtige Stellung finden dürfte, wenn es in jedem seiner Momente diesem Leben vollständig gegenwärtig, in seinen besondersten Beziehungen ihm so angehörig, wie aus ihm hervorgegangen, nach der Individualität des Ortes, der Zeit und der Umstände so eigenthümlich erscheint, daß es zu seinem Verständnisse, d. h. zu seinem Genusse, nicht des reflektirenden Verstandes, sondern des unmittelbar erfassenden Gefühles bedürfe; daß endlich dieses Verständniß nur dann ermöglicht werden könne, wenn der an und für sich gefühlsverständliche Inhalt in der entsprechenden Erscheinung an die Sinne, somit durch das universell-künstlerische Ausdrucksvermögen des Menschen wiederum an das universell-künstlerische Empfängnißvermögen des Menschen sich kundgäbe, nicht durch eine getrennte Eigenschaft jenes einen Vermögens an eine wiederum gesonderte dieses anderen: – dies im Allgemeinen darzustellen, war der Zweck meiner Schrift »das Kunstwerk der Zukunft«. Worin der Unterschied zwischen diesem Kunstwerke, und jenem, unseren kritischen Ästhetikern einzig vorschwebenden, monumentalen Kunstwerke bestehe, liegt Jedem, der mich verstehen wollte, offen da; und zu behaupten, daß Das, was ich wollte, bereits vorhanden sei, konnte nur Denen beikommen, für die die Kunst in Wahrheit gar nicht vorhanden ist.

Nur eine Stellung, in der ich mich nothwendig hierbei befand, konnte auch Vorurteilsloseren Grund zum Auffinden von Widerspruch geben. Ich setze nämlich als die Bedingung für das Erscheinen des Kunstwerkes in allererster Stelle das Leben, und zwar nicht das im Denken willkürlich wiedergespiegelte des Philosophen und Historikers, sondern das allerrealste, sinnlichste Leben, den freiesten Quell der Unwillkürlichkeit. Von meinem Standpunkte als Künstler der Gegenwart aus entwerfe ich aber Grundzüge, »des Kunstwerkes der Zukunft«, und zwar in Beziehungen auf eine Form, die nur der künstlerische Trieb eben jenes Lebens der Zukunft sich selbst bilden dürfte. Ich will mich hiergegen nicht bloß dadurch rechtfertigen, daß ich nur auf die allgemeinsten Züge des Kunstwerkes hindeutete, sondern ich weise – nicht nur zu meiner Rechtfertigung, sondern überhaupt zum Verständnisse meiner Absicht – darauf hin, daß allerdings der Künstler der Gegenwart einen in jeder Hinsicht entscheidenden Einfluß auf das Kunstwerk der Zukunft haben muß, und daß er diesen Einfluß sehr wohl im Voraus berechnen könne, eben weil er schon jetzt dieses Einflusses sich bewußt werden muß. Dieses Bewußtsein erwächst ihm, bei seinem edelsten Drange, aus dem Innewerden seiner tiefsten Unbefriedigung dem Leben der Gegenwart gegenüber; er sieht sich für die Verwirklichung von Möglichkeiten, deren Vorhandensein ihm aus seinem eigenen künstlerischen Vermögen zum Bewußtsein gekommen ist, auf das Leben der Zukunft einzig angewiesen. Wer nun von diesem Leben der Zukunft die fatalistische Ansicht hegt, daß wir rein gar nichts von ihm uns vorstellen könnten, der bekennt, daß er in seiner menschlichen Bildung nicht so weit gelangt ist, einen vernünftigen Willen zu haben: der vernünftige Wille ist aber das Wollen des erkannten Unwillkürlichen, Natürlichen, und diesen Willen kann allerdings nur Der als für das Leben der Zukunft gestaltend voraussetzen, der dazu gelangt ist, ihn selbst auch für sich zu fassen. Wer von der Gestaltung der Zukunft nicht den Begriff hat, daß sie eine nothwendige Konsequenz des vernünftigen Willens der Gegenwart sein müsse, der hat überhaupt auch keinen vernünftigen Begriff von der Gegenwart und von der Vergangenheit: wer nicht in sich selbst Initiative des Charakters besitzt, der vermag auch in der Gegenwart keine Initiative für die Zukunft zu ersehen. Die Initiative für das Kunstwerk der Zukunft geht aber von dem Künstler der Gegenwart aus, der diese Gegenwart zu begreifen im Stande ist, ihr Vermögen und ihren nothwendigen Willen in sich aufnimmt, und mit diesen eben kein Sklave der Gegenwart mehr bleibt, sondern sich als ihr bewegendes, wollendes und gestaltendes Organ, als den bewußt wirkenden Trieb ihres aus sich heraus strebenden Lebensdranges kundgiebt.

Den Lebenstrieb der Gegenwart erkennen, heißt: ihn bethätigen müssen. Gerade die Bethätigung des Lebenstriebes unserer Gegenwart äußert sich aber nicht anders, als in einer Vorausbestimmung der Zukunft, und zwar eben nicht als einer vom Mechanismus der Vergangenheit abhängigen, sondern als einer frei und selbständig in all' ihren Momenten aus sich, d. h. dem Leben heraus gestaltenden. Diese Bethätigung ist die Vernichtung des Monumentalen, und für die Kunst äußert sie sich in der Richtung, die sich in die unmittelbarste Berührung mit dem stets gegenwärtigen Leben setzt, und dieß ist die dramatische Richtung. Die Erkenntnis der Nothwendigkeit dieser Richtung für die Kunst, um sie mit dem Leben in eine immer neu fördernde, alles Monumentale überwindende, Wechselwirkung zu setzen, führt den Künstler natürlich auch zur Erkenntniß der Unfähigkeit des öffentlichen Lebens der Gegenwart, jene Richtung der Kunst aus sich zu rechtfertigen, mit ihr sich zu verschmelzen; denn unser öffentliches Leben, so weit es mit den Erscheinungen der Kunst in Berührung tritt, hat sich unter der ausschließlichen Herrschaft des Monumentalen, und der, gegen das Monumentale reagirenden Mode gestaltet. In Übereinstimmung mit dem öffentlichen Leben der Gegenwart konnte daher nur derjenige Künstler schaffen, der entweder die Monumente der Vergangenheit nachahmte, oder sich zum Diener der Mode hergab: Beide sind aber in Wahrheit keine Künstler. Der wahre Künstler, der in der bezeichneten wirklich dramatischen Richtung sich bewegte, konnte dagegen nur in Unübereinstimmung mit dem Geiste des öffentlichen Lebens der Gegenwart sich kundgeben: wie aber gerade von ihm erst das Kunstwerk als das wahre Kunstwerk erkannt wird, welches in seiner sinnlichsten Erscheinung dem Leben verständnißvoll sich erschließen kann, so mußte er nothwendig die Verwirklichung seines höchsten künstlerischen Wollens in das Leben der Zukunft, als ein von der Herrschaft des Monumentalen wie der Mode befreites, setzen; er mußte seinen künstlerischen Willen somit geradesweges auf das Kunstwerk der Zukunft richten, gleichviel ob es ihm oder Anderen erst vergönnt sein werde, den Boden dieses ermöglichenden und verwirklichenden Lebens der Zukunft zu betreten.

Zu diesem Willen konnte allerdings nicht der absolute Denker oder Kritiker gelangen, sondern nur der wirkliche Künstler, dem auf seinem künstlerischen Standpunkte im Leben der Gegenwart Denken und Kritik selbst zu einer nothwendigen, wohlbedingten Eigenschaft seiner allgemein künstlerischen Thätigkeit werden mußte. Sie entwickelt sich bei ihm nothwendig durch die Betrachtung seiner Stellung zum öffentlichen Leben, das er nicht mit der kalten Gleichgiltigkeit eines absolut kritischen Experimentalisten, sondern mit dem warmen Verlangen, sich ihm verständnißvoll mitzutheilen, anschaut. Was dieser Künstler im Anschauen des öffentlichen Lebens der Gegenwart gewahrt, ist zunächst die volle Unfähigkeit, durch die mechanischen Werkzeuge der einzig herrschenden monumentalen, oder modischen Kunst, sich eben verständnißvoll mittheilen zu können.

Anmerkung des Herausgebers: 7) Man vergleiche zu dieser Stelle die leuchtend klaren Ausführungen im Briefe »Ueber die Goethestiftung« S. 232 ff. des vorliegenden Bändchens.

Habe ich hier einzig den wirklichen dramatischen Dichter im Auge, so meine ich das Unvorhandensein der theatralischen Kunst und der dramatischen Szene, die seine Absicht zu verwirklichen im Stande wären. Die modernen Theater sind entweder die Werkzeuge der monumentalen Kritik – man denke an den Berliner Sophokles, Shakespeare u. s. w. – oder der absoluten Mode. Die Möglichkeit, diese Theater gänzlich zu umgehen, kann ihm nur mit Verzichtleistung auf jede, auch nur annähernde Verwirklichung seiner eigentlichen Absicht erwachsen: er muß Dramen für die Lektüre schreiben. Da aber gerade das Drama nur in seiner vollsten sinnlichen Erscheinung erst zum Kunstwerke wird, so muß er endlich, um seiner Hauptrichtung nicht gänzlich zu entsagen, mit einer unvollkommenen Verwirklichung seiner Absicht sich begnügen.

Seine Absicht wäre aber auch dann erst vollkommen verwirklicht, wenn er sie nicht nur von der Szene herab ganz entsprechend ausgedrückt sähe, sondern wenn dieß zugleich zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen, und an eine bestimmte, dem Dichter in irgend welcher Beziehung verwandte Zuschauerversammlung geschähe. Eine dichterische Absicht, die ich unter bestimmten Verhältnissen und Umgebungen faßte, hat ihre ganz entsprechende Wirkung nur, wenn ich sie unter denselben Verhältnissen und an dieselbe Umgebung mittheile: nur dann kann diese Absicht ohne Kritik verstanden, ihr rein menschlicher Inhalt empfunden werden, nicht aber wenn alle diese lebengebenden Bedingungen geschwunden sind und die Verhältnisse sich geändert haben. Wenn z. B. vor der ersten französischen Revolution unter einer ganzen Gattung frivolgenußsüchtiger Menschen die Stimmung vorhanden war, in der ein Don Juan die allerbegreiflichste Erscheinung, den wahren Ausdruck dieser Stimmung ausmacht; wenn dieser Typus von Künstlern erfaßt und in letzter Verwirklichung durch einen Darsteller uns vorgeführt wurde, der in seinem ganzen Naturell so für die Persönlichkeit eines Don Juan sich eignete, wie z. B. auch die italienische Sprache sich eignet, dieser Persönlichkeit einen entsprechenden Ausdruck zu geben, – so war die Wirkung einer solchen Darstellung zu jener Zeit gewiß eine ganz bestimmte und unzweifelhafte auf das Gefühl. Wie steht es nun aber, wenn heute, vor dem gänzlich veränderten, börsengeschäftlichen oder geheimregierungsräthlichen Publikum der Gegenwart, und von einem Darsteller, der gern Kegel schiebt und Bier trinkt, und dadurch aller Verführung entgeht, seiner Frau untreu zu werden, derselbe Don Juan gespielt, und noch dazu in deutscher Sprache und in einer Übersetzung vorgeführt wird, in der jede Spur des italienischen Sprachcharakters verwischt werden mußte? Wird dieser Don Juan nicht mindestens ganz anders verstanden, als es die Absicht des Dichters war, und ist dieses ganz andere im besten Falle nur durch die Kritik vermittelte Verständniß nicht in Wahrheit gar kein Verständniß des Don Juan mehr? Oder vermögt Ihr eine schöne Gegend zu genießen, wenn Ihr sie bei finsterer Nacht seht?

Bei der zufälligen und zersplitterten Weise, wie der Künstler jetzt vor das Publikum gelangt, muß er gerade um so unverständlicher werden, je mehr die künstlerische Absicht, der sein Werk entsprang, einen wirklichen Zusammenhang mit dem Leben hat; denn eine solche Absicht kann nicht eine zufällige, aus ästhetischer Willkür allgemeinhin gefaßte, abstrakte sein, sondern zu künstlerischer Erscheinungskraft reift sie nur dann, wenn sie durch Zeit und Umstände zu besonderer charakteristischer Individualität sich gestaltet. Kann die Verwirklichung einer solchen Absicht nur dann einen entsprechenden Erfolg haben, wenn sie noch bei voller Wärme der Verhältnisse, die sie im Dichter geboren, und vor denen, die bewußt oder unbewußt in diesen Verhältnissen mitbetheiligt waren, zur Erscheinung kommt, so muß nun der Künstler, der sein Werk als monumentales behandelt sieht, das gleichgiltig zu jeder beliebigen Zeit oder vor jeder beliebigen Öffentlichkeit vorgeführt wird, jeder denkbaren Gefahr des Mißverständnisses ausgesetzt sein; und einzig an Diejenigen kann er sich dann halten, die in ihrer Sympathie für ihn überhaupt auch diese seine Stellung begreifen, und durch ihren Antheil an seinem Streben, das sie namentlich auch in eben dieser seiner Stellung unendlich erschwert finden, in selbstschöpferischer Freiwilligkeit die Fülle von ermöglichenden Bedingungen ihm ersetzen, die seinem Kunstwerke von der Wirklichkeit versagt sind. – Diese mitfühlenden und mitschöpferischen Freunde sind es also einzig, denen es mich hier mitzutheilen mich drängt.

Ihnen, denen ich mich nie so mittheilen konnte, wie es mein einziger Wunsch wäre mich ihnen mittheilen zu können, habe ich nun, um mich ihnen vollkommen verständlich zu machen, die Widersprüche zu erklären, in denen meine bis jetzt dem Publikum vorgeführten Operndichtungen zu meinen neuerdings ausgesprochenen Ansichten über das Operngenre überhaupt stehen. Ich spreche zunächst von den Dichtungen, weil in ihnen nicht nur das Band meiner Kunst mit meinem Leben am offensten vorliegt, sondern auch weil ich an ihnen deutlich zu machen habe, daß meine musikalische Ausführung, meine Opernkompositionsweise, eben aus dem Wesen dieser Dichtungen sich bedang.

Die Widersprüche, deren ich hier gedenke, sind allerdings für Denjenigen gar nicht vorhanden, der sich gewöhnt hat, eine Erscheinung nicht anders, als auch nach ihrer Entwickelung in der Zeit zu beobachten. Wer bei der Beurtheilung einer Erscheinung auch diese Entwickelung in Betracht zieht, dem können Widersprüche nur dann aufstoßen, wenn sie eine von Raum und Zeit losgelöste, unnatürliche, unvernünftige ist: das Moment der Entwickelung aber ganz außer Acht lassen, die in der Zeit getrennten und wohl unterschiedenen Phasen derselben in eine unterschiedslose Masse zusammenfassen, heißt jedoch selbst eine unnatürliche, unvernünftige Anschauungsweise, und sie kann nur unserer monumental-historischen Kritik zu eigen sein, nicht der gesunden Kritik des theilnehmenden, empfindenden Herzens. An diesem kritiklosen Gebaren unserer heutigen Kritik ist unter anderem eben der Standpunkt schuld, von dem aus sie Alles nach dem monumentalen Maßstabe beurtheilt: für sie stehen die Künstler und die Werke aller Zeiten und Völker neben und untereinander da, und die Unterschiede zwischen ihnen gelten ihr nur als kunsthistorische, nach der abstrakten Jahreszahl zu berichtende und zu berichtigende, nicht als lebendig und warm zu empfindende; denn bei wirklicher Empfindung muß uns die gleichzeitige Wahrnehmung derselben eine geradesweges unerträgliche sein, ungefähr so peinlich unangenehm, wie wenn wir in einer Musikaufführung S. Bach neben Beethoven hören. Auch in Bezug auf mich haben Kritiker, die sich den Anschein gaben mein Kunstwirken im Zusammenhange zu beurtheilen, mit dieser unkritischen Unachtsamkeit und Gefühllosigkeit verfahren: Ansichten, die ich über das Wesen der Kunst von einem Standpunkte aus kundgebe, den ich durch allmähliche, stufenweise Entwickelung mir erst gewonnen, beziehen sie, als für ihre Beurtheilung maaßgebend, rückwärts auf das Wesen der künstlerischen Arbeiten, in welchen ich eben den natürlichen Entwickelungsgang nahm, der mich zu jenem Standpunkte führte. Wenn ich z. B. – eben nicht vom Standpunkte der abstrakten Ästhetik, sondern von dem des erfahrenen Künstlers aus – das christliche Prinzip als kunstfeindlich oder kunstunfähig bezeichne, so zeigen jene Kritiker mir den Widerspruch, in dem ich mich mit meinen früheren dramatischen Arbeiten befände, die allerdings von einer gewissen, der modernen Entwickelung unausweichlich eigenthümlichen Wesenheit des christlichen Prinzipes erfüllt sind; keinesweges fällt ihnen aber ein, daß, wenn sie den neugewonnenen Standpunkt mit dem verlassenen älteren vergleichen, dieß eben zwei wesentlich verschiedene, jedoch folgerichtig auseinander entwickelte seien, und daß viel eher der neue Standpunkt aus dem älteren zu erklären, als dieser verlassene von dem betretenen aus zu beurtheilen gewesen wäre. Im Gegentheile: da sie von dem neuen Standpunkte aus in meinen älteren Arbeiten, die sie als von diesem Standpunkte aus entworfen und ausgeführt anzusehen für gut finden, eine Inkonsequenz, einen Widerspruch gegen jene Ansichten, erblicken müssen, treffen sie gerade auch hierin den besten Beweis für die Irrigkeit dieser Ansichten, denen ich selbst in der künstlerischen Praxis ja widerspräche; und somit schlagen sie auf die müheloseste Weise von der Welt zwei Fliegen mit einem Schlage, indem sie meine künstlerische wie theoretische Thätigkeit als den Akt eines unkritisch gebildeten, konfusen und extravaganten Kopfes bezeichnen. Das, was sie selbst so zu Werke bringen, nennen sie aber in Wahrheit »Kritik«, und noch dazu aus der »historischen« Schule!–

Ich habe hier einen wesentlichen Punkt der oben gemeinten Widersprüche berührt: ich hätte ihn, da ich mich jetzt nur meinen Freunden mittheilen will, vielleicht gänzlich unbeachtet lassen können, weil in Wahrheit jemand mein Freund nur dann sein kann, wenn er jenen Widerspruch als einen nur scheinbaren sich selbst zu erklären vermag. Diese Selbsterklärung ist jedoch unendlich erschwert durch die lückenhafte und unvollständige Weise, in der gerade ich auch meinen Freunden selbst mich mittheilen kann. Der eine hat diese, der andere jene meiner dramatischen Arbeiten sich vorführen gesehen, wie es eben der Zufall fügte; seine Neigung für mich entstand gerade aus dem Bekanntwerden mit diesem einen Werke; auch dieses kam ihm wohl nur unvollkommen zur Erscheinung; aus seinem eigenen Wesen und Streben hatte er viel zu ergänzen, und einen vollen Genuß konnte er am Ende nur dadurch gewinnen, daß er zu einem vielleicht oft überwiegend großen Theile sich selbst, sein eigenes Dichten und Trachten, in den genußspendenden Gegenstand mit hineinlegte. Hier kommt aber der Punkt, wo wir vollkommen uns klar werden müssen: meine Freunde müssen mich ganz sehen, um sich zu erklären, ob sie mir ganz Freunde sein können. Ich kann nichts halb abgemacht lassen wollen; ich kann nicht zugeben, daß, was Nothwendigkeiten in meiner Entwickelung waren, Gutmüthigen als Zulässigkeiten erscheinen dürfen, die sie, je nach dem Grade ihrer Neigung, sich zu meinen Gunsten deuten könnten.

Anmerkung des Herausgebers: 8) Noch heute sind diese Worte an viele Tausende gerichtet, ja wohl noch immer an die ungeheure Mehrzahl all jener, »die Wagner lieben«. Das »ich kann nichts halb abgemacht lassen wollen u. s. w.« gilt nämlich nicht nur für die, welche »nur bis zu Lohengrin mitgehen«, es gilt ebenso für die, welche nur den »Musiker«, nicht den »Dichter«, ebenso für die, welche nur den »Künstler«, nicht den »Schriftsteller« und »Menschen« Wagner beachten wollen. Man wird endlich begreifen müssen, daß dies eine absolut neue, in keine all dieser Rubriken einzureihende, große Kulturerscheinung ist, kein »Musiker« und kein »Dichter«, und daß diese Kulturerscheinung nur als Ganzes begriffen werden kann.

Gerade also auch an meine Freunde wende ich mich, um ihnen volle Aufklärung über meinen Entwickelungsgang zu geben, wobei auch jene scheinbaren Widersprüche vollständig gelöst werden müssen.

Hierzu will ich aber nicht auf dem Wege eines abstrakt kritischen Verfahrens zu gelangen suchen, sondern meinen Entwickelungsgang mit der Treue, wie ich ihn jetzt zu überblicken vermag, an meinen Arbeiten und an den Lebensstimmungen, die sie hervorriefen, fortschreitend – nicht in abstrakter Allgemeinheit Alles auf einen Haufen werfend – nachweisen.


Von meinen frühesten künstlerischen Arbeiten werde ich kurz zu berichten haben: sie waren die gewöhnlichen Versuche einer noch unentwickelten Individualität, sich gegen das Generelle der Kunsteindrücke, die uns von Jugend auf bestimmen, im allmählichen Wachsthume zu behaupten. Der erste künstlerische Wille ist nichts Anderes, als die Befriedigung des unwillkürlichen Triebes der Nachahmung Dessen, was am einnehmendsten auf uns wirkt.–

Wenn ich mir das künstlerische Vermögen am besten zu erklären suche, so kann ich dies nicht anders, als wenn ich es zunächst in die Kraft des Empfängnißvermögens setze. Den unkünstlerischen, politischen Charakter mag es auszeichnen, daß er von Jugend auf den äußeren Eindrücken einen Rückhalt entgegensetzt, der sich im Laufe der Entwickelung bis zur Berechnung des persönlichen Vortheiles, den ihm sein Widerstand gegen die Außenwelt bringt, bis zur Fähigkeit, diese Außenwelt rein nur auf sich, sich selbst aber nie auf sie zu beziehen, steigert. Den künstlerischen, unpolitischen Charakter bestimmt jedenfalls das Eine, daß er sich rückhaltslos den Eindrücken hingiebt, die sein Empfindungswesen sympathetisch berühren. Gerade aber die Macht dieser Eindrücke mißt sich wieder nach der Kraft des Empfängnißvermögens, das nur dann die Kraft des Mittheilungsdranges gewinnt, wenn es bis zu einem entzückenden Übermaaße von den Eindrücken erfüllt ist. In der Fülle dieses Übermaaßes liegt die künstlerische Kraft bedingt, denn sie ist nichts Anderes als das Bedürfniß, das überwuchernde Empfängniß in der Mittheilung wieder von sich zu geben. Nach zwei Richtungen hin äußert sich diese Kraft, je nachdem sie nur von künstlerischen Eindrücken, oder endlich auch von den Eindrücken des Lebens selbst angeregt war. Das, was den Künstler als solchen zuerst bestimmt, sind jedenfalls die rein künstlerischen Eindrücke; wird seine Empfängnißkraft durch sie vollständig absorbirt, so daß die später zu empfindenden Lebenseindrücke sein Vermögen bereits erschöpft finden, so wird er sich als absoluter Künstler nach der Richtung hin entwickeln, die wir als die weibliche, d. h. das weibliche Element der Kunst allein in sich fassende, zu bezeichnen haben. In dieser treffen wir alle die Künstler an, deren Thätigkeit heut' zu Tage eigentlich die Wirksamkeit der modernen Kunst ausmacht; sie ist die vom Leben schlechtweg abgesonderte Kunstwelt, in welcher die Kunst mit sich selbst spielt, vor jeder Berührung mit der Wirklichkeit – d. h. nicht eben nur der Wirklichkeit der modernen Gegenwart, sondern der Lebenswirklichkeit überhaupt – empfindlich sich zurückzieht, und diese als ihren absoluten Feind und Widersacher in der Meinung betrachtet, daß das Leben überall und zu jeder Zeit der Kunst widerstrebe, und daher auch jede Mühe, das Leben selbst zu gestalten, eine für den Künstler vergebliche und demgemäß unanständige sei: hier finden wir vor Allem die Malerei, und namentlich die Musik. Anders verhält es sich da, wo die voraus entwickelte künstlerische Empfängnißkraft das Vermögen der Empfängniß der Lebenseindrücke nur bestimmt und gestaltet, nicht geschwächt, sondern vielmehr im höchsten Sinne gestärkt hat. In der Richtung, in der sich diese Kraft entwickelt, wird das Leben selbst endlich nach künstlerischen Eindrücken aufgenommen, und die Kraft, die aus der Überfülle dieser Eindrücke zum Mittheilungsdrange erwächst, ist die eigentlich wahrhaft dichterische. Diese sondert sich nicht vom Leben ab, sondern vom künstlerischen Standpunkte aus strebt sie ihm selbst gestaltend beizukommen. Bezeichnen wir diese als die männliche, zeugungsfähige Richtung in der Kunst.

Wer etwa glauben wollte, ich hätte bei meiner gegenwärtigen Mittheilung im Sinne, mir die Glorie eines »Genie's« zu vindiziren, dem widerspreche ich im Voraus mit bestimmtester Absicht. Im Gegentheile fühle ich mich im Stande nachzuweisen, daß es ungemein oberflächlich und nichtssagend geurtheilt ist, wenn wir gewöhnlich die entscheidende Wirksamkeit einer besonderen künstlerischen Kraft aus einer Befähigung ableiten, die wir vollkommen ergründet zu haben glauben, indem wir sie kurzweg »Genie« nennen. Das Vorhandensein dieses Genie's gilt uns nämlich an sich als ein reiner Zufall, den Gott oder die Natur nach Belieben da- oder dorthin wirft, ohne daß das mit ihm verliehene Geschenk oft nur an den rechten Mann käme: denn wie oft hören wir, Dieser oder Jener wisse mit seinem Genie nicht was anfangen! Ich beziehe die Kraft, die wir gemeinhin Genie nennen, nur auf das Vermögen, das ich soeben näher bezeichnete; Das, was auf diese Kraft so mächtig wirkt, daß sie endlich zur vollen Produktivität aus sich gelangen muß, haben wir in Wahrheit als den eigentlichen Gestalter und Bildner, als die einzig wiederum ermöglichende Bedingung der Wirksamkeit dieser Kraft anzusehen, und dies ist die außerhalb dieser einzelnen Kraft bereits entwickelte Kunst, wie sie aus den Kunstwerken der Vor- und Mitwelt zu einer allgemeinsamen Substanz sich gestaltet, und verbunden mit dem wirklichen Leben, auf das Individuum in der Eigenschaft derjenigen Kraft wirkt, die ich bereits anderswo die kommunistische genannt habe. Es bleibt unter diesem Alles erfüllenden und gestaltenden Eindrucke der Kunst und des Lebens selbst dem Individuum zunächst also nur Eines als sein eigen übrig, nämlich: Kraft, Lebenskraft, Kraft der Aneignung des Verwandten und Nöthigen, und diese ist eben jene von mir bezeichnete Empfängnißkraft, die – sobald sie rückhaltslos liebevoll gegen das zu Empfangende ist – in ihrer vollendetsten Stärke nothwendig endlich zur produktiven Kraft werden muß. In Zeiten, wo diese Kraft, wie die Kraft des Individuums überhaupt, durch die staatliche Zucht oder die gänzliche Ausgelebtheit der anregenden äußeren Lebens- und Kunstform durchaus vernichtet worden ist, wie in China oder am Ende der römischen Weltherrschaft, sind auch die Erscheinungen, die wir Genie's nennen, nie vorgekommen: ein deutlicher Beweis dafür, daß sie nicht durch die Willkür Gottes oder der Natur in das Leben geworfen werden. Dagegen kannte man diese Erscheinung ebensowenig in den Zeiten, wo jene beiden schaffenden Kräfte, die individualistische und die kommunistische, in fesselloser Natürlichkeit immer neu zeugend und gebärend sich gegenseitig durchdrangen: dieß sind die sogenannten vorgeschichtlichen Zeiten, in denen Sprache, Mythos und Kunst in Wahrheit geboren wurden; damals kannte man Das, was wir Genie nennen, ebenfalls nicht: Keiner war ein Genie, weil es Alle waren. Nur in Zeiten, wie den unserigen, kennt oder nennt man Genie's, mit welchem Namen wir diejenige künstlerische Kraft bezeichnen zu müssen glauben, die der Zucht des Staates und des herrschenden Dogma's, sowie der trägen Mitwirkung an der Aufrechthaltung zerfallender künstlerischer Formen sich entziehen, um neue Richtungen einzuschlagen und mit dem Inhalte ihres Wesens zu beleben. Betrachten wir näher, so finden wir aber, daß diese neuen Richtungen durchaus keine willkürlichen und dem Einzelnen allein eigenthümlichen, sondern nur Fortsetzungen einer längst bereits eingeschlagenen Hauptrichtung sind, in der sich vor und gleichzeitig neben dem Einzelnen eine gemeinsame, in unendlich mannigfache und vielfältige Individualitäten gegliederte Kraft ergoß, deren nothwendiger, bewußter oder unbewußter Trieb eben die Vernichtung jener Formen durch Bildung neuer Lebens- und Kunstgestaltungen war. Gerade auch hier sehen wir daher eine gemeinsame Kraft, die in ihrer einzig ermöglichenden Wirksamkeit die individuelle Kraft, die wir blödsinnig bisher mit der Bezeichnung »Genie« ergründet zu haben glaubten, als solche in sich schließt und, nach den modernen Begriffen von ihr, geradesweges aufhebt. Allerdings ist wiederum jene gemeinsame, kommunistische Kraft nur dadurch vorhanden, daß sie in der individuellen Kraft vorhanden ist; denn sie ist in Wahrheit nichts Anderes, als die Kraft der rein menschlichen Individualität überhaupt: die endlich zur Erscheinung kommende Form ist aber keinesweges, wie wir es oberflächlich betrachten, das Werk der einzelnen Individualität, sondern diese nimmt an dem gemeinsamen Werke, nämlich der sinnlichsten Offenbarung einer vorhandenen Möglichkeit durch deren Verwirklichung, nur vermöge der einen Wesenheit ihrer Kraft Anteil, die ich oben bereits bezeichnete, und die ich in ihrer triebthätigsten Eigenschaft jetzt noch genauer bestimmen will. Ein mythischer Zug, den ich – trotz der Vermahnungen der historisch-politischen Schule an mich – anführe, wird dieß statt meiner Definition thun.

Das schöne Meerweib Wachhilde hatte dem König Wiking ein Söhnlein geboren: dem nahten die drei Nornen, um ihm Gaben zu verleihen. Die erste Norn verlieh ihm Leibesstärke, die zweite Weisheit, und der erfreute Vater führte die beiden dankend zum Hochsitze neben sich: die dritte aber verlieh dem Söhnlein »den nie zufried'nen Geist, der stets auf Neues sinnt«. Den Vater erschreckte diese Gabe, und er versagte der jüngsten Norn den Dank: entrüstet hierüber nahm diese, zur Strafe des väterlichen Undankes, ihre Gabe zurück. Nun erwuchs der Sohn zu großer Länge und Stärke, und was nur zu wissen war, das wußte er bald. Nie aber empfand er den Trieb zum Thun und Schaffen, er war mit jeder Lage seines Lebens zufrieden, und fand sich in Alles. Nie liebte er, noch haßte er aber auch: weil er nun gerade ein Weib bekam, so zeugte er auch einen Sohn, und that den zu kundigen Zwergen in die Lehre, damit er 'was Rechtes lerne, – und dieser Sohn war jener Wieland, den die Noth einst lehren sollte sich Flügel zu schmieden. Der Alte aber ward bald zum Spott der Leute und Kinder, weil Jeder ihn necken durfte, ohne daß es ihn aufbrachte; denn er war ja so weise zu wissen, daß Leute und Kinder gern necken und spotten: nur wenn man ihm gegen seine Mutter etwas vorbrachte, ward er empfindlich; auf sie wollte er nichts kommen lassen. Kam er an den Meeressund, so fiel es ihm nicht ein, ein Schiff zu bauen, um darüber zu setzen, sondern, so lang er nun eben war, watete er hinein: daher nannte ihn auch das Volk »Wate«. Einst wollte er sich nach seinem Söhnlein erkundigen, ob das in der Lehre gut thäte und ordentlich lernte: er fand das Felsentor zur Höhle der Zwerge verschlossen, denn diese hatten Übles mit dem Kinde im Sinne, und wollten der Ankunft des Alten wehren; keine Sorge kam ihm aber an, denn er war immer zufrieden; er setzte sich am Eingange nieder und schlief ein. Von seinem starken Schnarchen erdröhnte ein Felsstück, das über seinem Haupte hing, so daß es auf ihn herabstürzte und ihn tödtete. Das war das Leben des starken und weisen Riesen Wate: zu ihm hatte Wiking's Vatersorge den Sohn des wonnigen Meerweibes Wachhilde erzogen, und so wirst du bis auf den heutigen Tag erzogen, mein deutsches Volk!

Die eine verschmähte Gabe: »der nie zufried'ne Geist, der stets auf Neues sinnt«, bietet uns Allen bei unserer Geburt die jugendliche Norn an, und durch sie allein könnten wir einst alle »Genie's« werden;Über diese Behauptung ärgerte sich, seiner Zeit, der Kölnische Professor Bischoff; er hielt sie für eine ungebührliche Zumuthung an sich und seine Freunde. jetzt, in unserer erziehungssüchtigen Welt, führt nur noch der Zufall uns diese Gabe zu, – der Zufall, nicht erzogen zu werden. Vor der Abwehr eines Vaters, der an meiner Wiege starb, sicher, schlüpfte vielleicht die so oft verjagte Norn an meine Wiege und verlieh mir ihre Gabe, die mich Zuchtlosen nie verließ, und, in voller Anarchie, das Leben, die Kunst, und mich selbst zu meinem einzigen Erzieher machte.

Ich übergehe die unendlich mannigfaltige Verschiedenheit der Eindrücke, die von Jugend auf mit großer Lebhaftigkeit auf mich wirkten: sie wechselten in ihrer Wirkung ganz in dem Grade, als sie sich mir darboten. Ob ich unter ihrem Einflusse Jemand als »Wunderkind« erschienen bin, muß ich sehr bezweifeln: mechanische Kunstfertigkeiten wurden nie an mir ausgebildet, auch spürte ich nie den mindesten Trieb dazu. Neigung zum Komödiespielen empfand ich und befriedigte sie auch bei mir auf der Stube; jedenfalls war dieß durch die nähere Berührung meiner Familie mit dem Theater angeregt: auffallend war dabei nur mein Widerwille, selbst zum Theater zu gehen; kindische Eindrücke, die ich vom klassischen Alterthume und dem Ernste der Antike, so weit sie auf dem Gymnasium mir bekannt wurden, empfing, mögen mir eine gewisse Verachtung, ja einen Abscheu vor dem geschminkten Komödiantenwesen beigebracht haben. Am bestimmtesten warf sich mein Nachahmungseifer auf das Dichten und Musikmachen, – vielleicht weil mein Stiefvater, Portraitmaler, zeitig starb, und so das Malerbeispiel aus meiner nächsten Nähe schwand; sonst hätte ich wahrscheinlich auch zu malen begonnen, wiewohl ich mich entsinnen muß, daß die Erlernung der Technik des Zeichnens mich sehr schnell anwiderte. Ich schrieb Schauspiele, und das Bekanntwerden mit Beethoven's Symphonien, das bei mir erst im fünfzehnten Lebensjahre erfolgte, bestimmte mich endlich auch leidenschaftlich zur Musik, die allerdings von jeher schon mächtig auf mich gewirkt hatte, namentlich durch Weber's »Freischützen«. Nie ließ mich bei meinem Studium der Musik der dichterische Nachahmungstrieb ganz los; er ordnete sich jedoch dem musikalischen unter, für dessen Befriedigung ich ihn nur herbeizog. So entsinne ich mich, angeregt durch die Pastoral-Symphonie, mich an ein Schäferspiel gemacht zu haben, das in seiner dramatischen Beziehung wieder durch Goethe's »Laune des Verliebten« angeregt war. Hier machte ich gar keinen dichterischen Entwurf, schrieb Musik und Verse zugleich, und ließ so die Situationen ganz aus dem Musik- und Versemachen entstehen.

Nach vielen Abschweifungen bald nach dieser, bald nach jener Seite hin, traf mich der Eindruck der Julirevolution im angetretenen achtzehnten Lebensjahre. Er war heftig und vielfach anregend; namentlich war, nach großer Begeisterung für das kämpfende, schließlich meine Trauer um das gefallene Polen sehr lebhaft. Noch aber waren diese Eindrücke auf meine künstlerische Entwickelung nicht von erkennbarer Gestaltungskraft; sie waren in Bezug hierauf nur allgemeinhin anregend: so stark war mein Empfängnisvermögen noch von rein künstlerischen Eindrücken bestimmt und zum Nachahmungstriebe angeregt, daß ich gerade um diese Zeit mich am ausschließlichsten mit Musik beschäftigte, Sonaten, Ouvertüren und eine Symphonie schrieb, und sogar einen mir angebotenen Text zu einer Oper »Kosziusko« von mir wies. Dennoch richtete sich mein Reproduktionseifer auf das Drama, d. h. aber eben nur die Oper. Nach einem Gozzi'schen Märchen dichtete ich mir einen Operntext »die Feen«; die damals herrschende »romantische« Oper Weber's und auch des gerade an meinem Aufenthaltsorte, Leipzig, zu jener Zeit neu auftretenden Marschner, bestimmte mich zur Nachahmung. Was ich mir verfertigte, war durchaus nichts Anderes, als was ich eben wollte, ein Operntext: nach den Eindrücken Beethoven's, Weber's und Marschner's auf mich setzte ich ihn in Musik. Dennoch reizte mich an dem Gozzi'schen Märchen nicht bloß die aufgefundene Fähigkeit zu einem Operntexte, sondern der Stoff selbst sprach mich lebhaft an. Eine Fee, die für den Besitz eines geliebten Mannes der Unsterblichkeit entsagt, kann die Sterblichkeit nur durch die Erfüllung harter Bedingungen gewinnen, deren Nichtlösung von Seiten ihres irdischen Geliebten sie mit dem härtesten Loose bedroht; der Geliebte unterliegt der Prüfung, die darin bestand, daß er die Fee, möge sie sich ihm (in gezwungener Verstellung) auch noch so bös und grausam zeigen, nicht ungläubig verstieße. Im Gozzi'schen Märchen wird die Fee nun in eine Schlange verwandelt; der reuige Geliebte entzaubert sie dadurch, daß er die Schlange küßt: so gewinnt er sie zum Weibe. Ich änderte diesen Schluß dahin, daß die in einen Stein verwandelte Fee durch des Geliebten sehnsüchtigen Gesang entzaubert, und dieser Geliebte dafür vom Feenkönig – nicht mit der Gewonnenen in sein Land entlassen –, sondern mit ihr in die unsterbliche Wonne der Feenwelt selbst aufgenommen wird. – Dieser Zug dünkt mich jetzt nicht unwichtig: gab mir ihn damals auch nur die Musik und der gewohnte Opernanblick ein, so lag doch hier schon im Keime ein wichtiges Moment meiner ganzen Entwickelung kundgegeben. –

Ich war nun in dem Alter angelangt, wo der Sinn des Menschen, wenn je ihm dies möglich wird, sich unmittelbarer auf die nächste Lebensumgebung wirft. Die phantastische Lüderlichkeit des deutschen Studentenlebens war mir, nach heftiger Ausschweifung, bald zuwider geworden: für mich hatte das Weib begonnen vorhanden zu sein. Die Sehnsucht, die sich nirgends im Leben stillen konnte, fand wieder eine ideale Nahrung durch die Lektüre von Heinse's Ardinghello, sowie der Schriften Heine's und anderer Glieder des damaligen »jungen« Litteraturdeutschlands. Die Wirkung der so empfangenen Eindrücke äußerte sich im wirklichen Leben bei mir so, wie sich unter dem Drucke unserer sittlich bigotten Gesellschaft die Natur einzig äußern kann. Mein künstlerischer Mittheilungstrieb dagegen entledigte sich dieser Lebenseindrücke nach der Richtung der gleichzeitig empfangenen künstlerischen Eindrücke hin; unter diesen waren von besonderer Lebhaftigkeit die der neueren französischen und selbst der italienischen Oper gewesen. Wie dieses Genre in Wahrheit die deutschen Operntheater eroberte und fast einzig auf ihrem Repertoire sich behauptete, war sein Einfluß auf Denjenigen ganz unabweisbar, der sich in einer Lebensstimmung, wie die angedeutete damals mir eigene, befand; in ihm sprach sich, wenigstens für mich, in der Richtung der Musik ganz Das aus, was ich empfand: freudige Lebenslust in der nothgedrungenen Äußerung als Frivolität. – Aber eine persönliche Erscheinung war es, die diese Neigung in mir zu einem Enthusiasmus edlerer Bedeutung anfachte: dieß war die Schröder-Devrient bei einem Gastspiel auf der Leipziger Bühne. Die entfernteste Berührung mit dieser außerordentlichen Frau traf mich elektrisch: noch lange Zeit, bis selbst auf den heutigen Tag, sah, hörte und fühlte ich sie, wenn mich der Drang zu künstlerischem Gestalten belebte.

Die Frucht all' dieser Eindrücke und Stimmungen war eine Oper: »das Liebesverbot, oder die Novize von Palermo«. Den Stoff zu ihr entnahm ich Shakespeare's »Maaß für Maaß«. Isabella war es, die mich begeisterte: sie, die als Novize aus dem Kloster schreitet, um von einem hartherzigen Statthalter Gnade für ihren Bruder zu erflehen, der wegen des Verbrechens eines verbotenen, und dennoch von der Natur gesegneten Liebesbundes mit einem Mädchen, nach einem drakonischen Gesetze zum Tode verurtheilt ist. Isabella's keusche Seele findet vor dem kalten Richter so triftige Gründe zur Entschuldigung des verhandelten Verbrechens, ihr gesteigertes Gefühl weiß diese Gründe mit so hinreißender Wärme vorzutragen, daß der strenge Sittenwahrer selbst von leidenschaftlicher Liebe zu dem herrlichen Weibe erfaßt wird. Diese plötzlich entflammte Leidenschaft äußert sich bei ihm dahin, daß er die Begnadigung des Bruders um den Preis der Liebesgewährung von Seiten der schönen Schwester verheißt. Empört durch diesen Antrag, greift Isabella zur List, um den Heuchler zu entlarven und den Bruder zu retten. Der Statthalter, dem sie mit Verstellung zu gewähren versprochen hat, findet dennoch für gut, seine Begnadigungsverheißung nicht zu halten, um vor einer unerlaubten Neigung sein strenges richterliches Gewissen nicht aufzuopfern. – Shakespeare schlichtet die entstandenen Konflikte durch die öffentliche Zurückkunft des bis dahin im Verborgenen beobachtenden Fürsten: seine Entscheidung ist eine ernste und begründet sich auf das »Maaß für Maaß« des Richters. Ich dagegen löste den Knoten ohne den Fürsten durch eine Revolution. Den Schauplatz hatte ich nach der Hauptstadt Siziliens verlegt, um die südliche Menschenhitze als helfendes Element verwenden zu können; vom Statthalter, einem puritanischen Deutschen, ließ ich auch den bevorstehenden Karneval verbieten; ein verwegener junger Mann, der sich in Isabella verliebt, reizt das Volk auf, die Masken anzulegen und das Eisen bereit zu halten: »wer sich nicht freut bei uns'rer Lust, dem stoßt das Messer in die Brust!« Der Statthalter, von Isabella vermocht selbst maskirt zum Stelldichein zu kommen, wird entdeckt, entlarvt und verhöhnt, – der Bruder, noch zur rechten Zeit vor der vorbereiteten Hinrichtung gewaltsam befreit; Isabella entsagt dem Klosternoviziat und reicht jenem wilden Karnevalsfreunde die Hand: in voller Maskenprozession schreitet Alles dem heimkehrenden Fürsten entgegen, von dem man voraussetzt, daß er nicht so verrückt wie sein Statthalter sei.

Vergleicht man dieses Sujet mit dem der »Feen«, so sieht man, daß die Möglichkeit nach zwei grundverschiedenen Richtungen hin mich zu entwickeln, vorhanden war: dem heiligen Ernste meines ursprünglichen Empfindungswesens trat hier, durch die Lebenseindrücke genährt, eine kecke Neigung zu wildem sinnlichem Ungestüme, zu einer trotzigen Freudigkeit entgegen, die jenem auf das Lebhafteste zu widersprechen schien. Ganz ersichtlich wird mir dieß, wenn ich namentlich die musikalische Ausführung beider Opern vergleiche. Die Musik übte auf mein Empfindungsvermögen immer einen entscheidenden Haupteinfluß aus; es konnte dieß gar nicht anders sein in einer Periode meiner Entwickelung, wo die Lebenseindrücke noch nicht eine so nächste und scharf bestimmende Wirkung auf mich äußerten, daß sie mir die gebieterische Kraft der Individualität verliehen hätten, mit der ich jenes Empfindungsvermögen auch zu einer bestimmten Wirksamkeit nach außen anhalten konnte. Die Wirkung der empfangenen Lebenseindrücke war nur noch genereller, nicht individueller Art, und so mußte die generelle Musik noch mein individuelles künstlerisches Gestaltungsvermögen, nicht aber dieses jene beherrschen. Die Musik auch zu dem »Liebesverbote« hatte im Voraus gestaltend auf Stoff und Anordnung gewirkt, und diese Musik war eben nur der Reflex der Einflüsse der modernen französischen und (für die Melodie) selbst italienischen Oper auf mein heftig sinnlich erregtes Empfindungsvermögen. Wer diese Komposition mit der der »Feen« zusammenhalten würde, müßte kaum begreifen können, wie in so kurzer Zeit ein so auffallender Umschlag der Richtungen sich bewerkstelligen konnte: die Ausgleichung beider sollte das Werk meines weiteren künstlerischen Entwickelungsganges sein. –

Mein Weg führte mich zunächst geradesweges zur Frivolität in meinen Kunstanschauungen; es fällt dieß in die erste Zeit meines Betretens der praktischen Laufbahn als Musikdirektor beim Theater. Das Einstudiren und Dirigiren jener leichtgelenkigen französischen Modeopern, das Pfiffige und Protzige ihrer Orchestereffekte, machte mir oft kindische Freude, wenn ich vom Dirigirpulte aus links und rechts das Zeug loslassen durfte. Im Leben, welches von nun an mit Bestimmtheit das bunte Theaterleben ausmachte, suchte ich durch Zerstreuung Befriedigung eines Triebes, der sich für das Nächste, Greifbare, als Genußsucht, für die Musik als flimmernde, prickelnde Unruhe kundgab. Meine Komposition der »Feen« wurde mir durchaus gleichgiltig, bis ich ihre beabsichtigte Aufführung ganz aufgab. Eine, unter den ungünstigsten Umständen mit gewaltsamem Eigensinne durchgesetzte, gänzlich unverständliche Aufführung des »Liebesverbotes« ärgerte mich wohl; doch vermochte dieser Eindruck mich noch keinesweges von dem Leichtsinne zu heilen, mit dem ich Alles anfaßte. – Die moderne Vergeltung des modernen Leichtsinnes brach aber auch bald auf mich herein. Ich war verliebt, heirathete in heftigem Eigensinne, quälte mich und Andere unter dem widerlichen Eindrucke einer besitzlosen Häuslichkeit, und gerieth so in das Elend, dessen Natur es ist, Tausende und aber Tausende zu Grunde zu richten.

Ein Drang entwickelte sich so in mir bis zur zehrenden Sehnsucht: aus der Kleinheit und Erbärmlichkeit der mich beherrschenden Verhältnisse herauszukommen. Dieser Drang bezog sich jedoch nur in zweiter Linie auf das wirkliche Leben selbst; in erstem Zuge ging er auf eine glänzende Laufbahn als Künstler hinaus. Dem kleinen deutschen Theatertreiben mich zu entziehen, und geradesweges in Paris mein Glück zu versuchen, das war es endlich, worauf ich meine Thätigkeit spannte. – Ein Roman von H. König »die hohe Braut« war mir in die Hände gekommen; Alles, was ich las, hatte nur nach seiner Fähigkeit als Opernstoff verwendet werden zu können, Interesse für mich: in meiner damaligen Stimmung sprach mich jene Lektüre um so mehr an, als schnell das Bild einer großen fünfaktigen Oper für Paris aus ihr mir in die Augen sprang. Einen vollständigen Entwurf davon schickte ich direkt an Scribe nach Paris, mit der Bitte, ihn für die dortige große Oper zu bearbeiten, und mir zur Komposition zuweisen zu lassen. Natürlich führte dieß zu Nichts.

Mein häusliches Trübsal vermehrte sich; der Drang, einer unwürdigen Lage mich zu entwinden, steigerte sich zu dem heftigen Begehren, überhaupt etwas Großes und Erhebendes zu beginnen, selbst mit vorläufiger Außerachtlassung eines nächsten praktischen Zweckes. Diese Stimmung ward in mir lebhaft genährt und befestigt durch die Lektüre von Bulwers »Rienzi«. Aus dem Jammer des modernen Privatlebens, dem ich nirgends auch nur den geringsten Stoff für künstlerische Behandlung abgewinnen durfte, riß mich die Vorstellung eines großen historisch-politischen Ereignisses, in dessen Genuß ich eine erhebende Zerstreuung aus Sorgen und Zuständen finden mußte, die mir eben nicht anders, als nur absolut kunstfeindlich erschienen. Nach meiner künstlerischen Stimmung stand ich hierbei jedoch immer noch auf dem mehr oder weniger rein musikalischen, besser noch: opernhaften Standpunkte; dieser Rienzi, mit seinem großen Gedanken im Kopfe und im Herzen, unter einer Umgebung der Rohheit und Gemeinheit, machte mir zwar alle Nerven vor sympathetischer Liebesregung erzittern; dennoch entsprang mein Plan zu einem Kunstwerke erst aus dem Innewerden eines rein lyrischen Elementes in der Atmosphäre des Helden. Die »Friedensboten«, der kirchliche Auferstehungsruf, die Schlachthymnen, – das war es, was mich zu einer Oper: Rienzi, bestimmte.

Bevor ich jedoch zur Ausführung meines Planes schritt, trug sich Manches in meinem Leben zu, was mich, von dem gefaßten Gedanken ab, nach Außen zerstreute. Ich ging damals, als Musikdirektor einer dort neu gebildeten Theatergesellschaft, nach Riga. Der etwas geordnetere Zustand, und das wirkliche Ausgehen der Direktion auf mindestens gute Vorstellungen, gaben mir nochmals die Absicht ein, für die eben mir zu Gebote stehenden Kräfte etwas zu schreiben. So begann ich bereits die Komposition eines komischen Operntextes, den ich nach einer drolligen Erzählung aus »tausend und einer Nacht«, jedoch mit gänzlicher Modernisirung des Stoffes angefertigt hatte. – Auch hier verleideten sich mir jedoch schnell meine Beziehungen zum Theater: Das, was wir unter »Komödiantenwirthschaft« verstehen, that sich vor mir bald in vollster Breite auf, und meine, in der Absicht sie für diese Wirthschaft herzurichten, angefangene Komposition, ekelte mich plötzlich so heftig an, daß ich Alles bei Seite warf, dem Theater gegenüber mich immer mehr nur auf die bloße Ausübung meiner Dirigentenpflicht beschränkte, vom Umgange mit dem Theaterpersonale immer vollständiger absah, und nach Innen in die Gegend meines Wesens mich zurückzog, wo der sehnsüchtige Drang, den gewohnten Verhältnissen mich zu entreißen, seine stachelnde Nahrung fand. – In dieser Zeit lernte ich bereits den Stoff des »fliegenden Holländers« kennen; Heine erzählt ihn gelegentlich einmal, als er einer Aufführung gedenkt, der er von einem aus diesem Stoffe gemachten Theaterstücke in Amsterdam – wie ich glaube – beiwohnte. Dieser Gegenstand reizte mich und prägte sich mir unauslöschlich ein: noch aber gewann er nicht die Kraft zu seiner nothwendigen Wiedergeburt in mir.

Etwas recht Großes zu machen, eine Oper zu schreiben, zu deren Aufführung nur die bedeutendsten Mittel geeignet sein sollten, die ich daher nie versucht sein könnte in den Verhältnissen, die mich drückend und beengend umgaben, vor das Publikum zu bringen, und die mich somit, um ihrer einstigen Aufführung willen, bestimmen sollte Alles aufzubieten, um aus jenen Verhältnissen herauszukommen, – das entschied mich nun, den Plan zum »Rienzi« mit vollem Eifer wieder aufzunehmen und auszuführen. Auch hier fiel mir bei der Textverfertigung im Wesentlichen noch nichts Anderes ein, als ein wirkungsvolles Opernbuch zu schreiben. Die »große Oper«, mit all' ihrer szenischen und musikalischen Pracht, ihrer effektreichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit, stand vor mir; und sie nicht etwa bloß nachzuahmen, sondern, mit rückhaltsloser Verschwendung, nach allen ihren bisherigen Erscheinungen sie zu überbieten, das wollte mein künstlerischer Ehrgeiz. – Dennoch würde ich gegen mich selbst ungerecht sein, wenn ich in diesem Ehrgeize Alles inbegriffen sehen wollte, was mich bei der Konzeption und Ausführung meines »Rienzi« bestimmte. Der Stoff begeisterte mich wirklich, und Nichts fügte ich meinem Entwurfe ein, was nicht eine unmittelbare Beziehung zu dem Boden dieser Begeisterung hatte. Es handelte sich mir zu allernächst um meinen Rienzi, und erst wenn ich mich hier befriedigt fühlte, ging ich auf die große Oper los. In rein künstlerischer Beziehung war diese große Oper aber gleichsam die Brille, durch die ich unbewußt meinen Rienzistoff sah; nichts fand ich an diesem Stoffe erheblich, was nicht durch jene Brille erblickt werden konnte. Wohl sah ich immer ihn, diesen Stoff, und nie hatte ich zunächst bestimmte rein musikalische Effekte im Auge, die ich etwa nur an diesem Stoffe anbringen wollte; nur sah ich ihn nicht anders als in der Gestalt von »fünf Akten«, mit fünf glänzenden »Finales«, von Hymnen, Aufzügen und musikalischem Waffengeräusch. So verwandte ich auch durchaus noch keine größere Sorgfalt auf Sprache und Vers, als es mir nöthig schien, um einen guten, nicht trivialen Operntext zu liefern. Ich ging nicht darauf aus, Duette und Terzette zu schreiben; aber sie fanden sich hie und da ganz von selbst, weil ich meinen Stoff eben nur durch die »Oper« hindurch sah. Im Stoffe suchte ich z. B. auch keineswegs eben nur einen Vorwand zum Ballet; aber mit den Augen des Opernkomponisten gewahrte ich in ihm ganz von selbst ein Fest, das Rienzi dem Volke geben müsse, und in welchem er ihm eine drastische Scene aus der alten Geschichte als Schauspiel vorzuführen habe: dieß war die Geschichte der Lukretia und der mit ihr zusammenhängenden Vertreibung der Tarquinier aus Rom.Daß diese Pantomime auf den Theatern, die den Rienzi aufführten, ausbleiben mußte, war ein empfindlicher Nachtheil für mich; denn das an ihre Stelle tretende Ballet lenkte die Beurtheilung von meiner edleren Intention ab, und ließ sie in dieser Scene nichts Anderes als einen ganz gewöhnlichen Opernzug erblicken. So bestimmte mich in allen Theilen meines Vorhabens allerdings stets nur der Stoff, aber ich bestimmte den Stoff wiederum nach der einzig mir vorschwebenden großen Opernform. Meine künstlerische Individualität war den Eindrücken des Lebens gegenüber noch in der Wirkung rein künstlerischer, oder vielmehr kunstförmlicher, mechanisch bedingender Eindrücke durchaus befangen.

Als ich die Komposition der beiden ersten Akte dieser Oper beendigt, drängte mich endlich meine äußere Lage dazu, vollkommen mit meinen bisherigen Verhältnissen zu brechen. Ohne im Geringsten mit ausreichenden Mitteln dazu versehen zu sein, ohne die mindeste Aussicht, ja ohne nur einen bekannten Menschen dort vermuthen zu dürfen, machte ich mich geradesweges von Riga nach Paris auf. Unter den widerlichsten Umständen ward eine vier Wochen dauernde Seereise zurückgelegt, die mich auch an die Küste Norwegen's brachte. Hier tauchte mir der »fliegende Holländer« wieder auf: an meiner eigenen Lage gewann er Seelenkraft; an den Stürmen, den Wasserwogen, dem nordischen Felsenstrande und dem Schiffgetreibe, Physiognomie und Farbe.

Paris verwischte mir jedoch zunächst wieder diese Gestalt. – Es ist unnöthig, die Eindrücke näher zu schildern, die Paris mit seinem Kunstwesen und Kunstgetreibe auf einen Menschen in meiner Lage machen mußte; in dem Charakter meiner Thätigkeit und Unternehmungen wird ihr Einfluß am leichtesten wieder zu erkennen sein. – Den zur Hälfte fertigen Rienzi legte ich zunächst bei Seite und mühte mich auf jede Weise, zum Bekanntwerden in der Weltstadt zu gelangen. Hierzu fehlten mir aber vor allem die persönlichen Eigenschaften: kaum hatte ich das Französische, das mir an sich instinktmäßig zuwider war, für das allergewöhnlichste Bedürfniß erlernt. Nicht im Mindesten fühlte ich Neigung, das französische Wesen mir anzueignen; aber ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, ihm auf meine Weise beikommen zu können; ich traute der Musik, als Allerweltssprache, die Eigenschaft zu, zwischen mir und dem Pariser Wesen eine Kluft auszufüllen, über deren Vorhandensein mich mein inneres Gefühl nicht täuschen konnte. – Wenn ich den glänzenden Aufführungen der großen Oper beiwohnte, was übrigens nicht häufig geschah, so stieg mir eine wohllüstig schmeichlerische Wärme auf, die mich zu dem Wunsche, zu der Hoffnung, ja zu der Gewißheit erhitzte, hier noch triumphieren zu können: dieser Glanz der Mittel, von einer begeisternden künstlerischen Absicht verwendet, schien mir der Höhepunkt der Kunst zu sein, und ich fühlte mich durchaus nicht unfähig, diesen Höhepunkt zu erreichen. Außerdem entsinne ich mich einer sehr bereitwilligen Stimmung, mich an allen Erscheinungen jener Kunstwelt zu erwärmen, die irgendwie meinem Ziele verwandt sich darstellten: das Seichte und Inhaltslose verdeckte sich mir durch einen Glanz der sinnlichen Erscheinung, wie ich ihn noch nie wahrgenommen hatte. Erst später kam mir zum Bewußtsein, wie ich mich dennoch hierüber, durch eine fast künstliche Erregtheit, selbst täuschte: diese gutwillige, gern bis zur leichtfertigen Hingerissenheit sich steigernde Erregtheit, nährte sich, mir unbewußt, aus dem Gefühle meiner äußeren Lage, die ich als eine ganz trostlose erkennen mußte, wenn ich mir plötzlich eingestanden hätte, daß all' dieses Kunstwesen, das die Welt ausmachte, in der ich vorwärts kommen sollte, mich zu tiefster Verachtung anwiderte. Die äußere Noth zwang mich, dieses Geständniß fern von mir zu halten; ich vermochte dieß mit der gutmüthig bereitwilligen Laune eines Menschen und Künstlers, den ein unwillkürlich drängendes Liebesbedürfniß in jeder lächelnden Erscheinung den Gegenstand seiner Neigung zu erkennen glauben läßt.

In dieser Lage und Stimmung sah ich mich veranlaßt, auf bereits überwundene Standpunkte mich zurückzustellen. Aussichten waren mir geboten worden, eine Oper leichteren Genre's auf einem untergeordneteren Theater zur Aufführung gebracht zu sehen: ich griff deshalb zu meinem »Liebesverbote« zurück, von dem eine Übersetzung begonnen wurde. Durch die Beschäftigung hiermit fühlte ich mich innerlich um so mehr gedemüthigt, als ich mir äußerlich den Anschein der Hoffnung auf diese Unternehmung zu geben gezwungen war. – Um mich durch Sänger der Pariser Salonswelt empfehlen zu lassen, komponirte ich mehrere französische Romanzen, die, trotz meiner entgegengesetzten Absicht zu ungewohnt und schwer erschienen, um endlich wirklich gesungen zu werden. – Aus meinem tief unbefriedigten Innern stemmte ich mich gegen die widerliche Rückwirkung dieser äußerlichen künstlerischen Thätigkeit, durch den schnellen Entwurf und die ebenso rasche Ausführung eines Orchesterstückes, das ich »Ouvertüre zu Goethe's Faust« nannte, das eigentlich aber nur den ersten Satz einer großen Faustsymphonie bilden sollte.

Bei vollkommener Erfolglosigkeit aller meiner Bestrebungen nach Außen, drängte die äußere Noth mich endlich zu einer noch immer tieferen Herabstimmung des Charakters meiner künstlerischen Thätigkeit: ich erklärte mich selbst bereit zur Anfertigung der Musik zu einem gassenhauerischen Vaudeville für ein Boulevardtheater. Auch dazu gelangte ich aber vor der Eifersucht eines musikalischen Geldeinnehmers nicht. So mußte es mir fast als Erlösung gelten, als ich gezwungen war, mich mit der Anfertigung von Melodieenarrangements aus »beliebten« Opern für das Cornet à pistons zu beschäftigen. Die Zeit, die mir diese Arrangements übrig ließen, verwendete ich nun auf die Vollendung der Komposition der zweiten Hälfte des Rienzi, für den ich jetzt nicht mehr an eine französische Übersetzung dachte, sondern irgend ein deutsches Hoftheater in Aussicht nahm. Die drei letzten Akte dieser Oper wurden unter den bezeichneten Umständen in verhältnißmäßig ziemlich kurzer Zeit fertig.

Nach Beendigung des Rienzi, und bei fortwährender Tagesbeschäftigung mit musikhändlerischer Lohnarbeit, gerieth ich auf einen neuen Ausweg, meinem gepreßten Innern Luft zu machen. Mit der Faustouvertüre hatte ich es zuvor rein musikalisch versucht; mit der musikalischen Ausführung eines älteren dramatischen Planes, des Rienzi, suchte ich der Richtung, die mich eigentlich nach Paris geführt hatte und für die ich mir nun Alles verschlossen sah, ihr künstlerisches Recht angedeihen zu lassen, indem ich sie für mich abschloß. Mit dieser Vollendung stand ich jetzt gänzlich außerhalb des Bodens meiner bisherigen Vergangenheit. Ich betrat nun eine neue Bahn, die der Revolution gegen die künstlerische Öffentlichkeit der Gegenwart, mit deren Zuständen ich mich bisher zu befreunden gesucht hatte, als ich in Paris deren glänzendste Spitze aufsuchte. – Das Gefühl der Nothwendigkeit meiner Empörung machte mich zunächst zum Schriftsteller. Der Verleger der Gazette musicale gab mir, neben den Arrangements von Melodieen, um mir Geld zu verschaffen, auch auf, Artikel für sein Blatt zu schreiben. Ihm galt beides vollkommen gleich: mir nicht. Wie ich in jener Arbeit meine tiefste Demüthigung empfand, ergriff ich diese, um mich für die Demüthigung zu rächen. Nach einigen, allgemeineren musikalischen Artikeln, schrieb ich eine Art von Kunstnovelle; »eine Pilgerfahrt zu Beethoven«, mit welcher im Zusammenhange ich eine zweite folgen ließ: »das Ende eines Musikers in Paris«. Hierin stellte ich, in erdichteten Zügen und mit ziemlichem Humor, meine eigenen Schicksale, namentlich in Paris, bis zum wirklichen Hungertode, dem ich glücklicherweise allerdings entgangen war, dar. Was ich schrieb, war in jedem Zuge ein Schrei der Empörung gegen unsere modernen Kunstzustände: es ist mir versichert worden, daß dieß vielfach amüsirt habe. – Meinen wenigen treuen Freunden, mit denen ich in trübselig traulicher Zurückgezogenheit des Abends bei mir mich zusammenfand, hatte ich hiermit aber ausgesprochen, daß von mir vollständig mit jedem Wunsche und jeder Aussicht auf Paris gebrochen, und der junge Mann, der mit jenem Wunsche und jener Aussicht nach Paris kam, wirklich des Todes gestorben sei.

Es war eine wohllüstig schmerzliche Stimmung, in der ich mich damals befand; sie gebar mir den längst bereits empfangenen »fliegenden Holländer«. – Alle Ironie, aller bittere oder humoristische Sarkasmus, wie er in ähnlichen Lagen all' unseren schriftstellernden Dichtern als einzige gestaltende Triebkraft verbleibt, war von mir zunächst in den genannten und ihnen noch folgenden litterarischen Ergüssen vorläufig so weit losgelassen und ausgeworfen worden, daß ich nach dieser Entledigung meinem inneren Drange nur durch wirkliches künstlerisches Gestalten genügen zu können in den Stand gesetzt war. Wahrscheinlich hätte ich nach dem Erlebten, und von dem Standpunkte aus, auf den mich die Lebenserfahrung gestellt hatte, dieses Vermögen nicht gewonnen, wenn ich eben nur schriftstellerisch-dichterische Fähigkeiten von Jugend auf mir angeeignet hätte; vielleicht wäre ich in die Bahn unserer modernen Litteraten und Theaterstückdichter getreten, die unter den kleinlichen Einflüssen unserer formellen Lebensbeziehungen, mit jedem ihrer prosaischen oder gereimten Federzüge, gegen wiederum formelle Äußerungen jener Beziehungen zu Felde ziehen, und so ungefähr einen Krieg führen, wie ihn in unseren Tagen General Willisen und seine Getreuen gegen die Dänen führten; ich würde sehr vermuthlich so – um mich populär auszudrücken – die Hantirung des Treibers ausgeübt haben, der auf den Sack schlägt, wenn er den Esel meint: – wäre ich nicht durch Eines höher befähigt gewesen, und dieß war mein Erfülltsein von der Musik.

Über das Wesen der Musik habe ich mich neuerdings zur Genüge ausgesprochen; ich will ihrer hier nur als meines guten Engels gedenken, der mich als Künstler bewahrte, ja in Wahrheit erst zum Künstler machte von einer Zeit an, wo mein empörtes Gefühl mit immer größerer Bestimmtheit gegen unsere ganzen Kunstzustände sich auflehnte. Daß diese Auflehnung nicht außerhalb des Gebietes der Kunst, vom Standpunkte weder des kritisirenden Litteraten, noch des kunstverneinenden, sozialistisch rechnenden, politischen Mathematikers unserer Tage, aus geschah, sondern daß meine revolutionäre Stimmung mir selbst den Drang und die Fähigkeit zu künstlerischen Thaten erweckte, dieß verdanke ich – wie gesagt – nur der Musik. Soeben nannte ich sie meinen guten Engel. Dieser Engel war mir nicht vom Himmel herabgesandt; er kam zu mir aus dem Schweiße des menschlichen Genie's von Jahrhunderten: er berührte nicht mit unfühlbar sonniger Hand etwa den Scheitel meines Hauptes; in der blutwarmen Nacht meines heftig verlangenden Herzens nährte er sich zu gebärender Kraft nach Außen für die Tageswelt. – Ich kann den Geist der Musik nicht anders fassen als in der Liebe. Von seiner heiligen Macht erfüllt, gewahrte ich, bei erwachsender Sehkraft des menschlichen Lebensblickes, nicht einen zu kritisirenden Formalismus vor mir, sondern durch diesen Formalismus hindurch erkannte ich, auf dem Grunde der Erscheinung, durch sympathetische Empfindungskraft das Bedürfniß der Liebe unter dem Drucke eben jenes lieblosen Formalismus'. Nur wer das Bedürfniß der Liebe fühlt, erkennt dasselbe Bedürfniß in Anderen: mein von der Musik erfülltes künstlerisches Empfängnißvermögen gab mir die Fähigkeit, dieses Bedürfniß auch in der Kunstwelt überall da zu erkennen, wo ich durch die abstoßende Berührung mit ihrem äußerlichen Formalismus mein eigenes Liebesvermögen verletzt, und aus dieser Verletzung gerade mein eigenes Liebesbedürfniß thätig erwacht fühlte. So empörte ich mich aus Liebe, nicht aus Neid und Ärger; und so ward ich daher Künstler, nicht kritischer Litterat.

Den Einfluß, den mein musikalisches Empfindungswesen auf die Gestaltung meiner künstlerischen Arbeiten, namentlich auch auf die Wahl und Bildung der dichterischen Stoffe ausübte, will ich seinem Wesen nach bezeichnen, wenn ich an der Darstellung der Entstehung und des Charakters der Arbeiten, die von mir unter diesem Einflusse zu Tage kamen, diese Bezeichnung mir für das Verständniß erleichtert haben werde. Für jetzt gebe ich diese Darstellung. –

Der Richtung, in die ich mich mit der Konzeption des »fliegenden Holländers« schlug, gehören die beiden ihm folgenden dramatischen Dichtungen, »Tannhäuser« und »Lohengrin«, an. Mir ist der Vorwurf gemacht worden, daß ich mit diesen Arbeiten in die – wie man meint – durch Meyerbeer's »Robert der Teufel« überwundene und geschlossene, von mir mit meinem »Rienzi« bereits selbst verlassene, Richtung der »romantischen Oper« zurückgetreten sei. Für Die, welche mir diesen Vorwurf machen, ist die romantische Oper natürlich eher vorhanden, als die Opern, die nach einer konventionell klassifizirenden Annahme »romantische« genannt werden.

Anmerkung des Herausgebers: 9) Wie gedankenlos und oberflächlich die so geläufige »Rubrizierung« Wagners unter die »Romantiker« ist, kann man auch aus S. 59 ersehen. Gegenüber der unechten und halben Nachempfindelei des »ritterlich-katholisch-phantastischen« Mittelalters bei den »Romantikern« à la F. Schlegel, Tieck u. a. finden wir bei Wagner die urkäftige und tief wahrhaftige Wiedererweckung des altgermanischen Mythos und ursprünglichen Christentums.

Ob ich von einer künstlerisch formellen Absicht aus auf die Konstruktion von »romantischen« Opern ausging, wird sich herausstellen, wenn ich die Entstehungsgeschichte jener drei Werke genau erzähle.

Die Stimmung, in der ich den »fliegenden Holländer« empfing, habe ich im Allgemeinen bezeichnet: die Empfängniß war genau so alt, als die Stimmung, die sich anfangs in mir nur vorbereitete, und, gegen berückende Eindrücke ankämpfend, endlich zu der Äußerungsfähigkeit gelangte, daß sie in einem ihr angehörigen Kunstwerke sich ausdrücken konnte. – Die Gestalt des »fliegenden Holländers« ist das mythische Gedicht des Volkes: ein uralter Zug des menschlichen Wesens spricht sich in ihm mit herzergreifender Gewalt aus. Dieser Zug ist, in seiner allgemeinsten Bedeutung, die Sehnsucht nach Ruhe aus Stürmen des Lebens. In der heitern hellenischen Welt treffen wir ihn in den Irrfahrten des Odysseus und in seiner Sehnsucht nach der Heimath, Haus, Herd und – Weib, dem wirklich Erreichbaren und endlich Erreichten des bürgerfreudigen Sohnes des alten Hellas. Das irdisch heimathlose Christenthum faßte diesen Zug in die Gestalt des »ewigen Juden«: diesem immer und ewig, zweck- und freudlos zu einem längst ausgelebten Leben verdammten Wanderer blühte keine irdische Erlösung; ihm blieb als einziges Streben nur die Sehnsucht nach dem Tode, als einzige Hoffnung die Aussicht auf das Nichtmehrsein. Am Schlusse des Mittelalters lenkte ein neuer, thätiger Drang die Völker auf das Leben hin: weltgeschichtlich am erfolgreichsten äußerte er sich als Entdeckungstrieb. Das Meer ward jetzt der Boden des Lebens, aber nicht mehr das kleine Binnenmeer der Hellenenwelt, sondern das erdumgürtende Weltmeer. Hier war mit einer alten Welt gebrochen; die Sehnsucht des Odysseus nach Heimath, Herd und Eheweib zurück, hatte sich, nachdem sie an den Leiden des »ewigen Juden« bis zur Sehnsucht nach dem Tode genährt worden, zu dem Verlangen nach einem Neuen, Unbekannten, noch nicht sichtbar Vorhandenen, aber im Voraus Empfundenen, gesteigert. Diesen ungeheuer weit ausgedehnten Zug treffen wir im Mythos des fliegenden Holländers, diesem Gedichte des Seefahrervolkes aus der weltgeschichtlichen Epoche der Entdeckungsreisen. Wir treffen auf eine, vom Volksgeiste bewerkstelligte, merkwürdige Mischung des Charakters des ewigen Juden mit dem des Odysseus. Der holländische Seefahrer ist zur Strafe seiner Kühnheit vom Teufel (das ist hier sehr ersichtlich: dem Elemente der Wasserfluthen und der Stürme) verdammt, auf dem Meere in alle Ewigkeit rastlos umherzusegeln. Als Ende seiner Leiden ersehnt er, ganz wie Ahasveros, den Tod; diese, dem ewigen Juden noch verwehrte Erlösung kann der Holländer aber gewinnen durch – ein Weib, das sich aus Liebe ihm opfert: die Sehnsucht nach dem Tode treibt ihn somit zum Aufsuchen dieses Weibes; dieß Weib ist aber nicht mehr die heimathlich sorgende, vor Zeiten gefreite Penelope des Odysseus, sondern es ist das Weib überhaupt, aber das noch unvorhandene, ersehnte, geahnte, unendlich weibliche Weib, – sage ich es mit einem Worte heraus: das Weib der Zukunft.

Dieß war der »fliegende Holländer«, der mir aus den Sümpfen und Fluthen meines Lebens so wiederholt und mit so unwiderstehlicher Anziehungskraft auftauchte; das war das erste Volksgedicht, das mir tief in das Herz drang, und mich als künstlerischen Menschen zu seiner Deutung und Gestaltung im Kunstwerke mahnte.

Von hier an beginnt meine Laufbahn als Dichter, mit der ich die des Verfertigers von Operntexten verließ. Und doch that ich hiermit keinen jähen Sprung. Nirgends wirkte die Reflexion auf mich ein; denn Reflexion ist nur aus der Kombination vorhandener Erscheinungen als Beispiel zu gewinnen: die Erscheinungen, die mir auf meiner neuen Bahn als Beispiele hätten dienen können, fand ich aber nirgends vor. Mein Verfahren war neu; es war mir aus meiner innersten Stimmung angewiesen, von dem Drange zur Mittheilung dieser Stimmung aufgenöthigt. Ich mußte, um mich von innen heraus zu befreien, d. h. um mich gleichfühlenden Menschen aus Bedürfniß des Verständnisses mitzutheilen, einen durch die äußere Erfahrung mir noch nicht angewiesenen Weg als Künstler einschlagen, und was hierzu drängt, ist Notwendigkeit, tief empfundene, nicht aber mit dem praktischen Verstande gewußte, zwingende Notwendigkeit.

Stelle ich mich hiermit meinen Freunden als Dichter vor, so sollte ich fast Bedenken tragen, schon mit einer Dichtung, wie der meines fliegenden Holländers, es zu thun. In ihr ist so Vieles noch unentschieden, das Gefüge der Situationen meist noch so verschwimmend, die dichterische Sprache und der Vers oft noch des individuellen Gepräges so bar, daß namentlich unsere modernen Theaterstückdichter, die Alles nach einer abgesehenen Form konstruiren, und von dem eitlen Wissen ihrer angelernten formellen Fähigkeit aus auf das Auffinden beliebiger Stoffe zur Behandlung in dieser Form ausgehen, die Bezeichnung dieser Dichtung als solcher mir für eine hart zu züchtigende Frechheit anrechnen werden. Weniger als die Furcht vor dieser zu erwartenden Strafe, würde mich mein eigenes Bedenken gegen die Form dieser Dichtung kümmern, wenn es meine Absicht wäre, mich mit diesem Gedichte überhaupt als eine vollendete Erscheinung hinzustellen; wogegen es mich gerade reizt, meinen Freunden mich in meinem Werden vorzuführen. Die Form der Dichtung des fliegenden Holländers war mir aber, wie überhaupt die Form jeder meiner nachherigen Dichtungen, bis auf die äußersten Züge der musikalischen Ausführung, von dem Stoffe insoweit angewiesen, als er mir zum Eigenthum einer entscheidenden Lebensstimmung geworden war, und ich durch Übung und Erfahrung auf dem eingeschlagenen Wege selbst mir die Fähigkeit zu künstlerischem Gestalten überhaupt gewonnen hatte. – Auf das Charakteristische dieses Gestaltens zurückzukommen behalte ich mir, wie gesagt, vor. Für jetzt fahre ich fort, die Entstehungsgeschichte meiner Dichtungen zu verfolgen, nachdem ich eben nur auf den entscheidenden Wendepunkt meines künstlerischen Entwicklungsganges auch in formeller Hinsicht aufmerksam gemacht haben wollte. –

Unter äußeren Umständen, die ich anderswoSiehe die autobiographische Skizze im ersten Bande dieser Sammlung. S. 3 ff. des vorliegenden Bändchens. Der Herausgeber bereits meinen Freunden berichtete, führte ich den »fliegenden Holländer« mit großer Schnelligkeit in Dichtung und Musik aus. Ich hatte mich von Paris auf das Land zurückgezogen, und trat von hier aus wieder in erste Berührung mit meiner deutschen Heimath. Mein Rienzi war in Dresden zur Aufführung angenommen worden. Diese Annahme galt mir im Allgemeinen für ein fast überraschend aufmunterndes Liebeszeichen und einen freundlichen Gruß aus Deutschland, die mich um so wärmer für die Heimath stimmten, als die Pariser Weltluft mich mit immer eisigerer Kälte anwehte. Mit all' meinem Dichten und Trachten war ich schon ganz nur noch in Deutschland. Ein empfindungsvoller, sehnsüchtiger Patriotismus stellte sich bei mir ein, von dem ich früher durchaus keine Ahnung gehabt hatte. Dieser Patriotismus war frei von jeder politischen Beifärbung; denn so aufgeklärt war ich allerdings schon damals, daß das politische Deutschland, etwa dem politischen Frankreich gegenüber, nicht die mindeste Anziehungskraft für mich besaß. Es war das Gefühl der Heimathlosigkeit in Paris, das mir die Sehnsucht nach der deutschen Heimath erweckte: diese Sehnsucht bezog sich aber nicht auf ein Altbekanntes, Wiederzugewinnendes, sondern auf ein geahntes und gewünschtes Neues, Unbekanntes, Erstzugewinnendes, von dem ich nur das Eine wußte, daß ich es hier in Paris gewiß nicht finden würde. Es war die Sehnsucht meines fliegenden Holländers nach dem Weibe, – aber, wie gesagt, nicht nach dem Weibe des Odysseus, sondern nach dem erlösenden Weibe, dessen Züge mir in keiner sicheren Gestalt entgegentraten, das mir nur wie das weibliche Element überhaupt vorschwebte; und dieß Element gewann hier den Ausdruck der Heimath, d. h. des Umschlossenseins von einem innig vertrauten Allgemeinen, aber einem Allgemeinen, das ich noch nicht kannte, sondern eben erst nur ersehnte, nach der Verwirklichung des Begriffes »Heimath«; wogegen zuvor das durchaus Fremde meiner früheren engen Lage als erlösendes Element vorschwebte, und der Drang, es aufzufinden, mich nach Paris getrieben hatte. Wie ich in Paris enttäuscht worden war, sollte ich es nun auch in Deutschland werden. Mein fliegender Holländer hatte allerdings die neue Welt noch nicht entdeckt: sein Weib konnte ihn nur durch ihren und seinen Untergang erlösen. – Doch fahren wir fort!

Ganz schon nur mit meiner Rückkehr nach Deutschland und mit der Beschaffung der nöthigen Mittel dazu beschäftigt, mußte ich, gerade um dieser letzteren willen, nach der Beendigung des fliegenden Holländers noch einmal zur musikhändlerischen Lohnarbeit greifen. Ich machte Klavierauszüge von Halévy'schen Opern. Ein gewonnener Stolz bewahrte mich aber bereits vor der Bitterkeit, mit der mich früher diese Demütigung erfüllt hatte. Ich behielt guten Humor, korrespondierte mit der Heimat wegen der vorrückenden Zurüstungen zur Aufführung des Rienzi; aus Berlin traf selbst die Bestätigung der Annahme meines fliegenden Holländers zur Aufführung ein. Ich lebte ganz schon in der ersehnten, nun bald zu betretenden heimischen Welt. –

In dieser Stimmung fiel mir das deutsche Volksbuch vom »Tannhäuser« in die Hände; diese wunderbare Gestalt der Volksdichtung ergriff mich sogleich auf das Heftigste; sie konnte dies aber auch erst jetzt. Keineswegs war mir der Tannhäuser an sich eine völlig unbekannte Erscheinung: schon früh war er mir durch Tiecks Erzählung bekannt geworden. Er hatte mich damals in der fantastisch mystischen Weise angeregt, wie Hoffmanns Erzählungen auf meine jugendliche Einbildungskraft gewirkt hatten; nie aber war von diesem Gebiete aus auf meinen künstlerischen Gestaltungstrieb Einfluß ausgeübt worden. Das durchaus moderne Gedicht Tiecks las ich jetzt wieder durch, und begriff nun, warum seine mystisch kokette, katholisch frivole Tendenz mich zu keiner Teilnahme bestimmt hatte; es ward mir dies aus dem Volksbuche und dem schlichten Tannhäuserliede ersichtlich, aus dem mir das einfache echte Volksgedicht der Tannhäusergestalt in so unentstellten, schnell verständlichen Zügen entgegentrat. – Was mich aber vollends unwiderstehlich anzog, war die, wenn auch sehr lose Verbindung, in die ich den Tannhäuser mit dem »Sängerkrieg auf Wartburg« in jenem Volksbuche gebracht fand. Auch dieses dichterische Moment hatte ich bereits früher durch eine Erzählung Hoffmanns kennen gelernt; aber, gerade wie die Tieck'sche vom Tannhäuser, hatte sie mich ganz ohne Anregung zu dramatischer Gestaltung gelassen. Jetzt geriet ich darauf, diesem Sängerkriege, der mich mit seiner ganzen Umgebung so unendlich heimatlich anwehte, in seiner einfachsten, echtesten Gestalt auf die Spur zu kommen; dies führte mich zu dem Studium des mittelhochdeutschen Gedichtes vom »Sängerkriege«, das mir glücklicher Weise einer meiner Freunde, ein deutscher Philolog, der es zufällig in seinem Besitze hatte, verschaffen konnte. – Dieses Gedicht ist, wie bekannt, unmittelbar mit einer größeren epischen Dichtung »Lohengrin« in Zusammenhang gesetzt: auch dieß studirte ich, und hiermit war mir mit einem Schlage eine neue Welt dichterischen Stoffes erschlossen, von der ich zuvor, meist nur auf bereits Fertiges, für das Operngenre Geeignetes ausgehend, nicht eine Ahnung gehabt hatte. – Ich muß die hieraus gewonnenen Eindrücke näher bezeichnen.

Wichtig wird es manchem Anhänger der historisch-dichterischen Schule sein, zu erfahren, daß ich zwischen der Vollendung des fliegenden Holländers und der Konzeption des Tannhäusers, mich mit dem Entwürfe zu einer historischen Operndichtung beschäftigte; unerfreulich, und als Beweis für meine Unfähigkeit wird es ihm gelten, wenn er erfährt, daß ich diesen Entwurf gegen den des Tannhäusers fahren ließ. Ich will für jetzt hier einfach nur den Hergang berichten, weil ich den hierher bezüglichen ästhetischen Gegenstand bei der Erzählung eines späteren Konfliktes ähnlicher Art, näher zu besprechen Veranlassung gewinnen werde.

Meine Sehnsucht nach der Heimath hatte, sagte ich, Nichts von dem Charakter des politischen Patriotismus; dennoch würde ich unwahr sein, wenn ich nicht gestehen wollte, daß auch eine politische Bedeutung der deutschen Heimath meinem Verlangen vorschwebte: natürlich konnte ich diese aber nicht in der Gegenwart finden, und eine Berechtigung zu dem Wunsche einer solchen Bedeutung – wie unsere ganze historische Schule – nur in der Vergangenheit aufsuchen. Um mich zu vergewissern über das, was ich an der deutschen Heimath, nach der ich mich doch sehnte, denn eigentlich liebte, führte ich mir das Bild der Eindrücke meiner Jugend zurück, und um dieß klar und deutlich zu ersehen, schlug ich im Buche der Geschichte nach. Bei dieser Gelegenheit suchte ich auch noch nach einem Opernstoffe; nirgends in den großen Zügen der alten deutschen Kaiserwelt bot er sich mir aber dar, und ohne deutliches Wissen fühlte ich, daß diese Züge, um durchaus getreu und verständlich dargestellt zu werden, ganz in dem Grade sich der Fähigkeit zur Dramatisirung überhaupt entzogen, als sie namentlich auch meiner musikalisch-künstlerischen Anschauung, mit unumfangbarer Sprödigkeit sich entwanden. – An einem Zuge endlich haftete ich, weil ich hier ein freieres Gewährenlassen meines dichterischen Gestaltungstriebes mir zu erlauben für gestattet halten durfte. Es war dieß ein Zug aus den letzten Momenten der Hohenstaufischen Welt. Manfred, Friedrich's II. Sohn, reißt sich aus dem Zustande der Muthlosigkeit und Versunkenheit in lyrische Ergetzung, wirft sich, von äußerster Noth gedrängt, nach Luceria, der Stadt, die von seinem Vater den aus Sicilien versetzten Sarazenen mitten im hochheiligen Kirchenstaate zum Wohnort angewiesen worden war, und gewinnt, zunächst durch die Hilfe dieser streitlichen und leicht zu begeisternden Söhne Arabiens, das ganze, vom Papste und den herrschenden Welfen ihm bestrittene Reich Appulien und Sicilien; mit seiner Krönung schloß der dramatische Entwurf. In diesen rein geschichtlichen Vorgang wob ich eine erdichtete weibliche Gestalt: ich entsinne mich jetzt, daß sie mir aus dem Anschauen einer bereits längst mir zu Gesicht gekommenen Zeichnung, als Erinnerung entsprang: es war dieß eine Darstellung Friedrich's II., umgeben von seinem fast ganz arabischen Hofe, aus welchem namentlich singende und tanzende orientalische Frauengestalten lebhaft meine Phantasie fesselten. Den Geist dieses Friedrich's, meines Lieblinges, verkörperte ich nun in der Erscheinung einer jungen Sarazenin, der Frucht einer Liebesumarmung Friedrich's und einer Tochter Arabiens während jenes friedlichen Aufenthaltes des Kaisers in Palästina. Das Mädchen hatte daheim von dem tiefen Falle des gibelinischen Hauses Kunde erhalten: mit dem Feuer desselben arabischen Enthusiasmus', der noch jüngst dem Oriente Liebeslieder für Bonaparte eingab, machte sie sich nach Appulien auf. Dort, am Hofe des entmuthigten Manfred, erscheint sie als Prophetin, begeistert, reißt zu Thaten hin; sie entzündet die Araber in Luceria, und führt, überall hin Enthusiasmus ausgießend, den Sohn des Kaisers von Sieg zu Sieg bis zum Throne Geheimnißvoll verbarg sie ihre Abkunft, um auch in Manfred selbst durch das Räthsel ihrer Erscheinung zu wirken; er liebt sie heftig, und will das Geheimniß durchbrechen: sie weist ihn prophetisch zurück. Bei einem Anschlag auf sein Leben fängt sie den tödllichen Stoß mit ihrer Brust auf: sterbend bekennt sie sich als Manfred's Schwester, und läßt ihre volle Liebe zu ihm errathen. Der gekrönte Manfred nimmt für immer von seinem Glücke Abschied.

Dieses, wohl nicht glanz- und wärmelose Bild, das meine heimathssehnsüchtige Phantasie mir in der Beleuchtung eines historischen Sonnenuntergangsscheines zuführte, vermischte sich sogleich, als meinem inneren Auge die Gestalt des Tannhäusers sich darstellte. Jenes Bild war mir von Außen vorgezaubert; diese Gestalt entsprang aus meinem Inneren. In ihren unendlich einfachen Zügen war sie mir umfassender und zugleich bestimmter, deutlicher als das reichglänzende, schillernde und prangende historisch-poetische Gewebe, das wie ein prunkend faltiges Gewand die wahre, schlanke menschliche Gestalt verbarg, um deren Anblick es meinem inneren Verlangen zu thun war, und die eben im plötzlich gefundenen Tannhäuser sich ihm darbot. Hier war eben das Volksgedicht, das immer den Kern der Erscheinung erfaßt, und in einfachen, plastischen Zügen ihn wiederum zur Erscheinung bringt; während dort, in der Geschichte – d. h. nicht wie sie an sich war, sondern wie sie uns einzig kenntlich vorliegt – diese Erscheinung in unendlich bunter, äußerlicher Zerstreutheit sich kundgiebt, und nicht eher zu jener plastischen Gestalt gelangt, als bis das Volksauge sie ihrem Wesen nach ersieht, und als künstlerischen Mythos gestaltet.

Dieser Tannhäuser war unendlich mehr als Manfred; denn er war der Geist des ganzen gibelinischen Geschlechtes für alle Zeiten, in eine einzige, bestimmte, unendlich ergreifende und rührende Gestalt gefaßt, in dieser Gestalt aber Mensch bis auf den heutigen Tag, bis in das Herz eines lebenssehnsüchtigen Künstlers. Doch von diesen Beziehungen später!

Für jetzt berichte ich bloß noch, daß ich auch in der Wahl des Tannhäuserstoffes gänzlich ohne Reflexion verfuhr, und bestätige somit nur die Erscheinung, daß ich, ohne kritisches Bewußtsein, durchaus unwillkürlich zu meiner Entscheidung mich bestimmt fühlte. Durch meine Erzählung allein erhellt es, wie ganz ungrundsätzlich ich mit dem fliegenden Holländer meine neue Bahn eingeschlagen hatte. Mit der »Sarazenin« war ich im Begriffe gewesen, mehr oder weniger in die Richtung meines »Rienzi« mich zurückzuwerfen, um eine große fünfaktige »historische« Oper zu verfertigen: erst der überwältigende, mein individuelles Wesen bei weitem energischer erfassende Stoff des Tannhäusers, erhielt mich im Festhalten der mit Notwendigkeit eingeschlagenen neuen Richtung. Es geschah dies, wie ich nun berichten will, unter noch andauernden lebhaften Konflikten mit zufälligen äußeren Einflüssen, die allmählich meine Richtung mir auch zu immer deutlicherem Bewußtsein bringen sollten. – –

Endlich, nach fast dreijährigem Aufenthalte, verließ ich, neunundzwanzig Jahre alt, Paris. Meine direkte Reise nach Dresden führte durch das thüringische Tal, aus dem man die Wartburg auf der Höhe erblickt. Wie unsäglich heimisch und anregend wirkte auf mich der Anblick dieser mir bereits gefeiten Burg, die ich – wunderlich genug! – nicht eher wirklich besuchen sollte, als sieben Jahre nachher, wo ich – bereits verfolgt – von ihr aus den letzten Blick auf das Deutschland warf, das ich damals mit so warmer Heimatsfreude betrat, und nun als Geächteter, landesflüchtig verlassen musste! – –

Ich traf in Dresden ein, um die versprochene Aufführung meines Rienzi zu betreiben. Vor dem wirklichen Beginne der Proben machte ich noch einen Ausflug in das böhmische Gebirge: dort verfaßte ich den vollständigen scenischen Entwurf des »Tannhäuser«. Bevor ich an seine Ausführung gehen konnte, sollte ich mannigfaltig unterbrochen werden. Das Einstudieren meines Rienzi begann, dem manche Zurechtlegungen und Änderungen der ausschweifend weit ausgeführten Komposition vorangingen. Die Beschäftigung mit der endlichen Aufführung einer meiner Opern unter so genügenden Verhältnissen, wie sie mir das Dresdener Hoftheater darbot, war für mich ein neues Element, das lebhaft zerstreuend auf mein Inneres wirkte. Ich fühlte mich damals von meinem Grundwesen so heiter abgezogen, und auf das Praktische gerichtet aufgelegt, daß ich es sogar vermochte, einen früheren, längst bereits vergessenen Entwurf zu einem Opernsujet, nach dem König'schen Romane »die hohe Braut«, für meinen nachmaligen Kollegen im Dresdener Hofkapellmeisteramte, der eben ein Operntextbedürfnis zu empfinden glaubte, und den ich mir dadurch zu verbinden suchte, in leichten Opernversen nebenbei mit auszuführen.Es ist dies derselbe Text, der – nachdem mein Kollege es bedenklich gefunden haben musste, etwas auszuführen, was ich ihm abtrat – von Kittl, der nirgends ein besseres Operntextbuch erhalten konnte, als eben dieses, komponiert, und unter dem Titel »die Franzosen vor Nizza«, mit verschiedenen K. K. österreichischen Abänderungen, in Prag zur Aufführung gebracht worden ist. – Die wachsende Teilnahme der Sänger für meinen Rienzi, namentlich der höchst liebenswürdig sich äußernde Enthusiasmus des ungemein begabten Sängers der Hauptrolle, berührten mich außerordentlich angenehm und erhebend. Nach langem Ringen in den kleinlichsten Verhältnissen, nach härtestem Kämpfen, Leiden und Entsagen unter dem lieblosen Pariser Kunst- und Lebensgetreibe, befand ich mich schnell in einer anerkennenden, fördernden, oft liebevoll entgegenkommenden Umgebung. Wie verzeihlich, wenn ich begann mich Täuschungen zu überlassen, aus denen ich doch mit schmerzlicher Empfindung wieder erwachen musste! Durfte nun aber Eines geeignet sein, mich über meine wahre Stellung zu den bestehenden Verhältnissen zu täuschen, so war dies der ungemeine Erfolg der Aufführung meines Rienzi in Dresden: – ich ganz Einsamer, Verlassener, Heimatloser, fand mich plötzlich geliebt, bewundert, ja von Vielen mit Erstaunen betrachtet; und, dem Begriffe unserer Verhältnisse gemäß, sollte dieser Erfolg für meine ganze Lebensexistenz eine gründlich dauernde Basis des bürgerlichen und künstlerischen Wohlbefindens gewinnen durch meine, alles überraschende Ernennung zum Kapellmeister der Königlich Sächsischen Hofkapelle.

Hier war es, wo eine große, durch die Umstände mir aufgenötigte, dennoch aber nicht ganz unbewußte Selbsttäuschung der Grund zu einer neuen leidenvollen, aber entscheidenden Entwicklung meines menschlich-künstlerischen Wesens wurde. Meine frühesten, dann meine Pariser, und endlich selbst meine bereits in Dresden gemachten Erfahrungen hatten mich nicht mehr im Unklaren über den wirklichen Charakter unserer ganzen öffentlichen Kunstzustände, namentlich auch so weit sie von unseren Kunstinstituten selbst ausgehen, gelassen; mein Widerwille, mit ihnen mich anders einzulassen, als höchstens die mir nötige Aufführung meiner Opern es erforderte, war schon zu großer Stärke in mir gediehen. Dass nicht der Kunst, wie ich sie erkennen gelernt hatte, sondern einem durchaus anderen, nur mit dem künstlerischen Anscheine sich schmückenden Interesse, in den Erscheinungen unseres öffentlichen Kunstlebens gedient wird, war gerade mir zur bestimmtesten Einsicht gekommen. Noch aber war ich nicht auf den eigentlichen Grund der Ursachen dieser Erscheinung gedrungen, die ich somit mehr nur für zufällig und willkürlich bestimmbar halten musste: erst jetzt sollte mir allmählich dieser Grund schmerzlich klar werden. – Gegen meine wenigen näheren Freunde äußerte ich meine innerliche Abneigung, und mein darauf begründetes Bedenken gegen die Annahme der mir in Aussicht gestellten Hofkapellmeisterstelle unverhohlen. Sie konnten mich nicht begreifen; und das war natürlich, denn ich selbst konnte eben nur meine innerliche Abneigung, nicht aber vom praktischen Verstande begreifliche Gründe derselben ausdrücken. Der Rückblick auf meine bisherigen zerrütteten, kummervollen äußeren Verhältnisse, die von nun an sicher geordnet werden sollten; dann aber die Annahme, dass ich bei der gewonnenen, mir so günstigen Stimmung der Umgebung, und namentlich bei dem bestechend schönen Bestande der vorhandenen Kunstmittel, jedenfalls viel Gutes für die Kunst zu Tage fördern können würde, bekämpften, wie bei noch mangelnder Erfahrung gerade nach dieser Seite hin leicht erklärlich ist, bald siegreich meine Abneigung. Das Innewerden der hohen Meinung, die man gewohnter Weise von einer solchen Stellung hegt; der Glanz, in dem meine Beförderung zu ihr Anderen erschien, blendeten auch mich endlich, einen außerordentlichen Glücksfall in dem zu ersehen, was sehr bald die Quelle eines zehrenden Leidens für mich werden sollte. Ich ward – froh und freudig! – Königlicher Kapellmeister. –

Die sinnlich behagliche Stimmung, die mir durch den Umschwung meiner äußeren Verhältnisse gekommen war, und durch den ersten Genuss einer gesicherten Lebenslage, namentlich aber auch einer öffentlichen Zuneigung und Bewunderung, sich bis zu einem wollüstig freudigen Selbstgefühle steigerte, verführte mich bald immer gründlicher zur Verkennung und Mißverwendung meines eigentlichen Wesens, wie es sich bis dahin mit notwendiger Konsequenz entwickelt hatte. Zunächst täuschte mich die, immerhin wohl nicht durchaus grundlose, Annahme eines schnellen, oder – wenn langsameren – doch unausbleiblichen, lohnbringenden Erfolges meiner Opern durch ihre Verbreitung über die deutschen Theater. Verführte mich der hartnäckige Glaube hieran in der Folge immer mehr zu Opfern und Unternehmungen, die bei ausbleibendem Erfolge meine äußeren Verhältnisse von Neuem zerrütten mußten, so lenkte der ihm zu Grunde liegende, mehr oder weniger auf hastigen Genuss zielende Trieb, mich eine Zeit lang unmerklich auch von meiner eingeschlagenen künstlerischen Richtung ab. Das hierauf Bezügliche dünkt mich der Mitteilung nicht unwert, weil in ihm ein gewiss nicht unbedeutendes Material zur Beurteilung der Entwickelung einer künstlerischen Individualität liegt.

Sogleich nach dem Erfolge des Rienzi auf dem Dresdener Hoftheater, fasste die Direktion den Beschluß, auch meinen »fliegenden Holländer« alsbald zur Aufführung bringen zu lassen. Die Annahme dieser Oper von Seiten der Berliner Hoftheaterintendanz war nichts anderes als eine künstlich veranlasste, wohlfeile und durchaus erfolglose Gefälligkeitsbezeigung gewesen. Bereitwillig erfaßte ich das Anerbieten der Dresdener Direktion, und studierte die Oper schnell ein, ohne sonderliche Sorge für die Mittel der Aufführung: das Werk erschien mir unendlich einfacher für die Darstellung, als der vorangegangene Rienzi, die Anordnung der Scene leichter und verständlicher. Die männliche Hauptpartie zwang ich fast einem Sänger auf, der genug Erfahrung und Selbstkenntnis hatte, um sich der Aufgabe nicht gewachsen zu fühlen. – Die Aufführung mißglückte in der Hauptsache durchaus. Dieser Erscheinung gegenüber fühlte sich das Publikum um so weniger zu Erfolgsbezeigungen bestimmt, als es von dem Genre selbst verdrießlich berührt wurde, indem es durchaus etwas dem Rienzi ähnliches erwartet und verlangt hatte, nicht aber etwas ihm geradeweges Entgegengesetztes. Meine Freunde waren betreten über diesen Erfolg; es lag ihnen fast nur daran, seinen Eindruck sich und dem Publikum zu verwischen, und zwar durch eine feurige Wiederaufnahme des Rienzi. Ich selbst war verstimmt genug, um zu schweigen, und den fliegenden Holländer unverteidigt zu lassen.

In meiner, bereits bezeichneten, damaligen Hauptstimmung lag es, daß ich das zunächst Erfolgreiche vorzog, und nach Innen zu mich mit den Hoffnungen betäubte, die in jener bisher erfolgreichen Richtung sich mir darboten. Ich gerieth unter diesen äußeren Eindrücken von Neuem in ein Schwanken, das auf eine stark beunruhigende Weise durch meine Berührungen mit der Schröder-Devrient vermehrt wurde. –

Bereits deutete ich an, welchen außerordentlichen und nachhaltigen Eindruck in früherer Jugend die künstlerische Lebenserscheinung dieser in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Frau auf mich gemacht hatte. Jetzt, nach einer Zwischenzeit von acht Jahren, trat ich mit ihr in persönliche Berührung, deren Grund und Zweck meine künstlerische, mir tief bedeutsame Beziehung zu ihr war. Ich traf diese geniale Natur mit sich und ihrem Wesen in die mannigfaltigsten Widersprüche verwickelt, die mich so beunruhigend mit berührten, als sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit in ihr sich äußerten. Die Verzerrtheit und widerliche Hohlheit unseres modernen Theaterwesens war um so weniger ohne Einfluß auf die Künstlerin geblieben, als diese, weder als Künstlerin noch als Weib, jene kalte Ruhe des Egoismus' besaß, mit der sich z. B. eine Jenny Lind gänzlich außer dem Rahmen des modernen Theaters stellt, und sich frei von jeder kompromittirenden Berührung mit diesem erhält. Die Schröder-Devrient war weder in der Kunst noch im Leben eine Erscheinung jenes Virtuosenthums, das nur durch vollständige Vereinzelung gedeiht und in ihr allein zu glänzen vermag: sie war hier wie dort durchaus Dramatikerin, im vollen Sinne des Wortes; sie war auf die Berührung, auf die Verschmelzung mit dem Ganzen hingedrängt, und dieß Ganze war eben in Leben und Kunst unser soziales Leben und unsere theatralische Kunst. Ich habe nie einen großherzigeren Menschen im Kampfe mit kleinlicheren Vorstellungen gesehen, als die, welche dieser Frau, durch ihre wiederum nothwendige Berührung mit ihrer Umgebung, von Außen zugeführt worden waren. Auf mich wirkte meine innige Theilnahme für dieses künstlerische Weib fast weniger anregend, als peinigend, und zwar peinigend, weil sie mich ohne Befriedigung anregte. Sie studirte die »Senta« in meinem fliegenden Holländer, und gab diese Rolle mit so genial schöpferischer Vollendung, daß ihre Leistung allein diese Oper vor völligem Unverständnisse von Seiten des Publikums rettete, und selbst zur lebhaftesten Begeisterung hinriß. Mir erweckte dieß nun den Wunsch, für sie selbst unmittelbar zu dichten, und ich griff um dieses Zweckes willen zu dem verlassenen Plane der »Sarazenin« zurück, den ich nun schnell zu einem vollständigen scenischen Entwurfe ausführte. Diese ihr vorgelegte Dichtung sprach sie aber wenig an, namentlich um Beziehungen willen, die sie gerade in ihrer damaligen Lage nicht wollte gelten lassen. Ein Grundzug meiner Heldin ging in den Satz aus: »die Prophetin kann nicht wieder Weib werden«. Die Künstlerin wollte aber – ohne es bestimmt auszusprechen – das Weib durchaus nicht aufgeben; und erst jetzt muß ich gestehen, ihren sicheren Instinkt richtig würdigen zu können, wo mir die Erscheinungen, denen gegenüber sich ihr Instinkt geltend machte, verwischt worden sind, wogegen die große Trivialität derselben mich damals in einem Grade anwiderte, daß ich, von ihnen auf die künstlerische Frau zurückblickend, diese in einem ihrer unwürdigen Begehren begriffen halten mußte.

Ich gerieth unter solchen Eindrücken in einen Widerstreit mit mir, der unserer ganzen modernen Entwicklung eigenthümlich ist, und nur von Denen nicht empfunden oder als irgendwie bereits abgemacht angesehen wird, die überhaupt keine Kraft zur Entwicklung haben, und dafür mit angelernten – vielleicht selbst neuesten – Meinungen sich für ihr Anschauungsvermögen begnügen. Ich will versuchen, diesen Widerstreit in Kürze so zu bezeichnen, wie er sich in mir und meinen Verhältnissen äußerte.

Durch die glückliche Veränderung meiner äußeren Lage, durch die Hoffnungen, die ich auf ihre noch günstigere Entwickelung setzte, endlich durch persönliche, in einem gewissen Sinne berauschende Berührungen mit einer mir neuen und geneigten Umgebung, war ein Verlangen in mir genährt, das mich auf Genuß hindrängte, und um dieses Genusses willen mein inneres, unter leidenvollen Eindrücken der Vergangenheit und durch den Kampf gegen sie, in mir gestaltetes Wesen von seiner eigenthümlichen Richtung ablenkte. Ein Trieb, der in jedem Menschen zum unmittelbaren Leben hindrängt, bestimmte mich in meinen besonderen Verhältnissen als Künstler nun in einer Richtung, die mich wiederum sehr bald und heftig anekeln mußte. Dieser Trieb wäre im Leben nur zu stillen gewesen, wenn ich auch als Künstler Glanz und Genuß durch vollständige Unterordnung meines wahren Wesens unter die Anforderungen des öffentlichen Kunstgeschmackes zu erstreben gesucht hätte; ich hätte mich der Mode und der Spekulation auf ihre Schwächen hingeben müssen, und hier, an diesem Punkte, wurde es meinem Gefühle klar, daß ich beim wirklichen Eintritte in diese Richtung vor Ekel zu Grunde gehen müßte. Sinnlichkeit und Lebensgenuß stellten sich somit meinem Gefühle nur in der Gestalt Dessen dar, was unsere moderne Welt als Sinnlichkeit und Lebensgenuß bietet; und als Künstler stellte sich dieß mir als erreichbar wiederum nur in der Richtung dar, die ich bereits als Ausbeutung unseres elenden öffentlichen Kunstwesens kennen gelernt hatte. Im Punkte der wirklichen Liebe beobachtete ich zu gleicher Zeit an einer von mir bewunderten Frau die Erscheinung, daß ein dem meinigen gleiches Verlangen sich nur an den trivialsten Begegnungen befriedigt wähnen durfte, und zwar in einer Weise, daß der Wahn dem Bedürfnisse nie wahrhaft verhüllt werden konnte. – Wandte ich mich nun endlich hiervon mit Widerwillen ab, und verdankte ich die Kraft meines Widerwillens nur meiner bereits zur Selbständigkeit entwickelten, menschlich-künstlerischen Natur, so äußerte sie sich, menschlich und künstlerisch, nothwendig als Sehnsucht nach Befriedigung in einem höheren, edleren Elemente, das, in seinem Gegensatze zu der einzig unmittelbar erkennbaren Genußsinnlichkeit der mich weithin umgebenden modernen Gegenwart in Leben und Kunst, mir als ein reines, keusches, jungfräuliches, unnahbar und ungreifbar liebendes erscheinen mußte. Was endlich konnte diese Liebessehnsucht, das Edelste, was ich meiner Natur nach zu empfinden vermochte, wieder Anderes sein, als das Verlangen nach dem Hinschwinden aus der Gegenwart, nach dem Ersterben in einem Elemente unendlicher, irdisch unvorhandener Liebe, wie es nur mit dem Tode erreichbar schien? Was war aber dennoch im Grunde dieses Verlangen Anderes, als die Sehnsucht der Liebe, und zwar der wirklichen, aus dem Boden der vollsten Sinnlichkeit entkeimten Liebe, – nur einer Liebe, die sich auf dem ekelhaften Boden der modernen Sinnlichkeit eben nicht befriedigen konnte? – Wie albern müssen mir nun die in moderner Lüderlichkeit geistreich gewordenen Kritiker vorkommen, die meinem »Tannhäuser« eine spezifisch christliche, impotent verhimmelnde Tendenz andichten wollen! Das Gedicht ihrer eigenen Unfähigkeit erkennen sie einzig im Gedichte Dessen, den sie eben nicht begreifen können.

Ich habe hier die Stimmung genau bezeichnet, in der mir die Gestalt des Tannhäusers mahnend wiederkehrte, und mich zur Vollendung seiner Dichtung antrieb. Es war eine verzehrend üppige Erregtheit, die mir Blut und Nerven in fiebernder Wallung erhielt, als ich die Musik des Tannhäusers entwarf und ausführte. Meine wahre Natur, die mir im Ekel vor der modernen Welt und im Drange nach einem Edleren und Edelsten ganz wiedergekehrt war, umfing wie mit einer heftigen und brünstigen Umarmung die äußersten Gestalten meines Wesens, die beide in einen Strom: höchstes Liebesverlangen, mündeten. – Mit diesem Werke schrieb ich mir mein Todesurtheil: vor der modernen Kunstwelt konnte ich nun nicht mehr auf Leben hoffen. Dieß fühlte ich; aber noch wußte ich es nicht mit voller Klarheit; – dieß Wissen sollte ich mir erst noch gewinnen.

Zuvörderst habe ich noch mitzutheilen, wie auch durch weitere Erfahrungen von Außen her ich in meiner Richtung bestimmt wurde. – Meine Hoffnungen auf schnelle Erfolge durch Verbreitung meiner Opern auf deutschen Theatern blieben durchaus unerfüllt; von den bedeutendsten Direktionen wurden mir meine Partituren – oft sogar im uneröffneten Pakete – ohne Annahme zurückgeschickt. Nur durch große Bemühungen persönlicher Freundschaft gelang es, in Hamburg den Rienzi zur Aufführung zu bringen: ein durchaus ungeeigneter Sänger verdarb die Hauptpartie, und der Direktor sah sich, bei einem mühsam aufrecht erhaltenen, ungenügenden Erfolge, in seinen ihm erregten Hoffnungen getäuscht. Ich ersah dort zu meinem Erstaunen, daß selbst dieser »Rienzi« den Leuten zu hoch gegeben war. Mag ich selbst jetzt noch so kalt auf dieses mein früheres Werk zurückblicken, so muß ich doch Eines in ihm gelten lassen, den jugendlichen, heroisch gestimmten Enthusiasmus, der ihn durchweht. Unser Publikum hat sich aber an den Meisterwerken der modernen Opernmachkunst gewöhnt, Stoff zu Theaterenthusiasmus sich aus etwas ganz Anderem herauszufinden, als aus der Grundstimmung eines dramatischen Werkes. In Dresden half mir etwas anderes auf, nämlich das rein sinnliche Ungestüm der Erscheinung, die dort unter Umständen, die in diesem Bezuge glücklich waren, und namentlich durch den Glanz der Mittel und des Naturell's des Hauptsängers, in berauschender Weise auf das Publikum wirkte. – Hiergegen machte ich wieder andere Erfahrungen mit dem »fliegenden Holländer«. Bereits hatte der alte Meister Spohr diese Oper schnell in Kassel zur Aufführung gebracht. Dieß war ohne Aufforderung meiner Seits geschehen; dennoch fürchtete ich, Spohr fremd bleiben zu müssen, weil ich nicht einzusehen vermochte, wie meine jugendliche Richtung sich zu seinem Geschmacke verhalten könnte. Wie war ich erstaunt und freudig überrascht, als dieser graue, von der modernen Musikwelt schroff und kalt sich abscheidende, ehrwürdige Meister in einem Briefe seine volle Sympathie mir kundthat, und diese einfach durch die innige Freude erklärte, einem jungen Künstler zu begegnen, dem man es in Allem ansähe, daß es ihm um die Kunst Ernst sei! Spohr, der Greis, blieb der einzige deutsche Kapellmeister, der mit warmer Liebe mich aufnahm, meine Arbeiten nach Kräften pflegte, und unter allen Umständen mir treu und freundlich gesinnt blieb. – Auch in Berlin kam nun der fliegende Holländer zur Aufführung; ich erhielt keinen Grund zu einer eigentlichen Unzufriedenheit mit ihrer Beschaffenheit. Die Erfahrung ihres Eindruckes auf das Publikum war mir hier aber sehr wichtig; die mißtrauischeste, zum Schlechtfinden aufgelegteste Berliner Kälte desselben, die den ganzen ersten Akt über angehalten hatte, ging im Verlaufe des zweiten Aktes in vollste Wärme und Ergriffenheit über. Ich konnte den Erfolg nicht anders als durchaus günstig betrachten: dennoch verschwand die Oper sehr bald vom Repertoir. Ein sicherer Instinkt für das moderne Theaterwesen leitete die Direktion, indem sie diese Oper, selbst wenn sie gefiel, als unpassend für ein Opernrepertoir ansah. Ich erkenne heute, wie richtig hiermit überhaupt über das Wesen der Theaterkunst geurtheilt ist. Ein Stück für das Repertoir, das längere Zeit hindurch, oder vielleicht immer, abwechselnd mit anderen Stücken seines Gleichen, einem Publikum vorgeführt werden soll, darf aus keiner Stimmung entstanden sein, und zu seinem Verständnisse keine Stimmung nöthig haben, die von einer besonderen individuellen Natur ist. Es müssen hierzu Stücke verwandt werden, die entweder von ganz allgemein gleichgiltiger Stimmung oder einer Stimmung überhaupt ganz bar sind, also auch auf die Erweckung einer besonderen Stimmung beim Publikum gar nicht ausgehen, und nur durch den äußerlichen Reiz der Vorführung, durch mehr oder weniger rein persönliche Theilnahme für die darstellenden Virtuosen, eine zerstreuende Unterhaltung zu bewirken im Stande sind. Die Vorführung älterer, sogenannter klassischer Werke, die zu wirklichem Verständnisse allerdings nur durch Erweckung individueller Stimmungen gelangen könnten, ist nirgends das Werk der Überzeugung der Theaterdirektoren, sondern, auch für den Erfolg, nur eine mühsam künstlich erfüllte Forderung unserer ästhetischen Kritik. Die Stimmung, die mein »fliegender Holländer« im glücklichen Falle zu erwecken vermochte, war aber eine so prägnante, ungewohnte und tieferregte, daß selbst Diejenigen, die ganz von ihr erfüllt worden waren, unmöglich häufig und schnell hintereinander aufgelegt sein konnten, in dieselbe Stimmung sich wiederum versetzen zu lassen. Von solchen Stimmungen will ein Publikum, will jeder Mensch, überrascht werden: der heftige und tiefnachwirkende Schlag dieser Überraschung ist – auch als Zweck des Kunstwerkes – das Wohlthätige und Erhebende in der Wirkung einer dramatischen Vorstellung. Dieselbe Überraschung gelingt entweder nie wieder, oder nur bei sehr seltener Wiederholung, und nach allmählich durch das Leben bewirkter Verwischung des empfangenen ersten Eindruckes; wogegen die gewaltsame Anreizung, mit bewußter Absicht diese Überraschung sich zu verschaffen, ein krankhafter Zug unserer modernen Kunstschwelgerei ist. Von Menschen, die sich stets aus dem Leben wahrhaft fortentwickeln, ist, streng genommen, dieselbe Wirkung von der Aufführung desselben dramatischen Werkes gar nie wieder zu gewinnen; und dem erneueten Verlangen könnte nur ein neues Kunstmerk entsprechen, das wiederum aus einer ebenfalls neuen Entwickelungsphase des Künstlers hervorgegangen ist. – Ich berühre hier Das, was ich in der Einleitung gegen das Monumentale in unserem Kunsttreiben aussprach, und bestätige somit aus der Erforschung und vernünftigen Deutung der vorhandenen Erscheinungen, das Bedürfnis; nach dem stets neuen, immer der Gegenwart unmittelbar entsprungenen und ihr allein angehörigen Kunstwerke der Zukunft, das eben nicht als eine monumentale, sondern als eine das Leben selbst, in seinen verschiedensten Momenten wiederspiegelnde, in unendlich wechselnder Vielheit sich kundgebende Erscheinung verstanden werden kann. –

Begriff ich dieß auch zu jener Zeit noch nicht klar, so drängte es als Wahrnehmung sich doch meiner Empfindung auf, und zwar namentlich durch Innewerden des ungemein starken Eindruckes, den mein »fliegender Holländer« auf Einzelne gemacht hatte. In Berlin, wo ich übrigens durchaus unbekannt war, empfing ich von zwei Menschen – einem Manne und einer Frau, die, mir zuvor ganz fremd, der Eindruck des fliegenden Holländers plötzlich mir zugeführt hatte – die erste bestimmte Genugthuung und Aufforderung für die von mir eingeschlagene eigenthümliche Richtung. Von jetzt an verlor ich immer mehr das eigentliche »Publikum« aus den Augen: die Gesinnung einzelner, bestimmter Menschen nahm für mich die Stelle der nie deutlich zu fassenden Meinung der Masse ein, die mir – in diesem Bezuge noch ganz Gedankenlosen – bis dahin in unbestimmtesten Umrissen als der Gegenstand vorgeschwebt hatte, an den ich mich als Dichter mittheilte. Das Verständniß meiner Absicht ward mir immer deutlicher zur Hauptsache, und um dieß Verständniß mir zu versichern, wandte ich mich unwillkürlich nun eben nicht mehr an die mir fremde Masse, sondern an die individuellen Persönlichkeiten, die nur nach ihrer Stimmung und Gesinnung deutlich gegenwärtig waren. Diese bestimmtere Stellung zu Denen, an die ich mich mittheilen wollte, übte von nun an auch einen sehr wichtigen Einfluß auf mein künstlerisches Gestaltungswesen aus. Ist der Trieb, seine Absicht verständlich mitzutheilen, der wahrhaft gestaltunggebende im Künstler, so wird seine Thätigkeit nothwendig durch die Eigenthümlichkeit Dessen bestimmt, von dem er seine Absicht verstanden wissen will. Steht ihm als solcher eine unbestimmte, nie deutlich erkennbare, in ihren Neigungen nie sicher zu erfassende, daher auch nie von ihm selbst wirklich zu verstehende, Masse gegenüber, wie wir sie im heutigen Theaterpublikum vorfinden, so wird der Künstler nothwendig auch für die Darlegung seiner Absicht zu einer verschwimmenden, in das Allgemeine oft willenlos sich verlierenden, undeutlichen Gestaltung, ja – genau genommen – schon für den Stoff selbst bestimmt, der ihm gar nicht anders, als für eine verschwimmende Gestaltung geeignet, beikommen kann. Die aus einer solchen Stellung sich ergebende, ungünstige Beschaffenheit der künstlerischen Arbeit, kam meinem Gefühle jetzt an meinen bisherigen Opern zur Wahrnehmung. Ich empfand, den Erscheinungen der modernen Theaterkunst gegenüber, wohl den bedeutenderen Inhalt meiner Schöpfungen, zugleich aber auch das Unbestimmte, oft Undeutliche der Gestaltung dieses Inhaltes, dem jene nothwendige, scharfe Individualität somit selbst noch nicht zu eigen sein konnte. Richtete ich nun meinen Mittheilungstrieb unwillkürlich an die Empfänglichkeit mir vertrauter, gleichfühlender, bestimmter Individuen, so gewann ich hierdurch die Fähigkeit eines sichereren, deutlicheren Gestaltens. Ich streifte, ohne hierbei mit reflektirter Absichtlichkeit zu Werke zu gehen, das gewohnte Verfahren des Gestaltens in das Massenhafte, immer mehr von mir ab; trennte die Umgebung von dem Gegenstande, der früher oft gänzlich in ihr verschwamm, schärfer ab; hob diesen desto deutlicher hervor, und gewann so die Fähigkeit, die Umgebung selbst aus opernhafter, weitgestreckter Ausdehnung, zu plastischen Gestalten zu verdichten.

Unter solchen Einflüssen, und bei diesem Verfahren, führte ich meinen »Tannhäuser« aus, und vollendete ihn nach wiederholten und verschiedenartigen Unterbrechungen. –

Ich hatte mit dieser Arbeit einen neuen Entwicklungsweg in der mit dem »fliegenden Holländer« eingeschlagenen Richtung zurückgelegt. Mit meinem ganzen Wesen war ich in so verzehrender Weise dabei thätig gewesen, daß ich mich entsinnen muß, wie ich, je mehr ich mich der Beendigung der Arbeit näherte, von der Vorstellung beherrscht wurde, ein schneller Tod würde mich an dieser Beendigung verhindern, so daß ich bei der Aufzeichnung der letzten Note mich völlig froh fühlte, wie als ob ich einer Lebensgefahr entgangen wäre. –

Sogleich nach dem Schlusse dieser Arbeit war es mir vergönnt, zu meiner Erholung eine Reise in ein böhmisches Bad zu machen. Hier, wie jedesmal wenn ich mich der Theaterlampenluft und meinem »Dienste« in ihrer Atmosphäre entziehen konnte, fühlte ich mich bald leicht und fröhlich gestimmt; zum ersten Male machte sich eine, meinem Charakter eigentümliche Heiterkeit, auch mit künstlerischer Bedeutung merklich bei mir geltend. Mit fast willkürlicher Absichtlichkeit hatte ich in der letzten Zeit mich bereits dazu bestimmt, mit Nächstem eine komische Oper zu schreiben; ich entsinne mich, daß zu dieser Bestimmung namentlich der wohlgemeinte Rath guter Freunde mitgewirkt hatte, die von mir eine Oper »leichteren Genre's« verfaßt zu sehen wünschten, weil diese mir den Zutritt zu den deutschen Theatern verschaffen, und so für meine äußeren Verhältnisse einen Erfolg herbeiführen sollte, dessen hartnäckiges Ausbleiben diese allerdings mit einer bedenklichen Wendung zu bedrohen begonnen hatte. Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel auf die Tragödie folgte, erschien mir auf jener Vergnügungsreise plötzlich das Bild eines komischen Spieles, das in Wahrheit als beziehungsvolles Satyrspiel meinem »Sängerkriege auf Wartburg« sich anschließen konnte. Es waren dieß »die Meistersinger zu Nürnberg«, mit Hans Sachs an der Spitze. Ich faßte Hans Sachs als die letzte Erscheinung des künstlerisch produktiven Volksgeistes auf, und stellte ihn mit dieser Geltung der meistersingerlichen Spießbürgerschaft entgegen, deren durchaus drolligem, tabulatur-poetischem Pedantismus ich in der Figur des »Merker's« einen ganz persönlichen Ausdruck gab. Dieser »Merker« war bekanntlich (oder unseren Kritikern vielleicht auch nicht bekanntlich) der von der Singerzunft bestellte Aufpasser, der auf die, den Regeln zuwiderlaufenden Fehler der Vortragenden, und namentlich der Aufzunehmenden, »merken« und sie mit Strichen aufzeichnen mußte: wem so eine gewisse Anzahl von Strichen zugetheilt war, der hatte »versungen«. – Der Älteste der Zunft bot nun die Hand seiner jungen Tochter demjenigen Meister an, der bei einem bevorstehenden öffentlichen Wettsingen den Preis gewinnen würde. Dem Merker, der bereits um das Mädchen freit, entsteht ein Nebenbuhler in der Person eines jungen Rittersohnes, der, von der Lektüre des Heldenbuches und der alten Minnesänger begeistert, sein verarmtes und verfallenes Ahnenschloß verläßt, um in Nürnberg die Meistersingerkunst zu erlernen. Er meldet sich zur Aufnahme in die Zunft, hierzu namentlich durch eine schnell entflammte Liebe zu dem Preismädchen bestimmt, »das nur ein Meister der Zunft gewinnen soll«; zur Prüfung bestellt, singt er ein enthusiastisches Lied zum Lobe der Frauen, das bei dem Merker aber unaufhörlichen Anstoß erregt, so daß der Aspirant schon mit der Hälfte seines Liedes »versungen« hat. Sachs, dem der junge Mann gefällt, vereitelt dann – in guter Absicht für ihn – einen verzweiflungsvollen Versuch das Mädchen zu entführen; hierbei findet er zugleich aber auch Gelegenheit, den Merker entsetzlich zu ärgern. Dieser nämlich, der Sachs zuvor wegen eines immer noch nicht fertigen Paares Schuhe, mit der Absicht, ihn zu demüthigen, grob angelassen hatte, stellt sich in der Nacht vor dem Fenster des Mädchens auf, um ihr das Lied, mit dem er sie zu gewinnen hofft, als Ständchen zur Probe vorzusingen, da es ihm darum zu thun ist, sich ihrer, bei der Preissprechung entscheidenden Stimme dafür zu versichern. Sachs, dessen Schusterwerkstatt dem besungenen Hause gegenüber liegt, fängt beim Beginne des Merker's ebenfalls laut zu singen an, weil ihm – wie er dem darüber Erbosten erklärt – dieß nöthig sei, wenn er so spät sich noch zur Arbeit wach erhalten wolle: daß die Arbeit aber dränge, wisse niemand besser als eben der Merker, der ihn um seine Schuhe so hart gemahnt habe. Endlich verspricht er dem Unglücklichen einzuhalten, nur solle er ihm gestatten, die Fehler, die er nach seinem Gefühle in dem Liede des Merker's finden würde, auch auf seine Art – als Schuster – anzumerken, nämlich jedesmal mit einem Hammerschlage auf den Schuh überm Leisten. Der Merker singt nun: Sachs klopft oft und wiederholt auf den Leisten. Wüthend springt der Merker auf; Jener frägt ihn gelassen, ob er mit seinem Liede fertig sei? »Noch lange nicht«, schreit Dieser. Sachs hält nun lachend die Schuhe zum Laden heraus, und erklärt, sie seien just von den »Merkerzeichen« fertig geworden. Mit dem Reste seines Gesanges, den er in Verzweiflung ohne Absatz herausschreit, fällt der Merker vor der heftig kopfschüttelnden Frauengestalt am Fenster jämmerlich durch. Trostlos hierüber fordert er am anderen Tage von Sachs ein neues Lied zu seiner Brautbewerbung; Dieser giebt ihm ein Gedicht des jungen Ritters, von dem er vorgiebt nicht zu wissen, woher es ihm gekommen sei: nur ermahnt er ihn, genau auf eine passende »Weise« zu achten, nach der es gesungen werden müsse. Der eitle Merker hält sich hierin für vollkommen sicher, und singt nun vor dem öffentlichen Meister- und Volksgerichte das Gedicht nach einer gänzlich unpassenden und entstellenden Weise ab, so daß er abermals, und dießmal entscheidend durchfällt. Wüthend hierüber wirft er Sachs, der ihm ein schändliches Gedicht aufgehängt habe, Betrug vor; Dieser erklärt, das Gedicht sei durchaus gut, nur müsse es nach einer entsprechenden Weise gesungen werden. Es wird festgesetzt, wer die richtige Weise wisse, solle Sieger sein. Der junge Ritter leistet dieß, und gewinnt die Braut; den Eintritt in die Zunft, die ihm nun angeboten wird, verschmäht er aber. Sachs vertheidigt da die Meistersingerschaft mit Humor, und schließt mit dem Reime:

»Zerging' das heil'ge römische Reich in Dunst,
Uns bliebe doch die heil'ge deutsche Kunst.« –

So mein schnell erfundener und entworfener Plan.

Anmerkung des Herausgebers: 10) Dieser Plan ist nur äußerlich der gleiche wie der der nachmaligen »Meistersinger«. Wer sich für die Wandlung näher interessiert, findet in Chamberlains »Richard Wagner«, Textausgabe S. 378 ff. ausgezeichnete Ausführungen hierüber. Der Entwurf des Jahres 1845 ist übrigens in der Zeitschrift »Die Musik«, Jahrg. 1902, zum Abdruck gelangt. In Siegel's Verlag erschien 1907: Richard Wagner: Entwürfe zu »Die Meistersinger von Nürnberg«, »Tristan und Isolde«, »Parsifal«. – Hierin sind drei Entwürfe zu »Meistersingern« in extenso abgedruckt.

Kaum hatte ich ihn niedergeschrieben, so ließ es mir aber auch schon keine Ruhe, den ausführlicheren Plan des »Lohengrin« zu entwerfen. Es geschah dieß während desselben kurzen Badeaufenthaltes, trotz der Ermahnungen des Arztes, mit derlei Dingen mich jetzt nicht zu beschäftigen. Eine besondere Vewandtniß mußte es damit haben, daß ich gerade jetzt so schnell von dem erquicklichen kleinen Ausfluge in das Gebiet des Heiteren, in die sehnsüchtig ernste Stimmung zurückgetrieben ward, mit der ich den »Lohengrin« zu erfassen so leidenschaftlich mich gedrängt fühlte. Mir ist es jetzt klar geworden, aus welchem Grunde jene heitere Stimmung, wie sie sich in der Konzeption der »Meistersinger« zu genügen suchte, von keiner wahrhaften Dauer bei mir sein konnte. Sie sprach sich damals nur erst noch in der Ironie aus, und bezog sich als solche mehr auf das bloß formell-künstlerische meiner Richtung und meines Wesens, als auf den Kern desselben, wie er im Leben selbst wurzelt.

Anmerkung des Herausgebers: 11) Wie in den späteren »Meistersingern« aus jener Ironie die weltüberwindende Heiterkeit Sachsens hervorging und wie das Objekt des »bloß formell-künstlerischen« von Wagners Richtung in ihnen tatsächlich in den Hintergrund trat, um den »Kern seines Wesens, wie er im Leben selbst wurzelt«, als neuen Mittelpunkt zu gewinnen, dazu vergl. die Anm. 10) angeführten Veröffentlichungen.

– Die einzige, für unsere Öffentlichkeit verständliche und deshalb irgendwie wirksame Form des Heiteren ist, sobald in ihr ein wirklicher Gehalt sich kundgeben soll, nur die Ironie. Sie greift das Naturwidrige unserer öffentlichen Zustände bei der Form an, und ist hierin wirksam, weil die Form, als das sinnlich unmittelbar Wahrnehmbare, das Einleuchtendste und Jedem Verständlichste ist; während der Inhalt dieser Form eben das Unbegriffene ist, in welchem wir unbewußt befangen sind, und aus dem wir unwillkürlich immer wieder zur Äußerung in jener, von uns selbst verspotteten Form gedrängt werden. So ist die Ironie selbst die Form der Heiterkeit, in der sie ihrem wirklichen Inhalte und Wesen nach nie zum offenen Durchbruch, zur hellen, ihr selbst eigenthümlichen Äußerung als wirkliche Lebenskraft kommen kann. Der Kern der Erscheinung unserer unnatürlichen Allgemeinheit und Öffentlichkeit, den die Ironie unberührt lassen muß, ist somit nicht für die Kraft der Heiterkeit in ihrer reinsten, eigentümlichsten Kundgebung angreifbar, sondern sie ist es nur für die Kraft, die sich als Widerstand gegen ein Lebenselement äußert, welches mit seinem Drucke eben die reine Kundgebung der Heiterkeit hemmt. So werden wir, wenn wir diesen Druck empfinden, aus der ursprünglichen Kraft der Heiterkeit, und um diese Kraft in ihrer Reinheit wiederzugewinnen, zu einer Widerstandsäußerung getrieben, die sich dem modernen Leben gegenüber nur als Sehnsucht, und endlich als Empörung, somit in tragischen Zügen, kundgeben kann.

Meine Natur reagirte in mir augenblicklich gegen den unvollkommenen Versuch, durch Ironie mich des Inhaltes der Kraft meines Heiterkeitstriebes zu entäußern, und ich muß diesen Versuch jetzt selbst als die letzte Äußerung des genußsüchtigen Verlangens betrachten, das mit einer Umgebung der Trivialität sich aussühnen wollte, und dem ich im Tannhäuser bereits mit schmerzlicher Energie mich entwunden hatte. –

Ist es mir nun aus dem Innersten meiner damaligen Stimmung erklärlich, warum ich von jenem Versuche so plötzlich und mit so verzehrender Leidenschaftlichkeit auf die Gestaltung des Lohengrinstoffes mich warf, so leuchtet mir jetzt aus der Eigenthümlichkeit dieses Gegenstandes selbst auch ein, warum gerade er so unwiderstehlich anziehend und fesselnd mich einnehmen mußte. Es war dieß nicht bloß die Erinnerung daran, wie mir dieser Stoff zum ersten Male im Zusammenhange mit dem Tannhäuser vorgeführt worden war; am allerwenigsten war es haushälterische Sparsamkeit, die mich etwa vermocht hätte, den gesammelten Vorrath nicht umkommen zu lassen: daß ich in diesem Bezuge eher verschwenderisch war, erhellt aus dem Berichte über meine künstlerische Thätigkeit. Im Gegentheile muß ich hier bezeugen, daß damals, als ich im Zusammenhange mit dem Tannhäuser den Lohengrin zuerst kennen lernte, diese Erscheinung mich wohl rührte, keineswegs mich, aber zunächst schon bestimmte, diesen Stoff zur Ausführung mir vorzubehalten. Nicht nur, weil ich zunächst vom Tannhäuser erfüllt worden war, sondern auch weil die Form, in der Lohengrin mir entgegentrat, einen fast unangenehmen Eindruck auf mein Gefühl machte, faßte ich ihn damals noch nicht schärfer in das Auge. Das mittelalterliche Gedicht brachte mir den Lohengrin in einer zwielichtig mystischen Gestalt zu, die mich mit Mißtrauen und dem gewissen Widerwillen erfüllte, den wir beim Anblicke der geschnitzten und bemalten Heiligen an den Heerstraßen und in den Kirchen katholischer Länder empfinden. Erst als der unmittelbare Eindruck dieser Lektüre sich mir verwischt hatte, tauchte die Gestalt des Lohengrin wiederholt und mit wachsender Anziehungskraft vor meiner Seele auf; und diese Kraft gewann von Außen her namentlich auch dadurch Nahrung, daß ich den Lohengrinmythos in seinen einfacheren Zügen, und zugleich nach seiner tieferen Bedeutung, als eigentliches Gedicht des Volkes kennen lernte, wie er aus den läuternden Forschungen der neueren Sagenkunde hervorgegangen ist. Nachdem ich ihn so als ein edles Gedicht des sehnsüchtigen menschlichen Verlangens ersehen hatte, das seinen Keim keinesweges nur im christlichen Übernatürlichkeitshange, sondern in der wahrhaftesten menschlichen Natur überhaupt hat, ward diese Gestalt mir immer vertrauter, und der Drang, um der Kundgebung meines eigenen inneren Verlangens willen mich ihrer zu bemächtigen, immer stärker, so daß er zur Zeit der Vollendung meines Tannhäusers geradesweges zur heftig drängenden Noth ward, die jeden anderen Versuch, mich ihrer Gewalt zu entziehen, gebieterisch von mir wies.

Auch Lohengrin ist kein eben nur der christlichen Anschauung entwachsenes, sondern ein uralt menschliches Gedicht; wie es überhaupt ein gründlicher Irrthum unserer oberflächlichen Betrachtungsweise ist, wenn wir die spezifisch christliche Anschauung für irgendwie urschöpferisch in ihren Gestaltungen halten. Keiner der bezeichnendsten und ergreifendsten christlichen Mythen gehört dem christlichen Geiste, wie wir ihn gewöhnlich fassen, ureigenthümlich an: er hat sie alle aus den rein menschlichen Anschauungen der Vorzeit überkommen und nur nach seiner besonderen Eigenthümlichkeit gemodelt. Von dem widerspruchsvollen Wesen dieses Einflusses sie so zu läutern, daß wir das rein menschliche, ewige Gedicht in ihnen zu erkennen vermögen, dieß war die Aufgabe des neueren Forschers, die dem Dichter zu vollenden übrig bleiben mußte.

Wie der Grundzug des Mythos vom »fliegenden Holländer« im hellenischen Odysseus eine uns noch deutliche frühere Gestaltung aufweist; wie derselbe Odysseus in seinem Loswinden aus den Armen der Kalypso, seiner Flucht vor den Reizungen der Kirke, und seiner Sehnsucht nach dem irdisch vertrauten Weibe der Heimath, die dem hellenischen Geiste erkenntlichen Grundzüge eines Verlangens ausdrückte, das wir im Tannhäuser unendlich gesteigert und seinem Inhalte nach bereichert wiederfinden: so treffen wir im griechischen Mythos, der an und für sich gewiß noch keineswegs ältesten Gestalt desselben, auch schon auf den Grundzug des Lohengrinmythos. Wer kennt nicht »Zeus und Semele«? Der Gott liebt ein menschliches Weib, und naht ihr um dieser Liebe willen selbst in menschlicher Gestalt; die Liebende erfährt aber, daß sie den Geliebten nicht nach seiner Wirklichkeit erkenne, und verlangt nun, vom wahren Eifer der Liebe getrieben, der Gatte solle in der vollen sinnlichen Erscheinung seines Wesens sich ihr kundgeben. Zeus weiß, daß er ihr entschwinden, daß sein wirklicher Anblick sie vernichten muß; er selbst leidet unter diesem Bewußtsein, unter dem Zwange, zu ihrem Verderben das Verlangen der Liebenden erfüllen zu müssen: er vollzieht sein eigenes Todesurtheil, als der menschentödtliche Glanz seiner göttlichen Erscheinung die Geliebte vernichtet. – Hatte etwa Priesterbetrug diesen Mythos gedichtet? Wie thöricht, von der staatlich-religiösen, kastenhaft eigensüchtigen Ausbeutung des edelsten menschlichen Verlangens auf die Gestaltung und wirkliche Bedeutung der Gebilde zurückschließen zu wollen, die einem Wahne entblühten, der den Menschen eben erst zum Menschen machte! Kein Gott hatte die Begegnung des Zeus und der Semele gedichtet, sondern der Mensch in seiner allermenschlichsten Sehnsucht. Wer hatte den Menschen gelehrt, daß ein Gott in Liebesverlangen nach dem Weibe der Erde entbrenne? Gewiß nur der Mensch selbst, der auch dem Gegenstande seiner eigenen Sehnsucht, möge sie noch so hoch hinaus über die Grenzen des irdisch ihm Gewohnten gehen, nur das Wesen seiner rein menschlichen Natur einprägen kann. Aus den höchsten Sphären, in die er durch die Kraft seiner Sehnsucht sich zu schwingen vermag, kann er endlich doch wiederum nur das Reinmenschliche verlangen, den Genuß seiner eigenen Natur als das Allerersehnenswertheste begehren. Was ist nun das eigenthümlichste Wesen dieser menschlichen Natur, zu der die Sehnsucht nach weitesten Fernen sich, zu ihrer einzig möglichen Befriedigung, zurückwendet? Es ist die Nothwendigkeit der Liebe, und das Wesen dieser Liebe ist in seiner wahresten Äußerung Verlangen nach voller sinnlicher Wirklichkeit, nach dem Genusse eines mit allen Sinnen zu fassenden, mit aller Kraft des wirklichen Seins fest und innig zu umschließenden Gegenstandes. Muß in dieser endlichen, sinnlich gewissen Umarmung der Gott nicht vergehen und entschwinden? Ist der Mensch, der nach dem Gotte sich sehnte, nicht verneint, vernichtet? Ist die Liebe in ihrem wahresten und höchsten Wesen somit nicht aber offenbar geworden? – Bewundert, Ihr hochgescheuten Kritiker, das Allvermögen der menschlichen Dichtungskraft, wie es sich im Mythos des Volkes offenbart! Dinge, die Ihr mit Eurem Verstande nie begreifen könnt, sind in ihm, mit einzig so zu ermöglichender, für das Gefühl deutlich greifbarer, sinnlich vollendeter Gewißheit dargethan. –

Das ätherische Gebiet, aus dem der Gott herab nach dem Menschen sich sehnt, hatte durch die christliche Sehnsucht sich in die undenklichsten Fernen ausgedehnt. Dem Hellenen war es noch das wolkige Reich des Blitzes und des Donners, aus dem der lockige Zeus sich herabschwang, um mit kundigem Wissen Mensch zu werden: dem Christen zerfloß der blaue Himmel in ein unendliches Meer schwelgerisch sehnsüchtigen Gefühles, in dem ihm alle Göttergestalten verschwammen, bis endlich nur sein eigenes Bild, der sehnsüchtige Mensch, aus dem Meere seiner Phantasie ihm entgegentreten konnte. Ein uralter und mannigfach wiederholter Zug geht durch die Sagen der Völker, die an Meeren oder an meermündenden Flüssen wohnten: auf dem blauen Spiegel der Wogen nahte ihnen ein Unbekannter von höchster Anmuth und reinster Tugend, der Alles hinriß und jedes Herz durch unwiderstehlichen Zauber gewann; er war der erfüllte Wunsch des Sehnsuchtsvollen, der über dem Meeresspiegel, in jenem Lande, das er nicht erkennen konnte, das Glück sich träumte. Der Unbekannte verschwand wieder, und zog über die Meereswogen zurück, sobald nach seinem Wesen geforscht wurde. Einst, so ging die Sage, war, von einem Schwane im Nachen gezogen, im Scheldelande ein wonniger Held vom Meere her angelangt: dort habe er die verfolgte Unschuld befreit, und einer Jungfrau sich vermählt; da diese ihn aber befrug, wer er sei und woher er komme, habe er wieder von ihr ziehen und Alles verlassen müssen. – Warum diese Erscheinung, als sie mir in ihren einfachsten Zügen bekannt ward, mich so unwiderstehlich anzog, daß ich gerade jetzt, nach der Vollendung des Tannhäuser, nur noch mit ihr mich befassen konnte, dieß sollte durch die nächstfolgenden Lebenseindrücke meinem Gefühle immer deutlicher gemacht werden. –

Mit dem fertigen Entwurfe zu der Dichtung des Lohengrin kehrte ich nach Dresden zurück, um den Tannhäuser zur Aufführung zu bringen. Mit großen Hoffnungen von Seiten der Direktion, und mit nicht unbedeutenden Opfern, die sie der gewünschten Erfüllung dieser Hoffnungen brachte, ward diese Aufführung vorbereitet. Das Publikum hatte mir in der enthusiastischen Aufnahme des Rienzi, und in der kälteren des fliegenden Holländers deutlich vorgezeichnet, was ich ihm bieten müßte, um es zufrieden zu stellen. Seine Erwartung täuschte ich vollständig: verwirrt und unbefriedigt verließ es die erste Vorstellung des Tannhäuser. – Das Gefühl der vollkommensten Einsamkeit, in der ich mich jetzt befand, übermannte mich. Die wenigen Freunde, die von Herzen mit mir sympathisirten, fühlten sich selbst durch das Peinliche meiner Lage so bedrückt, daß die Kundgebung ihrer eigenen unwillkürlichen Verstimmung das einzige befreundete Lebenszeichen um mich war. Eine Woche verging, ehe eine zweite, zur Verbreitung des Verständnisses und zur Berichtigung von Irrthümern so nöthig scheinende Vorstellung des Tannhäuser stattfinden konnte. Diese Woche enthielt für mich das Gewicht eines ganzen Lebens. Nicht verletzte Eitelkeit, sondern der Schlag einer gründlich vernichteten Täuschung betäubte mich damals nach Innen. Es wurde mir klar, daß ich mit dem »Tannhäuser« nur zu den wenigen, mir zunächst vertrauten Freundesherzen gesprochen hatte, nicht aber zu dem Publikum, an das ich mich dennoch durch die Aufführung des Werkes unwillkürlich wandte: hier war ein Widerspruch, den ich für vollkommen unlösbar halten mußte. Nur eine Möglichkeit schien mir vorhanden zu sein, auch das Publikum mir zur Theilnahme zu gewinnen, nämlich – wenn ihm das Verständniß erschlossen würde: hier fühlte ich aber zum ersten Male mit größerer Bestimmtheit, daß der bei uns üblich gewordene Charakter der Opernvorstellungen durchaus Dem widerstreite, was ich von einer Aufführung forderte. – In unserer Oper nimmt der Sänger, mit der ganz materiellen Wirksamkeit seines Stimmorganes, die erste Stelle, der Darsteller aber eine zweite, oder gar wohl nur ganz beiläufige Stellung ein; demgegenüber steht ganz folgerichtig ein Publikum, welches zunächst auf Befriedigung seines wohllüstigen Verlangens des Gehörnerves ganz für sich ausgeht, und von dem Genusse einer dramatischen Darstellung somit fast ganz absieht. Meine Forderung ging nun aber geradesweges auf das Entgegengesetzte aus: ich verlangte in erster Linie den Darsteller, und den Sänger nur als Helfer des Darstellers; somit also auch ein Publikum, welches mit mir dieselbe Forderung stellte. Erst wenn diese Forderung erfüllt war, mußte ich einsehen, daß überhaupt von dem Eindrucke des mitgetheilten Gegenstandes die Rede sein konnte; daß dieser Eindruck aber unbedingt nur ein ganz verwirrter sein mußte, wenn die Erfüllung jener Forderung von keiner Seite her bewerkstelligt wurde. So mußte ich mir in Wahrheit wie ein Wahnsinniger erscheinen, der in die Luft hineinredet, und von dieser verstanden zu werden vermeint; denn ich redete öffentlich von Dingen, die um so unverständlicher bleiben mußten, als die Sprache nicht einmal verstanden ward, in der ich sie kundgab. Das allmählich entstehende Interesse eines Theiles des Publikums für mein Werk dünkte mich so als die gutmüthige Theilnahme befreundeter Menschen an dem Schicksale eines theuren Wahnsinnigen: diese Theilnahme bestimmt uns, auf die Irrereden des Leidenden einzugehen, ihnen einen Sinn zu entrathen, in diesem entrathenen Sinne ihm endlich wohl auch zu antworten, um so seinen traurigen Zustand ihm erträglich zu machen; selbst Gleichgiltigere drängen sich dann wohl herbei, denen es eine pikante Unterhaltung gewährt, die Mittheilungen eines Wahnsinnigen zu vernehmen, und an den ab und zu verständlichen Zügen seines Gesprächs in eine spannende Ungewißheit darüber zu gerathen, ob der Wahnsinnige plötzlich vernünftig, oder ob sie selbst verrückt geworden seien. So und nicht anders begriff ich von nun an meine Stellung zum eigentlichen »Publikum«. Dem mir geneigten Willen der Direktion, und vor Allem dem guten Eifer und dem glücklichen Talente der Darsteller gelang es, meiner Oper einen allmählichen Eingang zu verschaffen. Dieser Erfolg vermochte mich aber nicht mehr zu täuschen; ich wußte jetzt, woran ich mit dem Publikum war, und hätte ich daran noch zweifeln können, so würden mich weitere Erfahrungen vollends zur Genüge darüber haben aufklären müssen.

Die Folgen meiner früheren Verblendung über meine wahre Stellung zum Publikum stellten sich jetzt mit Schrecken ein: die Unmöglichkeit, dem Tannhäuser einen populären Erfolg, oder überhaupt nur Verbreitung auf den deutschen Theatern zu verschaffen, trat mir hell entgegen; und hiermit hatte ich zugleich den gänzlichen Verfall meiner äußeren Lage zu erkennen. Fast nur, um mich vor diesem Verfalle zu retten, that ich noch Schritte für die Verbreitung dieser Oper, und faßte dafür namentlich Berlin in das Auge. Von dem Intendanten der königlich preußischen Schauspiele ward ich mit dem kritischen Bedeuten abgewiesen, meine Oper sei für eine Aufführung in Berlin zu »episch« gehalten. Der Generalintendant der königlich preußischen Hofmusik schien dagegen einer anderen Ansicht zu sein. Als ich durch ihn beim König, um diesen für die Aufführung meines Werkes zu interessiren, um die Erlaubnis; zur Dedikation des Tannhäusers an ihn nachsuchen ließ, erhielt ich als Antwort den Rath, ich möchte, da einerseits der König nur Werke annehme, die ihm bereits bekannt seien, andererseits aber einer Aufführung der Oper auf dem Berliner Hoftheater Hindernisse entgegenstünden, das Bekanntwerden Seiner Majestät mit dem fraglichen Werke zuvor dadurch ermöglichen, daß ich Einiges daraus für Militärmusik arrangirte, was dann dem Könige während der Wachtparade zu Gehör gebracht werden sollte. – Tiefer konnte ich wohl nicht gedemüthigt, und bestimmter zur Erkenntniß meiner Stellung gebracht werden! – Von nun an hörte unsere ganze moderne Kunstöffentlichkeit immer grundsätzlicher auf für mich zu existiren. Aber welches war nun meine Lage? Und welcher Art mußte die Stimmung sein, die gerade jetzt, und diesen Erscheinungen, diesen Eindrücken gegenüber, mich drängte, mit jäher Schnelle die Ausführung des Lohengrin vorzunehmen? – Ich will sie mir und meinen Freunden deutlich zu machen suchen, um zu erklären, welche Bedeutung für mich das Gedicht des Lohengrin haben mußte, und in welcher ich es einzig als künstlerischer Mensch erfassen konnte.

Ich war mir jetzt meiner vollsten Einsamkeit als künstlerischer Mensch in einer Weise bewußt geworden, daß ich zunächst einzig aus dem Gefühle dieser Einsamkeit wiederum die Anregung und das Vermögen zur Mittheilung an meine Umgebung schöpfen konnte. Da sich diese Anregung und dieses Vermögen so kräftig in mir kundgaben, daß ich, selbst ohne alle bewußte Aussicht auf Ermöglichung einer verständlichen Mittheilung, mich dennoch eben jetzt auf das Leidenschaftlichste zur Mittheilung gedrängt fühlte, so konnte dieß nur aus einer schwärmerisch sehnsüchtigen Stimmung hervorgehen, wie sie aus dem Gefühle jener Einsamkeit entstand. – Im Tannhäuser hatte ich mich aus einer frivolen, mich anwidernden Sinnlichkeit – dem einzigen Ausdrucke der Sinnlichkeit der modernen Gegenwart – heraus gesehnt; mein Drang ging nach dem unbekannten Reinen, Keuschen, Jungfräulichen, als dem Elemente der Befriedigung für ein edleres, im Grunde dennoch aber sinnliches Verlangen, nur ein Verlangen, wie es eben die frivole Gegenwart nicht befriedigen konnte. Auf die ersehnte Höhe des Reinen, Keuschen, hatte ich mich durch die Kraft meines Verlangens nun geschwungen: ich fühlte mich außerhalb der modernen Welt in einem klaren heiligen Ätherelemente, das mich in der Verzückung meines Einsamkeitsgefühles mit den wohllüstigen Schauern erfüllte, die wir auf der Spitze der hohen Alpe empfinden, wenn wir, vom blauen Luftmeer umgeben, hinab auf die Gebirge und Thäler blicken. Solche Spitzen erklimmt der Denker, um auf dieser Höhe sich frei, »geläutert« von allem »Irdischen«, somit als höchste Summe der menschlichen Potenz zu wähnen: er vermag hier endlich sich selbst zu genießen, und bei diesem Selbstgenusse, unter der Einwirkung der kälteren Atmosphäre der Alpenhöhe, endlich selbst zum monumentalen Eisgebilde zu erstarren, als welches er, als Philosoph und Kritiker, mit frostigem Selbstbehagen die warme Welt der lebendigen Erscheinungen unter sich betrachtet. Die Sehnsucht, die mich aber auf jene Höhe getrieben, war eine künstlerische, sinnlich menschliche gewesen: nicht der Wärme des Lebens wollte ich entfliehen, sondern der morastigen, brodelnden Schwüle der trivialen Sinnlichkeit eines bestimmten Lebens, des Lebens der modernen Gegenwart. Mich wärmte auch auf jener Höhe der Sonnenstrahl der Liebe, deren wahrhaftigster Drang mich einzig aufwärts getrieben hatte. Gerade diese selige Einsamkeit erweckte mir, da sie kaum mich umfing, eine neue, unsäglich bewältigende Sehnsucht, die Sehnsucht aus der Höhe nach der Tiefe, aus dem sonnigen Glanze der keuschesten Reine nach dem trauten Schatten der menschlichsten Liebesumarmung. Von dieser Höhe gewahrte mein verlangender Blick – das Weib: das Weib, nach dem sich der »fliegende Holländer« aus der Meerestiefe seines Elendes aufsehnte; das Weib, das dem »Tannhäuser« aus den Wohllusthöhlen des Venusberges als Himmelsstern den Weg nach Oben wies, und das nun aus sonniger Höhe Lohengrin hinab an die wärmende Brust der Erde zog. –

Lohengrin suchte das Weib, das an ihn glaubte: das nicht früge, wer er sei und woher er komme, sondern ihn liebte, wie er sei, und weil er so sei, wie er ihm erschiene. Er suchte das Weib, dem er sich nicht zu erklären, nicht zu rechtfertigen habe, sondern das ihn unbedingt liebe. Er mußte deßhalb seine höhere Natur verbergen, denn gerade eben in der Nichtaufdeckung, in der Nichtoffenbarung dieses höheren – oder richtiger gesagt: erhöhten – Wesens konnte ihm die einzige Gewähr liegen, daß er nicht um dieses Wesens willen nur bewundert und angestaunt, oder ihm – als einem Unverstandenen – anbetungsvoll demüthig gehuldigt würde, wo es ihn eben nicht nach Bewunderung und Anbetung, sondern nach dem Einzigen, was ihn aus seiner Einsamkeit erlösen, seine Sehnsucht stillen konnte, – nach Liebe, nach Geliebtsein, nach Verstandensein durch die Liebe, verlangte. Mit seinem höchsten Sinnen, mit seinem wissendsten Bewußtsein, wollte er nichts Anderes werden und sein, als voller, ganzer, warmempfindender und warmempfundener Mensch, also überhaupt Mensch, nicht Gott, d. h. absoluter Künstler. So ersehnte er sich das Weib, – das menschliche Herz. Und so stieg er herab aus seiner wonnig öden Einsamkeit, als er den Hilferuf dieses Weibes, dieses Herzens, mitten aus der Menschheit da unten vernahm. Aber an ihm haftet unabstreifbar der verrätherische Heiligenschein der erhöhten Natur; er kann nicht anders als wunderbar erscheinen; das Staunen der Gemeinheit, das Geifern des Neides, wirft seine Schatten bis in das Herz des liebenden Weibes; Zweifel und Eifersucht bezeugen ihm, daß er nicht verstanden, sondern nur angebetet wurde, und entreißen ihm das Geständniß seiner Göttlichkeit, mit dem er vernichtet in seine Einsamkeit zurückkehrt.– Es mußte mir damals, und muß mir selbst heute noch schwer begreiflich erscheinen, wie das Tieftragische dieses Stoffes und dieser Gestalt unempfunden bleiben, und der Gegenstand dahin mißverstanden werden konnte, daß Lohengrin eine kalte, verletzende Erscheinung sei, die eher Widerwillen, als Sympathie zu erwecken vermöge. Dieser Einwurf ward mir zuerst gemacht von einem mir befreundeten Manne, dessen Geist und Wissen ich hochschätze. An ihm machte ich jedoch zunächst eine Erfahrung, die in der Folge sich mir wiederholt hat, nämlich die, daß beim unmittelbaren Bekanntwerden mit meiner Dichtung nichts Anderes als ein durchaus ergreifender Eindruck sich kundthat, und jener Einwurf sich erst dann einfand, wenn der Eindruck des Kunstwerkes sich verwischte, und der kälteren, reflektirenden Kritik Platz machte.Dieß bezeugt mir neuerdings wieder ein geistreicher Berichterstatter, der während der Aufführung des Lohengrin in Weimar – nach seinem eigenen Geständnisse – keinen Anlaß zur Kritik erhielt, sondern ungestört einem ergreifenden Genusse hingegeben war. Der Zweifel, der ihm nachher entstand, ist zu meiner Freude und liebsten Rechtfertigung, dem wirklichen Künstler zu keiner Zeit angekommen: dieser konnte mich ganz verstehen, was dem kritischen Menschen unmöglich war. Somit war dieser Einwurf nicht ein unwillkürlicher Akt der unmittelbaren Herzensempfindung, sondern ein willkürlicher der vermittelten Verstandesthätigkeit. Ich fand an dieser Erscheinung daher das Tragische des Charakters und der Situation Lohengrin's als eine im modernen Leben tief begründete bestätigt: sie wiederholte sich an dem Kunstwerke und dessen Schöpfer ganz so, wie sie am Helden dieses Gedichtes sich darthat. Den Charakter und die Situation dieses Lohengrin erkenne ich jetzt mit klarster Überzeugung als den Typus des eigentlichen einzigen tragischen Stoffes, überhaupt der Tragik des Lebenselementes der modernen Gegenwart, und zwar von der gleichen Bedeutung für die Gegenwart, wie die »Antigone« – in einem allerdings anderen Verhältnisse – für das griechische Staatsleben es war.Gerade wie meinem Kritiker, mochte es nämlich dem athenischen Staatsmanne ergehen, der unter dem unmittelbaren Eindrucke des Kunstwerkes unbedingt für Antigone sympathisirte, am anderen Tage in der Gerichtssitzung gewiß aber selbst sein staatliches Todesurtheil über die menschliche Heldin aussprach. über dieses höchste und wahrste tragische Moment der Gegenwart hinaus giebt es nur noch die volle Einheit von Geist und Sinnlichkeit, das wirklich und einzig heitere Element des Lebens und der Kunst der Zukunft nach deren höchstem Vermögen. – Ich gestehe, daß mich der Geist der zweifelsüchtigen Kritik selbst so weit ansteckte, eine gewaltsame Motivirung und Abänderung meines Gedichtes ernstlich in Angriff zu nehmen. Durch meine Theilnahme an dieser Kritik war ich für kurze Zeit so sehr aus dem richtigen Verhältnisse zu dem Gedichte gerathen, daß ich wirklich bis dahin abirrte, eine veränderte Lösung zu entwerfen, nach welcher es Lohengrin verstattet sein sollte, seiner enthüllten höheren Natur sich zu Gunsten seines weiteren Verweilens bei Elsa zu begeben. Das vollständig Ungenügende, und in einem höchsten Sinne Naturwidrige dieser Lösung, empfand aber nicht nur ich selbst, der ich in einer Entfremdung meines Wesens sie entwarf, sondern auch mein kritischer Freund: wir fanden gemeinschaftlich, daß das unser modernes kritisches Bewußtsein Beunruhigende in der unabänderlichen Eigenthümlichkeit des Stoffes selbst liege; daß dieser Stoff andererseits aber unser Gefühl so eindrucksvoll anrege und bestimme, daß er in Wahrheit zu uns einen Bezug haben müsse, der seine Vorführung als Kunstwerk uns als eine mächtige Bereicherung unserer Empfindungseindrücke, somit der Fähigkeit unseres Empfindungsvermögens, wünschen lassen müsse. –

In Wahrheit ist dieser »Lohengrin« eine durchaus neue Erscheinung für das moderne Bewußtsein; denn sie konnte nur aus der Stimmung und Lebensanschauung eines künstlerischen Menschen hervorgehen, der zu keiner anderen Zeit als der jetzigen, und unter keinen anderen Beziehungen zur Kunst und zum Leben, als wie sie aus meinen individuellen, eigenthümlichen Verhältnissen entstanden, sich gerade bis auf den Punkt entwickelte, wo mir dieser Stoff als nöthigende Aufgabe für mein Gestalten erschien. Den Lohengrin verstehen konnte somit nur Derjenige, der sich von aller modern abstrahlenden, generalisirenden Anschauungsform für die Erscheinungen des unmittelbaren Lebens frei zu machen vermochte. Wer solche Erscheinungen, wie sie dem individuellsten Gestaltungsvermögen unmittelbar thätiger Lebensbeziehungen entspringen, nur unter einer allgemeinen Kategorie zu fassen versteht, kann an ihnen so gut wie Nichts begreifen, nämlich nicht die Erscheinung, sondern eben nur die Kategorie, in die sie – als in eine voraus fertige – in Wahrheit gar nicht gehört. Wem am Lohengrin nichts weiter begreiflich erscheint, als die Kategorie: Christlich-romantisch, der begreift eben nur eine zufällige Äußerlichkeit, nicht aber das Wesen seiner Erscheinung. Dieses Wesen, als das Wesen einer in Wahrheit neuen, noch nicht dagewesenen Erscheinung, begreift nur dasjenige Vermögen des Menschen, durch das ihm überhaupt erst jede Nahrung für den kategorisirenden Verstand zugeführt wird, und dieß ist das reine sinnliche Gefühlsvermögen. Nur das in seiner sinnlichen Erscheinung vollständig sich darstellende Kunstwerk führt den neuen Stoff aber jenem Gefühlsvermögen mit der nothwendigen Eindringlichkeit zu; und nur wer dieß Kunstwerk in dieser vollständigen Erscheinung empfangen hat, also nur der nach seinem höchsten Empfängnißvermögen vollkommen befriedigte Gefühlsmensch, vermag auch den neuen Stoff vollkommen zu begreifen. Hier nun treffe ich auf den Hauptpunkt des Tragischen in der Situation des wahren Künstlers zum Leben der Gegenwart, eben derselben Situation, die im Stoffe des Lohengrin von mir ihre künstlerische Gestaltung erhielt: – das nothwendigste und natürlichste Verlangen dieses Künstlers ist, durch das Gefühl rückhaltslos aufgenommen und verstanden zu werden; und die – durch das moderne Kunstleben bedingte – Unmöglichkeit, dieses Gefühl in der Unbefangenheit und zweifellosen Bestimmtheit anzutreffen, als er es für sein Verstandenwerden bedarf, – der Zwang, statt an das Gefühl sich fast einzig nur an den kritischen Verstand mittheilen zu dürfen, – dieß eben ist zunächst das Tragische seiner Situation, das ich als künstlerischer Mensch empfinden mußte, und das mir auf dem Wege meiner weiteren Entwickelung so zum Bewußtsein kommen sollte, daß ich endlich in offene Empörung gegen den Druck dieser Situation ausbrach. –

Ich nähere mich nun der Darstellung meiner neuesten Entwickelungsperiode, die ich noch ausführlicher berühren muß, weil der Zweck dieser ganzen Mittheilung hauptsächlich die Berichtigung der scheinbaren Widersprüche, die zwischen dem Wesen meiner künstlerischen Arbeiten und dem Charakter meiner neuerdings ausgesprochenen Ansichten über die Kunst und ihre Stellung zum Leben, aufzufinden wären, und zum Theil von oberflächlichen Kritikern bereits auch aufgestochen worden sind. Zu dieser Darstellung schreite ich durch den ununterbrochenen Bericht meiner künstlerischen Thätigkeit und der ihr zu Grunde liegenden Stimmungen, streng an das Bisherige anknüpfend, fort. –

Die Kritik hatte sich unvermögend erwiesen, die Gestalt der Dichtung meines Lohengrin zu verändern, und die Wärme meines Eifers für ihre vollständige künstlerische Ausführung war durch diesen siegreichen Konflikt meines nothwendigen künstlerischen Gefühles mit dem modernen kritischen Bewußtsein, nur noch glühender angefacht worden: in dieser Ausführung, fühlte ich, lag die Beweisführung für die Richtigkeit meines Gefühles. Es ward meiner Empfindung klar, daß ein wesentlicher Grund zum Mißverständniß der tragischen Bedeutung meines Helden in der Annahme gelegen hatte, Lohengrin steige aus einem glänzenden Reiche leidenlos unerworbener, kalter Herrlichkeit herab, um dieser Herrlichkeit, und der Nichtverletzung eines unnatürlichen Gesetzes willen, das ihn willenlos an jene Herrlichkeit bände, kehre er dem Konflikte der irdischen Leidenschaften den Rücken, um sich seiner Gottheit wieder zu erfreuen. Bekundete sich hierin zunächst der willkürliche Charakter der modernen kritischen Anschauung die von dem unwillkürlichen Eindrucke der Erscheinung absteht, und diesen willkürlich nach sich bestimmt; und hatte ich leicht zu erkennen, daß dieses Mißverständniß eben nur aus einer willkürlichen Deutung jenes bindenden Gesetzes entsprang, welches in Wahrheit kein äußerlich aufgelegtes Postulat, sondern der Ausdruck des nothwendigen inneren Wesens des, aus herrlicher Einsamkeit nach Verständniß durch Liebe Verlangenden ist: so hielt ich mich zur Versicherung des beabsichtigten richtigen Eindruckes mit desto größerer Bestimmtheit an die ursprüngliche Gestalt des Stoffes, die in ihren naiven Zügen mich selbst so unwiderstehlich bestimmt hatte. Um diese Gestalt ganz nach dem Eindrucke, den sie auf mich gemacht, künstlerisch mitzutheilen, verfuhr ich mit noch größerer Treue, als beim »Tannhäuser« in der Darstellung der historisch sagenhaften Momente, durch die ein so außerordentlicher Stoff einzig zu überzeugend wahrer Erscheinung an die Sinne kommen konnte. Dieß bestimmte mich für die scenische Haltung und den sprachlichen Ausdruck in der Richtung, in welcher ich später zur Auffindung von Möglichkeiten geführt wurde, die mir in ihrer notwendigen Konsequenz allerdings eine gänzlich veränderte Stellung der Faktoren des bisherigen opernsprachlichen Ausdruckes zuweisen sollten. Auch nach dieser Richtung hin leitete mich aber immer nur ein Trieb, nämlich, das von mir Erschaute so deutlich und verständlich wie möglich der Anschauung Anderer mitzutheilen; und immer war es auch hier nur der Stoff, der mich in alle Richtungen hin für die Form bestimmte. Höchste Deutlichkeit war in der Ausführung somit mein Hauptbestreben, und zwar eben nicht die oberflächliche Deutlichkeit, mit der sich uns ein seichter Gegenstand mittheilt, sondern die unendlich reiche und mannigfaltige, in der sich einzig ein umfassender, weithin beziehungsvoller Inhalt verständlich darstellt, was aber oberflächlich und an Inhaltsloses Gewöhnten allerdings oft geradesweges unklar vorkommen muß. –

Erst bei diesem Deutlichkeitsstreben in der Ausführung entsinne ich mich, das Wesen des weiblichen Herzens, wie ich es in der liebenden Elsa darzustellen hatte, mit immer größerer Bestimmtheit erfaßt zu haben. Der Künstler kann nur dann zur Fähigkeit überzeugender Darstellung gelangen, wenn er mit vollster Sympathie in das Wesen des Darzustellenden sich zu versetzen vermag. In »Elsa« ersah ich von Anfang herein den von mir ersehnten Gegensatz Lohengrin's, – natürlich jedoch nicht den diesem Wesen fern abliegenden, absoluten Gegensatz, sondern vielmehr das andere Theil seines eigenen Wesens, – den Gegensatz, der in seiner Natur überhaupt mit enthalten, und nur die nothwendig von ihm zu ersehnende Ergänzung seines männlichen, besonderen Wesens ist. Elsa ist das Unbewußte, Unwillkürliche, in welchem das bewußte, willkürliche Wesen Lohengrin's sich zu erlösen sehnt; dieses Verlangen ist aber selbst wiederum das unbewußte Nothwendige, Unwillkürliche im Lohengrin, durch das er dem Wesen Elsa's sich verwandt fühlt. Durch das Vermögen dieses »unbewußten Bewußtseins«, wie ich es selbst mit Lohengrin empfand, kam mir auch die weibliche Natur – und zwar gerade als es mich zur treuesten Darstellung ihres Wesens drängte – zu immer innigerem Verständnisse. Es gelang mir, mich durch dieses Vermögen so vollständig in dieses weibliche Wesen zu versetzen, daß ich zu gänzlichem Einverständnisse mit der Äußerung desselben in meiner liebenden Elsa kam. Ich mußte sie so berechtigt finden in dem endlichen Ausbruche ihrer Eifersucht, daß ich das rein menschliche Wesen der Liebe gerade in diesem Ausbruche erst ganz verstehen lernte; und ich litt wirklichen, tiefen, – oft in heißen Thränen mir entströmenden – Jammer, als ich unabweislich die tragische Notwendigkeit der Trennung, die Vernichtung der beiden Liebenden empfand. Dieses Weib, das sich mit hellem Wissen in ihre Vernichtung stürzt um des notwendigen Wesens der Liebe willen, – das, wo es mit schwelgerischer Anbetung empfindet, ganz auch untergehen will, wenn es nicht ganz den Geliebten umfassen kann; dieses Weib, das in ihrer Berührung gerade mit Lohengrin untergehen mußte, um auch diesen der Vernichtung preiszugeben; dieses so und nicht anders lieben könnende Weib, das gerade durch den Ausbruch ihrer Eifersucht erst aus der entzückten Anbetung in das volle Wesen der Liebe geräth, und dieß Wesen dem hier noch Unverständnißvollen an ihrem Untergange offenbart; dieses herrliche Weib, vor dem Lohengrin noch entschwinden mußte, weil er es aus seiner besonderen Natur nicht verstehen konnte – ich hatte es jetzt entdeckt: und der verlorene Pfeil, den ich nach dem geahnten, noch nicht aber gewußten, edlen Funde abschoß, war eben mein Lohengrin, den ich verloren geben mußte, um mit Sicherheit dem wahrhaft Weiblichen auf die Spur zukommen, das mir und aller Welt die Erlösung bringen soll, nachdem der männliche Egoismus, selbst in seiner edelsten Gestaltung, sich selbstvernichtend vor ihm gebrochen hat. – Elsa, das Weib, – das bisher von mir unverstandene und nun verstandene Weib, – diese notwendigste Wesenäußerung der reinsten, sinnlichen Unwillkür, – hat mich zum vollständigen Revolutionär gemacht. Sie war der Geist des Volkes, nach dem ich auch als künstlerischer Mensch zu meiner Erlösung verlangte. –

Doch dieses selig empfundene Wissen lebte zunächst noch still in meinem einsamen Herzen: nur allmählich reifte es zum lauten Bekenntniß. –

Ich muß jetzt meiner äußeren Lebensstellung gedenken, wie sie sich in jener Zeit gestaltete, wo ich – bei häufigen und langen Unterbrechungen – an der Ausführung des Lohengrin arbeitete. Diese Stellung war die meiner inneren Stimmung widersprechendste. Ich zog mich in immer größere Einsamkeit zurück, und lebte in innigem Umgange fast nur noch mit einem Freunde, der in der vollen Sympathie für meine künstlerische Entwicklung so weit ging, den Trieb und die Neigung zur Entwicklung und Geltendmachung seiner eigenen künstlerischen Fähigkeiten – wie er mir selbst erklärte – fahren zu lassen. Nichts Anderes konnte ich so wünschen, als in ungestörter Zurückgezogenheit schaffen zu können; die Möglichkeit der, wiederum mir einzig nöthigen, verständnißvollen Mittheilung des Geschaffenen, kümmerte mich damals kaum. Ich konnte mir sagen, daß meine Einsamkeit nicht eine egoistisch von mir aufgesuchte, sondern lediglich von der Öde weit um mich herum mir ganz von selbst geoffenbarte sei. Nur ein widerlich fesselndes Band hielt mich noch an unsere öffentlichen Kunstzustände fest, – die Verpflichtung, auf möglichen Gewinn aus meinen Arbeiten bedacht zu sein, um meiner äußeren Lage aufzuhelfen. So hatte ich noch immer für äußeren Erfolg zu sorgen, trotzdem ich diesem für mich und mein inneres Bedürfniß bereits gänzlich entsagt hatte. Die Annahme meines »Tannhäuser« war mir in Berlin verweigert; nicht mehr für mich, sondern für Andere besorgt, bemühte ich mich dort um die Aufführung meines für mich längst abgethanen »Rienzi«. Hierzu bestimmte mich einzig die Erfahrung des Erfolges dieser Oper in Dresden, und die Berechnung des äußeren Vortheiles, den ein ähnlicher Erfolg, bei den dort gewährten Tantiemen von den Einnahmen der Vorstellungen, mir in Berlin bringen sollte. – Ich entsinne mich jetzt mit Schrecken, in welchen Pfuhl von Widersprüchen der übelsten Art diese bloße Besorgniß um äußeren Erfolg, bei meinen schon damals fest stehenden künstlerisch menschlichen Gesinnungen, mich brachte. Ich mußte mich dem ganzen modernen Laster der Heuchelei und Lügenhaftigkeit ergeben: Leuten, die ich in Grund und Boden verachtete, schmeichelte ich oder mindestens verbarg ich ihnen sorgsam meine innere Gesinnung, weil sie, den Umständen gemäß, die Macht über Erfolg oder Nichterfolg meiner Unternehmung hatten; klugen Menschen, die auf der meinem wahren Wesen entgegengesetzten Seite standen, und von denen ich wußte, daß sie mich ebenso mißtrauisch beargwöhnten, als sie selbst mir innerlich zuwider waren, suchte ich durch künstliche Unbefangenheit Mißtrauen und Argwohn zu benehmen, wobei ich doch wiederum deutlich empfand, daß mir dieß nie wirklich gelingen konnte. Dieß Alles mußte natürlich auch ohne den einzig beabsichtigten Erfolg bleiben, weil ich nicht anders als sehr stümperhaft zu lügen verstand: meine immer wieder durchbrechende aufrichtige Gesinnung konnte mich aus einem gefährlichen Menschen nur noch zu einem lächerlichen machen. Nichts schadete mir z. B. mehr, als daß ich, im Gefühl des Besseren was ich zu leisten vermochte, in einer Ansprache an das Künstlerpersonale beim Beginn der Generalprobe, das Übertriebene der Anforderungen für den Kraftaufwand, das sich im Rienzi vorfand, und dem die Künstler mit großer Anstrengung zu entsprechen hatten, als eine von mir begangene »künstlerische Jugendsünde« bezeichnete: die Rezensenten brachten diese Äußerung ganz warm vor das Publikum, und gaben diesem sein Verhalten gegen ein Werk an, das der Komponist selbst als ein »durchaus verfehltes« bezeichnet hätte, und dessen Vorführung vor das kunstgebildete Berliner Publikum somit eine züchtigungswerthe Frechheit sei. – So hatte ich meinen geringen Erfolg in Berlin in Wahrheit mehr auf meine schlecht gespielte Rolle des Diplomaten, als auf meine Oper zu beziehen, die, wenn ich mit vollem Glauben an ihren Werth und an meinen Eifer, diesen Werth zur Geltung zu bringen, an das Werk gegangen wäre, vielleicht dasselbe Glück gemacht hätte, was Werken von bei weitem geringerer Wirkungskraft dort zu Theil wurde.

Es war ein gräßlicher Zustand, in welchem ich von Berlin zurückkehrte; nur Diejenigen, welche meine oft anhaltenden Ausbrüche einer ausgelassenen ironischen Lustigkeit mißverstanden, konnten sich darüber täuschen, daß ich mich jetzt um so unglücklicher fühlte, als ich selbst mit dem nothgedrungenen Versuche zu meiner Selbstentehrung – gemeinhin Lebensklugheit genannt – durchgefallen war. Nie ward mir der scheußliche Zwang, mit dem ein unzerreißbarer Zusammenhang unserer modernen Kunst- und Lebenszustände ein freies Herz sich unterjocht und zum schlechten Menschen macht, klarer, als in jener Zeit. War hier für den Einzelnen ein anderer Ausweg zu finden, als – der Tod? Wie lächerlich mußten mir die klugen Albernen erscheinen, die in der Sehnsucht nach diesem Tode ein »durch die Wissenschaft bereits überwundenes«, und daher verwerfliches Moment »christlicher Überspanntheit« finden zu müssen glaubten! Bin ich in dem Verlangen, mich der Nichtswürdigkeit der modernen Welt zu entwinden, Christ gewesen, – nun so war ich ein ehrlicherer Christ als alle Die, die mir jetzt den Abfall vom Christenthume mit impertinenter Frömmigkeit vorwerfen. –

Eines hielt mich aufrecht: meine Kunst, die für mich eben nicht ein Mittel zum Ruhm- und Gelderwerb, sondern zur Kundgebung meiner Anschauungen an fühlende Herzen war. Als ich nun auch die Macht des äußeren Zwanges, der zuletzt mich noch zur Spekulation auf äußeren Erfolg hingedrängt hatte, von mir wies, ward ich gerade jetzt erst recht deutlich inne, wie unerläßlich nothwendig es mir sei, um die Bildung des künstlerischen Organes mich zu bemühen, durch das ich mich in meinem Sinne mittheilen konnte. Dieses Organ war das Theater, oder besser: die theatralische Darstellungskunst, die von mir jetzt immer mehr als das einzig erlösende Moment für den Dichter erkannt wurde, der sein Gewolltes erst durch dieses Moment zur befriedigend gewissen, sinnlich gekonnten That erhoben sieht. In diesem über Alles wichtigen Punkte hatte ich mich bisher immer mehr nur den Fügungen des Zufalles überlassen: jetzt fühlte ich, daß es hier, an einem bestimmten Orte, unter bestimmten Umständen gelte, das Richtige und Nöthige zu Stande zu bringen, und daß dieß nie zu Stande käme, wenn nicht in einer nächsten Nähe Hand dazu angelegt würde. Der Gewinn der Möglichkeit, meine künstlerischen Absichten durch die theatralische Darstellungskunst irgendwo – also am besten gerade hier in Dresden, wo ich war und wirkte – vollkommen sinnlich verwirklicht zu sehen, erschien mir von jetzt ab als das nächste Erzielenswerthe; und bei diesem Streben sah ich vorläufig ganz von der Beschaffenheit des Publikums ab, das ich mir schon dadurch zu gewinnen dachte, daß ihm scenische Darstellungen von der geistig sinnlichen Vollendung vorgeführt würden, daß die zu erringende Theilnahme seines rein menschlichen Gefühles nach einer höheren Richtung leicht sich bestimmen ließe.

In diesem Sinne wandte ich mich nun zu dem Kunstinstitute zurück, an dessen Leitung ich jetzt bereits gegen sechs Jahre als Kapellmeister betheiligt gewesen war. Ich sage: ich wandte mich zu ihm zurück, weil meine bis dahin gemachten Erfahrungen mich bereits zu einer hoffnungslosen Gleichgiltigkeit gegen dasselbe gestimmt hatten. – Der Grund meiner inneren Abneigung gegen die Annahme der Kapellmeisterstelle an irgend einem Theater, und gerade auch bei einem Hoftheater, war mir im Verlaufe meiner Verwaltung dieser Stelle zu immer deutlicherem Bewußtsein klar geworden. Unsere Theaterinstitute haben im Allgemeinen keinen anderen Zweck, als eine allabendlich zu wiederholende, nie energisch begehrte, sondern vom Spekulationsgeiste aufgedrungene und von der sozialen Langeweile unserer großstädtischen Bevölkerungen mühelos dahingenommene, Unterhaltung zu besorgen. Alles, was vom rein künstlerischen Standpunkte aus gegen diese Bestimmung des Theaters reagirte, hat sich von je als wirkungslos erwiesen. Nur daraus konnte ein Unterschied entstehen, wem diese Unterhaltung verschafft werden sollte: dem in künstlicher Rohheit erzogenen Pöbel der Städte wurden grobe Späße und krasse Ungeheuerlichkeiten vorgeführt; den sittsamen Philister unserer Bürgerklassen vergnügten moralische Familienstücke; den feiner gebildeten, durch Kunstluxus verwöhnten höheren und höchsten Klassen mundeten nur raffinirtere, oft mit ästhetischen Grillen garnirte Kunstgerichte. Der eigentliche Dichter, der sich ab und zu mit seinen Ansprüchen durch die der drei genannten Klassen hindurch geltend zu machen suchte, ward stets mit einem, nur unserem Theaterpublikum eigentümlichen Hohne, dem Hohne der Langeweile, zurückgewiesen, – mindestens so lange, als er nicht als Antiquität zur Garnirung jenes Kunstgerichtes willfährig und tauglich geworden war. Das Besondere der größeren Theaterinstitute besteht nun darin, daß sie in ihren Leistungen sämmtliche drei Klassen des Publikums zu befriedigen suchen; ihnen ist ein Zuschauerraum gegeben, in welchem sich jene Klassen schon nach der Höhe ihrer Geldbeiträge vollständig von sich absondern, und so den Künstler in die Lage versetzen, Diejenigen, an die er sich mittheilen soll, bald in dem sogenannten Paradiese, bald im Parterre, bald in den Ranglogen aufzusuchen. Der Direktor solcher Institute, der zunächst keine andere Aufgabe hat, als auf Gelderwerb auszugehen, hat nun abwechselnd die verschiedenen Klassen des Publikums zu befriedigen: er thut dieß, gewöhnlich mit Berücksichtigung des bürgerlichen Charakters der Tage der Woche, durch Vorführung der verschiedenartigsten Produkte der Theaterstückschreibekunst, indem er heute z.B. eine grobe Zote, morgen ein Philisterstück, und am dritten Tage eine pfiffig zugerichtete Delikatesse für Feinschmecker vorführt. Die eigentliche Aufgabe muß nun bleiben, aus allen drei genannten Hauptgattungen ein Genre von Theaterstücken zu Stande zu bringen, welches gemacht sei dem ganzen Publikum auf einmal zu genügen, und mit großer Energie hat die moderne Oper diese Aufgabe erfüllt: sie hat das Gemeine, Philisterhafte und Raffinirte in einen Topf geworfen, und setzt nun dieß Gericht dem Kopf an Kopf gedrängten gemeinsamen Theaterpublikum vor. Der Oper ist es so gelungen, den Pöbel raffinirt, den Vornehmen pöbelhaft, die gesammte Zuschauermasse aber zu einem pöbelhaft raffinirten Philister zu machen, der sich in der Gestalt des Theaterpublikums jetzt nun mit seinen verwirrten Anforderungen dem Manne gegenüber stellt, der die Leitung eines Kunstinstitutes übernimmt.

Diese Stellung wird den Theaterdirektor weiter nicht beunruhigen, der es eben nur darauf abzusehen hat, dem »Publikum« das Geld aus der Tasche zu locken; die hierauf bezügliche Aufgabe wird auch mit großem Takte und nie fehlender Sicherheit von jedem Direktor unserer großen oder kleinen städtischen Theater gelöst. Verwirrend wirkt diese Stellung aber auf Denjenigen, der von einem fürstlichen Hofe zur Leitung ganz desselben Institutes berufen wird, das aber darin von jenen Anstalten sich unterscheidet, daß ihm der Schutz des Hofes in der Zusicherung der Deckung vorkommender Ausfälle in den Einnahmen verliehen ist. Vermöge dieses sichernden Schutzes müßte sich der Direktor eines solchen Hoftheaters bestimmt fühlen, von der Spekulation auf den bereits verdorbenen Geschmack der Masse abzusehen, und vielmehr auf die Hebung dieses Geschmackes dadurch zu wirken, daß der Geist der theatralischen Vorführungen nach dem Ermessen der höheren Kunstintelligenz bestimmt werde. In Wahrheit ist dieß auch ursprünglich bei Gründung der Hoftheater die wohlgemeinte Absicht geistvoller Fürsten, wie Joseph II., gewesen; sie hat sich auch als Tradition bis auf die Hoftheaterintendanten der neueren Zeit fortgepflanzt. Zwei praktische Umstände hinderten aber die Geltendmachung dieser – an und für sich mehr hochmüthig wohlwollend chimärischen, als wirklich erreichbaren – Absicht: erstlich, die persönliche Unfähigkeit des bestellten Intendanten, der meistens ohne Rücksicht auf etwa gewonnene Fachkenntniß oder selbst nur natürliche Disposition für Kunstempfänglichkeit, aus der Reihe der Hofbeamten gewählt wurde; und zweitens: die Unmöglichkeit, der Spekulation auf den Geschmack des Publikums in Wahrheit zu entsagen. Gerade die reichlichere Unterstützung der Hoftheater an Geldmitteln war nur zu Vertheuerung des künstlerischen Materials verwendet worden, für dessen Heranbildung gründlich zu sorgen den sonst so erziehungssüchtigen Leitern unseres Staates, mit Bezug auf die theatralische Kunst, nie eingefallen war; und hierdurch steigerte sich die Kostspieligkeit dieser Institute so sehr, daß gerade auch dem Direktor eines Hoftheaters die Spekulation auf das zahlende Publikum, ohne dessen thätigste Mithilfe die Ausgaben nicht zu erschwingen waren, zur reinen Nothwendigkeit wurde. Diese Spekulation nun in dem Sinne jedes anderen Theaterunternehmers glücklich auszuüben, machte dem vornehmen Hoftheaterintendanten aber wiederum das Gefühl von seiner höheren Aufgabe unmöglich, die – bei seiner persönlichen Unbefähigung, diese Aufgabe nach ihrer richtigen Bedeutung zu fassen – jedoch unglücklicher Weise nur im Sinne eines gänzlich inhaltslosen Hofdünkels verstanden, und dahin aufgegriffen werden konnte, daß wegen irgend einer unsinnigen Veranstaltung der Intendant sich damit entschuldigte, bei einem Hoftheater ginge dieß Niemand etwas an. Somit kann die Wirksamkeit eines heutigen Hoftheaterintendanten nothgedrungen nur in dem beständig zur Schau getragenen Konflikte eines schlechten Spekulationsgeistes mit einem höfischbornirten Hochmuthe bestehen. Die Einsicht in diese Nothwendigkeit ist so leicht zu gewinnen, daß ich hier dieser Stellung nur erwähnt, nicht aber sie selbst näher beleuchtet haben will.

Daß sich Keiner, auch der am besten Gestimmte und, um der Ehre willen, für das Gute am zugänglichsten Disponirte, den zwingenden Einwirkungen dieser unnatürlichen Stellung entziehen kann, sobald er sie eben nicht gänzlich aufzugeben sich entschließt, dieß mußte mir aus meinen Dresdener Erfahrungen vollkommen ersichtlich werden. Diese Erfahrungen selbst umständlicher zu bezeichnen, glaube ich gewiß nicht nöthig zu haben; kaum wird es der Versicherung bedürfen, daß ich unter den immer erneuten und immer wieder für fruchtlos erkannten Versuchen, der persönlichen Geneigtheit meines Intendanten für mich einen entscheidend günstigen Einfluß auf die Theaterangelegenheiten abzugewinnen, endlich selbst in einen martervoll schwankenden, unsicheren, tappend irrenden und widerspruchsvollen Gang gerieth, von dem ich mich nur durch vollständiges Zurückziehen und Beschränken aus meine strikte Pflicht, zu befreien vermochte.

Wandte ich mich nun aus dieser Zurückgezogenheit wieder dem Theater zu, so konnte dieß, nach der erfahrenen Fruchtlosigkeit aller vereinzelten Versuche, nur im Sinne einer grundsätzlichen gänzlichen Umgestaltung desselben sein. Ich mußte erkennen, daß ich hier nicht mit einzelnen Erscheinungen, sondern mit einem großen Zusammenhange von Erscheinungen zu thun hatte, von dem ich allmählich immer mehr inne werden mußte, daß auch er wiederum in einem unendlich weit verzweigten Zusammenhange mit unseren ganzen politischen und sozialen Zuständen enthalten sei. Auf dem Wege des Nachsinnens über die Möglichkeit einer gründlichen Änderung unserer Theaterverhältnisse, ward ich ganz von selbst auf die volle Erkenntniß der Nichtswürdigkeit der politischen und sozialen Zustände Hingetrieben, die aus sich gerade keine anderen öffentlichen Kunstzustände bedingen konnten, als eben die von mir angegriffenen. – Diese Erkenntniß war für meine ganze weitere Lebensentwickelung entscheidend.

Nie hatte ich mich eigentlich mit Politik beschäftigt. Ich entsinne mich jetzt, den Erscheinungen der politischen Welt genau nur in dem Maaße Aufmerksamkeit zugewendet zu haben, als in ihnen der Geist der Revolution sich kundthat, nämlich, als die reine menschliche Natur sich gegen den politisch-juristischen Formalismus empörte: in diesem Sinne war ein Kriminalfall für mich von demselben Interesse, wie eine politische Aktion. Stets konnte ich nur für den Leidenden Partei nehmen, und zwar ganz in dem Grade eifrig, als er sich gegen irgend welchen Druck wehrte: niemals habe ich es vermocht, irgend einer politisch konstruktiven Idee zu lieb diese Parteinahme fallen zu lassen. Daher war meine Theilnahme an der politischen Erscheinungswelt insofern stets künstlerischer Natur gewesen, als ich unter ihrer formellen Äußerung auf ihren rein menschlichen Inhalt blickte: erst wenn ich dieses Formelle, wie es sich aus juristisch-traditionellen Rechtspunkten gestaltet, von den Erscheinungen abstreifen, und auf ihren inhaltlichen Kern als rein menschliches Wesen treffen konnte, vermochten sie mir Sympathie abzugewinnen; denn hier ersah ich dann genau dasselbe drängende Motiv, was mich als künstlerischen Menschen aus der schlechten sinnlichen Form der Gegenwart zum Gewinn einer neuen, dem wahren menschlichen Wesen entsprechenden, sinnlichen Gestaltung heraustrieb, – einer Gestaltung, die eben nur durch Vernichtung der sinnlichen Form der Gegenwart, also durch die Revolution zu gewinnen ist.

So war ich von meinem künstlerischen Standpunkte aus, namentlich auch auf dem bezeichneten Wege des Sinnens über die Umgestaltung des Theaters,Ich hebe dieß gerade hervor, so abgeschmackt es auch von Denen aufgefaßt wird, die sich über mich, als »Revolutionär zu Gunsten des Theaters«, lustig machen. bis dahin gelangt, daß ich die Notwendigkeit der hereinbrechenden Revolution von 1848 vollkommen zu erkennen im Stande war. – Die politisch formelle Richtung, in die sich damals – zumal in Deutschland – zunächst der Strom der Bewegung ergoß, täuschte mich über das wahre Wesen der Revolution wohl nicht: doch hielt es mich anfangs noch fern von irgend welcher Betheiligung an ihr. Ich vermochte es, einen umfassenden Plan zur Reorganisation des Theaters auszuarbeiten, um mit ihm, sobald die revolutionäre Frage an dieses Institut gelangen würde, gut gerüstet hervorzutreten. Es entging mir nicht, daß bei einer voraus zu sehenden neuen Ordnung des Staatshaushaltes, der Zweck der Unterstützungsgelder für das Theater einer peinlichen Kritik ausgesetzt sein würde: sobald es hierzu käme, und, wie vorauszusehen war, ein öffentlicher Nutzen aus der Verwendung jener Gelder nicht begriffen werden würde, sollte mein vorgelegter Plan zunächst das Geständniß dieser Nutz- und Zwecklosigkeit nicht nur vom staatsökonomischen, sondern namentlich eben auch vom Standpunkte des rein künstlerischen Interesses aus, enthalten; zugleich aber den wahren Zweck der theatralischen Kunst vor der bürgerlichen Gesellschaft und die Notwendigkeit, einem solchen Zwecke alle nöthigen Mittel der Erreichung zur Verfügung zu stellen. Denjenigen vorführen, die mit gerechter Entrüstung im bisherigen Theater ein nutzloses, oder gar schädliches öffentliches Institut ersahen.

Es geschah dieß Alles in der Voraussetzung einer friedlichen Lösung der Obschwebenden, mehr reformatorischen als revolutionären Fragen, und des ernstlichen Willens von Oben herab, die wirkliche Reform selbst zu bewerkstelligen. Der Gang der politischen Ereignisse mußte mich bald eines Anderen belehren: Reaktion und Revolution stellten sich nackt einander gegenüber, und die Nothwendigkeit trat hervor, ganz in das Alte zurückzukehren, oder gar mit dem Alten zu brechen. Die von mir gemachte Wahrnehmung der höchsten Unklarheit der streitenden Parteien über das Wesen und den eigentlichen Inhalt der Revolution, bestimmte mich eines Tages selbst öffentlich gegen die bloß politisch formelle Auffassung der Revolution, und für die Nothwendigkeit, daß der rein menschliche Kern derselben deutlich in das Auge gefaßt werde, mich auszusprechen.

Anmerkung des Herausgebers: 12) Wie unpolitisch Wagners Idee einer »Menschheitsrevolution« von allem Anfange war und wie sie im Grunde nichts anderes bedeutete, als das, was er später unter dem Begriffe der »Menschheitsregeneration« zusammenfaßte, dazu vergl. man auch Chamberlains »Richard Wagner« S. 172 ff. – Der Gebrauch des Wortes Revolution für die nötige gänzliche Umschaffung, nicht bloße Verbesserung des Theaters findet übrigens sein Gegenbild in der berühmten Stelle aus Kant, wo mit demselben Worte und aus demselben Geiste die Forderung einer völligen Umwandlung unserer Erziehungsanstalten aufgestellt wird: »Es ist vergeblich von einer allmählichen Verbesserung unserer Schulen etwas zu erwarten. Sie müssen umgeschaffen werden, wenn etwas Gutes aus ihnen entstehen soll... Nicht eine langsame Reform, sondern eine schnelle Revolution kann dieses bewirken.«

An dem Erfolge dieses Schrittes gewahrte ich nun erst ersichtlich, wie es bei unseren Politikern um die Erkenntniß des Geistes der Revolution stand, und daß eine wirkliche Revolution nie von Oben, vom Standpunkte der erlernten Intelligenz, sondern nur von Unten, aus dem Drange des rein menschlichen Bedürfnisses, zu Stande kommen kann. Die Lüge und Heuchelei der politischen Parteien erfüllte mich mit einem Ekel, der mich zunächst wieder in die vollste Einsamkeit zurücktrieb.

Hier verzehrte sich mein nach Außen ungestillter Drang wieder in künstlerischen Entwürfen. Zwei solcher Entwürfe, die mich bereits seit längerer Zeit beschäftigt hatten, stellten sich mir jetzt fast zugleich dar, wie sie der Eigentümlichkeit ihres Inhaltes nach mir überhaupt fast für Eins galten. Noch wahrend der musikalischen Ausführung des »Lohengrin«, bei der ich mich immer wie in einer Oase in der Wüste gefühlt hatte, bemächtigten sich beide Stoffe meiner dichterischen Phantasie: es waren dieß »Siegfried« und »Friedrich der Rothbart«. –

Nochmals, und zum letzten Male, stellten sich mir Mythos und Geschichte gegenüber, und drängten mich dießmal sogar zu der Entscheidung, ob ich ein musikalisches Drama oder ein rezitirtes Schauspiel zu schreiben hätte. Ich habe es mir für hier aufbehalten, über den hier zu Grunde liegenden Konflikt mich genauer mitzutheilen, weil ich erst hierbei zu einer bestimmten Lösung und somit zum Bewußtsein über die Natur dieser Frage gelangte.

Seit meiner Rückkehr aus Paris nach Deutschland, hatte mein Lieblingsstudium das des deutschen Alterthumes ausgemacht. Ich erwähnte bereits näher des damals tief mich erfüllenden Verlangens nach der Heimath. Diese Heimath konnte in ihrer gegenwärtigen Wirklichkeit mein Verlangen auf keine Weise befriedigen, und ich fühlte, daß meinem Triebe ein tieferer Drang zu Grunde lag, der in einer anderen Sehnsucht seine Nahrung haben mußte, als eben nur im Verlangen nach der modernen Heimath. Wie um ihn zu ergründen, versenkte ich mich in das urheimische Element, das uns aus den Dichtungen einer Vergangenheit entgegentritt, die uns um so wärmer und anziehender berührt, als die Gegenwart uns mit feindseliger Kälte von sich abstößt. Alle unsere Wünsche und heißen Triebe, die in Wahrheit uns in die Zukunft hinübertragen, suchen wir aus den Bildern der Vergangenheit zu sinnlicher Erkennbarkeit zu gestalten, um so für sie die Form zu gewinnen, die ihnen die moderne Gegenwart nicht verschaffen kann. In dem Streben, den Wünschen meines Herzens künstlerische Gestalt zu geben, und im Eifer, zu erforschen, was mich denn so unwiderstehlich zu dem urheimathlichen Sagenquelle hinzog, gelangte ich Schritt für Schritt in das tiefere Alterthum hinein, wo ich denn endlich zu meinem Entzücken, und zwar eben dort im höchsten Alterthume, den jugendlich schönen Menschen in der üppigsten Frische seiner Kraft antreffen sollte. Meine Studien trugen mich so durch die Dichtungen des Mittelalters hindurch bis auf den Grund des alten urdeutschen Mythos; ein Gewand nach dem anderen, das ihm die spätere Dichtung entstellend umgeworfen hatte, vermochte ich von ihm abzulösen, um ihn so endlich in seiner keuschesten Schönheit zu erblicken. Was ich hier ersah, war nicht mehr die historisch konventionelle Figur, an der uns das Gewand mehr als die wirkliche Gestalt interessiren muß; sondern der wirkliche, nackte Mensch, an dem ich jede Wallung des Blutes, jedes Zucken der kräftigen Muskeln, in uneingeengter, freiester Bewegung erkennen durfte: der wahre Mensch überhaupt.

Gleichzeitig hatte ich diesen Menschen auch in der Geschichte aufgesucht. Hier boten sich mir Verhältnisse, und nichts als Verhältnisse; den Menschen sah ich aber nur insoweit, als ihn die Verhältnisse bestimmten, nicht aber, wie er sie zu bestimmen vermocht hätte. Um auf den Grund dieser Verhältnisse zu kommen, die in ihrer zwingenden Kraft den stärksten Menschen zum Vergeuden seiner Kraft an ziellose und nie erreichte Zwecke nöthigten, betrat ich von Neuem den Boden des hellenischen Alterthumes, und ward auch hier endlich wiederum nur auf den Mythos hingewiesen, in welchem ich den Grund auch dieser Verhältnisse erkannte: nur waren in diesem Mythos jene sozialen Verhältnisse in ebenso einfachen, bestimmten und plastischen Zügen kundgegeben, als ich zuvor in ihm schon die menschliche Gestalt selbst erkannt hatte; und auch von dieser Seite her leitete mich der Mythos gerade wieder einzig auf diesen Menschen als den unwillkürlichen Schöpfer der Verhältnisse hin, die in ihrer dokumental-monumentalen Entstellung als Geschichtsmomente, als überlieferte irrthümliche Vorstellungen und Rechtsverhältnisse, endlich den Menschen zwangvoll beherrschten, und seine Freiheit vernichteten.

Hatte mich nun schon längst die herrliche Gestalt des Siegfried angezogen, so entzückte sie mich doch vollends erst, als es mir gelungen war, sie, von aller späteren Umkleidung befreit, in ihrer reinsten menschlichen Erscheinung vor mir zu sehen. Erst jetzt auch erkannte ich die Möglichkeit, ihn zum Helden eines Drama's zu machen, was mir nie eingefallen war, so lange ich ihn nur aus dem mittelalterlichen Nibelungenliede kannte. – Zugleich mit ihm war mir aus dem Studium der Geschichte aber auch Friedrich I. entgegengetreten: er erschien mir, wie er dem sagengestaltenden deutschen Volke erschienen war, als eine geschichtliche Wiedergeburt des altheidnischen Siegfried. Als die politischen Bewegungen der letzten Zeit hereinbrachen, und in Deutschland zunächst im Verlangen nach politischer Einheit sich kundgaben, mußte es mich dünken, als ob Friedrich I. dem Volke näher liegen und eher verständlich sein würde, als der rein menschliche Siegfried. Schon hatte ich den Plan zu einem Drama entworfen, das in fünf Akten Friedrich vom ronkalischen Reichstage bis zum Antritte seines Kreuzzuges darstellen sollte. Unbefriedigt wandte ich mich aber immer wieder von dem Plane ab. Nicht die bloße Darstellung einzelner geschichtlicher Momente hatte mich zu dem Entwurfe veranlaßt, sondern der Wunsch, einen großen Zusammenhang von Verhältnissen in der Weise vorzuführen, daß er nach einer leicht überschaulichen Einheit erfaßt und verstanden werden sollte. Um meinen Helden, und die Verhältnisse, die er mit ungeheurer Kraft zu bewältigen strebt, um endlich selbst von ihnen bewältigt zu werden, zu einem deutlichen Verständnisse zu bringen, mußte ich mich, gerade dem geschichtlichen Stoffe gegenüber, zum Verfahren des Mythus hingedrängt fühlen: die ungeheure Masse geschichtlicher Vorfälle und, Beziehungen, aus der doch kein Glied ausgelassen werden durfte, wenn ihr Zusammenhang verständlich zu überblicken sein sollte, eignete sich weder für die Form, noch für das Wesen des Drama's. Hätte ich dieser nothwendigen Forderung der Geschichte entsprechen wollen, so wäre mein Drama ein unübersehbares Konglomerat von dargestellten Vorfällen geworden, die das Einzige, was ich eigentlich darstellen wollte, in Wahrheit gar nicht zum Vorschein hätten kommen lassen; und ich würde daher mit meinem Drama künstlerisch genau in denselben Fall gekommen sein, wie der Held: nämlich, von den Verhältnissen, die ich bewältigen, d. h. gestalten wollte, würde ich selbst überwältigt und erdrückt worden sein, ohne meine Absicht zum Verständnisse gebracht zu haben, wie Friedrich seinen Willen nicht zur Ausführung bringen konnte. Ich hätte, um meine Absicht zu erreichen, daher die Masse der Verhältnisse selbst durch freie Gestaltung bewältigen müssen, und würde sonach in ein Verfahren gerathen sein, das die Geschichte geradesweges aufgehoben hatte.Meine Studien, die ich in diesem Sinne machte, und durch deren nothwendigen Charakter ich eben bestimmt wurde von dem Vorhaben abzustehen, legte ich vor einiger Zeit, unter dem Titel »die Wibelungen«, in einer kleinen Schrift meinen Freunden – allerdings nicht der historisch-juristischen Kritik – öffentlich vor. – das Widerspruchsvolle hiervon mußte mir aber einleuchten; denn eben das Charakteristische des Friedrich war es für mich, daß er ein geschichtlicher Held sein sollte. Wollte ich nun zum mythischen Gestalten greifen, so hätte ich in letzter und höchster, dem modernen Dichter aber ganz unerreichbarer, Gestaltung endlich bei dem reinen Mythos ankommen müssen, den nur das Volk bis jetzt gedichtet hat, und den ich in reichster Vollendung bereits im – Siegfried vorgefunden hatte.

Ich kehrte jetzt – zu derselben Zeit, wo ich mit dem widerlichen Eindrucke, den die politisch-formelle Tendenz in dem inhaltslosen Treiben unserer Parteien auf mich machte, von der Öffentlichkeit mich zurückzog – zum »Siegfried« zurück, und zwar nun auch mir vollem Bewußtsein von der Untauglichkeit der reinen Geschichte für die Kunst. Zugleich aber hatte ich hiermit ein künstlerisch formelles Problem für mein Bewußtsein mit Bestimmtheit gelöst, und dieß war die Frage über die Giltigkeit des reinen (nur gesprochenen) Schauspieles für das Drama der Zukunft. Diese Frage stellte sich mir keinesweges vom formell spekulativen Kunststandpunkte aus vor, sondern ich gerieth auf sie einzig durch die Beschaffenheit des darzustellenden dichterischen Stoffes, die mich allein nur noch für die Gestaltung bestimmte. Als mich äußere Anregungen veranlaßten, mich mit dem Entwürfe des »Friedrich Rothbart« zu beschäftigen, kam mir nicht einen Augenblick ein Zweifel darüber an, daß es sich hier nur um ein gesprochenes Schauspiel, keinesweges aber um ein musikalisch auszuführendes Drama handeln könnte. In der Periode meines Lebens, wo ich meinen Rienzi konzipirte, hätte es mir vielleicht ankommen können, auch den »Rothbart« für einen Opernstoff zu halten; jetzt, wo es mir nicht mehr darauf ankam, Opern zu schreiben, sondern überhaupt meine dichterischen Anschauungen in der lebendigsten künstlerischen Form, im Drama, mitzutheilen, fiel es mir nicht im Entferntesten ein, einen historischpolitischen Gegenstand anders, als im gesprochenen Schauspiele auszuführen. Als ich nun diesen Stoff aber aufgab, geschah dieß keinesweges aus Bedenken, die mir etwa als Operndichter und Komponisten erwachsen wären, und mir es verwehrt hätten, aus dem Fache, in welchem ich geübt war, herauszutreten: sondern es kam dieß – wie ich zeigte – lediglich daher, daß ich die Ungeeignetheit des Stoffes für das Drama überhaupt einsehen lernen mußte, und auch dieß ward mir nicht einzig aus künstlerisch formellen Bedenken klar, sondern aus derselben Unbefriedigung meines rein menschlichen Gefühls, welches im wirklichen Leben durch den politischen Formalismus unserer Zeit verletzt wurde. Ich fühlte, daß ich das Höchste, was ich vom rein menschlichen Standpunkte aus erschaute und mitzutheilen verlangte, in der Darstellung eines historisch-politischen Gegenstandes nicht mittheilen konnte; daß die bloße verständliche Schilderung von Verhältnissen mir die Darstellung der rein menschlichen Individualität unmöglich machte; daß ich demnach hier das Einzige und Wesentliche, worauf es mir ankam, nur zu errathen gegeben, nicht aber wirklich und sinnlich an das Gefühl vorgeführt haben würde: und aus diesem Grunde verwarf ich mit dem historisch-politischen Gegenstande zugleich nothwendig auch diejenige dramatische Kunstform, in der er einzig noch vorzuführen gewesen wäre; denn ich erkannte, daß diese Form nur aus jenem Gegenstande hervorgegangen, und durch ihn zu rechtfertigen war; daß sie aber gänzlich unvermögend sei, den, von mir nun einzig nur noch in das Auge gefaßten, rein menschlichen Gegenstand überzeugend an das Gefühl mitzutheilen, und daß demnach mit dem Verschwinden des historisch-politischen Gegenstandes, nothwendig in Zukunft auch die Schauspielform, als eine für den neuen Gegenstand ungenügende, unbehilfliche und mangelhafte, verschwinden müßte.

Ich sagte, daß mich zum Aufgeben eines Schauspielstoffes nicht meine Fachstellung als Opernkomponist veranlaßt habe; nichtsdestoweniger habe ich aber zu bestätigen, daß eine Erkenntniß des Wesens des Schauspieles und des, diese Form bedingenden, historisch-politischen Gegenstandes, wie sie mir aufging, allerdings einem absoluten Schauspieldichter oder dramatischen Litteraten nicht entstehen konnte, sondern lediglich einem künstlerischen Menschen, der eine Entwicklung, wie die meinige es war, unter der Einwirkung des Geistes der Musik nahm. – Bereits als ich meine Pariser Periode besprach, theilte ich mit, daß ich die Musik und mein Innehaben derselben als den guten Engel ansähe, der mich, bei meiner Empörung gegen die schlechte moderne öffentliche Kunst, als Künstler bewahrte und vor einer bloß litterarisch-kritischen Thätigkeit behütete. Bei dieser Gelegenheit behielt ich es mir vor, den Einfluß näher zu bezeichnen, den meine musikalische Stimmung auf mein künstlerisches Gestalten ausübte. Ist die Beschaffenheit dieses Einflusses gewiß auch Keinem entgangen, der die Darstellung des Entstehens meiner Dichtungen aufmerksam verfolgte, so muß ich hier doch noch bestimmter darauf zurückkommen, weil gerade jetzt dieser Einfluß bei einer wichtigen künstlerischen Entscheidung mir zum vollen Bewußtsein kam. –

Noch mit dem »Rienzi« hatte ich nur im Sinne eine »Oper« zu schreiben; ich suchte mir zu diesem Zwecke Stoffe, und, nur um die »Oper« bekümmert, nahm ich diese aus fertigen, auch der Form nach bereits mit künstlerischer Absicht gestalteten Dichtungen;Hierin kam ich also für das Formelle nicht weiter, als der geschickte Lortzing in seinem Fache, der sich ebenfalls fertige Theaterstücke als Operntexte zurecht machte. ein dramatisches Märchen von Gozzi, ein Schauspiel von Shakespeare, endlich einen Roman von Bulwer richtete ich mir eigens zum Zwecke der Oper her. Beim Rienzi erwähnte ich bereits, daß ich den Stoff, wie es übrigens bei der Natur eines historischen Romanes gar nicht anders thunlich war, freier nach meinen Eindrücken von ihm bearbeitete, und zwar in der Weise, wie ich ihn – so drückte ich mich aus – durch die »Opernbrille« gesehen hatte. Mit dem »fliegenden Holländer«, dessen Entstehen aus besonderen eigenen Lebensstimmungen ich schon genauer bezeichnet habe, schlug ich eine neue Bahn ein, indem ich selbst zum künstlerischen Dichter eines Stoffes ward, der mir nur in seinen einfach rohen Zügen als Volkssage vorlag. Ich war von nun an in Bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter, und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward ich wieder Musiker. Allein ich war ein Dichter, der des musikalischen Ausdrucksvermögens für die Ausführung seiner Dichtungen sich im Voraus bewußt war; ich hatte dieses Vermögen so weit geübt, daß ich meiner Fähigkeit, es zur Verwirklichung einer dichterischen Absicht zu verwenden, vollkommen inne war, und auf die Hilfe dieser Fähigkeit beim Fassen dichterischer Entwürfe nicht nur sicher rechnen, sondern in dem Wissen hiervon diese Entwürfe selbst freier nach dichterischer Notwendigkeit gestalten konnte, als wenn ich sie mit besonderer Absicht für die Musik gestaltet hätte. Zuvor hatte ich die Fähigkeit des musikalischen Ausdruckes mir in der Weise anzueignen gehabt, wie man eine Sprache erlernt. Wer eine fremde, ungewohnte Sprache noch nicht vollkommen inne hat, muß in Allem, was er spricht, auf die Eigenheit dieser Sprache Rücksicht nehmen; um sich verständlich auszudrücken, muß er fortwährend auf diesen Ausdruck selbst bedacht sein, und was er sprechen will, absichtlich für ihn berechnen. Er ist somit für jede seiner Kundgebungen in der Beobachtung der formellen Regeln der Sprache befangen, und hierbei kann er noch nicht so ganz aus seinem unwillkürlichen Gefühle heraus sprechen, wie es ihm um das Herz ist, was er empfindet und was er erschaut; er muß vielmehr seine Empfindungen und Anschauungen für ihre Kundgebung selbst nach dem Ausdrucke modeln, dessen er nicht so mächtig ist wie der Muttersprache, in der er, gänzlich unbekümmert um den Ausdruck, den richtigen Ausdruck, ohne es zu wollen, von selbst findet. Jetzt hatte ich aber die Sprache der Musik vollkommen erlernt; ich hatte sie jetzt inne wie eine wirkliche Muttersprache; in dem, was ich kundzugeben hatte, durfte ich mich nicht mehr um das Formelle des Ausdruckes sorgen: er stand mir zu Gebote ganz wie ich seiner bedurfte, um eine bestimmte Anschauung oder Empfindung nach innerem Drange mitzutheilen. Eine ungewohnte Sprache spricht man ohne Mühe aber nur dann vollkommen richtig, wenn man ihren Geist in sich aufgenommen hat, wenn man in dieser Sprache selbst empfindet und denkt, und somit genau eben Das aussprechen will, was ihrem Geiste nach einzig in ihr ausgesprochen werden kann. Erst wenn wir ganz aus dem Geiste einer Sprache heraus sprechen, ganz unwillkürlich in ihm empfinden und denken, erwächst uns aber auch die Fähigkeit, diesen Geist selbst zu erweitern, das in der Sprache Auszudrückende mit dem Ausdrucke zugleich zu bereichern und auszudehnen. Das in der musikalischen Sprache Auszudrückende sind nun aber einzig Gefühle und Empfindungen: sie drückt den von unserer, zum reinen Verstandesorgan gewordenen Wortsprache abgelösten Gefühlsinhalt der rein menschlichen Sprache überhaupt in vollendeter Fülle aus. Was somit der absoluten musikalischen Sprache für sich unausdrückbar bleibt, ist die genaue Bestimmung des Gegenstandes des Gefühles und der Empfindung, an welchem diese selbst zu sicherer Bestimmtheit gelangen: die ihm nothwendige Erweiterung und Ausdehnung des musikalischen Sprachausdruckes besteht demnach im Gewinne des Vermögens, auch das Individuelle, Besondere, mit kenntlicher Schärfe zu bezeichnen, und dieses gewinnt sie nur in ihrer Vermählung mit der Wortsprache. Nur aber dann kann diese Vermählung eine erfolgreiche sein, wenn die musikalische Sprache zu allernächst an das ihr Befreundete und Verwandte der Wortsprache anknüpft; genau da hat die Verbindung vor sich zu gehen, wo in der Wortsprache selbst bereits ein unabweisliches Verlangen nach wirklichem, sinnlichem Gefühlsausdrucke sich kundgiebt. Dieß bestimmt sich aber einzig nach dem Inhalte des Auszudrückenden, inwiefern dieser aus einem Verstandes- zu einem Gefühlsinhalte wird. Ein Inhalt, der einzig dem Verstande faßlich ist, bleibt einzig auch nur der Wortsprache mittheilbar; je mehr er aber zu einem Gefühlsmomente sich ausdehnt, desto bestimmter bedarf er auch eines Ausdruckes, den ihm in entsprechender Fülle endlich nur die Tonsprache ermöglichen kann. Hiernach bestimmt sich ganz von selbst der Inhalt Dessen, was der Wort-Tondichter auszusprechen hat: es ist das von aller Konvention losgelöste Reinmenschliche.

Mit der gewonnenen Fähigkeit, in der Tonsprache frei nach meiner Unwillkür zu sprechen, konnte ich natürlich auch nur im Geiste dieser Sprache mich mitzutheilen haben, und wo es mich als künstlerischen Menschen am entscheidendsten zur Mittheilung drängte, bestimmte sich der Inhalt meiner Mittheilung nothwendig nach dem Geiste des Ausdrucksvermögens, das mir als höchstes zu eigen war. Die dichterischen Stoffe, die mich zum künstlerischen Gestalten drängten, konnten nur von der Natur sein, daß sie vor Allem mein Gefühlswesen, nicht mein Verstandeswesen einnahmen: nur das Reinmenschliche, von allem Historischformellen Losgelöste konnte mich, sobald es mir in seiner wirklichen, natürlichen und von Außen nicht getrübten Gestalt zur Erscheinung kam, zur Theilnahme stimmen, und zur Mittheilung des Erschauten anregen. Was ich erschaute, erblickte ich jetzt nur aus dem Geiste der Musik, nicht aber der Musik, deren formelle Bestimmungen mich für den Ausdruck noch befangen gehalten hätten, sondern der Musik, die ich vollkommen inne hatte, in der ich mich ausdrückte wie in einer Muttersprache. Mit diesem Vermögen konnte ich mich jetzt frei und ungehemmt nur noch auf das Auszudrückende richten; nur noch der Gegenstand des Ausdruckes war mir das für mein Gestalten Beachtenswerthe. Gerade durch die gewonnene Fähigkeit des musikalischen Ausdruckes ward ich somit Dichter, weil ich mich nicht mehr auf den Ausdruck selbst, sondern auf den Gegenstand desselben als gestaltender Künstler zu beziehen hatte. Ohne auf die Bereicherung des musikalischen Ausdrucksvermögens auszugehen, mußte ich dieses doch ganz von selbst ausdehnen durch die Gegenstände, um deren Ausdruck es mir zu thun war.

In der Natur des Fortschrittes aus dem musikalischen Empfindungswesen zur Gestaltung dichterischer Stoffe lag es nun ganz von selbst bedingt, daß ich den verschwimmenderen, allgemeineren Gefühlsinhalt dieser Stoffe zu immer deutlicherer, individuellerer Bestimmtheit verdichtete, und so endlich da ankommen mußte, wo der unmittelbar auf das Leben sich beziehende Dichter sicher und fest das durch den musikalischen Ausdruck Kundzugebende bezeichnet und von sich aus bestimmt. Wer daher aufmerksam die Bildung der drei hier vorgelegten Dichtungen betrachtet, wird finden, wie ich im »fliegenden Holländer« in weitesten, vagesten Umrissen Das zeichnete, was ich im »Tannhäuser«, und endlich im »Lohengrin« mit immer deutlicherer Bestimmtheit zu sicherer Gestaltung brachte. Indem ich mich bei diesem Verfahren immer mehr auf das wirkliche Leben zu beziehen vermochte, mußte ich zu einer bestimmten Zeit, und unter bestimmten äußeren Eindrücken, endlich selbst wohl so weit kommen, daß sich mir ein dichterischer Stoff, wie der besprochene »Friedrich Rothbart«, darbot, für dessen Gestaltung ich dem musikalischen Ausdrucke geradesweges hätte entsagen müssen. Gerade hier aber war es, wo mein bisher unbewußtes Verfahren in seiner künstlerischen Nothwendigkeit mir zum Bewußtsein kommen mußte. An diesem Stoffe, der mich der Musik gänzlich vergessen gemacht hätte, ward ich der Geltung wahrer dichterischer Stoffe überhaupt inne; und da, wo ich mein musikalisches Ausdrucksvermögen unbenutzt hätte lassen müssen, fand ich auch, daß ich meine gewonnene dichterische Fähigkeit der politischen Spekulation unterzuordnen, somit meine künstlerische Natur überhaupt zu verläugnen gehabt haben würde. – Gerade hier erhielt ich aber auch die dringendste Veranlassung, über die Natur des geschichtlich-politischen Lebens dem rein menschlichen Leben gegenüber mir zum Bewußtsein zu kommen, und als ich den »Friedrich«, mit dem ich mich diesem politischen Leben am dichtesten genähert hatte, mit vollem Wissen und Willen aufgab, um desto bestimmter und gewisser in Dem, was ich wollte, den »Siegfried« vorzunehmen, hatte ich eine neue und entscheidendste Periode meiner künstlerischen und menschlichen Entwickelung angetreten, die Periode des bewußten künstlerischen Wollens auf einer vollkommen neuen, mit unbewußter Notwendigkeit von mir eingeschlagenen Bahn, auf der ich nun als Künstler und Mensch einer neuen Welt entgegenschreite. –

Ich habe hier den Einfluß bezeichnet, den mein Innehaben des Geistes der Musik auf die Wahl meiner dichterischen Stoffe, und ihre wiederum dichterische Gestaltung ausübte; demnächst habe ich nun darzustellen, welche Rückwirkung mein auf diese Weise bestimmtes dichterisches Verfahren wiederum auf meinen musikalischen Ausdruck und dessen Form äußerte. – Dieser rückwirkende Einfluß gab sich in der Hauptsache in zwei Momenten kund: in der dramatisch-musikalischen Form überhaupt, und in der Melodie in's Besondere.

Bestimmte mich, von dem bezeichneten Wendepunkt meiner künstlerischen Richtung an, ein- für allemal der Stoff, und zwar der mit dem Auge der Musik ersehene Stoff, so mußte ich in seiner Gestaltung nothwendig bis zur allmählichen gänzlichen Aufhebung der mir überlieferten Opernform fortschreiten. Diese Opernform war an und für sich nie eine bestimmte, das ganze Drama umfassende Form, sondern vielmehr nur ein willkürliches Konglomerat einzelner kleinerer Gesangstücksformen, die in ihrer ganz zufälligen Aneinanderreihung von Arien, Duetten, Terzetten u. s. w., mit Chören und sogenannten Ensemblestücken, in Wahrheit das Wesen der Opernform ausmachten. Bei der dichterischen Gestaltung meiner Stoffe kam es mir nun unmöglich mehr auf eine entsprechende Ausfüllung dieser vorgefundenen Formen an, sondern einzig auf eine gefühlsverständliche Darstellung des Gegenstandes im Drama überhaupt. In dem ganzen Verlaufe des Drama's sah ich keine anderen Abschnitte oder Unterscheidungen möglich, als die Akte, in welchen der Ort oder die Zeit, oder die Scenen, in welchen die Personen der Handlung wechseln. Die plastische Einheit des mythischen Stoffes brachte es nun mit sich, daß in meiner scenischen Anordnung alles kleine Detail, wie es zur Erklärung verwickelter historischer Vorfälle dem modernen Schauspieldichter unentbehrlich ist, durchaus unnöthig war, und die Kraft der Darstellung auf wenige, immer wichtige und entscheidende Momente der Entwicklung konzentrirt werden konnte. Bei diesen wenigeren Scenen, in denen jedesmal eine entscheidende Stimmung sich zur vollen Geltung zu bringen hatte, durfte ich in der Ausführung mit einer, bereits in der Anlage wohlberechneten, den Gegenstand erschöpfenden Andauer verweilen; ich war nicht genöthigt, mit Andeutungen nur mich zu begnügen, und – um der äußeren Ökonomie willen – hastig von einer Andeutung zur anderen mich zu wenden; sondern ich konnte mit der nöthigen Ruhe den einfachen Gegenstand bis in seine letzten, dem dramatischen Verständnisse klar zu erschließenden Beziehungen, deutlich darstellen. Durch die so sich bestimmende Natur des Stoffes war ich beim Entwurfe meiner Scenen nicht im mindesten gedrängt, auf irgend welche musikalische Form im Voraus Rücksicht zu nehmen, weil sie selbst die musikalische Ausführung, als eine ihnen durchaus nothwendige, aus sich bedangen. Bei dem immer sichereren Gefühle hiervon konnte mir es somit gar nicht mehr einfallen, die nothwendig aus der Natur der Scenen erwachsende musikalische Form durch willkürliche äußere Annahmen, durch gewaltsame Einpfropfung der konventionellen Operngesangstücksformen, in ihrer natürlichen Gestaltung zu unterbrechen und zu hemmen. Somit ging ich durchaus nicht grundsätzlich, etwa als reflektirender Formumänderer, auf die Zerstörung der Arien-, Duett- oder sonstigen Opernform aus; sondern die Auslassung dieser Form erfolgte ganz von selbst aus der Natur des Stoffes, um dessen gefühlsverständliche Darstellung durch den ihm nothwendigen Ausdruck es mir ganz allein zu thun war. Das unwillkürliche Wissen von jener traditionellen Form beeinflußte mich noch bei meinem »fliegenden Holländer« so sehr, daß jeder aufmerksam Prüfende erkennen wird, wie sie mich hier oft noch für die Anordnung meiner Scenen bestimmte; und erst allmählich, mit dem »Tannhäuser«, und noch entschiedener im »Lohengrin«, also nach immer deutlicher gewonnener Erfahrung von der Natur meiner Stoffe und der ihnen nöthigen Darstellungsweise, entzog ich mich jenem formellen Einflüsse gänzlich, und bedang die Form der Darstellung immer bestimmter nur nach der Erforderniß und der Eigenthümlichkeit des Stoffes und der Situation.

Auf das Gewebe meiner Musik äußerte dieses, durch die Natur des dichterischen Gegenstandes bestimmte Verfahren, einen ganz besonderen Einfluß in Bezug auf die charakteristische Verbindung und Verzweigung der thematischen Motive. Wie die Fügung meiner Scenen alles ihnen fremdartige, unnöthige Detail ausschloß, und alles Interesse nur auf die vorwaltende Hauptstimmung leitete, so fügte sich auch der ganze Bau meines Drama's zu einer bestimmten Einheit, deren leicht zu übersehende Glieder eben jene wenigeren, für die Stimmung jederzeit entscheidenden Scenen oder Situationen ausmachten: keine Stimmung durfte in einer dieser Scenen angeschlagen werden, die nicht in einem wichtigen Bezüge zu den Stimmungen der anderen Scenen stand, so die Entwicklung der Stimmungen aus einander, und die überall kenntliche Wahrnehmung dieser Entwickelung, eben die Einheit des Drama's in seinem Ausdrucke herstellten. Jede dieser Hauptstimmungen mußte, der Natur des Stoffes gemäß, auch einen bestimmten musikalischen Ausdruck gewinnen, der sich der Gehörempfindung als ein bestimmtes musikalisches Thema herausstellte. Wie im Verlaufe des Drama's die beabsichtigte Fülle einer entscheidenden Hauptstimmung nur durch eine, dem Gefühle immer gegenwärtige Entwickelung der angeregten Stimmungen überhaupt zu erzeugen war, so mußte nothwendig auch der, das sinnliche Gefühl unmittelbar bestimmende, musikalische Ausdruck an dieser Entwickelung zur höchsten Fülle einen entscheidenden Antheil nehmen; und dieß gestaltete sich ganz von selbst durch ein, jederzeit charakteristisches, Gewebe der Hauptthemen, das sich nicht über eine Scene (wie früher im einzelnen Operngesangstücke), sondern über das ganze Drama, und zwar in innigster Beziehung zur dichterischen Absicht ausbreitete. – Ich habe die charakteristische Eigentümlichkeit, und das für das Gefühlsverständniß der dichterischen Absicht so ungemein Erfolgreiche des hier gemeinten thematischen Verfahrens, vom theoretischen Standpunkte aus genau bezeichnet und gerechtfertigt im dritten Theile meines Buches: Oper und Drama; indem ich hier darauf verweise, habe ich, dem Zwecke dieser Mittheilung gemäß, nur noch darauf aufmerksam zu machen, wie ich auch auf dieses Verfahren, das in seiner beziehungsvollen Ausdehnung über das ganze Drama nie zuvor angewandt worden ist, nicht durch Reflexion, sondern einzig durch praktische Erfahrung, und durch die Natur meiner künstlerischen Absicht, hingeleitet worden bin. Ich entsinne mich, noch ehe ich zu der eigentlichen Ausführung des »fliegenden Holländers« schritt, zuerst die Ballade der Senta im zweiten Akte entworfen, und in Vers und Melodie ausgeführt zu haben; in diesem Stücke legte ich unbewußt den thematischen Keim zu der ganzen Musik der Oper nieder: es war das verdichtete Bild des ganzen Drama's, wie es vor meiner Seele stand; und als ich die fertige Arbeit betiteln sollte, hatte ich nicht übel Lust, sie eine »dramatische Ballade« zu nennen. Bei der endlichen Ausführung der Komposition breitete sich mir das empfangene thematische Bild ganz unwillkürlich als ein vollständiges Gewebe über das ganze Drama aus; ich hatte, ohne weiter es zu wollen, nur die verschiedenen thematischen Keime, die in der Ballade enthalten waren, nach ihren eigenen Richtungen hin weiter und vollständig zu entwickeln, so hatte ich alle Hauptstimmungen dieser Dichtung ganz von selbst in bestimmten thematischen Gestaltungen vor mir. Ich hätte mit eigensinniger Absicht willkürlich als Opernkomponist verfahren müssen, wenn ich in den verschiedenen Scenen für dieselbe wiederkehrende Stimmung neue und andere Motive hätte erfinden wollen; wozu ich, da ich eben nur die verständlichste Darstellung des Gegenstandes, nicht aber mehr ein Konglomerat von Opernstücken im Sinne hatte, natürlich nicht die mindeste Veranlassung empfand. – Ähnlich verfuhr ich nun im Tannhäuser, und endlich im Lohengrin; nur daß ich hier nicht von vorn herein ein fertiges musikalisches Stück, wie jene Ballade, vor mir hatte, sondern das Bild, in welches die thematischen Strahlen zusammenfielen, aus der Gestaltung der Scenen, aus ihrem organischen Wachsen aus sich, selbst erst schuf, und in wechselnder Gestalt überall da es erscheinen ließ, wo es für das Verständniß der Hauptsituationen nöthig war. Außerdem gewann mein Verfahren, namentlich im Lohengrin, eine bestimmtere künstlerische Form durch eine jederzeit neue, dem Charakter der Situation angemessene, Umbildung des thematischen Stoffes, der sich für die Musik als größere Mannigfaltigkeit der Erscheinung auswies, als dieß z. B. im »fliegenden Holländer« der Fall war, wo das Wiedererscheinen des Thema's oft noch nur den Charakter einer absoluten Reminiscenz (in welchem dieß schon vor mir bei anderen Komponisten vorgekommen war) hatte. –

Ich habe nun noch den Einfluß meines allgemein dichterischen Verfahrens auf die Bildung meiner Themen selbst, auf die Melodie, zu bezeichnen.

Aus der absolut musikalischen Periode meiner Jugend her entsinne ich mich, oft auf den Einfall gerathen zu sein, wie ich es wohl anzufangen hätte, um recht originelle Melodieen zu erfinden, die einen besonderen, mir eigenthümlichen Stempel tragen sollten. Je mehr ich mich der Periode näherte, in welcher ich mich für mein musikalisches Gestalten auf den dichterischen Stoff bezog, verschwand diese Besorgtheit um Besonderheit der Melodie, bis ich sie endlich gänzlich verlor. In meinen früheren Opern ward ich rein durch die traditionelle oder moderne Melodie bestimmt, die ich ihrem Wesen nach nachahmte, und, eben in jener Besorgniß, durch harmonische und rhythmische Künsteleien nur als besonders und eigenthümlich zu modeln suchte. Immer hatte ich aber mehr Neigung zur breiten, lang sich hindehnenden Melodie, als zu dem kurzen, zerrissenen und kontrapunktisch gefügten Melismus der eigentlichen Kammerinstrumentalmusik: in meinem »Liebesverbote« war ich offen auf die Nachbildung der modernen italienischen Kantilene verfallen. Im »Rienzi« bestimmte mich überall da, wo mich nicht bereits schon der Stoff zur Erfindung bestimmte, der italienisch-französische Melismus, wie er mich zumal aus den Opern Spontini's angesprochen hatte. Die dem modernen Gehöre eingeprägte Opernmelodie verlor nun aber ihren Einfluß auf mich immer mehr und endlich gänzlich, als ich mich mit dem »fliegenden Holländer« beschäftigte. Lag dieß Abweisen des äußeren Einflusses zunächst in der Natur des ganzen Verfahrens, das ich mit dieser Arbeit einschlug, begründet, so erhielt ich nun aber auch eine entschädigende Nahrung für meine Melodie aus dem Volksliede, dem ich mich hierbei näherte. Schon in jener Ballade bestimmte mich das unwillkürliche Innehaben der Eigentümlichkeiten des nationalen Volksmelismus'; noch entscheidender aber in dem Spinnerliede, und namentlich in dem Liede der Matrosen. Das, was die Volksmelodie dem modernen italienischen Melismus gegenüber am kenntlichsten auszeichnet, ist hauptsächlich ihre scharfe rhythmische Belebtheit, die ihr vom Volkstänze her eigenthümlich ist; unsere absolute Melodie verliert genau in dem Grade die populäre Verständlichkeit, als sie von dieser rhythmischen Eigenschaft sich entfernt, und da die Geschichte der modernen Opernmusik eben nur die der absoluten Melodie ist,Siehe »Oper und Drama«, erster Theil. so erscheint es sehr erklärlich, warum die neueren, namentlich die französischen Komponisten und ihre Nachahmer, geradesweges wieder bei der reinen Tanzmelodie ankommen mußten, und der Kontretanz, nebst seinen Abarten, gegenwärtig die ganze moderne Opernmelodie bestimmt. Mir war es aber nun nicht mehr um Opernmelodieen zu thun, sondern um den entsprechendsten Ausdruck für meinen darzustellenden Gegenstand; im »fliegenden Holländer« berührte ich daher wohl die rhythmische Volksmelodie, aber genau nur da, wo der Stoff mich überhaupt in Berührung mit dem, mehr oder weniger nur im Nationalen sich kundgebenden, Volkselemente brachte. Überall da, wo ich die Empfindungen dramatischer Persönlichkeiten auszudrücken hatte, wie sie von diesen im gefühlvollen Gespräche kundgegeben wurden, mußte ich mich der rhythmischen Volksmelodie durchaus enthalten, oder vielmehr, ich konnte auf diese Ausdrucksweise gar nicht erst verfallen; sondern hier war die Rede selbst, nach ihrem empfindungsvollsten Inhalte, auf eine Weise wiederzugeben, daß nicht der melodische Ausdruck an sich, sondern die ausgedrückte Empfindung die Theilnahme des Hörers anregte. Die Melodie mußte daher ganz von selbst aus der Rede entstehen; für sich, als reine Melodie, durfte sie gar keine Aufmerksamkeit erregen, sondern dieß nur so weit, als sie der sinnlichste Ausdruck einer Empfindung war, die eben in der Rede deutlich bestimmt wurde. Mit dieser nothwendigen Auffassung des melodischen Elementes ging ich nun vollständig von dem üblichen Opernkompositions-Verfahren ab, indem ich auf die gewohnte Melodie, in einem gewissen Sinne somit auf die Melodie überhaupt, mit Absichtlichkeit gar nicht mehr ausging, sondern eben nur aus der gefühlvoll vorgetragenen Rede sie entstehen ließ. Wie dieß aber nur unter dem sehr allmählich weichenden Einflüsse der gewohnten Opernmelodie geschah, das wird aus der Betrachtung meiner Musik zum »fliegenden Holländer« sehr ersichtlich: hier bestimmte mich der gewohnte Melismus noch so sehr, daß ich sogar die Gesangskadenz hie und da noch ganz nackt beibehielt; und es kann dieß Jedem, der auf der anderen Seite eingestehen muß, daß ich eben mit diesem »fliegenden Holländer« meine neue Richtung in Bezug auf die Melodie einschlug, als Beweis dafür dienen, mit wie wenig berechnender Reflexion ich in diese Bahn einlenkte. – In der ferneren Entwicklung meiner Melodie, wie ich sie ebenso unwillkürlich im »Tannhäuser« und »Lohengrin« verfolgte, entzog ich mich allerdings immer bestimmter jenem Einflüsse, und zwar ganz in dem Maaße, als nur noch die im Sprachverse ausgedrückte Empfindung für ihren gesteigerten musikalischen Ausdruck mich bestimmte; dennoch ist auch hier, und namentlich noch im »Tannhäuser« die vorgesetzte Form der Melodie, d. h. die als nothwendig gefühlte Absicht die Rede eben als Melodie kundzugeben, noch deutlich erkennbar. Ich wurde, wie ich mir nun klar geworden bin, zu dieser Absicht noch durch eine Unvollkommenheit des modernen Verses gedrängt, in dem ich eine natürliche Nahrung und Bedingung für die sinnliche Kundgebung des musikalischen Ausdruckes als Melodie noch nicht finden konnte, über das Wesen des modernen Verses habe ich mich ebenfalls im dritten Theile jenes angeführten Buches bestimmt ausgesprochen; und ich berühre daher seine Eigenschaft hier nur insoweit, als es seinen gänzlichen Mangel an wirklichem Rhythmus betrifft. Der Rhythmus des modernen Verses ist ein nur eingebildeter, und am deutlichsten mußte dieß der Tonsetzer empfinden, der eben nur aus diesem Verse den Stoff zur Bildung der Melodie nehmen wollte. Ich war diesem Verse gegenüber genöthigt, der melodischen Rhythmik entweder gänzlich zu entrathen, oder, sobald ich vom Standpunkte der reinen Musik aus das Bedürfniß nach ihr empfand, den rhythmischen Bestandtheil der Melodie, nach willkürlich melodischer Erfindung, eben aus der absoluten Opernmelodie zu entnehmen, und ihn dem Verse oft künstlich aufzupfropfen. Überall, wo mich wiederum der Ausdruck der poetischen Rede so vorwiegend bestimmte, daß ich die Melodie vor meinem Gefühle nur aus ihr rechtfertigen konnte, mußte diese Melodie, sobald sie in keinem gewaltsamen Verhältnisse zum Vers stehen sollte, fast allen rhythmischen Charakter verlieren; und bei diesem Verfahren war ich unendlich gewissenhafter und von meiner Aufgabe erfüllter, als wenn ich umgekehrt die Melodie durch willkürliche Rhythmik zu beleben suchte.

Ich gerieth hierbei in die innigste und endlich fruchtbarste Beziehung zum Verse und zur Sprache, aus denen einzig die gesunde dramatische Melodie zu rechtfertigen ist. Die Einbuße meiner Melodie an rhythmischer Bestimmtheit, oder besser: Auffälligkeit, ersetzte ich ihr nun aber durch eine harmonische Belebung des Ausdruckes, wie nur gerade ich sie als Bedürfniß für die Melodie fühlen konnte. War die gewohnte Opernmelodie, in ihrer endlich höchsten Armuth und stereotypen Unwandelbarkeit, von den modernen Opernkomponisten durch die raffinirtesten KünsteleienMan denke z. B. an die ekelhaft gequälten harmonischen Variationen, mit denen man die alte abgedroschene Rossini'sche Schlußkadenz zu etwas Apartem zu machen suchte. eben nur neu und pikant zu machen versucht worden, so hatte die harmonische Beweglichkeit, die ich meiner Melodie gab, im Gefühle eines ganz anderen Bedürfnisses ihren Grund. Die herkömmliche Melodie hatte ich eben vollständig aufgegeben; ohne Nahrung und Rechtfertigung für ihren rhythmischen Bestandtheil aus dem Sprachverse, gab ich ihr nun, anstatt des falschen rhythmischen Gewandes, dagegen eine harmonische Charakteristik, die sie, bei entscheidender Wirksamkeit auf das sinnliche Gehör, jederzeit zum entsprechendsten Ausdrucke der im Verse vorgetragenen Empfindung machte. Ich erhöhte ferner das Individuelle dieses Ausdruckes durch eine immer bezeichnendere Begleitung des Instrumentalorchesters, das an und für sich die harmonische Motivirung der Melodie zu versinnlichen hatte; und mit entschiedenster Bestimmtheit habe ich dieses, im Grunde einzig auf die dramatische Melodie gerichtete Verfahren, im Lohengrin beobachtet, in welchem ich somit die im »fliegenden Holländer« eingeschlagene Richtung mit notwendiger Konsequenz zur Vollendung führte. – Nur Eines blieb in dieser künstlerisch formellen Richtung mir noch aufzufinden übrig, nämlich: eine neu zu gewinnende rhythmische Belebung der Melodie durch ihre Rechtfertigung aus dem Verse, aus der Sprache selbst. Hierzu sollte ich nun auch gelangen, und zwar nicht durch Umkehr auf meiner Bahn, sondern durch konsequente Verfolgung meiner eingeschlagenen Richtung, deren Eigentümlichkeit darin bestand, daß ich nicht aus der Form – wie fast alle unsere modernen Künstler – sondern aus dem dichterischen Stoff meinen künstlerischen Trieb bildete. –

Als ich den »Siegfried« entwarf, fühlte ich, mit vorläufigem gänzlichen Absehen von der musikalischen Ausführungsform, die Unmöglichkeit, oder mindestens die vollständige Ungeeignetheit davon, diese Dichtung im modernen Verse auszuführen. Ich war mit der Konzeption des »Siegfried« bis dahin vorgedrungen, wo ich den Menschen in der natürlichsten, heitersten Fülle seiner sinnlich belebten Kundgebung vor mir sah; kein historisches Gewand engte ihn mehr ein; kein außer ihm entstandenes Verhältnis hemmte ihn irgendwie in seiner Bewegung, die aus dem innersten Quelle seiner Lebenslust jeder Begegnung gegenüber sich so bestimmte, daß Irrthum und Verwirrung, aus dem wildesten Spiele der Leidenschaften genährt, rings um ihn bis zu seinem offenbaren Verderben sich häufen konnten, ohne daß der Held einen Augenblick, selbst dem Tode gegenüber, den inneren Quell in seinem wellenden Ergusse nach Außen gehemmt, oder je etwas Anderes für berechtigt über sich und seine Bewegung gehalten hätte, als eben die nothwendige Ausströmung des rastlos quillenden inneren Lebensbrunnens. Mich hatte »Elsa« diesen Mann finden gelehrt: er war mir der männlich verkörperte Geist der ewig und einzig zeugenden Unwillkür, des Wirkers wirklicher Thaten, des Menschen in der Fülle höchster, unmittelbarster Kraft und zweifellosester Liebenswürdigkeit. Hier, in der Bewegung dieses Menschen, war kein gedankenhaftes Wollen der Liebe mehr, sondern leibhaftig lebte sie da, schwellte jede Ader und regte jede Muskel des heiteren Menschen zur entzückenden Bethätigung ihres Wesens auf. So, wie dieser Mensch sich bewegte, mußte aber nothwendig auch sein redender Ausdruck sein; hier reichte der nur gedachte moderne Vers mit seiner verschwebenden, körperlosen Gestalt nicht mehr aus; der phantastische Trug der Endreime vermochte nicht mehr als scheinbares Fleisch über die Abwesenheit alles lebendigen Knochengerüstes zu täuschen, das dieser Verskörper nur als willkürlich dehnbares, hin und her zerfahrendes Schleimknorpelwerk noch in sich faßt. Den »Siegfried« mußte ich geradesweges fahren lassen, wenn ich ihn nur in diesem Verse hätte ausführen können. Somit mußte ich auf eine andere Sprachmelodie sinnen; und doch hatte ich in Wahrheit gar nicht zu sinnen nöthig, sondern nur mich zu entscheiden, denn an dem urmythischen Quelle, wo ich den jugendlich schönen Siegfriedmenschen fand, traf ich auch ganz von selbst auf den sinnlich vollendeten Sprachausdruck, in dem einzig dieser Mensch sich kundgeben konnte. Es war dieß der, nach dem wirklichen Sprachaccente zur natürlichsten und lebendigsten Rhythmik sich fügende, zur unendlich mannigfaltigsten Kundgebung jederzeit leicht sich befähigende, stabgereimte Vers, in welchem einst das Volk selbst dichtete, als es eben noch Dichter und Mythenschöpfer war.

Über diesen Vers, wie er seine Gestaltung aus der tief innerst zeugenden Kraft der Sprache selbst gewinnt, und von sich aus diese zeugende Kraft in das weibliche Element der Musik, zur Gebärung der auch rhythmisch vollendeten Tonmelodie ergießt, habe ich mich ebenfalls in dem letzten Theile meines Buches »Oper und Drama« ausführlich ausgesprochen; und ich könnte nun, da ich die Auffindung auch dieser formellen Neuerung, als nothwendig aus meinem künstlerischen Schaffen bedingt, nachgewiesen, den Zweck meiner Mittheilung überhaupt als erreicht ansehen. Da ich meine Dichtung von »Siegfried's Tod« jetzt noch nicht öffentlich vorlegen kann, muß mir alle weitere Andeutung über sie als zwecklos, und jedenfalls als leicht mißverständlich erscheinen. Nur inwieweit die Bezeichnung meiner dichterischen Entwürfe, und der Lebensstimmungen, aus denen sie entsprangen, noch zur Erklärung oder Rechtfertigung meiner seitdem veröffentlichten Kunstschriften mir von Wichtigkeit erscheint, darf ich es für zweckgemäß halten, auch hierüber jetzt noch mich mitzutheilen. Ich thue dieß – in Kürze um so lieber, als ich bei dieser Mittheilung, außer dem im Beginn angegebenen, noch einen besonderen Zweck habe, nämlich den, meine Freunde mit dem Gange meiner Entwickelung bis auf den heutigen Tag so weit bekannt zu machen, daß ich, wenn ich demnächst wieder mit einer neuen dramatischen Arbeit öffentlich vor sie trete, hoffen darf, vollkommen mir Vertrauten mich mitzutheilen. Seit einiger Zeit bin ich gänzlich aus diesem unmittelbar künstlerischen Verkehre mit ihnen getreten; wiederholt, und so auch jetzt noch, konnte ich mich ihnen nur als Schriftsteller mittheilen: welche Pein diese Art der Mittheilung für mich ausmacht, brauche ich Denen, die mich als Künstler kennen, wohl nicht erst zu versichern; sie werden es an dem Style meiner schriftstellerischen Arbeiten selbst ersehen, in welchem ich auf das Umständlichste mich quälen muß, Das auszudrücken, was ich so bündig, leicht und schlank im Kunstwerke selbst kundgeben möchte, sobald dessen entsprechende sinnliche Erscheinung ebenso nah' in meiner Macht stünde, als seine künstlerisch technische Aufzeichnung mit der Feder auf das Papier. So verhaßt ist mir aber das schriftstellerische Wesen und die Noth, die mich zum Schriftstellern gedrängt hat, daß ich mit dieser Mittheilung zum letzten Male als Litterat vor meinen Freunden erschienen sein möchte, und deßhalb hier alles Das noch aufnehme, was ich, unter den obwaltenden erschwerenden Umständen, ihnen noch glaube sagen zu müssen, um sie bestimmt darauf hinzuweisen, was sie von meiner neuesten dramatischen Arbeit, wenn sie in der Aufführung ihnen vorgeführt werden soll, sich zu erwarten haben; denn diese wünsche ich dann ohne Vorrede in das Leben einzuführen.Dieser Wunsch sollte nun freilich nicht in Erfüllung gehen.

Ich fahre also fort. –

Meine Dichtung von »Siegfried's Tod« hatte ich entworfen und ausgeführt, einzig um meinem inneren Drange Genüge zu thun, keinesweges aber mit dem Gedanken an eine Aufführung auf unseren Theatern und durch die vorhandenen Darstellungsmittel, die ich in jeder Hinsicht für durchaus ungeeignet dazu halten mußte. Erst ganz neuerdings ist mir die Hoffnung erweckt worden, unter gewissen günstig sich gestaltenden Umständen, und mit der Zeit, dieß Drama der Öffentlichkeit vorführen zu können, jedoch erst nach glücklich von Statten gegangenen Vorbereitungen, die mir diese Vorführung als eine wirksame nach Möglichkeit gewährleisten sollen. Dieß ist zugleich der Grund, weßhalb ich die Dichtung selbst noch für mich zurückbehalte – Damals, im Herbst 1848, dachte ich an die Möglichkeit der Aufführung von »Siegfried's Tod« gar nicht, sondern sah seine dichterisch technische Vollendung, und einzelne Versuche zur musikalischen Ausführung, nur für eine innerliche Genugthuung an, die ich, zu jener Zeit des Ekels vor den öffentlichen Angelegenheiten und der Zurückgezogenheit von ihnen, mir selbst verschaffte. – Diese vereinsamte traurige Stellung als künstlerischer Mensch, mußte mir aber gerade hieran wiederum zum schmerzlichsten Bewußtsein kommen, und der nagenden Wirkung dieses Schmerzes konnte ich nur durch Befriedigung meines rastlosen Triebes zu neuen Entwürfen wehren. Es drängte mich Etwas zu dichten, das gerade dieses mein schmerzliches Bewußtsein, auf eine dem gegenwärtigen Leben verständliche Weise mittheile. Wie ich mit dem »Siegfried« durch die Kraft meiner Sehnsucht auf den Urquell des ewig Reinmenschlichen gelangt war, so kam ich jetzt, wo ich diese Sehnsucht dem modernen Leben gegenüber durchaus unstillbar, und von Neuem nur die Flucht vor diesem Leben, mit Aufhebung seiner Forderungen an mich durch Selbstvernichtung, als Erlösung erkennen mußte, auch an dem Urquell aller modernen Vorstellungen von diesem Verhältnisse an, nämlich dem menschlichen Jesus von Nazareth.

Zu einer, namentlich für den Künstler ergiebigen Beurtheilung der wundervollen Erscheinung dieses Jesus' war ich dadurch gelangt, daß ich den symbolischen Christus von ihm unterschied, der, in einer gewissen Zeit und unter bestimmten Umständen gedacht, sich unserem Herzen und Verstande als so leicht begreiflich darstellt. Betrachtete ich die Zeit und die allgemeinen Lebenszustände, in denen ein so liebendes und liebebedürftiges Gemüth, wie das Jesus', sich entfaltete, so war mir nichts natürlicher, als daß der Einzelne, der eine so ehrlose hohle und erbärmliche Sinnlichkeit, wie die der römischen Welt, und mehr noch der den Römern unterworfenen Welt, nicht vernichten und zu einer neuen, der Gemüthssehnsucht entsprechenden Sinnlichkeit gestalten konnte, nur aus dieser Welt, somit aus der Welt überhaupt hinaus, nach einem besseren Jenseits, – nach dem Tode, verlangen mußte. Sah ich nun die heutige moderne Welt von einer ähnlichen Nichtswürdigkeit, als die damals Jesus umgebende erfüllt, so erkannte ich jetzt nur, der charakteristischen Eigenschaft der gegenwärtigen Zustände gemäß, jenes Verlangen in Wahrheit als in der sinnlichen Natur des Menschen begründet, der aus einer schlechten, ehrlosen Sinnlichkeit sich eben nach einer edleren, seiner geläuterten Natur entsprechenden Wahrnehmbarkeit sehnt. Der Tod ist hier nur das Moment der Verzweiflung; er ist der Zerstörungsakt, den wir an uns ausüben, weil wir ihn – als Einzelne – nicht an den schlechten Zuständen der uns zwingenden Welt ausüben können. Der Akt der wirklichen Vernichtung der äußeren, wahrnehmbaren Bande jener ehrlosen Sinnlichkeit ist aber die uns obliegende gesunde Kundgebung dieses, bisher auf die Selbstvernichtung gerichteten Dranges. – Es reizte mich nun, die Natur Jesus', wie sie unserem, der Bewegung des Lebens zugewandten Bewußtsein deutlich geworden ist, in der Weise darzuthun, daß das Selbstopfer Jesus' nur die unvollkommene Äußerung desjenigen menschlichen Triebes sei, der das Individuum zur Empörung gegen eine lieblose Allgemeinheit drängt, zu einer Empörung, die der durchaus Einzelne allerdings nur durch Selbstvernichtung beschließen kann, die gerade aus dieser Selbstvernichtung heraus aber noch ihre wahre Natur dahin kundgiebt, daß sie wirklich nicht auf den eigenen Tod, sondern auf die Verneinung der lieblosen Allgemeinheit ausging.Wie sehr in dieser Auffassung nur der Künstler thätig war, entgeht wohl unschwer.

In diesem Sinne suchte ich meiner empörten Stimmung Luft zu machen mit dem Entwurfe eines Drama's »Jesus von Nazareth«. Zwei überwältigende Bedenken hielten mich aber von der Ausführung des Entworfenen ab: diese erwuchsen einerseits aus der widerspruchsvollen Natur des Stoffes, wie er uns eben vorliegt; andererseits aus der erkannten Unmöglichkeit, auch dieses Werk zur öffentlichen Aufführung zu bringen. Dem Stoffe, wie er nun einmal durch das religiöse Dogma und die populäre Vorstellung von ihm dem Volke sich eingeprägt hat, mußte ein zu empfindlicher Zwang angethan werden, wenn ich mein modernes Bewußtsein von seiner Natur in ihm kundgeben wollte; an seinen populären Momenten mußte gedeutet, und mit mehr philosophischer als künstlerischer Absichtlichkeit geändert werden, um sich der gewohnten Anschauungsweise unmerklich zu entziehen, und in dem von mir erkannten Lichte zu zeigen. Hätte ich nun selbst dieß zu überwinden vermocht, so mußte ich aber doch einsehen, daß das Einzige, was diesem Stoffe die von mir beabsichtigte Bedeutung geben konnte, eben unsere modernen Zustände waren und daß, nur gerade jetzt dem Volke vorgeführt, diese Bedeutung von Wirkung sein könnte, nicht aber dann, wenn dieselben Zustände durch die Revolution zerstört waren, wo – jenseits dieser Zustände – zugleich aber auch nur die einzige Möglichkeit zu ersehen war, das Drama dem Volke öffentlich vorführen zu können.

Denn so weit war ich bereits über den Charakter der damaligen Bewegung mit mir einig geworden, daß wir entweder vollständig in dem Alten verbleiben, oder vollständig das Neue zum Durchbruch bringen mußten. Ein klarer, täuschungsloser Blick auf die äußere Welt belehrte mich entscheidend, daß ich den »Jesus von Nazareth« durchaus aufzugeben hatte. Dieser Blick, den ich aus meiner brütenden Einsamkeit heraus auf die politische Außenwelt warf, zeigte mir jetzt die nahe bevorstehende Katastrophe, die Jeden, dem es um eine gründliche und wesentliche Änderung der schlechten Zustände Ernst war, verschlingen mußte, wenn er seine Existenz, selbst in diesen schlechten Zuständen, über Alles liebte. Dem bereits offen und frech ausgesprochenen Trotze des ausgelebten Alten gegenüber, das um jeden Preis sich in seiner Existenz erhalten wollte, mußten meine früher gefaßten Pläne, wie der einer Theaterreform, mir jetzt kindisch vorkommen. Ich gab sie auf, wie Alles was mich mit Hoffnung erfüllt, und so über die wahre Lage der Dinge getäuscht hatte. Im Vorgefühle der unvermeidlichen Entscheidung, die auch mich, mochte ich thun, was ich wollte, treffen mußte, sobald ich eben nur meinem Wesen und meinen Gesinnungen treu blieb, floh ich jetzt jede Beschäftigung mit künstlerischen Entwürfen; jeder Federzug, den ich geführt hätte, kam mir lächerlich vor, jetzt, wo ich unmöglich noch durch eine künstlerische Hoffnung mich belügen und betäuben konnte. Des Morgens verließ ich mein Zimmer mit dem öden Schreibtische, und wanderte einsam hinaus in das Freie, um mich im erwachenden Frühlinge zu sonnen, und in seiner wachsenden Wärme alle eigensüchtigen Wünsche von mir zu werfen, die mich irgend noch mit täuschenden Bildern an eine Welt von Zuständen fesseln konnten, aus der all' mein Verlangen mit Ungestüm mich hinaustrieb. – So traf mich der Dresdener Aufstand, den ich mit Vielen für den Beginn einer allgemeinen Erhebung in Deutschland hielt: wer sollte nach dem Mitgetheilten so blind sein wollen, nicht zu ersehen, daß ich da keine Wahl mehr hatte, wo ich nur noch mit Entschiedenheit einer Welt den Rücken kehren mußte, der ich meinem Wesen nach längst nicht mehr angehörte!

Mit Nichts kann ich das Wohlgefühl vergleichen, das mich – nach Überstehung der nächsten schmerzlichen Eindrücke – durchdrang, als ich mich frei fühlte, frei von der Welt marternder, stets unerfüllter Wünsche, frei von den Verhältnissen, in denen diese Wünsche meine einzige, verzehrende Nahrung gewesen waren! Als mich, den Geächteten und Verfolgten, keine Rücksicht mehr band zu einer Lüge irgend welcher Art, als ich jede Hoffnung, jeden Wunsch auf diese jetzt siegreiche Welt hinter mich geworfen, und mit zwanglosester Unumwundenheit laut und offen ihr zurufen konnte, daß ich, der Künstler, sie, diese so scheinheilig um Kunst und Kultur besorgte Welt, aus tiefstem Grunde des Herzens verachte; als ich ihr sagen konnte, daß in ihren ganzen Lebensadern nicht ein Tropfen wirklichen künstlerischen Blutes fließe, daß sie nicht einen Athemzug menschlicher Gesittung, nicht einen Hauch menschlicher Schönheit aus sich zu ergießen vermöge: – da fühlte ich mich zum ersten Male in meinem Leben durch und durch frei, heil und heiter, mochte ich auch nicht wissen, wohin ich den nächsten Tag mich bergen sollte, um des Himmels Luft athmen zu dürfen.

Wie ein schwarzes Bild aus einer längst abgethanen gräßlichen Vergangenheit war nochmals jenes Paris an mir vorübergezogen, dahin ich auf den Rath eines wohlmeinenden Freundes, der hier mehr für mein äußerliches Glück als meine innere Befriedigung besorgt sein konnte, zunächst mich gewandt hatte, und das ich jetzt, beim ersten Wiedererkennen seiner ekelhaften Gestalt, wie ein nächtliches Gespenst von mir wies, indem ich eilend aus ihm fortfloh und nach den frischen Alpenbergen der Schweiz mich wandte, um wenigstens nicht mehr den Pestgeruch des modernen Babel zu athmen. Hier, im Schutze schnell gewonnener biederer Freunde, sammelte ich mich zunächst zur öffentlichen Kundgebung eines Protestes gegen die augenblicklichen Besieger der Revolution, denen ich wenigstens den Titel ihres Herrenrechtes abzustreiten hatte, nach welchem sie sich für die Beschützer der Kunst ausgeben. So ward ich wiederum zum Schriftsteller, wie ich es einst in Paris geworden war, als ich meine Wünsche auf Pariser Kunstruhm hinter mich warf und gegen das Formelle des herrschenden Kunstwesens mich empörte: jetzt hatte ich mich aber gegen dieses ganze Kunstwesen in seinem Zusammenhange mit dem ganzen politisch-sozialen Zustande der modernen Welt auszusprechen, und der Athem, den ich hierzu schöpfen mußte, hatte von anhaltenderer Natur zu sein. In einer kleineren Schrift »Die Kunst und die Revolution« deckte ich zunächst diesen Zusammenhang auf, und wies den Namen der Kunst für Das, was gegenwärtig unter diesem schützenden Titel zur Spekulation auf die Schlechtigkeit und Elendigkeit des modernen »Publikums« sich anläßt, gebührend zurück. In einer etwas ausführlicheren Abhandlung, die unter dem Titel des »Kunstwerkes der Zukunft« erschien, wies ich den tödtlichen Einfluß jenes Zusammenhanges auf das Wesen der Kunst selbst nach, die bei ihrer egoistischen Zerstückelung in die modernen Einzelnkünste unfähig geworden sei, das wirkliche allein giltige, weil allein verständliche, und einen rein menschlichen Inhalt zu fassen allein fähige, Kunstwerk zu Stande zu bringen. In meiner neuesten schriftstellerischen Arbeit: »Oper und Drama«, zeigte ich nun, bestimmter auf den rein künstlerischen Gegenstand eingehend, wie die Oper bisher irrthümlich von Kritikern und Künstler für das Kunstwerk angesehen worden sei, in welchem die Keime, oder gar die Vollendung des von mir gemeinten Kunstwerkes der Zukunft bereits zur Erscheinung gekommen wären; und wies nach, daß nur aus der vollständigen Umkehrung des bisherigen künstlerischen Verfahrens bei der Oper einzig das Richtige geleistet werden könnte, indem ich hierbei das Ergebniß meiner eigenen künstlerischen Erfahrungen meiner Darstellung des vernünftigen und allein zweckmäßigen Verhältnisses zwischen Dichter und Musiker zu Grunde legte. Mit dieser Arbeit, und mit der hier gemachten Mittheilung, fühle ich nun, dem Drange, der mich zuletzt zum Schriftsteller machte. Genüge gethan zu haben, indem ich mir sagen zu dürfen glaube, daß, wer mich nun noch nicht versteht, mich unter allen Umständen auch nicht verstehen kann, weil er nicht – will.

Während dieser schriftstellerischen Periode hörte ich jedoch nie ganz auf, auch mit künstlerischen Entwürfen mich zu tragen. War ich im Allgemeinen mir über meine Lage wohl auch so klar, daß ich an die Möglichkeit, jetzt eines meiner Werke aufgeführt zu sehen, um so weniger glaubte, als ich selbst mit Grundsätzlichkeit jede Hoffnung und somit jeden Versuch eines gedeihlichen Befassens mit unseren Theatern überhaupt aufgegeben hatte; und hegte ich innerlich somit ganz und gar nicht die Absicht, ja sogar die vollste Abneigung dagegen, durch neue Versuche das Unmögliche möglich machen zu wollen, so fand sich doch zunächst äußere Veranlassung genug, mich wenigstens wieder in entferntere Berührung mit unserer öffentlichen Kunst zu setzen. Ich war gänzlich hilflos in die Verbannung gegangen, und ein möglicher Erfolg als Opernkomponist in Paris mußte meinen Freunden, und endlich selbst wohl auch mir, als der einzige Quell dauernder Sicherung meiner Existenz gelten. Nie aber konnte ich in meinem Inneren an die Möglichkeit solchen Erfolges denken, und dieß zwar um so weniger, als mich jedes Befassen mit dem Pariser Opernwesen, nur im Gedenken daran, bis auf den Grund meiner Seele anwiderte; der äußeren Noth gegenüber, und weil selbst meine teilnehmendsten Freunde meinen Widerstand gegen diesen Plan nicht als durchaus gerechtfertigt zu begreifen vermochten, versuchte ich endlich dennoch, mich zu einem letzten, martervollen Kampfe gegen meine Natur zu zwingen. Auch hierbei wollte ich jedoch keinen Schritt von meiner Richtung abweichen, und entwarf für meinen Pariser Operndichter den Plan zu einem »Wieland der Schmiedt«, den meine Freunde nach meiner Deutung bereits aus dem Schlusse des »Kunstwerkes der Zukunft« kennen. So ging ich nochmals nach Paris: – dieß war und wird nun für immer das letzte Mal gewesen sein, daß ich aus äußeren Rücksichten mich zum Zwange meiner wirklichen Natur bestimmte. Dieser Zwang drückte so furchtbar schmerzlich und zerstörend auf mich, daß ich dießmal, rein nur durch die Wucht dieses Druckes, dem Untergange nahe gerieth: ein alle meine Nerven lähmendes Übelbefinden befiel mich von meinem Eintritt in Paris an so heftig, daß ich schon dadurch allein zum Aufgeben aller nöthigen Schritte für mein Vorhaben genöthigt ward. Bald wurde mein Übel und meine Stimmung so unerträglich, daß ich, von unwillkürlich gewaltsamem Lebensinstinkte getrieben, um meiner Rettung willen zum Äußersten zu schreiten mich anließ, zum Bruche mit Allem, was mir irgend noch freund gesinnt war, zum Fortziehen in – Gott weiß welche? – wildfremde Welt. – In diesem Äußersten, wohin ich gekommen, ward ich nun von ächtesten Freunden aber begriffen: sie leiteten mich an der Hand einer unendlich zarten Liebe von meinem Schritte zurück. Dank ihnen, die allein es wissen, wen ich meine!

Ja, ich lernte jetzt die vollste, edelste und schönste Liebe kennen, die einzig wirkliche Liebe, die nicht Bedingungen aufstellt, sondern ihren Gegenstand ganz so umfaßt, wie er ist und seiner Natur nach nicht anders sein kann. Sie hat mich auch der Kunst erhalten! – Zurückgekehrt, trug ich mich von Neuem mit dem Gedanken, »Siegfried's Tod« musikalisch vollends auszuführen: es war bei diesem Entschlusse aber noch halbe Verzweiflung im Spiele, denn ich wußte, ich würde diese Musik jetzt nur für das Papier schreiben. Das unerträglich klare Wissen hiervon verleidete mir von Neuem mein Vorhaben; ich griff – im Gefühle davon, daß ich in meinem Streben meist doch noch so gänzlich mißverstanden würdeNichts konnte mir dieß – unter Anderen – wieder mehr aufdecken, als ein Brief, den ich von einem früheren Freunde, einem namhaften Komponisten, erhielt, und worin dieser mich ermahnte, »doch von der Politik zu lassen, bei der im Ganzen doch nichts herauskäme«. Diese – ich weiß nicht genau ob absichtliche oder unabsichtliche – Befangenheit, mich durchaus für einen Politiker halten und den rein künstlerischen Gehalt meiner bereits ausgesprochenen Ansichten geflissentlich übersehen zu wollen, hatte für mich etwas Empörendes. – wieder zur Schriftstellerei, und schrieb mein Buch über »Oper und Drama«. – Von Neuem war ich nun wieder gänzlich verstimmt und niedergeschlagen in Bezug auf ein zu erfassendes künstlerisches Vorhaben: neu erhaltene Beweise von der Unmöglichkeit, mich künstlerisch verständlich jetzt dem Publikum mittheilen zu können, brachten mir wieder eine gründliche Unlust zu neuen dramatischen Arbeiten bei; und offen glaubte ich mir gestehen zu müssen, daß es mit meinem Kunstschaffen ein Ende habe. – Da hob mich aus meinem tiefsten Mißmuthe ein Freund auf: durch den gründlichsten und hinreißendsten Beweis, daß ich nicht einsam stand und wohl tief und innig verstanden würde – selbst von Denen, die mir sonst fast am fernsten standen –, hat er mich von Neuem, und nun ganz zum Künstler gemacht. Dieser wunderbare Freund ist mir

Franz Liszt. –

Ich muß des Charakters dieser Freundschaft hier näher erwähnen, da sie gewiß Manchen paradox erscheint. Ich habe mich in den Ruf bringen müssen, nach vielen Seiten hin abstoßend und durchaus feindselig zu sein, so daß die Mittheilung eines liebevollen Verhältnisses mir hier in einem gewissen Sinne zum Bedürfniß wird. –

Ich begegnete Liszt zum ersten Male in meinem Leben während meines frühesten Aufenthaltes in Paris, und zwar bereits in der zweiten Periode dieses Aufenthaltes, zu jener Zeit, wo ich – gedemüthigt und von tiefem Ekel ergriffen – jeder Hoffnung, ja jedem Willen auf einen Pariser Erfolg entsagte, und in dem Akte innerlicher Empörung gegen jene Kunstwelt begriffen war, den ich oben näher bezeichnete. In dieser Begegnung trat mir nun Liszt gegenüber, als der vollendetste Gegensatz zu meinem Wesen und meiner Lage. In dieser Welt, in der aufzutreten und zu glänzen es mich verlangt hatte, als ich aus kleinlichen Verhältnissen heraus mich nach Größe sehnte, war Liszt vom jugendlichsten Alter an unbewußt aufgewachsen, um ihr Wunder und Entzücken zu einer Zeit zu werden, wo ich bereits durch die Kälte und Lieblosigkeit, mit der sie mich berührte, so weit von ihr abgestoßen wurde, daß ich ihre Hohlheit und Nichtigkeit mit der vollen Bitterkeit eines Getäuschten zu erkennen vermochte. Somit war mir Liszt mehr als eine bloß zu beargwöhnende Erscheinung. Ich hatte keine Gelegenheit, mich meinem Wesen und meinen Leistungen nach ihm bekannt zu machen; so oberflächlich, als er mich eben nur kennen lernen konnte, war daher auch die Art seiner Begegnung mit mir, und war dieß bei ihm ganz erklärlich, – namentlich bei einem Menschen, dem sich täglich die mannigfaltigsten und wechselndsten Erscheinungen zudrängten, so war ich doch gerade damals nicht in der Stimmung, mit Ruhe und Billigkeit den einfachsten Erklärungsgrund eines Benehmens aufzusuchen, das – an sich freundlich und zuvorkommend, – nur gerade mich eben zu verletzen im Stande war. Ich besuchte Liszt, außer diesem ersten Male, nie wieder, und – ohne ebenfalls auch ihn zu kennen, ja mit völliger Abneigung dagegen ihn kennen lernen zu wollen – blieb er für mich eine von den Erscheinungen, die man als von Natur sich fremd und feindselig betrachtet. Was ich in dieser fortgesetzten Stimmung wiederholt gegen Andere aussprach, kam Liszt späterhin einmal zu Gehör, und zwar zu jener Zeit, wo ich durch meinen »Rienzi« in Dresden so plötzliches Aufsehen erregt hatte. Er war betroffen darüber, von einem Menschen, den er fast gar nicht kennen gelernt hatte, und den kennen zu lernen ihm nun nicht ohne Werth schien, so heftig mißverstanden worden zu sein, als ihm aus jenen Äußerungen es einleuchtete. – Es hat für mich jetzt, wenn ich zurückdenke, etwas ungemein Rührendes, die angelegentlichen und mit einer wirklichen Ausdauer fortgesetzten Versuche mir vorzuführen, mit denen Liszt sich bemühte, mir eine andere Meinung über sich beizubringen. Noch lernte er zunächst nichts von meinen Werken kennen, und es sprach somit noch keine eigentliche künstlerische Sympathie für mich aus seiner Absicht, in nähere Berührung mit mir zu treten; sondern lediglich der rein menschliche Wunsch, in der Berührung mit einem Anderen keine zufällig entstandene Disharmonie fortbestehen zu lassen, dem sich vielleicht ein unendlich zarter Zweifel darüber beimischte, ob er mich nicht etwa gar wirklich verletzt habe. Wer in allen unseren sozialen Verhältnissen, und namentlich in den Beziehungen der modernen Künstler zu einander, die grenzenlos eigensüchtige Lieblosigkeit und gefühllose Unachtsamkeit der Berührungen kennt, der muß mehr als erstaunen, er muß durch und durch entzückt sein, wenn er von dem Verhalten einer Persönlichkeit Wahrnehmungen macht, wie sie mir sich von jenem außerordentlichen Menschen aufdrängten.

Noch nicht aber war ich damals im Stande, das ungemein Reizende und Hinreißende der Kundgebung von Liszt's über Alles liebenswürdigem und liebendem Naturell zu empfinden: ich betrachtete die Annäherungen Liszt's an mich zunächst erst noch mit einer gewissen Verwunderung, der ich Zweifelsüchtiger oft sogar geneigt war eine fast triviale Nahrung zu geben. – Liszt hatte nun in Dresden einer Aufführung des Rienzi, die er beinahe erzwingen mußte, beigewohnt; und aus aller Welt Enden, wohin er im Laufe seiner Virtuosenzüge gelangt war, erhielt ich, bald durch diese bald durch jene Person, Zeugnisse von dem rastlosen Eifer Liszt's, seine Freude, die er von meiner Musik empfunden hatte, Anderen mitzutheilen, und so – wie ich fast am liebsten annähme – ohne alle Absicht, Propaganda für mich zu machen. Es geschah dieß zu einer Zeit, wo es sich mir andererseits immer unzweifelhafter herausstellte, daß ich mit meinen dramatischen Arbeiten ohne allen äußeren Erfolg bleiben würde. Ganz in dem Maaße nun, als diese gänzliche Erfolglosigkeit immer deutlicher, und endlich ganz entschieden sich kundgab, gelangte Liszt dazu, aus seinem eigensten Bemühen meiner Kunst einen nährenden Zufluchtsort zu gründen. Er gab das Herumschweifen auf, ließ sich – der im vollsten Glanze der prunkendsten Städte Europa's Heimische – in dem kleinen bescheidenen Weimar nieder und ergriff den Taktstock als Dirigent. Dort traf ich ihn das letzte Mal, als ich – noch ungewiß über den eigentlichen Charakter der mir drohenden Verfolgung – wenige Tage auf der, endlich nöthig werdenden Flucht aus Deutschland, im Thüringer Lande weilte. An dem Tage, wo es erhaltenen Anzeichen nach mir immer unzweifelhafter und endlich gewiß wurde, daß meine persönliche Lage dem allerbedenklichsten Falle ausgesetzt sei, sah ich Liszt eine Probe zu meinem Tannhäuser dirigiren, und war erstaunt, durch diese Leistung in ihm mein zweites Ich wiederzuerkennen: was ich fühlte, als ich diese Musik erfand, fühlte er, als er sie aufführte; was ich sagen wollte, als ich sie niederschrieb, sagte er, als er sie ertönen ließ. Wunderbar! Durch dieses seltensten aller Freunde Liebe gewann ich in dem Augenblicke, wo ich heimathlos wurde, die wirkliche, langersehnte, überall am falschen Orte gesuchte, nie gefundene Heimath für meine Kunst. Als ich zum Schweifen in die Ferne verwiesen wurde, zog sich der Weitumhergeschweifte an einen kleinen Ort dauernd zurück, um diesen mir zur Heimath zu schaffen, überall und immer sorgend für mich, stets schnell und entscheidend helfend, wo Hilfe nöthig war, mit weitgeöffnetem Herzen für jeden meiner Wünsche, mit hingebenster Liebe für mein ganzes Wesen, – ward Liszt mir Das, was ich nie zuvor gefunden hatte, und zwar in einem Maaße, dessen Fülle wir nur dann begreifen, wenn es in seiner vollen Ausdehnung uns wirklich umschließt.

Am Ende meines letzten Pariser Aufenthaltes, als ich krank, elend und verzweifelnd vor mich hinbrütete, fiel mein Blick auf die Partitur meines, fast ganz schon von mir vergessenen »Lohengrin«. Es jammerte mich plötzlich, daß diese Töne aus dem todtenbleichen Papier heraus nie erklingen sollten: zwei Worte schrieb ich an Liszt, deren Antwort keine andere war, als die Mittheilung der – für die geringen Mittel Weimar's – umfassendsten Vorbereitungen zur Aufführung des Lohengrin. Was Menschen und Umstände ermöglichen konnten, geschah, um das Werk dort zum Verständnisse zu bringen. Die – bei dem jetzt unausweichlich lückenhaften Wesen unserer Theatervorstellungen – einzig das nöthige Verständniß ermöglichende, willensthätige Phantasie des Publikums konnte, unter dem Einflusse der heutigen Gewohnheit, noch nicht sogleich zu entscheidender Kraft sich anlassen: Irrthum und Mißverständniß erschwerten den angestrebten Erfolg. Was war zu thun, um das Mangelnde zu ersetzen, nach allen Seiten hin dem Verständnisse und somit dem Erfolg aufzuhelfen? Liszt begriff es schnell und that es: er legte dem Publikum seine eigene Anschauung und Empfindung von dem Werke in einer Weise vor, die an überzeugender Beredtheit und hinreißender Wirksamkeit ihres Gleichen noch nicht gehabt. Der Erfolg lohnte ihm; und mit diesem Erfolge tritt er nun vor mich hin, und ruft mir zu: Sieh', so weit haben wir's gebracht, nun schaff' uns ein neues Werk, damit wir's noch weiter bringen!

In der That waren es dieser Zuruf und diese Aufforderung, die sogleich in mir den lebhaftesten Entschluß zum Angriffe einer neuen künstlerischen Arbeit erweckten: ich entwarf und vollendete in fliegender Schnelle eine Dichtung, an deren musikalische Ausführung ich bereits Hand legte. Für die sofort zu bewerkstelligende Aufführung hatte ich einzig Liszt und diejenigen meiner Freunde im Auge, die ich nach meinen letzten Erfahrungen unter dem lokalen Begriffe: Weimar zusammenfassen durfte. – Wenn ich nun in neuester Zeit diesen Entschluß in sehr wesentlichen Punkten andern mußte, so daß er in der Form, in welcher er bereits der Öffentlichkeit mitgetheilt wurde, in Wahrheit nicht mehr ausgeführt werden kann, so liegt der Grund hiervon zunächst in der Beschaffenheit des dichterischen Stoffes, über dessen einzig entsprechende Darstellung ich mir eben jetzt erst vollkommen klar geworden bin. Ich halte es für nicht unwichtig, hierüber meinen Freunden mich in Kürze schließlich noch mitzutheilen.

Als ich die Ausführung von »Siegfried's Tod« bei jedem Versuche, sie ernstlich in Angriff zu nehmen, immer wieder als zwecklos und unmöglich erkennen mußte, sobald ich dabei die bestimmte Absicht einer sofortigen Darstellung auf der Bühne festhielt, drängte mich nicht nur im Allgemeinen mein Wissen von der Unfähigkeit unserer jetzigen Opernsängerschaft zur Verwirklichung einer Aufgabe, wie ich sie in diesem Drama stellte, sondern namentlich auch die Besorgniß, meine dichterische Absicht – als solche – in allen ihren Theilen dem von mir einzig nur noch bezweckten Gefühlsverständnisse nicht nur des heutigen, sondern irgend eines Publikums erschließen zu können. Zu allererst hatte ich diese weitumfassende Absicht in einem Entwürfe des Nibelungenmythos', wie er mir zum dichterischen Eigenthume geworden war, niedergelegt: »Siegfried's Tod« war, wie ich jetzt erst ersehe, nur der erste Versuch gewesen, einen wichtigsten Moment dieses Mythos' zur dramatischen Darstellung zu bringen; unwillkürlich hatte ich mich bemühen müssen, in diesem Drama eine Fülle großer Beziehungen anzudeuten, um den gegebenen Moment nach seinem stärksten Inhalte begreifen zu lassen. Diese Andeutungen konnten natürlich aber nur in epischer Form dem Drama eingefügt sein, und hier war der Punkt, der mich mit Mißtrauen gegen die Wirkungsfähigkeit meines Drama's im richtigen Sinne einer scenischen Darstellung erfüllte. Von diesem Gefühle gepeinigt gerieth ich darauf, einen ungemein ansprechenden Theil des Mythos', der eben in »Siegfried's Tod« nur erzählungsweise hatte mitgetheilt werden können, selbständig als Drama auszuführen. Vor Allem war es aber eben der Stoff selbst wiederum, der mich so lebhaft zu seiner dramatischen Bildung anregte, daß es nur noch Liszt's Aufforderung bedurfte, um mit Blitzesschnelle den »jungen Siegfried«, den Gewinner des Hortes und Erwecker der Brünnhilde, in das Dasein zu rufen.

Wiederum mußte ich nun jedoch an diesem »jungen Siegfried« dieselbe Erfahrung machen, wie sie ähnlich zuvor mir »Siegfried's Tod« zugeführt hatte: je reicher und vollständiger durch ihn meine Absicht mitzutheilen ich in Stand gesetzt worden war, desto drängender mußte ich, gerade um dieser wachsenden Fülle wegen, empfinden, daß auch mit diesen beiden Dramen mein Mythos noch nicht vollständig in die Sinnlichkeit des Drama's aufgegangen war, sondern daß Beziehungen von der entscheidendsten Wichtigkeit außerhalb der wirklichen dramatischen Darstellung unversinnlicht gelassen, und der reflektirenden Kombination des Zuschauers allein zugewiesen geblieben waren. Daß aber diese Beziehungen, dem einzigen Charakter des ächten Mythos' gemäß, von der Beschaffenheit waren, daß sie nur in wirklichen sinnlichen Handlungsmomenten sich aussprachen, somit in Momenten, die allein verständlich immer nur im Drama darzustellen sind, – dieß hat mich endlich, da ich zu meinem Entzücken dieser Eigenschaft inne ward, die wahrhaft entsprechende vollendete Form für die Kundgebung meiner umfassenden dichterischen Absicht finden lassen.

Die Herstellung dieser Form vermag ich jetzt nun meinen Freunden als den Inhalt des Vorhabens, dem ich mich fortan einzig zuwende, hiermit anzukündigen.

Ich beabsichtige meinen Mythos in drei vollständigen DramenIch schreibe keine Opern mehr: da ich keinen willkürlichen Namen für meine Arbeiten erfinden will, so nenne ich sie Dramen, weil hiermit wenigstens am deutlichsten der Standpunkt bezeichnet wird, von dem aus Das, was ich biete, empfangen werden muß. vorzuführen, denen ein großes Vorspiel vorauszugehen hat. Mit diesen Dramen, obgleich jedes von ihnen allerdings ein in sich abgeschlossenes Ganzes bilden soll, habe ich dennoch keine »Repertoirstücke« nach den modernen Theaterbegriffen im Sinne, sondern für ihre Darstellung halte ich folgenden Plan fest: –

An einem eigens dazu bestimmten Feste gedenke ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene drei Dramen nebst dem Vorspiele aufzuführen: den Zweck dieser Aufführung erachte ich für vollkommen erreicht, wenn es mir und meinen künstlerischen Genossen, den wirklichen Darstellern, gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern, die um meine Absicht kennen zu lernen sich versammelten, diese Absicht zu wirklichem Gefühls- (nicht kritischem) Verständnisse künstlerisch mitzutheilen. Eine weitere Folge ist mir ebenso gleichgiltig, als sie mir überflüssig erscheinen muß. –

Aus diesem Plane für die Darstellung vermag nun auch jeder meiner Freunde die Beschaffenheit meines Planes für die dichterische und musikalische Ausführung zu entnehmen, und Jeder, der ihn billigen kann, wird zunächst mit mir auch gänzlich unbekümmert darum sein, wie und wann dieser Plan sich dereinst vor der Öffentlichkeit verwirklichen solle, da er das Eine wenigstens begreifen wird, daß ich bei diesem Unternehmen nichts mehr mit unserem heutigen Theater zu thun habe. Wenn meine Freunde diese Gewißheit fest in sich aufnehmen, so gerathen sie dann mit mir endlich wohl auch darauf, wie und unter welchen Umständen ein Plan, wie der genannte, ausgeführt werden könne, und – vielleicht erwächst so mir auch ihre einzig ermöglichende Hilfe dazu. –

Nun denn, ich gebe Euch Zeit und Muße, darüber nachzudenken: – denn nur mit meinem Werke seht Ihr mich wieder!


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