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Als Herodotos von Halikarnassos aus dem uralten Fabellande Ägypten, von den grünen Ufern seines geheimnisvollen Wunderstroms und aus dessen roten Wüsten wiederkehrte, schrieb er die Geschichte von Land und Volk.
Von den vielen Werken, in denen der große Reisende über Abstammung, Schicksale und Sitten fremder Völkerschaften berichtet, in denen er von ihren Göttern, überirdischen Gewalten und Mythen aussagt, ihre Tempel, Pyramiden und andre unerhörte Bauten und Skulpturen beschreibt – von seinen sämtlichen berühmten Geschichtsbüchern ist Herodots Buch »Ägypten« das berühmteste.
Es ist ein erstaunliches Dokument scharfen Forschergeistes aus Zeiten, die noch von keinem Licht durchleuchtet waren.
Mitunter plaudert der ernsthafte Mann, der den Ehrentitel eines »Vaters der Geschichtschreibung« erhielt, unter großen und bedeutungsvollen Dingen auch von Geringerem, was sich wie überaus seltsame Begebenheiten anhört.
Sogar Frauengeschichten weiß der Halikarnasser zu erzählen und darunter befinden sich etliche, die von einem sensationslüsternen Schreiberlein erfunden scheinen. Freund Herodotos freilich versichert auf das Feierlichste, sie hätten sich wahr und wahrhaftig begeben!
So möge denn die eine und die andere dieser merkwürdigen Historien von berühmten oder berüchtigten, von anmutigen oder heldenhaften Ägypterinnen auf diesen wenigen Blättern – nicht wortgetreu wiedererzählt, sondern nach phantastischer Poetenart fabuliert werden.
Allerdings mit möglichster Beibehaltung »geschichtlicher Wahrheit«.
1
Gegenüber der uralten Königstadt Memphis, in den Felsenbergen der arabischen Wüste, schienen Ägyptens Völkerschaften versammelt zu sein. Und waren ihrer mehr als hunderttausend.
Aus allen Teilen des Weltreichs, von den Grenzen des schwarzen Äthiopiens bis zu den Mündungen des Nilstroms, waren die Heerscharen durch ein Volk von Aufsehern und Söldnern mit Geißel und Schwert zusammengetrieben worden. Dazu kamen sämtliche Kriegsgefangene aller der Länder, welche die Pharaonen sich unterworfen hatten; dazu kamen die Ebräer, von allen geknechteten und verachteten Stämmen die am meisten geknechteten und verachteten, für so unrein gehalten wie die Schweine, auf deren verbotenem Genuß für einen frommen Ägypter der Tod stand.
Diese Tausende und aber Tausende mußten dem König Cheops Frondienst leisten.
Auf einem weiten Felde der libyschen Wüste, dort, wo die große Sandwildnis über dem vom Nilstrom alljährlich überschwemmten Fruchtland steil aufsteigt, ließ sich der Pharao sein Grab bauen. Auch Osiris war gestorben und begraben worden. Also mußten auch Götter sterben und begraben werden. Also auch Gott Cheops.
Das Pharaonengrab sollte ein Felsengipfel werden, durch Königswillen aufgetürmt von Menschenhand. In den künstlichen, auf allen vier Seiten spiegelblank geglätteten Berg wurde durch die Gründe der Erde ein Arm des Nil eingeführt, und der unterirdische Fluß sollte ein unterirdisches Eiland umfluten.
Auf dieser in den Schoß der Erde versenkten Insel, in einem Sarkophag, aus einem einzigen gewaltigen Block roten nubischen Granits gemeißelt, wollte der tote Herrscher ruhen, für alle Ewigkeiten unauffindbar, unantastbar eingeschlossen in seinem Gebirge.
Das gigantische Werk rasenden Pharaonenwahnsinns sollten jene Hunderttausende ausführen ...
Lediglich mit einem Schurz aus tiefblauem Linnen bekleidet, arbeitete ein Gewimmel jugendlicher schlanker Gestalten – nur die kräftige Blüte aller Länder wurde für tauglich befunden – unter der Geißel der Aufseher, dem Schwerte der Söldner. Ihre Leiber, die edlen Erzgebilden glichen, waren von der Knute aus Streifen steinharter Nilpferdhaut blutig geschlagen, von Schwerthieben zerrissen. Im Brand der Wüstensonne brachen sie das gelbe Kalkgestein, zogen es aus den Brüchen zum Strome, führten es hinüber, schleppten es den weiten Weg bis zur Hochebene der andern, der libyschen Wüste empor.
Um für das Hinschaffen der Riesenblöcke vom Flußufer zur Baustelle die Bahn zu bereiten, hatte man zehn volle Jahre gebraucht.
2
Das reichste Land der Erde verarmte. Der Ewigkeitswahn seines Herrschers fraß des Landes Wohlstand und Gedeihen, die Pharaonengruft verschlang Ägyptens blühendes Leben.
Von seinem Felde fort wurde der Landmann nach den Felsenbergen der arabischen Wüste getrieben, deren gleich Gold glänzende Wände unter einem ewig wolkenlosen Himmel Gluten ausstrahlten. Die Steinbrüche wurden den Arbeitern zu feurigen Kerkern, darin sie scharenweise umkamen. Oder sie ergriff Wahnsinn ...
Wie die Felder längs der beiden Nilufer allmählich keine Frucht mehr trugen, verödeten in demselben Maße Dörfer und Städte. Es sollte jedoch noch grausamer kommen. König Cheops erließ das Gebot:
»Meine Majestät befiehlt den Völkern Meiner beiden Königreiche, der weißen und der roten Krone, sämtliche Tempel und Heiligtümer zu schließen und sämtlichen Göttern und Göttinnen Opfer und Anbetung zu versagen. Die Einkünfte aller Priesterschaften Ägyptens und von Ägyptens Provinzen gehören fortan ausschließlich Meiner Majestät!«
Seit den grauen Zeiten, da Götter, Tempel und Priester bestanden, war von Priestern in Tempeln den Göttern gedient worden, und eine hilfeflehende Menschheit hatte voll Bebens und zugleich voll Harrens und Hoffens zu den geheimnisvollen Gewalten beten dürfen. Dieser einzige Trost im Erdenleid wurde den Unseligen plötzlich versagt.
Sie schrien indessen nicht auf vor Entsetzen und Empörung, ja, sie murrten nicht einmal; die Volksseele war zu grauenvoll geknechtet, war eine zu abgestorbene Seele, so recht eine Sklavenseele, welche Peitsche und Geißel, Unterdrückung und Erniedrigung für sich geradezu begehrte. Jetzt ward ihr die schändlichste Schmach zugefügt und sie ertrug auch diese.
Die Hunderttausende brachen Steine – Steine – Steine; schleppten als menschliche Lasttiere die Felsen zum Nilufer, führten sie über den Fluß, wälzten sie den Wüstenrand hinauf, türmten sie empor, höher und höher und höher. Sie näßten das Pharaonengrab mit ihrem Schweiß, feuchteten es mit ihrem Blut und begruben darin ihre Menschenwürde.
Aber auch die unermeßlichen Schätze der Götter, ihrer Tempel und Priester, genügten König Cheops nicht. Da verfiel der durch seine Göttlichkeit unmenschlich Gewordene auf etwas Unmenschliches.
3
Wie die Tyrannei König Cheops' ohnegleichen war, ebenso einzig auf Erden war die Schönheit seiner Tochter Henwetsen. Sie glich an Gestalt und Antlitz dem Liebreiz, womit das schönheitstrunkene Volk der Hellenen seine große Göttin der Liebe ausstattete. Ihrer Schönheit gleich kam ihre Keuschheit, kam ihr jungfräulicher Stolz.
Jeden Tag fuhr der Pharao im goldenen, von goldgeschirrten schneeweißen Rossen gezogenen Wagen von seinem Palast zu Memphis durch die libysche Wüste zu jener Stelle, wo höher und höher dem roten Wüstensande sein Grab entstieg, und jeden Tag mußte ihn seine wunderschöne Tochter dahin begleiten. Ein Heer von Großen und Feldherren des Reichs, von Palastbeamten, Wedelträgern, Schreibern, Läufern und Leibwachen aus der Jugendblüte aller Nationen bildete des Göttlichen Gefolge. Aber nur der Pharao und seine Tochter waren zu Wagen – der ganze gewaltige Troß mußte voraus, nebenher, hinterdrein zu Fuße ziehen, mußte in dem tiefen Wüstensande laufen, rennen, rasen; konnte stürzen, sinken, ermattet liegen bleiben – konnte elend umkommen.
Erschien der König bei dem Pyramidenbau, so empfingen den Göttlichen Flötenbläser, Lauten- und Harfenspieler, empfingen Seine Majestät Sängerchöre und Tänzerinnen. Jünglinge und Knaben breiteten Teppiche aus, richteten Zelte auf, streuten Blumen und Wohlgerüche, reichten Erfrischungen, wobei sie sich mit dem ganzen Leibe zu Boden warfen.
Aber die Aufseher wußten, was König Cheops mehr liebte als schöne Frauen, Wohlgerüche und Melodieen. Das war das Wimmern und Wehklagen, waren die Schmerzensschreie der Sklaven bei dem Bau der Königsgruft. Also schwangen sie kräftig die Geißeln, peitschten – peitschten – peitschten; färbten Sand und Gestein blutrot.
Tagtäglich mußte die Königstochter die Jammerlaute der Mißhandelten mitanhören; mußte tagtäglich die jungen Leiber bluten sehen und mußte dazu lächeln. Denn so wollte es König Cheops.
Eines Tages überwältigte Mitleid die Holde. Anstatt zu lächeln, begann sie bitterlich zu weinen, und es geschah das Unerhörte, das Unmögliche, daß eine Stimme wagte, den Pharao um Erbarmen zu bitten.
Weil nun solches unmöglich war, so war es zugleich ungeheuerlich, und ungeheuerlich erhob sich daher in dem Herzen des Angeflehten der Grimm. In dieser Stunde begab sich, daß der Göttliche den letzten Rest seines Menschentums verlor.
Und König Cheops gebot, seine Tochter, die Prinzessin Henwetsen, sollte vor dem Königspalast zu Memphis jeden Abend bei Anbruch der Nacht öffentlich ausgestellt werden.
Sie sollte von jeder Hülle entblößt sein.
Jedermann sollte hinzutreten und sie auf den Mund küssen dürfen.
Wer sie auf den Mund küßte, mußte für den Kuß einen Preis zahlen – nicht anders, wie der Liebhaber einer Dirne für die Gunst der Dirne zahlt. Da es jedoch die Lippen einer Königstochter waren, darauf der Mann die seinen pressen durfte, so war für den Kuß ein königlicher Preis angesetzt. Bewaffnete Wächter standen daneben und sammelten in großen Becken das Gold, die Kleinodien und Perlen.
Und ferner gebot König Cheops: Wer von den reichen Männern und Jünglingen beider Länder, der roten und der weißen Krone, die Königstochter nicht küßte, also den Königspreis nicht zahlte – ein solcher Übeltäter des königlichen Befehls sollte hingerichtet werden!
Und ferner gebot König Cheops: »Was durch die Küsse auf den Mund der Prinzessin Henwetsen an Gold, Kleinodien und Perlen einkommt, soll zu dem Bau der Cheopspyramide verwendet werden, um deren Erbauer die Königstochter geweint hat.«
Die Pyramide aber soll den Namen erhalten
» Glanz des Göttlichen.«
Wie König Cheops gebot, so geschah es.
4
Jeden Abend, wenn die Sonne im Westen ins Totenreich sank, mußte die holde Henwetsen auf ihren keuschen Lippen die Schmach lüsterner Küsse erdulden.
Jungfrauen führten die Jungfrau aus dem Palast. Vor diesem war über einer hohen Estrade ein Baldachin aus Purpurseide ausgespannt; Purpurseide bedeckte die Stufen der Treppe und den Boden des königlichen Prangers. Auf diesem erhob sich eine Säule aus Smaragd, der bei Nacht ein magischer Schein entstrahlte.
Gegen die Säule lehnte Henwetsen ...
Unter den Klageliedern ihrer Jungfrauen wurde auf der zarten Schulter die Spange gelöst, die das Gewand hielt. Es sank herab. Und gelöst wurde der Prinzessin das blauschwarze, von blauen Lotusblumen durchflochtene Haar – wurden doch auch die Opfertiere mit Lotus bekränzt. Als der Pharao von solchem natürlichen Schleier vernahm, mußte das reiche Gelock zu zwei Strähnen zusammengeknotet und um den schlanken Hals des Opfers geschlungen werden, so daß es war, als würde der blasse Leib von zwei schwarzen Schlangen umzüngelt.
Nachdem sie die Enthüllung, die Entweihung vollbracht, entwichen die Jungfrauen weinend, und an die Stufen des Altars, darauf ein lebendiges Götterbild thronte, traten die Wächter mit den Gefäßen zum Einsammeln der Preise, während andre Söldner gewaltsam das Volk fernhielten. Dieses drängte heran, um die Herrlichkeit des jungen Frauenleibes anzustaunen und zuzuschauen, wie eine Königstochter, die Tochter des göttlichen Cheops, durch die Küsse fremder Männer geschändet ward, durch den Kuß eines jeden Mannes, der für solche königliche Wollust den Preis zahlen konnte.
Es kamen die Reichsten beider Länder, der weißen und der roten Krone Ägyptens, der Krone mit der Lilie und der Krone mit dem heiligen Lotus, um die holdselige Henwetsen auf den Mund zu küssen. Sie kamen aus Lust und Gier, und sie kamen aus Furcht und Not, denn sie mußten entweder die schweigende Königstochter oder den kalten Tod umarmen.
Mit zurückgesunkenem Haupt und geschlossenen Augen lehnte Henwetsen in halber Bewußtlosigkeit gegen die wunderbare Säule, deren Schein ihren weißen Blütenleib mit grünlichem Glanz umfloß. Einer nach dem andern trat durch die Reihe der Wachen hinzu, zahlte den Preis, stieg die Stufen hinan und küßte sie. Sie fühlte die Glut der Lippen auf den ihren und eisige Schauer, Schauer des Todes, durchrieselten sie ...
Zu Memphis, der Königsstadt, unter einem Himmel, den Götter bewohnen sollten, geschah es, daß die Tochter König Cheops' während vieler Monde Nacht für Nacht von gierigen Männerlippen geküßt ward.
5
Als der Schmach genug getan, des Goldes, der Kleinodien und Perlen zu dem Grabmal des Pharao genug eingeheimst waren, verbarg sich die geschändete Königstochter im tiefsten Innern des Palastes. König Cheops aber trat in Verhandlungen mit den Thronerben und Königssöhnen andrer mächtiger Reiche, um für Prinzessin Henwetsen einen Gatten zu suchen, erhielt von allen Seiten höhnende Ablehnungen. Der Pharao drohte mit Krieg und Vernichtung, wurde jedoch auch dann mit seiner nichts mehr geltenden lebendigen Ware voller Spott zurückgewiesen.
Von allen diesen Kränkungen erfuhr das Frauenwesen, das jedem lüsternen Blick und Mund preisgegeben war. Da beschloß die tödlich Gekränkte zu sterben. Weil sie jedoch im Innersten ihrer entweihten Seele ein leidenschaftliches Weib war, so faßte sie zugleich den Entschluß, an ihrem unnatürlichen Vater Rache zu üben.
Als die Prinzessin damals vor der Pyramide, »Glanz des Göttlichen« genannt, über die Mißhandlungen der sklavischen Erbauer einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen, bitterlich geweint und den Pharao um Erbarmen angefleht hatte, war vor ihren Augen ein junger Ebräer – also einer der Verachtetsten aller Verachteten – beinahe zu Tode gegeißelt worden, was der Jüngling geschehen ließ, ohne einen Wehlaut auszustoßen, ja, ohne nur einen Seufzer zu tun. Während seine Peiniger auf ihn losschlugen, stand er, einem Erzbilde gleich, die dunklen todtraurigen Augen unverwandt auf die junge barmherzige Königstochter geheftet.
So stand er, bis er zusammenbrach und man ihn für tot fortschaffte.
Aber die Jungfrauen der Prinzessin brachten in Erfahrung, daß der Jüngling am Leben geblieben. Wie das nun in einem Frauenherzen so zugeht, hatte die Königstochter den Mißhandelten nicht wieder vergessen, hatte seine dunklen todtraurigen Augen beständig auf sich ruhen gefühlt; ja, während aller erduldeten Schmach waren es einzig die Blicke des Gefangenen gewesen, die sie die Schändung hatten ertragen lassen: wie jener die Marter erduldet, wollte sie die brünstigen Küsse erleiden, die sie ärger trafen als Geißel und Stock.
Als sie ihren Entschluß gefaßt, ließ sie durch einen ihr treu ergebenen Diener über den todesmutigen Jüngling von neuem Erkundigungen einziehen. Er lebte noch immer, brach in den Felsenbergen der arabischen Wüste noch immer Steine oder half die Kolosse bis an die libysche Wüste heranschleppen, wurde beim Pyramidenbau noch immer mißhandelt und blutrünstig geschlagen.
Durch ihren Getreuen wußte die Prinzessin dem jungen Ebräer Botschaft zu senden: »Henwetsen, die Tochter Cheops', die Beschimpfte und Geschändete, trägt dein Bild, du Beschimpfter und Geschändeter, in ihrem todtraurigen Herzen. Sie fordert dich auf, zu entweichen und dich zu ihrer Liebe zu flüchten, die auf Erden allein dir gehört. Komme, du einzig und ewig Geliebter! O komme!«
Zugleich erteilte sie Auftrag, wie dem Jünglinge zur Flucht zu verhelfen und wohin er zu führen sei. Alsdann harrte sie des sehnlich Erwarteten, des herzlich Geliebten.
6
In der Nähe des Königspalastes befand sich ein Tempel der Hathor, der großen Göttin der Liebe. Auch dieses hehre Heiligtum war geschlossen, so daß alle glücklich und unglücklich Liebenden des Landes ihr Glück und ihr Unglück nicht zu dem Altar der hohen Himmlischen tragen und vor diesem keine Opfer darbringen konnten.
In einer wonnigen Frühlingsnacht, als sich Fluten goldigen Glanzes über die Königsstadt ergossen, in den blühenden Granatbäumen die Nachtigallen schluchzten und Rosenduft die Lüfte erfüllte – in solcher seligen Liebesnacht der Natur, wurde eine Pforte des Hathortempels leise, leise geöffnet und leise, leise wieder geschlossen. Drinnen aber, im Allerheiligsten, welches allein der höchste Priester und der Pharao betreten durften, stand unter der Bildsäule der Göttin den Liebenden das Brautbett bereitet, mit Wohlgerüchen durchtränkt und mit heiligem Lotus überschüttet, und ein todblasses herrliches Weib sprach zu dem Geliebten:
»Wenn du mich küssest, so wird dein Kuß mich reinigen von der Schmach, die meinem blutig geküßten Munde und meiner tödlich verwundeten Seele zugefügt worden – wenn ich dich küsse, so wird mein Kuß dich reinigen von der Schmach, die deinem blutig geschlagenen Leibe und deiner tödlich verwundeten Seele zugefügt worden. Willst du durch deinen Kuß mich rein baden, so sage es.«
Er sagte es: »Ich will; denn ich liebe dich.«
Da sprach die Königstochter weiter:
»Bevor ich mich von dir, den ich liebe, darf küssen und weihen lassen, mußt du erfahren, daß dein Kuß mich tötet und daß mein Kuß dich tötet. Denn wisse: für eine Ägypterin steht der Tod darauf, wenn sie von einem Ebräer nur sich anrühren läßt, und Tod steht darauf, wenn ein Mann ein Weib in einem Hause der Götter umarmt. Ich bin Ägypterin, du bist Ebräer und wir befinden uns in dem Tempel der Hathor, der großen Göttin der Liebe. Also bedenke.«
Der Jüngling erwiderte: »Laß uns sterben!«
Als der Tag anbrach, als das Volk von Memphis erwachte, als Gassen, Märkte und Plätze mit Leben sich füllten, fanden sie den Eingang des Hathortempels weit geöffnet, weit geöffnet das Allerheiligste und zu Füßen des göttlichen Bildnisses, als Opfer hingestreckt, zwei junge, wundersam schöne Menschen, die, jeder mit einer Todeswunde im Herzen, sich fest, fest umschlungen hielten, noch im Tode Lippe auf Lippe.
Später begab sich, daß König Cheops, gezwungen durch das Murren der zum Bewußtsein ihrer Schmach erwachten Völker seiner beiden Reiche, der weißen und der roten Krone, für seine tote Tochter, die Prinzessin Henwetsen, unmittelbar vor seiner eigenen Grabpyramide – sie wurde die gewaltigste in ganz Ägypten! – gleichfalls ein Grabmal errichten ließ, erbaut von jenen Steinen, welche die tote Königstochter durch ihre Schmach sich erwarb ...
Auf dem großen Pyramidenfelde von Gizeh, unmittelbar vor der Cheopspyramide, werden dem Reisenden die Reste eines kleinen Grabmals als die »Pyramide der Prinzessin Henwetsen« gezeigt, einer Tochter Königs Cheops.
1
Nikotris, das Weib des großen Ägypterkönigs Sesostris, gebar ihrem Gatten sechs Söhne. Es waren herrliche Jünglinge; und jedermann, der die schlanken hohen Gestalten sah, pries die Königin als aller Mütter stolzeste und glückseligste.
Königin Nikotris war ihren sechs Söhnen mit leidenschaftlicher Liebe zugetan; ihre beiden Jüngsten liebte sie jedoch am heißesten, weswegen sie sich bei der Mutter des leuchtenden Horus, der großen Göttin Isis, auf das heftigste anklagte, ohne daß ihrer übermächtigen Liebe dadurch abgeholfen ward. Ja – je mehr die beiden Jüngsten heranwuchsen und je mehr sie zunahmen an Schönheit, Kraft, Frömmigkeit gegen die Götter und ehrfurchtsvoller Zärtlichkeit für die Mutter, um so heißer wurde Nikotris' Liebe und ihr Stolz auf ihre beiden zuletzt Geborenen. In diesem Stolz vermaß sie sich sogar zu Abydos, an dem Grabe des Osiris, einem Bildnisse der Isis ins Antlitz zu sagen: »Ich bin eine glückseligere Mutter als du, o große Göttin! Denn siehe – du hast nur den einen Sohn Horus, während mein gesegneter Schoß meinem Gatten, dem König Sesostris, sechs Söhne gebar, von denen meine beiden Jüngsten und Liebsten in göttlicher Herrlichkeit prangen.«
Diese Jüngsten waren Zwillinge und hießen Amosis und Amasis. Sie sahen einander so ähnlich, wie ihre Namen ähnlich lauteten, und liebten sich derartig, daß sie unzertrennlich waren und beide ein Herz und eine Seele schienen. Wie ihre Jugendschönheit göttlichen Ursprungs schien, so hatte auch ihre gegenseitige Liebe nichts Irdisches mehr, und beide leisteten daher das Gelübde: würde von ihnen der eine sterben, so sollte der andere im Tode sogleich nachfolgen.
Nun begab es sich, daß König Sesostris in einen großen Krieg zog, in welchen den Herrscher nicht nur seine sechs Söhne, sondern auch die Königin Nikotris begleiteten. Diese Nikotris war nämlich ein Weib mit überaus starker Seele, ebenbürtig der Königsseele ihres hohen Gemahls und würdig, dem Reiche solche Söhne geschenkt zu haben, ein wahres Königsgeschlecht.
Damit das Land während seines Herrschers Abwesenheit nicht ohne Herrn blieb, ernannte der König seinen einzigen Bruder Setnacht zum Statthalter, einen Mann von herrschsüchtigem Geiste, der seinen Bruder haßte, weil er der Ältere war und die doppelte Krone trug, die mit der Lilie und die mit der Lotusblume ...
Nach blutigen Kämpfen und glorreichen Siegen rüstete König Sesostris mit seinem tapferen Heer, seinem heldenhaften Weib und der Sechszahl seiner blühenden Söhne die Rückkehr. Er führte mit sich gefangene Könige und Fürsten und eine unabsehbare Schar Geketteter, darunter die schönsten Jungfrauen und Jünglinge; führte mit sich zahllose Wagen voll Goldes, Silbers und Kupfers, voller Juwelen, Wohlgerüche und tausend anderer köstlicher Dinge. Desgleichen viele Kunstwerke aus Marmor und Erz, mit denen er die Tempel und Städte seines gewaltigen Reiches zu füllen gedachte.
Dem Könige entgegen zog sein Bruder Setnacht, um, tödlichen Haß im Herzen, dem Triumphator zu huldigen. Sesostris empfing ihn mit großer Freude und inniger Bruderliebe.
2
Das königliche Zeltlager befand sich in seiner ganzen Pracht zu Daphnä bei Pelusium. Hier gab es viele Sümpfe, von Kanälen durchzogen, mit hohen Dickichten von Papyrus und Röhricht. Weiße und gelbe, blaue und purpurfarbene Lotusblumen bedeckten die Fluten so dicht, daß ein lebendiger bunter Teppich über den regungslosen Wassern ausgebreitet schien, während Bollwerke schlanker Weiden mit lang niederhängenden, zart rosigen Blütenzweigen und Mengen goldiger Lilien die Ufer säumten.
In diesem schönen Revier veranstaltete Setnacht seinem königlichen Bruder zu Ehren eine Jagd auf Reiher, Kraniche und Flamingos. Da nun nicht nur Sesostris, gleich allen Herrschern der Erde, sondern auch die Königin dem edlen Jagdvergnügen leidenschaftlich ergeben war – von den feurigen jungen Söhnen gar nicht zu reden – schien die anmutige Belustigung nach den wilden Erregungen des Krieges allen doppelt erfreulich. In schmalen Nachen aus starkem Papyrusrohr schiffte sich der Fürst mit den Seinen ein. Statt der Hunde dienten den Jägern gezähmte und abgerichtete schwarze Panther. Die schönen Tiere mußten die Vögel aus den Dickichten jagen und die mit Pfeil und Schleuder erlegte gefiederte Beute aus den Fluten oder den schier unzugänglichen Gebüschen herbeibringen.
Die Königsbarke mit dem Herrscherpaare und seiner prangenden Nachkommenschaft wurde von Fürst Setnacht selber in das Labyrinth der Wasserwege geleitet. Das Schiff war mit Purpur ausgelegt, führte auf vergoldeten Masten Purpursegel und hatte eine Bekränzung roter Rosen. In einiger Entfernung folgten den Majestäten die mit Lautenspielern und Sängerchören besetzten Nachen, aus denen zu sanften Weisen Ruhmeshymnen auf die Heldentaten des Königs, auf die Schönheit der Königin und die Herrlichkeit der Söhne ertönten.
Nun stürzten sich die Panther aus den Fahrzeugen in die Fluten und in die Wirrnisse der zahllosen winzigen Inseln des Sumpflandes, daraus sie das Gevögel aufjagten. Gleich einem lebendigen Gewölk umflatterte es kreischend und wehklagend die frohen Jäger, die nur ihre grausamen Pfeile abzuschießen, nur ihre mörderischen Wurfgeschosse zu schleudern brauchten, ohne zu zielen, nahezu blindlings.
Es ward denn auch ein wahres Vogelschlachten, daß den Teppich der Blüten und, wo dieser zerriß, das schwarze Gewässer sehr bald die Königsröte färbte.
Die Panther, angesteckt von der Mordgier der Menschen, trieben mit heiserem Geheul immer neue Opfer auf, die unbeachtet liegen blieben, wo sie sterbend oder verwundet niederfielen.
Nach Stillung des Blutdursts gelangte die Königsbarke – beständig unter Führung Setnachts – zu einem gleichfalls von hohem Schilf und Papyrus umschlossenen Eiland. Hier nun, inmitten des dichten Röhrichts, war ein freier Platz ausgerodet, wo man das Königszelt aufgebaut und das Königsmahl gerichtet hatte. Fürst Setnacht in eigener Person kredenzte seinen hohen Verwandten in rosenbekränzten goldenen Schalen den Wein, der von solchem wundersamen Wohlgeschmack war, daß auch die Königin davon trank. Danach pflegten alle auf kühlen, mit Wohlgerüchen angefeuchteten Polstern einer tiefen Ruhe.
3
Königin Nikotris träumte, ihr erscheine Isis, die große Göttin, und geböte: »Opfere zwei deiner lieben Söhne, o Nikotris, Königin!«
Diese erwiderte im Traum der Göttin: »Weswegen befiehlst du einer Mutter zu vollbringen, was doch keine Mutter vollbringen kann, du göttliche Mutter des göttlichen Horus?«
Die große Göttin sprach zum andern Male: »Opfere zwei deiner Söhne, o Nikotris, du Weib des Sesostris!«
In ihrem Traum rief die Mutter der sechs blühenden Söhne: »Befiehlst du mir so Unmütterliches und Unmenschliches, weil ich zu Abydos vor deinem Bildnis mich rühmte, auf Erden die stolzeste und glückseligste Mutter zu sein? Stolzer und glückseliger als selbst du, o göttliche Gattin des göttlichen Osiris!«
Da sprach die Göttin zum dritten Male mit deutlich vernehmbarer drohender Stimme: »Opfere zwei deiner lieben Söhne, o Nikotris, du stolze und glückselige Mutter der von Göttern und Menschen geliebten, in Schönheit und Kraft strahlenden Zwillingsbrüder Amosis und Amasis!«
Nachdem die Göttin der Königin im Traum zum dritten Male geboten, stieg eine mächtige Flamme auf, darin die himmlische Erscheinung verschwand ...
Mit gellendem Aufschrei erwachte die Königin aus schwerem Schlaf. Aber siehe – sie schien noch immer zu schlummern und schrecklich zu träumen: Rings um das Königszelt loderten Flammen. Inmitten des gewaltigen Feuerkranzes aber lagen, in tiefen friedlichen Schlaf versunken, ihr herrlicher Gemahl und ihre sechs lieben Söhne.
Der gräßliche Traum war gräßliche Wirklichkeit ...
Die Königin weckte die Schlummernden, die taumelnd, in halber Betäubung, aufschreckten. Sie sahen sich von der feurigen Lohe umzüngelt wie von einem haßglühenden Feind, der die Königsfamilie im Schlafe überfallen hatte und vor dem es keine Rettung gab.
Auch das erkannten sie, daß sie verlassen und verraten waren! Verlassen und verraten und zum Feuertod verurteilt von des Königs eigenem Bruder Setnacht, der nach Vertilgung König Sesostris' und seiner sechs Söhne mit den Kronen beider Reiche gekrönt werden würde.
Näher und näher züngelte das Heer feuriger Schlangen. Da bereiteten sie sich vor, wie Helden zu sterben. Und sie sprachen zu einander: »Wir sterben einen Königstod!«
Plötzlich fiel der Königin ihr Traum ein und was ihr im Traume die Göttin geboten hatte: »Opfere zwei deiner lieben Söhne!«
Sie rief: »Wenn zwei von uns in die Lohe sich werfen, so wird Isis, die große Göttin, durch die beiden Geopferten das Feuer löschen, und die Lebenden werden über die Toten wie über eine Brücke hinwegschreiten, die ihnen die Götter durch das Flammenmeer bauten.«
Und die Königin sprach weiter: »Ich und der König könnten jene beiden sein, auf daß unsre lieben Söhne am Leben bleiben, den Mord an ihren Eltern rächen und Ägypten ein junges starkes Königsgeschlecht habe. Aber sie sind noch zu jung und zu unerfahren, und die Reiche und Völker bedürfen noch zu sehr des Lebens und der Kraft ihres großen Vaters. Aber auch ich kann nicht eines der Opfer sein, denn König Sesostris bedarf noch zu sehr der Liebe und Stärke seines Weibes bei seiner schweren Regierung. Darum müssen nach dem Gebote der Göttin zwei unsrer lieben Söhne für die andern den heiligen Opfertod sterben, um im Gedächtnis der Völker unsterblich zu leben.«
Und die Heldenmutter befragte ihre sechs lieben Söhne: »Welche von euch sind die beiden Helden, die für die andern den Tod erleiden wollen, um das ewige Leben zu haben?«
Da wollten alle sechs Jünglinge sterben.
Näher und näher und näher die gefräßigen gräßlichen Flammen!
In letzter Not entschied das Weib des Sesostris: »Meine beiden jüngsten und liebsten Söhne sollen sich opfern! So will es Isis, die göttliche Mutter des göttlichen Horus, die meiner Liebe solche Prüfung auferlegt ... Amosis und Amasis – eilt, euch in die Flammen zu werfen, auf daß eure Mutter die Prüfung bestehe.«
Mit einem Jubelschrei gehorchten die Söhne, warfen sich jauchzend in den wütenden Brand, bildeten mit ihren Jünglingsleibern eine leuchtende Brücke, über welche die Geretteten, von der durch solchen Gehorsam versöhnten Göttin geleitet, hinschritten, ohne daß auf ihrem Haupt ein Haar oder an ihrem Gewand der Saum versengt ward.
4
König Sesostris hielt triumphierenden Einzug in seine Reiche und seine Völker jauchzten dem Siegreichen entgegen.
Mit dem Pharao kam sein königliches Gemahl, kamen vier seiner Söhne. Fragte jemand nach den beiden Jüngsten und Liebsten, so erwiderte die Königin Nikotris strahlenden Angesichts: »Wenn es nacht wird, geht aus euern Häusern und blickt zum Himmel empor. Ihr werdet in dem ewigen Äther, nahe bei einander, neue leuchtende Sternbilder schauen. Das sind meine beiden lieben Söhne Amosis und Amasis, die in die Lichtwohnungen der Götter einzogen und darin glänzen werden in alle Ewigkeit.«
Darauf erzählte sie die Geschichte jener Zwillingssterne: wie die Königsfamilie in den Sümpfen von Daphnä bei Pelusium auf einer Vogeljagd nach üppigem Gelage fest eingeschlummert und während ihres Schlafes das Röhricht des Eilands durch die Sonnengluten in Brand geraten war; wie der treue und teure Bruder ihres Gemahls, Fürst Setnacht und alles Gefolge zu spät zu Hilfe gekommen; wie ihre beiden jüngsten und liebsten Söhne sich in die Flammen geworfen und die anderen wie auf einer Brücke über sie hinwegschreitend, durch göttliche Hilfe gerettet worden.
In sämtlichen Tempeln Ägyptens wurden den Himmlischen Dankopfer gespendet, wurden den beiden jungen Helden Standbilder errichtet und die Völker streckten nachts ihre Arme zu den Gestirnen empor und riefen dabei die Namen der beiden unsterblichen Toten mit Wehklage und Jubel zugleich ...
Nachdem eine Zeit verstrichen war, beschloß die Königin, zu Theben in ihrem Palast am Nil ein Dankes- und Siegesfest zu feiern. Zu diesem lud sie den Bruder ihres Gemahls und alle jene, die damals zu spät zur Rettung der Königsfamilie eintrafen.
In einem mit Goldplatten ausgelegten Saal, an dessen Decke aus Lapislazuli ein Heer saphirner Sterne funkelte, wurde bei dem Spiel von Lauten, Flöten und Harfen die Feier begangen.
Inmitten des Saales, auf mächtig erhöhtem Thronsitz, schauten König und Königin mit ihren vier Söhnen dem Schauspiele zu. Neben ihren Sesseln standen große Körbe voll kostbarer Schmuckstücke, die sie von hoch herab als Ehrengaben unter die Gäste warfen, so daß auf diese Gold, Juwelen und Perlen herabregneten.
Nachdem die dienenden Jungfrauen und Jünglinge die Geladenen mit Wohlgerüchen gesalbt, sie mit Lotus bekränzt und einen jeden an seinen Platz geführt hatten, begannen Tänzerinnen anmutige Reigen aufzuführen. Sie waren mit Kleinodien behangen und schlugen zu den Bewegungen ihrer binsenschlanken Leiber kleine goldene Handtrommeln. Inzwischen boten die Dienenden den Gästen die bekränzten Schalen, wobei sie jedem zuriefen: »Feiere den frohen Tag!«
Plötzlich trat ein Schweigen ein, das einer Todesstille glich. Das hohe Tor des Saales öffnete sich und herein wallte ein langer Trauerzug. Jünglinge trugen eine Bahre mit einem offenen Sarkophage, darin zwei tote Jünglinge ruhten: die Zwillingsbrüder Amosis und Amasis.
Es waren getreue Abbilder der Gestorbenen, um die nun im Saale eine gellende Totenklage erhoben ward. Todbleichen Angesichts stimmten auch die Gäste mit ein. Die Weiber in dem Trauerzuge rauften ihr Haar, streuten sich Asche aufs Haupt und zerschlugen sich mit der Geißel Brüste und Nacken. Auf der Empore aber stand die Mutter der beiden Toten; tat keinen Laut; starrte aus glühenden Augen regungslos auf die Mörder ihrer lieben Söhne herab ...
Jetzt winkte sie und der Trauerzug verließ den Saal. Wiederum, auf einen Wink der Königin, begann das Spiel der Flöten, Lauten und Harfen, begannen die Tänzerinnen ihre Reigen, begannen die Dienenden Lotus zu streuen, gefüllte Schalen zu reichen und die verwelkten Kränze mit frischer Blumenpracht zu vertauschen. Zugleich stimmten die Sänger das Freudenlied an:
»Feiere den frohen Tag!
Bereite Salben und Wohlgerüche!
Kränze von Lotusblumen für Glieder und Stirn,
Für den Leib der Geliebten, die in deinem Herzen wohnt,
Die neben dir ruht.
Schmücke dich, so schön du kannst!
Lege Balsam auf dein Haupt!
Lasse vor dir singen und tanzen!
Mit strahlendem Antlitz feiere den frohen Tag!
Wirf hinter dich alle Sorgen und denke nur an die Freude!
Nur an das Leben denke, o Lebender,
Bis daß kommt der Tag, wo du fährst zum Lande,
Welches das Schweigen liebt;
Bis deine Seele gleitet nach Westen, nach Westen!«
Und alle sangen schauervoll im Chor:
»Nach Westen! Nach Westen!
Denn der Tag kommt!«
Da alle betäubt waren von den schwülen Wohlgerüchen und den Dämpfen brennenden Weihrauchs aus dem Fabellande Punt, alle trunken waren von Wein und Wollust und das Fest zur Orgie geworden, siehe – da kam der Tag! Der Tag der Sühne und des Gerichts für die Schuldigen, der Tag höchsten Glücks und Triumphes für Nikotris, die Richterin und Rächerin.
Eine der vier goldenen Wände des Saales barst krachend auseinander, und herein wälzte sich, ein flutendes furchtbares Ungetüm mit gelben mordgierigen Wogen, der Nilstrom.
Regungslos, gleich einem Bildnis aus Juwelen und Gold, stand die Königin Nikotris hochaufgerichtet im Kreise von Gatten und Söhnen und schaute mit strahlendem Lächeln auf die grauenvolle Vernichtung hinab.
Bis zu ihren Füßen stieg die Racheflut und wälzte einen Wall toter Leiber rings um den Königsthron, der wie ein goldener Felsengipfel den Wogen entstieg.
Aus dem Knäuel der Sühneopfer, dicht vor dem königlichen Hochsitz, tauchte das von Todesangst verzerrte Antlitz des Verräters Setnacht auf. Mit dem Blick und dem Lächeln einer Verzückten rief die Mutter von Amosis und Amasis dem verzweiflungsvoll Ringenden zu: »Feuer wird nur durch Wasser gelöscht!«
Und als der Ertrinkende mit letzter versagender Kraft an den Rand der Estrade sich anklammern wollte, riß die Rächerin dem Pharao die Doppelkrone seiner beiden Reiche von der Stirn, hob das heilige Gold mit beiden Händen hoch empor, und – »So stirb denn gekrönt!«
Rief's und schmetterte die zwiefache Königskrone auf das Haupt des Mörders ihrer lieben Söhne hinab.
Herodotos von Halikarnassos berichtet von solcher Königsfrau.
1
Im Ägäischen Meer kämpfte im Sturm ein Griechenschiff mit den wütenden Wogen. Es wäre rettungslos untergegangen, hätte nicht die schaumgeborene große Göttin, nicht Aphrodite selbst das hin und her geschleuderte Fahrzeug gegen den Grimm Poseidons geschützt.
Ihr, der holdseligen Himmlischen, hatte König Priamus' junger Sohn Alexandros, der schlanke Bruder des hehren Helden Hektor, vor allen Göttinnen den Schönheitspreis zuerkannt, und sie hatte dafür dem Jünglinge zum Lohn die allerherrlichste Frau der Erde verheißen und auch verliehen.
Dieses wunderbare Weib, darin die Göttin selbst Mensch geworden erschien, war Helena, Tochter des Tyndaros, Gattin des Menelaos, des Fürsten von Sparta. Als dessen Gast hatte der junge Teukrer mit Hilfe der Liebesgöttin die Wunderschöne berückt. Das heilige Gastrecht hatte Alexandros – er führte auch den wohllautenden Namen Paris – schnöde gebrochen, hatte das Weib des edlen Gastfreundes entführt und wollte nun die köstliche Beute in dem Königreich seines Vaters bergen, welches der vielfach gewundene Skamandros durchströmt und in welchem das hochragende, stark umwallte Troja die prangende Königsburg ist. Da erreichte den Frauenräuber der Zorn des Meergotts. Von der Götterkönigin Hera und der Zeustochter Pallas Athene, den beiden durch die Schönheitswahl des jungen Königssohnes tödlich gekränkten Olympierinnen, schwer gereizt, schwang der Beherrscher der purpurnen Salzflut seinen grimmigen Dreizack über Wogen und Schiff.
Der Jüngling Alexandros aber achtete nicht des nahen Untergangs, achtete bei aller Todesgefahr nur eines: daß der Erde schönstes Weib sein, wenn auch durch Treubruch errungenes Eigentum sei und daß ihm dieses sich noch immer versagt habe. Denn Helena hatte zu Sparta im Tempel der Aphrodite vor dem Bildnis der Göttin das Gelübde geleistet: »Nicht eher, o Alexandros, darf dein Mund den meinen berühren, als bis deine hehre Mutter in der Stadt deines königlichen Vaters uns das Brautbett bereitet und mit Rosen und Myrrhen bestreut hat.«
Nun sah der Liebende vor seinen Augen den grausen Tod, ohne ein einziges Mal die Geliebte selig umfangen zu haben ...
Um von den rasenden Elementen nicht in den Schoß des Meeres gerissen zu werden, hatte Helena am Mast sich festbinden lassen. Der Sturm wühlte in ihrem langen Goldhaar, löste seine Bande, wehte es wie einen glanzvollen Schleier hoch in die Lüfte. Ihr veilchenfarbenes Gewand riß er der Göttlichen vom Leibe, daß sie hüllenlos dastand und die teukrischen Schiffer keiner Rettung gedachten, sondern in verzücktem Staunen auf die weiße Erscheinung starrten. Die Wogen schlugen herauf, krochen an den glänzenden Gliedern empor, umfingen sie voll wilder Lust, was dem in wahnsinniger Leidenschaft befangenen Jüngling versagt blieb.
Als er die Qual nicht länger ertrug, stürzte er zu der von den Wellen Umschlungenen und schrie auf: »Laß uns sterben im Kusse!«
Aber ihr mahnender Blick scheuchte ihn zurück wie ein Göttergebot ...
Und Aphrodite gewährte die Rettung; doch verharrte Poseidon voll tückischer Arglist.
2
Denn die östlichen Winde trieben das Fahrzeug weiter und weiter von den teukrischen Gestaden hinweg, bis zu den wilden Küsten Phönikiens, woselbst die Frauen von Sidon die prächtigen Purpurgewebe wirken und Gold gemeines Metall ist. Und weiter noch trug die empörte Salzflut Helena, die Edelentsprossene, mit ihrem verruchten Entführer, bis in das ägyptische Meer und zu jener Mündung des Nilstroms, welche die Kanobische heißt.
Hier erhob sich am öden Ufer von Sand und Gestrüpp ein Tempel des Herakles, und das Heiligtum dieses von Göttern und Menschen geliebten hilfreichen Heros bot seit uralten Zeiten allen Flüchtigen und Verfolgten ein Asyl. Selbst der mit Fluch bedeckte Vater- und Muttermörder war in den heiligen Hallen vor den schrecklichen Rachegöttinnen geborgen.
Da die teukrischen Schiffer den schützenden Tempel gewahrten, steuerten sie sogleich in die rettende Bucht, warfen Anker und verließen Fahrzeug und Herrn. Sie glaubten sich nämlich wegen der Schmach, die der Königssohn dem Gastfreunde angetan hatte, von den Himmlischen gehaßt und verfolgt. Nun sollte Herakles, der göttliche Nothelfer, sie gnädig vor weiteren Gefahren bewahren.
In dem Tempel waltete ein weiser Priestergreis, Thonis mit Namen, seines frommen Amts. Diesem beichteten die Treulosen ihr angstvolles Elend und die Schuld des Gebieters, welche freilich die gewaltigen Götter gewollt hatten. Thonis hob jammernd die Arme und rief: »Ihr großen geheiligten Götter – weswegen versucht ihr den Menschen, der doch sterblich geboren und daher menschlicher Schwachheiten voll ist. Wehe, o wehe! Auch dem Herrscher dieses mächtigsten Reiches der Erde wurde ein schönes und teures Weib von einem Buben, den die Götter versuchten und der der Versuchung erlag, schändlich entwendet. Verödet liegt zu Memphis das Königshaus, in einem Schweigen, als sei der Palast ein Totentempel geworden.
»Seine Krone hat König Proteus angetan, in Sterbelinnen sich gehüllt und sein erhabenes Antlitz mit dem Staub der Gasse gezeichnet.
»Wehe, o wehe der Schmach und des Jammers!«
Den Teukrern im Heraklestempel Zuflucht gewährend, entsandte Thonis Eilboten nach Memphis in den Königspalast. Sie berichteten dem Pharao, was an der Kanobischen Mündung sich ereignet hatte, und erhielten von Proteus an Thonis den Befehl: »Führe den schuldigen Mann und das ruchlose Weib als Gefangene vor meinen Thron und vor mein Gericht, auf daß ich den beiden das Urteil spreche, als wäre sie mein eigenes treuloses Weib und der von mir und den Göttern verfluchte Verführer!«
So geschah es, daß Alexandros, König Priamus' jüngster und liebster Sohn, mit Helena, dem Weibe des würdigen Fürsten von Sparta, in seinem eigenen teukrischen Schiffe gefangen den Nilstrom aufwärts geführt ward, um vor das Antlitz des Ägypterkönigs zu treten, dem ein gleiches Schicksal widerfahren war, wie Menelaos, dem vertrauenden und gütigen Gatten der Weib gewordenen Liebesgöttin, der beseligenden und verderblichen.
Denn es macht die Liebe den Mann zum Gott, und sie macht ihn zum Ehrlosen, zum Verräter und Totschläger ...
Nilaufwärts ging die langsame Fahrt in beständigem Kampf mit reißenden Wirbeln und bedrohlichen Untiefen. Von dem Deck ihres Schiffes aus schaute das schönste Liebespaar, das jemals in Menschengestalt auf Erden gewandelt, die Wunder des Fabellandes, an beiden Ufern die Pracht der Städte und die Herrlichkeiten der Tempel mit den gigantischen Bildsäulen der Pharaonen vor den turmhohen Pylonen, die Palmenhaine und Rosengefilde, die der mächtige Fluß wie in einem Blumenbette durchwogte. An Inseln schifften sie vorüber, auf denen Scharen brauner Wüstengeier im Sonnenschein ihre Schwingen ausbreiteten, und welche rosige Flamingos und Pelikane bevölkerten. Oder heilige Krokodile, mit Kleinodien geschmückt, wurden in Tempelteichen gehegt. Oder auf blauen Lotusblumen ruhten schneeweiße Ibisse, gleichfalls den Gottheiten des Landes geweiht. Dann aber stieg es vor den Gefangenen auf in rotem Glanz, als stünde die Erde in Flammen: die Wüsten Arabiens und Libyens im Feuer des Sonnenuntergangs lodernd! Aber was als brennende Felsengipfel erschien, waren die Pyramiden von Gizeh und Abusir und Memphis – waren die Gräber der Könige.
Eine lange Reihe von flammenden Bergspitzen war's, eine lange Reihe von Pharaonengrüften ...
Bald darauf landete das Schiff der Teukrer, Alexandros und Helena befanden sich zu Memphis, der Königsstadt.
3
Der Sohn des Priamus wurde zuerst vor den König geführt. Mit trauriger Strenge sprach Ägyptens Majestät zu dem betörten Jüngling:
»Du stehst in Wahrheit vor mir wie ein Königssproß. Wer du aber auch sein magst – denn ich weiß nicht, ob deine Leute, die dich verrieten, nicht Lüge aussagten – Jüngling, wer du auch seist, so du dich an deinem Gastfreunde vergingst, bist du des Todes schuldig.«
Alexandros entgegnete erhobenen Hauptes: »Das bin ich, o König. Da du mich in deiner Gewalt hast, so lasse mich töten. Nur gönne mir zuvor eine Nacht am Herzen der Frau, um derentwillen ich den Gastfreund verriet und schuldig ward eines schimpflichen Todes durch Henkershand. Denn ich kann nicht sterben, bevor nicht Helena mein geworden, was sie mir wegen eines Gelübdes, das sie der großen Göttin der Liebe geleistet, grausam verweigert.«
Und er verriet Ägyptens Herrscher der Geliebten Eidschwur ...
Proteus saß auf seinem Thron, ein durch den Schmerz um sein Weib gebrochener Mann, doch auch in seiner völligen Verstörtheit ein König. Er winkte, und sie führten Helena in den Saal. Auch diese schritt einher nicht wie zu einem Gericht, sondern wie zu einem Triumph, und alle, die sie sahen, ergriff Schrecken vor der göttlichen Gewalt solcher Schönheit.
Lange schaute König Proteus auf das wundersame Weib: lange schwieg er. Dann kamen über seine Lippen leise, leise diese Worte: »Alexandros! Du, der du dich nennst König Priamus' Sohn – schuldig bist du dreifachen Todes. Dennoch fälle ich über dich einen andern Spruch. Denn dreifach mörderischer als Tod trifft dich, Mörder von Gattenehre, dieses, mein andres Urteil: › Trennung von dem Weibe, dessen Schönheit nicht von dieser Erde ist!‹«
Da schrie der zum Leben Verdammte auf, als empfinge er den Todesstoß. Er sank dem furchtbaren Richter zu Füßen, streckte beide Arme empor, flehte mit herzzerreißender Stimme: »Töte mich, König Proteus! Töte mich unter unmenschlichen Qualen und Martern! Nur sei barmherzig und gnädig – sei menschlich, o König! Lasse mich nicht leben und lebend von diesem Weibe scheiden.«
4
Der König hätte das treulose Weib dem gramvollen Gatten unter sicherem Geleit sogleich zurücksenden können, beließ Helena jedoch in seinem Palast, wo er sie nicht wie eine Gefangene, sondern wie eine Königin hielt. Er gab ihr die Frauen und Jungfrauen seines eigenen mit einem Nichtswürdigen entwichenen zuchtlosen Weibes als Gefolge, wies ihr die Säle und Gemächer von Ägyptens ehemaliger Königin zur Wohnung an und gebot, die königlichen Gärten und Lustgefilde für die schöne Frau aus Sparta wieder zu öffnen. Auch lud er sie häufig vor sein schmerzerfülltes Angesicht und würdigte die aus dem Hause des Gatten Entflohene, seinen Kummer zu schauen.
So lebte nun Helena, fern von der lieben Heimat und fern von dem Geliebten, den König Proteus unter dem Geleit seiner eigenen Palastwache auf das Meer zurückgesandt hatte, dessen Küsten er scharf bewachen ließ, damit der Teukrer nicht etwa heimlich lande und ein zweites Mal mit der schönsten Beute entweiche.
Inzwischen erfuhr Helena jede Stunde eines träge dahinschleichenden Tages, welchen Jammer die treulose Gattin von Ägyptens Majestät hinter sich zurückgelassen hatte und was es besagen wollte, ein Menschenleben zu zerstören, das Leben eines heilig liebenden, heilig vertrauenden Gatten. Die ihr beigesellten guten Jungfrauen hörten nicht auf, den Treubruch der Herrin zu beweinen und für die Lebende die Totenklage anzustimmen; hörten nicht auf, der Spartanerin die Schändlichkeit eines solchen Verrats vor die Seele zu führen und ihr den Gram des edlen Königs zu schildern. Da Helena sich nicht als Gebieterin fühlte, gebot sie den Frauen nicht Schweigen, saß wie ein wundersames Marmorbild und hörte stundenlang auf das Weinen, Trauern und Klagen der Getreuen.
Und tagtäglich erfuhr sie am Ufer des Nil an ihrer eigenen Seele das Unheil eines Schicksals, wie solches dem Könige von Ägypten – wie solches dem Fürsten von Sparta beschieden. Da wollten es die großen, gütigen Götter, daß eine strahlende Erleuchtung über sie kam, gleich einer Erkenntnis aus himmlischen Höhen ...
Als König Proteus die Wirkung seiner weisen Absicht bemerkte, fand er: »Nun sei es Zeit!« Sogleich sandte er dem Herrscher von Sparta heimliche Botschaft, die den Trauernden eilends nach Ägyptens Hauptstadt berief, während die Fürsten Griechenlands ihre Völker zum Krieg wider Ilion rüsteten. Des Königs Botschaft an Menelaos war von solcher Art, daß der Fürst in großer Hast aufbrach und bereits nach zehn Tagen den Nil heraufgefahren kam, nicht wissend, wen er zu Memphis finden sollte, von seinem entflohenen Weibe nur wichtige Kunde erwartend. Ebensowenig ahnte Helena, was sich im Königspalast zutragen sollte.
Abends nun brachten ihr die Jungfrauen Trauergewänder mit des Königs befehlender Bitte, Spartas Fürstin möge die düsteren Gewebe anlegen, da im Palast die Gedächtnisfeier für eine Gestorbene gehalten werden sollte. Auch ihr leuchtendes Antlitz und Haupt möge sie dunkel umschleiern. Nachdem Helena in stiller Betroffenheit die Forderung erfüllt, wurde sie von einer gleichfalls in Trauer gekleideten Frauenschar in die Königssäle hinübergeleitet.
Als sollte sie zum zweiten Male gerichtet und dieses Mal des Todes schuldig befunden werden, trat die Herrliche vor Proteus' Thron. Da hörte sie sich von des Königs milder Stimme befragen: »Bekenne jetzt auch du, o Helena, Tochter des Tyndaros, Weib des Menelaos, was des Priamus' Sohn vor meinem Königsantlitz bekannte, und was du, bevor dich jener dem edlen Gatten geraubt, der Himmlischen gelobtest, die das fromme Volk der Hellenen als die Göttin der Liebe verehrt.«
Und mit lauter feierlicher Stimme sprach Helena nochmals jenes Gelübde, welches nicht nur König Proteus, sondern auch Fürst Menelaos vernahm. Dieser aber erhielt sein Weib aus den Händen des weisen und gütigen Pharao zurück: » ohne daß demselben ein Leides geschehen war!«
So berichtet in seinem Buch »Ägypten« Herodotos von Halikarnassos einer staunenden Nachwelt.
Bald nach solchem seltsamen Begebnis erhob sich zu Memphis, der leuchtenden Königsstadt am Nilstrom, im heiligen Bezirk des Proteus ein glanzvoller Tempelbau, geweiht der » fremden Aphrodite«, welche keine andre war, als Helena, aller Völker der Erde herrlichstes Weib.
Doch auch ein anderes berichtet Herodotos von der nämlichen Helena, und auch dieses muß wiedererzählt werden:
»Menelaos, nachdem König Proteus ihm soviel Güte erwiesen, wurde zum Frevler an dem Könige und den Ägyptern. Widrige Winde hinderten den Fürsten von Sparta an der Abfahrt mit Helena, und als das böse Wetter gar zu lange währte, verfiel der Fürst auf folgende Untat: Er ergriff zwei ägyptische Knaben, opferte sie und entwich, um der Rache der Ägypter zu entgehen, nach Libyen.«
Auf der Flucht des Spartanerherrschers vor dem Zorn der Ägypter mag es alsdann durch den Grimm der Götter gegen den Untäter Menelaos sich zugetragen haben, daß Alexandros Helena ein zweites Mal raubte und daß diese – gleichfalls als Strafe für ihres Gatten Freveltat – ein zweites Mal von dem schönen Teukrer sich rauben ließ.
Schwerlich sehr ungern.
Danach entbrannte vor Ilion der grausame Krieg um Helena, das schönste Weib aller Völker der Erde, und der göttliche Sänger Homer sang darüber sein unsterbliches Lied.