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Ein Wort, von Hawkes den Dienern zugeflüstert, öffnete ihnen alle Türen. Durch ein Labyrinth von Gängen gelangten sie in eine kleine Loge; dort empfing sie der Präsident des Klubs.
Hager und knochig, trug er ein enganliegendes, flammendrotes Gewand, auf dem Teufelsfratzen und kabbalistische Zeichen in schwerer Goldstickerei glänzten. Über den weitabstehenden Ohren ragten spitze, goldene Hörner; schlangengleich geringelte Haare umrahmten ein Gesicht, das blutleer und wie ausgetrocknet erschien.
»Lord Luzifer in eigener Person!« begrüßte ihn Hawkes. »Wollen Herrlichkeit diesen Gästen huldvollst den Zutritt zum Höllenparadiese gewähren? Sie brennen darauf, seine teuflischen Süßigkeiten kennen zu lernen!«
Lord Luzifer warf einen scharfen Blick auf den Prinzen.
»Überall in England ist der Gentleman willkommen!« sagte er dann mit leichter Verneigung. »Sollte er unerkannt zu bleiben wünschen, so sei ihm die venezianische Maske gestattet. Niemand wird ihn durch Neugier belästigen. Nichts glauben, sich über nichts wundern – das sind die einzigen Gesetze dieses Reiches!«
Hochmütig warf Prinz George den Kopf zurück.
»Eine Maske? Wozu? Ich fürchte mich nicht! Während Lord Baltimore – warum verleugnet er hier seinen Namen? Er pflegte sich doch früher Lord Baltimore bereiste 1769 den Kontinent mit einem Harem von acht Frauen, mit denen er wunderliche diätetisch-medizinische Experimente vornahm. nicht hinter einem Pseudonym zu verstecken!«
In dem Gesichte des Lords zuckte keine Miene. Nur um seine dünnen Lippen flog ein feines Lächeln.
»Das Geheimnis erhöht den Reiz der Sünde!« erwiderte er. »Übrigens hat der Gentleman sich gewundert und dadurch das Gesetz verletzt. Ich fordere das Reugeld. Hundert Pfund.«
Lachend fuhr der Prinz auf.
»Teufel, die Hölle ist teuer! Aber ich besitze kein bares Geld. Der Urheber meiner Tage wünscht, daß ich Schulden mache.« Er holte einen Schreibstift und ein Päckchen Papierstreifen hervor. »Kann mit einem Wechsel gezahlt werden?«
Lord Baltimore verneigte sich.
»Der Wechsel ist Luzifers eigene Erfindung, und des Gentlemans Handschrift ist Gold!«
Er warf das ausgefüllte Papier in einen Behälter von der Form eines kirchlichen Opferstockes. Ein Diener brachte rote Dominos, in die sich alle hüllten. Die Larve wies der Prinz zurück.
Kindisch und lächerlich erschien Emma alles, was sie sah und hörte: die geschraubte Sprache des Lords, das Spielen mit eingebildeten Gefahren, der Mummenschanz, der einem über das ganze Leben verlängerten Fastnachtsscherz glich.
Aber da Luzifer den Vorhang zurückschlug, der den Hintergrund der Loge abschloß, fuhr sie zurück und etwas wie Bangen beschlich sie.
Die Pforten der Hölle taten sich auf.
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Ein einziges, großes Feuermeer schien der Saal. Von Künstlerhand in täuschender Natürlichkeit nachgeahmt flackerte an den Wänden eine düsterrote Glut, aus der grelle, schwefelgelbe Flammen emporzüngelten. Nackte Männer und Weiber tanzten in tollen Reigen durch die Brunst, wiegten sich auf sprühenden Feuerquellen, schwangen glostende Brände in den Händen. Riesige Fackeln ließen von steinernen Säulen glühende, zischende Tropfen in wassergefüllte Becken fallen, aus denen weißlicher Dampf aufstieg; rötlicher Qualm wallte von den Fackeln zur Decke empor, wo er durch versteckte Öffnungen entwich. Ein feiner, auf- und abwogender Schwaden wob große, bläuliche Strahlenringe um die Lichter zahlloser Kerzen und erfüllte die Luft mit dem Dufte gebratenen Fleisches.
In der Mitte des Saales erhob sich Luzifers purpurner Thron. Kröten, Molche und Skorpione krochen an seinen Seiten empor, über ihn aber breitete der Baum der Erkenntnis seine fruchtbeladenen Zweige, durch die sich der Riesenleib der Weltenschlange in metallisch schillernden Windungen ringelte.
Am Fuße des Thrones drehte sich auf einer langen roten Tafel ein mächtiges Glücksrad. Über kleinere Tische verstreut lagen Kartenspiele und Würfel; breite Kredenzen trugen Lasten aufgespeicherter Speisen und Getränke; üppige Ruhebetten, mit seidenen Kissen und Teppichen bedeckt, lockten in dämmerigen Winkeln zu Gelagen.
Durch diese Hölle aber jagte unter dem Klängen einer unsichtbaren Musik lachend und schreiend eine Schar roter Teufel und Teufelinnen. Zu ausgelassenen Gruppen vereint wälzten sie sich auf den Ruhebetten, balgten sich in den Winkeln, drängten sich zu den Speise- und Trinktischen, über die in endlosen Strömen die rote Flut des Weines rann ...
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Zitternd klammerte sich Emma an Miß Kelly, während sie mit dem Prinzen den Saal durchstreiften. Das girrende Lachen der Frauen, das wiehernde Geschrei der Männer, die aufreizenden Klänge der Musik peitschten ihre Nerven. Am liebsten wäre sie umgekehrt und aus diesem Hexenkessel entflohen, in dem alles gemacht schien, die Vernunft zu betäuben und die Sinne zu wilden Phantasien zu stacheln.
Miß Kelly lächelte ihr zu. Ruhig und sicher schritt sie inmitten des Trubels dahin. Nur ihr Arm preßte sich eng um Emmas Hüften, und in ihren Augen schien geheime Erwartung zu lauern.
Sie kannte alle Welt. Jeden nannte sie beim Namen, wußte von allen wunderliche Geschichten zu erzählen.
Lord Campton, klein und beweglich wie ein Aal, hatte in vierzehn Duellen elf Gegner getötet und drei zu Krüppeln gemacht. Lady Wentworth, zierlich und zart wie eine Elfe, nahm es mit jedem Matrosen im Trinken auf. Lord Rockingham und Lord Oxford hatten durch einen Wettlauf zwischen fünf Gänsen und fünf Truthähnen unsterblichen Ruhm gewonnen. Miß Payton, blaß und schlank wie eine Lilie, Tochter eines Lords, Ehrenfräulein des Hofes, hatte von verschiedenen Liebhabern drei Kinder geboren und sollte nun einem Herzog zum Altar folgen ...
Großes und Kleines, Lächerliches und Schreckliches mischte sich bunt durcheinander; nichts schien auf festem Boden gegründet, das Regellose allein die Regel.
Plötzlich ließ ein allgemeines Geschrei sie aufblicken.
»Satanina! Es lebe Satanina, die Gefährtin Luzifers! Satanina, die Königin der Hölle!«
Geführt von Luzifer, gefolgt von einer Schar junger Männer, bestieg ein junges Weib den Thron. Eng schmiegte sich ihr fleischfarbenes Gewand um ihre üppigen Glieder, wie die Haut einer rosigen Schlange. Über dem Antlitz einer Madonna schleuderte aus blondem Haar ein Diadem von Rubinen und Brillanten blutigrote Blitze.
»Lady Worseley!« schrie Prinz George entzückt. »Es ist Lady Worseley, die Königin der Ehebrecherinnen!«
– – – – – – – –
Stille heischend winkte Satanina mit der Hand. Alles drängte sich in ihre Nähe. Die jungen Männer ihres Gefolges lagerten sich auf den Stufen des Thrones und Luzifer ließ sich wie huldigend zu ihren Füßen nieder.
Und Satanina sprach.
»Genossen und Genossinnen des roten Paradieses, Verehrer des Lichts, Anbeter des Feuers – Satanina dankt euch! Aber ihre Seele ist trübe und ihr Herz voll Trauer. Laßt euch ihr Leid klagen ...
Wie spricht das Gesetz? Nichts glauben, sich über nichts wundern! ... Diesseits der Erde ist das Leben, jenseits das Nichts. Was also fordert die Moral? Sich ausleben und sich ausleben lassen! ... Das Weib aber lebt sich aus in Liebe! Durch Liebe wird es geboren, für Liebe ist es bestimmt, an Liebe stirbt es. Tat ich unrecht, daß ich liebte? ... Männer finsterer Zeiten, Tyrannen der Seele, Sklaven der Ichsucht, haben ein Gebot gemacht, daß das Weib nur einem einzigen Manne gehöre. Ihre Augen soll sie verschließen, ihre Ohren verstopfen, ihre Hände verstecken, daß kein Gesicht, keine Stimme, keine Berührung ihr schön erscheine, denn das Gesicht, die Stimme, die Berührung dieses einen Mannes. Satanina aber fragt: ist Sir Richard Worseley schön?«
Sie beugte sich vor und schaute wie eine Antwort erwartend ringsum. Ein wieherndes Gelächter ertönte, wie nach einem Witz.
Lady Worseley nickte.
»Sir Worseley ist schön! Er hat das Gesicht eines Affen, die Stimme eines Papageis, die Haut einer Kröte. Satanina ist denen zu großem Dank verpflichtet, die ihn zu ihrem Manne machten, als sie noch ein unwissendes Kind war ... Dennoch hat er ein Herz. Er hinderte sie nicht, bei anderen die Schönheit zu suchen, die sie bei ihm nicht fand ... Aber eines Tages brauchte er Geld. Er erhob gegen einen von den anderen, dessen Schönheit Satanina in stiller Zurückgezogenheit erforschte, Klage und ließ ihn ins Gefängnis werfen. Seht ihn an, Genossen! Urteilt selbst, ob Satanina Grund hatte; Schönheit bei ihm zu suchen!«
Sie winkte einem der jungen Männer ihres Gefolges, sich zu erheben. Er gehorchte und zeigte die kraftstrotzende Gestalt eines Herkules.
»Davis!« jauchzte ihm alles zu. »Kapitän Davis, der beste Ringer Altenglands!«
Zärtlich klopfte sie ihm den breiten Nacken und stieß ihn sanft auf seinen Platz zurück.
»Mußte Satanina nicht diese Schönheit gegen jene Häßlichkeit verteidigen, diese Liebe gegen jene Habsucht? ... Sie tat es. Sie trat den Beweis der Wahrheit an, daß Sir Worseley es stets gewußt hatte, wenn sie bei anderen Schönheit suchte. Daß er diesen einen nur herausgegriffen hatte, um Geld von ihm zu erpressen. Fünfunddreißig lebende Beweise rief sie auf, fünfunddreißig erforschte Schönheiten. Und achtundzwanzig kamen und schworen. Sir Worseley, der Mann des Zwanges, wurde verurteilt, Kapitän Davis, der Mann der Wahl, freigesprochen. Es gibt noch Richter in England! ... Ihr aber, ihr Achtundzwanzig – Männer des Lichtes seid ihr, Ritter der Wahrheit! Satanina dankt euch. Euer Ruhm wird währen, solange noch die Seele eines Weibes nach Schönheit sucht. Umarmt euch und gebt der Menschheit ein leuchtendes Beispiel wahrer Sitte und wahrer Freiheit!«
Segnend breitete sie die Hände aus. Die Achtundzwanzig standen auf und umarmten und küßten einander, während ein Beifallssturm den Saal durchbrauste Ehebruchsskandale wie dieser der Lady Worseley, öffentliche Verhöhnung von Religion und Sitte, rücksichtsloses Zurschautragen von Lastern allerart gehörten zum »guten« Ton der damaligen Londoner Aristokratie.
»Dennoch ist Sataninas Seele trübe und ihr Herz voll Trauer!« fuhr Lady Worseley dann fort. »Fünfunddreißig waren geladen, achtundzwanzig gekommen. Sieben also haben gefehlt. Sieben haben das Palladium der Wahrheit entweiht. Über sieben ruft Satanina zu Gericht. Ihre Namen nennt dieses Blatt. Genossen und Genossinnen des roten Paradieses.
Satanina fragt euch: was soll geschehen mit diesen sieben Abtrünnigen?«
Langsam erhob sich Luzifer und streckte seine Hand nach dem Blatte aus.
»Ausgestoßen seien sie aus dem Kreise der Erleuchteten! Zu Asche verbrannt werden ihre Namen! Verstreut in alle Winde sei ihr Gedächtnis!«
Er zündete das Blatt an einer Fackel an, wartete, bis es verbrannt war, und streute die Asche in die Luft. Wildes Geschrei stimmte ihm zu. Dann reichte er Satanina die Hand, die Musik setzte zu einem rauschenden Marsche ein und ein allgemeiner Umzug begann.
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Waren alle diese Menschen wahnsinnig?
Willenlos ließ Emma sich von Miß Kelly in den Strom hineinziehen. Der Zug ging an den Wänden des Saales entlang, durchflutete die üppigen Logen der Nebenräume und machte endlich vor der Tafel halt, auf der das Glücksrad sich drehte.
Lord Baltimore nahm hinter der Mitte Platz, legte einen Haufen Banknoten und Goldstücke vor sich hin und ergriff ein Spiel Karten.
»Wer sich der Liebe weihen will, möge Satanina folgen!« rief er mit scharfer, durchdringender Stimme. »Wen aber des Paradieses herrlichste Gabe, das Spiel, erfreut, der trete heran! Nur, ihr Seelen der roten Flammte, bleibt eingedenk des Gebotes! Ob Gewinn, ob Verlust – Nil admirari!«
Ein spöttisches Lachen antwortete ihm. Aus der Menge drängte sich ein hagerer Mensch herzu und setzte sich ihm gegenüber. Kaum fünfunddreißig Jahre mochte er zählen, aber sein kleiner, eckiger Schädel war bereits ganz kahl. Mit seinen dürren Armen und Händen, dem zusammengefallenen Brustkasten und den tief in ihren Höhlen liegenden Augen sah er fast aus wie ein Toter.
»Es ist Sir Watford!« flüsterte Miß Kelly Emma zu. »Der waghalsigste Spieler in ganz London und Lord Baltimores persönlicher Feind!«
Als habe Sir Watford es gehört, nickte er ihr zu mit einer Grimasse, die seinen großen Mund verzerrte. Dann wandte er sich zu Lord Baltimore.
»Sich über nichts wundern?« wiederholte er höhnisch. »Du prahlst, Luzifer, wie immer! Aber ich werde dich zwingen, deinem eigenen Gesetze untreu zu werden. Wundern sollst du dich, wundern!«
Er schlug mit der harten, knöchernen Hand auf den Tisch. Lord Baltimore verzog keine Miene.
»Du hast schon oft versucht, mich zu verführen, Asmodi!« sagte er spöttisch. »Niemals aber ist es dir gelungen!«
»Heute aber werde ich's erreichen! Ein Mittel habe ich gefunden, ein Mittel!« Er kicherte hüstelnd in sich hinein. »Herunter sollst du von deinem Thron und mir Platz machen!« Und sich zu den Umstehenden wendend setzte er hinzu: »Wer wettet auf Asmodi gegen Luzifer?«
Auch Luzifer lächelte, voll Hohn.
»Und wer auf Luzifer gegen Asmodi?«
Es war wie ein Signal. Laute Stimmen riefen einander Wetten zu, von kleinen Sätzen bis zu großen Summen. Ein wirres Durcheinander entstand. Zwei Parteien bildeten sich, die sich um Lord Baltimore und Sir Watford scharten. Von allen Gesichtern aber glänzte jene gespannte, der Wut gleichende Lust, die Emma auf den Wochenmärkten zu Hawarden bei den Bauern gesehen hatte, wenn sie auf Ringer und Boxer ihre Schillinge verwetteten.
Die Tafel bedeckte sich mit Gold und Banknoten. Den Schätzen Indiens. Das Spiel begann.
»Wie Ihre Hände zittern, George!« sagte Miß Kelly voll Spott. »Sie können es nicht erwarten, Ihre Zettel gegen Luzifers Gold anstürmen zu lassen. Aber Sie wissen nicht, was mit uns anfangen. Nun, ich werde Amy noch einige Lichtseiten dieser lustigen Hölle zeigen. Lassen Sie sich nicht stören!«
Unschlüssig sah der Prinz sie an.
»Du willst mit ihr zu Satanina?«
»Um uns der Liebe zu weihen? Unbesorgt, mein Freund, wir werden Ihnen nicht untreu werden. Spielen Sie ruhig, bis wir Sie abholen!«.
Lachend schob sie ihn der Tafel zu, auf der das Glücksrad sich drehte. Dann ergriff sie Emmas Arm und zog sie mit sich fort.
»Liebe und Spiel!« sagte sie verächtlich. »Ein Rausch für Alltagsmenschen. Ich weiß Besseres. Träumen! In süßen Phantasien emporschweben über diese ganze jammervolle Gemeinheit!«
Sie schlug einen Vorhang von einer Tür zurück, hinter der sich ein kleiner Raum auftat. Polster bekleideten die Wände, und als die Tür zufiel, erstarb wie auf einen Zauberschlag der Lärm des Festes.
Tiefe Stille herrschte.
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Ein schwerer Teppich bedeckte den Boden. Weiche Tierfelle, seidene Kissen, farbige Decken lagen umher. Ein Dreifuß trug ein mächtiges Becken, auf dem Holzkohlen glühten. Aus einer Ampel strahlte ein mildes, grünes Licht, das sich nach dem grellroten Brande des Saales auf Emmas Augen legte wie eine kühle, weiche Hand.
Miß Kelly deutete auf einen kleinen Blasebalg vor dem Kohlenbecken.
»Fache das Feuer an, Liebling, es ist kühl hier!« sagte sie in einem gepreßten Tone, durch den eine dunkle, fiebrische Hast zitterte. »Ich werde uns das Lager bereiten!«
Während Emma schweigend gehorchte, ordnete Miß Kelly unter der Ampel die Kissen, Felle und Decken zu einer üppig weichen Ruhestätte: Aus einem Winkel holte sie dann einen niederen Tisch herbei, auf dem zwischen kleinen silbernen Dosen und Schalen seltsam geformte Pfeifen lagen mit dicken, goldverzierten Rohren. Ein kristallener Leuchter hielt eine Wachskerze und in einem schmalen, mit rotem Samt gefütterten Kästchen schimmerten scharf zugespitzte Metallnadeln.
Miß Kelly nahm aus einer der Schalen feingeschnittenen Tabak und stopfte zwei Pfeifen.
»Hast du schon einmal geraucht, Amy?« fragte sie. »Und hat es dir Vergnügen gemacht?«
Lächelnd hörte sie zu, als Emma von ihrem ersten und einzigen Versuch berichtete. Tom hatte sie eines Tages dazu verführt; aber der scharfe Dampf hatte ihr Widerwillen eingeflößt.
»Nun ja, Seemannskanaster!« sagte Miß Kelly achselzuckend, während sie das Licht anzündete. »Wenn du diesen türkischen Tabak erst versucht hast, wirst du anderer Meinung werden. Weißt du, was Chandu Aus dem Rohstoff des indischen Opiums in China hergestelltes Genußmittel, das geraucht wird. Schon im 16. Jahrhundert wurde Opium durch die Englisch-Ostindische Compagnie gewerbsmäßig in China eingeführt, von wo es in Amerika, England und Australien Eingang fand. ist?«
»Öffne die silberne Dose dort; was du darin siehst, ist Chandu! Lege eines von diesen kleinen, unscheinbaren Stückchen zu dem Tabak, den du rauchst, atme den süßen Duft, und du wirst ein anderer Mensch sein. Was dich schmerzt, fällt von dir ab. Wonnevolle Träume umgaukeln dich. Alle Freuden und Seligkeiten, die du einmal erlebt hast, kommen zu dir zurück, jung und frisch. Arme, die dich umfingen, schlingen sich wieder um dich; Augen, die der Tod längst geschlossen, lächeln dir aufs neue zu; Herzen, die schon lange gestorben, klopfen wieder an dem deinen. Von Chandu trunken war Mohammed, als er die Wonnen des Paradieses träumte, an Chandu dachte er, als er den Gläubigen den Wein verbot. Was brauchen sie den tierischen Rausch, da sie auf den Düften des Chandu in das Reich der Seligkeiten emporschweben können? Rauche, Amy! Träume! Träume!«
Sie hielt Emma eine der gefüllten Pfeifen hin. Voll Abscheu wich Emma zurück.
»Ich will nicht!« sagte sie bestimmt. »Nichts Fremdes soll Macht über mich haben!«
»So voll Mißtrauen bist du? Vielleicht hast du recht. Chandu macht schwach. Wie Blei senkt es sich herab, wenn der Rausch vergeht. Die Glieder sind gelähmt, das Herz hört auf zu schlagen. Das erstemal, als George mich so fand, glaubte er mich tot. Die Krook war nicht da. Sie weiß, was geschehen muß, wenn die Starre kommt. Sie schlägt mich, wälzt mich, rauft mir das Haar, bis der Puls
zurückkehrt. Willst du es heute für sie tun? Sei gut, Liebling, ich bitte dich! Willige ein!«
Ihre Stimme klang weich und aus ihren Augen flehte eine matte Traurigkeit.
In Emma kämpften Abscheu und Neugier.
»Warum tust du es, wenn es dich nachher elend macht? Ist es nicht unsinnig, sich unnötig in eine solche Gefahr zu stürzen?«
Miß Kelly schüttelte müde den Kopf.
»Der Traum ist so süß. Je elender du bist, je mehr du das Leben hassest, um so wonnevoller träumst du. Schaffen sich nicht viele aus einem Dasein fort, das sie nicht mehr zu ertragen vermögen? So flüchte ich mich zu Chandu. Es ist mein einziger Trost. Warum siehst du mich so an? Fürchtest du dich vor mir? Ich will dich nicht überreden... Nur bei mir bleiben sollst du, mich nicht verlassen!... Wenn du wüßtest, wie lieb ich dich habe... wie lieb...«
Die Worte vor sich hinmurmelnd starrte sie ins Leere, als spräche sie mit einer Unsichtbaren. Etwas schien in ihr aufzusteigen, das ihr Schmerz bereitete, eine Erinnerung, die sie quälte.
Forschend sah Emma zu ihr hinüber. Eine Frage brannte ihr auf den Lippen.
»Lieb?« wiederholte sie tastend. »Damals, am Deegolf, schon sprachst du so zu mir! Obgleich du mich nicht kanntest und nichts von mir wußtest! Wie soll ich dir also glauben?«
»Du hast ein starkes Herz und kalte, prüfende Augen! Würdest du sonst fragen, warum man liebt? Ich wußte nichts von dir; dennoch liebte ich dich, sobald ich dich sah. Du gleichst einer... Wenn sie meine Hand hielt, wich alle Traurigkeit. Alles wurde schön. Wenn sie mich küßte ... o, wie küßten ihre süßen Lippen!... Himmel der Seligkeit senkten sich herab ... glücklich war ich ... glücklich ...«
Unaufhörlich flüsterte sie das Wort vor sich hin. Wie eine kindisch gewordene Greisin sah sie aus, die sich der Tage der Jugend erinnert.
Ein Grauen erfaßte Emma.
»Glücklich warst du?« fragte sie scharf. »Warum blieb sie nicht bei dir? Wo ist sie?«
Miß Kellys Gesicht wurde plötzlich totenblaß. Mit einem Schrei fuhr sie auf, als wollte sie fliehen.
»Du bist grausam,« stieß sie mit keuchendem Atem heraus. »Warum erinnerst du mich daran? Wahnsinnig werde ich, wenn ich nur daran denke! Und doch – einmal zu einem Menschen davon sprechen! Einmal die Last von der Seele wälzen!... Chandu! Chandu! ... Wir schlürften den duftenden Rauch, wiegten uns auf dem süßen Traum, hielten uns engumschlungen ... Brust an Brust lagen wir, Lippe an Lippe ... Schön war Lavinia, jung, voll Kraft ... Aber dann, als ich erwachte... noch immer lag sie an meiner Brust, an meinem Munde, aber wie kalt waren ihre Lippen, wie kalt ihre Hand, wie kalt ihr Herz! Und ihre Augen ... oh, ihre schönen, großen, toten Augen ...«
Sie stieß ein wimmerndes Schluchzen aus und schlug die Hände vors Gesicht. Als richte sich da aus dem dunkeln Winkel etwas Schreckliches vor ihr auf.
Ein langes, schwüles Schweigen herrschte. Emma wagte kaum zu atmen. Mitleid und Grauen zerrissen ihr das Herz.
»Begreifst du nun, daß ich nicht von Chandu lassen kann? Wenn ich wache ... immer sehe ich Lavinia, wie sie tot in meinen Armen lag. Träume ich aber, so erwacht sie. Ihre Augen lachen mich an, ihr Herz klopft an meinem Herzen, ihr Mund küßt meinen Mund. Glücklich sind wir ... glücklich ... glücklich ...«
Wieder flüsterte sie das Wort, in wilder, zitternder Sehnsucht. Und plötzlich stürzte sie sich auf eine der Pfeifen und setzte sie in Brand. Hastig riß sie eine Metallnadel aus dem Samtkästchen, steckte an ihre Spitze ein Stück Chandu und führte es durch die Flamme des Lichts. Ein leises Knistern ertönte und ein starker, süßlicher Duft durchzog den Raum. Dann ergriff Miß Kelly Emmas Hand und zog sie neben sich auf die Kissen nieder.
»Komm, Liebling!« flüsterte sie atemlos. »Bleib' bei mir. Nimm deine Hand nicht fort. Fühlen muß ich dich ... ein junger, starker Strom geht von dir aus ... laß ihn durch meine Adern gehen... ach, du Süße ... du Süße ...«
Emmas Hand umklammernd sank sie hintenüber. Und während sie unaufhörlich leichte Rauchwölkchen hervorstieß, rötete sich ihr eben noch bleiches Gesicht, ein heiteres Lächeln spielte um ihre Lippen, ihre Augen begannen zu leuchten. Und Emma fühlte, wie in der Hand, die sie hielt, der Puls sich belebte und zuletzt starke Wellen bis in die äußersten Spitzen der Finger trieb.
Dann entglitt das Rohr Miß Kellys Lippen und ihre Stimme erstarb in einem langen, weichen Seufzer. Ihre Augen schlossen sich. Langsam schlief sie ein.
Emma starrte hin wie gebannt. Wieder stieg Overtons Bild vor ihr herauf, wie sein Mund sich ihr entgegenwölbte, und wieder erfaßte sie jene heiße Lust, diese Lippen zu küssen. Aber sie raffte alle ihre Kraft zusammen, um zu widerstehen. Sie fühlte, daß sie verloren war, wenn sie der dämonischen Lockung dieser Frau nachgab. Sklavin einer verderblichen Lust, würde sie wie Miß Kelly sich dem Chandu ergeben und wie jene Lavinia daran zugrunde gehen ...
In ihr reifte der Entschluß. Sie löste sich von Miß Kellys Hand und ging, ohne sich noch einmal umzuwenden.