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Neuntes Kapitel.
Gibbich auf der Wacht

Als Gibbich seine zerstörte Klause verließ, schritt er eine Zeitlang wie betäubt durch den wilden Tann.

Er kämpfte mit seinem Zorn, er ballte die Faust, wenn er an Waltram dachte, der ihm die ärmliche Hütte nicht gegönnt hatte und das Heiligtum über der Quelle. Aber er besiegte seinen Unmut; wie ein Krieger seinen Feind niederwirft, so hielt er den unwürdigen Haß unter dem zögernden Schritt seiner eisenbeschlagenen, schweren Sandale.

Aber noch immer ging er weglos weiter, da flogen die beiden Raben auf seine Schulter, der eine rechts, der andere links, und schlugen mit den Flügeln.

Da schaute Gibbich auf: »was willst du, flatterndes Geflügel? Ich weiß es schon: Gibbich soll auf den Weg achten, der alte Einsiedler soll nicht wie ein träumender Knabe durch den Wald laufen!«

So stand denn der Alte still.

»Wohin aber, du Vertriebener, willst du wandern? In fremdes Land nicht, denn du liebst den Wald hier und Berg, Kluft und Moor in der Heimat; nur hier fühlst du, was dir Heil bringt, Gottes Nähe! Und hier nur wartet auf dich dein Werk!«

Und plötzlich, als wenn die Erinnerung an sein Werk den Einsiedler ganz ergriffen hätte, warf er sich auf die Knie ins feuchte Moos und betete: »Hör auf meine Stimme, hoher Himmelsherr! Du gabst mir Gesichte zu sehen, davon ich wußte, daß diesem Volke hier dräuende Not drohe. Ich bin hingegangen und habe deine Warnung den Menschen gesagt, aber keiner hat mich verstanden! Ich weiß, daß du nicht lügst, ich weiß, es wird das Wetter hereinbrechen. Aber woher? Wann fährt der Antichrist daher? Wer soll es mir sagen, wenn du schweigst? Sieh her auf mich, ich warte, daß du mir deinen Willen sagst und deine Weisheit verkündest, damit ich warnen und helfen kann. Hier will ich knien und nicht weichen, bis du mich erhört hast, ewiger Vater, der du über Weltbrand und Götterdämmerung thronest ewiglich!«

So betete der Greis und kniete lange, aber keine Stimme sprach zu ihm, keine Erleuchtung erfüllte ihn, wie dunkle Schatten wogten seine Gedanken; tiefe, unermeßliche Trauer und Bangigkeit ergriff ihn.

»Du schweigst, herrschender Himmelskönig, nicht gut genug bin ich deiner Gnade. Du hast mich einmal deiner Offenbarung gewürdigt, nun aber verwirfst du mich. wo soll ich mich bergen, wenn du mich verlassest? Wo soll ich hingehen, wenn ich weiß, du leitest mich nicht mehr? Wen soll ich suchen, wenn ich dich nicht mehr finden kann?«

Und der harte Einsiedler, der tausend einsame Nächte furchtlos durchlebt und tausend schwere Tage leicht getragen hatte, erbebte unter dem Gefühle, von Gott verlassen zu sein, so sehr, daß er sich weinend und ganz erschöpft ins Moos warf; wie eine besinnungslose Ohnmacht überfiel es ihn. Und während der Tausturm über ihn herbrauste und lose Tannenzweiglein und Schmelztropfen auf ihn schüttete, lag er in einem festen Schlafe.

Als das eine Weile gedauert hatte, flogen die Raben zu ihm hinunter, ängstlich hüpften sie über die Waldbodendecke, endlich wagte es einer der treuen, schwarzen Gesellen, ihn mit dem Schnabel in den Finger der Rechten zu zwicken.

Da schlug Gibbich das Auge auf und lachte leise vor sich hin. Er hatte, da er im tiefen Schlummer lag, einen Berg gesehen, dessen breite, an einer Seite schroff abstürzende Form ihm bekannt war, es war der Aremberg, und er hatte eine gewaltige, hinweisende Hand gesehen, die hatte auf den Berg mit einer befehlenden Gebärde gezeigt, und dazu war eine Stimme erklungen, die sprach: Dort wandle hin und warte auf dein Werk!

Darum blickte auch das Auge des Einsiedlers jetzt fröhlich, er wußte, daß der Himmelskönig ihn nicht verworfen hatte, sondern ihm Weg und Weisung gab. Und er warf sich auf die Knie und sprach aus fröhlichem, dankbarem Herzen ein Dankgebet.

Dann aber ergriff er seinen Speer und zog aus nach dem verheißenen Berge, um dort zu warten, auf daß er seinem Volke Gutes erweisen könne.

Als er endlich nach langer, beschwerlicher Wanderung die Kuppe des Aremberges in der Ferne vor sich sah, da erhob er seine Stimme zu einem lauten Lobgesange: »Du sollst mir eine Warte sein, um in der Ferne zu erspähen der Feinde Kriegsmacht, wüst liegst du und voll Wildnis und Wald, ich aber will auf dir schreiten wie in einer Burg, ohne Bangen, auf dir wohnen will ich, bis meine Stunde kommt; nach Ost und West, nach Süd und Nord will ich schauen, bis ich die Scharen der Feinde finde, kein Schnee, kein Frost soll mich schrecken, bis sich Gottes Weisung wahrhaftig erfüllt hat!«

Als er aber nach einer Tageswanderung am Fuße des Berges ankam, da traf er dort die Hütte eines Roßhirten, der in der kargen Höhe seine Herde hütete. Zu dem trat er ein, ließ sich um Gottes willen Brot und Wasser reichen und die Pfade des Berges beschreiben.

Als aber die beiden Raben hereinflogen und sich auf seine Schulter setzten, da stieß der Bauer sein Weib an, zeigte auf das fehlende Auge, auf die Raben, auf den Speer und den grauen Mantel, dann aber zog er sich scheu in den äußersten Winkel des Gemaches zurück, und sein Weib stellte sich hinter ihn, beide aber schlugen die Augen nieder.

Da fragte Gibbich, was sie schafften und ob sie ihn, den heimatlosen Wanderer, fürchteten.

»Ein Wanderer bist du wohl, gewaltiger als alle, ein Heimatloser bist du auch, denn der Christengott, den sie jetzt lehren, hat dich vertrieben; einsam schreitest du auf Berghöhen und in den Klüften der Einöde, Wotan bist du, der Göttervater, sei gnädig unserer Arbeit, sei gnädig unserer Hütte!«

Da lächelte der Einsiedler milde: »Wotan wandert nicht mehr, Wotan ist zu Ruhe gegangen in den Wäldern; aber seine Treue lebt noch, die wandert unsterblich in euch, in mir und in allen guten Menschen, wer die Treue hat und wohltut, wo er kann, dem ist der Himmelsherr gnädig, dem segnet er die Hütte!«

Dann aber bat er den Hirten, ihn auf den Gipfel des Berges zu begleiten, mit scheuen, ehrfurchtsvollen Blicken tat es der Mann; auf den Wunsch des Alten nahm er eine Axt und Baststreifen mit.

Da suchten die beiden die höchste Eiche, die uralt über alle anderen hinausschaute; darein ließ sich Gibbich Stufen bauen, bis er im breiten Aste sitzen und alles Land überwachen konnte, rüstig half der Alte selbst bei dem Werke.

Unterdessen war auch der Roßhirt gesprächig geworden und erzählte dem Einäugigen flüsternd, daß er und seine Genossen noch manchesmal zur Sonnenwende zum Opferstein auf den hohen Achtberg gingen, ein Roß zu schlachten und das Opferbier zu trinken.

»Du aber, getreuer, alter Wanderer, wirst mich den Mönchen nicht verraten, das weiß ich!« schloß er mit einem bedeutsamen Blicke.

Dann versprach er dem Alten, den er nicht nach der Absicht seiner seltsamen Wache zu fragen wagte, jeden Tag Speise und Trank hinauf zu tragen, und verließ ihn.

So war Gibbich, der Seher Gottes, allein hoch oben auf dem krausen, kalten Gipfel des Berges und wartete in tiefem Gottvertrauen darauf, daß der Himmelsherr sein Werk ihn vollenden lassen werde.

Der Tauwind erstarrte, Schnee kam wieder, so daß die beiden Raben sich in einen hohlen Baum flüchteten. Frost erhob sich, Gibbich der Alte aber wartete und wartete. Er spähte nach Ost, West, Nord und Süd, ob er einen Feuerschein oder sonst ein Zeichen sehe.

Er schickte seine Raben in die Luft, damit sie, die oben weiter schauen konnten als er, für ihn wachen sollten, er mied den Schlaf und fühlte am Druck, der auf seiner Seele lastete, daß etwas Furchtbares heranstürme.

Es wurde Tag und wieder Nacht, und Tag und wieder Nacht, aber kein Kleinmut befiel ihn, er wartete auf seine Erfüllung.


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