Jules Verne
Die großen Seefahrer des 18. Jahrhunderts. Zweiter Band
Jules Verne

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Capitel. Die beiden Amerika.

Die Westküste Amerikas. – Juan de Fuca und de Fonte. – Die drei Reisen Behring's und Vancouver's. – Untersuchung der Fuca-Straße. – Besichtigung des Archipels Neu-Georgiens und eines Theiles der amerikanischen Küste. – Erforschung des Innern von Amerika. – Samuel Hearne. – Entdeckung des Kupferflusses. – Mackenzie und der Strom, der seinen Namen führt. – Der Fraser-Fluß. – Mittelamerika. – Erforschung des Amazonen-Stromes durch La Condamine. – Reise A. von Humboldt's und Bonpland's. – Teneriffa. – Die Höhle von Guacharo. – Die »Llanos«. – Die Gymnoten (Finn-Aale). – Der Amazonen-Strom, der Rio-Negro und der Orinoco. – Die Erdesser. – Ergebnisse der Reise. – Zweite Reise Humboldt's. – Die Volcanitos. – Der Wasserfall von Tequendama. – Die Brücken des Icononzo. – Der Uebergang über den Quindiu auf den Rücken von Trägern. – Quito und der Pichincha. – Ersteigung des Chimborazo. – Die Anden. – Lima. – Der Merkur-Durchgang. – Erforschung von Mexiko. – Mexiko. – Puebla und der Cofre Perote's. – Rückkehr nach Europa.

Wiederholt hatten wir Gelegenheit, gewisser Expeditionen Erwähnung zu thun, welche als Ziel die Erforschung der Gestade Amerikas verfolgten. Wir erzählten die Unternehmungen von Ferdinand Cortez, die Reisen und Untersuchungen Drake's, Cook's, Lapérouse's und Marchand's. Es empfiehlt sich wohl, hier einige Zeit zurückzugreifen und mit Fleurieu die Reisen kurz zu betrachten, welche bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nach den Westküsten Amerikas ausgeführt wurden.

Im Jahre 1537 hatte Cortez mit Francisco de Ulloa die große Halbinsel von Kalifornien entdeckt und den größten Theil dieses langen und schmalen Meerbusens untersucht, der heute auch den Namen das Purpurmeer führt.

Nach ihm gingen Vasquez Coronado zu Lande und Francisco Alarcon zu Wasser darauf aus, die vermuthete Meerenge aufzusuchen, welche man sich als Verbindungsglied des Atlantischen und Pacifischen Oceans dachte; sie gelangten aber nicht über den 36. Grad der Breite hinauf.

Zwei Jahre später, 1542, erreichte der Portugiese Rodriguez de Cabrillo den vierundvierzigsten Parallelkreis. Dort angelangt, zwangen ihn aber Kälte, Krankheiten, Mangel an Proviant und der schlechte Zustand seines Schiffes zur Umkehr. Er hatte jenen Durchgang zwar nicht entdeckt, doch aber festgestellt, daß die Küste von dem Nativitäts-Hafen unter 19° 40' bis zu dem von ihm erreichten Punkte eine ununterbrochene Linie bilde. Die Meerenge schien vor den Naturforschern immer weiter zurückzuweichen.

Man muß wohl annehmen, daß diese geringen Erfolge ihrer Bemühungen die Spanier entmuthigten, denn von jener Zeit ab verschwanden sie aus der Liste der Entdeckungsreisenden. Ein Engländer, Drake, war es, der, nachdem er längs der Westküste von der Magelhaens-Straße aus gefahren und die spanischen Besitzungen verheert hatte, bis zum achtundvierzigsten Grade vordrang, dann eine Strecke von zehn Graden rückwärts segelte und dieser ganzen, ungeheuren Küstenstrecke den Namen Neu-Albion gab.

Es folgte nun 1592 die großentheils fabelhafte Reise Juan de Fuca's, welcher die schon lange gesuchte »Anian-Straße« gefunden zu haben behauptete, während er in Wahrheit nur den schmalen Sund entdeckt hatte, der die Insel Vancouver vom Festland trennt.

Im Jahr 1602 legte Vizcaino den Grund zu dem Hafen von Monterey in Kalifornien, und vierzig Jahre später fand die vielbestrittene Expedition des Admiral de Fuente oder de Fonte – je nachdem man diesen als Spanier oder als Portugiesen betrachtet – statt, die zu so vielen gelehrten Abhandlungen und geistreichen Auslegungen Veranlassung geben sollte. Dem Genannten verdankt man die Entdeckung des Saint-Lazarus-Archipels über der Insel Vancouver; in das Gebiet des Romans gehört aber alles Uebrige, was er über große Seen, von ihm besuchte weitläufige Städte und über die Verbindung der beiden Oceane berichtet.

Im 18. Jahrhundert vertraute man schon nicht mehr blind den Aussagen der Reisenden. Man prüfte und controlirte sie und wies Alles zurück, was mit schon bekannten Thatsachen in offenbarem Widerspruche stand. Buache, Delisle und vor allem Fleurieu sind als die Bahnbrecher einer fruchtbaren historischen Kritik anzusehen und verdienen dafür den Dank der Nachwelt.

Die Russen hatten, wie wir sahen, den Kreis ihrer Kenntnisse schon sehr weit ausgedehnt, und allem Anscheine nach konnte der Tag nicht mehr fern sein, wo ihre Kundschafter und Kosaken Amerika erreichten, wenn überhaupt, wie man jener Zeit annahm, im Norden eine Verbindung zwischen beiden Continenten vorhanden war. Auf keinen Fall wäre das jedoch einer ernsten Expedition gleichzuachten gewesen, und wer von ihnen hätte auch wissenschaftliche Kunde bringen sollen, welche von Seiten der gebildeteren Nationen Glauben verdiente?

Der Czar Peter I. hatte wenige Tage vor seinem Tode mit eigener Hand den Plan und die Instructionen zu einer, von ihm längst beabsichtigten Reise entworfen; er wollte darüber Gewißheit erlangen, ob Asien und Amerika verbunden oder durch eine Meerenge getrennt seien. In den Arsenalen und dem Hafen von Kamtschatka waren die hierzu nothwendigen Vorbedingungen nicht zu erfüllen. Man mußte also Kapitäne, Matrosen, Ausrüstungs-Gegenstände und Lebensmittel von Europa herbeischaffen.

Der Däne Vitus Behring und der Russe Alexis Tschirikow, Beide ihrer Kenntnisse und Gewandtheit wegen schon hinlänglich bekannt, wurden mit der Leitung dieser Expedition betraut. Die letztere bestand übrigens aus zwei in Kamtschatka gebauten Schiffen. Erst am 20. Juli 1720 waren sie bereit, in See zu gehen. Längs der Küste Asiens, das er nun aus den Augen verlor, nach Nordosten steuernd, kam Behring am 15. August unter 67° 18' nördlicher Breite in Sicht eines Caps, jenseits dessen die Küste wieder nach Westen zu verlief.

Bei dieser ersten Reise sah Behring nicht einmal das Ufer Amerikas, sondern durchschiffte auch unbewußt die Meerenge, welcher die spätere Zeit seinen Namen beilegte. Die fabelhafte Anian-Straße wurde nun durch die Behrings-Straße ersetzt.

Eine zweite, im folgenden Jahre von denselben Männern unternommene Reise verlief resultatlos.

Erst am 4. Juni 1741 konnten Behring und Tschirikow auf's Neue auslaufen. Als sie nun bis zum fünfzigsten Breitengrade gekommen waren, nahmen sie sich vor, bis zur Auffindung der Küste Amerikas nach Osten weiter zu segeln. Am 20. October aber durch heftigen Wind getrennt, konnten die beiden Schiffe einander für den Rest der Fahrt nicht wiederfinden. Am 18. Juli entdeckte Behring unter 58° 28' der Breite das Festland Amerikas. Die nächsten Tage widmete er der Erforschung einer weiten, zwischen den beiden Caps Sanct Elias und Sanct Hermogenes gelegenen Bai.

Während des ganzen Monats August kreuzte Behring inmitten der, die Halbinsel Alaska umgebenden Inseln oder des Schumagin-Archipels, kämpfte am 24. October hart gegen schwere Winde, gelangte bis zu dem letzten Ausläufer der Halbinsel und entdeckte einen Theil der Aleuten.

Schon längere Zeit erkrankt, vermochte dieser Seemann nicht mehr, sich über den Lauf seines Schiffes im Klaren zu erhalten und strandete dabei an einer kleinen Insel, welche davon seinen Namen erhielt. Am 8. September 1741 erreichte den beherzten Mann und glücklichen Forscher hier ein elender Tod.

Der noch übrigen, durch die Strapazen und Entbehrungen bei einem Winteraufenthalt an dieser verlassenen Stelle sehr verminderten Mannschaft gelang es, aus dem Wrack des Schiffes wenigstens eine größere Schaluppe zu zimmern, mit der sie nach Kamtschatka zurückkehrte.

Tschirikow, der seinen Befehlshaber bis zum 25. Juni vergeblich wieder erwartet hatte, erreichte die Küste Amerikas zwischen dem fünfundfünfzigsten und sechsundfünfzigsten Breitengrade. Hier verlor er zwei Boote nebst der dazugehörigen Mannschaft, ohne ermitteln zu können, was aus denselben geworden sei. Da es ihm nun an Allem fehlte, um sich mit dem Lande in Verbindung zu erhalten, war er nach Kamtschatka heimgesegelt.

Nun war der Weg eröffnet, Abenteurer, Kaufleute und Seeofficiere drangen kühn in jene Gegenden vor. Ihre weiteren Entdeckungen beschränkten sich in der Hauptsache auf die Aleuten und die Halbinsel Alaska.

Inzwischen erweckten die von den Engländern nach den Küsten Amerikas entsendeten Expeditionen und die Fortschritte der Russen doch die Eifersucht und Unruhe der Spanier. Letztere fürchteten, ihre Rivalen sich niederlassen zu sehen in Ländern, die dem Namen nach ihnen gehörten, in denen sie jedoch nicht eine einzige Ansiedelung besaßen.

Der Vicekönig von Mexiko, der Marquis de Croix, erinnerte sich da der Entdeckung eines vortrefflichen Hafens durch Vizcaino, und beschloß daselbst ein Presidio einzurichten. Zwei gleichzeitige Expeditionen, die eine zu Lande unter dem Commando Don Gaspar de Portola's, die andere zu Wasser, bestehend aus den beiden Paquetbooten, der »San Carlos« und der »San Antonio« verließen La Paz am 17. Januar 1769, erreichten glücklich den Hafen San Diego und fanden nach einjährigem Suchen den von Vizcaino zuerst gemeldeten Hafen von Monterey wieder.

Nach dieser Expedition befleißigten sich die Spanier auch, die Küsten Kaliforniens weiter zu erforschen. Die bekanntesten, zu diesem Zwecke unternommenen Reisen sind die Don Juan de Ayala's und La Bodega's, im Jahre 1775, bei denen das Cap del Engano und die Bai von Guadalupa aufgefunden wurden, und ferner die Fahrten Arteaga's und Maurelle's.

Da wir die Entdeckungen Cook's, Lapérouse's und Marchand's schon früher geschildert, gehen wir nun hier sofort etwas näher auf die Expedition Vancouver's ein. Dieser Officier, ein Begleiter Cook's bei dessen zweiter und dritter Reise, erschien von vornherein als der geeignetste Mann zur Führung einer, von der englischen Regierung nach den Küsten von Amerika in der Absicht gesendeten Expedition, den mit Spanien wegen der Bai von Nootka entstandenen Meinungsverschiedenheiten ein Ende zu machen.

Georges Vancouver erhielt den Auftrag, von den spanischen Behörden eine förmliche Abtretung jenes, für den Handel mit Pelzwaaren besonders wichtigen Hafens zu erwirken. Dann sollte er die ganze Nordwestküste vom 80. Breitengrade an bis zum Cookflusse unter dem 61. Grade aufnehmen. Endlich empfahl man seiner Aufmerksamkeit vorzüglich noch die Fuca-Straße und die von der »Washington« im Jahre 1789 untersuchte Bai.

Am 1. April 1791 lichteten die beiden Fahrzeuge, die »Découverte« von 340 und die »Chatam« von 135 Tonnen, die letztere unter dem Befehl des Kapitäns Broughton, in Falmouth die Anker.

Nach zweimaligem Aufenthalte, einmal in Teneriffa und der Simons-Bai, und einmal am Cap der Guten Hoffnung, wendete sich Vancouver nach Süden, lief die Insel Saint-Paul an und segelte nach Neu-Holland zu, zwischen den von Dampier und Marion gefahrenen Wegen, durch Meerestheile, welche noch Niemand besucht hatte. Am 27. September bekam er einen Theil der Küste Neu-Hollands in Sicht, ein aus hohen, steilen Uferwänden bestehendes Vorland, das den Namen »Cap Chatam« erhielt. Da nicht wenige seiner Matrosen an Dysenterie litten, beschloß Vancouver, in dem ersten sich zeigenden Hafen vor Anker zu gehen und sich daselbst Wasser, Holz, vorzüglich aber einige, sehr nothwendig gebrauchte Nahrungsmittel zu verschaffen. Er lief also in den Hafen König Georg's III. ein. Hier fand er Enten, Schwäne, viele Fische und Austern; er konnte aber mit keinem Eingebornen in Verbindung treten, obwohl ein Dorf mit zwanzig, erst unlängst verlassenen Hütten in der Nähe lag.

Auf seinem Zuge längs der Südwestküste Neu-Hollands brauchen wir Vancouver nicht zu folgen, da derselbe nichts für uns Neues bietet.

Am 26. October wurde Cap Van-Diemen umschifft und am 3. November erreichte man die Gestade Neuseelands, wo die beiden englischen Schiffe in der Dusky-Bai vor Anker gingen. Vancouver vervollständigte hier die Aufnahmen und Erhebungen, die Cook noch unvollendet gelassen hatte. Da trennte ein Orkan die »Découverte« von der »Chatam«, welche erst in der Bai von Matavaï auf Tahiti wiedergefunden wurde. Bei der Fahrt hierher entdeckte Vancouver einige Felsen-Eilande, die er »die Schlingen« (the Snares) nannte, und eine beträchtliche Insel mit Namen Oparra. Seinerseits hatte Kapitän Broughton östlich von Neuseeland die Insel Chatam aufgefunden. Die den Aufenthalt auf Tahiti bezeichnenden Zwischenfälle erinnern so sehr an die während des Verweilens Cook's, daß wir sie hier füglich übergehen können.

Am 24. Januar 1798 segelten die beiden Schiffe nach den Sandwichs-Inseln ab und rasteten nur kurze Zeit in Owhyhee, Waohoo und Attoway. Seit der Ermordung Cook's waren in diesem Archipel viele Veränderungen eingetreten. Allmälich begannen englische und amerikanische Schiffe sie zum Zweck des Walfischfanges oder des Pelzhandels öfter zu besuchen. Die Kapitäne derselben hatten den Eingebornen Geschmack am Branntwein beigebracht und das Verlangen nach Feuerwaffen erweckt. Streitigkeiten zwischen den kleineren Häuptlingen kamen häufiger vor, überall herrschte eine trostlose Anarchie, und die Zahl der Einwohner nahm zusehends weiter und weiter ab.

Am 17. März 1792 verließ Vancouver die Sandwichs-Inseln und steuerte nach Amerika, wo er in kurzer Zeit den von Drake Neu-Albion genannten Theil erreichte. Dort traf er gleich anfangs den Kapitän Gray, dem man andichtete, mit der »Washington« die Fuca-Straße passirt und jenseits derselben ein weites Meer gesehen zu haben. Gray beeilte sich, die ihm so grundlos zugeschriebenen Entdeckungen von sich abzuweisen. Er war nur fünfzig Meilen weit in die von Westen nach Osten verlaufende Meerenge eingedrungen bis zu einer Stelle, wo die Eingebornen ihm versicherten, daß die Meerenge von da aus sich nach Norden hin wende. Vancouver segelte nun selbst in die Fuca-Straße ein und entdeckte darin den Hafen der »Découverte«, den Einlauf der Admiralität, die Birch-Bai, den Desolations-Sund, die Johnston-Enge und den Broughton-Archipel. Vor Erreichung des äußersten Endes dieses langen Meeresarmes begegnete er zwei kleinen, von Quadra befehligten spanischen Schiffen. Die beiden Kapitäne theilten einander ihre Ergebnisse mit und gaben der Halbinsel jenes reichgegliederten Archipels, der als der von Neu-Georgien bezeichnet wurde, ihre beiden Namen.

Vancouver besuchte nachher Nootka, den Columbia-Strom und ging zuletzt bei San-Francisco vor Anker. Der Leser sieht wohl ein, daß wir ihm nicht in alle Einzelheiten dieser peinlich-gewissenhaften Erforschung, welche drei volle Monate in Anspruch nahm, nachfolgen können. Die ungeheuere Küstenstrecke zwischen Cap Mendocino und dem Hafen Conclusion unter 56° 14' nördlicher Breite und 225° 37' östlicher Länge wurde dabei von den Engländern besichtigt.

»Jetzt, da wir das Hauptziel der von dem Könige angeordneten Reise erreicht,« äußert sich der Reisende, »schmeichle ich mir, daß unsere sehr genaue Aufnahme der Nordwestküste Amerikas alle Zweifel lösen und alle falschen Anschauungen berichtigen werde, die man bis jetzt allgemein über eine nordwestliche Durchfahrt hegte, und das Niemand mehr an eine Verbindung des nördlichen Pacifischen Oceans mit dem Innern des Festlandes von Amerika, soweit wir es in Augenschein genommen haben, glauben wird.«

Um von Nootka aus vor der Rückkehr nach Europa die Küsten des mittleren und südlichen Amerikas kennen zu lernen, verweilte Vancouver ein wenig bei der kleinen Cocos-Insel, die, wie wir schon zu erwähnen Gelegenheit hatten, ihren Namen kaum verdient, ankerte einmal in Valparaiso, umschiffte das Cap Horn, faßte in St. Helena Wasser und lief am 12. September 1795 wieder in die Themse ein.

Die Anstrengungen dieser langen Fahrt hatten jedoch die Gesundheit dieses geschickten Forschers so sehr erschüttert, daß er schon im Mai 1798 starb, noch ehe er den, später von seinem Bruder zu Ende geführten Bericht über seine Reise vollenden konnte.

Im Laufe der vier Jahre, welche die schwierige Arbeit der Aufnahme einer meist unbekannten Küstenstrecke von neuntausend Meilen beanspruchte, hatten die »Découverte« und die »Chatam« nur zwei Mann verloren. Man erkennt daraus, daß der gelehrige Schüler Cook's die Lehren seines Meisters wohl zu benutzen verstand, und wirklich weiß man nicht recht, was man an Vancouver mehr bewundern soll, ob die Sorgfalt, die er seinen Matrosen widmete und die Menschlichkeit mit der er die Wilden behandelte, oder die ausgezeichnete Geschicklichkeit, von der er während des ganzen Verlaufes dieser oft sehr gefährlichen Fahrt so unzweifelhafte Proben ablegte.

Wenn nun aus der Westküste Nordamerikas die Forschungsreisenden schneller einander folgten, so blieben die Ansiedler auch nicht müßig. Während diese sich zuerst längs der Gestade des Atlantischen Oceans niederließen und bis Canada eine lange Reihe Staaten gründeten, drangen sie doch bald bis tief in das Innere des Landes ein. Ihre Trapper, ihre Waldläufer vermittelten das Bekanntwerden ungeheuerer Gebiete kulturfähigen Bodens, den die englischen Squatters nach und nach besetzten. Freilich vermochten sie nur unter fast täglichen Kämpfen mit den Indianern, den ursprünglichen Eigenthümern des Landes, Schritt für Schritt in das Innere des Landes vorzudringen. Doch strömten, verlockt durch die außerordentliche Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens und die liberalen Einrichtungen der Staaten, immer neue Kolonisten hinzu.

Ihre Zahl wuchs dermaßen, daß die Erben des Lord Baltimore gegen Ende des 17. Jahrhunderts den Ertrag aus dem Verkaufe ihrer Ländereien zu dreitausend Pfund schätzten, während die Nachfolger William Penn's in der Mitte des nächsten Jahrhunderts, also gegen 1750, auf demselben Wege eine über zehnmal größere Einnahme erzielt hatten. Noch immer hielt man die Einwanderung jedoch für nicht zahlreich genug; deshalb begann man Verbrecher dahin abzuführen – Maryland zählte deren im Jahre 1750 schon 1981 – vorzüglich aber suchte man Auswanderer dahin zu locken, die einen Vertrag unterschreiben mußten, was bald zu scheußlichem Mißbrauch Veranlassung gab.

Obgleich die von den Indianern angekauften oder ihnen entrissenen Ländereien noch lange nicht besetzt waren, drangen die englischen Kolonisten doch immer weiter vor, selbst auf die Gefahr hin, mit den rechtmäßigen Eigenthümern des Bodens in Conflict zu gerathen.

Im Norden sucht die Hudsons-Bai-Gesellschaft, die das Monopol des Handels mit Pelzwaaren besaß, immer neue Jagdgründe auf, da die von ihr ausgebeuteten sich allmälich erschöpften. Sie schiebt ihre Trapper immer weiter vor, und erhält von den Indianern, die sie ausnutzt und ein wenig trunken macht, werthvolle Nachrichten. Sie erfährt von dem Vorhandensein eines Flusses, der sich im Norden in der Nähe ausgiebiger Kupferminen in's Meer ergießt, von denen die Indianer nach dem Fort Prince de Gallas reiche Proben gebracht hatten. Der Entschluß der Gesellschaft ist schnell gefaßt und 1796 beauftragt sie Samuel Hearne mit der Leitung einer Forscher-Expedition dahin.

Zu einer Reise in solch' eisigen Gefilden, wo Proviant nur schwer zu erlangen ist und meist eine strenge Kälte herrscht, braucht man vor Allem abgehärtete Männer, nur eine kleine Zahl, aber solche, welche im Stande sind, die Strapazen eines beschwerlichen Marsches durch den Schnee und die Qualen des Hungers zu erdulden. So nahm Hearne auch nur zwei Weiße und einige verläßliche Indianer mit.

Trotz der wunderbaren Geschicklichkeit dieser Führer welche das Land nach allen Seiten kannten und mit der Gegend vertraut sind, geht der Mundvorrath bald zu Ende. Kaum zwei Meilen vom Fort Prince de Gallas verlassen die Indianer Hearne und seine zwei Begleiter, welche nun gezwungen sind, umzukehren.

Der Führer des Unternehmens aber ist ein wetterfester Seemann und gewöhnt, Alles zu ertragen. Er wirft die Flinte nicht in's Korn. Wenn man das erste Mal scheiterte, kann man deshalb nicht bei einem zweiten Unternehmen glücklicher sein?

Im Februar 1770 begiebt sich Hearne zum zweiten Male in jene unbekannten Gegenden. Diesmal ist er allein mit fünf Indianern, denn er hat sich überzeugt, daß die Unfähigkeit der Weißen, starke Anstrengungen auszuhalten, bei den Wilden das Gefühl von Verachtung hervorruft. Schon ist er fünfhundert Meilen weit weg, da zwingt ihn die Unbill der Jahreszeit, Halt zu machen und eine mildere Temperatur abzuwarten. Jetzt kam eine schwere Zeit. Bald mit Ueberfluß an Wild, das man nicht verzehren konnte, doch häufiger ohne etwas zwischen die Zähne zu nehmen, gelegentlich sieben Tage lang gezwungen, altes Leder zu kauen, Knochen abzunagen, die man früher weggeworfen, oder auf Bäumen nach einigen Beeren, und auch das noch meist fruchtlos zu suchen, und endlich eine unbeschreibliche Kälte mit in den Kauf nehmen – das ist das Leben eines Entdeckers in jenen eisigen Regionen.

Im Monat April bricht Hearne wieder auf, durchdringt die endlosen Wälder bis zum August und richtet sich ein, den Winter bei einem Indianerstamme zuzubringen, der ihn freundlich aufgenommen hat, als ein Zufall, bei dem er seinen Quadranten einbüßt, ihn zwingt, die Reise fortzusetzen.

Weder Mangel, Elend und Entbehrungen aller Art erschüttern den felsenfesten Muth Samuel Hearne's. Er reist am 7. December wiederum ab, wandert unter dem 60. Breitengrade wieder nach Westen und findet da einen Fluß. Jetzt erbaut er ein Boot und fährt hinab auf jenem, der sich in eine unübersehbare Reihe größerer und kleinerer Seen verläuft. Am 13. Juli 1773 endlich erreicht er den Kupferminenfluß. Die ihn begleitenden Indianer befanden sich nun seit einigen Wochen auf einem von Eskimos oft besuchten Gebiet und gelobten sich, diese, wenn sie sie träfen, bis auf den letzten Mann niederzumetzeln.

Die Gelegenheit hierzu sollte leider bald kommen.

»Als sie einmal«, sagt Hearne, »alle Eskimos ruhig in ihren Zelten wußten, schlichen sich die Indianer aus einem Versteck hervor und fielen unversehens über die armen Kerle her; ich selbst war gezwungen, bei dem unmenschlichen Gemetzel neutral zu bleiben.«

»Nach diesem scheußlichen Blutbade«, fährt Hearne fort, »setzten wir uns in's Gras und verzehrten eine köstliche Mahlzeit von frischem Lachs.«

An eben dieser Stelle verbreiterte sich der Fluß sehr bedeutend. Hatte der Reisende also wohl dessen Mündung erreicht? Noch enthielt er überall Süßwasser. Am Ufer zeigten sich jedoch gewisse Spuren von Ebbe und Fluth. Ganze Schaaren von Robben spielten in den Wellen. In den Zelten der Eskimos hatte man viele Walfischbarten gefunden. Alles deutete darauf hin, daß man hier das Meer vor sich habe. Hearne ergriff das Teleskop. Vor ihm breitet sich eine endlose, nur da und dort von kleinen Inseln unterbrochene Wasserfläche aus. Kein Zweifel, das ist das Meer.

Am 30. Juni 1772 kehrt Hearne wieder nach einer Abwesenheit von nicht weniger als siebzehn Monaten nach den englischen Ansiedelungen zurück.

Die Gesellschaft erkannte Hearne's großartige Verdienste durch seine Ernennung zum Gouverneur des Fort von Gallas bereitwillig an. Bei seiner Expedition in die Hudsons-Bai bemächtigte sich Lapérouse dieses Etablissements und fand das Tagebuch von Samuel Hearne's Reise. Der französische Seemann lieferte es ihm unter der Bedingung, dasselbe zu veröffentlichen, wieder aus. Wir wissen indeß nicht, welche Umstände die Erfüllung des von dem englischen Reisenden dem französischen Seemann gegebenen Versprechens bis zum Jahre 1795 verzögert hatte.

Erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts wurde jene endlose Reihe von Seen, Strömen und Wasserfällen bekannt, welche, vom oberen See ausgehend, alle Wasseradern der Felsengebirge sammeln und in das Eismeer abführen. Die theilweise Entdeckung derselben verdankt man den Pelzhändlern, Gebrüder Frobisher und Pond, der sogar bis Athabasca kam.

Dank diesen Aufschlüssen, wird die Reise minder beschwerlich, die Forscher folgen einander schneller, die Niederlassungen mehren sich – das Land ist entdeckt. Bald hört man auch von einem großen Strome sprechen, der nach Nordwesten zu verlaufen soll.

Alexander Mackenzie war es, der diesem seinen Namen gab. Vom Fort Chippewayan auf dem südlichen Ufer des Sees der Hügel am 3. Juni 1789 abgereist, führt er nur einige Canadier und mehrere Indianer mit sich, deren einer schon Hearne begleitet hatte. Nach einem Punkt unter 67° 45' der Breite gelangt, überzeugte sich Mackenzie, daß er vom Meere im Osten nicht weit entfernt, aber dem im Westen noch näher sei. Er zog also offenbar auf die Nordwestspitze Amerikas zu.

Am 12. Juli erreichte Mackenzie eine große Wasserfläche, die man wegen ihrer geringen Tiefe und dem Bedecktsein mit Eisschollen nicht für das Meer halten konnte, wenn auch nirgends am Horizont Land zu entdecken war. Und doch hatte Mackenzie hier das Eismeer vor sich. Er gewahrte auch das selbst, als das Wasser, obwohl nur ein mäßiger Wind wehte, auffallend stieg. Das konnte nur von der Fluth herrühren. Der Reisende verfügte sich hierauf nach einer Insel, die er in einiger Entfernung von der Küste erblickte. Von da aus sah er mehrere Walfische, welche sich in den Wogen tummelten. Dieses unter 69° 14' der Breite gelegene Stück Land erhielt von dem Reisenden auch den Namen Walfischinsel. Am 12. September kehrte die Expedition glücklich nach Fort Chippewayan heim.

Drei Jahre später ging Mackenzie, dessen Durst nach Entdeckungen noch nicht gelöscht war, den Friedensfluß hinauf, der seinen Ursprung in den Felsenbergen hat. Nachdem er sich 1793 mühsam einen Weg über diese schwer zugängliche Kette gebahnt, sah er auf der anderen Seite der Berge einen Strom, den Takutchetesse, der nach Südwesten verlief. Inmitten von Gefahren und Entbehrungen, die man sich leichter vorstellen als wiedergeben kann, folgte Mackenzie dem Bette dieses Flusses bis zu seiner Mündung, d. h. bis unter die Insel Prince de Gallas. Hier hinterließ er an einer Felsenwand die ebenso treffende wie lakonische Inschrift: »Alexander Mackenzie, aus Canada über Land gekommen, am 22. Juli 1793«.

Am 24. August kehrte er nach Fort Chippewayan zurück. –

In Südamerika fand während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Reise nicht statt. Hier ist nur La Condamine zu erwähnen. Wir haben schon früher die Aufgaben geschildert, die ihn zuerst nach Amerika führten und wie er nach Vollendung jener Vermessungsarbeiten Bouguer nach Europa zurückkehren ließ, Jussieu aber noch einen längeren Aufenthalt gewährte, der die Naturgeschichte mit einer großen Menge neuer Pflanzen und noch unbekannter Thiere bereichern sollte, während er selbst den Amazonenstrom bis zu dessen Mündung hinabfuhr.

»Man könnte La Condamine«, sagt Maury in seiner ›Geschichte der Akademie der Wissenschaften‹, »füglich den Alexander von Humboldt des 18. Jahrhunderts nennen. Gleichzeitig Schöngeist und Gelehrter von Beruf, lieferte er bei jener denkwürdigen Expedition rühmenswerthe Beweise seiner Opferwilligkeit für die Wissenschaft. Als die vom Könige für seine Reise ausgeworfenen Summen z. B. nicht ausreichten, legte er hunderttausend Pfund aus eigener Tasche zu; durch Unfälle und Anstrengungen verlor er Beine und Ohren. Ein Opfer seiner Leidenschaft für den Fortschritt menschlichen Wissens, erntete er dafür nach seiner Rückkehr seitens der Gesellschaft, welche sich einen Märtyrer nicht vorstellen konnte, der nicht zum Himmel seufzte, nichts als Spott und boshafte Beurtheilung. Da erblickte Niemand in La Condamine den unermüdlichen, allen Gefahren trotzenden Forscher, sondern nur einen zerstreuten, stumpfsinnigen Gelangweilten, der jeden Augenblick das Hörrohr zur Hand nahm. Befriedigt durch die Anerkennung seiner Collegen, zu deren beredten Dolmetscher sich de Buffon eines Tages machte (in der Antwort auf La Condamine's Rede beim Eintritt in die französische Akademie), suchte und fand La Condamine einen Trost darin, Lieder zu componiren und bis zum Grab, wohin sein schweres Leid ihm den Weg abkürzte, mit gleichem Eifer über alles Mögliche Beobachtungen anzustellen, selbst über den Schmerz, was ihn sogar veranlaßte, den Henker an Damiens' Schaffot noch darüber auszufragen.«

Vor La Condamine hatten nur wenig Reisende Gelegenheit gehabt, in die unermeßlichen Gebiete Brasiliens einzudringen. Der gelehrte Forscher hoffte also, seine Reise besonders dadurch nutzbringend zu machen, daß er eine Karte des Flusses (Amazonenstromes) aufnahm und in einem noch so wenig besuchten Lande alle sich darbietenden Beobachtungen über die eigenthümlichen Sitten der Indianer sammelte.

Seit der Zeit Orellana's, dessen abenteuerliche Fahrt wir geschildert haben, war Pedro de Ursua im Jahre 1559 von dem Vicekönig von Peru zur Aufsuchung des Parima-Sees und des El Dorado ausgesendet worden. Er starb aber durch die Hand eines rebellischen Soldaten, der längs des Flusses Räubereien aller Art beging und zuletzt auf der Insel Trinidad geviertheilt wurde.

Derartige Unternehmungen waren natürlich nicht geeignet, über den Lauf des Flusses besonderes Licht zu verbreiten. Die Spanier sollten darin glücklicher sein. In den Jahren 1636 und 1637 hatte Pedro de Terjeira den Amazonenstrom bis zu seinem Nebenarme, dem Napo, mit siebenundvierzig Booten und einer Abtheilung Spanier und Indianer befahren. Dann war er bis Coca, dreißig Meilen von Quito, hinauf gewandert, welch' letztere Stadt er mit noch einigen Begleitern besuchte. Im nächsten Jahre kehrte er auf dem nämlichen Wege nach Para in Begleitung zweier Jesuiten zurück, die einen Reisebericht herausgaben, der im Jahre 1682 übersetzt wurde.

Die nach diesem Berichte von Sanson entworfene, von allen Geographen natürlich vertrauungsvoll copirte Karte litt zwar an sehr großen Mängeln, doch besaß man bis 1717 keine andere. Zu dieser Zeit wurde im 12. Bande der »Gelehrten Briefe« – übrigens eine kostbare Sammlung, in der man eine überraschende Menge für die Geschichte und Geographie interessanter Nachrichten findet – die Copie einer von dem Pater Fritz, einem deutschen Missionär, gezeichneten Karte veröffentlicht. Man ersieht aus ihr, daß der Napo nicht den eigentlichen Quellenstrom des Amazonenstromes bildet, sondern daß der letztere als Marañon dreißig Meilen östlich von Lima und dem Guanuco-See entspringt. Der Unterlauf des Flusses war minder gut gezeichnet, weil der Pater Fritz, als er diesen befuhr, zu krank war, um genau beobachten und messen zu können.

Von Tarqui, fünf Meilen von Cuenza aus am 11. Mai 1743 abgereist, passirte Condamine zuerst Zaruma, eine früher wegen ihrer Goldminen berühmte Stadt, und überschritt mehrere Flüsse auf Brücken aus Schlinggewächsen, die sich von einem Ufer zum anderen spannten und einer riesigen Hängematte glichen. Dann kam er nach Loxa, vier Grade vom Aequator. Diese Stadt liegt hundert Toisen niedriger als Quito, was man auch an dem Unterschied der Temperatur daselbst leicht bemerkt. Die bewaldeten Berge hier erscheinen nur wie Hügel gegenüber den Riesen von Quito.

Auf dem Wege von Loxa nach Jaen-de-Bracamoros überschreitet man die letzten Vorberge der Anden. In dieser Gegend regnet es das ganze Jahr hindurch beinahe täglich, und ist es nicht gerathen, einen längeren Aufenthalt zu nehmen. Das Land hat überhaupt seine frühere Blüthe gänzlich verloren; Loyala, Valladolid, Jaen, sowie die meisten Städte Perus, die vom Meere und der Hauptstraße von Carthagena nach Lima abseits liegen, waren nur noch kleine Flecken. Und doch ist die ganze Umgebung von Jaen bedeckt mit wilden Cocosbäumen, denen die Indianer freilich nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als dem goldhaltigen Sande, den ihre Flüsse mitführen.

La Condamine schiffte sich auf dem Chincipe ein, der an jener Stelle die Seine in Paris an Breite übertrifft, und fuhr denselben bis zu seiner Vereinigung mit dem Marañon hinab. Von diesem Punkte aus wird der Marañon selbst schiffbar, obwohl er noch häufig durch Fälle und Stromschnellen unterbrochen und an manchen Stellen so eingeschränkt ist, daß er höchstens zwanzig Toisen in der Breite mißt. Die bekannteste dieser Flußengen ist der »Pongo«, oder das Thor von Manseriche, eine von dem Marañon mitten durch die Kordilleren gebahnte Oeffnung mit nahezu senkrechten Seitenwänden und einer Breite von fünfundzwanzig Toisen. Hier erlebte La Condamine, der mit einem Neger allein auf seinem Floß zurückgeblieben war, ein wohl ziemlich einzig dastehendes Abenteuer.

»Der Strom, dessen Wassertiefe binnen sechsunddreißig Stunden um fünfundzwanzig Fuß abnahm,« sagt er, »wurde noch immer seichter. Mitten in der Nacht drängte sich ein Stück eines unter dem Wasser verborgenen Astes durch die Hölzer meines Flosses, und zwar immer mehr und mehr, je nachdem das Niveau des Wassers sank, und wenn ich nicht bei der Hand und wach gewesen wäre, konnte der Augenblick nicht mehr fern sein, wo ich mit dem Flosse aus dem Wasser gehoben und an jenem Baumast in der Luft schwebend hängen geblieben wäre. Das Geringste, was mir dabei widerfahren konnte, war der Verlust meiner Tagebücher und Beobachtungshefte, d. i. die Frucht einer achtjährigen Mühe. Zum Glück gelang es mir jedoch zuletzt, mich zu befreien und das Floß wieder flott zu machen.«

In der Nähe der in Ruinen liegenden Stadt Santiago, wo Condamine am 10. Juli eintraf, hausen mitten im Walde die Xibaros-Indianer, welche seit einem Jahrhundert gegen die Spanier in Aufruhr leben, um sich der Arbeit in den Goldminen zu entziehen.

Jenseits des Pongo von Manseriche eröffnete sich eine ganz neue Welt, ein Ocean von Süßwasser, ein Labyrinth von Seen, Flußarmen und Kanälen, inmitten unentwirrbarer Urwälder. Obwohl La Condamine seit sieben vollen Jahren gewöhnt war, in der freien Natur zu leben, so ermüdete ihn endlich dennoch dieses ewig gleichbleibende Bild von Wasser und Grün ohne auch nur den geringsten Wechsel. Als er Borja am 14. Juli verlassen, kam der Reisende bald an dem Einflusse des Morona vorüber, der von dem Vulcan von Sangay herabströmt, dessen Asche manchmal bis über Guyaquil hinausfliegt. Später passirte er die drei Ausflüsse der Pastaca, eines damals so sehr über seine Ufer getretenen Flusses, daß es unmöglich wurde, auch nur eine jener drei Mündungen zu messen. Am 19. desselben Monats erreichte La Condamine Laguma, wo ihn seit sechs Wochen schon Don Pedro Maldonado, der Gouverneur der Provinz Esmeralda, erwartete, der die Pastaca herabgefahren war. Laguma bildete jener Zeit eine starke Burg mit tausend bewaffneten Indianern unter dem Befehle der Missionäre verschiedener Stämme.

»Dadurch, daß ich mich befleißigte, eine Karte des Amazonenstromes aufzunehmen, gewann ich ein Mittel gegen Mangel an Thätigkeit, zu dem mich die ruhige Fahrt sonst verurtheilt hätte und welchen die stets gleich bleibende Scenerie, trotzdem mir diese noch neu war, gewiß sehr langweilig und abspannend machen mußte. Jetzt war meine Aufmerksamkeit aber stets in Anspruch genommen, um mit der Boussole und der Uhr in der Hand den Wechsel in der Richtung des Stromlaufes, wie die Zeit, welche wir von einer Windung desselben zur anderen brauchten, oder die Breite seines Bettes zu beobachten, nebst der der zahlreichen Seitenarme, die er aufnimmt, ferner die Winkel, unter denen diese einmünden, zu messen, oder ein Auge zu haben auf die in demselben befindlichen Inseln und deren Größe, auf die Schnelligkeit der Strömung und die des Bootes, manchmal vom Lande, manchmal vom Boote selbst aus unter Anwendung verschiedener Methoden, deren Darlegung hier zu weit führen würde. Jeder Augenblick wurde mir kostbar. Ich habe sehr häufig sondirt, auf geometrischem Wege die Breite des Stromes und seiner Nebenflüsse gemessen, die Meridianhöhe der Sonne fast Tag für Tag bestimmt und ihre Amplitude beim Aufgang wie beim Niedergang für den Ort, an dem ich mich befand, festgestellt.«

Nachdem er am Tigerfluß vorübergekommen, erreichte La Condamine am 25. Juli eine zweite Mission der Wilden, nämlich die der Yameos, welche die Patres erst unlängst in den Wäldern aufgesucht hatten. Ihre Sprache war sehr schwierig, besonders aber die Art der Aussprache. Einzelne Worte derselben enthielten neun bis zehn Silben, während jene sonst nur bis drei zählen konnten. Sie bedienten sich mit großer Geschicklichkeit des Blaserohres, aus dem sie kleine, mit einem so scharfen Gifte versehene Pfeile schossen, daß diese schon binnen einer Minute den Tod herbeiführten.

Am nächsten Tage gelangte man zur Einmündung des Ucayale, eines der stärksten Wasserläufe, die der Marañon aufnimmt und der vielleicht als seine eigentliche Quelle anzusehen ist. Von der Vereinigung mit diesem an nimmt die Breite des Stromes sehr beträchtlich zu.

Am 27. wurde bei der Mission der Omaguas, eines in früheren Zeiten sehr mächtigen Stammes, gelandet, der die Ufer des Amazonenstromes auf einer Strecke von zweihundert Meilen unterhalb des Napo bevölkerte. Fremd im Lande, nimmt man an, daß diese längs eines Flusses hierhergekommen seien, der wahrscheinlich dem Königreiche Grenada entspringt, und daß sie ausgewandert wären, um dem Joche der Spanier zu entgehen. Der Name »Omagua« bedeutet in peruanischer Sprache so viel wie »Flachkopf«, und dieses Volk hat in der That die eigenthümliche Gewohnheit, die Stirn der Neugebornen zwischen zwei Bretter zu pressen, um diese dem Vollmond ähnlich zu machen. Sie benützen auch zwei bestimmte Pflanzen, den »Floripondio« und den »Curupa«, deren Genuß sie vierundzwanzig Stunden lang halb trunken macht und phantastische Träume hervorruft. Opium und Hatchich haben also noch einen Nebenbuhler in Peru!

Die Chinarinde, Ipecacuanha, Simaruba, Sarsaparille, der Guaïac und Cacao, sowie die Vanille finden sich fast überall am Ufer des Marañon. Ebenso der Kautschuk, aus dem die Indianer Flaschen, Stiefel und Klystirspritzen herstellen, »welche keinen Stempel brauchen«, sagt La Condamine. »Diese haben die Gestalt hohler Birnen mit einer kleinen Oeffnung am Ende, in welches eine Kanüle eingesetzt wird. Dieses Geräth ist bei den Omaguas viel im Gebrauche. Wenn sie sich zu einer Festlichkeit versammeln, wird der Hausherr nicht verfehlen, jedem seiner Gäste aus Höflichkeit ein Exemplar desselben anzubieten, das Jeder benützt, bevor er an der Mahlzeit theilnimmt.«

In San-Joaquin seine Begleitung wechselnd, kam La Condamine an der Mündung des Napo rechtzeitig an, um in der Nacht vom 31. Juli zum 1. August den Austritt des ersten Jupitermondes aus dem Schatten des Planeten zu beobachten, was ihm ermöglichte, die Länge und Breite des Ortes zu bestimmen; auf dieser wichtigen Beobachtung beruhen auch alle weiteren Aufnahmen im Verlaufe der Fahrt.

Pevas, das am folgenden Tage erreicht wurde, ist die letzte der spanischen Missionen an den Ufern des Marañon. Die hier vereinigten Indianer gehören verschiedenen Stämmen, aber nicht alle der christlichen Religion an. Sie trugen noch Knochen von Säugethieren und Fischen in der Nasenscheidewand und durch die Lippen, und ihre mit Löchern übersäeten Wangen dienten als Behälter für Vogelfedern jeder Farbe.

Saint Paul ist die erste Mission der Portugiesen. Hier ist der Fluß wenigstens neunhundert Toisen breit und nicht selten von heftigen Stürmen bewegt. Der Reisende wurde angenehm überrascht, zu sehen, daß die Indianerweiber Leinenhemden trugen und verschließbare Kasten, eiserne Schlüssel, Nadeln, Spiegel Scheeren und andere europäische Geräthe besaßen, die sich die Wilden in Para einkaufen, wenn sie ihre Cacao-Ernten dahin bringen. Ihre Canots sind weit bequemer eingerichtet als die der Indianer von den portugiesischen Besitzungen. Sie stellen wirklich kleine Brigantinen von sechzig Fuß Länge und sieben Fuß Breite vor, welche von vierzig Rudern fortbewegt werden.

Von Saint-Paul bis Coari fallen mehrere große und schöne Nebenströme in den Amazonenstrom, darunter der Yutay, Yuruca, Tefe und Caori auf der Südseite, der Putumayo und Yupura auf der Nordseite. Längs der letztgenannten Flüsse wohnte noch ein Stamm von Menschenfressern. Hier hatte Terjeira am 26. August 1639 einen Pfahl aufgestellt, der die Grenze bezeichnen sollte. Bis zu dieser Stelle hatte man sich im Gespräche mit Indianern der peruanischen Mundart bedient; weiterhin mußte man die brasilianische anwenden, welche in allen portuguiesischen Missionen üblich ist.

In der nächsten Zeit wurden der Purusstrom und der Rio Negro, letzterer von portugiesischen Missionen unter Leitung der Geistlichen vom Mont Carmel besetzt und das Verbindungsglied zwischen dem Orinoco und Amazonenstrom bildend, besichtigt. Die erste wirkliche Aufklärung dieser wichtigen geographischen Frage verdankt man den Arbeiten La Condamine's und seiner scharfsinnigen Kritik der Reisen der Missionäre vor ihm. In diese Gegenden verlegte man übrigens allgemein den Goldenen See von Parime und die nur in der Einbildung existirende Stadt Manoa-del-Dorada. Sie ist die Heimat der Manoa-Indianer, welche den portugiesischen Waffen so lange siegreich widerstanden.

Weiterhin wurden nun die Mündung des Rio de la Madera – sogenannt von der großen Menge Holz, die er mit sich führt – das Fort Pauxis, von dem an der Marañon den Namen Amazonenstrom annimmt und sich die Gezeiten bemerkbar machen, obwohl man hier noch über zweihundert Meilen vom Meere entfernt ist, ferner die Festung Topayos, an der Mündung eines Flusses, der aus den brasilianischen Bergdistricten herkommt und an dessen Ufern die Tupinambas wohnen, nach und nach passirt.

Ende September gewahrte man Berge im Norden – ein neues Schauspiel, denn seit zwei Monaten fuhr La Condamine auf dem Strome, ohne auch nur einen Hügel erblickt zu haben. Es waren das die ersten Hügel der Guyane-Kette.

Am 6. September verließ man, gegenüber dem Fort von Paru, den Amazonenstrom, um durch einen natürlichen Kanal in den Tingu hinüberzufahren, den der Pater d'Acunha Paramaribo nennt. Man erreichte bald das Fort von Curupa und endlich Para, eine große Stadt mit geraden Straßen und Häusern aus Ziegeln oder Bruchsteinen. La Condamine, dem es wegen Vollendung seiner Karte darauf ankam, die Mündung des Amazonenstromes zu besuchen, schiffte sich von hier nach Cayenne ein, wo er am 26. Februar 1744 anlangte.

Diese weit ausgedehnte Reise hatte besonders wichtige Resultate. Zum ersten Male wurde dabei der Lauf des Amazonenstromes auf wirklich wissenschaftliche Weise festgestellt und erlaubte sie einen nicht unbegründeten Schluß auf die Verbindung desselben mit dem Orinoco; dann brachte La Condamine von jener auch eine große Menge interessanter Beobachtungen aus den Gebieten der Naturgeschichte, Physik und Astronomie, wie endlich jener neuen, eben erst im Entstehen begriffenen Wissenschaft, der Anthropologie, mit heim.

Wir haben nun die Reise eines jener Gelehrten zu schildern, der es am besten verstand, die innigen Beziehungen zwischen der Geographie und den anderen physikalischen Fächern der Wissenschaft im Auge zu behalten, nämlich die Alexander von Humboldt's. Ihm verbleibt der Ruhm, andere Reisende auf diesen höchst fruchtbringenden Weg verwiesen zu haben.

Geboren in Berlin im Jahre 1769, genoß Humboldt seinen ersten Unterricht bei Campe, dem bekannten Reiseschriftsteller. Begabt mit sehr lebhafter Neigung zur Botanik, verband sich Humboldt in Göttingen mit Forster dem Jüngeren, der mit Kapitän Cook eben eine Reise um die Welt gemacht hatte. Diese Bekanntschaft und vorzüglich auch die farbenprächtigen Schilderungen Forster's trugen gewiß das Meiste dazu bei, in Humboldt die Reiselust zu erwecken. Er betrieb nun gleichzeitig das Studium der Geologie, Botanik, Chemie und thierischen Elektricität und begab sich zur weiteren Vervollkommnung in diesen Fächern nach England, Holland, Italien und nach der Schweiz. Im Jahre 1797 kam er nach dem Tode seiner Mutter, die von seinen beabsichtigten Reisen außerhalb Europas nichts wissen wollte, nach Paris, wo er mit Aimé Bonpland, einem jungen Botaniker, bald einen Freundschaftsbund schloß und mit ihm mehrere Projecte für Forschungsreisen entwarf.

Humboldt hatte damals den Kapitän Baudin begleiten sollen, die Verzögerung aber, welche die Abfahrt jener Expedition erlitt, ermüdete seine Geduld zu sehr, und er begab sich nach Marseille in der Absicht, sich der französischen Armee in Aegypten anzuschließen. Zwei volle Monate erwartete er die Abfahrt einer Fregatte, welche den schwedischen Consul nach Algier bringen sollte; ärgerlich über alle diese Enttäuschungen, reiste er dann mit seinem Freunde Bonpland nach Spanien ab, in der Hoffnung, Erlaubniß zum Besuche der spanischen Besitzungen in Amerika zu erhalten.

Es war das keine so leichte Sache, wie man wohl glaubt; Humboldt besaß aber eine seltene Ausdauer, schöne Kenntnisse, warme Empfehlungen und außerdem erfreute er sich schon eines gewissen Rufes. So erzwang er sich also, trotz lebhaften Widerspruches der Regierungskreise, die Genehmigung zur Erforschung jener Kolonien und zur Anstellung aller ihm gutdünkender astronomischen und geodätischen Beobachtungen und Messungen.

Die beiden Freunde reisten am 5. Juni 1799 von Corogna ab und erreichten dreizehn Tage später die Canarischen Inseln. Für Naturforscher, welche in Teneriffa an's Land gingen, wäre es eine wirkliche Sünde gewesen, den berühmten Pic nicht zu besteigen.

»Die meisten Naturforscher,« sagt Humboldt in einem Briefe an La Metterie, »welche (wie ich) nach Indien gingen, haben nur Muße gehabt, bis nach dem Fuße des vulkanischen Kolosses vorzudringen und die herrlichen Gärten des Hafens von Ortova zu bewundern. Mir wurde das Glück zu Theil, daß unsere Fregatte, die ›Pizarro‹, hier sechs Tage lang verweilte. So bemühte ich mich, die Erdschichten, aus denen der Pic besteht, sorgfältig zu untersuchen . . . Wir schliefen bei vollem Mondschein in einer Höhe von tausendzweihundert Toisen. Nachts zwei Uhr begaben wir uns auf den Weg zum Gipfel, und trotz des heftigen Windes, des heißen Bodens, der unsere Schuhsohlen verbrannte, und trotz der dabei herrschenden Kälte der Luft, kamen wir daselbst gegen acht Uhr an. Ich wage keine Beschreibung der majestätischen Fernsicht, der vulcanischen Inseln Lancerote, Canarien und Gomera, die zu unseren Füßen lagen; der mit Bimssteinen und Lava bedeckten Wüste von zwanzig Quadratmeilen, ohne Insecten, ohne Vögel, jener Wüste, die uns von dichten Gebüschen von Lorbeerbäumen und Haidekraut trennt, wie von den Weinbergen mit ihren Palmen, Bananen und Drachenblut-Bäumen, deren Wurzeln sich in den Wellen baden . . . Wir drangen auch in den Krater selbst ein, der übrigens nur vierzig bis sechzig Fuß tief ist. Der Gipfel ragt 1904 Toisen über das Meer, oder genau so hoch empor, wie es Borda durch eine sehr sorgfältige geometrische Vermessung gefunden hat . . . Der Krater des Pics oder des eigentlichen Gipfels wirft schon seit Jahrhunderten keine Lava mehr aus (dieselbe entfließt nur den Seitenwänden), dagegen erzeugt der Krater eine ungeheuere Menge Schwefel und Schwefeleisen.«

Im Monat Juli kamen Humboldt und Bonpland in Cumana, d. h. in jenem Theile Südamerikas an, der als Terra firma bekannt ist. Sie verbrachten hier zunächst einige Wochen mit dem Studium der Verheerungen des großen Erdbebens von 1797. Dann bestimmten sie die Lage von Cumana, das auf allen Karten um einen halben Grad zu südlich angegeben ist, was jedenfalls den nördlichen, nach Trinidad zu gerichteten Strömungen, welche die Seefahrer täuschten, zuzuschreiben sein dürfte. Im December 1799 schrieb Humboldt von Caracas aus an den Astronomen Lalande:

»Eben komme ich von einer höchst lehrreichen Reise in das Innere von Paria, nach der Cordillere von Cocolar, Tumeri und Guiri zurück. Ich bringe einige mit meinen Instrumenten, auch mit getrockneten Pflanzen beladene Maulesel heim. Wir gelangten bis zu den Missionen der Kapuziner, welche noch von keinem Naturforscher besucht wurden; wir entdeckten eine große Menge Pflanzen, vorzüglich neue Palmenarten, und stehen im Begriffe, nach dem Orinoco abzureisen, um vielleicht bis San-Carlos am Rio-Negro und jenseits des Aequators vorzudringen . . . Wir haben über tausendsechshundert Pflanzen getrocknet, mehr als fünfhundert Vögel beschrieben und Insecten und Muscheln gesammelt; daneben habe ich gegen fünfzig Zeichnungen vollendet. In Berücksichtigung der brennenden Hitze dieser Zone glaube ich, daß Sie uns die Anerkennung, tüchtig gearbeitet zu haben, kaum versagen werden.«

Während dieses ersten Ausfluges hatte Humboldt die Missionen der Chaymas- und Guaraunos-Indianer besucht. Er erkletterte den Gipfel des Tumiriquiri und stieg in die Guacharo-Grotte hinab, eine ungeheure Höhle, die Wohnung Tausender von Nachtvögeln, aus deren Fett man das Oel von Guacharo gewinnt. Ihr von der üppigsten Vegetation geschmückter und bekrönter Eingang ist wahrhaft majestätisch. Aus demselben strömt ein beträchtlicher Fluß, und im Innern hallen dumpf die Stimmen der Vögel wieder. Sie stellt den Acheron der Chaymas-Indianer dar, denn die Seelen der Verstorbenen nehmen nach der Mythologie dieser Völker und der Indianer des Orinoco in dieser Höhle ihren Aufenthalt. In den Guacharo hinabsteigen, bedeutet in ihrer Sprache so viel wie sterben.

Die Indianer betreten einmal des Jahres die »Cueva« des Guacharo gegen Mitte des Sommers, wo sie die meisten Nester der Vögel mit langen Stangen zerstören. Dabei kommen denn Tausende von Vögeln um, während die alten Guacharos-Bewohner, als wollten sie ihre Stammsitze vertheidigen, unter entsetzlichem Geschrei um die Köpfe der Indianer schwirren. Die kleinen, welche zur Erde fallen, werden auf der Stelle geöffnet. Ihr Bauchfell ist mit einer dicken Fettschicht bedeckt, die sich über den ganzen Unterleib bis zum After hinzieht und zwischen den Beinen der Vögel eine Art Kissen bildet. Zur Zeit der in Caripe so genannten Oelernte erbauen die Indianer am Eingange und selbst unter dem Gewölbe der Höhle Hütten aus Palmenzweigen; dann entzünden sie Feuer mit getrockneten Blättern und schmelzen in thönernen Gefäßen das Fett der eben erlegten jungen Vögel aus. Dieses unter dem Namen von Butter oder Oel von Guacharo benannte Fett ist halbflüssig, durchscheinend, geruchlos und so rein, daß man es ein Jahr über, ohne ranzig zu werden, aufbewahren kann.«

Dann fährt Humboldt fort: »Wir haben etwa vierzehn Tage in dem Thale von Caripe zugebracht, das in einer Höhe von neunhundertzweiundfünfzig »Vares« (kastilianische Ellen gleich drei Fuß) über dem Meere liegt und von ganz nackt gehenden Indianern bewohnt wird. Daselbst sahen wir schwarze Affen mit rothen Bärten; wir hatten die Genugthuung, von den Kapuzinern des Convents und allen mit den einigermaßen civilisirten Indianern vereint lebenden Missionären mit größtem Wohlwollen empfangen zu werden.«

Vom Thal von Caripe aus begaben sich die beiden Reisenden über die Berge von Santa Maria und die Mission von Catuaro nach Cumana zurück und langten am 21. November zu Caracas, in einem an Cacao, Baumwolle und Kaffee fruchtbaren Thale mit dem gemäßigten Klima Europas an.

Humboldt benutzte seinen Aufenthalt in Caracas, um das Licht der südlichen Sterne zu beobachten, denn er glaubte wahrgenommen zu haben, daß einige derselben, vorzüglich in dem Sternbild des Kranichs, des Adlers, der amerikanischen Gans und in dem Fuße des Centauren dasselbe seit La Caille verändert hätten.

Gleichzeitig brachte er seine Sammlungen in Ordnung, sandte einen Theil davon nach Europa und widmete sich einer eingehenden Besichtigung der Felsen, um den Bau der Erdkugel in diesen Gegenden kennen zu lernen.

Nachdem sie die Umgebungen von Caracas in Augenschein genommen und die »Silla« oder Sella bestiegen hatten, bis zu deren Gipfel, trotz ihrer großen Nähe an der Stadt, noch kein Einwohner vorgedrungen war, wendeten sich Humboldt und Bonpland nach Valencia, längs den Ufern des Sees, den die Indianer Tacarigua nannten und der den Neufchateler See in der Schweiz an Breite übertrifft. Nichts vermag eine Vorstellung von dem Reichthum und der Mannigfaltigkeit der Vegetation hier zu geben. Und doch sind es nicht allein diese pittoresken und romantischen Reize, welche diesem See ein erhöhtes Interesse verleihen. Die gradweise Abnahme seines Wassers erregte nämlich die Aufmerksamkeit Humboldt's, der dieselbe einer unvernünftigen Ausbeutung der Wälder und folglich der Erschöpfung seiner Zuflüsse zuschreibt.

Hier konnte Humboldt sich auch von der Richtigkeit der ihm über einen eigenthümlichen Baum zu Ohren gekommenen Erzählung überzeugen; es war das der »el Palo de la vaca« oder Kuhbaum, welcher aus Einschnitten in seinen Stamm eine nahrhafte, balsamische Milch liefert.

Der schwierigere Theil der Reise begann bei Porto Cabello, am Anfange der »Llanos«, das sind jene unübersehbaren Ebenen, die sich zwischen den Hügeln der Küste und dem Thale des Orinoco hinziehen.

»Ich weiß nicht,« sagt Humboldt, »ob der erste Anblick der »Llanos« weniger Erstaunen hervorruft als der der Anden.«

In der That giebt es kaum etwas Frappanteres als dieses Meer von Gräsern, über dem, ohne daß man den leisesten Wind spürt, immer feine Staubwirbel schweben. In der Mitte dieser ungeheuren Ebene, in Calabazo, prüfte Humboldt zum ersten Male die Kraft der Gymnoten oder elektrischen Aale, die man auf jedem Schritt in allen Nebenflüssen des Orinoco antrifft. Die Indianer, welche sich vor deren elektrischen Schlägen fürchten, machten den Vorschlag, einige Pferde in einen Sumpf zu treiben, in dem sich Gymnoten aufhielten.

»Das ungewohnte Geräusch der Pferdefüße«, sagt Humboldt, »lockt die Gymnoten aus dem Schlamme herauf und reizt sie zum Kampfe. Die blaß gelblichen Aale gleichen etwa Schlangen, schwimmen an der Oberfläche des Wassers und schlüpfen unter den Bauch des Thieres, das ihre Ruhe stört. Der zwischen Thieren von so verschiedener Organisation entstehende Kampf bietet einen überraschenden Anblick. Die mit Wurfspießen und langen Stöcken bewaffneten Indianer umringen den Teich von allen Seiten und klettern selbst auf überhängende Bäume, während sie mit wildem Geschrei und ihren langen Stöcken die Pferde verhindern, zu entfliehen und an das Ufer zu klettern. Die durch das Geräusch erschreckten Aale vertheidigen sich mittelst wiederholter Entladung ihrer natürlichen elektrischen Batterien; lange Zeit scheinen sie siegreich zu bleiben: einige Pferde unterliegen der Heftigkeit dieser Erschütterungen, die sie von allen Seiten an den lebenswichtigsten Organen erhalten, und ihrerseits erschreckt über die Kraft und die Anzahl dieser Schläge, werden sie allmälich gelähmt und verschwinden unter dem Wasser.

»Andere suchen schnaufend, mit aufrechtstehender Mähne, entsetzten Blicken und unter dem Ausdruck des empfindlichsten Schmerzes dem Schlachtfelde zu entkommen, doch treiben die Indianer sie unbarmherzig in das Wasser zurück. Nur sehr wenigen gelingt es dabei, die Wachsamkeit derselben zu täuschen, indem sie das Ufer erreichen und sich dort erschöpft in den Sand niederwerfen, da alle ihre Glieder von den elektrischen Berührungen der Gymnoten gelähmt sind . . .

»Ich erinnere mich nicht, jemals von einer Leydener Flasche einen so heftigen Schlag erhalten zu haben, als hier, wo ich unvorsichtiger Weise den Fuß auf einen, aus dem Wasser herausgekrochenen Gymnoten setzte.«

Nach Bestimmung der astronomischen Lage von Calabozo, zogen Humboldt und Bonpland auf ihrem Wege längs des Orinoco weiter. Der Uritucu mit zahlreichen furchtbaren Krokodilen, und der Apure, einer der Nebenflüsse des Orinoco, dessen Ufer mit herrlicher, luxuriöser Vegetation, wie man es nur in den Tropen findet, bedeckt sind, wurden überschritten oder sie gingen längs derselben hin. Die Ufer dieses Flusses waren mit dichtem Gebüsch besetzt, und in diesem da und dort Gänge ausgebrochen, durch welche Bisamschweine, Tiger und andere wilde Thiere zur Stillung ihres Durstes an das Wasser gelangen konnten. Wenn die Nacht ihren Schleier über den Wald ausbreitet, hallt dieser, während er vorher gänzlich unbewohnt schien, von dem Brüllen, Schreien und dem Gesange der Raubthiere und der Vögel wider, die mit einander zu wetteifern scheinen, wer den meisten Lärm machen könne.

Hat der Uritucu seine gefräßigen Krokodile, so besitzt der Apure dafür einen kleinen Fisch, den »Carabito«, der Badende mit solcher Gier anfällt, daß er ihnen oft ziemlich große Stücke Fleisch ausreißt. Dieser, wenn auch nur vier bis fünf Zoll lange Fisch, ist fast noch mehr zu fürchten als das größte Krokodil. Deshalb wagt auch kein Indianer in das von ihm besuchte Wasser zu tauchen, trotz ihrer Liebhaberei für das Baden und trotz des Bedürfnisses, das sie empfinden, ihre von Muskitos und Ameisen oft gräulich zerstochene Haut zu erfrischen.

Die Reisenden gingen nun längs des Orinoco hinab bis zum Temi, der durch ein seichtes, wenig umfangreiches Stück Wasser mit dem Cano-Pimichin, einem Nebenflusse des Rio-Negro, in Verbindung steht.

Der Temi überschwemmt die Wälder an seinen Ufern oft auf weite Strecken. Die Indianer eröffnen sich dann mitten durch die Bäume Wasserwege von kaum zwei Meter Breite. Es giebt nichts Merkwürdigeres und Imposanteres, als inmitten dieser riesigen Bäume unter üppigem Blätterdache dahinzufahren. Hier findet man auch, drei- bis vierhundert Meilen im Innern des Landes, ganze Gesellschaften von Süßwasser-Delphinen, welche ihre Strahlen von Wasser und comprimirter Luft emportreiben, wovon sie den Namen »Bläser« erhalten haben.

Vier volle Tage waren nothwendig, die Canots vom Temi nach dem Cano-Pimichin zu befördern, wobei man sich erst mit dem Hackmesser einen Weg bahnen mußte.

Der Pimichin fällt in den Rio-Negro, der selbst ein Nebenfluß des Amazonenstromes ist.

Humboldt und Bonpland folgten nun dem Schwarzen Flusse bis San Carlos und fuhren dann den Casiquiare, einen mächtigen Arm des Orinoco hinauf, der die Verbindung des letzteren mit dem Rio-Negro darstellt. Die Ufer des Casiquiare sind von den Ydapaminores bewohnt, welche nichts als im Rauch getrocknete Ameisen verzehren.

Endlich gingen die Reisenden den Orinoco hinauf bis nahe zu dessen Quellen am Fuße des Vulcans von Duida, wo sich die wilden Guaharibos und die sehr gewandten Bogenschützen, die Guaicas-Indianer, aufhielten. Hier findet man die berühmte Lagune von El Dorado, auf welcher sich einige kleine Talk-Eilande spiegeln.

Nun war also die Streitfrage über die Verbindung des Orinoco mit dem Marañon endgiltig gelöst und nachgewiesen, daß dieselbe an der Grenze der spanischen und portugiesischen Besitzungen, etwa zwei Grade über dem Aequator, statt habe.

Die beiden Reisenden ließen sich nun von der reißenden Strömung des Orinoco wieder hinabtreiben, mit der sie über fünfhundert Meilen in weniger als sechsundzwanzig Tagen zurücklegten, dann rasteten sie drei Wochen lang in Angostura, um die Zeit der größten Hitze und der herrschenden Fieber vorbei zu lassen, und gelangten endlich im October 1800 nach Cumana zurück.

»Meine Gesundheit«, schreibt Humboldt, »widerstand den Strapazen einer Reise von über tausenddreihundert Meilen vortrefflich, mein armer Gefährte Bonpland aber wurde gleich nach der Rückkehr von einem mit Erbrechen verbundenen Fieber befallen, von dem er nur sehr langsam genas. Es bedurfte auch eines Organismus von ungewöhnlicher Spannkraft, um den Anstrengungen, Entbehrungen und fortwährenden Beängstigungen zu widerstehen, denen Reisende in jenen mörderischen Gegenden ausgesetzt sind. Die Anzahl Derjenigen ist nicht groß, welche es ertragen können, stets von Tigern und Krokodilen umgeben zu sein, sich den Körper von den Stichen der Musquitos und Waldameisen durchlöchern zu lassen, drei Monate lang keine andere Nahrung zu haben als Wasser, Bananen, Fische und Manioc, das Land der erdessenden Ottomaquen zu durchwandern, und unter dem Aequator die Ufer des Casiquiare hinabzuziehen, wo man auf einer Strecke von hundertdreißig Meilen keinem menschlichen Wesen begegnet; noch geringer aber wird die Zahl Derjenigen ausfallen, welche, nachdem sie einen solchen Kampf siegreich bestanden, noch Muth und Kraft genug besitzen, ihn noch einmal zu wagen.«

Wir haben gesehen, welche wichtige geographische Entdeckung die Ausdauer unserer Reisenden belohnte, die das ganze nördliche Land vom Amazonenstrom, zwischen Popayan und den Bergen von französisch Guyana durchmessen hatten. Auch die auf anderen Gebieten der Wissenschaft erzielten Erfolge waren ebenso zahlreich als neu.

Humboldt hatte nachgewiesen, daß es unter den Indianern am Orinoco und Rio-Negro auffallend weiße Stämme giebt, die sich von denen der Küste sehr wesentlich unterscheiden. Ebenso lernte er den merkwürdigen Stamm der Ottomaquen näher kennen.

»Dieses, durch seine den ganzen Körper entstellenden Malereien so häßliche Volk«, sagt Humboldt, »genießt, wenn der Orinoco Hochwasser hat und sie keine Schildkröten mehr finden können, drei Monate hindurch nichts, oder doch fast nichts als Thonerde. Es giebt Einzelne darunter, welche ein bis eineinhalb Pfund dieser Erde zu sich nehmen. Einige Mönche stellten zwar die Behauptung auf, sie vermischten dieselbe mit dem Fette aus Krokodilschwänzen; doch ist das ganz irrig. Wir haben dagegen bei den Ottomaquen Vorräthe von ganz reiner Erde gefunden, die sie verzehrten, während sie dieselbe nicht weiter als durch leichtes Rösten und Anfeuchten zubereiteten.«

Unter den denkwürdigsten Entdeckungen Humboldt's ist auch die des »Curare« zu erwähnen, jenes heftigen Giftes, das er von den Catarapeni- und Maquiritares-Indianern bereiten sah und von dem er eine Probe für das Institut mitbrachte, sowie des »Dapiche«, das etwa als ein bisher unbekannter Zustand des Gummi elasticum zu betrachten ist. Dasselbe besteht aus einem freiwillig aus den Wurzeln zweier Bäume, des »Jacio« und des »Curcuma«, abfließenden und auf der Erde eingetrockneten Milchsafte.

Diese erste Reise Humboldt's endigte übrigens mit der Erforschung der südlichen Theile von San Domingo und Jamaika und mit einem längeren Aufenthalte auf Cuba, wo die beiden Reisenden verschiedene Versuche zur Verbesserung der Fabrikation des Zuckers anstellten, die Küsten aufnahmen und astronomische Beobachtungen lieferten.

Diese Arbeiten erlitten eine Unterbrechung durch die Anzeige der Abreise des Kapitän Baudin, der das Cap Horn umschiffen und die Küste von Chile und Peru aufnehmen wollte. Humboldt, der schon versprochen hatte, mit der Expedition zusammenzutreffen, reiste sofort von Cuba ab, um durch Mittelamerika zu gehen und sich zur Zeit des Eintreffens des französischen Seemannes an der Küste Perus zu befinden. Erst in Quito hörte Humboldt, daß Baudin, statt jene Route einzuhalten, vielmehr in den Pacifischen Ocean einfahren und das Cap der Guten Hoffnung umsegeln wollte. Der berühmte Reisende hatte nun schon Alles dem Wunsche untergeordnet, zur richtigen Zeit an der Stelle zu sein, wo er Baudin zu finden hoffte.

Im März 1801 landete Humboldt, immer in Begleitung des treuen Bonpland, in Carthagena, von wo aus er sich nach Santa Fé de Bogota und nachher in die Hochebene von Quito begeben wollte. Die beiden Reisenden verweilten zuerst, um die Hitze vorüber zu lassen, in dem hübschen Dorfe Turbaco, auf den die Küste beherrschenden Höhen, und beschäftigten sich mit den Vorbereitungen zu ihrer Weiterreise. Bei einem Ausfluge in die Umgebungen besuchten sie eine höchst merkwürdige Gegend, welche ihre indianischen Führer wiederholt erwähnten.

Es ist das ein sumpfiger Bezirk inmitten eines Urwaldes von Palmen und »Tolu«-Bäumen, zwei Meilen östlich von Turbaco. Eine verbreitete Legende erzählt, das ganze Land habe früher einmal in Feuer gestanden, das ein Heiliger jedoch durch Bespritzen mit wenig Tropfen Weihwasser löschte.

Humboldt fand inmitten einer ausgedehnten Ebene gegen zwanzig, etwa fünfundzwanzig Fuß hohe Kegel aus grauem Thon, deren Mündung an der Spitze mit Wasser gefüllt war. Nähert man sich denselben, so vernimmt man in regelmäßigen Intervallen einen hohen Ton und sieht einige Minuten später einen starken Gasstrom herausdringen. Diese Kegel befinden sich, den Aussagen der Indianer nach, schon seit Jahren ganz in demselben Zustande.

Humboldt überzeugte sich, daß das jenen kleinen Vulcanen entströmende Gas Stickstoff, aber weit reiner sei, als man denselben bisher in chemischen Laboratorien herzustellen vermochte.

Santa-Fé liegt in einem Thale, achttausendsechshundert Fuß über dem Meere und rings von hohen Bergen umschlossen, die früher einen nicht unbedeutenden See begrenzt zu haben scheinen. Der Rio-Bogota, der alle Wasseradern dieses Thales aufnimmt, hat sich südwestlich von Santa-Fé, nahe der Farm von Tequendama, einen Weg gebrochen; nachdem er die Ebene dann durch einen Kanal verlassen, fällt er in das Becken der Magdalena. Es ergiebt sich hieraus, daß man durch Verschließung dieses Abflusses die ganze Ebene von Bogota überschwemmen und den früher vorhandenen See wieder herstellen könnte. Sowie in den Pyrenäen die Legende von der Bresche Roland's im Schwange ist, so erzählen die Indianer, daß einer ihrer Helden, Bochica, die Felsen, welche den Durchgang versperrten, gespalten und dadurch das Thal von Bogota trocken gelegt habe. Nachher soll sich dieser Wohlthäter, zufrieden mit seinem Werke, nach der sehr gesunden Stadt Eraca zurückgezogen und dort unter Bußübungen und freiwilligen Entbehrungen aller Art noch zweitausend Jahre gelebt haben.

Der Wasserfall von Tequendama bietet, wenn er auch keineswegs der bedeutendste der Welt ist, doch einen recht großartigen Anblick. Der durch alle Gewässer des Thales vergrößerte Fluß hat noch kurz vor den Fällen eine Breite von hundertsiebzig Fuß; wenn er aber in die Spalte eintritt, welche durch ein Erdbeben entstanden zu sein scheint, übersteigt seine Breite nicht mehr vierzig Fuß. Die Tiefe des Abgrundes, in den der Rio-Bogota hinabstürzt, ist gewiß nicht geringer als sechshundert Fuß. Ueber diesem merkwürdigen Fall erhebt sich stets eine Wolke von dichtem Wasserstaub, welche herniedersinkend zu der Fruchtbarkeit des Thales nicht wenig beitragen soll.

Es giebt nichts Ueberraschenderes als den Unterschied zwischen dem Thale dieses Flusses und dem der Magdalena. Auf der Höhe herrscht das Klima Europas und gedeihen das Korn, die Eiche und überhaupt die Bäume unserer Breiten; unten wuchern Palmen, Zuckerrohr und alle Erzeugnisse der Tropenzone.

Eine der interessantesten natürlichen Merkwürdigkeiten, die unsere Reisenden auf ihrem Wege fanden, ist die Brücke des Icononzo, welche Humboldt und Bonpland im September überschritten. Im Grunde einer jener Schluchten, jener »Cañons«, wie man sie gleich tief nur in den Anden findet, hat sich ein kleiner Bach, der Rio de Suma-Paz, durch eine enge Spalte einen Weg gebahnt. Es wäre ganz unmöglich, darüber zu gelangen, wenn die Natur nicht selbst für zwei übereinander liegende Brücken Sorge getragen hätte, welche mit Recht als Wunder der Umgegend betrachtet werden.

Drei von einem der Berge durch das Erdbeben, welches diese Riesenspalte erzeugte, abgetrennte Felsblöcke sind nämlich so gefallen, daß sie sich gegenseitig halten und einen natürlichen Bogen bilden, über welchen man, auf einem kleinen Fußstege, längs des Abgrundes gehen kann. In der Mitte der Brücke ist noch eine Oeffnung übrig geblieben, durch die man die Tiefe des unermeßlichen Abgrundes wahrnehmen kann, an dessen Boden der Gebirgsstrom mit entsetzlichem Geräusch und unter dem unaufhörlichen Geschrei Tausender umherflatternder Vögel dahineilt. Sechzig Fuß über jener Brücke findet man noch eine zweite von fünfzig Fuß Länge bei vierzig der Breite, deren Dicke in der Mitte acht Fuß nicht übersteigt. Die Eingebornen haben an ihrem Rande ein schwaches Geländer von Schilfrohr errichtet, von dem aus der Reisende die majestätische Scenerie unter seinen Füßen überschauen kann.

Die unaufhörlichen Regen und andere Hindernisse hatten den Weg bis Quito recht beschwerlich gemacht. Humboldt und Bonpland rasteten hier indeß nicht länger, als sie nothwendig brauchten, um einmal auszuruhen, dann begaben sie sich wieder nach dem Thale der Magdalena und nach den prächtigen Wäldern, welche die Abhänge des Quindiu in den Central-Anden schmücken.

Der Weg über diesen Berg wird als einer der schwierigsten der ganzen Kette betrachtet. Selbst während der günstigsten Jahreszeit braucht man nicht weniger als zwölf Tage, um seine Wälder zu durchwandern, in denen man keinem Menschen begegnet und nichts findet, was als Nahrung dienen könnte. Die höchste Spitze steigt 12.000 Fuß über das Meer empor, der einzig gangbare Weg ist oft nicht über einen Fuß breit. Man passirt diese Stelle meist auf einem Stuhle festgebunden, den die Indianer wie ein Reff auf dem Rücken tragen.

»Wir zogen es vor, zu Fuße zu gehen,« sagt Humboldt in einem Briefe an seinen Bruder, »und da die Witterung sehr schön blieb, brauchten wir nur siebzehn Tage durch diese Einöde, wo keine Spuren darauf hindeuten, daß sie jemals bewohnt gewesen wäre. Man schläft hier in Hütten aus Blättern der Heliconia, die man deshalb eigens mitführt. Auf dem westlichen Abhange der Anden finden sich Sümpfe, in die man nicht selten bis zum Knie einsinkt. Jetzt schlug auch das Wetter um und es regnete Tag für Tag; die Stiefel verfaulten uns beim Gehen und wir kamen mit nackten und wunden Füßen, aber bereichert mit einer schönen Sammlung neuer Pflanzen in Carthago an.

»Von Carthago aus gingen wir über Buga nach Popayan durch das schöne Thal des Cauca-Flusses, zu unserer Seite immer die Berge von Choca und die Platinminen, welche diese enthalten.

»Den Monat November des Jahres 1801 verweilten wir in Popayan und besuchten von da aus die Basaltberge von Julusuito und die Krater des Vulcans von Purace, welche mit schrecklichem Getöse schwefelwasserstoffhaltiges Wasser und die porphyritischen Granite von Pische auswerfen . . .

»Die größte zu besiegende Schwierigkeit stand uns nun noch zwischen Popayan und Quito bevor. Da mußten die Paramos de Pasto, und zwar während der eben begonnenen Regenzeit überschritten werden. »Paramo« nannte man in den Anden die Oertlichkeiten, wo in einer Höhe von 1700 bis 2000 Toisen alle Vegetation aufhört und eine markdurchdringende Kälte herrscht. Um die Hitze im Thale von Patia zu vermeiden, wo man sich in einer Nacht ein Fieber holen kann, das drei bis vier Wochen andauert und unter dem Namen »Calenturas de Patia« bekannt ist, überkletterten wir die Cordillere auf steilen Abhängen, um von Popayan nach Almager und von da nach Pasto, am Fuße eines furchtbaren Vulcans zu gelangen . . .«

Das ganze, oberhalb der Linie des Pflanzenwachsthums gelegene Gebiet von Pasto ist eine in Eis erstarrte Hochebene, umgeben von Vulcanen und Solfataren, welche ununterbrochen Rauchwirbel ausstoßen. Die Einwohner haben als Nahrung fast nur Pataten, und wenn ihnen diese ausgehen, müssen sie sich von einem »Achupalla« genannten Zwergbaume zu sättigen suchen, den ihnen überdies die Bären der Anden streitig machen. Nachdem sie zwei volle Monate hindurch Tag und Nacht durchnäßt dahingezogen und nahe der Stadt Ibarra noch eine von Erderschütterungen begleitete Ueberschwemmung mit in den Kauf nehmen mußten, kamen Humboldt und Bonpland am 6. Januar 1802 in Quito an, wo sie der Marquis de Selva-Alegre mit herzlicher, glänzender Gastfreundlichkeit empfing.

Die Stadt Quito selbst ist schön zu nennen; die schneidende Kälte aber und die kahlen Berge der Umgebung verleiden Jedem den Aufenthalt daselbst. Seit dem starken Erdbeben vom 4. Februar 1797 hatte die Temperatur hier merklich abgenommen, und Bouguer, der früher eine gewöhnliche Temperatur von fünfzehn und sechzehn Graden beobachtete, würde nicht wenig erstaunen, jetzt nur constant vier bis höchstens zehn Grad Réaumur anzutreffen. Der Cotopaxi, Pinchincha, Antisana und Ilinaya, lauter Riesenkamine eines und desselben unterirdischen Feuerherdes, wurden von den beiden Reisenden, welche auf jedem gegen vierzehn Tage verweilten, eingehend untersucht.

Zweimal kam Humboldt bis an den Krater des Pinchincha, den, mit Ausnahme La Condamine's, noch kein Mensch erblickt hatte.

»Meinen ersten Ausflug«, schreibt er, »unternahm ich allein mit einem Indianer. Da sich Condamine dem Krater einst an dessen niedrigem, schneebedecktem Rande genähert, folgten wir beim ersten Versuche seiner Fährte. Dabei wären wir jedoch bald umgekommen. Der Indianer versank plötzlich bis an die Brust in eine Spalte, und wir überzeugten uns mit Entsetzen, daß wir auf einer Brücke von gefrorenem Schnee dahin gegangen waren, denn wenige Schritte von uns entfernt, befanden sich Oeffnungen in derselben, durch welche wir das Tageslicht darunter sehen konnten. Somit befanden wir uns unbewußt auf einer Art Wölbung, welche schon dem Krater selbst angehörte. Erschreckt, doch nicht entmuthigt, änderte ich meinen Plan. An dem Kraterrande springen nämlich drei Pics, drei Felsen ohne Schneedecke hervor, da die aus dem Vulcan aufsteigenden Gase dieselben immer wegschmelzen. Ich erklomm einen der Felsen und fand auf seinem Gipfel einen Stein, der, nur auf einer Seite festsitzend und auf der unteren ausgehöhlt, balkonartig über den Abgrund vorsprang. Dieser Stein maß freilich nur zwölf Fuß in der Länge auf sechs in der Breite und zitterte unter fortwährenden Erschütterungen, deren wir achtzehn in kaum dreißig Minuten zählten. Um den Grund des Kraters ordentlich besichtigen zu können, legten wir uns lang auf den Leib hin, und ich glaube nicht, daß die menschliche Einbildungskraft sich etwas Traurigeres, Düstereres und Entsetzlicheres vorzustellen vermag als das, was wir hier unter uns sahen. Die Vulcanöffnung bildet ein trichterförmiges Loch von etwa einer Meile Umfang, dessen oben steil abfallende Wände mit Schnee bedeckt sind. Im Innern herrscht tiefe Dunkelheit; der Schlund ist aber so groß, daß man in demselben die Gipfel mehrerer aus dem Grunde aufsteigender Berge wahrnehmen konnte, die bis etwa 300 Toisen unter uns heraufreichten; wer sagt nun, wie tief ihr Fuß eingebettet sein mochte?

»Ich glaube, daß der Kratergrund mit der Stadt Quito in gleichem Niveau liegen möge. La Condamine hatte den Vulcan für erloschen angesehen und mit Schnee bedeckt gefunden; wir mußten den Bewohnern Quitos leider die weniger angenehme Nachricht bringen, daß dieser unheimliche Nachbar noch heute in vollem Brande steht.«

Auf dem Vulcan Antisana kam Humboldt bis 2773 Toisen hinauf; da drang den Reisenden aber das Blut aus den Lippen, Augen und dem Zahnfleische heraus und hinderte sie, noch höher zu steigen. Auch bis an den Kratermund des Cotopaxi vermochten sie unmöglich vorzudringen.

Am 9. Juni 1802 brach Humboldt, immer in Begleitung Bonpland's, von Quito auf, um den Chimborazo und den Tunguragua zu besuchen. Es gelang ihnen, sich dem Gipfel des ersten dieser Vulcane bis auf 250 Toisen zu nähern, doch zwangen sie dann dieselben Zufälle wie auf dem Antisana zur Umkehr. Der Gipfel des Tunguragua ist seit dem Erdbeben von 1797 zusammengebrochen, und seine von La Condamine auf 2620 Toisen bestimmte Höhe erreichte bei Humboldt's Messungen nur noch 2531 Toisen.

Von Quito aus begaben sich die Reisenden nach dem Amazonenstrome über Lactacunga, Hambato und Rio-Bameba, ein vom Erdbeben des Jahres 1797 arg verheertes Gebiet, in dem mehr als 40.000 Menschen unter Schlamm- und Wassermassen den Tod gefunden hatten. Beim Herabsteigen von den Anden konnten Humboldt und seine Begleiter noch die Ueberreste der Chaussee von Yega bewundern, welche, von Cusco nach Assuay führend, als »Inka-Straße« bezeichnet wird. Sie war durchweg aus behauenen Steinen hergestellt und sehr gut geebnet. Man glaubte wirklich, eine der schönsten altrömischen Straßen vor sich zu haben. In derselben Gegend finden sich die Palastruinen des Inka Tupayupangi, von denen schon La Condamine in den Berichten der Berliner Akademie eine Beschreibung lieferte.

Nach zehntägigem Aufenthalte zu Cuenca wandte sich Humboldt nach dem Bezirke von Jaen, nahm eine Karte des Maranon bis zum Rio-Negro auf und erfüllte durch seine astronomischen Beobachtungen das von La Condamine's Karte noch übrig gebliebene Desideratum vollständiger Verläßlichkeit. Am 23. Oktober 1802 gelangte Humboldt nach Lima, wo er den Merkur-Durchgang durch die Sonnenscheibe unter den günstigsten Umständen beobachten konnte.

Einen Monat lang hielt er sich in dieser Hauptstadt auf und reiste dann nach Guyaquil, von wo aus er sich zur See nach Acapulco in Neu-Spanien begab.

Die erstaunliche Menge von Beobachtungen, welche Humboldt während seines einjährigen Aufenthaltes in diesem Lande zusammenbrachte und die ihn veranlaßten, seine »Politisch-statistische Abhandlung über Neu-Spanien« herauszugeben, würde, wenn das nach dem, was wir über seine früheren Unternehmungen gesagt haben, noch nöthig wäre, den Beweis liefern, von welchem Wissensdrange er beseelt und mit welch' unbezähmbarer Energie und unermüdlicher Arbeitskraft er begabt war.

Er beschäftigte sich gleichzeitig mit den Alterthümern und der Geschichte Mexikos, studirte Charakter, Sitten und Sprache der Bewohner und stellte daneben noch naturhistorische, physikalische, chemische, astronomische und geographische Untersuchungen an.

Die Bergwerke von Tasco, Moran und Guanajuato, welche jährlich mehrere Millionen Piaster liefern, erregten zunächst die Aufmerksamkeit Humboldt's, dessen erste Studien ja die Geologie betrafen. Dann nimmt er den Vulcan von Jerullo in Augenschein, der am 29. September 1759, mitten in endloser Ebene, sechsunddreißig Meilen vom Meere und mehr als vierzig Meilen von jedem vulkanischen Herde entfernt, plötzlich aus der Erde hervorbrach und einen siebzehnhundert Fuß hohen Bergkegel von Asche und Schlacken bildete.

In Mexiko fanden die beiden Reisenden alle Hilfsmittel, ihre ungeheueren Sammlungen zu ordnen, ihre Beobachtungen zu classificiren und die Vorarbeiten zu einem herauszugebenden geologischen Atlas zu vollenden.

Diese Stadt verließen sie erst im Januar 1804, um den Ostabhang der Cordilleren kennen zu lernen und die beiden Riesenvulcane von Puebla zu messen.

»Der Popocateptl«, sagt Desborough Cooley, »ist in beständiger Thätigkeit, obwohl sein Krater seit Jahrhunderten nichts als Rauch und Asche ausgeworfen hat. Er übertrifft alle Berge Europas an Höhe um zweitausend Fuß und ist selbst der höchste Berg Neu-Spaniens. Die eben gefallene große Menge Schnee verhinderte Humboldt nicht an einer Besteigung des Cofre, der den Pic von Teneriffa um dreitausend Fuß überragt. Vom Gipfel dieses Berges genießt man eine ebenso ausgedehnte als wechselreiche Aussicht über die Ebene von Puebla bis zu dem Ostabhang der Cordilleren Mexikos, die mit dichten Wäldern von Ambrabäumen, baumartigem Strauchwerk und vielerlei Pflanzen bedeckt sind. Unsere Reisenden konnten auch den Hafen von Veracruz, die Burg Saint-Jean d'Ulloa's und die Küste des Meeres erkennen.

»Dieser Berg verdankt seinen Namen »Cofre« (der Koffer) einem nackten, pyramidenförmigen Felsen, der sich auf seinem Gipfel noch zu einer Höhe von vier- bis fünfhundert Fuß erhebt.«

Nach diesem letzten Abstecher stieg Humboldt nach Veracruz hinab, entging glücklich dem damals wüthenden gelben Fieber, reiste von hier aus nach Habana, wo er im Jahre 1800 den werthvollsten Theil seiner Sammlungen zurückgelassen hatte, widmete in Philadelphia einige Wochen dem, nothwendiger Weise nur summarischen Studium der politischen Zustände in den Vereinigten Staaten und kehrte im August 1804 nach Europa zurück.

Die Resultate der Reisen Humboldt's waren so umfassender Natur, daß man diesen Heroen der Wissenschaften als den eigentlichen Entdecker des äquinoctialen Amerikas ansehen muß. Vor ihm beutete man dieses Land wohl aus, doch ohne es selbst zu kennen, und ganz unermeßliche Schätze desselben blieben völlig unbeachtet liegen. Man muß es laut verkündigen, daß noch kein Reisender die physische Geographie und alle damit verwandten Wissenschaften um eine so große Strecke vorwärts brachte, als Humboldt. In ihm ist der ausgebildete Typus des gelehrten Reisenden verkörpert.

 


 


 << zurück