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Zweites Kapitel.
Worin sich die Abgesandten von England, Holland, Schweden, Dänemark und Rußland dem geneigten Leser vorstellen.

Das Schriftstück war einer Antwort wert. Erwarb nämlich die neue Handelsgesellschaft die Polargebiete, so wurden dieselben unverbrüchliches Eigentum von Amerika oder, richtiger ausgedrückt, der Vereinigten Staaten, deren lebensstarker Bund sich unaufhörlich zu mehren trachtet. Schon durch die in den 60er Jahren vollzogene Abtretung der nordwestlichen Territorien, die sich von der nördlichen Cordillere bis zur Behringstraße erstrecken, von seiten Rußlands an die Vereinigten Staaten ist denselben ein schönes Stück neuer Erde anheimgefallen. Es stand demnach zu vermuten, daß die andern Großmächte diese Angliederung arktischer Ländergebiete an die Bundesrepublik mit schelen Augen ansehen würden.

Indessen lehnten, wie schon gesagt worden ist, die verschiedenen Staaten Europas und Asiens, sofern sie nicht Grenzländer waren, die Beteiligung an dieser eigentümlichen Aufstreichsaktion ab, weil ihnen die Ergebnisse allzu zweifelhaft erscheinen mochten. Bloß diejenigen Mächte, deren Küstenland sich dem 84. Grade nähert, beschlossen ihre Rechte durch Entsendung offizieller Delegierten geltend zu machen. Im übrigen wird sich zeigen, daß sie samt und sonders nicht gesonnen waren, über einen verhältnismäßig höchst bescheidenen Satz hinauszugehen, denn es handelte sich nicht um ein Dominium, dessen Inbesitznahme völlig außer Frage stand. Immerhin meinte das unersättliche England, seinem Vertreter einen Kredit von einigem Belang eröffnen zu sollen. Beeilen wir uns zu sagen, was noch zu sagen bleibt: Die Abtretung cirkumpolaren Landgebiets bedrohte in keiner Weise das europäische Gleichgewicht und drohte in keiner Weise zu internationalen Verwicklungen zu führen. Selbst Fürst Bismarck – der große Kanzler lebte damals noch – runzelte nicht einmal seine dichten Brauen als germanischer Jupiter.

Es verblieben also nur England, Dänemark, Schweden und Norwegen, Holland, Rußland, die als Mitbieter vor dem Auktionator in Baltimore, kontradiktorisch mit den Vereinigten Staaten, in Betracht kamen: und von ihnen sollte also dem Meistbietenden diese Eismütze des Nordpols zufallen, deren Handelswert sich doch zum mindesten stark anzweifeln, wenn nicht bestreiten ließ.

Hier nun zum Ueberfluß die persönlichen Gründe, um derentwillen die fünf europäischen Staaten ziemlich rationeller Weise wünschten, daß der Zuschlag zu ihrem Vorteil erfolgen möchte.

Schweden und Norwegen verhehlte als Besitzer des über dem 70. Breitegrad gelegenen Nordkaps keineswegs, daß es sich als » Beatus praepossidens« all der ungeheuren Räume betrachte, die sich bis zu Spitzbergen und jenseits desselben bis zum Pole hin erstrecken. Hatten denn nicht der Norweger Kheilhau und der berühmte Schwede Nordenskjöld zu den Fortschritten geographischer Kenntnisse in diesen Bereichen eminent beigetragen? Ganz unbestreitbar.

Dänemark seinerseits erklärte, daß es bereits Herr über Island und die Faröer-Inseln sei, die ja so ziemlich an der Grenze des Polarkreises liegen, daß ihm die im obersten Norden arktischen Gebiets gegründeten Kolonien gehörten, wie beispielsweise Diskoe in der Davisstraße, die Niederlassungen Holsteinborg, Proven, Godhaven, Upernavik in der Baffinsbai und an der Westküste von Grönland. Obendrein war der berühmte Schiffsfahrer Behring dänischer Geburt, wenn er auch später in russische Dienste trat. Behring, der 1728 die Meerenge befuhr, die noch heute seinen Namen trägt, und der 13 Jahre später mit 30 Mann seiner Schiffsbesatzung an dem Gestade einer Insel elendiglich zu Grunde ging, die gleichfalls nach ihm benannt wurde? und hatte nicht, lange vor Behring, schon im Jahre 1619 der Schiffsfahrer Jan Munk die Ostküste von Grönland erforscht und mehrere, vor ihm gänzlich unbekannte Punkte aufgenommen? Dänemark besaß also wohlbegründete Rechte, als Erwerber, beziehungsweise Käufer aufzutreten.

Für Holland kamen seine Seefahrer Barents und Heemskerk in Betracht, die zu Ende des 16. Jahrhunderts Spitzbergen und Nowaja-Semlja besucht hatten. Eins seiner Kinder, Jan Mayen, hatte durch seinen verwegenen Nordlandszug Anno 1611 seinem Lande den Besitz der über dem 71. Breitengrade gelegenen Insel dieses Namens verschafft. Bei ihm galt also der Spruch, daß nicht bloß Adel, sondern auch Vergangenheit verpflichte.

Rußland hatte sich Ansprüche erworben durch Alexis Tschirikof, unter dessen Kommando Behring gedient hatte, durch Paulutski, dessen Expedition 1751 bis über die Grenzen des Eismeers hinauf gelangte, durch Kapitän Martin Spanberg und Leutnant Wilm Walton, die sich 1739 in diese unbekannten Gebiete wagten. Sein Anteil an den Forschungen in den Meeren, die Asien von Amerika scheiden, war zu keiner Zeit gering. Zudem beherrschen ja doch die Russen durch die Verteilung ihrer sibirischen Länder über 120 Längengrade bis zu den fernsten Grenzen von Kamtschatka eine ganze Hälfte des Polarmeers längs jenes ungeheuren asiatischen Küstenlandes, in welchem Samojeden, Jakuten, Tschuktschen und andere ihrer Macht und Herrschaft unterworfene Völkerschaften hausen. Und dann unter dem 75. Breitengrade, knapp 900 Seemeilen vom Pol, ihr Besitz des neusibirischen Inselbereichs, jenes Liatkow-Archipels, dessen Entdeckung zu Anfang des 18. Jahrhunderts erfolgte? Und hat nicht, last not least, vor den Engländern, vor den Amerikanern, vor den Schweden der russische Seefahrer Tschigatschoff eine nördliche Durchfahrt gesucht, um den Reiseweg zwischen den beiden Weltteilen zu kürzen?

Indessen nahm es, alles in allem gerechnet, doch den Anschein, als ob den Amerikanern vor allem ein Interesse, Eigentümer dieses unzugänglichen Punktes der Erdkugel zu werden, zuzusprechen sein möchte. Sie hatten ja doch auch wiederholt versucht, anläßlich der durch Grinnell, Kane, Hayes, Greely, de Long und andere kühne Seefahrer mit edlem Eifer unternommenen Versuche zur Wiederauffindung Sir John Franklins diesen Punkt zu erreichen. Auch die geographische Lage ihres Landes konnten sie ins Treffen führen, das sich ja doch jenseits vom Polarkreise von der Behringstraße bis zur Hudson-Bai erstreckt. Wenn sich der Pol durch eine fast ununterbrochene Kette von Landmassen an irgend eins der großen Festländer des Erdballs anschließt, so gilt das doch ganz gewiß mehr von Amerika als von den Verlängerungen Asiens oder Europas. Hiernach dürfte es durchaus natürlich sein, daß solcher Vorschlag, alles cirkumpolare Landgebiet an sich zu bringen, zugunsten einer amerikanischen Gesellschaft von der Bundesregierung gemacht worden war, und sofern eine Großmacht auf den Besitz dieses cirkumpolaren Landgebiets Rechte geltend machen konnte, die gewissermaßen außer aller Diskussion standen, so waren dies ganz ohne Frage in aller erster Reihe die Vereinigten Staaten von Nordamerika.

Indessen heischt nicht minder Anerkennung das Anrecht Großbritanniens insofern als es Kanada und Britisch-Kolumbien im Besitz hat, und als sich britische Seefahrer in großer Zahl durch Nordpolfahrten ausgezeichnet haben. In den britischen Zeitungen wurde denn auch diese Angelegenheit des langen und breiten mit aller Leidenschaftlichkeit erörtert.

»Ja doch!« ließ sich der große Geograph von Großbritannien Kliptringan in einem Aufsatze der »Times« vernehmen, »ja doch, die Schweden, Dänen, Holländer, Russen und Amerikaner können sich auf ihre Rechte manches zu gute tun. Aber England könnte sich, ohne Einbuße an Ansehen, diese Ländermassen keineswegs entgehen lassen. Gehört ihm nicht schon der nördliche Teil des neuen Kontinents? sind nicht die denselben bildenden Länder und Inseln durch seine Landeskinder, und zwar von Willoughi angefangen, der 1739 Spitzbergen und Nowaja-Semlja besuchte, bis zu Mac Clure, dessen Schiff 1853 die nordwestliche Durchfahrt erzwang, »vorentdeckt« worden?

»Sodann sind doch,« ließ der »Standard« durch die Feder des Admirals Fize erklären, »Frobisher, Davis, Hall, Weymouth, Hudson, Baffin, Cook, Roß, Parry, Beechey, Belcher, Franklin, Mulgrave, Scoresby, Mac Clintock, Kennedy, Nares, Collinson, Archer usw. usw. Angelsachsen gewesen! welches Land könnte also gerechteren Anspruch auf die Zuerkennung desjenigen Teiles des arktischen Landgebiets erheben, den diese Seefahrer noch nicht hatten erreichen können?«

»Zugegeben!« machte hiergegen der »Courier« von San Diego (in Kalifornien) geltend, »führen wir aber den Fall auf sein richtiges Terrain zurück – und da es sich hierbei um eine Eitelkeitsfrage zwischen den Vereinigten Staaten und England handelt, so wollen wir konstatieren, daß, wenn der Engländer Markham als Mitglied der Expedition Nares bis zu 83° 20' nördlicher Breite vorgedrungen ist, die Amerikaner Lockwood und Brainard von der Expedition Nares die 38 Sterne des Vereinigten Staaten-Banners bis zu 83° 35' getragen, mithin Markham um 15 Bogenminuten geschlagen haben. Ihnen kommt also die Ehre zu, dem Nordpol am nächsten gekommen zu sein!«

In dieser Weise erfolgten Angriff und Abwehr.

Als allererste in der Reihe der Seefahrer, die sich mitten in die arktischen Regionen hinein wagten, muß auch noch des Venetianers Cabot (1498) und des Portugiesen Cortereal (1500) gedacht werden, welche Grönland und Labrador entdeckten. Aber weder Italien noch Portugal waren auf den Einfall gekommen, sich an dem projektierten Aufstreich zu beteiligen, denn es kümmerte sie herzlich wenig, welchem Staate das Benefiz zufallen würde.

Daß der Kampf lediglich durch Amerika und England um Pfunde Sterling und Dollars mit Lebhaftigkeit geführt werden würde, ließ sich voraussehen.

Mittlerweile waren auf den von der »North Polar Practical Association« formulierten Antrag hin die an die Nordpolargebiete grenzenden Länder durch handelspolitische und wissenschaftliche Kongresse in Beratung getreten. Mannigfache Debatten hatten zu dem Beschlusse geführt, bei der auf den 3. Dezember zu Baltimore angesetzten Versteigerung sich mit Geboten zu beteiligen, die von keinem Delegierten überschritten werden sollten. Die durch die Versteigerung gewonnene Summe sollte zwischen die fünf ausfallenden Staaten verteilt werden und ihnen als Entschädigung dafür zufallen, daß sie Verzicht auf alle künftigen Rechte leisteten.

Ging das nicht ab ohne allerhand Diskussionen, so ließ sich das Geschäft doch endlich ins Reine bringen. Uebrigens erklärten sich die interessierten Staaten damit einverstanden, daß die Versteigerung in Baltimore vor sich ginge, gemäß der von der Bundesregierung erlassenen Anzeige. Die mit ihren Kreditbriefen ausgestatteten Delegierten verließen London, Haag, Stockholm, Kopenhagen, Petersburg und kamen drei Wochen vor dem angesetzten Versteigerungstermin in den Vereinigten Staaten an.

Amerika war auch in diesem Stadium der Angelegenheit noch immer bloß durch den »Mann« von der »North Polar Practical Association« vertreten, durch jenen William Forster nämlich, dessen Name allein unter dem am 7. November im »New-York Herald« veröffentlichten Berichte figurierte.

Zu Delegierten der europäischen Staaten waren die folgenden Herren ernannt worden, deren kurze Charakteristik sich im Interesse der Leser empfiehlt.

Für Holland: Jakob Janson, altes Mitglied des Staatsrats für Niederländisch-Indien, 53 Jahr alt, umfänglich, gedrungen, so was wie Sitzriese, nämlich mit langem Rumpf, kurzen Armen und kurzen O-Beinen, dazu Kopf mit Aluminium-Brille, rundes, gerötetes Gesicht, Haupthaar mit Heiligenschein, grau gesprenkelter Bart in Kotelettform ein wackrer Mann, der bloß für eine Unternehmung, deren praktische Folgen sich ihm verschlossen, sich nicht recht erwärmen konnte, vielmehr mit einer ziemlich starken Dosis von Ungläubigkeit an sie herantrat.

Für Dänemark: Erich Baldenac, ehemaliger Unterdirektor der grönländischen Besitzungen, von Mittelfigur, mit etwas ungleichen Schultern, gewölbtem Unterleib, hin und her wackelndem ungetümem Kopf, so kurzsichtig, daß er mit der Nase auf Heften und Büchern liegt, so dickköpfig, daß er in allem, was die Rechte seines Landes betrifft, das er als rechtmäßiger Eigentümer der Polar-Regionen betrachtet, kaum mit sich reden lassen mag.

Für Schweden und Norwegen: Jan Harald, Lehrer der Kosmographie in Christiania, der für einen der feurigsten Anhänger der Expedition Nordenskjöld gegolten hatte, ein echter Typus der Männer des Nordens mit rötlichem Gesicht, blondem Bart und blondem Haar, von jenem Blond, das an überreifes Getreide erinnert – der es für ausgemacht hält, daß die Polar-Kappe, die bloß von dem paläokrystischen oder jenem Meere, in welchem das Jahrhunderte alte Packeis herrscht, gebildet wird, alles Wertes entbehre. Ein Herr also, der in der Frage so gut wie kein Interesse hat und nur um des Prinzips halber da ist.

Für Rußland: der Oberst Boris Karkoff, halb Soldat, halb Diplomat, groß, steif, dicht behaart, mit starkem Schnurr- und Backenbart, alles wie aus einem Gusse, dem Anschein nach im Zivilanzuge sich nicht recht gemütlich fühlend und, ohne es zu wissen, nach dem Griffe des Degens suchend, den er vormals getragen hat – vor allen Dingen höchst begierig zu erfahren, was sich hinter dem Vorschlage der »North Polar Practical Association« barg, und ob sich nicht in zukünftiger Zeit ein Fall internationaler Schwierigkeiten daraus entwickeln könnte.

Für England endlich: Major Donellan mit seinem Sekretär Dean Toodrink. Diese letztern beiden Persönlichkeiten waren die richtigen Repräsentanten großbritannischen Länderappetits wie auch der ihrem Volk innewohnenden kommerziellen und industriellen Instinkte, und jener Tendenz, nach vorhandenem Naturgesetz alles herrenlose nördliche, südliche oder äquatoriale Territorium als ihm gehörig anzusehen und zu reklamieren. –

Wenn es je einen richtigen Engländer gegeben hat, so war es dieser Major Donellan, ein großer, magerer, knochiger, sehniger, eckiger Mensch mit einem Schnepfenhalse, einem Kopf à la Palmerston mit zurückweichenden Schultern, Stelzbeinen, höchst mobil trotz seiner sechzig Jahre, »nicht tot zu kriegen« – was er bei der Grenzberichtigung zwischen Hindostan und Birma, seinem ureignen Werke, sattsam bewiesen hat. Er lachte nie und hat vielleicht im ganzen Leben nie gelacht. Wozu soll das auch taugen? ... hat man je eine Lokomotive, einen Kran oder einen Dampfer lachen sehen?

In dieser Hinsicht wich der Major sehr erheblich ab von seinem Sekretär Dean Toodrink, einem geschwätzigen muntern Patron mit Dickkopf, Kräusellöckchen auf der Stirn und kleinen Falzaugen. Schotte von Geburt, gehörte er in dem alten Räuchernest Edinburg um seiner fidelen Einfälle und seines Hanges zu Kalauern willen zu den bekanntesten Leuten. Aber so lustig und aufgeräumt er in Gesellschaft war, so schlug er im Nu um in das Gegenteil und wurde zu einem um keinen Deut weniger als Major Donellan persönlichen, exklusiven, unzugänglichen und unversöhnlichen Patron, sobald es sich um großbritannische Ansprüche, und wenn es die allerungerechtfertigtsten waren, handelte.

Von diesen beiden Delegierten ließ sich annehmen, daß sie die verbissensten Kampfhähne gegen alles, was Amerika und amerikanische Gesellschaft hieß, sein würden. Der Nordpol gehörte ihnen, war ihr Eigentum seit vorgeschichtlicher Zeit, ganz so, als ob der Schöpfer die Engländer mit der Mission betraut hätte, die Drehung der Erde um ihre Axe in ihre besondere Obhut zu nehmen, und daß gerade diese beiden Herren die rechten waren, solche Mission nicht in andere Hände kommen zu lassen, mußte für jeden, der sie sah, außer Zweifel stehen.

Zu bemerken wird noch gut sein, daß wenn es Frankreich nicht für angemessen erachtet hatte, weder einen offiziellen noch einen offiziösen Delegierten abzuschicken, doch ein französischer Ingenieur »aus Liebe zur Kunst« sich eingefunden hatte, um diese kuriose Affäre aus nächster Nähe zu verfolgen. Man wird ihn zur gegebenen Zeit erscheinen sehen.

Die Vertreter der nördlichen Staaten Europas waren also in Baltimore angekommen, und zwar als Personen, die darauf halten, jeglicher Beeinflussung aus dem Wege zu gehen, auf verschiedenen Dampfschiffen. Es waren doch auch Nebenbuhler! besaß doch ein jeder den zum Kampfe notwendigen Kreditbrief! Indessen ist hier doch die Bemerkung am Platze, daß es keinen Kampf mit gleichen Waffen galt. Dieser konnte über eine Summe verfügen, die nicht an die Million reichte, jener um eine Summe, die über die Million hinausging. Um ein Stück von unserer Erdkugel zu kaufen, auf das sich allem Anschein nach überhaupt kein Fuß setzen ließ, mußte das einem noch viel zu teuer vorkommen! Wer in dieser Hinsicht am besten bedacht war, das war in der Tat der Delegierte von England, dem seine Regierung einen ziemlich beträchtlichen Kredit eröffnet hatte. Dank solchem Kredit konnte es dem Major Donellan freilich nicht schwer werden, seinen Gegner schwedischer, dänischer, holländischer und russischer Nationalität aus dem Felde zu schlagen. Mit Amerika war es aber ein ander Ding: Amerika auf dem Boden des Dollars zu schlagen, würde so leicht nicht sein. Es war nämlich zum wenigsten wahrscheinlich, daß der geheimnisvollen Handelsgesellschaft sehr bedeutende Kapitalien zur Verfügung stehen mußten. Wahrscheinlich würde sich der Kampf um die Kaufmillionen zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien abspielen.

Sobald die europäischen Gesandten an Land gekommen waren, begann sich die öffentliche Meinung lebhafter zu gestalten. Die eigentümlichsten Legenden liefen durch die Zeitungen. Absonderliche Hypothesen bildeten sich über diese Acquisition des Nordpols. Was wollte man damit anfangen? und was ließ sich damit anfangen? Nichts – ausgenommen höchstens, daß sich Eiskeller der Neuen und Alten Welt damit versorgen ließen! Ein Pariser Journal, der »Figaro«, trat sogar scherzhafterweise für diese Auffassung ein. Aber über den 84. Grad kam man auch damit noch immer nicht heraus.

Mittlerweile begannen die Delegierten, während sie einander auf der Ueberfahrt über das Meer gemieden hatten, nach ihrer Landung in Baltimore einander näherzutreten.

Und zwar aus folgenden Gründen:

Vom ersten Tage ihrer Ankunft an hatte sich jeder von ihnen mit der »North Polar Practical Association«, ohne daß einer vom andern was wußte, ins Vernehmen zu setzen gesucht. Was sie in Erfahrung zu bringen suchten, um gegebenen Falls daraus Nutzen zu ziehen, waren die Gründe, die hinter der ganzen Affäre steckten, und welchen Nutzen die Gesellschaft daraus zu ziehen hoffte. Nun ließ sich aber bislang noch aus keinerlei Umständen schließen, daß die Gesellschaft in Baltimore ein Bureau eingerichtet hatte. Wenn kein Bureau vorhanden war, so gab es auch keine Beamte. Nähere Auskünfte, sofern solche gewünscht würden, bei William S. Forster, Baltimore, High-Street. Es sah durchaus nicht danach aus, als ob der ehrsame Stockfischhändler hierüber besser unterrichtet sei als der gemeinste Lastträger in der Stadt.

Die Delegierten sahen sich also vor der Unmöglichkeit, etwas in Erfahrung zu bringen, und statt dessen auf allerhand Vermutungen angewiesen, deren Quellen die in der Oeffentlichkeit herumschwirrenden Gerüchte waren. Sollte also das Geheimnis der Gesellschaft undurchdringlich bleiben, ganz ebenso, wie sie selbst sich jeglicher Kenntnis verschlösse? Diese Frage stellte man sich. Ohne Zweifel gedachte sie, sich ihres Schweigens erst zu entledigen, wenn die Erwerbung Tatsache geworden sei.

Hieraus folgt, daß die Delegierten einander schließlich trafen, einander Besuche machten, einander ausholten und zu guterletzt miteinander in Verkehr traten – vielleicht mit dem Hintergedanken, einen Bund gegen den gemeinsamen Fund, mit anderen Worten die amerikanische Gesellschaft, zu bilden.

Und eines Tages, am Abend des 22. November, befanden sie sich flott dabei, in dem Hotel Wolesley, in den vom Major Donellan und seinem Sekretär Dean Toodrink bewohnten Gemächern, zu konferieren. Dieses Streben nach gemeinsamer Verständigung verdankte man hauptsächlich den geschickten Maßnahmen des Obersten Boris Karkof, des pfiffigsten Diplomaten, den die Welt kennt.

Zunächst drehte sich die Unterhaltung um die Konsequenzen auf handelspolitischem oder industriellem Boden, die die neue Gesellschaft aus dem käuflichen Erwerb des arktischen Länderbereichs zu ziehen gedächte. Professor Jan Harald fragte, ob es vielleicht einem Kollegen gelungen sei, sich hierüber Aufklärung zu schaffen. Alle nacheinander räumten ein, sich nach dieser Richtung hin bei William S. Forster bemüht zu haben, bei welchem nach dem Wortlaut des Schriftstücks die näheren Erkundigungen einzuziehen seien.

»Aber ich bin ›in die Käse gefallen‹«, sagte Erich Baldenak.

»Und ich habe Pech gehabt,« setzte Jakob Jansen hinzu.

»Was mich betrifft,« antwortete Dean Toodrink, »so ist mir, als ich mich in den Speichern in der High-Street im Namen des Majors Donellan melden ließ, ein dicker Mann in schwarzem Frack, mit hohem Hut auf dem Kopfe und einer weißen Schürze, die ihm von den Stiefeln bis zum Knie reichte, entgegengekommen. Als ich ihn um Auskünfte über die Affäre bat, hat er mir geantwortet, der »South Star« wäre eben mit voller Ladung aus Neufundland gekommen, und er könne mir mit einem tüchtigen Vorrat von Stockfischen dienen, die bei ihm für Rechnung des Hauses Ardrinell u. Co. eingelaufen seien.«

»Ei, ei!« erwiderte der ehemalige Staatsrat für Niederländisch-Indien, nach wie vor Skeptiker, »besser schon, man kauft eine tüchtige Fracht Stockfische, als daß man sein Geld in die Tiefen des Eismeers steckt.«

»Davon ist nicht die Rede,« sagte hierauf, kurz und von oben herab, Major Donellan; »es handelt sich nicht um einen Vorrat von Stockfischen, sondern um die Polarmütze –«

»– die sich Amerika gern aufsetzen möchte!« ergänzte Dean Toodrink, lachend über seine Aeußerung.

»Das würde ihm doch einen Schnupfen bringen,« bemerkte hierzu Oberst Karkof.

»Hierin gipfelt die Frage nicht,« nahm Major Donellan wieder das Wort, »und was diese Möglichkeit eines Nasenkatarrhs mitten in unsere Konferenz schneit, kann ich nicht sagen. Soviel steht fest, daß Amerika, vertreten durch die »North Polar Practical Association« – bemerken Sie, bitte, meine Herren, das Wort »Practical« – aus diesem oder jenem Grunde einen Flächenraum von 407 000 Quadratmeilen cirkumpolarer Landflächen, zur Zeit – bemerken Sie, bitte, meine Herren, den Ausdruck »zur Zeit« – vom 84. Grade nördlicher Breite umschrieben, zu kaufen beabsichtigt –«

»Das wissen wir, Major Donellan,« versetzte Jan Harald, » et caetera! et caetera! Was wir aber nicht wissen, ist: wie sich besagte Gesellschaft die Ausbeutung dieser Landgebiete, sobald dort Land, oder der Meere, sobald dort Meer vorhanden ist – in industrieller Hinsicht denkt –«

»Hierin gipfelt die Frage nicht,« antwortete zum dritten Male Major Donellan. »Ein Staat will sich durch Bezahlung einen Teil der Erdkugel als Eigentum erwerben, der durch seine geographische Lage spezieller zu England zu gehören scheint –«

»Zu Rußland,« rief Oberst Karkof.

»Zu Holland,« sprach Jakob Jansen.

»Zu Schweden und Norwegen,« sprach Jan Harald.

»Zu Dänemark,« sagte Erich Baldenak.

Die fünf Delegierten hatten sich trotzig in die Brust geworfen, und die Unterhaltung drohte in Mißakkorden zu schließen, als sich Dean Toodrink zu einem ersten Einmischungsversuch bequemte.

»Meine Herren,« hub er an in versöhnlichstem Tone, »hierin gipfelt die Frage nicht, um die Ausdrucksweise zu wiederholen, deren sich mein Chef, Herr Major Donellan, so gern bedient. Da es im Prinzip entschieden ist, daß die cirkumpolaren Regionen zur Versteigerung gelangen, so gehören sie notgedrungen demjenigen der durch Sie vertretenen Staaten, welcher zu diesem Kauf das höchste Gebot macht. Da nun Schweden und Norwegen, Rußland, Dänemark, Holland und England ihren Delegierten Kredite eröffnet haben, möchte es doch meiner Meinung nach besser und richtiger sein, diese Herren bildeten ein Syndikat, welches sie in die Lage setzte, eine so hohe Summe zusammenzubringen, daß die amerikanische Gesellschaft zu keinem Kampf gegen sie imstande sei!«

Die Delegierten sahen einander an. Dieser Toodrink hatte vielleicht den Bindemörtel gefunden: ein Syndikat! In unserm Zeitalter ist dieses Wort Antwort auf alles. Man »syndiziert«, gleichwie man atmet, trinkt, ißt und schläft. »Syndikat« ist das Modernste – was Moderneres gibt es nirgends, weder in der Politik noch im Handel und Wandel.

Ein Einwand oder vielmehr eine Erklärung schien jedoch nicht überflüssig, und Jakob Jansen machte sich zum Dolmetsch der Empfindungen seiner Kollegen durch die Worte:

»Und dann ...?«

Ja! – was sollte weiter geschehen, wenn das Syndikat die Eroberung bewirkt hatte?

»Aber mir scheint, daß England –« setzte hart und schroff der Major ein.

»Und Rußland!« bemerkte der Oberst, dessen Brauen sich fürchterlich zusammenzogen.

»Wenn Gott im Himmel Dänemark den Dänen schenkte –« hub Erich Baldenak an.

»Verzeihung, bitte,« schrie Dean Toodrink, »bloß Ein Land ist von Gott geschenkt worden! Schottland den Schotten!«

»Und wieso?« fragte der Delegierte für Schweden und Norwegen.

»Hat nicht der Dichter gesungen:

Deus nobis Ecotia fecit!‹«

versetzte dieser Spötter, indem er das » haec otia« des sechsten Verses der ersten Vergil-Ekloge sich nach seiner Weise zurechtmodelte.

Alles lachte aus vollem Halse, bloß Major Donellan nicht – und das legte der Verhandlung, die mit ziemlich schlimmem Ausgang drohte, zum zweiten Male einen Hemmschuh an.

Nun konnte Dean Toodrink hinzusetzen:

»Zanken wir uns nicht, meine Herren! wozu soll das führen? – schließen wir vielmehr unser Syndikat!«

»Und dann ...?« fragte wieder Jan Harald.

»Dann?« versetzte Dean Toodrink. »Nichts einfacher, meine Herren, als das! Wenn Sie gekauft haben, so wird das Polargebiet entweder »up ewig ungedelt« in Ihren Händen verbleiben, oder Sie übertragen es im Wege einer gerechten Indemnität an einen der miterwerbenden Staaten. Vorläufig aber wird der Hauptzweck erreicht worden sein, nämlich: die Repräsentanten Amerikas definitiv auszuschalten.«

Dieser Vorschlag hatte, wenigstens für die gegenwärtige Stunde, manches Gute für sich, denn in nicht allzu ferner Zukunft, sobald es sich erst um die Wahl eines endgiltigen Käufers für dieses ebenso viel umstrittene wie unnütze Immobilien-Gut handelte, würden sich die Delegierten ja doch in die Haare kriegen; und ob sie Haare auch auf den Zähnen hatten, das wird ja der Leser nun wissen! Jedenfalls wären doch zunächst die Vereinigten Staaten, wie es Dean Toodrink so scharfsinnig erwiesen hatte, »außer Wettbewerb« gesetzt.

»Mir scheint das vernünftig,« meinte Erich Baldenak.

»Geschickt,« meinte Oberst Karkof.

»Gewandt,« meinte Jakob Jansen.

»Echt englisch,« meinte Major Donellan.

Jeder hatte, in der Hoffnung, seinen schätzbaren Kollegen später »eine Nase zu drehen«, seiner Meinung Luft gemacht.

»Wir sind also völlig einverstanden, meine Herren,« nahm jetzt Boris Karkof das Wort, »daß wenn wir syndizieren, eines jeden Staates Rechte für die Zukunft völlig unversehrt für alle Zukunft bestehen bleiben?«

Allseitige Zustimmung.

Jetzt handelte es sich nur noch um die Bekanntgabe der Kredite, die diese verschiedenen Staaten ihren Delegierten mit auf den Weg gegeben hatten. Diese Kredite sollten zusammengeworfen werden und würden, wie gewiß nicht zu bezweifeln war, eine so hohe Gesamtsumme ausmachen, daß es der »North Polar Practical Association« mit all ihren Hilfsquellen nicht möglich sein konnte, dagegen aufzukommen.

Die diesbezügliche Frage wurde also durch Dean Toodrink formuliert.

Jetzt wurde die Sache aber anders. Völlige Stille trat ein. Niemand wollte antworten. Sich ins Portemonnaie gucken lassen? seine Tasche in die Syndikatskasse ausschütten? im voraus wissen lassen, bis wie weit jeder das Gebot treiben könne? – Damit war es keinem eilig! und wenn später sich zwischen den Syndikatsbrüdern ein Mißakkord einschliche? Wenn später die Umstände nötigen sollten, daß jeder für sich den Kampf aufnehme? wenn Diplomat Karkof sich durch Jakob Jansens Quertreibereien verletzt fühlte, Jakob Jansen sich durch Erich Baldenaks dumpfe Drohungen beleidigt fühlte, Erich Baldenak über Jan Haralds Durchstechereien in Zorn geriete, Jan Harald es ablehnte, sich die Anmaßungen des Majors Donellan länger gefallen zu lassen, und Major Donellan sich nicht entblödete, gegen all seine Kollegen das britische Ränkespiel zu eröffnen? Kurz und gut, seinen Kreditbrief offenbaren hieß genau dasselbe, wie seine Karten offen auf den Tisch legen, wenn es darauf ankommt, seinem Gegner den Daumen zu drücken!

Es gab wirklich bloß zwei Weisen, auf Dean Toodrinks sehr richtige, aber indiskrete Frage zu antworten: entweder die Kredite höher angeben – was höchst unangenehm werden konnte, wenn es faktisch zur Ausschüttung kam – oder die Kredite auf ein so lächerliches Minimum »herunterlügen«, daß die Sache zum Scherz entartete und daß es sich für jeden von selbst verbot, sich weiter mit dem Antrag zu befassen.

Dieser Gedanke kam zuerst von allen dem einstigen Staatsrat von Niederländisch-Indien, der, wie hier gesagt werden mag, bei der ganzen Affaire den Schelm im Nacken hatte, dem aber doch seine ganze Kollegenschaft nachhinkte.

»Meine Herren,« dekretierte Holland durch seine Stimme, »bedaure sehr, aber für die käufliche Erwerbung des Polargebietes darf ich bloß über den Betrag von 50 Rixdalern verfügen.«

»Und ich bloß über 35 Rubel,« äußerte sich Rußland im gleichen Wege.

»Ich bloß über 20 Kronors,« – sprach Schweden.

»Ich bloß über 15 Kronen,« sprach Dänemark.

»Nun – dann,« versetzte auf dieses Meinungsquartett Major Donellan in einem Tone, aus welchem die allbekannte, bei Großbritannien so natürliche und wohl auch begreifliche (?) wegwerfende Manier herausklang, »dann wird der Zuschlag wohl einem von Ihnen erteilt werden, meine Herren, denn England kann nicht mehr anlegen als anderthalb Schilling.« 1 Rixdaler = 4 Mk. 20, – 1 Rubel = 3 Mk. 13, – 1 Krone schwedisch und 1 Krone dänisch = 1 Mk. 12½, und 1 Schilling = 1 Mk.

Mit dieser ironischen Erklärung fand die Konferenz der Delegierten von Alt-Europa ihren Abschluß.


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