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In welchem Van Mitten eine Tulpengeschichte erzählt, die den Leser vielleicht interessiren dürfte.
Mit zwei frischen Pferden bespannt, hatte der Wagen zu Mittag gegen ein Uhr Odessa verlassen. Der Seigneur Keraban nahm die linke, Van Mitten die rechte Ecke des Coupés ein, während Ahmet in der Mitte saß. Bruno und Nizib hatten wieder das Cabriolet bestiegen, wo sie sich die Zeit mehr mit Schlafen, als mit Plaudern vertrieben.
Hell glänzte die Sonne über der schönen Landschaft, und dunkelblau hoben sich die Gewässer des Meeres von dem grauen Farbentone des hohen Ufers ab.
Im Coupé herrschte bald das nämliche Schweigen, wie im Cabriolet, nur mit dem Unterschiede, daß, wenn die Insassen des letzteren schliefen, die des ersteren in tiefes Nachsinnen versunken waren.
Der Seigneur Keraban versenkte sich mit Wohlbehagen in seine starrsinnigen Träumereien und dachte einzig an »den gelungenen Streich«, den er den ottomanischen Behörden eben spielte.
Van Mitten grübelte über die ganze unerwartete Reise und hörte nicht auf, sich zu fragen, wie er, ein Bürger des Bataverlandes, dazu komme, hier auf die Uferstraßen des Schwarzen Meeres verschlagen zu sein, während er doch ruhig in Pera, der Vorstadt Constantinopels, hätte bleiben können.
Ahmet allein hatte sich freiwillig zur Abreise entschlossen, aber sich auch fest vorgenommen, die Börse seines Onkels nicht zu schonen, wo durch Geld nur irgend eine Verzögerung vermieden, irgend ein Hinderniß beseitigt werden könnte. Die Reise sollte nicht nur so schnell wie möglich zurückgelegt, sondern auch der Weg so kurz als möglich gewählt werden.
Der junge Mann trug sich noch mit diesen Gedanken, als er bei einer Wendung der Straße die Villa des Banquiers Selim im Hintergrunde der Bai aus den Bäumen hinter einem kleinen Cap schimmern sah. Seine Augen hefteten sich auf diesen Punkt, gewiß zu derselben Zeit, wo auch die Amasias nach ihm hin gerichtet waren, und wahrscheinlich kreuzten sich die Blicke der jungen Leute, ohne von ihnen wahrgenommen werden zu können.
Da wendete sich Ahmet, entschlossen, eine höchst delicate Frage zu berühren, an seinen Onkel und erkundigte sich, ob dieser schon alle Einzelheiten bezüglich des einzuhaltenden Weges festgestellt habe.
»Ja, lieber Neffe, erklärte Keraban; wir folgen einfach, ohne jemals davon abzuweichen, der Straße, die längs der Küste hinführt.
– Und fahren in dieser Minute? ...
– In der Richtung auf Kablewo, etwa zwölf Lieues von Odessa, wo ich gegen Abend einzutreffen hoffe.
– Und einmal in Kablewo? ... fragte Ahmet weiter.
– Reisen wir die ganze Nacht hindurch, lieber Neffe, um morgen, gegen Mittag, in Nikolajeff zu sein, nachdem wir die achtzehn Lieues, welche jenen Flecken von der Stadt trennen, zurückgelegt haben.
– Sehr schön, Onkel Keraban; schnell vorwärts ist ja unsere Losung.. Doch wenn wir in Nikolajeff sind, denkst Du dann nicht binnen weniger Tage das Gebiet des Kaukasus zu erreichen?
– Ei, durch Benützung der Eisenbahnen Südrußlands, die es uns, über Alexandroff und Rostow, ermöglichen, gut ein Drittel unserer Reise mit großer Schnelligkeit zurückzulegen.
– Die Eisenbahnen soll ich benützen?« heulte fast Keraban.
Da stieß Van Mitten seinen jungen Gefährten leicht mit dem Ellbogen.
»Unnütz! flüsterte er ihm zu ... Vergebliches Bemühen! ... Er verabscheut die Eisenbahnen.«
Ahmet kannte recht wohl die Anschauungen seines Onkels über diese, für einen getreuen Anhänger des Alttürkenthums viel zu modernen Transportmittel, er meinte jedoch, daß Seigneur Keraban in Erwägung der Umstände ein einziges Mal von seinen beklagenswerthen Vorurtheilen ablassen könnte.
Nachgeben – nur einen Augenblick – in irgend welchem Punkte! ... Da wäre Keraban ja nicht mehr Keraban gewesen!
»Du erwähntest der Eisenbahn, glaub' ich? ... sagte er.
– Ja wohl, lieber Onkel.
– Du willst, daß ich, Keraban, zustimmen soll zu thun, was ich bisher noch nie gethan?
– Es schien mir, daß ...
– Du willst, daß ich, Keraban, mich durch eine Dampfmaschine sinnlos fortschleppen lasse?
– Wenn Du einmal den Versuch gemacht hättest ...
– Ahmet, mir scheint, Du überlegtest Dir nicht, was Du mir zuzumuthen die Kühnheit hattest.
– Aber, liebster Onkel! ...
– Ich sage Dir, daß Du nicht bedacht hast, welchen Vorschlag Du mir zu machen wagtest.
– Ich versichere Dir, lieber Onkel, daß man in diesen Waggons ...
– Waggons! ... sagte Keraban, indem er dieses aus fremder Sprache übernommene Wort mit schwer wiederzugebendem Tonfalle wiederholte.
– Ja, in diesen Waggons, welche auf den Schienen rollen ...
– Schienen! stieß Keraban hervor. Was sind das für entsetzliche Worte, und welche Sprache, bitte, reden wir eigentlich?
– Nun, die Sprache von Reisenden der Neuzeit.
– Sage mir, Herr Neffe, antwortete die starrsinnige Persönlichkeit wärmer werdend, habe ich, der niemals zustimmt, einen Waggon zu besteigen und sich von einem leblosen Mechanismus fortziehen zu lassen, etwa das Aussehen eines neuzeitlichen Reisenden? Hab' ich es nöthig, auf Schienen hinzurollen, wenn ich auf einer Landstraße fahren kann?
– Wenn man aber Eile hat, lieber Onkel ...
– Ahmet, sieh mich richtig an und merke Dir, daß, wenn es keine Wagen mehr gäbe, führ' ich auf einem Karren; ohne einen Karren zu finden, bestiege ich ein Pferd; in Ermanglung eines solchen, zur Noth einen Esel; hätt' ich auch diesen nicht, so ging ich zu Fuße; fehlten mir die Füße, so rutschte ich auf den Knien hin; hätt' ich keine Kniee mehr ...
– Freund Keraban, um Gottes willen, halten Sie ein! unterbrach ihn Van Mitten, die Hand seines Gefährten ergreifend.
– Dann kollert' ich auf dem Bauche! platzte Keraban heraus, ja, auf dem Bauche!«
Dann packte er Ahmet am Arme.
»Hast Du je gehört, daß Mohammed sich der Eisenbahn bedient habe, um nach Mekka zu kommen?«
Auf dieses letzte Argument war natürlich nichts zu erwidern. Obwohl Ahmet dagegen hätte geltend machen können, daß Mohammed gewiß nicht ermangelt hätte, sich der Eisenbahnen zu bedienen, wenn damals nur solche vorhanden gewesen wären, schwieg er doch still, während der Seigneur Keraban in seiner Ecke weiter knurrte und alle Worte der Eisenbahnsprache zwischen den Zähnen zermalmte.
Wenn die Chaise nun auch mit einem Dampfwagenzug an Schnelligkeit nicht wetteifern konnte, so kam sie doch erträglich vorwärts. Auf der ziemlich guten Straße hielt das Gespann einen kurzen Galopp ein, so daß keine Ursache zu Klagen vorlag. An Pferden zum Wechseln fehlte es nicht. Ahmet, der die Besorgung aller Ausgaben übernommen hatte – was ihm sein Onkel herzlich gern überließ – bezahlte ohne zu mäkeln und vertheilte »Bakhschichs« oder Trinkgelder an die Rosselenker mit wahrhaft fürstlicher Freigebigkeit. Die Rubelscheine flogen nur so aus seiner Tasche, und er glich einem vornehmen Herrn, der sich den Weg mit Rubeln pflasterte.
So rollte denn der Wagen an eben jenem Tage ohne Aufenthalt längs der Küste hin durch die Flecken Schumirka und Alexandrowka und erreichte am Abend den Flecken Koblewo.
Während der Nacht lenkten sie dann etwas in das Land hinein, um den Bug, in der Höhe von Nikolajeff im Gouvernement von Kherson, zu übersteigen, und kamen wie berechnet am 28. August gegen Mittag in genannter Stadt an.
Während dreistündiger Rast hielt der Wagen vor einem leidlichen Hôtel, welches ein Frühstück von derselben Qualität lieferte, das Bruno wenigstens sich sehr wohl schmecken ließ. Ahmet benützte diese Frist, um dem Banquier Selim zu schreiben, daß die Reise unter erträglichen Verhältnissen vor sich gehe, wobei er einige Süßigkeiten für Amasia einfließen ließ. Der Seigneur Keraban selbst glaubte den Aufenthalt hier nicht besser verwerthen zu können, als daß er den Nachtisch zwischen einem Schluck kräftigen Kaffes und einem Zuge aus seinem aromatisch duftenden Nargileh verlängerte.
Van Mitten, der in Uebereinstimmung mit Bruno der Ansicht war, diese ihnen aufgenöthigte Reise wenigstens so viel als möglich zur Vermehrung ihrer Kenntniß von Land und Leuten auszunützen, durchstreifte das Städtchen Nikolajeff, welches sich auf Kosten Chersons eines zunehmenden Gedeihens erfreut und sogar seinen Namen an Stelle des letzteren noch in der geographischen Bezeichnung des Gouvernements zu setzen droht.
Ahmet war der Erste, der zur Weiterreise drängte. Der Holländer hütete sich wohl, ihn warten zu lassen.
Der Seigneur Keraban blies die letzte Rauchwolke aus seinem Nargileh vor sich hin, als der Postillon sich schon in den Sattel schwang, und wieder setzte der Wagen seinen Weg, der jetzt nach Cherson hinabführte, in mäßiger Schnelligkeit fort.
Nun ging es gegen siebzehn Lieues weit durch eine fruchtbare Landschaft, welche sich da und dort mit Maulbeerbäumen, Pappeln und Weiden bestanden zeigte. In der Nachbarschaft des Dnieper, der nach fast vierhundert Lieues langem Laufe bei Cherson mündet, dehnten sich weite Rohrdickichte aus, welche von Blaumeisen bevölkert schienen; durch das Geräusch des Wagens aufgescheucht, entflohen aber die Vögel mit schwerem Flügelschlage – es waren bläuliche Elstern, deren häßliches Geschrei die Ohren mehr beleidigte, als ihr schimmerndes Gefieder die Augen ergötzte.
Am frühen Morgen des 29. August kamen der Seigneur Keraban und seine Gefährten, nach einer ohne Zwischenfall verlaufenen Nacht, in Cherson, der Gouvernements-Hauptstadt an, deren Gründung Potemkin zu verdanken ist. Die Reisenden konnten sich wegen dieser Schöpfung des kaiserlichen Günstlings Katharinas II. nur beglückwünschen. Hier fanden sie ein vortreffliches Hôtel, in dem sie mehrere Stunden rasteten, und reichhaltig ausgestattete Kaufläden, um die Proviantvorräthe des Wagens bequem zu ergänzen – eine Aufgabe, der sich Bruno, welcher sich hierin viel anstelliger erwies als Nizib, zur allgemeinen Zufriedenheit entledigte.
Einige Stunden später wechselten sie die Pferde in dem nicht unbedeutenden Flecken Aleschki und wendeten sich nun bergabwärts nach der Landenge von Perekop, welche die Krim mit der Küste Südrußlands verbindet.
Ahmet hatte nicht unterlassen, von Aleschki aus einen Brief nach Odessa abzusenden. Als sie wieder im Wagen Platz genommen hatten, und die Pferde schon im vollen Laufe auf der Straße nach Perekop waren, fragte der Seigneur Keraban seinen Neffen, ob er wohl so aufmerksam gewesen sei, gleichzeitig mit den eigenen dem Banquier Selim auch seine besten »Allahs« zu übermitteln.
»Ohne Zweifel, lieber Onkel, antwortete Ahmet, das habe ich nicht vergessen und außerdem hinzugefügt, daß wir nichts unterließen, um Scutari so schnell als möglich zu erreichen.
– Recht so, lieber Neffe, wir dürfen niemals vernachlässigen, von uns Nachricht zu geben, sobald ein Postbureau dazu Gelegenheit bietet.
– Unglücklicher Weise müssen unsere Briefe, da wir niemals vorher bestimmen können, wo wir uns einige Zeit verweilen, stets ohne Antwort bleiben.
– Freilich, meinte Van Mitten.
– Was übrigens das Briefwechseln betrifft, wendete sich da Keraban an seinen Freund aus Rotterdam, so scheinen Sie es bezüglich der Frau Van Mitten nicht besonders eilig zu haben.
– Frau Van Mitten? ... antwortete der Holländer gedehnt.
– Ja.
– Frau Van Mitten ist unbestreitbar eine höchst ehrenwerthe Dame. Als Weib hab' ich gewiß niemals Ursache gehabt, ihr irgend welchen Vorwurf zu machen, als Gefährtin meines Lebens dagegen.. Doch, Freund Keraban, warum sprechen wir überhaupt von Frau Van Mitten?
– Nun, weil sie, soweit ich mich ihrer entsinne, eine sehr liebenswürdige Persönlichkeit war.
– Wirklich? ... stieß Van Mitten hervor, als habe er eine ganz besondere Neuigkeit erfahren.
– Hab' ich Dir nicht von ihr ein höchst schmeichelhaftes Bild entworfen, Ahmet, als ich von Rotterdam zurückkehrte?
– Gewiß, lieber Onkel.
– Und hat sie bei meiner damaligen Reise durch den mir bereiteten Empfang nicht einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht?
– Wirklich? ... wiederholte Van Mitten.
– Doch, das will ich zugestehen, fuhr Keraban fort, hatte sie zuweilen etwas eigenartige Gedanken, kleine Launen ... Vapeurs! ... So etwas ist übrigens von dem Charakter der Frauen unzertrennlich, und wer sich damit nicht abzufinden versteht, der sollte eben keine nehmen. Das ist genau mein Fall.
– Und Sie haben damit sehr wohl gethan, versicherte Van Mitten.
– Als richtige Holländerin liebt sie natürlich leidenschaftlich die Tulpen? fragte Keraban.
– Leidenschaftlich!
– So sprechen Sie doch frei von der Leber weg, Van Mitten! Sie kommen mir, was Ihre Gattin betrifft, sehr zugeknöpft und kühl vor.
– Kühl wäre für die Empfindung, die ich für sie hege, noch ein zu warmer Ausdruck.
– Was sagen Sie? ... rief Keraban verwundert.
– Ich sage, antwortete der Holländer, daß ich Ihnen gegenüber der Frau Van Mitten niemals Erwähnung gethan hätte; da Sie jedoch von ihr sprechen, und weil es die Gelegenheit einmal mit sich bringt, will ich Ihnen ein Geständniß ablegen.
– Ein Geständniß?
– Ja, Freund Keraban! Frau Van Mitten und ich, wir leben jetzt von einander getrennt.
– Getrennt? rief Keraban; mit beiderseitiger Zustimmung?
– Mit beiderseitiger Zustimmung.
– Und für immer?
– Für immer!
– Erzählen Sie mir den Hergang, wenn Sie dabei nicht Ihre Erregung ...
– Erregung? unterbrach ihn der Holländer. Warum glauben Sie, daß ich deshalb eine besondere Erregung empfinden sollte?
– Nun, so sprechen Sie, sprechen Sie, Van Mitten! drängte Keraban. In meiner Eigenschaft als Türke liebe ich die Geschichten überhaupt, und in meiner Eigenschaft als alter Junggeselle interessiren mich vor Allem eheliche Erlebnisse.
– So hören Sie, Freund Keraban, begann der Holländer, als ob er die Abenteuer eines Andern zu schildern dächte. Das Leben zwischen Frau Van Mitten und mir war allgemach unerträglich geworden. Wir hatten unaufhörliche Streitigkeiten über All' und Jedes, über die Stunde, wo aufgestanden, und über die Stunde, wo zu Bett gegangen werden sollte, ebenso wie über die Zeit des Mittagsessens, über das, was wir essen, und über das, was wir nicht essen würden, über das, was getrunken, und über das, was nicht getrunken werden sollte, über das Wetter, welches eben herrschte, wie über das, welches zu erwarten war, ebenso wie über das, welches gewesen wäre, über die Möbel, welche hier- oder dorthin zu stellen seien; über das Feuer, welches sie eher in dem einen als in dem anderen Zimmer angezündet wissen wollte; über das Fenster, welches sie gerade geöffnet, wie über die Thür, welche sie geschlossen wünschte, über die Pflanzen, welche im Garten gezogen, und über diejenigen, welche daraus entfernt werden sollten, endlich ...
– Das wäre ja eine hübsche Litanei, meinte Keraban.
– Ja, und das wurde von Tag zu Tag schlimmer, obwohl ich gewiß von sanftem Charakter bin und gern von Anderen Lehren annehme. So gab ich auch meist nach, nur um nicht über jede Kleinigkeit einen Streit zu haben.
– Das war jedenfalls das Klügste, bemerkte Ahmet.
– Nein, das war das Verkehrteste, behauptete Keraban, schon bereit, über diesen Gegenstand selbst einen Streit anzufangen.
– Ich weiß es selbst nicht, fuhr Van Mitten fort; doch, wie dem auch sei, bei unserem letzten Streite beschloß ich, ihr zu widersprechen ... ich that es auch, ja, ganz wie ein leibhaftiger Keraban.
– Beim Barte des Propheten, das war nicht möglich! rief Ahmets Onkel, der sich wohl besser kannte.
– Mehr als ein Keraban! setzte Van Mitten hinzu.
– Mohammed beschirme mich! erwiderte Keraban. Aber zu behaupten, daß Sie noch starrköpfiger wären, als ich ...
– Das ist einfach unglaublich! entfuhr es Ahmet mit einem so überzeugten Tone, daß es seinem Onkel ordentlich zu Herzen ging.
– Sie werden's ja sehen, wehrte sich Van Mitten ruhig, und ...
– Wir werden eben nichts sehen! polterte Keraban heraus.
– Wollen Sie mich gefälligst ausreden lassen. Der Streit, welcher sich damals zwischen Frau Van Mitten und mir entspann, betraf nämlich Tulpen, jene schönen, von den Liebhabern besonders geschätzten Tulpen, die »Genners«, welche einen schnurgeraden Blumenstengel emportreiben und von denen man über hundert Varietäten kennt. Ich besaß kein Exemplar, dessen Zwiebel mir weniger als tausend Gulden gekostet hätte.
– Achttausend Piaster, sagte Keraban, der sich jede Geldsumme gern in türkische Münze übertrug.
– Jawohl, etwa achttausend Piaster! antwortete der Holländer. Nun, so fiel es denn eines Tages der Frau Van Mitten ein, eine »Valentia« ausreißen zu lassen, um eine » Oeil de Soleil« an deren Stelle zu setzen. Das ging mir über alle erlaubte Grenzen. Ich widersetze mich ... sie besteht auf ihrem Kopfe ... ich will sie ergreifen ... sie entwischt mir; ... sie stürzt sich auf eine »Valentia« ... reißt dieselbe aus ...
– Macht achttausend Piaster! sagte Keraban.
– Da spring' ich, fuhr Van Mitten fort, nun meinerseits nach ihrer » Oeil de Soleil« und reiße diese aus der Erde ...
– Macht sechzehntausend Piaster! rechnete Keraban nach.
– Sie fällt über eine zweite »Valentia« her ...
– Macht vierundzwanzigtausend Piaster! meldete Keraban, als ob er Notizen in seinem Taschenbuche nachrechnete.
– Ich antwortete ihr durch eine zweite » Oeil de Soleil« ...
– Macht zweiunddreißigtausend Piaster.
– Nun war die Schlacht einmal angefangen, fuhr Van Mitten fort. Die Frau Van Mitten kannte sich gar nicht mehr. Ich bekomme zwei prachtvolle Brutzwiebeln an den Kopf ...
– Macht achtundvierzigtausend Piaster!
– Sie treffen dafür drei andere mitten auf die Brust! ...
– Macht zweiundsiebenzigtausend Piaster!
– Es war ein richtiger Platzregen von Tulpenzwiebeln, wie man wohl noch keinen erlebt hatte. Das dauerte wohl eine halbe Stunde an. Der ganze Garten ging dabei d'rauf, und nach dem Garten auch noch das Treibhaus. Von meiner schönen Sammlung war rein nichts mehr übrig.
– Und schließlich hat Ihnen das gekostet? ... fragte Keraban.
– Weit mehr, als wenn wir uns nur Injurien an den Kopf geworfen hätten, wie die haushälterischen Helden Homers – so gegen fünfundzwanzigtausend Gulden.
– Zweimalhunderttausend Piaster! Etwa 20.000 Gulden Oe.W. – 40.000 Reichsmark. rief Keraban.
– Aber ich hatte mich doch gezeigt!
– Das war nicht zu theuer bezahlt!
– Und daraufhin, fuhr Van Mitten fort, bin ich abgereist mit Hinterlassung des Befehles, meinen Vermögensantheil flüssig zu machen und der ottomanischen Bank in Constantinopel zuzuführen. So entfloh ich aus Rotterdam mit meinem getreuen Bruno, fest entschlossen, nicht eher in mein Haus zurückzukehren, als bis Frau Van Mitten dasselbe mit einer besseren Welt vertauscht hätte ...
– Wo eben keine Tulpen wachsen! ließ sich Ahmet vernehmen.
– Nun, Freund Keraban, nahm Van Mitten wieder das Wort, haben Sie schon einfach aus Trotz etwas gethan, was Ihnen zweimalhunderttausend Piaster gekostet hat?
– Ich? erwiderte Keraban, leicht verletzt durch diese Bemerkung seines Geschäftsfreundes.
– O sicher, fiel Ahmet ein, mein Onkel hat dazu Gelegenheit gehabt; ich für meine Person kenne wenigstens eine solche.
– Und welche, bitte? fragte der Holländer.
– Nun, sein Starrsinn, welcher ihn veranlaßt, wegen einer Ersparniß von zehn Paras eine Reise um das Schwarze Meer auszuführen! Das wird ihm mehr kosten, als ihr Tulpenhagelwetter.
– Das wird eben kosten, was es kostet! mischte sich Seigneur Keraban sehr trockenen Tones wieder ein. Aber ich finde, daß Freund Van Mitten seine Freiheit nicht zu theuer zu stehen gekommen ist. Da sieht man ja, was es bedeutet, auf nur eine Frau beschränkt zu sein. Mohammed kannte das bezaubernde Geschlecht gewiß ganz gut, als er seinen Anhängern erlaubte, daraus in beliebiger Zahl zu wählen.
– Sicherlich! stimmte Van Mitten zu. Ich bin überzeugt, zehn Frauen sind nicht so schwer zu regieren als eine Einzige!
– Und am leichtesten, setzte Keraban moralisirend hinzu, gar keine!«
Mit dieser Bemerkung schloß das Gespräch.
Der Wagen rollte bei einem Posthause vor. Nach Auswechslung der Pferde wurde die Reise die ganze Nacht hindurch fortgesetzt, und am Mittag des folgenden Tages trafen die Reisenden höchst abgespannt, aber den Bitten Ahmets, ja keine Stunde zu verlieren, nachgebend, nachdem sie Bolschoi-Kopani und Kalantschak passirt, in dem Städtchen Perekop, am Hintergrunde des gleichnamigen Golfes ein, der die Landenge noch verschmälert, welche die Krim an das südliche Rußland knüpft.