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Achtes Kapitel.

Dergleichen Ereignisse konnten freilich die Werster Bauern von dem Schrecken nicht erlösen, der sie befallen hatte. Es war jetzt kein Zweifel mehr statthaft, daß es keine hohlen Drohungen waren, die der »Schattenmund« – wie der Dichter sich ausdrückt – den Gästen des »Königs Mathias« gekündet hatte. Nik Deck war für seinen Ungehorsam und seine Verwegenheit bitter gestraft worden durch den unerklärlichen Schlag, der ihn getroffen hatte. War das nicht ein Wink für alle, die sich versucht fühlten, es ihm gleichzutun? Jeder Versuch, sich nach dem Karpathenschlosse zu begeben, war strikte verboten – durch höhere Mächte verboten: das lehrte doch dieses beklagenswerte Beginnen deutlich genug! wer es versuchen wollte, der riskierte sein Leben!

Daraus folgt, daß in Werst wie auch in Vulkan und im ganzen Tale der beiden Sil größeres Entsetzen herrschte als je zuvor. Es wurde von nichts anderm mehr gesprochen als daß es geraten sei, die Gegend zu verlassen. Verschiedene Zigeunerfamilien zogen es schon vor, auszuwandern, statt sich in der Nähe der Burg niederzulassen. Seitdem sie übernatürlichen und böswilligen Wesen zum Aufenthalt diente, konnte sich niemand mehr mit ihr befreunden. Entschloß sich die ungrische Regierung nicht, das unzugängliche Felsennest zu schleifen, so blieb nichts anderes übrig, als sich nach einer andern Komitatsgegend zu flüchten. Ließ sich aber das Karpathenschloß mit den dem Menschen verfügbaren Mitteln von der Erde tilgen?

In der ganzen ersten Juniwoche traute sich kein Mensch aus dem Dorfe heraus, nicht einmal zur Besorgung von Feldarbeit. Konnte nicht der geringste Spatenstich ein Gespenst aus den Eingeweiden der Erde lösen? – konnte nicht die Pflugschar, wenn sie Furchen im Erdreich zog, ganze Scharen von »Strygen« oder »Staffien« aufscheuchen? würde nicht Satanskorn aufgehen, wenn man Korn säete?

»Selbstverständlich könnte das nicht ausbleiben,« sagte Schäfer Frik voll Ueberzeugung und hütete sich für seine Person weislich, mit seinen Schafen nach den Weideplätzen im Siltal zu ziehen.

So stand das Dorf unter dem Banne des Schreckens. Die Feldarbeit blieb liegen. Alles blieb in seinen vier Pfählen, hinter wohlverschlossenen Türen und Fenstern. Schulze Koltz wußte nicht, wie er es anstellen sollte, um seiner Dorfgemeinde ein Vertrauen wieder zu schaffen, das ihm übrigens selbst fehlte. Ganz entschieden gab es kein anderes Mittel als in Klausenburg vorstellig zu werden und das Einschreiten der Behörden zu verlangen.

Und der Rauch? zeigte sich noch immer welcher über der Lugturmesse des Schlosses? – Ja! verschiedentlich hatte man ihn mit Hilfe des Fernrohres beobachten können, mitten in dem Dunst, der sich über dem Orgall-Plateau hinzog.

Und die Wolken? nahmen sie noch immer nach Einbruch der Nacht rötliche Färbung an, daß es aussah wie Widerschein von Feuer? Ja! man hätte manchmal sogar meinen können, Flammenzungen schossen über das Schloß hin.

Und das Gebrüll, das den Doktor Patak in solchen Schrecken gesetzt hatte? drang es noch immer über die Felsen und durch die Wälder des Plesa hinüber zum Grausen der Werster Bewohnerschaft? Ja! zum wenigsten trugen, trotz der Entfernung, die Südwestwinde entsetzliches Grollen, das in hundertfältigem Echo aus den Bergen widerhallte, bis nach dem Dorfe herüber.

Außerdem war es, wenn man den betörten Leuten Glauben schenken durfte, als ob der Erdboden von unterirdischen Wogen bewegt würde, als ob sich ein alter Krater in der Kette der Karpathen wieder geöffnet hätte. Vielleicht spielte aber in allem, was die Werster Bauern zu sehen, zu hören, zu empfinden meinten, ein gutes Teil von Uebertreibung mit seine Rolle. Gleichviel, unbestreitbarer, mit den Händen greifbarer Dinge genug waren, das wird man zugeben, passiert, und in solcher, so wider alle Ordnung und Regel durch Geister und Gespenster heimgesuchten Gegend konnten doch unmöglich noch Menschen leben!

Daß die Gastwirtschaft »zum König Mathias« nach wie vor ohne Gäste war, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Kein Lazarett in Seuchenzeiten hätte ängstlicher gemieden werden können. Niemand getraute sich über die Schwelle, und Jonas überlegte schon, ob es nicht das klügste sei, die Wirtschaft ganz zu schließen, als die Ankunft zweier Fremden in den Zustand der Dinge Wandlung brachte.

Gegen acht Uhr abends am 9. Juni wurde draußen an der Tür geklinkt; aber die Tür war von innen verriegelt, so daß sie nicht aufgehen konnte. Jonas, der schon in seine Dachstube hinaufgegangen war, eilte hinunter. Zu der Hoffnung, sich einem Gaste gegenüberzusehen, gesellte sich die Furcht, daß solcher Geist bloß ein Wesen mit dem bösen Blick sein möchte, dem er doch nicht schnell genug Abendbrot und Nachtlager weigern könne.

Klugerweise fragte deshalb Jonas erst durch die Tür, wer da sei.

»Reisende!«

»Lebendige?«

»Potztausend ja! an den Tod denken wir wenigstens noch lange nicht!«

Jonas faßte sich ein Herz und schob den Riegel zurück.

Zwei Männer traten über die Schwelle der Gaststube.

Kaum waren sie herein, so fragten sie, ob sie ein Zimmer haben könnten, da sie die Absicht hätten, zwei Tage in Werst zu bleiben.

Jonas musterte beim Schein seiner Lampe die Ankömmlinge aufs sorgfältigste und erlangte die Gewißheit, daß es Menschen von Fleisch und Bein seien, mit denen sich dreist Geschäfte machen ließen. War das ein Glücksfall für den »König Mathias«!

Der jüngere der beiden Reisenden schien anfangs der dreißiger Jahre. Elegante Figur verband sich bei ihm mit einem vornehmen, schönen Gesicht, mit schwarzen Augen, kastanienbraunem Haar und Bart von sauberem Schnitt. Der Ausdruck seines Gesichts war stolz, verriet aber Traurigkeit. Alles deutete an, daß man in dem Fremden einen Kavalier vor sich habe, und ein Wirt von so scharfer Beobachtungsgabe wie Jonas konnte sich in solchen Dingen nicht irren.

Das erwies sich sofort, als er fragte, unter welchen Namen er die beiden Reisenden im Fremdenbuch einzeichnen solle?

»Graf von Telek,« antwortete der junge Mann, »mit seinem Leibhusar Rotzko.«

»Woher?«

»Aus Krajowa.«

Krajowa ist eine Bezirkshauptstadt des Königreichs Rumänien, das im südlichen Karpathengebiet mit siebenbürgischen Landesteilen zusammentrifft. Franz von Telek war also rumänischer Abkunft – was übrigens Jonas auf den ersten Blick gesehen hatte.

Rotzko war ein Mann von etwa 40 Jahren, groß, stark, mit dichtem Schnauzbart, borstigem Haupthaar, braunem Teint und echt militärischer Haltung. An Achselriemen über die Schulter gehängt, trug er den Soldatentornister, in der Hand einen ziemlich leichten Mantelsack.

Das war das ganze Gepäck des jungen Grafen, der als Tourist, meistens zu Fuß, reiste. Das verrieten sein Kostüm, der gerollte Mantel, die Bergsteiger-Kappe, die von einem Gurt um die Taille geschlossene Joppe, das walachische Messer, das im Futteral am Gurte hing, und die prall über den breiten, dicksohligen Schuhen sitzenden Gamaschen.

Die beiden Reisenden waren keine anderen als die, welche Schäfer Frik vor etwa vierzehn Tagen auf dem Wege zum Bergsattel getroffen hatte, dieselben, die den Gipfel des Retjesat hatten ersteigen wollen. Nachdem sie die Gegend bis zum Maros durchstreift und den Retjesat erstiegen hatten, wollten sie in Werst kurze Rast machen, um von da aus durch das Sil-Tal zu wandern.

»Man kann doch Zimmer bei Ihnen haben?« fragte Franz von Telek.

»Zwei, drei, vier – soviel dem Herrn Grafen zu befehlen belieben,« antwortete Jonas.

»Zwei werden reichen,« sagte Rotzko; »bloß müssen sie beieinander liegen.«

»Werden hier diese genehm sein?« fragte Jonas, indem er zwei Türen am Ende der Gaststube öffnete.

»Schön! sehr schön!« antwortete Franz von Telek.

Jonas brauchte, wie man sieht, von seinen neuen Gästen nichts zu fürchten. Das waren keine überirdischen Wesen, keine Geister, die sich in Menschengestalt kleideten – nein! dieser Kavalier entpuppte sich als eine jener Standespersonen, die jeder Gastwirt zu bewirten als Ehre ansieht – wahrhaftig! das war ein glücklicher Zufall, der den »König Mathias« wieder aufs Tapet zu bringen versprach.

»Wie weit sind wir von Klausenburg?« fragte der junge Graf.

»Etwa 50 Meilen,« antwortete Jonas, »auf der Straße von Petroseny nach Karlsburg.«

»Beschwerlicher Weg?«

»Für Fußgänger ja – und wenn der Herr Graf die Bemerkung erlauben, so erscheint es, als wenn Hochdemselben ein paar Ruhetage recht not –«

»Können wir was zum Abendbrot haben?« fragte Franz von Telek, dem Gastwirt das Wort abschneidend.

»Eine halbe Stunde Geduld, und ich werde die Ehre haben, dem Grafen ein Mahl seiner würdig vorzusetzen –«

»Brot, Wein, Eier und kalter Braten sind für heut Abend ausreichend.«

»Ich werde auftragen.«

»So schnell wie möglich.«

»Auf der Stelle!« und schon war Jonas unterwegs nach der Küche, als ihn eine Frage festhielt.

»Viel Gäste scheinen bei Ihnen nicht zu verkehren?« fragte der Graf.

»Allerdings – zur Zeit niemand, Herr Graf.«

»Ist das denn die Kneipstunde nicht für Euren Ort?«

»Die Kneipstunde ist schon vorbei, Herr Graf; in Werst geht man mit den Hühnern schlafen.«

Nun und nimmer hätte er sagen mögen, warum im »König Mathias« kein einziger Gast verkehrte.

»Euer Dorf zählt wohl zwischen 400 und 500 Einwohnern?«

»So ungefähr, Herr Graf.«

»Wir haben auf der Dorfstraße nicht eine Seele gesehen –«

»Das macht – heute ist Sonnabend – der Abend vorm Sonntag –«

Franz von Telek beharrte, zum Glück für Jonas, der sich mit Antworten nicht mehr zu helfen wußte, nicht auf weiteren Fragen. Um alles in der Welt hätte er nicht sagen mögen, wie die Dinge standen. Die Fremden würden es ohnehin noch früh genug erfahren – und wer weiß, ob sie dann nicht eilen würden, solchem mit Fug und Recht verdächtigen Dorfe den Rücken zu wenden?

»Wenn bloß nicht die Geisterstimme wieder zu schwatzen anfängt, so lange sie beim Essen sitzen,« dachte Jonas bei sich, als er den Tisch in die Mitte rückte.

Nach wenigen Augenblicken stand das übereinfache Mahl, das der Graf bestellt hatte, auf dem sauber gedeckten Tische. Franz von Telek setzte sich, Rotzko nahm ihm gegenüber Platz. So waren sie es gewöhnt auf Reisen. Es wurde mit großem Appetit gegessen. Gleich nachdem sie fertig waren, begaben sie sich in ihre Zimmer.

Da während des Essens kein Wort gewechselt worden war, hatte Jonas, zu seinem lebhaften Mißvergnügen, keine Gelegenheit zur Aussprache mehr gefunden. Franz von Telek schien übrigens wenig mitteilsamer Natur, und von Rotzko sagte sich Jonas, nachdem er ihn eine Zeitlang beobachtet hatte, daß sich von solchem Leibhusar nichts über die Familie und über die Verhältnisse seines Dienstherrn erfahren lassen möchte.

Jonas hatte sich also dreinschicken müssen, seinen Gästen eine schlichte gute Nacht zu wünschen. Aber bevor er sich in sein Dachstübchen verfügte, machte er noch einen Gang durch die Gaststube und lauschte ängstlich auf das geringste Geräusch innerhalb und außerhalb ihrer.

»Wenn bloß die schreckliche Stimme die Herrschaften nicht aus dem Schlafe scheucht!« brummte er in einem fort vor sich hin.

Aber die Nacht verlief ruhig. Am andern Morgen verbreitete sich schnell die Kunde im Dorfe, daß im »König Mathias« zwei Fremde abgestiegen seien, und Bauern über Bauern liefen vor die Schenke.

Die beiden Fremden, von ihrem letzten Tagesmarsch stark ermüdet, schliefen noch. Vor 7 oder 8 Uhr hatten sie sicher die Absicht nicht, aufzustehen.

Zufolgedessen große Ungeduld bei den knurrigen Bauern, die doch, solange die fremden Gäste nicht ihre Zimmer verließen, sich nicht getraut hätten, einen Fuß in die Gaststube zu setzen.

Endlich schlug es acht, und endlich zeigten sich die beiden Gäste.

Es war ihnen nichts Schlimmes passiert. Man konnte sie in der Gaststube auf und ab gehen sehen. Dann setzten sie sich zum Frühstück. Selbstverständlich wirkte das beruhigend auf die Bauern draußen. Jonas stand lächelnd auf der Schwelle und bat seine alten Gäste, ihm wieder Vertrauen zu schenken. Der Fremde sei ein Kavalier aus Rumänien, ein Graf, ein Herr Graf, wenn's erlaubt sei hinzuzusetzen, aus einem der ältesten Geschlechter Rumäniens – was sei wohl in so vornehmer Gesellschaft zu fürchten? Kurz und gut, der Schulze, in der Meinung, es sei Pflicht für ihn, mit gutem Beispiel voranzugehen, riskierte es, den Fuß über die Schwelle zu setzen, wenn auch noch zögernden Schrittes. Das war gegen 9 Uhr. Gleich nachher fand sich Magister Hermod ein, der die Schenke wohl schon zu lange vermißte, dann 3-4 andere Stammgäste, dann Frik, der Schäfer. Doktor Patak hätten aber keine zehn Pferde in die Gaststube hinein gebracht.

Eine Bemerkung ist hier am Platze: wenn der Schulze sich dazu entschlossen hatte, den Fuß wieder in den »König Mathias« zu setzen, so war es nicht bloß Neugierde, die ihn herführte, auch nicht bloß der Wunsch, mit dem Grafen von Telek zu sprechen, sondern zum nicht geringen Teil schnöde Gewinnsucht. Die beiden Fremden mußten dem Ortsstatut gemäß eine Durchgangssteuer entrichten, die, wie der Leser nicht vergessen haben wird, in die Tasche des Schulzen floß.

Der Schulze brachte demnach diesen Fall zum Vortrag, wie gesagt werden muß, in höchst schicklicher Form, und der rumänische Graf, wenn auch über die Forderung einigermaßen verwundert, beeilte sich, ihr gerecht zu werden. Er bot sogar dem Schulzen und dem Magister einen Platz an seinem Tische an, und solche Höflichkeit ließ sich natürlich nicht abschlagen.

Jonas dagegen ließ sich nicht nötigen, die besten Liköre aus seinem Keller aufzutragen. Ein paar Werster forderten nun einen »Gang« auch für eigene Rechnung. So ließ sich annehmen, daß die eine Zeitlang ausgebliebene Kundschaft den Weg zum »König Mathias« wiederfinden werde.

Franz von Telek wollte, als er seine Steuer entrichtet hatte, wissen, ob diese einträglich sei.

»Sie könnte besser sein, Herr Graf,« lautete die Antwort aus des Schulzen Munde.

»Besuchen die Fremden diesen Teil von Siebenbürgen also nicht häufig?«

»Nur selten,« antwortete der Schulze, »und doch verdiente diese Gegend viel besucht zu werden.«

»Der Meinung bin ich auch,« sagte der Graf; »was ich gesehen habe, scheint mir der Beachtung der Reisewelt wert. Vom Retjesat habe ich herrliche Aussicht gehabt, auf die Täler der Sil, auf die Ortschaften im Osten, auf den Gebirgskessel, den im Hintergrunde das Karpathenschloß abschließt.«

»Eine sehr schöne Gegend, Herr Graf, wirklich eine sehr schöne Gegend!« stimmte Magister Hermod bei, »und als Ergänzung Ihrer Tour möchte ich zu einem Aufstieg des Paring raten.«

»Ich fürchte bloß, die Zeit wird mir knapp,« meinte der Graf.

»Ein Tag würde genügen.«

»Gewiß, gewiß, aber ich will morgen in Karlsburg sein.«

»Was?« rief Jonas, indem er sein liebenswürdigstes Wesen herauskehrte, »so schnell will uns der Herr Graf wieder verlassen?«

»Es geht nicht anders,« antwortete der Graf – »übrigens, was sollte mir längerer Aufenthalt in Werst nutzen?«

»O, unser Dörfchen lohnt schon für Touristen einen längern Aufenthalt,« bemerkte Schulze Koltz.

»Aber vielbesucht scheint es nicht zu werden,« versetzte Franz von Telek, »doch wohl darum, weil die Gegend nicht viel Sehenswertes bietet.«

»Allerdings, viel nicht,« pflichtete der Schulze bei, an die Burg denkend.

»Nein, viel nicht,« wiederholte der Magister.

»Oho! oho!« machte Schäfer Frik, dem aber dieser Ausruf wider Willen entschlüpfte.

Freundliche Blicke waren es keineswegs, die dem Schäfer vom Schulzen und von den andern, vorzugsweise aber vom Gastwirt zugeworfen wurden. War es denn notwendig, einen Fremden in die Geheimnisse der Gegend einzuweihen? ihm zu offenbaren, was sich auf dem Orgall-Plateau zutrug? seine Aufmerksamkeit auf das Karpathenschloß zu lenken? wenn man ihn nicht gerade abschrecken, ihm Lust machen wollte, das Dorf recht schnell zu verlassen? und wer würde in Zukunft noch als Tourist über den Vulkansattel den Weg nach Siebenbürgen suchen? Wahrlich, dieser Schäfer war um nichts gescheiter als der jüngste von seinen Hammeln.

»So schweig doch bloß, Esel!« rief ihm halblaut der Schulze zu.

Immerhin war die Neugierde des jungen Grafen geweckt worden, und er wandte sich nun direkt an den Schäfer mit der Frage, was es mit seinem Ausruf Oho! für eine Bewandtnis habe.

Der Schäfer war keiner, der einen Schritt rückwärts machte; auch mochte er wohl denken, der Graf könne dem Dorf mit einem guten Rat von Nutzen sein.

»Nun, ja, Herr Graf, ich habe Oho! gesagt,« erwiderte Frik, »und meinen Ruf nehme ich auch nicht zurück.«

»Gibt es etwa in der Gegend von Werst ein Wunder zu besichtigen?« fragte der junge Graf weiter.

»Ein Wunder –« wiederholte Schulze Koltz.

»Nein! – nein!« riefen die Umstehenden.

Schon der Gedanke, daß ein zweiter Versuch, in die Burg zu dringen, gemacht werden und neues Unheil bringen könnte, jagte ihnen heillosen Schreck ein.

Franz von Telek beobachtete nicht ohne gewisse Verwunderung diese braven Leute, auf deren Gesichtern in unterschiedlicher, aber durchweg sehr markanter Weise der Schrecken sich malte.

»Was gibt es denn?« fragte er.

»Was es gibt, Herr?« versetzte Rotzko – »nun, allem Anschein nach das Karpathenschloß!«

»Das Karpathenschloß?«

»Ja, den Namen hat mir der Schäfer hier eben ins Ohr geflüstert!«

Bei diesen Worten zeigte Rotzko auf Frik, der, ohne daß er sich getraute, den Schulzen anzusehen, den Kopf schüttelte.

Nun war in die Mauer des abergläubischen Dorflebens Bresche geschossen, und nicht lange, so sollte seine ganze Geschichte durch diese Bresche ihren Weg genommen haben. Der Schulze, der nun wußte, was er wollte, hielt es für am besten, dem jungen Grafen die Situation selbst auseinanderzusetzen, und erzählte ihm alles, was auf das Karpathenschloß Bezug hatte.

Daß Franz von Telek sein Erstaunen über diese Geschichte und die Empfindungen, die sie ihm verursachte, nicht verbergen konnte, wird sich begreifen lassen. Wenn auch, wie so ziemlich der ganze junge Adel, der tief im walachischen Lande auf seinen Schlössern lebte, in wissenschaftlichen Dingen nicht sonderlich zu Hause, so war er doch ein Mann, der seine fünf Sinne zusammenhielt. Drum glaubte er auch nicht recht an Geisterspuk und lachte gern über Sagen und Mären. Eine Burg, in der Gespenster hausten, war ihm so recht danach, seine Ungläubigkeit ins Feld zu rücken. Seiner Ansicht nach lag in allem, was ihm der Schulze erzählt hatte, gar nichts Wunderbares, sondern bloß eine Folge von fest- oder weniger feststehenden Tatsachen, denen die Werster Bauern einen übernatürlichen Ursprung zuschrieben. Der Rauch über dem Lugturm, das Geläut der Kapellenglocke waren doch alles Dinge, die sich auf ganz natürliche Weise erklären ließen – die Blitze dagegen, die aus der Wallmauer gezuckt hatten, wie auch das Gebrüll, das den beiden Männern zu Ohren gedrungen war, beruhte lediglich auf Einbildung oder war Folge von Sinnestäuschungen.

Franz von Telek hielt, zum großen Aergernis seiner Zuhörer, weder mit seinen Worten, noch mit seinen Witzen hinter dem Berge.

»Aber, Herr Graf,« wandte der Schulze ein – »es läßt sich auch noch mehr erzählen.«

»Noch mehr? Der Tausend!«

»Jawohl, noch mehr! ins Innere des Karpathenschlosses zu dringen ist ganz unmöglich.«

»Wirklich?«

»Jawohl, wirklich!« wiederholte, ärgerlich über den fortwährenden Spott des Grafen, der Schulze; »unser Waldhüter und unser Doktor haben die Mauern vor ein paar Tagen übersteigen wollen, im Interesse des Dorfs, und haben den Versuch fast mit dem Leben bezahlt.«

»Was ist ihnen denn passiert?« fragte Franz von Telek in ironischem Tone.

Schulze Koltz erzählte ausführlich die von Nik Deck und Doktor Patak erlebten Abenteuer.

»So so?« meinte der junge Graf, »als der Doktor aus dem Graben gewollt hat, haben ihm die Füße so fest am Boden gesessen, daß er keinen Schritt hat vorwärts tun können?«

»Keinen Schritt vor- und keinen Schritt rückwärts,« ergänzte Magister Hermod.

»Das wird er sich wohl bloß eingebildet haben, Euer Doktor,« versetzte Franz von Telek – »die Furcht wird ihm wohl in den Gliedern gesessen und bis – in die Beine – und unter die Sohlen gefahren sein!«

»Meinetwegen, Herr Graf,« versetzte Schulze Koltz; »aber wie erklärt sich dann die furchtbare Erschütterung, die Nik Deck erlitten hat, als er die Hand auf den eisernen Beschlag der Zugbrücke legte?«

»Als ein Bubenstreich, dem er zum Opfer gefallen ist –«

»– und der von so üblen Folgen gewesen,« entgegnete der Schulze, »daß der arme Mensch seitdem das Bett hütet.«

»Doch hoffentlich nicht in Lebensgefahr?« fragte teilnahmsvoll der Graf.

»Nein – zum Glück nicht!«

Hier lag nun allerdings tatsächliches Material, ein nicht bestreitbarer Fall vor, und Schulze Koltz wartete, welche Erklärung Franz von Telek dafür haben würde. Was er prompt antwortete, war folgendes:

»In allem, was ich eben gehört habe, finde ich, wie schon gesagt, nicht das mindeste, was sich nicht aufs einfachste erklären ließe. Bloß eins ist mir nicht länger zweifelhaft, daß nämlich das Karpathenschloß jetzt bewohnt wird. Von wem, weiß ich freilich nicht. Jedenfalls aber sind es keine Gespenster, die dort hausen, sondern Leute, denen daran liegt, sich dort verborgen zu halten, nachdem sie dort Zuflucht gefunden haben – wahrscheinlich Verbrecher –«

»Verbrecher?« schrie der Schulze –«

»Wahrscheinlich, und da sie im Schlosse nicht gestört sein wollten, haben sie den Glauben verbreitet, daß die Burg von übernatürlichen Wesen bevölkert sei.«

»Was, Herr Graf,« entgegnete Magister Hermod – »Sie meinen –?«

»Ich meine, daß das Siebenbürgerland sehr abergläubisch ist, daß die Leute, die im Schlosse hausen, das wissen, und daß sie sich auf diese Weise den Besuch ungelegener Gäste haben fernhalten wollen –«

Daß sich die Dinge so verhalten mochten, war nicht unwahrscheinlich, aber daß in Werst niemand diese Auslegung gelten lassen wollte, wird niemand verwundern.

Der junge Graf sah freilich, daß er Leute, die sich nicht überzeugen lassen mochten, nicht überzeugt hatte. Darum ließ er sich an dem Zusatze genügen:

»Da Ihr von meinen Gründen nichts wissen wollt, lieben Leute, glaubt nach wie vor was Euch beliebt vom Karpathenschlosse.«

»Wir glauben, was wir gesehen haben, Herr Graf,« antwortete Schulze Koltz.

»Und was der Fall ist,« setzte der Magister hinzu.

»Meinetwegen; ich bedauere bloß, keine vierundzwanzig Stunden mehr zur Verfügung zu haben, denn ich hätte sonst mit Rotzko Eure berühmte Burg ganz sicher besichtigt, und daß wir bald gewußt hätten, woran wir mit ihr sind, das dürft Ihr mir glauben!«

»Die Burg besichtigen!« schrie der Schulze.

»Ohne Zaudern – und der Gottseibeiuns in höchsteigener Person hätte uns nicht hindern sollen, über die Wallmauer zu dringen.«

Entsetzen ganz anderer Art ergriff die Werster Bauern, als sie aus dem Munde des jungen Grafen solch bewußte und dabei so höhnische Reden vernahmen. Hieß es nicht, Katastrophen über das Dorf ziehen, wenn man die Schloßgeister auf solch wegwerfende Weise behandelte? hörten diese überirdischen Wesen nicht jedes Wort, das in der Gaststube des »König Mathias« gesprochen wurde? würde sich die Geisterstimme nicht zum andern Male vernehmen lassen?

Um deswillen erzählte nun der Schulze dem jungen Grafen, auf welche Weise der Waldhüter unter Anrufung seines Namens mit schlimmer Strafe bedroht worden sei, wenn er sich einfallen ließe, die Geheimnisse der Burg aufzudecken.

Franz von Telek begnügte sich mit den Achseln zu zucken. Dann stand er auf; sagte, es sei ganz unmöglich, daß sich in dieser Gaststube, wie man behaupte, solche Stimme habe hören lassen, außer von jemand, der vielleicht mit denen auf der Burg gemeinsame Sache mache – wenn nicht die ganze Geschichte bloß in der Einbildung zu leichtgläubiger Gäste beruhe oder der Ursprung etwa »in zu viel Rakju« zu suchen sei.

Daraufhin suchten verschiedene Gäste die Tür, weil ihnen nichts daran lag, länger in einem Raume zu weilen, wo solcher Spötter solche Dinge äußerte.

Franz von Telek winkte ihnen zu bleiben.

»Entschieden steht, wie ich sehe, liebe Freunde, das Dorf Werst unter dem Banne der Furcht.«

»Und nicht ohne Grund, Herr Graf,« antwortete Schulze Koltz.

»Nun, das Mittel, mit den Dingen, die Eurer Ansicht nach im Karpathenschlosse vorgehen, aufzuräumen, haben wir an der Hand. Uebermorgen werde ich in Karlsburg sein und, wenn es Euch recht ist, die Stadtbehörde in Kenntnis setzen. Dann wird Euch eine Schwadron Gendarmen oder Polizeimannschaft hergeschickt, und ich stehe Euch dafür, daß es keiner von beiden schwer fallen wird, in die Burg zu dringen, um entweder die Witzbolde zu vertreiben, die sich aus Eurer Leichtgläubigkeit einen Spaß machen, oder die Verbrecher zu verhaften, die vielleicht irgend einen bösen Anschlag schmieden.«

Nichts war, dem Anschein nach, annehmbarer als dieser Vorschlag, und doch war er nicht nach dem Geschmack der Werster Dorf-Honoratioren. Ihrer Meinung nach hätten weder Gendarmen noch Polizisten noch Soldaten irgend welche Gewalt über solche überirdischen Wesen, weil solchen doch übernatürliche Mittel zur Abwehr zu Gebote ständen.

»Aber mir fällt eben ein, liebe Freunde,« nahm der junge Graf nochmals das Wort, »Ihr habt mir ja noch gar nicht gesagt, wem das Karpathenschloß gehört oder gehört hat.«

»Einem alten Geschlechte des Landes, den Baronen von Görz,« antwortete der Schulze.

»Der Familie von Görz?« schrie Franz von Telek.

»Ihr und keiner andern!«

»Zu der ein Baron Rudolf gehört hat?«

»Jawohl, Herr Graf.«

»Und wißt Ihr, was aus ihm geworden ist?«

»Nein. Seit Jahren über Jahren hat sich der Baron im Schlosse nicht mehr sehen lassen.«

Franz von Telek war leichenblaß geworden.

Mechanisch, mit veränderter Stimme rief er wieder den einen Namen:

»Rudolf von Görz!«


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