Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.
In Sicht des Ufers von Neuengland

Zur Zeit, wo diese Vorkommnisse von den Zeitungen Amerikas berichtet wurden, war ich seit einem Monate zurückgekehrt.

Gleich nach der Heimkehr beeilte ich mich, mich bei meinem Chef zu melden. Ich konnte ihn jedoch nicht sehen. Gewisse Familienangelegenheiten hielten ihn für mehrere Wochen abwesend. Ohne Zweifel kannte Herr Ward aber den Mißerfolg meiner Mission. Verschiedene Blätter Nordkarolinas hatten die Einzelheiten jener Besteigung des Great-Eyry in Gesellschaft mit dem Bürgermeister von Morganton sehr zutreffend geschildert.

Man wird mir die schmerzliche Enttäuschung gewiß nachfühlen, die ich – abgesehen von meiner unbefriedigten Neugier – über jenen nutzlosen Versuch empfand. Tatsächlich konnte ich mich aber nicht mit dem Gedanken befreunden, daß sich das später nicht anders gestalten würde ... Was? ... Ich sollte nicht hinter die Geheimnisse des Great-Eyry kommen? ... Nein, und wenn ich zehn-, wenn ich zwanzigmal, selbst auf die Gefahr hin, dabei umzukommen, dazu ausziehen müßte!

Offenbar überstieg es nicht die menschlichen Kräfte, sich einen Zutritt ins Innere jenes Felsennestes zu erzwingen. Ein Gerüst bis zum oberen Rande jener Mauern herzustellen oder die dicke Wand des Steinwalles mit einem Tunnel zu durchbrechen, das konnte keine Unmöglichkeit sein. Unsere Ingenieure wagen sich ja alle Tage an weit schwierigere Aufgaben. Bezüglich des Great-Eyry hieß es freilich auch mit den Unkosten rechnen, die hier kaum mit dem dadurch zu gewinnenden Nutzen im Einklange stehen würden. Sie beliefen sich jedenfalls auf mehrere tausend Dollars ... ja, und wozu hätte diese kostspielige Arbeit zu guter Letzt gedient? Befand sich an jener Stelle der Blauen Berge ein Vulkan, so hätte man ihn doch nicht auslöschen oder zustopfen können, und wenn ein Ausbruch die Gegend bedrohte, konnte man ihn doch auch nicht verhindern. Die ganze Arbeit wäre also rein verloren gewesen, oder hätte nur dazu gedient, die Neugier der Leute zu befriedigen.

Wie lebhaft jedoch auch das besondere Interesse war, das ich an dieser Sache nahm, wie sehr es mich verlangte, dem Great-Eyry den Fuß auf den Nacken zu setzen, so konnte ich bei meinen persönlichen Hilfsquellen doch gar nicht daran denken, ein solches Unternehmen durchzuführen, und im Geheimen mußte ich mir sagen: Das wäre etwas für unsere amerikanischen Milliardäre! Einen solchen Versuch sollten um jeden Preis Leute unternehmen, wie etwa Gould, Astor, Vanderbilt, Roquefeller, Mackay, Pierpont-Morgan und ähnliche. Leider haben derartige mächtige Trusters aber ganz andere Gedanken im Kopfe!

Ja, wenn das Nest im Innern reiche Gold- oder Silberadern enthalten hätte, da würden die kühnen Finanzmänner vielleicht dafür zu haben gewesen sein. Eine solche Vermutung war aber kaum zulässig, die Kette der Apalachen liegt auch weder in Kalifornien noch in Klondyke, weder in Australien noch in Transvaal, in keinem der Länder, die die unerschöpflichen Placers beherbergen.

Erst am 15. Juni konnte mich Herr Ward in seinem Bureau empfangen. Obgleich er das Scheitern des Versuchs kannte, den ich auf sein Geheiß unternommen hatte, empfing er mich doch mit gewohnter Freundlichkeit.

»Ah, da ist ja der arme Strock, rief er bei meinem Eintreten, dieser arme Strock, der keinen Erfolg gehabt hat ...

– Leider nicht mehr, Herr Direktor, als wenn Sie mich mit einer Untersuchung in der Hauptstadt des Mondes betraut hätten, antwortete ich. Wir sind zwar nur auf rein materielle Hindernisse gestoßen, diese waren aber unter den Verhältnissen, unter denen wir vorgingen, für uns unüberwindbar.

– Das glaub' ich Ihnen, Strock, das glaub' ich Ihnen gern. Es steht aber fest, daß Sie nichts von dem haben auskundschaften können, was im Innern des Great-Eyry vorgeht ...

– Nichts, Herr Ward.

– Sie haben auch keine Flammen wahrnehmen können?

– Keine einzige.

– Und haben Sie keinerlei Geräusch von drinnen gehört?

– Nicht das geringste.

– Also weiß noch immer niemand, ob sich dort ein Vulkan befindet?

– Bis jetzt nicht, Herr Direktor, doch wenn dort ein Vulkan vorhanden ist, kann man wohl annehmen, daß er in tiefem Schlafe liegt ...

– Oho, erwiderte Herr Ward, es kann doch keiner dafür stehen, daß er nicht eines Tages erwachte! ... Bedenken Sie, Strock: es genügt nicht, daß ein Vulkan schlummert ... nein, er muß vielmehr gänzlich erloschen sein. Und wenn das, was man erzählt hat, nicht nur das Erzeugnis der Einbildung unserer Karoliner gewesen ist ...

– Das glaub' ich nicht, Herr Ward, fiel ich ein. Herr Smith, der Bürgermeister von Morganton, und sein Freund, der Gemeindevorsteher von Pleasant-Garden, sprechen sich darüber sehr zuversichtlich aus. Flammen haben sich über dem Great-Eyry sicherlich gezeigt, auch unerklärbare Geräusche sind aus dem Berge hervorgedrungen. An der Wirklichkeit dieser Erscheinungen ist auf keinen Fall zu zweifeln!

– Ja ja, meinte Herr Ward. Ich gebe gern zu, daß Bürgermeister und Einwohner keinem Irrtum verfallen sind. Doch, wie dem auch sei, der Great-Eyry hat sein Geheimnis noch nicht geoffenbart ...

– Wenn man darauf besteht, es zu erfahren, Herr Ward, so handelt es sich nur darum, die unvermeidlichen Ausgaben daran zu setzen ... Spitzhaue und Sprengschüsse werden dann schon die Mauern überwinden.

– Gewiß, erwiderte Herr Ward, doch diese Arbeit drängt nicht, und es erscheint ratsamer, damit noch zu warten. Übrigens entschleiert uns die Natur schließlich noch allein das Geheimnis des Great-Eyry.

– Glauben Sie mir, Herr Ward, daß ich es unendlich bedaure, das Unternehmen, womit Sie mich betraut hatten, nicht habe zum erwünschten Ende führen können ...

– Na, darum lassen Sie sich kein graues Haar wachsen, Strock, nehmen Sie Ihre Schlappe mit philosophischem Gleichmut hin. Wir sind nicht immer glücklich in unserm Vorhaben, und die Bemühungen der Polizei werden auch nicht immer mit Erfolg gekrönt. Bedenken Sie, wie viele Schuldige in kriminellen Fällen uns entwischen, ja ich glaube, man würde keines einzigen habhaft werden können, wenn die Burschen etwas schlauer wären ... vorzüglich etwas weniger unklug, so daß sie in ihrer Dummheit den Verdacht selbst auf sich ziehen. So liefern sie sich durch ihr unüberlegtes Geschwätz aber meist selbst in unsere Hände. Meiner Ansicht nach kann es gar nicht so schwer sein, ein Verbrechen, einen Mord oder einen Diebstahl vorzubereiten und ihn auszuführen, ohne Verdacht zu erwecken und dadurch jede Verfolgung zu vereiteln. Sie begreifen, Strock, daß ich es nicht bin, der dem verbrecherischen Gesindel Unterricht in der nötigen Gewandtheit und Vorsicht geben möchte, doch ich wiederhole, es sind ihrer viele gewissenlose Burschen, die die Polizei niemals hat finden können.«

In dieser Beziehung stimmte ich mit meinem Vorgesetzten vollständig überein; gerade unter den Verbrechern gab es die größten Schwachköpfe!

Jedermann wird aber ohne Bedenken zugeben, daß es nicht weniger erstaunlich war, daß die Behörden, städtische und andere, noch nicht imstande gewesen waren, Licht über die Vorkommnisse zu verbreiten, deren Schauplatz mehrere Bundesstaaten gewesen waren. Als Herr Ward darüber mit mir sprach, konnte ich meine Verwunderung über die Lage der Dinge nicht verhehlen.

Es betraf das unfaßbare Gefährt, das zu großer Gefahr für Fußgänger, Wagen und Pferde auf den Landstraßen umherrollte. Der Leser weiß ja schon, wie es bezüglich der Geschwindigkeit alle Rekorde des Automobilismus brach. Schon von den ersten Tagen an war von den darüber unterrichteten Behörden angeordnet worden, den bedrohlichen Launen dieses Chauffeurs Einhalt zu tun. Dieser tauchte auf, man wußte nicht woher, er erschien und verschwand mit der Schnelligkeit des Blitzes. Obgleich zahlreiche und tätige Polizisten gegen ihn aufgeboten worden waren, hatte es doch noch keinem gelingen wollen, den Delinquenten dingfest zu machen. Hatte er doch erst ganz kürzlich bei dem vom American-Automobil-Klub veranstalteten Wettfahren zwischen Prairie-du-Chien und Milwaukee die zweihundert Meilen lange Bahn rasenden Laufes in weniger als anderthalb Stunden zurückgelegt!

Was aus dem Fahrzeug geworden ist, darüber wußte man ebenfalls nichts. War es, am Ende der Rennstrecke angelangt und bei seiner Schnelligkeit ohne angehalten werden zu können, in dem Gewässer des Michigansees untergegangen? Sollte man annehmen, daß der Führer samt seiner Maschine umgekommen wäre, daß niemals wieder von dem einen und von der andern die Rede sein würde? Der größere Teil des Publikums weigerte sich, an diese Lösung, die beste, die es hätte geben können, zu glauben, sondern erwartete, beide über kurz oder lang wieder erscheinen zu sehen.

In den Augen des Herrn Ward gehörte die abenteuerliche Geschichte in das Gebiet der ganz außergewöhnlichen Ereignisse, und ich teilte hierin seine Anschauung. Zeigte sich die verteufelte Persönlichkeit nicht wieder, so gehörte sie sicherlich zu den Geheimnissen, die zu ergründen dem Menschen nicht gegeben ist.

Mein Chef und ich hatten über die Angelegenheit gesprochen, und ich glaubte schon, die Unterhaltung darüber wäre zu Ende, als Herr Ward, nach einigen Schritten durch sein Bureau, von neuem darauf zurückkam.

»Ja, dieses Auftauchen auf der Straße nach Milwaukee während des internationalen Wettrennens, das ist gewiß höchst seltsam, und für mich, ich gestehe es, nicht am wenigsten!«

Herr Ward überreichte mir einen Bericht, der ihm von der Polizei in Boston zugegangen war und Vorkommnisse betraf, die von den Zeitungen noch denselben Abend zur Kenntnis ihrer Leser gebracht wurden.

Während ich das Schriftstück durchlas. setzte sich Herr Ward an seinen Schreibtisch und vollendete eine vor meinem Besuche begonnene Korrespondenz. Ich hatte am Fenster Platz genommen und studierte den Bericht mit größter Aufmerksamkeit.

Seit einigen Tagen wurden die Gewässer vor Neuengland, in Sicht der Küsten von Maine, Connecticut und Massachusetts, von einer Erscheinung beunruhigt, über deren Natur sich niemand klar werden konnte.

Eine bewegliche Masse, die zwei bis drei Meilen vom Ufer auftauchte, glitt dort im schnellsten Tempo umher, entfernte sich dann ebenso und verschwand nach kurzer Zeit auf dem hohen Meere.

Die Bewegungen der Masse erfolgten mit solcher Geschwindigkeit, daß man der Erscheinung selbst mit den besten Fernrohren kaum folgen konnte. Ihre Länge mochte höchstens dreißig bis vierzig Fuß betragen. Von Gestalt spindelförmig, war sie von grünlicher Farbe, stimmte also mit der des Meerwassers ziemlich überein und erschwerte so jede genauere Unterscheidung. Der Teil des amerikanischen Ufers, wo sie am häufigsten beobachtet worden war, lag zwischen dem Kap Nord des Staates Connecticut und dem Kap Sable, das am westlichen Ende Neuschottlands vorspringt.

Von Providence, von Boston, Portsmouth und Portland aus hatten Dampfschaluppen schon vielmals versucht, sich der beweglichen Masse zu nähern und auf sie Jagd zu machen; niemals war es aber gelungen, sie einzuholen. Jede Verfolgung erwies sich sofort als nutzlos. In wenigen Minuten hatte sich die merkwürdige Masse den Blicken entzogen.

Selbstverständlich machten sich über die Natur dieser Erscheinungen bald die verschiedensten Ansichten geltend. Bisher beruhte aber keine der geäußerten Vermutungen auf sicherem Grunde, und auch die Seeleute waren sich darüber ebenso unklar wie alle anderen.

Anfänglich glaubten Seeleute und Fischer, es handle sich hier um ein Seesäugetier aus dem Geschlechte der Cetaceer (Waltiere). Bekanntlich tauchen diese Tiere mit einer gewissen Regelmäßigkeit, kommen dann nach mehrminutigem Verweilen unter Wasser wieder an die Oberfläche und werfen durch ihre Spritzlöcher mit Luftblasen gemengte Wassersäulen in die Höhe. Bis jetzt hatte aber jenes Tier – wenn es ein solches war – noch niemals »sondiert«, wie die Walfänger sich ausdrücken, noch niemals sich durch Untertauchen zu schützen gesucht und noch niemals hatte man etwas von geräuschvollem Atmen gehört.

Gehörte es danach also nicht der Klasse der Seesäugetiere an, so mußte man es wohl für ein unbekanntes Ungeheuer ansehen, das vielleicht den Tiefen der Ozeane entstammte, wie die, die man aus den sagenhaften Schilderungen früherer Zeiten kennt. Sollte man es also den Kalmars, den Kraken, den Leviathans oder den berüchtigten Seeschlangen zuzählen, vor deren Angriffen man sich zu hüten allen Grund hatte?

Seitdem dieses Ungeheuer, mochte es sein, welches es wollte, in den Küstengewässern Neuenglands erschienen war, wagten sich jedenfalls die kleineren Fahrzeuge und die Fischerboote nicht mehr weit aufs Meer hinaus. Sobald sein Auftauchen ruchbar wurde, beeilten sie sich, den nächsten Hafen zu erreichen. Das verlangte unbedingt die gewöhnlichste Klugheit, denn für den Fall, daß jenes Tier von angriffslustigem Charakter war, erschien es doch besser, sich einem Überfalle durch dieses nicht erst auszusetzen.

Die Segelschiffe der langen Fahrt und die großen Dampfer hatten von dem Ungeheuer, diesem Walfisch oder anderen Meerbewohner, freilich nichts zu fürchten. Deren Mannschaften hatten es auch mehrmals in der Entfernung von einigen Meilen gesehen. Sobald sie ihm aber näher zu kommen suchten, entfloh es so eilig, daß es unmöglich war, es zu erreichen. Eines Tages war sogar ein kleiner Kreuzer des Staates von Boston ausgelaufen, nicht um die unbekannte Masse zu verfolgen, sondern um ihr einige Geschosse nachzusenden. Binnen wenigen Augenblicken hatte sich das – vermutliche – Tier jedoch über die Tragweite der Geschütze hinaus entfernt, und auch dieser Versuch erwies sich also als vergeblich. Übrigens schien es mehr und mehr, daß es gar nicht die Absicht habe, die Fischerboote zu überfallen.

Jetzt unterbrach ich mich im Lesen und sagte, an Herrn Ward gewendet: »Alles in allem hat man sich über das Ungeheuer bisher ja noch nicht zu beklagen gehabt. Den großen Schiffen weicht es aus und die kleinen läßt es ungeschoren. Da kann doch unter den Strandbewohnern keine so besondere Aufregung herrschen.

– Und doch ist das der Fall, Strock; dieser Bericht liefert ja den Beweis dafür.

– So scheint es, Herr Ward; das Tier scheint aber keineswegs gefährlich zu sein. Übrigens wird ja eins oder das andere eintreffen: entweder verschwindet es eines Tages aus den genannten Gegenden, oder es wird schließlich eingefangen und paradiert dann im naturhistorischen Museum Washingtons.

– Und wenn es doch kein Seeungeheuer wäre ... warf Herr Ward ein.

– Was sollte es denn sonst sein? antwortete ich, überrascht durch diesen Einwand.

– Lesen Sie nur weiter!« sagte Herr Ward.

Das tat ich denn auch und unterrichtete mich über die zweite Hälfte der Mitteilung, in der mein Chef einzelne Stellen mit Rotstift unterstrichen hatte.

Eine Zeitlang hatte niemand in Zweifel gezogen, daß hier ein Seeungeheuer sein Wesen triebe, und wenn man dieses hartnäckig verfolgte, mußte es am Ende doch gelingen, die Küstengewässer von ihm zu befreien. Bald kam es aber zu einem Umschlag der bisher verbreiteten Anschauung. Einzelne, etwas nachdenklichere Leute fragten sich, ob es, statt eines tierischen Wesens, nicht vielleicht ein mit Maschinen versehenes Fahrzeug wäre, das Kreuz- und Querfahrten in den Gewässern Neuenglands unternahm.

Die betreffenden Maschinen müßten dann freilich einen sehr hohen Grad der Vervollkommnung erreicht haben. Vielleicht beabsichtigte der Erfinder, ehe er seine Erfindung veröffentlichte, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen und das Seevolk sogar etwas in Schrecken zu setzen. Eine solche Sicherheit der Lenkung, eine solche Schnelligkeit der Bewegung, und dank dem außerordentlichen Vermögen der Ortsveränderung, eine solche Leichtigkeit, jeder Verfolgung zu entgehen ... das war gewiß geeignet, die Neugier anzustacheln.

Jener Zeit waren in der Kunst des mechanischen Schiffsantriebes schon die erstaunlichsten Fortschritte gemacht worden. Die transatlantischen Dampfer entwickelten eine solche Geschwindigkeit, daß schon fünf Tage genügten, die Entfernung zwischen der Alten und der Neuen Welt zu überwinden.

Und noch hatten die Ingenieure ihr letztes Wort nicht gesprochen. Auch die Kriegsmarine war nicht im Rückstande geblieben. Die Kreuzer, die Torpedoboote und die Torpedojäger konnten mit den schnellsten Paketbooten des Atlantischen und des Großen Ozeans und des Indischen Meeres in Wettbewerb treten.

Handelte es sich hier um ein Fahrzeug von ganz neuer Bauart, so war es leider noch nicht möglich gewesen, seine äußere Form zu erkennen. Was aber den Motor betraf, über den es verfügte, so mußte diesem eine Kraft innewohnen, an die auch die bisherigen vollkommensten nicht heranreichten. Ob das Fahrzeug seinen hervorragenden dynamischen Wert dem Dampfe oder der Elektrizität verdankte, das war nicht zu entscheiden. Sicher war nur, daß es, infolge des Fehlens jedes Segelwerkes, den Wind nicht benutzte, und da es keinen Schornstein hatte, auch keine der gewöhnlichen Dampfmaschinen enthalten konnte.

Bei dieser Stelle hatte ich meine Lektüre noch einmal unterbrochen und überdachte erst ein wenig, was ich gelesen hatte.

»Woran denken Sie, Strock? fragte mein Vorgesetzter.

– Daran, Herr Direktor, daß der Motor, der das in Frage stehende Fahrzeug treibt, ebenso kräftig und unbekannt ist wie der des phantastischen Automobils, von dem man seit dem Match des American Klubs nichts mehr gehört hat.

– Ah, das ist Ihnen dabei eingefallen, Strock?

– Jawohl, Herr Ward!«

Daraufhin drängten sich uns nun von selbst folgende Erwägungen auf:

War der geheimnisvolle Chauffeur verschwunden und sein Apparat mit ihm im Michigansee versunken, so mußte man doch, koste es, was es wolle, hinter das Geheimnis des nicht weniger geheimnisvollen Seefahrers zu kommen suchen und wünschen, daß es nicht in der Tiefe des Meeres verloren ginge, ehe es entschleiert wäre. Liegt es denn nicht im Interesse jedes Erfinders, seine Erfindung ans Licht des Tages zu bringen? Würde nicht Amerika oder jeder andere Staat einem solchen jeden Preis bezahlen, den er verlangte?

Leider hatte der Erfinder des Kraftwagens sein Inkognito immer streng bewahrt, und es war zu befürchten, daß der des schwimmenden Apparates dasselbe tun werde. Selbst angenommen, daß der erste noch lebte, hatte doch seither nichts mehr über ihn verlautet. Und was den zweiten betraf, so würde voraussichtlich dasselbe der Fall sein, wenn auch dieser nach seinen Fahrten in der Nähe von Boston, Portsmouth und Portland von der Bildfläche verschwand, ohne greifbare Spuren zurückzulassen.

Diese Vermutung wurde noch dadurch bestärkt, daß die außergewöhnliche Maschine seit dem Eintreffen des Berichtes in Washington, das heißt seit vierundzwanzig Stunden, von den Semaphoren an der Küste nicht mehr gemeldet worden war.

Ich füge hier gleich hinzu, daß man das Fahrzeug auch in anderen Gegenden nicht beobachtet hatte. Daraus freilich auf sein endgültiges Verschwinden zu schließen, wäre doch wohl etwas voreilig gewesen.

Als wichtig bleibt gleichzeitig noch hervorzuheben, daß der Gedanke an ein Waltier, einen Kraken, Calmar oder an irgendwelches Seewesen jetzt schon völlig aufgegeben war. Die Zeitungen der Union hatten sich natürlich aller einschlägigen Äußerungen und Beobachtungen bemächtigt, die sie weiter ausführten und wonach sie zu dem Schlusse kamen, daß nur von einem Wasserfahrzeug die Rede sein könne, dem bezüglich der Beweglichkeit und Schnelligkeit ganz außerordentliche Eigenschaften zukämen. Alle stimmten darin überein, daß es mit einem elektrischen Motor ausgestattet sein müsse; aus welcher Quelle dieser aber seinen Betriebsstrom schöpfte, das konnte sich niemand vorstellen.

Was die Presse aber bisher noch nicht vor der Öffentlichkeit zur Sprache gebracht hatte – bald mußte es jedenfalls geschehen – das war ein merkwürdiges und für den aufmerksamen Beobachter auffallendes Zusammentreffen von Umständen, das Herrn Ward gleichzeitig mit mir zur Erkenntnis kam.

Es bezog sich darauf, daß das berüchtigte Boot erst auftauchte, als das nicht minder berüchtigte Automobil verschwunden war. Beide verfügten gleichmäßig über eine erstaunliche Kraft zu ihrer Fortbewegung. Zeigten beide sich etwa gar von neuem, das eine auf dem Lande, das andere auf dem Wasser, so waren Boote, Fußgänger und Geschirre von der gleichen Gefahr bedroht. Dann wurde es unerläßlich, daß die Polizei durch jedes nur erdenkbare Mittel für die öffentliche Sicherheit auf den Landstraßen und auf dem Meere zu sorgen habe.

Das erklärte der Polizeidirektor mir gegenüber, und diese Pflicht der Behörden lag ja auch klar auf der Hand; doch wie sollte man ihr mit Erfolg genügen?

Nach diesem Gespräch, das übrigens noch einige Zeit fortdauerte, wollte ich mich gerade zurückziehen, als Herr Ward mich noch einmal aufhielt.

»Ist es Ihnen nicht aufgefallen, Strock, sagte er, daß zwischen der Gangart der beiden Apparate – ob Wasserfahrzeug oder Automobil – eine merkwürdige Ähnlichkeit zutage tritt?

– Gewiß, Herr Direktor!

– Nun: wer weiß, ob die beiden am Ende nicht ein und derselbe Apparat sind!«


 << zurück weiter >>