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Die Mannschaft schien zu ihrer gewohnten Zucht und Folgsamkeit zurückgekehrt zu sein. Die spärlichen, nicht sehr ermüdenden Manoeuvres ließen ihr reichlich Muße. Die Temperatur hielt sich über dem Gefrierpunkt, und das Thauwetter mußte die größten Schwierigkeiten dieser Fahrt überwinden,
Duk, vertraulich und gesellig, hatte aufrichtige Freundschaft mit dem Doctor Clawbonny angeknüpft, und sie standen auf dem besten Fuß mit einander. Aber wie stets ein Freund dem Andern sich hingiebt, so muß man eingestehen, daß der Doctor nicht der Andere war. Duk machte mit ihm Alles, was er wollte, und der Doctor folgte ihm, wie ein Hund seinem Herrn. Duk zeigte sich übrigens liebenswürdig gegen die meisten Matrosen und Officiere an Bord; nur mied er, aus Instinct ohne Zweifel, die Gesellschaft Shandon's; auch hatte er einen Groll, und was für einen! gegen Pen und Foker; sein Haß sprach sich in ihrer Nähe durch kaum verhaltenes Knurren aus. Diese wagten übrigens nicht mehr mit dem Hund des Kapitäns anzubinden.
Kurz, die Mannschaft hatte wieder Vertrauen gefaßt, und hielt sich gut.
»Es kommt mir vor, sagte einst James Wall zu Richard Shandon, als hätten unsere Leute die Anrede des Kapitäns im Ernst genommen; sie sehen aus, als zweifelten sie nicht am Erfolg.
– Da sind Sie im Irrthum, erwiderte Shandon; wenn sie nachdächten, wenn sie die Lage prüften, so begriffen sie, daß wir aus einer Unvorsichtigkeit in die andere gerathen.
– Doch, fuhr Wall fort, sind wir ja hier in freierem Meer; wir kommen wieder auf schon bekannte Wege; Sie übertreiben wohl, Shandon?
– Ich übertreibe nicht, Wall; der Groll, die Eifersucht, wenn Sie wollen, welche Hatteras mir einflößt, machen mich nicht blind. Antworten Sie mir, haben Sie die Kohlenkammern angesehen?
– Nein, erwiderte Wall.
– Nun, gehen Sie hinab, und Sie werden sehen, wie reißend schnell unsere Vorräthe schwinden. Grundsätzlich hätte man die Fahrt vorzugsweise mit dem Segel machen, und die Schraube vorbehalten sollen, um Strömungen oder widrigen Winden entgegen zu fahren, so daß unser Brennmaterial nur mit größter Sparsamkeit verwendet würde, denn, wer kann sagen, an welcher Stelle diese Meere, und ob nicht auf die Dauer von Jahren wir festgehalten werden können? Aber Hatteras, den nur der Wahnsinn treibt, vorwärts zu kommen, bis zu dem unzugänglichen Pol zu dringen, macht sich über ein solches Detail keine Gedanken mehr. Mag der Wind entgegen sein, oder nicht, er fährt mit vollem Dampf und wenn das so fortgeht, gerathen wir in große Verlegenheit, wo nicht in's Verderben.
– Ist das wahr, was Sie sagen, Shandon? Dann ist's eine bedenkliche Sache!
– Ja, Wall, bedenklich, nicht allein in Rücksicht auf die Maschine, die ohne Heizung in einer kritischen Lage uns wenig nützen würde, sondern auch in Hinsicht auf eine Ueberwinterung, worauf wir früher oder später gefaßt sein müssen. Man muß aber in einem Lande, wo häufig das Quecksilber im Thermometer gefriert,Das ist bei 42° hunderttheilig unter Null der Fall. ein wenig Rücksicht auf die Kälte nehmen.
– Aber, irre ich nicht, Shandon, so rechnet der Kapitän darauf, seinen Vorrath auf der Insel Beechey zu ergänzen; dort muß eine große Menge Kohlen gelagert sein.
– Kann man denn in diesen Meeren fahren, wohin man will, Wall? Kann man sich darauf verlassen, daß man diesen oder jenen Ort eisfrei finde? Und wenn uns die Insel Beechey abgeht, wenn man nicht zu ihr gelangen kann, was soll aus uns werden?
– Sie haben Recht, Shandon; Hatteras scheint mir unvorsichtig; aber warum machen Sie ihm nicht darüber einige Bemerkungen?
– Nein, Wall, erwiderte Shandon mit kaum verhüllter Bitterkeit; ich habe mir vorgenommen, zu schweigen; ich habe keine Verantwortlichkeit mehr für das Schiff; ich lasse die Ereignisse herankommen; ich gehorche dem Befehl, und habe keine Ansicht zu äußern.
– Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie so nicht recht handeln, Shandon, weil sich's um ein gemeinsames Interesse handelt, und solche Unvorsichtigkeiten des Kapitäns uns alle sehr theuer zu stehen kommen können.
– Und wenn ich mit ihm spräche, Wall, würde er mir Gehör geben?«
Wall getraute sich nicht, Ja zu sagen.
»Aber, fügte er bei, vielleicht gäbe er den Vorstellungen der Mannschaft Gehör.
– Die Mannschaft! sagte Shandon mit Achselzucken; aber, mein armer Wall, haben Sie dieselbe noch nicht beobachtet? Sie ist von einem ganz andern Gefühl beseelt, als dem ihrer Rettung! Sie weiß, daß es dem zweiundsiebenzigsten Breitegrad zugeht, und daß für jeden Grad weiter hinaus ihr eine Summe von tausend Pfund zugesagt ist.
– Sie haben Recht, Shandon, erwiderte Wall, und der Kapitän hat damit das beste Mittel ergriffen, seine Leute festzuhalten.
– Allerdings, erwiderte Shandon, für jetzt wenigstens.
– Was meinen Sie damit?
– Ich meine, daß, wenn man keine Gefahren oder Beschwerden zu bestehen hat, im freien Meer sich befindet, das schon ganz gut geht; Hatteras hat sie mit Geld gewonnen; aber was man um des Geldes willen thut, thut man schlecht. Kommen wir einmal in schwierige Verhältnisse, Gefahren, Elend, Krankheit, Entmuthigung, Kälte, der wir uns unsinniger Weise über Hals und Kopf aussetzen, da werden Sie sehen, ob diese Leute noch Sinn für eine ausgesetzte Prämie haben!
– Also, Ihrer Ansicht nach, Shandon, wird Hatteras seinen Zweck nicht erreichen?
– Nein, Wall, es wird ihm nicht gelingen; bei einer solchen Unternehmung müssen die Männer an der Spitze vollkommene Einigkeit des Sinnes haben, die aber hier nicht besteht. Ich füge bei, Hatteras ist ein Narr, wie seine ganze Vergangenheit beweist! Kurz, wir werden schon sehen! Es können Ereignisse der Art eintreten, daß man genöthigt ist, das Commando des Schiffes einem nicht so wagehalsigen Kapitän anzuvertrauen ...
– Doch, sagte Wall mit zweifelnder Miene den Kopf schüttelnd, wird Hatteras immer auf seiner Seite haben ...
– Er wird, unterbrach Shandon, den Doctor Clawbonny haben, das ist ein Gelehrter, der nur Gedanken für sein Wissen hat; Johnson, der ein Seemann ist, Sklave der Disciplin, und sich nicht einmal die Mühe nimmt zu urtheilen; vielleicht noch zwei bis drei Mann weiter, wie den Zimmermann Bell, höchstens vier zusammen, und es sind unser achtzehn an Bord! Nein, Wall, Hatteras besitzt nicht das Vertrauen der Mannschaft, das weiß er wohl, und ködert sie mit Geld; er hat von der Katastrophe Franklin's einen geschickten Gebrauch gemacht, um in den wankelmüthigen Geistern eine Wendung herbeizuführen; aber das hält nicht an, sag' ich Ihnen, und wenn es ihm nicht gelingt, auf der Insel Beechey zu landen, ist er verloren!
– Wenn die Mannschaft vermuthen könnte...
– Ich bitte Sie ernstlich, erwiderte Shandon lebhaft, ihr diese Bemerkungen nicht mitzutheilen; sie wird schon selbst darauf kommen. In diesem Augenblick übrigens ist's nützlich, in der Richtung nach Norden zu bleiben. Aber wer weiß, ob nicht das, was Hatteras für eine Fahrt nach dem Pol hält, zu einer Rückkehr wird? Am Ende des Mac-Clintock-Canals befindet sich die Bai Melville, wo die vielen Straßen zusammenlaufen, welche in die Baffins-Bai zurückführen. Hatteras mag sich in Acht nehmen! Der Weg ostwärts ist leichter, als der nordwärts.«
Aus diesen Worten ist Shandon's Stimmung zu erkennen, und man sieht, wie der Kapitän Grund hatte, einen Verräther in demselben zu ahnen.
Shandon urtheilte übrigens in dem Punkt richtig, daß er annahm, die gegenwärtige Befriedigung der Mannschaft rühre von der Aussicht her, bald über den zweiundsiebenzigsten Breitegrad hinauszukommen. Dieser Hunger nach Geld übermannt auch die Verzagteren an Bord.
Nimmt man den Kapitän und den Doctor aus, welche an der Prämie keinen Theil haben konnten; so belief sich die übrige Mannschaft des Forward auf sechzehn Mann. Da die Prämie tausend Pfund betrug, so machte dies zweiundsechzig und ein halb Pfund dem Mann für jeden Grad. Gelang es je, an den Pol zu kommen, so brachten die achtzehn Grad bis dahin jedem eine Summe von elfhundertundfünfundzwanzig Pfund, d. h. ein Vermögen. Diese Lieblingsidee kostete demnach dem Kapitän achtzehntausend Pfund, aber er war reich genug damit eine Spazierfahrt nach dem Pol zu bezahlen.
Diese Berechnungen entflammten, wie leicht begreiflich ist, die Geldgier der Mannschaft in hohem Grad, und Mancher, der vierzehn Tage zuvor gerne südwärts gesteuert wäre, trachtete jetzt, über diese mit Gold belegte Breite hinauszukommen.
Am 16. Juni fuhr der Forward beim Cap Aworth vorüber. Der Berg Rawlinson ragte mit weißen Spitzen zum Himmel; Schnee und Nebel ließen ihn kolossal erscheinen, indem man seine Entfernung überschätzte; die Temperatur hielt sich einige Grad über dem Gefrierpunkt; es kamen improvisirte Cascaden an den Abhängen des Berges zum Vorschein, und Lavinen stürzten mit einem Donnergeroll herab, das mit fortwährendem Abfeuern schweren Geschützes zu vergleichen war. Die in langen weißen Streifen zu Tage liegenden Gletscher verbreiteten weithin einen ungeheuern Widerschein. Die nordische Natur im Kampf mit dem Thauwetter bot den Augen einen glänzenden Anblick. Die Brigg fuhr ziemlich nahe an der Küste vorüber; man gewahrte auf einigen geschützten Felsen hier und da Haidekraut, dessen röthliche Blüthen schüchtern zwischen dem Schnee sich herauswagten, und magere Flechten von röthlicher Farbe, so wie auf dem Boden kriechende Sprossen einer Art Zwergweide.
Endlich, am 19. Juni, kam man unter dem berufenen zweiundsiebenzigsten Grad bei der Spitze Minto vorüber, welche die Bai Ommaney auf der einen Seite abschließt, und lief in die Bai Melville ein.
Trotz eines starken Nordwindes hatte der Forward ziemlich leichte Fahrt, so daß er am 23. Juni über den vierundsiebenzigsten Breitegrad hinauskam. Er befand sich in der Mitte des Melville-Beckens, welches eins der ansehnlichsten Meere dieser Gegenden bildet. Es wurde zum erstenmal vom Kapitän Parry bei seiner großen Expedition im Jahre 1819 befahren, und seine Mannschaft gewann dadurch die von der Regierung ausgesetzte Prämie von fünftausend Pfund.
Clifton machte die Bemerkung, daß man jetzt schon zwei Grade gewonnen, und dabei bereits hundertfünfundzwanzig Pfund auf seinem Conto habe. Man entgegnete jedoch, in diesen Gegenden habe Vermögen wenig Werth, und es sei wohl gerathen, zu warten, bis man in einer Schenke zu Liverpool sich die Hände reiben könne.