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Ein Monat war verstrichen seit der denkwürdigen Generalversammlung, die in den Räumlichkeiten des Gun-Club abgehalten wurde. Während dieses Zeitraumes hatte sich in der öffentlichen Meinung ein merkbarer Umschwung vollzogen. Die durch Veränderung der Rotationsachse zu gewärtigenden Vortheile waren vergessen; dafür begann man die drohenden Nachtheile schärfer ins Auge zu fassen. Es erschien ganz unmöglich, daß die Geschichte ohne Katastrophe ablief, denn jene Veränderung sollte höchst wahrscheinlich durch einen plötzlichen Stoß herbeigeführt werden. Welche Verwüstungen dieser zufolge haben werde, das konnte freilich Niemand voraussehen. Es blieb ja auch ungewiß, ob die Verbesserung der Klimate so besonders wünschenswerth sei, denn von einer solchen konnten nur die Eskimos, die Lappen, Samojeden, Tschuktschen u. Aehnl., welche nichts zu verlieren hatten, einen Vortheil ziehen.
Jetzt hätte man nur die europäischen Abgesandten sollen gegen das Werk Barbicane's losziehen sehen! Zunächst hatten sie ihren betreffenden Regierungen Bericht erstattet, hatten die unterseeischen Drähte zum ununterbrochenen Hin- und Hertragen ihrer Depeschen fast mit Beschlag belegt und Verhaltungsmaßregeln verlangt und entgegengenommen. Derlei Instruktionen kennt man schon. Immer verschanzen sie sich nach den Formeln der diplomatischen Kunst hinter die amüsante Reserve: »Zeigen Sie die möglichste Energie, doch compromittiren Sie unsere Regierung in keiner Weise! – Handeln Sie entschlossen, nur rütteln Sie nicht an dem Status quo.«
Inzwischen hörten Major Donellan und seine Collegen nicht auf, im Namen ihrer bedrohten Länder – überhaupt im Namen der gesammten Alten Welt – Einspruch zu erheben.
»Es ist ganz selbstverständlich,« erklärte der Oberst Boris Karkof, »daß die amerikanischen Ingenieure ihre Maßnahmen so getroffen haben, um von dem Gebiete der Vereinigten Staaten die Folgen des Stoßes möglichst fernzuhalten.«
»Doch könnten sie das wirklich?« wendete dagegen Jan Harald ein. »Erzittern nicht alle Zweige eines Fruchtbaumes, wenn man diesen zur Zeit der Obsternte schüttelt?«
»Und wenn Sie einen Faustschlag auf die Brust bekommen,« fügte Jacob Jansen hinzu, »dröhnt dieser nicht durch Ihren ganzen Körper nach?«
»Darauf also zielte die berüchtigte Clausel des Documents!« rief Dean Toodrink. »Aus diesem Grunde faßte sie gewisse geographische und meteorologische Veränderungen der Erdoberfläche schon vorher ins Auge!«
»Ja wohl,« meinte Erik Baldenak, »und die erste, sich hierbei aufdrängende Befürchtung ist die, daß durch die Veränderung der Achse die Meere aus ihren natürlichen Becken geschleudert werden.«
»Und wenn der Wasserspiegel der Oceane sich an verschiedenen Stellen erheblich senkt,« ließ Jacob Jansen sich weiter vernehmen, »wird es da nicht vorkommen, daß gewisse Erdbewohner sich plötzlich in einer Höhe sehen, welche jede Verbindung mit ihresgleichen zur Unmöglichkeit macht? . . .«
»Wenn sie nicht in atmosphärische Schichten von solcher Verdünnung versetzt werden,« fügte Jan Harald hinzu, »daß die Luft zur Athmung nicht mehr zureicht.«
»Sehen Sie etwa London auf der Höhe des Mont-Blanc?« rief Major Donellan.
Und mit gespreizten Beinen und zurückgeworfenem Kopfe starrte dieser Gentleman nach dem Zenith hinauf, als hätte sich die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs bereits in den Wolken verloren.
Das bedeutete in der That eine öffentliche Gefahr, die umso beunruhigender erschien, als man schon vorausfühlte, welche Folgen diese Veränderung der Erdachse haben werde.
Wirklich handelte es sich ja um nichts Geringeres als um eine Verlegung derselben im Betrag von dreiundzwanzig Grad und achtundzwanzig Minuten, eine Veränderung, welche schon in Folge der Abplattung der Erde an den alten Polen einen beträchtlichen Ortswechsel der Meere veranlassen mußte. War die Erde vielleicht also von ähnlichen Umwälzungen bedroht, wie man solche neuerdings an der Oberfläche des Planeten Mars beobachtet zu haben glaubt? – Daselbst scheinen ganze Continente, darunter Schiaparelli's Libyen (unter dem Aequator des Planeten Mars zu suchen), ganz versunken zu sein, worauf die jetzt dunkelblaue Färbung an Stelle der früheren röthlichen hinweist. Der Mörissee (nördlich von Libyen) ist völlig verschwunden. Ebenso hat eine Fläche von sechshunderttausend Quadrat-Kilometern im Norden des genannten Planeten eine auffällige Veränderung erfahren, während im Süden die Meere weite Strecken, die sie früher einnahmen, verließen. Und wenn einzelne mitleidige Seelen sich schon für »die Ueberschwemmten auf dem Mars« erwärmten und die Eröffnung von Sammlungen für dieselben vorschlugen, wie mußten diese erst von Mitgefühl ergriffen werden, wenn es sich um die Ueberschwemmten auf der Erde handelte!
Von allen Seiten erhoben sich also die ernsthaftesten Einsprüche und wurde die Bundesregierung bestürmt, ein Machtwort zu sprechen. Alles in Allem schien es doch besser, diesen Versuch zu unterlassen, statt sich den Verheerungen auszusetzen, die er offenbar herbeiführen mußte. Der Weltenschöpfer hat ja Alles gut gemacht, und es lag keine Notwendigkeit vor, in sein Werk mit anmaßender Hand einzugreifen.
Doch sollte man's glauben? – Es fanden sich sogar so leichtsinnige Leute, daß sie selbst über so ernste Dinge scherzten.
»Seh' uns Einer diese Yankees!« riefen sie. »Die Erde wollen sie auf eine andere Achse stellen! Wenn sich nur bei der Millionen von Jahrhunderten hindurch währenden Drehung etwa ihre Zapfen durch Reibung abgenutzt hätten, dann erschiene es vielleicht an der Zeit, diese auszuwechseln, wie man die Achse einer Rolle oder eines Rades erneuert. Doch ist jene nicht noch immer in gleich gutem Zustande wie in den ersten Schöpfungstagen?«
Wie konnte eine Antwort hierauf lauten?
Und inmitten aller jener Einsprüche suchte der Ingenieur Alcide Pierdeux nur zu errathen, welcher Art und Richtung der von J. T. Maston ersonnene Stoß sein würde, und genau den Punkt der Erdkugel herauszufinden, an dem dieser angreifen sollte. Einmal im Besitz dieses Geheimnisses, würde es ihm ein Spiel sein, die dadurch bedrohten Theile des Erdsphäroïds zu bestimmen.
Schon früher erwähnten wir, daß die Beängstigungen der Alten Welt von der Neuen nicht getheilt werden konnten, wenigstens nicht in dem Theile, welchen man unter Nordamerika versteht und der speciell der amerikanischen Conföderation angehört. Es war doch kaum anzunehmen, daß der Präsident Barbicane, der Kapitän Nicholl und J. T. Maston in ihrer Eigenschaft als Amerikaner nicht daran gedacht haben sollten, den Vereinigten Staaten plötzliche Trockenlegungen und Ueberschwemmungen zu ersparen, wie sie die geplante Achsenverlegung in Europa, Asien, Afrika und Oceanien herbeiführen mußte. Man ist entweder Yankee oder ist es nicht; sie waren es aber alle Drei, und das in ausgesprochenstem Maße – Yankees »aus einem Guß«, wie man von Barbicane seinerzeit gesagt hatte, als dieser seinen Plan einer Reise nach dem Monde vorlegte.
Offenbar würde der ganze Theil der Neuen Welt zwischen den arktischen Ländern und dem Golf von Mexiko von dem zu erwartenden Stoße nichts zu befürchten haben; wahrscheinlich sollte Amerika dabei vielmehr noch einen beträchtlichen Zuwachs an Gebiet gewinnen, und in der That konnte doch Niemand im Voraus wissen, ob es nicht von den trockengelegten Becken der beiden, seine Küsten heutzutage bespülenden Oceane noch einmal ebenso viele Provinzen sich aneignen konnte, wie sein Banner schon jetzt in den Falten des Flaggentuchs aufnimmt.
»Ei freilich! Indeß« – wiederholten die ängstlicheren Seelen, die, welche immer nur die gefährliche Seite jeder Sache herausfinden – »kann man sich wirklich in solcher Sicherheit wiegen? Wenn sich J. T. Maston in seinen Berechnungen geirrt hätte? Und wenn Präsident Barbicane einen Fehler damit beging, daß er jene praktisch zu erproben wagte? So etwas kann auch dem geschicktesten Artilleristen widerfahren! Sie schießen auch nicht allemal die Kugel in die Zielscheibe oder die Bombe in die Tonne!«
Man begreift leicht, daß diese Befürchtungen von den Abgesandten der europäischen Mächte sorgsam genährt wurden. Der Secretär Dean Toodrink veröffentlichte eine ganze Menge diesbezüglicher und heftigster Aufsätze im »Standart«, Jan Harald in der schwedischen Zeitung »Aftonbladet« und der Oberst Boris Karkof in dem sehr verbreiteten russichen Blatte »Novoie-Vremia«. Selbst in Amerika gingen die Meinungen auseinander. Wenn die Republikaner, welche liberal sind, der Partei des Präsidenten Barbicane treu blieben, so erklärten sich die Demokraten, d. s. in der Union die Konservativen, entschieden gegen ihn. Ein Theil der amerikanischen Presse, vorzüglich das »Boston Journal«, die New-Yorker »Tribune« u. a. m. bliesen mit der europäischen Presse in einunddasselbe Horn. In den Vereinigten Staaten ist übrigens, vorzüglich seit Organisirung der »Associated Preß« und der »United Preß«, jenes Journal zu einer sehr bedeutenden Informationsquelle geworden, denn der jährliche Aufwand für locale und fremde Berichte übersteigt hier wesentlich den Betrag von zwanzig Millionen Dollars.
Vergeblich bemühten sich andere Blätter – und nicht etwa die mindestverbreiteten – zu Gunsten der »Nord Polar Practical Association« einzutreten. Vergeblich zahlte Mrs. Evangelina Scorbitt zehn Dollars für die Zeile streng sachlich gehaltener oder mehr phantastischer Artikel und geistvoller Plaudereien, in denen jene Gefahren, die man als Chimäre behandelte, abgekanzelt wurden. Vergeblich suchte die für diese Angelegenheit tief erwärmte Witwe zu beweisen, daß, wenn jemals eine Voraussetzung ungerechtfertigt war, es die sei, daß J. T. Maston in seinen Berechnungen hätte einen Fehler begehen können. Von Furcht ergriffen, neigte schließlich fast ganz Amerika dazu hin, sich den in Europa verbreiteten Anschauungen anzuschließen.
Uebrigens nahmen sich weder der Präsident Barbicane noch der Schriftführer des Gun-Club und nicht einmal die Mitglieder des Verwaltungsrathes die Mühe, eine Antwort zu gehen. Sie ließen die Leute reden und sich dadurch nicht in ihren Gewohnheiten stören. Es schien sogar, als wären sie gar nicht besonders in Anspruch genommen von den umfassenden Vorbereitungen, welche ein solches Vorhaben doch nöthig machen mußte. Ja, selbst davon gaben sie keine Beweise, daß sie sich von dem Umschlag der öffentlichen Meinung, von der allgemeinen Verurtheilung, welche jetzt ein anfangs mit lichterloher Begeisterung aufgenommenes Unternehmen traf, irgendwie unangenehm berührt fühlten.
Trotz der Opferwilligkeit der Mrs. Evangelina Scorbitt und trotz der beträchtlichen Summen, welche sie für deren Vertheidigung aufwandte, kamen der Präsident Barbicane, Kapitän Nicholl und J. T. Maston doch bald in den Geruch, die Sicherheit beider Welten gefährdende Individuen zu sein. Die Bundesregierung wurde von den europäischen Regierungen amtlich und dringend aufgefordert, sich dieser Angelegenheit anzunehmen und die Veranstalter der Unternehmung abzuhören. Diese sollten die von ihnen anzuwendenden Mittel offen darlegen und erklären, durch welche Maßnahmen sie an Stelle der alten Erdachse eine neue zu setzen gedächten – und endlich angeben, welche die hierbei unmittelbar bedrohten Theile der Erdkugel sein würden – mit einem Worte, über Alles Auskunft geben, was die öffentliche Beunruhigung, d. h. die Leute, die sich im Voraus Angst machten, nicht wußte und was die Wißbegier zu erfahren verlangte.
Die Regierung zu Washington ließ sich nicht lange bitten. Die Aufregung, welche sich der nördlichen, der mittleren wie der südlichen Staaten der Republik bemächtigt hatte, gestattete ihr kein Zaudern. Durch Verordnung vom 19. Februar wurde eine Sachverstandigen-Commission, gebildet aus Mechanikern, Ingenieuren, Mathematikern, Hydrographen und Geographen – Alles in Allem fünfzig Mann – zusammengerufen und mit unbeschränkter Vollmacht ausgestattet, sich über das Unternehmen selbst zu unterrichten und über die etwaige Nothwendigkeit einer staatlichen Unterdrückung desselben auszusprechen.
Zuerst erhielt der Präsident Barbicane eine Aufforderung, vor dieser Commission zu erscheinen.
Der Präsident Barbicane stellte sich nicht.
Polizeibeamte suchten ihn in seiner Privatwohnung, 95, Cleveland-Street, Boston, auf.
Der Präsident Barbicane war nicht mehr hier.
Niemand wußte es.
Wann war er fortgegangen? . . .
Seit fünf Wochen, am 11. Januar, hatte er die Hauptstadt von Maryland und Maryland selbst in Begleitung des Kapitän Nicholl verlassen.
Wohin hatten sich die Beiden gewendet? . . .
Kein Mensch konnte darüber Auskunft geben.
Offenbar befanden sich die beiden Mitglieder des Gun-Club auf dem Wege nach der geheimgehaltenen Gegend, wo die Vorarbeiten unter ihrer Leitung beginnen sollten.
Doch welcher Ort konnte das sein? . . .
Es liegt auf der Hand, welch' großes Interesse man daran haben mußte, das zu erfahren, wenn es galt, den Plan dieser gefährlichen Ingenieure, jetzt, da es noch Zeit war, im Entstehen zu vernichten.
Die durch die Abreise des Präsidenten Barbicane und des Kapitän Nicholl hervorgerufene Enttäuschung war eine ungeheuere. Sehr bald erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der wie eine Hochfluth zur Zeit der Tag- und Nachtgleichen gegen die Verwaltung der »North Polar Practical Association« heranbrauste.
Ein Mann mußte jedoch wissen, wohin der Präsident Barbicane und sein College gegangen waren. Ein Mann konnte peremptorisch Aufschluß geben über das gigantische Fragezeichen, welches sich auf der Oberfläche der Erdkugel erhob.
Dieser Mann war J. T. Maston.
Durch Vermittlung eines gewissen John Prestice wurde J. T. Maston vor die Sachverständigen-Commission geladen.
J. T. Maston erschien nicht.
Sollte etwa auch er Baltimore verlassen haben? Wäre er seinen Collegen nachgeeilt, um sie bei einem Werke zu unterstützen, dessen endliche Folgen die ganze Welt mit so begreiflichem Entsetzen erwartete?
Nein! J. T. Maston bewohnte nach wie vor die Ballistic-Cottage, Franklin-Street Nr. 109, wo er, unablässig arbeitend, schon wieder mit anderen verzwickten Berechnungen beschäftigt war, die er nur an einzelnen Abenden unterbrach, um einige Stunden in Gesellschaft Mrs. Evangelina Scorbitt's in deren prächtigem Hotel im New-Park zuzubringen.
Da wurde ihm vom Präsidenten der Commission ein Polizist mit dem Auftrage zugeschickt, ihn sofort mitzubringen.
Der Amtsdiener kam nach der Cottage, klopfte an die Thür und wurde von dem Neger Fire-Fire sehr schlecht, noch schlechter aber von dem Herrn des Hauses empfangen.
J. T. Maston glaubte indeß der Aufforderung Folge leisten zu müssen; doch als er sich vor der Versammlung von Sachverständigen befand, verhehlte er in keiner Weise seinen Aerger, bei der gewohnten Beschäftigung so unliebsam gestört worden zu sein.
Hier wurde ihm denn zuerst die Frage vorgelegt:
Wußte der Schriftführer des Gun-Club, wo sich der Präsident Barbicane und der Kapitän Nicholl derzeit befanden?
»Das weiß ich zwar,« antwortete J. T. Maston mit fester Stimme, »halte mich aber nicht für befugt, es zu sagen.«
Zweite Frage:
Beschäftigen sich seine beiden Collegen mit den Vorbereitungen, welche der Plan einer Verlegung der Erdachse nothwendig machte?
»Das, erwiderte J. T. Maston, gehört zu unserem, von mir unbedingt zu bewahrenden Geheimnisse und ich lehne also eine Antwort hierauf ab.«
Wollte er vielleicht wenigstens seine durchgeführte Arbeit der Sachverständigen-Commission unterbreiten, welche ein Urtheil darüber ermöglichen würde, ob man die Projecte der Gesellschaft dürfe zur Ausführung kommen lassen?
»Nein, eine solche Mittheilung mache ich entschieden nicht! . . . Lieber vernichte ich Alles! . . . Es ist mein Recht eines freien Bürgers des freien Amerika, Niemand über die Ergebnisse meiner Arbeiten aufzuklären!«
»Doch wenn das Ihr Recht ist, Herr Maston,« antwortete der Präsident Prestice mit so ernster Stimme, »als spräche er hier im Namen der ganzen Welt, so ist es vielleicht Ihre Pflicht, sich in Anbetracht der allgemein herrschenden Aufregung auszusprechen, um der Nasführung der Erdenbewohner ein Ende zu machen?«
J. T. Maston glaubte nicht dazu verpflichtet zu sein. Er kannte nur die eine Pflicht zu schweigen, und er wollte schweigen.
Trotz ihres Drängens und ihrer Bitten, selbst trotz nicht gesparter Drohungen konnten die Mitglieder der Sachverständigen-Commission nichts aus dem Manne mit dem Eisenhaken herauslocken. Niemals, nein, niemals hätte Jemand vermuthen können, daß so viel unbeugsamer Starrsinn unter einem solchen Guttapercha-Schädel wohne.
J. T. Maston ging also wieder weg, wie er gekommen war, und wir brauchen wohl gar nicht zu erwähnen, daß er für seine tapfere Standhaftigkeit von Mrs. Evangelina Scorbitt herzlich beglückwünscht wurde.
Als das Ergebniß der Vorführung J. T. Maston's vor die Commission der Sachverständigen bekannt wurde, nahm die allgemeine Entrüstung eine für die Sicherheit des in Ruhestand lebenden Artilleristen wirklich bedrohliche Gestalt an. Der auf die hohen Vertreter der Bundesregierung ausgeübte Druck wurde bald ein solcher, und die Einmischung der europäischen Abgesandten und der öffentlichen Meinung eine so heftige, daß der Staatsminister John S. Wright von seinen Collegen die Ermächtigung verlangte, manu militari, mit Waffengewalt, einzuschreiten.
Am Abend des 13. März befand sich J. T. Maston im Arbeitszimmer der Ballistic-Cottage – vertieft in seine Zahlen, als die Klingel des Telephons wieder einmal fieberhaft anschlug.
»Hallo! . . . Hallo! . . .« erklang es aus der Schallplatte, deren kräftige Schwingungen auf eine lebhafte Unruhe der sprechenden Person deuteten.
»Wer ruft mich?« fragte J.T. Maston.
»Mistreß Scorbitt.«
»Was wünschen Sie, Mistreß Scorbitt?«
»Sie zu warnen! . . . Eben erhalte ich die Nachricht, daß noch an diesem Abend . . .«
Der Satz war noch nicht zu J. T. Maston's Ohren gedrungen, als die Thür der Ballistic-Cottage plötzlich mit roher Gewalt gesprengt wurde.
Auf der nach dem Arbeitszimmer führenden Treppe entstand ein betäubender Lärm.
Zankend erscholl da eine Stimme; andere suchten diese verstummen zu machen. Dann hörte man den Fall eines schweren Körpers.
Es war der Neger Fire-Fire, der von Stufe zu Stufe hinabrollte, nachdem er vergeblich versucht hatte, das »Home« seines Herrn gegen die Eindringlinge zu vertheidigen.
Einen Augenblick später ging die Thür des Cabinets in Trümmer und in derselben erschien ein Constabler in Begleitung einer Schaar Polizisten.
Dieser Constabler hatte Befehl, in der Cottage eine Haussuchung vorzunehmen, die Papiere J. T. Maston's zu confisciren und sich der Person des Letzteren zu bemächtigen.
Der heißblütige Schriftführer des Gun-Club ergriff einen Revolver und bedrohte die Angreifer mit einem sechsfachen Knalle.
Dank der Ueberzahl wurde er im ersten Augenblicke entwaffnet und die Hand des Staates legte sich auf seine mit Formeln und Ziffern bedeckten Papiere, welche auf dem Schreibtische ganze Haufen bildeten.
Plötzlich gelang es J. T. Maston durch eine dreiste Bewegung, sich eines Notizbuches zu bemächtigen, das wahrscheinlich seine gesammten, hier in Frage kommenden Berechnungen enthielt.
Die Polizisten fielen über den Aermsten her, um es ihm, nöthigen Falls mit seinem Leben, wieder zu entreißen.
In aller Hast vermochte J. T. Maston jedoch das letzte Blatt desselben herauszureißen und dieses, zusammengerollt wie eine simple Pille, zu verschlingen.
»Jetzt nehmt mir's einmal!« rief er im Tone eines Leonidas bei den Thermopylen.
Eine Stunde spater saß J. T. Maston schon im Gefängniß von Baltimore.
Das war jedenfalls ein großes Glück für ihn, denn die Bevölkerung der Stadt hätte sich gewiß noch zu den schlimmsten, für ihn beklagenswerthen Ausschreitungen gegen den großen Rechenmeister hinreißen lassen, ohne daß die Polizei im Stande gewesen wäre, diese zu verhindern.