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Der »China« schien durch seine Abfahrt Phileas Fogg's letzte Hoffnung mitgenommen zu haben.
In der That, keins der direct zwischen Amerika und Europa fahrenden Packetboote konnte den Absichten des Gentleman dienen.
Der Pereira, der französischen transatlantischen Compagnie gehörig, ging erst übermorgen, den 14. December ab. Und zudem fuhr er nicht nach Liverpool oder London, sondern nach Havre, und die Ueberfahrt von da nach Southampton hätte seine letzte Anstrengung vergeblich gemacht.
Ein Boot der Compagnie Imman, City of Paris, stach zwar übermorgen in See, aber an dieses durfte man nicht denken. Diese Schiffe sind insbesondere für Auswanderer bestimmt, haben schwache Maschinen und fahren langsam.
Ueber dies alles setzte sich der Gentleman durch seinen Bradshaw in Kenntniß.
Passepartout war vernichtet. Um fünfundvierzig Minuten zu spät, das war zu arg! Und er trug die Schuld, da er, anstatt seinen Herrn zu fördern, ihm unaufhörlich Hindernisse in den Weg gelegt hatte! Und wenn er in seinem Geiste alle Begebenheiten der Reise überschaute, wenn er die rein verlorenen und lediglich in seinem Interesse verausgabten Summen zusammenrechnete, wenn er daran dachte, daß diese enorme Wette, zugerechnet die beträchtlichen nun unnütz gewordenen Reisekosten, Herrn Fogg vollständig ruiniren würden, – so konnte er sich der ärgsten Vorwürfe nicht erwehren.
Doch machte ihm Herr Fogg nicht den mindesten Vorwurf, und als er den Pier der transatlantischen Packetboote verließ, sprach er nur:
»Morgen wollen wir weiter fahren. Kommen Sie.«
Herr Fogg, Mrs. Aouda, Fix, Passepartout setzten über den Hudson und fuhren in einem Fiaker zum Hotel St. Nicolas in Broadway. Phileas Fogg verbrachte die Nacht in völlig ruhigem Schlaf, aber Mrs. Aouda und seine Begleiter konnten vor Aufregung nicht schlafen.
Der folgende Tag war der 12. December. Von da an, sieben Uhr Vormittags, bis zum 21., acht Uhr fünfundvierzig Minuten Abends, blieben noch neun Tage, dreizehn Stunden und fünfundvierzig Minuten. Wäre also Phileas Fogg am Abend zuvor mit dem China, einem der besten Segler der Linie Cunard, abgefahren, so wäre er zu der bestimmten Zeit in Liverpool, dann in London eingetroffen!
Herr Fogg verließ allein das Hotel, nachdem er seinem Diener anbefohlen, auf ihn zu warten, und der Mrs. Aouda anzusagen, sie möge sich jeden Augenblick bereit halten.
Hierauf begab er sich an das Ufer des Hudson, und suchte unter den am Quai oder im Fluß vor Anker liegenden Schiffen achtsam solche, die zur Abfahrt bereit waren. Es hatten wohl mehrere Fahrzeuge die Abfahrtsflagge aufgesteckt und rüsteten sich, morgen mit der Fluth in See zu stechen; denn in dem unermeßlichen und bewundernswerten Hafen von New-York verfließt kein Tag, wo nicht Hunderte von Fahrzeugen nach allen Weltgegenden abfahren, aber es waren meist Segelbarken, die Phileas Fogg nicht dienlich sein konnten.
Bereits schien sein letzter Versuch zu scheitern, als er höchstens eine Kabellänge vor der Batterie ankernd ein feingeformtes Handelsfahrzeug gewahrte, einen Schraubendampfer, dessen Rauchwolken zeigten, daß es sich zur Abfahrt rüstete.
Phileas Fogg fuhr in einem Nachen hinüber zur Henrietta, deren Rumpf von Eisen, die obern Theile sämmtlich von Holz waren. Der Kapitän befand sich an Bord. Phileas Fogg stieg auf das Verdeck und fragte nach demselben; er erschien sogleich.
Es war ein Fünfziger, eine Art Seewolf, der nicht aussah, als sei er gefällig. Starke Augen kupferfarbige Haut, rothe Haare, dicker Hals – keine Spur von einem Weltmann.
»Der Kapitän? fragte Herr Fogg.
– Der bin ich.
– Ich bin Phileas Fogg, aus London.
– Und ich Andrew Speedy, aus Cardiff.
– Sie sind im Begriff abzufahren? ...
– In einer Stunde.
– Sie haben Ladung nach ...
– Bordeaux.
– Und sie besteht?
– Aus Steinen im Bauch. Kein Frachtgut, nur Ballast.
– Haben Sie Passagiere?
– Die nehm ich nicht. Niemals. Waare, die den Raum füllt und räsonnirt.
– Ihr Schiff fährt gut?
– Elf bis zwölf Knoten. Die Henrietta kennt man.
– Wollen Sie mich nebst drei Personen nach Liverpool überfahren?
– Nach Liverpool? Warum nicht nach China?
– Mein Reiseziel ist Liverpool.
– Nein!
– Nein?
– Nein. Mein Reiseziel ist Bordeaux, und dahin fahre ich.
– Macht der Preis nichts aus?
– Nichts.«
Der Ton des Kapitäns gestattete keine Erwiderung.
»Aber wer ist Rheder der Henrietta? versetzte Phileas Fogg.
– Rheder bin ich selbst, erwiderte der Kapitän. Das Schiff ist mein eigen.
– Ich mieth' es Ihnen ab.
– Nein.
– Ich kauf's Ihnen ab.
– Nein.«
Phileas Fogg verzog keine Miene. Indessen, die Lage war bedenklich. Zu New-York war's anders als in Hongkong, und der Kapitän der Henrietta ein anderer Mann, als der Patron der Tankadère. Bisher überwand der Gentleman alle Hindernisse mit Gold. Diesmal wollte es nicht gelingen.
Und doch galt es ein Mittel, zu Schiffe über den Ocean zu kommen – sofern nicht im Ballon, – was sehr abenteuerlich, und eben nicht ausführbar war.
Es schien jedoch, Phileas Fogg hatte eine Idee. Er sagte zum Kapitän:
»Nun, wollen Sie mich nach Bordeaux mitnehmen?
– Nein, und wollten Sie mir zweihundert Dollars zahlen!
– Ich zahle Ihnen zweitausend.
– Für die Person?
– Für die Person.
– Und es sind Ihrer vier?
– Vier.«
Nun rieb sich der Kapitän Speedy die Stirne. Achttausend Dollars verdienen, ohne seine Fahrt zu ändern, das verlohnte wohl, seinen Widerwillen gegen alle Art von Passagieren bei Seite zu setzen. Uebrigens sind Passagiere zu zweitausend Dollars keine Passagiere mehr, die können als kostbares Frachtgut gelten.
»Ich fahr' um neun Uhr ab, sagte einfach der Kapitän Speedy, und wenn Sie mit Ihren Leuten dann hier sind? ...
– Um neun Uhr werden wir an Bord sein!« erwiderte ebenso einfach Herr Fogg.
Es war halb neun Uhr. An's Land setzen, in einen Wagen steigen, in's Hotel St. Nicolas fahren, und Mrs. Aouda, Passepartout, und selbst den unvermeidlichen Fix, welchem er gefällig einen Platz anbot, abholen – das geschah mit derselben Seelenruhe, welche den Gentleman niemals verließ.
Im Moment, als die Henrietta abfahren wollte, befanden sich alle vier an Bord.
Als Passepartout hörte, was diese letzte Fahrt kosten sollte, ließ er ein langes Oh! vernehmen, das alle Intervalle der chromatischen Tonleiter hinab lief.
Der Polizei-Agent Fix sagte sich, die Bank von England werde sicherlich nicht ohne schweren Verlust davonkommen. Wirklich, nahm man an, daß Herr Fogg nicht noch einige Handvoll Banknoten in's Meer warf, so fehlten bereits über siebentausend Pfund im Banknotensack.