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Zweiter Akt

Der Versammlungssaal: Holzbänke, weißes und schwarzes Getäfel, eine Binsenmatte in der Mitte. Ein Kruzifix hängt an der Wand. Rechts, an seinem gewohnten Platz, Dom Balthasar, hingestreckt, das Gesicht in den gefalteten Händen verborgen. Thomas nähert sich ihm langsam. Er klopft ihm leise auf die Schulter.

Thomas
Eure Seele ist beunruhigt, mein Bruder. Darf ich meinerseits für Euch beten und Anteil nehmen?

Dom Balthasar ihn ansehend und mit seiner Antwort zögernd.
Alle Gebete zählen vor Gott.

Thomas
Ihr scheint zu leiden, wie selten einer!

Dom Balthasar
Alle Gebete zählen vor Gott vielleicht weniger als meine Sünde.

Thomas
Eure Sünde?

Dom Balthasar
Jetzt, in ebendieser Stunde, werde ich sie vor Euch beichten.

Thomas
Ist sie so groß, daß sie Eure Inbrunst und Leidenschaft niederschlägt?

Dom Balthasar
Meine Leidenschaft ... meine Leidenschaft ... ja, es handelt sich um meine Leidenschaft.

Thomas
Eure Leidenschaft. Ich weiß wohl, wie ingrimmig und hartnäckig sie ist. Ich kenne sie ...

Dom Balthasar
Laßt mich jetzt!

Thomas
Ich kenne ihr dumpfes Bemühn um die Herrschaft dieses Klosters.

Dom Balthasar
Laßt mich, sage ich Euch! Nicht ich und nicht Ihr werden die Gebieter dieses Hauses sein. Es gibt Würdigere ...

Thomas
Dom Militien?

Dom Balthasar
Laßt mich ... laßt mich ... laßt mich jetzt!

Thomas
Ich verstehe Euch nicht mehr. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.

Ein Schweigen. Dom Balthasar antwortet nicht. Thomas fortfahrend.

Dom Balthasar, Ihr seid seit langem
Derjenige unter uns allen gewesen,
Den das Schicksal gleichsam sich auserlesen,
Um unsern Gehorsam als Herr zu empfangen.
Eure Worte waren hoffärtig und scharf,
Und Euer Wille wie Erz unterwarf
Mich und jeden andern sich gleich.
Unser Prior spürte in Euch
Eine Seele, die wie die seine sich herbe
Und adelsherrlich immer bezeigte,
Und bestimmte, daß Ihr, sobald er versterbe,
Sein Herrenamt als Prior bekleidet. –
Indes sich sonst die Lebenslinie wie in Labyrinthen
Verworren windet, wart Ihr wie ein Turm
Hoch an dem Ufer des Lebens gebaut,
Von dem man, wohin alle Wege münden
Und Gottes Absicht und Willen erschaut.
Und heute seid Ihr plötzlich schwach und schwank,
Müde, verwirrt, mit sich selber uneinig,
Eine Ruine, die ihren Untergang
Selber beschleunigt.
Euer Hochmut knistert und scheint zu zerbrechen,
Eure Kühnheit versagt. Und der Hochmut, der wild
Und dreist Euer ganzes Fühlen erfüllt,
Beginnt sich endlich ingrimmig zu rächen.

Dom Balthasar
Wenn meine Hoffart sich rächt, zumindest weiß
Ich genau, daß ich selbst ihrer Rache Bewirker sei.

Thomas
Wehe, auch dieser neue Schrei,
Den Euer Gewissen Euch jetzt entreißt,
Auch er ist Hoffart und Stolz – Stolz wie Ihr selbst.

Dom Balthasar
Es ist nicht wahr! Nicht wahr! Ich lüge, ich lüge!
Nur durch Liebe, nur durch die Liebe allein
Wird meine Reue, wird meine Pein
Die Seele von ihrer Last befrein.
Oh, ich weiß nicht mehr klar, was ich jetzt sage,
Kaum bin ich bewußt noch, was ich jetzt fühle,
Eure Blicke, die gierig lief in mir wühlen,
Verraten mich,
Die Flammen, die Euren Worten entschlagen,
Zücken mich an und verbrennen mich,
Doch Gott, der mich liebt und der mich versteht,
Sieht mit seines Blickes strahlendem Schein
In den dunkelsten Grund meiner Seele hinein.
Weg, fort von mir! Verlaßt mich! Geht!

Thomas
Ihr wollt es also nicht, mein brüderlich Gebet?

Dom Balthasar
O ihr Heiligen, o seligen Engel ihr,
Die ihr sanft über die Stätten der Toten schwebt,
Ihr Schutzpatrone, habt Mitleid mit mir,
Wie mit allen wahren christlichen Streitern!
Meine Reue ist echt, ihre Inbrunst erhebt
Mich auf zu den Höhn der Erlösung und Gnade.
Doch mein Bruder versucht mich, und seine Stimme
Erweckt noch immer
Den Aufschwall der Hoffart in meiner Seele.
Doch wollt ihm, o Herr, die Sünde nicht zählen,
Schenkt ihm Erbarmen und schenkt es auch mir!
Ich will ja auch sein Gebet nicht verschmähen,
Ich kann nicht, nein, und ich will es nicht.
Vielleicht kann es Gnade und Sühne säen
Am heiligen Felde, im Jüngsten Gericht.
Vielleicht hat es mehr als die andern Gewicht.
Doch Herr, um all deiner seligen Leiden,
Um deiner Taufe willen und Todespein,
Wolle uns beiden
Gnädig sein!

Thomas
Mein Gebet wird sich um so wirksamer weisen,
Als ichs, um es auf zu Gott zu erheben,
Mir selber erst wider Willen entreiße.
Für jene zu beten,
Die man befeindet, ist mehr von Wert,
Als der bittersten Reue Flamme und Schwert.
Ich bete für Euch und werde weiter beten.

Dom Balthasar resigniert.
Dank!

Eine Pause.

Thomas will sich entfernen, kehrt aber wieder um. Ihr sagtet vorhin: Nicht Ihr und ich werden der Prior dieses Klosters sein! Dom Militien ist zwar von hohem Rang, aber doch schon zu alt: überdies todkrank. Und Isebald: eine Durchschnittsnatur. Baron und Theodul, beide arme Skribler, die sich mit Büchern quälen, deren Geist sie nie erfassen. Und Dom Marc – ein Kind, ein Einfältiger ...

Dom Balthasar jäh auffahrend.
Rührt nicht an ihn,
Der unkund ist unsrer Erbärmlichkeiten,
Frei unsrer Begierden, die sich quälen und streiten!
Er ahnt nicht Eure Gier, ihm seinen Platz zu rauben,
Er lebt und glaubt in Gott, eh an sich selbst zu glauben.
Er ist der goldne Strahl des Lichts in unsrer Trübe,
Und wird er einst zum Herren über mich und Euch bestellt,
So wird er die Hände zum Himmel erheben,
Daß wie vorzeiten
Wieder der Dienst der Entsagung und Liebe
Rein in unseren Reihen walte.
Und man wird ihm gehorchen, den uns Gott bestellte,
Weil Gott es so wollte. Und sind Wunder vonnöten,
So werden sie aus allen Hindernissen,
Die Ihr ihm bereitet, zutage treten.

Thomas
Ihr macht mich staunen! Wenn der Prior sagte,
Um eines Klosters als Herrscher zu walten,
Um es stark zu machen, ruhmvoll und reich,
Brauche man starke und unverzagte
Männer, die seit vielhunderten Jahren
Die Führerschaft
Mit eiserner Kraft
In Händen halten,
Männer des Adels, im Gebieten erfahren.
– Das könnt ich verstehn. Und ich dachte an Euch!
Doch Dom Marc? ...

Dom Balthasar
Denkt nur an ihn, an ihn allein!

Thomas, der sich plötzlich Dom Balthasar schroff gegenüberstellt.
Ich denk an mich und nur an mich allein!
Ihr seid die Kraft, die sich im Krampfe selbst zerreißt,
Seid Euer eigner Feind, der eigene Ruin,
Doch ich bin, der erst steigt und seine neue Stärke preist!
Ich bin müd, zu gehorchen und in Demut zu knien,
Kraft strömt aus meines Herzens glühenden Schächten,
Wer mich bekennt, der wird sie von mir erben,
Und eure alten angemaßten Herrenrechte,
Ich werf sie weg, wie faule Frucht aus vollen Körben.
Ihr ahnt nicht, wie feurig mein Herz auffunkelt,
Wohin meine Wege apostelgleich führen,
Ihr, die ihr Mönche seid des Wappens nur, des Stolzes und des Prunkes!
Mich würde Christus statt eurer erküren,
Er würde sagen: Ich seh euch ärgerlich in Träumen stocken,
Schwerfällig hinter Mauern euern Tag verarmen.
Ihr lebt nur hin. Und draußen rufen Sturm die Glocken
Gegen mein Kreuz, das einst mit seinen breiten Armen
Die ganze Welt umfaßte und ans Herz sich drückte.
Ihr werdet immer kleiner, seid in euch Gebückte,
Nie rührt mehr Gottes Atem eure Seele. –
Zwar ihr schmückt die Altäre mir mit Blüten,
Doch das ist Dienst der Küster, zu verhüten,
Daß dort den Kerzen nicht die Flamme fehle.
Allein die ungeheure Glut, sie lasset ihr ersticken,
Die wie mit Feuerzungen um die Osterzeit
Auf meine Gläub'gen einstens niederflammte.
Seh ich euch so, wie ihr mit matten, kalten Blicken
In meinen Kirchen plärrend euch versammelt
Und lässig die Gebete litaneit,
So möchte ich mit Geißeln euch heimsuchen ...

Dom Balthasar
Euer Reden ist Lästern, ist Gottversuchen!
Selbst sagt in den heiligen Büchern der Christ,
Daß bei jeder Andacht er teilhaftig ist.

Thomas
Er ist der Geist, ist die Glut und der Zorn all derer,
Die für ihn streiten, seiner wahren Verehrer.

Dom Balthasar
Unser Dienst ist ihm so sehr wie Eurer wert,
Und das himmlische Feuer, das uns versehrt,
Stammt aus dem gleichen göttlichen Willen.
Wir lieben ihn einsam, in Erbauung und Stille,
Denn die Welt, die Ihr zu bekehren glaubt,
Der Ihr seinen Ruhm anpreisen wollt,
Ist blind und ist taub, aller Sinne beraubt
Wie ein Greis, den man morgen zu Grabe trägt,
Spielt sie in kindischer Wollust mit Gold.
Das einzige Trachten, das sie bewegt,
Gilt diesen Spielen und Kinderein.
Was aber hat dies töricht Benehmen
Mit Gott und der ewigen Wahrheit zu tun,
Mit unserm Gotte, mit Eurem und meinem?
Wenn die Heiligen, die in ihren Gräbern ruhn,
Plötzlich wieder auf Erden kämen,
Sie würden aus ihres Herzens Brand
Alle Flammen in zorniger Hand
Vereinen,
Und schleudern, damit sie die Welt verzehren,
Und dann wieder heimwärts zum Himmel kehren.
Ich weiß so gut wie Ihr, was diesen argen Zeiten
Vonnöten ist, die tief in Fluch und Frevel stecken;
Allein ich werde nie mit ihnen streiten,
Nie meine Hand mit ihrem Eiter mir beflecken.
Ich tat es nie. – Ihr jedoch wollts,
Doch, denk ich, höchstlich wohlbedacht, daß auch dabei
Stets Euer Glanz und Christentum sehr sichtbar sei,
Und wägt Ihr darum Stolz an Stolz,
So wählt ich lieber doch den meinen.

Thomas
Wiederum Hoffart, wiederum der Stolz!

Dom Balthasar
Oh, diesen halt ich aufrecht! Dieser bringt
Mich nicht so leicht zu Reue und Erröten.
Ein Ungestümer bin ich, der mit seiner Sünde ringt,
Ohne darum des Herzens Größe in sich abzutöten.
Doch hab ich sie gebüßt, so will ich wieder
Voll Kraft nach meinen alten Rechten fassen!
Ich halte Euern Übel willen nieder,
Dom Marc allein bereite ich die Straße,
Für ihn allein will ich mich mühen
Und ihn mit meiner Arme wohlerprobter Kraft beschirmen.
Das ganze Kloster weiß, von welcher Leidenschaft ich glühe
Und was für reine Kräfte sich in meiner Brust auftürmen,
Die Eurer Anmaßung die rechten Schranken setzt.
Rein muß der heilige Wein im Kelche glühn,
Und Euer Sinnieren und fiebriges Zweifeln,
Es würde tropfenweise in ihn
Das Gift einträufeln,
Das ihn zersetzt
Und für alle Zukunft mördrisch vernichtet.

Thomas sehr kühl.
Ob durch Stolz oder Reue – ich sehe jetzt,
Daß Ihr Euch selber zugrunde richtet.

Der Prior erscheint plötzlich im Saale. Beide Mönche schweigen und sind betroffen. Nach einiger Zeit tritt Balthasar auf den Prior zu.

Dom Balthasar
Verzeiht, daß ich meine Sammlung und Buße jäh unterbrochen habe, aber dieser tolle Mönch lenkte mich ab und versuchte mein Herz mit gehässigen Worten.

Der Prior
Ihr hättet ihn verjagen sollen, wenn er Euch versuchte! Eure Pflicht war strenge, unverbrüchlich strenge Schweigsamkeit und Sammlung.

Zu Thomas.

Laßt ihn mit seinem Gebet allein!

Der Prior macht eine Handbewegung. Thomas entfernt sich.

Der Prior
In dieser Stunde, Sohn, müssen wir beide
Des Klosters Ruhm und Glanz aufrechterhalten,
Daß es hochrage über allem irdisch-wirren Streite!
Ist deine Beichte nicht voll siegreicher Gewalten,
Erringt sie dir nicht gleich mit einem Schlage
Die eigne Ruhe und der Brüder Ehrfurcht wieder,
So war es besser, sie für diesmal zu vertagen. –
Ich kam, um dein Geständnis hilfreich hier zu überwachen.

Dom Balthasar
Oh, mein Vater, es wird für Gott ein Geringes sein,
Nach dem Geständnis mich wieder mutvoll zu machen.

Der Prior
Sei sicher, Er, der Herr, tritt dir zur Seit,
Denn wenn er dich verließe, ich nicht bei dir stände,
So würde deine Demut, deine heiße Frömmigkeit
Sich gegen uns und gegen ihn selbst wenden.
Denn wenn Männer von unsrer Abkunft nicht wissen,
Wie sie durch Kühnheit, durch heilig begeisterungsvollen
Mut ihre Herrschaft erobern und festhalten sollen,
Die ihnen Gott und alter Anspruch überließen –
Dann ists vorbei mit Mannestugend, oh, dann fällt
Die alte Adelsherrschaft, die die Welt
Zusammenhielt in eisern harten Händen!
Dein Beispiel ist gewagt – doch es ist königlich!
Grell wie ein Blitz muß es die Brüder blenden,
Als Priestertat müssen sie's fühlen, die sie dir
Aufs neu hörig macht und ehrfürchtig.
Und dann vor allem – jene, welche immer hier
Verborgen wühlen und ehrgeizige Pläne schmieden,
Sie müssen spüren, welcher Unterschied
Stets zwischen ihnen ist und solchen, wie wir,
Die – selbst wenn sie in Demut sich beugten und knieten –
Noch immer herrschen, noch immer gebieten.

Die Glocke beginnt zu läuten. Man hört nahende Schritte. Die Mönche treten in den Kapitelsaal und begeben sich an ihre Plätze. Der Prior nimmt auf seinem erhöhten Sitze Platz.

Der Prior Das Kloster ist von seinen alten Gebräuchen abgekommen. Ein Mönch, einer eurer Brüder, hat sie mir wieder ins Gedächtnis gerufen. Seit die öffentlichen Beichten vernachlässigt wurden, hat die Zucht unseres Ordens gelitten. Vor zehn Jahren, unter meinem Vorgänger Don Gervais, wurden sie noch praktiziert. Ich führe sie heute wieder ein. Ihr werdet die Beichte eines Vatermörders hören!

Thomas auffahrend.
Eines Vätermörders?

Der Prior ruhig fortfahrend.
Eines Vatermörders, dem seit langem vergeben ist. Vor der Welt wäre ein so freies und rückhaltloses Geständnis unmöglich. Aber ihr seid Mönche und werdet die Schönheit und den Heroismus eines solchen Geständnisses verstehn, ihr werdet daran zu bewundern wissen, was minder klare Seelen gar nicht verstehen würden.

Zu Dom Balthasar.

Legt Eure Beichte ab, mein Bruder!

Dom Balthasar steht auf und kniet auf die Strohmatte inmitten des Saales.
Ich bitte euch alle im voraus um Vergebung, denn mein
Vergehen ist alt, und ich habe Jahr und Tag in diesem
Kloster straflos gelebt.
Mein Vater ist tot, ich hab ihn erschlagen!
Mein Kopf war wirr und vom Weine heiß,
Den ich zu gierig bei einem Gelage
An jenem Abend heruntergoß.
Unser Haus lag still. Ein Lichtschein floß
Matt und karg um sein einsames Lager.
Mein Vater war damals noch rüstig, ein Greis
Von Kraft und Willen. Seine Kehle bot hager
Und nackt meinen schauernden Blicken sich dar.
Eisgrau und matt erglänzte sein Haar,
Und der Stolz seines Schlummers, der wehrlos war,
Verteidigte ihn: ich prallte zurück!
O hätte in jenem Augenblick
Die Verzweiflung mir grell schon entgegengeblitzt,
Hätt ihn das Kreuz,

Er deutet auf das Kruzifix an der Wand.

daran unsre Lippen inbrünstig vergehen,
Im Schlummer verteidigt, sein Leben geschützt,
Hätte mir Gott von euch allen, die heut
Mich als Brüder und Freunde liebend umstehen,
Einen als flammendes Vorbild gesendet,
Ich hätte die mördrische Tat gescheut,
Und nie hätte Blut meine Seele geschändet!

Der Prior
Mein Sohn, Ihr solltet ruhiger die Beichte legen!

Dom Balthasar
In diesem Moment der Entscheidung geschahs,
Daß mein Väter plötzlich die Augen aufschlug
Und voll Mißtraun vor mir und vor meinem Haß
Sich schweigend erhob.
In meiner Kehle war alles verdorrt,
Ich fühlte das Blut in den Adern erkalten.
Mein Vater versuchte, mich festzuhalten,
Er preßte mir beide Arme zusammen
In seiner Verzweiflung, doch sprach er kein Wort,
Weil er nicht wollte,
Daß je ein andrer erfahren sollte,
Daß ein Geschlecht von so fürstlichem Stamme
Wie das unsre so schändlich verging.
Mein Zorn sprang auf, wie sein wütender Griff
Mein blutendes Fleisch in den eisernen Ring
Seiner dürren und eisernen Finger kniff.
Ein gelber Zorn zuckte in mir,
Ich stieß ihn in den Alkoven zurück,
Und mein Messer funkelte vor seinem Blick ...
Er schien in dieser Sekunde mir
All meine Ahnen in sich zu vereinen,
So riesenhaft war er, so toll seine Größe.
Vergebens sucht ich die Brust ihm mit meinen
Händen zu fassen. Er wich meinen Stößen
Immer noch aus, ergriff meinen Nacken
Und riß mir blutige Nägelzeichen.
Ich suchte ihn immer wieder zu packen
Und hinzuschleudern. Mit zähem Geschick
Gelang es noch einmal ihm, mir zu entweichen,
Dann standen wir beide Blick in Blick
Gegenüber,
Heiß und glühend, stolz und erbost,
Und dann mit einem einzigen Stoß
Stieß ich ihn nieder ...
– Nun habt ihr mein Verbrechen erfahren,
Seine Verworfenheit und seine Niedertracht,
Ich beichtet es so, wie ich nun vor zehn Jahren
Es an jenem grausen Abend vollbracht.

Der Prior aufstehend.
Ob es auch schändlich ist, von Vaterblut gerötet,
Es wird erstickt von unsern Klostermauern!
Ihr habt das Unkraut Eures Herzens ausgejätet
Und reingebrannt im goldnen Feuer Eurer Buße.
Seid nicht verzagt mehr! Endet Euer Trauern!
Nun werden wir gemeinsam über dies Verbrechen tagen.
Mein Sohn, antwortet den an Euch gestellten Fragen!

Schweigen.

Ein Mönch zu Balthasar.
War Euer blutiger Haß irgendwie begründet?

Dom Balthasar
Mein Vater war sehr streng, und ich war unberechenbar. Er war ein Hindernis für meine Gelüste, und ich begehrte sein Geld.

Ein anderer Mönch
Habt Ihr Euch lange mit der Absicht Eures Verbrechens getragen?

Dom Balthasar
Zu lange, als daß ich mich dessen nicht anschuldigen müßte.

Der Prior unterbrechend.
Der Mord geschah plötzlich und in einer heftigen Aufwallung. Es war unmöglich, daß Ihr ihn langer Hand vorbereitet habt. Ihr übertreibt Euer Verbrechen!

Dom Balthasar
Meine Schande, meine Reue reichen weit über meine Sünde hinaus.

Ein Mönch
Wenn unsere Überlegung Euch auch verdammen muß, so rechtfertigt Euch doch unser Gefühl. Euer Beispiel ist von wahrhaft christlicher Erhabenheit!

Isebald aufstehend.
Von christlicher Erhabenheit? Es genügt also zu morden, um als Vorbild zu glänzen?

Dom Militien
Dom Balthasars Beichte ist schlicht und groß.
Hätte dereinst, als der Glaube noch galt,
Ein sündiger Mönch mit solcher Gewalt
Um seine Buße zu Gott gerungen,
So hätten die Brüder ihrer Augen Licht
Als heilig erachtet, und dieses nur, bloß
Weil sie sahen, wie von Feuer umschlungen
Eine Sünde begnadet zum Himmel fuhr.

Isebald
Sprecht nicht von Gnade, sprecht jetzt von der Sünde nur!

Dom Militien
Wahrhaftig, hört man Euch, so scheint es fast,
Als sei die Pflicht steter Barmherzigkeit Euch eine Last.
Kraß klingt aus Euren Worten Unerbittlichkeit,
Und Euer Herz schließt heute Gott nicht ein.
Ihr zeigt Euch feindlich, hart, wollt Eurem armen
Gequälten Bruder seine alte Sünde nicht verzeihn.
Hart seid Ihr, hart! Ihr weist den fremden Gast,
Der nachts um Einlaß pocht, schroff von der Seele Tür!

Isebald auf Dom Balthasar deutend.
Er ist der Sünder doch! Was rechtet Ihr mit mir?

Theodul
Man wird ganz unsicher gegenüber einer solchen Tiefe
der Qual und Verwirrung.

Dom Militien
Jede irdische Missetat
Wird Probe, wird Kampf, sobald die Erleuchtung,
Die Paulus einst zum Apostel gewandelt,
Den Schuldigen heimsucht und mahnend durchdringt.
Ihr vergeßt die Mirakel, Ihr urteilt und handelt
Nur nach den Formeln der irdischen Maße,
Doch Eure Worte und Werke vergaßen
Die Glut und die Kraft, die einstens die Klöster erfüllt.
Das Haus des Heilands, es verliert den Sinn,
Sobald nicht mehr der heldenhafte Mut darin
Als höchste Regel gleich für Gut und Böses gilt.
Dom Balthasar büßte die Schuld: seither
Steht er noch höher. Und je größer sein Fehler war,
Desto größer ward durch seine Demut er.
Keiner von uns hätt so den Tod bestanden,
Keiner so viel Versuchung auf dem Weg zu weichen.
Die heil'ge Tat der Buße grub den Schein
Des Heldentums in seine Augen ein.
Gott ließ sein Verbrechen nur darum geschehn,
Daß an seiner Entsühnung wir klar die Zeichen
Seiner einstigen hohen Bestimmung sehn.

Isebald
Das ist toll! Das ist zu toll! Niemals ward eine Sünde so aufgebläht. Dom Balthasar ist nichts als ein Verbrecher! Blut klebt an seinen Händen, und wir verleugnen ihn!

Ein Mönch
Ein Aussätziger ist er!

Ein Anderer
Unmöglich eine Andacht mit ihm vor dem gleichen Altare!

Ein Anderer
Seine Augen sind beschmutzt von Mord!

Ein Anderer
Soll man Mitleid haben mit einem Geständnis, das zur Hälfte aus Stolz, aus Hochmut abgelegt wird?

Theodul nachdenklich.
Christus wird bei seinem Gericht dies Verbrechen mit Schauern verwerfen.

Der Prior aufrecht.
Ruhe! Ihr richtet nicht mehr ein Gewissen, ihr wendet euch gegen den Menschen selbst! Diese Beichte, die ich für würdig und nutzbringend erachtete, verlockt euch zu Ausbrüchen des Hasses und Zankes. Dom Balthasar hat durch seine Geduld und seine Demut mehr als Vergebung verdient. Ihr habt einzig sein Vergehen zu untersuchen, nur dies und sonst nichts!

Thomas
Wurde Euer Verbrechen ruchbar, mein Bruder?

Der Prior
Wir haben nur die Sünde zu beurteilen. Die Tat selbst gehört der irdischen Gerechtigkeit an.

Thomas sehr ruhig.
Wurde Eure Sünde bekannt, mein Bruder?

Dom Balthasar
Ich entging dem Verdacht. Ein Landstreicher wurde an meiner Stelle bestraft. Ich beging die Schändlichkeit, bei seiner Hinrichtung anwesend zu sein und mich nicht anzugeben.

Der Prior
Ob die Richter sich täuschten, das ist nicht unsere Sache. Unsere Gerechtigkeit ist nicht die ihre.

Isebald
Dennoch tut es not, das Verbrechen in seinem ganzen Umfange zu kennen.

Der Prior
Die Strafe folgte ihm, es hat daran nicht mehr teil.

Isebald
Was gibt es dann also hier noch zu sühnen?

Der Prior
Das habe ich zu entscheiden!

Isebald
Wozu uns andere dann zusammenberufen?

Der Prior
Um euch an einem erlauchten Exempel
Zu erleuchten und zu zeigen, wie eine Seele ist,
Darin noch der Christ
Lebt und leidet wie in seinem Tempel.

Dom Marc ekstatisch.
Man muß nur beten ... nur beten ... immer beten ...

Dom Militien
Unser Bruder war ein Märtyrer ...

Isebald
Ein Mörder! Ein Mörder, sag ich, nichts als ein Mörder!

Ein Mönch gegen den Prior.
Einige unter uns haben das Unterfangen, Dom Balthasar um seines Verbrechens willen noch rühmen und erhöhen zu wollen. Unser Prior ist selber ihr Opfer ...

Der Prior plötzlich hochaufgerichtet.
Schweigt alle! Noch bin ich allein der Herr hier innen,
Und bis zu dem Tage,
Da sie meinen Leib in den Leichenlinnen
Zur Ruhe unter dies Kreuz hier tragen,

Er zeigt auf das Kruzifix an der Wand.

Das ich zum Führer und zum Schutz erwählte,
Hat euch mein Wort als wahr und als Gebot zu gelten!

Schweigen.

Ich bezeuge hier an Gottes Statt,
Daß Dom Balthasar durch den reuigen Willen
Und bittere Tränen sein ziemend Teil
Am himmlischen Heil
Für alle Zeit sich erworben hat.
Daß nur aus einer maßlosen Fülle
Von Demut er euch sich zu Füßen warf,
Denn vor Christus bedarf
Er längst nicht mehr dieser schmerzhaften Probe. –
Doch keiner von euch stand auf, ihn zu loben,
Mit sicherm Bewußtsein für alle zu reden:
– »Was für traurige Christen sind wir, vergleichen
Wir unsere Seelen, die schlaffen und weichen,
Mit diesem gotttrunkenen Überschwang.«
Und ich bezeuge zugleich,
Daß euer Herz bitter und gelb ist von Galle,
Daß in euch allen
Unruh heimtückisch murmelt und schleicht.
Euer Benehmen war niedrig, war eine Schande,
Und mein horchendes Ohr hat wohl verstanden,
Wie ihr heimlich euch sammelt und grollt,
Wie ihr die Achtung, die ihr mir schuldet,
Gehorsam und Zucht, mir verweigern wollt!

Schweigen.

Glaubt ihr wohl gar, ihr werdet dieserart,
Durch unterirdisches Murren und Empören
Meine Kraft aus Eisen und Stein zerstören,
Auslöschen, was von Gott euch vorgeschrieben ward?
Sprecht!

Er sieht um sich. Schweigen. Keiner rührt sich.

Ich schwöre euch bei Jesus Christ,
Die Macht in meinen Händen bleibt aufrecht,
Und eisern soll sie euch wie immer niederhalten
Bis zu dem Tage, der mein letzter ist!
Fest soll sie bleiben, wie in Erz gegründet,
Damit mein Erbe sie in ihrer alten
Gewalt und Würde nach mir wiederfindet.

Thomas
Ich will, daß Ihr wißt,
Daß diese Eure Meinung auch die meine ist.

Der Prior
Das ist mir gleichgültig. Genug, wenn es die Gottes ist.

Ein langes Schweigen, der Prior beruhigt sich nach und nach und fährt fort.

Und nun geht auseinander! Ihr besitzt nicht genug Ruhe und klare Barmherzigkeit, um euren Bruder zu verstehen und zu richten.

Zu Dom Balthasar.

Dom Balthasar, die Sitte dieses Klosters erheischt es, daß ich, der ich dieser Versammlung vorstand, Euch die Buße bestimme. Ihr werdet einen Monat lang auf hartem Lager schlafen. Ihr werdet allmitternachts die Psalmen sagen. Ihr werdet während dreier Tage dem Altare nicht nahen dürfen und dem Gottesdienste nur vom Chore aus, hinter dem Verschlage, beiwohnen dürfen. Erfüllt diese Gebote und geht in Frieden!


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