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Während der Reise habe ich ebenso viel an Dich wie an das neue Land gedacht, das ich durchfuhr, und dabei sagte ich mir, dass Du vielleicht später auch oft hierher kommen wirst. Es scheint mir beinahe unmöglich, in Paris zu arbeiten, wenn man nicht wenigstens einen Zufluchtsort hat, um sich zu erholen, um seine Ruhe und sein Selbstgefühl wieder zu gewinnen, sonst muss man ja vollständig abgestumpft werden.
Ehe ich nach Tarascon kam, fiel mir eine prachtvolle Landschaft auf: mächtige gelbe Felsen von merkwürdig komplizierten Linien und imposanten Formen; in den engen von ihnen gebildeten Thälern standen kleine runde Bäume in Reih und Glied, deren graugrünes Laub Zitronenbäume vermuten liess.
Hier in Arles hat der Erdboden ein prachtvolles Rot und ist mit Weingärten bepflanzt. Berg-Hintergründe von feinstem Lila, und manche Landstriche unter dem Schnee mit weissen Gipfeln gegen einen ebenso leuchtenden Himmel wie der Schnee selbst, sahen wie die Winterlandschaften der Japaner aus.
Vorläufig finde ich das Leben hier noch nicht so billig wie ich es hoffte; aber – ich habe drei Studien fertig, was doch in Paris in diesen Tagen wahrscheinlich unmöglich wäre.
Ich hatte gehofft, ein schönes Blau malen zu können und ich verzweifle auch noch nicht daran, da man in Marseille die Rohmaterialien sicher aus erster Hand beziehen kann; ich möchte solch Blau herausbekommen wie Ziem es malt, das fester und entschiedener wie bei den Anderen ist.
Die Studien, die ich habe, sind: eine alte Frau aus Arles, eine Schneelandschaft, ein Stück Strasse mit einem Schlächterladen. – Die Frauen hier sind wirklich schön, das ist nun mal keine Aufschneiderei. Dagegen ist das Museum von Arles scheusslich und eine derartige blague, dass es eigentlich nach Tarascon gehörte. Ich habe auch ein Museum mit Altertümern gesehen, die sind echt.
Wegen der Ausstellung der Independants gebe ich Dir vollkommen freie Hand. Was meinst Du dazu, die beiden grossen Landschaften von der butte Montmartre auszustellen? Mir ist es ziemlich gleichgültig; ich rechne mehr auf die diesjährige Arbeit.
Hier friert es fest und auf dem freien Lande liegt dauernd Schnee. Ich habe eine Studie von dem beschneiten Lande mit der Stadt im Hintergrunde gemalt. Dann noch zwei kleine Studien eines Mandelbaumzweiges, der trotz des Winterwetters schon in Blüte ist.
Endlich, endlich hat das Wetter heute früh umgeschlagen und es ist milde geworden. Ich habe nun also Gelegenheit gehabt zu erfahren, was hier ein richtiger Nordwind ist. Ich habe auch schon verschiedene Spaziergänge in die Umgegend gemacht; aber immer war es bei dem Wind unmöglich, irgend etwas zu malen. Der Himmel war hartblau mit einer grossen strahlenden Sonne, die beinahe allen Schnee hinweggeschmolzen hat; aber der Wind war so schneidend und trocken, dass man eine Gänsehaut bekam. Aber schöne Sachen habe ich gesehen: die Ruine einer Abtei auf einem Hügel, der mit Stechpalme, Pinien und grauen Olivenbäumen bewachsen ist. Das wollen wir mal binnen kurzem in Angriff nehmen, hoffe ich.
Für Gauguin – wie für viele von uns und sicherlich für uns selbst – ist die Zukunft noch recht schwer. Ich glaube fest an den endlichen Sieg; aber werden die Künstler selbst sich noch daran erfreuen können und frohere Tage sehen?
Der arme G. hat kein Glück; bei ihm wird die Rekonvaleszenz noch länger dauern als die vierzehn Tage Bettlägerigkeit, fürchte ich. Wann wird man eine Künstlergeneration mit gesundem Körper sehen! Zeitweise bin ich wirklich wütend gegen mich selbst, denn es nutzt Einem doch nichts, nicht kränker oder gesünder als die Anderen zu sein; das Ideal wäre, ein Temperament zu haben, stark genug, um achtzig Jahre alt zu werden und dazu gesundes Blut. Und doch würde man sich auch ohne all dies trösten, wenn man sicher wäre, dass eine glücklichere Generation von Künstlern nach uns käme.
Um wieder einmal von der Arbeit zu reden, habe ich heute ein Bild, Leinwand-Grösse 15, nach Haus gebracht: es ist eine Zugbrücke, über die ein Wägelchen fährt, das sich gegen den blauen Himmel abzeichnet; der Fluss ist gleichfalls blau, die Böschungen orange, mit Grün bewachsen; eine Gruppe Wäscherinnen mit bunten Miedern und Mützen. Dann noch eine andere Landschaft mit einer kleinen ländlichen Brücke und ebenfalls mit Wäscherinnen. Ausserdem eine Platanen-Allee nahe am Bahnhof. Im Ganzen, seit ich hier bin, 12 Studien.
Weisst Du, lieber Bruder, mir ist, als lebte ich in Japan. Mehr sage ich Dir nicht, und noch habe ich nichts in seiner gewohnten Herrlichkeit gesehen. Und wenn ich auch traurig bin, dass die Ausgaben gross sind und die Bilder nichts taugen, verzweifle ich nicht, denn ich bin sicher, dass meine lange Reise nach dem Süden Erfolg haben wird. Hier sehe ich Neues, ich lerne, und mein Körper, wenn ich ihn mit etwas Sanftmut behandle, lässt mich nicht im Stich. Aus vielen Gründen wünsche ich ein pied-à-terre zu gründen, das im Falle gründlicher Ermattung dazu dienen könnte, solche armen Pariser Droschkengäule auf die Weide zu führen, wie du selbst einer bist und noch so mancher arme Freund unter den Impressionisten.
Ich habe meine drei letzten Studien mit Hülfe des Quadratnetzes gemalt, das ich, wie Du weisst, öfters verwende. Ich lege darauf Wert, da es mir nicht unwahrscheinlich dünkt, dass über kurz oder lang mehr Künstler sich dessen bedienen werden, ebenso wie die alten deutschen, italienischen und, wie ich glaube, auch die flämischen Maler. Die moderne Anwendung kann von der alten abweichen, aber ist es nicht ebenso mit dem Verfahren der Ölmalerei: man erzielt heutzutage ganz andere Effekte damit, als damals die Erfinder der Technik, J. und H. van Eyck. – Dies um Dir zu sagen, dass ich immer selbständig für mich allein arbeiten werde. Ich glaube an die absolute Notwendigkeit einer neuen Kunst der Farbe und der Zeichnung, sowie des ganzen künstlerischen Lebens. Und wenn wir in diesem festen Glauben arbeiten, können wir wohl darauf hoffen, dass er nicht getäuscht wird.
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Ich habe ein paar Zeilen von G. erhalten, der sich über das schlechte Wetter beklagt, noch immer krank ist und sagt, dass unter allen Widerwärtigkeiten des Lebens nichts ihn so quält wie der Geldmangel: und doch sieht er sich zu einer ewigen Geldklemme verdammt.
All diese letzten Tage Regen und Wind. Ich habe zu Hause an der Studie gearbeitet, von der ich in dem Briefe an Bernard eine Skizze gemacht habe. Ich wollte es dahin bringen, Farben wie auf gemalten Fenstern und die Zeichnung in festen Strichen zu machen.
Bin dabei, »Pierre und Jean« von Guy de Maupassant zu lesen. Es ist sehr schön. Hast Du das Vorwort dazu gelesen, worin er die Freiheit des Künstlers erklärt zu übertreiben und eine schönere, einfachere, tröstlichere Natur im Roman zu erschaffen? Dann, was vielleicht Flaubert mit dem Wort sagen wollte: »das Talent ist eine lange Geduldprobe« und die Originalität ein Akt der Willenskraft und der intensivsten Beobachtung.
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Hier ist ein Portal, das ich allmählich wunderschön finde, das Portal von Saint-Trophime; aber es ist so grausam, so ungeheuerlich, wie ein beängstigendes, fratzenhaftes Traumgesicht, sodass selbst dieses schöne Monument von so grossem Styl mir wie zu einer anderen Welt gehörig erscheint, und ich ebenso froh bin, nicht zu ihr zu gehören wie zur glorreichen Welt des Römers Nero.
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Soll ich die Wahrheit gestehen und hinzufügen, dass die Zuaven, die Bordelle, die entzückenden kleinen Arlesierinnen, die zu ihrer Einsegnung gehen, die Priester in ihren Chorgewändern, in denen sie wie gefährliche vorsintflutliche Tiere aussehen, die Absynthtrinker mir auch wie Wesen einer anderen Welt vorkommen? Dies alles nicht um zu sagen, dass ich mich im Kunstleben mehr zu Hause fühlen würde, sondern dass ich lieber darüber spotte, als mich einsam zu fühlen, weil es mir vorkommt, als ob ich traurig sein würde, wenn ich mich nicht durch die blague davon befreien würde.
Ich habe des Abends immer Gesellschaft, da der junge, dänische Maler, der hier ist, ein sehr angenehmer Mensch ist; seine Arbeiten sind trocken, korrekt und schüchtern, in meinen Augen ist das aber kein schlimmer Fehler, wenn der Künstler jung und intelligent ist. Er hatte mit dem Studium der Medizin angefangen, kennt die Bücher von Zola, Goncourt und Guy de Maupassant und hat genug Geld, um sich das Leben angenehm machen zu können. Ausserdem, den sehr ernsten Wunsch einmal besseres leisten zu können, als er augenblicklich macht. Ich glaube, er thäte wohl daran, die Rückkehr in sein Vaterland um ein Jahr zu verschieben oder nach einem kurzen Besuch in seiner Heimat hierher zurückzukommen.
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Wir müssen nun doch einmal sehen, was es eigentlich mit diesem famosen M. T. für eine Bewandtnis hat. Er muss sich doch nun endlich einmal deutlich aussprechen, im Interesse der Kameraden. Wie mir scheint, sind wir doch auch ein wenig dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass man uns nicht als Tote ansieht. Es handelt sich nicht um uns, sondern um die gemeinsame Sache der Impressionisten. Also – da er durch uns interpelliert worden ist – schuldet er uns eine Antwort. Du wirst, ebenso wie ich fühlen, dass wir nicht vorwärts kommen können, ehe wir einen kategorischen Bescheid über seine Absichten haben. Wenn wir die Gründung einer permanenten Impressionisten-Ausstellung in London und in Marseille für wünschenswert halten, so ist es selbstverständlich, dass wir unser Möglichstes thun werden, sie ins Leben zu rufen. Nun handelt es sich darum, zu erfahren, ob T. dabei sein wird oder nicht. Und hat er, wie wir, mit der Möglichkeit einer Baisse auf die Bilder gerechnet, die momentan in hohem Preise stehen und welche meiner Ansicht nach höchst wahrscheinlich ist, sowie die Hausse für die Impressionisten eintritt? Du musst bemerken, dass die Verkäufer von teuren Bildern sich selbst zu Grunde richten, indem sie sich aus Politik dem Siegeslauf einer Schule widersetzen, die sich seit Jahren durch ihre Energie und Ausdauer der Millet, Daubigny etc. würdig gezeigt hat.
Ich habe soeben eine Gruppe blühender Aprikosenbäume in einem kleinen frischgrünen Obstgarten gemalt. Mit dem Sonnen-Untergang mit Figuren und der Brücke, von dem ich Bernard berichtete, habe ich rechten Ärger gehabt. Das schlechte Wetter hinderte mich, das Bild an Ort und Stelle zu beendigen und als ich es nun bei mir zu Haus fertig malen wollte, habe ich die Studie komplett verdorben. Ich habe sofort dasselbe Motiv auf einer anderen Leinwand nochmals angefangen, aber das Wetter war ganz anders, Alles in grauen Tönen.
Tausend Dank für all Deine Schritte bei den Independants – aber – obgleich es diesmal absolut nichts schadet – in der Folge musst Du meinen Namen in den Katalog ebenso setzen, wie ich meine Bilder zeichne, nämlich Vincent und nicht van Gogh, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil man unseren Familiennamen hier überhaupt nicht aussprechen kann. Anbei die Briefe von T. und von R.; vielleicht wäre es interessant, die Korrespondenz der Künstler für später einmal aufzubewahren. Es wäre vielleicht nicht übel, wenn Du Deiner Sendung den kleinen Kopf der Bretagnerin von B. beifügtest. Man muss zeigen, dass alle Impressionisten gut und ihre Arbeiten sehr vielseitig sind.
Ich schreibe Dir ein paar Worte, um Dir zu erzählen, dass ich bei dem Herrn war, den der Jude in Tartarin den »zouge de paix« nennt. 12 Francs habe ich wenigstens gerettet, und mein Vermieter erhielt einen Verweis, weil er meinen Koffer mit Beschlag belegt hatte, trotzdem ich die Zahlung nicht verweigert habe. Es wäre sehr nachteilig für mich gewesen, wenn der andere Recht bekommen hätte, denn er hätte sicherlich überall erzählt, dass ich nicht zahlen konnte oder wollte, und dass er genötigt war, meinen Koffer zu behalten. Jetzt, indessen, als wir zusammen fortgingen, sagte er, alles wäre nur im Ärger geschehen und er hätte nicht die Absicht, mich zu beleidigen. Natürlich war gerade dies seine Absicht gewesen, da er bemerkt hatte, dass ich genug von seiner Bude hatte und keinesfalls länger bleiben wollte. Um die mir thatsächlich zukommende Preisermässigung zu erlangen, hätte ich wahrscheinlich weit mehr reklamieren müssen. Du kannst Dir denken, wenn ich mir vom ersten besten alles bieten lassen würde, dass ich bald ganz ausgeplündert wäre.
Ich mache mir immer Vorwürfe, dass meine Malerei nicht soviel einbringt als sie kostet und doch muss man arbeiten. Du musst aber wissen: wenn jemals die Verhältnisse es nötig machten, dass ich Kaufmann werde, und Du dadurch weniger Sorgen hättest, würde ich es ohne Bedauern thun.
*
Es ist seltsam: an einem der letzten Abende in Moul-Majour, habe ich einen roten Sonnen-Untergang gesehen; die Stämme und Nadeln der Fichten, die in einem Haufen Felsen wurzelten, waren grell beleuchtet. Die Strahlen färbten Stämme und Nadeln in einem orangegelben Feuer, während andere Pinien, die weiter zurück standen, sich in Preussisch-Blau absetzten gegen einen hellblau-grünen Himmel. Das ist doch genau der Effekt wie bei dem Claude Monet, von dem Du mir sprachst. Es war einfach herrlich. Der weisse Sand und die Schichten von weissen Felsen unter den Bäumen nahmen bläuliche Färbungen an. Gern würde ich das Panorama malen, von dem Du die ersten Zeichnungen hast. Das hat eine Weite! – und das wird etwa nicht im Hintergrunde grau, das bleibt bis zur letzten Linie grün.
Ich hatte eine Leinwand im Freien gemalt, in einem Obstgarten, bebauter lila Boden, eine Einfriedigung aus Rohr, zwei rosa Pfirsichbäume gegen einen strahlenden blauen und weissen Himmel, wahrscheinlich meine beste Landschaft; den Augenblick, als ich sie zu mir nach Haus bringe, schickt mir unsere Schwester eine holländische Gedenkschrift an Mauve (das Porträt sehr gut, hübsche Radierung, Text schlecht). Ich weiss selbst nicht, was mich erschüttert und mir die Kehle zugepresst hat, aber ich habe auf mein Bild geschrieben: Ein Gedenken für Mauve: Vincent und Théo. Und wenn Du es auch gut findest, schicke es, wie es da ist, an Madame Mauve. Ich habe gerade die beste Studie genommen, die ich hier zustande gebracht habe; wer weiss, was sie bei uns darüber sagen, das ist uns gleichgültig. Ich hatte das Gefühl, dass für Mauves Andenken etwas Heiteres und Zartes richtig sei, und nicht eine schwerfällige, ernste Studie.
Ne crois pas que les morts soient morts,
Tant qu'il y aura des vivants
Les morts vivront, les morts vivront.
So fühle ich die Sache und nicht trauriger.
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Ich bin in einer Arbeitswut, da die Bäume in der Blüte sind und ich einen Obstgarten in der Provence in seiner grenzenlosen Heiterkeit malen wollte. Dabei mit ruhigem Kopf schreiben, ist also keine Kleinigkeit. Gestern z. B. habe ich Briefe geschrieben, die ich nachher zerrissen habe. Jeden Tag fühle ich mehr, dass wir in Holland etwas thun müssen, und zwar muss man die Sache mit der grössten Verve anfassen und mit einer französischen Heiterkeit, die der Sache würdig ist, für die wir plädieren. Das ist also ein Angriffsplan, der uns die besten Bilder, die wir miteinander fabriziert haben, kostet, die sicherlich einige Tausendfrankbilletts wert sind oder uns wenigstens Geld und einen gehörigen Fetzen unserer Gesundheit gekostet haben. – Das wäre eine klare und laute Antwort auf allerlei leise Andeutungen, als ob wir schon halb und halb tot wären und eine Revanche für Deine vorjährige Reise, den kühlen Empfang etc. – Na, genug davon. Also nehmen wir an, wir geben an Jet Mauve das Andenken an Mauve, an Breitner eine Studie (ich habe gerade eine, die der ähnlich ist, welche ich mit R. und Pissarro ausgetauscht habe, Apfelsinen, auf weissem Grund, blauem Hintergrund), dann einige Studien für unsere Schwester und an das moderne Museum im Haag (da uns so viele Erinnerungen damit verknüpfen) die beiden Montmartre-Landschaften, die bei den »Indépendants« ausgestellt sind. Nun bleibt noch eine unbequeme Sache. Als T. geschrieben hatte: Schicke mir Impressionisten-Bilder, aber nur solche, die Du sehr gut findest, fügtest Du der Sendung ein Bild von mir bei. Und nun bin ich in der verteufelten Lage, T. davon zu überzeugen, dass ich ein wirklicher Impressionist des »petit boulevard« bin und bleiben will. Also vielleicht muss ich ihm auch ein Bild für seine Sammlung geben. Ich habe in den letzten Tagen nachgedacht und etwas so Amüsantes gefunden, wie ich es nicht jeden Tag mache: es ist die Zugbrücke mit einem kleinen gelben Wagen darauf und einer Gruppe Wäscherinnen. Auf dieser Studie ist der Boden grell orange, das Gras sehr grün, Himmel und Wasser blau. Dazu gehört ein Rahmen in Königsblau und Gold, innen blau, aussen eine Goldleiste; eventuell könnte der Rahmen aus blauem Plüsch sein, aber besser wäre, das Holz blau zu streichen. – Ich komme noch nicht mit einem ruhigen Brief zustande, die Arbeit absorbiert mich zu sehr, aber hauptsächlich wollte ich Dir sagen, dass ich einige Studien für Holland machen möchte, um dann mit Holland fertig zu sein. Ich habe mich in diesen Tagen, als ich an Mauve, T., an unsere Mutter und an Wil dachte, stärker aufgeregt als es richtig ist, und es beruhigt mich der Gedanke, einige Bilder für dort zu malen. Danach werde ich sie vergessen und wahrscheinlich nur an den »petit boulevard« denken.
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Bin wieder mitten in neuer Arbeit, immer wieder Obstgärten in Blüte.
Die Luft hier thut mir entschieden gut, ich wünschte, Du könntest sie mit vollen Lungen atmen; eine ihrer Wirkungen ist sehr merkwürdig: ein kleines Glas Kognak macht mich hier betrunken. Da ich hier nicht das Bedürfnis nach solchen Reizmitteln habe, um das Blut in Bewegung zu bringen, wird die Konstitution sich weniger abnützen.
Ich hoffe, in diesem Jahre wirkliche Fortschritte zu machen; die sind mir übrigens sehr nötig.
Ich habe einen neuen Obstgarten, der ebenso gut wie die rosa Pfirsichbäume ist: Aprikosenbäume von zartestem Rosa. Momentan arbeite ich an Pflaumenbäumen mit gelblichweissen Blüten und einer Menge schwarzen Zweigen.
Ich verbrauche eine Masse Leinwand und Farben, aber ich hoffe doch, das Geld wird nicht verloren sein.
Gestern habe ich einen Stierkampf mit angesehen, wo fünf Menschen das Tier mit Banderillas und Kokarden bearbeiteten. Ein Toreador hat sich schwer beschädigt beim Ueberspringen einer Barrikade: er war blond mit grauen Augen und sehr kaltblütig; man sagte, dass er für lange Zeit genug hätte. Er war in Hellblau und Gold gekleidet, genau so wie die drei Figuren im Walde auf unserm Bild »Le petit cavalier« von Monticelli. Die Arena ist wunderschön, wenn sie dichtgedrängt voll Menschen im vollen Sonnenschein ist.
Der Monat wird hart für Dich und mich sein; und doch, wenn es irgend zu ermöglichen ist, ist es zu unserem Vorteil, soviel blühende Obstgärten zu malen wie möglich. Ich bin jetzt gut im Zuge, und ich muss noch, glaube ich, zehnmal dasselbe Motiv malen. Du weisst, ich liebe die Abwechslung bei meiner Arbeit, die Leidenschaft, Obstgärten zu malen, wird auch nicht ewig dauern. Nachher kommen vielleicht die Arenen heran. Dann habe ich kolossal viel zu zeichnen, denn ich möchte gern Zeichnungen in der Art von japanischem Krepp machen. Ich muss eben das Eisen schmieden, so lange es heiss ist und ich werde nach den Obstgärten total erschöpft sein, denn es sind Bilder von 25, 30 und 20. Wir hätten mit der doppelten Anzahl auch nicht zuviel, denn es will mir scheinen, als ob diese das Eis in Holland schmelzen könnten.
Der Tod von Mauve war ein harter Schlag für mich und Du wirst merken, dass die rosa Pfirsichbäume in einer gewissen Aufregung gemalt sind.
Ich muss auch eine Sternennacht malen, mit Zypressen oder vielleicht über einem reifen Getreidefeld. Es giebt hier wundervolle Nächte. Ich habe ein andauerndes Arbeitsfieber. Ich werde sehr froh sein, am Ende des Jahres das Resultat zu sehen. Ich hoffe, dass ich dann weniger von einem gewissen Missbehagen gequält sein werde. Jetzt leide ich an manchen Tagen noch sehr, aber das beunruhigt mich nicht die Spur, denn es ist eben einfach die Reaktion nach dem verflossenen Winter, der doch nicht normal war. Das Blut ersetzt sich und das ist die Hauptsache.
Ich muss dahin gelangen, dass meine Bilder das wert sind, was ich dafür ausgebe, oder eigentlich mehr, wegen der früheren grossen Ausgaben. Na, auch dahin werden wir kommen, wenn auch nicht alles gelingt, schreitet doch die Arbeit vorwärts.
Ich glaube schon, dass das, was K. sagt, richtig ist: dass ich den Valeurs nicht genug Beachtung geschenkt habe: aber später wird das noch ganz anders werden, wenn wir sagen werden – was nicht weniger wahr ist. Unmöglich, Valeurs und Farben gleiche Bedeutung zu geben. Théod. Rousseau hat es besser verstanden als irgend einer beim Mischen der Farben: die Dunkelheit hat mit der Zeit zugenommen und seine Bilder sind jetzt nicht zu erkennen. Man kann nicht gleichzeitig am Pol und am Aequator sein: man muss seinen Weg wählen, was mir auch hoffentlich gelingt und der meine wird der Weg der Farbe sein.
Wenn Du das Bild »Andenken an Mauve« passabel findest, müsstest Du es Deiner nächsten Sendung nach dem Haag zufügen mit einem einfachen weissen Rahmen. –
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Deine muselmännische Idee, dass der Tod kommt, wenn er kommen soll, wäre näher zu beleuchten: mir scheint, wir haben keinerlei Beweis für eine so ausgesprochene Direktive aus höheren Regionen. Im Gegenteil scheint es mir, dass eine vernünftige Hygiene nicht nur das Leben verlängern kann, sondern es auch heiter und klar dahinfliessen lässt, während keine Hygiene nicht nur den Fluss des Lebens stört, sondern ihm ein vorzeitiges Ende bereiten kann. Habe ich nicht selbst mit eigenen Augen einen sehr braven Menschen sterben sehen, nur weil er keinen intelligenten Arzt hatte? Er war so klar, so ruhig bei alledem und sagte immer: »Wenn ich nur einen andern Arzt hätte!« Und er starb, indem er die Achseln zuckte mit einem Ausdruck, den ich nicht vergessen werde. Ich habe an Gauguin gedacht und mir folgendes überlegt: Wenn G. herkommen will, so kostet das seine Reise und die beiden Betten oder Matratzen, die wir unbedingt kaufen müssten. Aber da G. ein Seemann ist, könnten wir uns wahrscheinlich unser Essen selbst kochen, und für dasselbe Geld, das ich allein ausgebe, könnten wir zu Zweien leben. Du weisst, dass es mir schon immer zu unsinnig vorkam, dass Maler allein leben; man verliert immer, wenn man ganz isoliert ist. Du kannst ihm nicht das Notwendige schicken, um in der Bretagne zu leben und mir für die Provence, aber vielleicht findest Du es gut, dass wir teilen, und dann könntest Du eine Summe festsetzen (sagen wir 'mal 250 Francs), und hättest dann jeden Monat ausser meiner Arbeit einen Gauguin.
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Ich schreibe Dir in grösster Eile, um Dir mitzuteilen, dass ich soeben einige Zeilen von Gauguin erhalten habe; er hat bis jetzt vor lauter Arbeit nicht geschrieben und ist jeden Moment bereit, in den Süden zu gehen, sowie sich eine Möglichkeit dazu bietet. Sie amüsieren sich dort beim Malen und Diskutieren und im Kampfe mit den tugendhaften Engländern. Er lobt sehr Bernards Arbeiten und B. wiederum G.s Arbeiten. Ich arbeite hier so eifrig wie der Marseiller seine Bouillabaisse isst, was Dich nicht weiter wundern wird, denn es handelt sich um Sonnenblumen. Ich habe drei Bilder im Gange: 1. grosse Blumen in einer grünen Vase; 2. drei Blumen, eine im Keim, eine entblättert, die dritte in der Knospe, auf königsblauem Grund; 3. zwölf Blumen und Knospen in einer gelben Vase, letztere also hell auf hell, wird hoffentlich am besten werden. Ich werde es wahrscheinlich nicht dabei bewenden lassen. In der Erwartung, mit G. ein gemeinsames Atelier zu haben, möchte ich eine Dekoration dafür malen, nur lauter grosse Sonnenblumen. Neben Deinem Laden (Boulevard Montmartre), Du weisst schon, in dem Restaurant ist eine so schöne Blumendekoration! Ich sehe immer die grosse Sonnenblume im Schaufenster vor mir. Das Ganze soll eine Symphonie von Gelb und Blau werden. Ich arbeite jeden Morgen von Sonnenaufgang an, denn die Blumen welken schnell und das Ganze muss in einem Zuge gemacht werden. – Ich habe einen Haufen Ideen für neue Bilder. Ich habe heute dasselbe Kohlenschiff mit den Arbeitern, die es entladen, gesehen, von dem ich Dir schon sprach; ausserdem an derselben Stelle Schiffe mit Sand, von denen ich Dir eine Zeichnung geschickt habe. Das wäre ein famoses Motiv! Nur fange ich jetzt an, eine vereinfachte Technik zu suchen, die vielleicht nicht impressionistisch ist. Ich möchte so malen, dass zur Not jeder, der Augen hat, klar darin sehen könnte.
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Ich habe einen Brief von G. bekommen, der mir von Deiner Sendung von – Francs schreibt, über die er sehr gerührt war und zugleich, dass Du ihm eine Andeutung von unserm Projekt machst (den festen Vorschlag hatte er damals noch nicht erhalten). Er sagt, er hat die Erfahrung gemacht, als er mit seinem Freunde L. in Martinique war, dass sie zu zweien leichter durchgekommen sind, als jeder einzeln, und dass er vollständig überzeugt ist von den Vorteilen eines gemeinsamen Lebens. Seine körperlichen Schmerzen sind immer gleich und er scheint auch recht traurig. Er hofft 600 000 Francs zusammenzubringen, um einen Kunsthändler für die Impressionisten zu etablieren, was er Dir genauer explizieren will, auch dass er Dich an der Spitze des Unternehmens haben möchte. Es sollte mich nicht wundern, wenn dies alles nur eine Fata Morgana wäre, Luftschlösser des Hungers: je mehr man in der Klemme ist, besonders wenn man ausserdem krank ist, desto eher denkt man an dergleichen Möglichkeiten. Ich sehe also gerade in diesem Plan einen Beweis dafür, dass er niedergebrochen ist und dass man ihn möglichst schnell wieder flott machen muss. Er sagt, dass, wenn die Matrosen eine schwere Last zu heben oder einen Anker zu lichten haben, sie alle zusammen singen, um ihre Kräfte zu stärken und sich Mut zu machen, das sei gerade das, was den Künstlern fehlt! – Es würde mich also sehr wundern, wenn er nicht froh wäre herzukommen, aber die Hotel- und Reisekosten werden noch vermehrt durch die Rechnung des Arztes: es wird also schwer halten.
Wenn Du die Camargue sehen würdest und noch manche andere Orte hier, wärest Du wie ich erstaunt, dass das Land ganz im Charakter von Ruysdael ist. Ich habe ein neues Motiv in Arbeit: Felder so weit man blickt, grüne und gelbe, die ich schon zweimal gezeichnet habe und die ich nun als Bild anfange. Es ist absolut wie ein Salomon Konink, Du weisst doch, der Schüler von Rembrandt, der die ungeheuren weiten Ebenen malte, oder wie ein Michel oder Jules Dupré. Jedenfalls ist es aber etwas ganz anderes als Rosengärten. Es ist wahr, ich habe nur einen Teil der Provence studiert und es giebt hier noch eine andere Art Natur, wie z. B. Claude Monet malt. Ich bin nur neugierig, was G. thun wird; er sagt, er hat 'mal zu einer Zeit bei Durand-Ruel für 35 000 Francs Impressionisten-Bilder kaufen lassen, und hofft, dasselbe für Dich thun zu können. Meiner Meinung nach wäre für Gauguin das solideste Geschäft, seine Malerei und seine eigenen Bilder zu verkaufen.
Ich habe noch bei mir: eine Sternennacht, die Furchen, den Garten des Dichters, den Weinberg. Was? poetische Landschaften? Wir wollen auf diese Studien kein zu grosses Gewicht legen, die einem sicherlich beim Malen mehr Herzblut kosten, aber weniger verkäuflich sind. Hättest Du mir 100 Francs geschickt, so hätte ich auch das Meer in Saintes-Maries gemalt. Wir haben jetzt einen mitleidlosen Nordwind, das ist schlecht für die Arbeit, aber vor dem wirklichen Winter werden wir schönes Wetter haben und jedenfalls hoffe ich noch der Serie, die ich im Zuge habe, einiges hinzuzufügen.
Ich kann ein Bild nur im Rahmen fertig malen.
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Wir haben einen erbarmungslosen Nordwind, aber ich muss mich immer auf dem Qui vive halten, denn die Arbeit muss während der kurzen Zwischenräume gemacht werden und dann muss alles in Ordnung sein, um die Schlacht zu schlagen. Die Leinwand ist noch nicht geschickt worden und es hat die allerhöchste Eile. Bestelle doch, bitte, gleich 10 oder wenigstens 5 Meter. Es ist eilig, ich habe heute schon hier welche gekauft, um morgen oder übermorgen, je nach dem Wetter, fertig zu werden. Die Arbeit hält mich ganz gefangen und ich werde sicher nicht dabei unterliegen, wenn ich so im Zuge bleiben kann; alle diese grossen Bilder sind gut, aber anstrengend. – Anbei ein gestern geschriebener Brief; Du wirst daraus ersehen, was ich von dem Porträt von G. denke, das er mir geschickt hat; es ist zu schwarz, zu trist. Selbst so, muss ich ja sagen, liebe ich es, aber er wird sich verändern und muss herkommen. Man darf eben nicht mit Preussisch-Blau in Fleisch hineinzeichnen; dann hört es auf Fleisch zu sein und wird Holz. Ich denke und hoffe aber, dass die anderen bretonischen Bilder in der Farbe besser sind als dieses Porträt, das schliesslich in der Eile gemalt ist.
Glaub' mir, ich übertreibe weder in betreff G.s noch seines Porträts. Er muss essen, mit mir spazieren gehen, unser Haus sehen wie es ist und dabei helfen und sich, mit einem Wort, gründlich zerstreuen. Er hat billig gelebt, das ist wahr, aber ist dabei so krank geworden, dass er nicht mehr einen heiteren von einem düsteren Ton unterscheiden kann. Na, und das ist doch ein wahrer Jammer und es ist hohe Zeit, dass er herkommt, wo er schnell gesund werden wird. Entschuldige, wenn ich inzwischen mein Budget überschreite, ich werde desto mehr arbeiten. – Ich war seit Donnerstag derart in der Klemme, dass ich von Donnerstag bis Montag nur zwei richtige Mahlzeiten genossen habe. Ausserdem hatte ich nur Brot und Kaffee und den musste ich auch auf Kredit trinken und ihn heute bezahlen. Also, wenn Du kannst, schicke mir recht bald etwas.
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Diesmal ist es mir recht schwer geworden, mein Geld war am Donnerstag zu Ende und bis Montag Mittag war es verteufelt lange. Ich habe hauptsächlich in diesen 4 Tagen von 28 Kaffees gelebt und das Brot dazu ist noch nicht bezahlt. Das ist nicht Deine Schuld, sondern mein Fehler, wenn man dabei von Schuld sprechen kann. Denn ich war in einer wahnsinnigen Aufregung, meine Bilder in Rahmen zu sehen, und hatte für mein Budget etwas zuviel bestellt, besonders da die Monatsmiete und die Aufwärterin bezahlt werden müssten. Mir wäre es schon gleich, lieber Bruder, aber ich fühle, wie auch Du unter dem Druck leiden musst, den die Arbeit auf uns ausübt, nur tröste ich mich damit, dass Du mir recht geben würdest, alle Minen springen zu lassen, so lange es schönes Wetter ist, was übrigens die letzten Tage nicht der Fall war, ein erbarmungsloser Nordwind, der die welken Blätter wütend vor sich herjagt. Aber hierzwischen und dem Winter werden noch die schönsten Tage und prächtigsten Beleuchtungen kommen, und dann muss man noch einmal mit voller Kraft an die Arbeit gehen. Ich bin so mitten im Malen, dass ich gar nicht ganz plötzlich innehalten könnte.
Weisst Du, was mir für meine Woche übrig bleibt und das nach 4 Tagen strengem Fasten? Gerade 6 Francs. Mittags habe ich gegessen, heute Abend schon giebt's nur eine Brotrinde. Und das ganze Geld geht ins Haus und in die Bilder.
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Man muss nicht das Hauptgewicht auf die Studien legen, welche einen entsetzlich quälen und die dabei weniger gefällig sind als die Bilder, die das Resultat und die Frucht davon sind und welche man wie im Traume malt, – ohne so dabei zu leiden. Anbei ein Brief, den ich dieser Tage über G.s Porträt schrieb. Ich habe keine Zeit, ihn umzuschreiben; aber ich lege das Hauptgewicht auf folgendes: Ich liebe nicht diese Hässlichkeiten in unseren Arbeiten, ausser insoweit, dass sie uns den Weg weisen. Unsere Pflicht ist aber, dass wir sie selbst nicht dulden dürfen, noch viel weniger aber sie anderen zumuten. – Auch schicke ich Dir hierbei den Brief von G.; glücklicherweise wird er wieder gesund. Ich glaube, es wäre für mich eine riesige Veränderung, wenn G. hier wäre, denn die Tage vergehen jetzt, ohne dass ich mit einer Menschenseele ein Wort rede. Jedenfalls hat mir sein Brief grosse Freude gemacht. Wenn man zu lange allein auf dem Lande ist, verbauert man, und wenn auch jetzt noch nicht, so könnte ich doch im Winter dadurch unproduktiv werden. Diese Gefahr wäre vorbei, wenn er käme, denn an Ideen wird's uns nicht fehlen. Wenn die Arbeit vorwärts geht und der Mut nicht sinkt, ist in Zukunft auf eine Reihe interessanter Jahre zu rechnen.
Augenblicklich habe ich eine Ausstellung bei mir, indem ich alle Studien aus den Rahmen genommen und sie an die Wand genagelt habe zum Trocknen. Du wirst sehen, wenn ich erst eine ganze Anzahl davon habe und man darunter eine Auswahl trifft, es auf dasselbe herauskommt, als wenn ich sie mehr studiert und durchgearbeitet hätte; denn ob man schliesslich dasselbe Sujet so und so oft auf einer oder auf mehreren Leinwänden malt, ist gleich ernsthafte Arbeit.
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Also, unser Onkel hat nun ausgelitten; heute Morgen schrieb es mir unsere Schwester. Man scheint Dich zum Begräbnis erwartet zu haben und wahrscheinlich warst Du wohl auch dort. Kurz ist das Leben und vergeht wie Rauch! Das ist aber kein Grund, um die Lebenden zu verachten. Und wir haben doch recht, uns mehr an die Künstler als an die Bilder zu attachieren.
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M. K. ist gestern wieder hergekommen und hat das Porträt des jungen Mädchens und meinen Garten gut gefunden. Ich weiss nur nicht, ob er Geld hat. Jetzt bin ich dabei, einen Briefträger zu malen in blauer Uniform, die mit Gold besetzt ist; er ist enragierter Republikaner wie der alte T., und ein viel interessanterer Mensch als die meisten Leute. – Wenn man R. etwas darauf stossen würde, nähme er vielleicht den G., den Du gekauft hast; und wenn es kein anderes Mittel gäbe, G. zu helfen, was soll man thun? Ich werde ihm sagen: Sehen Sie 'mal, unser Bild gefällt Ihnen schon so, und ich glaube, wir werden noch Besseres von dem Künstler sehen; warum machen Sie es nicht wie wir, die an den Mann glauben, wie er da ist, und die alles, was er macht, gut finden? Und dann will ich hinzufügen: »Dass natürlich, wenn es sein muss, wir ihm das ganze Bild von ihm überlassen; aber da G. noch oft genug Geld brauchen wird, wäre es nicht unsere Pflicht, in seinem Interesse das Bild zurückzuhalten, bis seine Preise um das Drei- und Vierfache gestiegen sind, was sicher 'mal kommen wird?« Wenn danach R. ein klares und festes Angebot machen will, na, dann kann man ja sehen – und G. könnte sagen, wenn er es Dir, als Freund, zu dem und dem Preise überlassen hat, er absolut nicht möchte, dass man es einem Amateur zu demselben Preise lässt. Warten wir aber erst einmal ab, was er sagen wird.
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Ich habe soeben drei grosse Zeichnungen expediert: der kleine Bauerngarten in Hochformat scheint mir das beste; der Garten mit den Sonnenblumen gehört zu einer Badeanstalt; von dem dritten in Breitformat habe ich auch Oelskizzen gemacht. Unter dem blauen Himmel nehmen die orangefarbenen, gelbroten Flecke der Blumen einen unvergleichlichen Glanz an, ein glücklicherer, zärtlicherer Schimmer als im Norden liegt über allem: es ist ein Vibrieren wie in Deinem Blumenstrauss von Monticelli. – Mir scheint es, obgleich ich zirka 50 Zeichnungen und Oelskizzen fabriziert habe, als ob ich absolut nichts gemacht habe. Ich würde mich gern damit begnügen, ein Vorarbeiter zu sein für die Maler der Zukunft, die hier im Süden malen werden.
Jetzt giebt es noch viele schöne Lithographien zu sehen: Daumiers, Reproduktionen von Delacroix, Decamps, Diaz, Rousseau, Dupré etc. – Bald wird dies aber aufhören und welch Jammer, dass es mit dieser Kunst zur Neige geht.
Warum hält man sich nicht an das, was man einmal gefunden hat, so wie die Aerzte oder die Mechaniker? Wenn bei denen einmal etwas entdeckt ist, so bewahren sie dieses Wissen sorgsam. Bei den niederträchtigen schönen Künsten wird alles wieder vergessen, man hält nichts fest: Millet hat die Synthese des Bauern geschaffen und jetzt? na ja, da ist Lhermitte und noch vielleicht der eine und der andere: Meunier z. B. Aber haben die Maler nun wirklich gelernt, einen Bauern richtig zu sehen? Keine Spur. Fast niemand bringt einen solchen zu Stande. Liegt nicht die Schuld ein wenig an den Parisern, die wechselnd und trügerisch wie das Meer sind? Du hast schon ganz recht, wenn Du sagst: wir müssen unbekümmert unsern Weg gehen und für uns selbst arbeiten. – Weisst Du, auch wenn der Impressionismus der unfehlbare, allein seligmachende Glaube sein soll, wünschte ich doch manchmal Sachen zu machen, die die vorige Generation, Delacroix, Millet, Rousseau, Diaz, Monticelli, Isabey, Decamps, Dupré, Ziem, Jongkind, Israels, Mauve, ein ganzer Haufe anderer, Corot, Jacques … verstehen könnten.
Manet und Courbet, die waren nahe daran, Farbe und Form gleichwertig zu verbinden. Ich möchte mich 10 Jahre lang durch Studien darauf vorbereiten, um dann ein oder zwei Figurenbilder zu malen. Die ewige alte Geschichte, so empfehlenswert und so selten ausgeführt.
Der kleine Bauerngarten in Hochformat ist in Natur herrlich in der Farbe: die Georginen sind von einem tiefen, herben Purpur, eine doppelte Reihe von Blumen ist rosa und grün auf der einen Seite, auf der anderen orangefarben fast ohne Grün. In der Mitte eine niedrige weisse Georgine und ein kleiner Granatbaum mit grüngelben Früchten und Blüten in dem glühendsten Orangerot; der Boden grau, das hohe Schilf – Rohr – blaugrün, die Feigenbäume smaragdgrün, der Himmel blau, die Häuser weiss mit grünen Fensterkreuzen und roten Dächern. So sieht es morgens bei voller Sonne aus; abends alles in tiefen Schatten gebadet, den die Feigenbäume und das hohe Rohr werfen. Das ist es ja eben: um diese ganze Schönheit zu bewältigen, brauchte es einer ganzen Künstlerschule, die im selben Lande zusammen arbeiten und einander komplettieren würde, wie die alten Holländer: Porträtisten, Genremaler, Landschafter, Tiermaler, Stilllebenmaler etc.
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Jetzt habe ich die beiden Porträts bekommen, auf B.s Selbstporträts hängt ein Porträt von G. an der Wand, und bei G.s ist B.s Bildnis im Hintergrund. Zuerst fällt einem der G. in die Augen, aber mir ist B.s Bild sehr sympathisch.
Es ist nur eine Maleridee, nur einige summarische Töne, einige schwärzliche Striche, aber es ist chic wie ein echter Manet. Der G. ist studierter und sorgfältiger ausgeführt, und das giebt mir gerade den Eindruck, als ob ein Gefangener dargestellt wäre. Kein Schatten von Heiterkeit, keine Spur von Fleisch, aber man kann all dies ruhig seiner Absicht zuschreiben, etwas Melancholisches zu schaffen; die Schattenpartien des Fleisches sind düster blau. Nun habe ich auch endlich 'mal Gelegenheit, meine Malerei mit der der Kameraden zu vergleichen, mein Porträt, das ich an G. als Austausch schicke, hält sich daneben, ganz fraglos. Ich schrieb an G., dass, wenn es mir erlaubt ist, meiner Persönlichkeit in einem Bilde eine unverdiente Wichtigkeit zu geben, ich versucht habe, nicht eigentlich nur mich, sondern überhaupt einen Impressionisten darzustellen, und daher habe ich dieses Porträt aufgefasst als das eines Bonzen in bedingungsloser Anbetung seines grossen Buddha. Und wenn ich G.s und meine Konzeption nebeneinander stelle; finde ich meine ganz ebenso ernst, aber nicht so verzweifelt. Und G.s Porträt sagt mir: so darf es nicht weiter gehen, er muss wieder zufriedener werden, er muss der G. von früher werden, der inzwischen noch reicher geworden ist durch den Süden und die Negerinnen.
Ich bin sehr froh, dass ich die Porträts der Kameraden aus dieser Epoche habe; sie werden nicht so bleiben, sie werden mit der Zeit ein sorgloseres Leben haben und ich sehe klar die Verpflichtung in mir, alles zu thun, um unsere Armut zu verringern; sie ist unmöglich im Malerberuf. Ich fühle, dass er mehr Millet als ich ist, aber ich bin eher Diaz als er Anspielung auf Diaz' aufopferungsvolle Freundschaft für Millet. und wie Diaz will ich versuchen, dem Publikum zu gefallen, um ihm zu helfen. Ich habe mehr ausgegeben als sie; nachdem ich ihre Malerei gesehen habe, ist mir das gleich; sie haben zu armselig gearbeitet, um Erfolg zu haben, denn glaub' mir, ich habe Besseres und Verkäuflicheres als was ich Dir geschickt habe, und ich fühle die Fähigkeit in mir, noch Besseres zu machen. Ich habe volles Vertrauen, dass es viele Leute giebt, denen gerade die poetischen Sujets sympathisch sein werden: der Sternenhimmel, die Weinranken, die Furchen, der Garten des Dichters. Denn ich halte es für unsere Pflicht, die Deine wie die meine, auf einen relativen Reichtum hinzuarbeiten, weil wir grosse Künstler zu ernähren haben werden. Wenn Du G. hast, kannst Du ebenso glücklich sein, wie Sensier. Ihm wird das Haus als Atelier gewiss so gut gefallen, dass er es als Chef wird führen wollen. B. hat mir eine Sammlung von 10 Zeichnungen mit einer famosen Dichtung geschickt. Du wirst bald alle diese Sachen sehen, aber ich schicke sie erst, nachdem ich sie noch ein Weilchen genossen habe. Mein Porträt an G. wirst Du wohl auch eines Tages zu sehen bekommen, denn ich hoffe, G. wird es behalten: es wirkt ganz aschfarben gegen einen blassen Veroneser Grund (nicht gelb), ich habe die braune Jacke mit blauem Rand an, das Braun habe ich bis zum Purpur übertrieben und die blauen Einfassungen habe ich verbreitert. Der Kopf ist in voller Helligkeit modelliert, hell auf hellem Hintergrund, fast ohne Schatten, nur habe ich die Augen etwas schräg gestellt, à la japonaise.
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Ich war und bin noch fast kaput von der Arbeit der letzten Woche. Ich kann noch nichts thun, aber, nebenbei, ist ein Nordwind von grosser Heftigkeit, der Staubwolken aufwirbelt und die Bäume von oben bis unten mit einer weissen Staubschicht bedeckt. Ich muss also wohl oder übel unthätig bleiben. Ich habe daher in einem Zuge sechzehn Stunden geschlafen, was mir riesig wohlgethan hat und morgen werde ich mich von dieser gründlichen Ausruhung erholt haben. Aber ich habe eine gute Woche hinter mir: 5 Leinwände, keine Kleinigkeit! Wenn das sich nun ein wenig rächt, so ist es kein Wunder. Hätte ich aber ruhiger gearbeitet, dann hätte mich der Sturm immerfort gestört. Wenn es schön ist, muss man es benutzen, sonst kommt man nicht weiter.
Was macht Seurat? Wenn Du ihn siehst, sage ihm doch, dass ich jetzt eine Dekoration vorhabe, die sich vorläufig auf 15 Bilder beläuft, und die, um komplett zu sein, noch weitere 15 erfordert, dass bei dieser ernsten Arbeit die Erinnerung an seine Persönlichkeit und an die schönen grossen Bilder in seinem Atelier mich zum Schaffen ermutigen.
Wir müssten auch ein Selbstporträt von Seurat haben.
Ich hatte G. geschrieben, dass, als ich den Austausch von Porträts anregte, ich natürlich annahm, dass er und B. Studien von einander gemacht hätten. Da dies nun nicht der Fall wäre und er es extra für mich gemalt hätte, so könnte ich es als Austausch nicht annehmen, da ich es dafür als ein zu wichtiges Kunstwerk ansehe. – Er antwortete jedoch, dass ich es absolut als Tausch annehmen müsste; sein Brief enthielt noch viele Komplimente, die ich aber, da unverdient, übergehe. Es macht mir aber Freude, dass ihnen meine Malerei nicht missfällt, auch wenn ich Menschen darstelle.
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Ich schicke Dir einen Artikel über die Provence, der meiner Meinung nach gut geschrieben ist. Die »Félibres« sind eine literarische und künstlerische Vereinigung, Clovis, Hugues, Mistral und andere, die teils in provenzalischem Dialekt, teils französisch, recht gute Sonette schreiben. Wenn die Félibres erst einmal von meiner Existenz hier Notiz nehmen, so werden sie alle in das kleine Haus kommen. Ich möchte es aber erst, wenn ich die Dekoration beendigt habe. Da ich die Provence ebenso bedingungslos wie sie liebe, habe ich wohl ein Anrecht auf ihre Beachtung. Wenn ich jemals von diesem Recht Gebrauch machen will, so ist es, damit meine Bilder hier oder in Marseille bleiben, wo ich, wie Du weisst, gern arbeiten möchte, denn die Marseiller Künstler thäten wohl daran, das fortzusetzen, was ihr Monticelli begonnen hat. Wenn G. oder ich einen Artikel für eine der hiesigen Zeitungen schreiben würden, so würde dies schon genügen, um in Beziehungen zu treten.
Ich muss Dir doch erzählen, dass ich mit jemandem, der das Land hier gut kennt, einen sehr interessanten Streifzug durch verschiedene Pächtereien gemacht habe: Es ist kleines Bauerntum, à la Millet, ins Provenzalische übersetzt. M. K. und B. können sich keinen Vers daraus machen, und wenn ich auch beginne, etwas klarer darin zu sehen – um es wiederzugeben, müsste ich eine hübsch lange Zeit hier leben.
Manchmal scheint es mir die einzige Möglichkeit, unsern Plan auszuführen, wenn ich mich auf die Reise mache, falls es Gauguin nicht gelingen sollte, dort loszukommen. Und schliesslich bliebe ich dann auch bei den Bauern. Ich glaube sogar, man müsste sich bereit halten, zu ihm zu reisen, denn über kurz oder lang wird er wohl ganz im Elend sein; wenn z. B. sein Hauswirt ihm nicht länger Kredit giebt. Das ist mehr als wahrscheinlich und die Not könnte dann dermassen gross sein, dass unsere Kombination mit der grössten Eile ausgeführt werden müsste. Für mich kostet es nur die einfache Reise, denn die dortigen Preise sind nach seinen Angaben viel niedriger, als was man hier für das unumgänglich Notwendige ausgeben muss.
Hier hat man selbst für die geldlosen Tage einen Vorteil über den Norden: das schöne Wetter, denn selbst beim Mistral ist noch schönes Wetter; eine glorreiche Sonne, an der sich Voltaire bei seinem Kaffee gewärmt hat. Man fühlt hier überall unwillkürlich Zola und Voltaire. Es liegt soviel Lebenskraft darin! Wie Jan Steen, wie Ostade! Sicher wäre hier die Möglichkeit einer Malerschule gegeben, Du wirst aber sagen: die Natur ist überall schön, wenn man nur in ihren Geist eindringt.
Ich habe in einem Bauerngarten eine weibliche Holzfigur gesehen, die von dem Bug eines spanischen Schiffes stammte; sie stand in einer Zypressengruppe, und es sah ganz wie ein Monticelli aus. Ach, diese Pächtergärten mit den schönen, dicken, roten Rosen der Provence, diese Weinberge, diese Feigenbäume, welche Poesie liegt darin, und diese ewige, starke Sonne, bei der dennoch das Grün so frisch bleibt! Die Zisterne, aus der das klare Wasser läuft, das die Obstgärten in kleinen Rinnen begiesst und ein kleines Kanalisationssystem bildet; ein alter Schimmel der Camargue, der die Maschine in Bewegung setzt! Keine Kuh in diesen Pächterhäusern. Mein Nachbar und seine Frau, Krämersleute, sehen den Buleaux' ausserordentlich ähnlich. Aber hier sind die Bauerngüter, die Wirtshäuser und sogar die elendesten Kneipen weniger düster, weniger tragisch als im Norden, da die Hitze die Armut weniger hart und melancholisch macht. Ich wünschte so sehr, Du hättest dieses Land gesehen! Aber vor allen Dingen abwarten, was aus der Affäre Gauguin wird.
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Gauguin folgte dem Rufe seines Freundes und kam zu gemeinsamer Arbeit in die sonnige, farbenfreudige Provence. Ein Wahnsinns-Anfall van Goghs zerstörte das Zusammenleben der beiden Künstler. Van Gogh lebte von nun an in einer Heilanstalt, wo er in seinen lichten Stunden noch schöne Bilder schuf.
Gauguin schreibt über das Ende seines Freundes: »In seinem letzten Briefe aus Auvers bei Pontoise schrieb er mir, dass er noch immer gehofft hatte, so weit zu genesen, um in der Bretagne mit mir zu malen, dass er aber jetzt von der Unmöglichkeit einer Heilung überzeugt sein müsse. ›Mein lieber Meister, es ist würdiger, nachdem ich Sie gekannt und gekränkt habe, bei voller Geistesklarheit, als in einem entwürdigenden Zustand zu sterben.‹ – Er schoss sich eine Kugel in den Leib und starb einige Stunden darauf, im Bette seine Pfeife rauchend, bei klarem Bewusstsein in heisser Liebe zu seiner Kunst und ohne Groll gegen die Menschen.«
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