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Ach, es ist doch viel schöner, wenn man wieder artig ist und mit seinem Schwesterchen nicht mehr böse zu sein braucht.
»Ich hab' mein seine Mädi doll lieb«, alle paar Minuten umarmt Bubi das Zwillingsschwesterchen, weil er so glücklich ist, daß sie sich nun wieder liebhaben können.
Auch Mädi ist selig, daß nun alles wieder gut ist. Trotzdem ist sie nicht so vergnügt wie gewöhnlich. Bubi ist wieder mit ihr gut, und ihre Puppen haben sie auch wieder alle lieb – ja, warum lacht und hopst die Mädi denn da nicht wie sonst?
Dem Hampelmann kommt die Sache höchst verwunderlich vor. Er macht ein bedenkliches Gesicht und zappelt mit dem rechten Arm: »Ei, ei, wenn das nur nichts zu bedeuten hat!«
Auch Frau Annchen ist die Sache nicht recht geheuer. Mädi mag ihre Nachmittagsmilch nicht trinken, und der Zwieback liegt auch noch unberührt da.
»Frau Professor, unser Mädichen ist nicht so, wie es sein soll«, sagt die Kinderfrau zur Mutti. »Wenn sie uns man bloß nicht krank wird.«
Mutti bekommt einen Schreck. Sie nimmt ihr Töchterchen auf den Schoß.
»Sag', Mädi, tut dir's irgendwo weh, mein Herzchen?«
»Nee.« Mädi schüttelt ihr Köpfchen. Sie schmiegt es an Muttis Brust und schließt die Augen.
»Mich is noch nich auschgeschlaft.«
»Bubi is ßon ganz ausgeslaft. Ich bin ja auch ßon doll groß, zwei Stunden mehr alt als mein seine Mädi«, schreit Bubi aus dem Kinderzimmer, wo er Kegel schiebt.
»Bubi, mach' nicht solchen Krach mit deinen Kegeln. Das hält kein Mensch aus!« ruft die Mutti hinein.
»Das hält ich sehr ßön aus«, meint Bubi mit Gemütsruhe. »Hat vielleicht die Lehmfrau raufgeßickt?«
»Nein, aber Frau Lehmann wird gleich wieder nach oben schicken und um Ruhe bitten, wenn du so lärmst. Und unser Mädichen kann heute auch nicht solchen Radau vertragen.«
»Is Mädi auch navös und ßon so alt wie die Lehmfrau?« Bubi muß sich sehr wundern, daß seine Mädi plötzlich keinen Radau vertragen kann, wo sie ihm doch sonst immer dabei hilft.
Mutti muß trotz ihrer Sorge um Mädi lachen. »Nein, nervös ist die Mädi nicht. Aber ein ganz heißes Köpfchen hat sie.«
»Zeig' mal.« Bubi legt wie ein kleiner Doktor seine Hand auf Mädis Stirn.
»Nein, Bubi, geh' fort von Mädi.«
»Aber wir sind doch wieder gut. Wir sind doch gar nich mehr böse!« beteuert Bubi.
»Mädi ist krank, Bubi. Da kannst du dich auch anstecken«, erklärt ihm die Mutti.
»Weil wir Zwillinge sind?«
Der Mutti ist wirklich heute nicht zum Lachen zumute, denn sie sorgt sich sehr um ihre kleine Mädi. »Geh' zur Minna in die Küche, Bubi, und schicke nur Frau Annchen. Wir wollen Mädi ins Bettchen legen und zum Arzt telephonieren. Geh' raus zur Minna, Bubi.«
»Nee, ich bleib lieber bei dir und mein seine Mädi. Weil wir doch wieder doll gut sind.«
Aber es nützt Bubi nichts. Er muß in die Küche hinaus zur Minna. Mutti und Frau Annchen ziehen Mädi aus und bringen sie zu Bett. Die Puppen gucken mit großen Augen zu, warum denn die Mädi am hellen, lichten Tag ins Bett muß. War sie unartig?
Als der Vater nach Haus kommt und Mädis Stirn fühlt, sagt er: »Unser Kleines hat entschieden Fieber. Schade, daß unser Hausarzt grade verreist ist. Aber ich werde an Geheimrat Wolf telephonieren und ihn herbitten. Der wohnt nicht weit.«
»Nee, nee, nich an den geheimen Wolf telenieren.« Mädi, die bisher die Augen fest geschlossen hatte, reißt sie erschreckt auf. »Nich an den bösen Wolf telenieren, der beischt!«
»Der Onkel Doktor beißt doch nicht, der macht meine kleine dumme Mädi wieder gesund«, beruhigt Mutti ihr Töchterchen, während der Vater ans Telephon geht.
Draußen in der Küche treibt Bubi nichts als Unfug. Er sucht im Mülleimer nach Mistkäfern, die doch da wirklich nicht drin sind. Er streut Sand in der ganzen Küche umher, weil der Steinboden so glatt ist.
»Ich bin doch der Herr Portseh, Minnaßen, und hier is voll viel Snee in der Küche. Der Herr Portseh muß doch Sand streuen, damit keiner hinfällt und sich sein Bein entzweislägt«, sagt er eifrig, als Minna schimpfen will.
Minna nimmt Bubi beim Wickel, und – jup – da sitzt er hoch oben auf dem Bratofen, der zum Glück nicht geheizt ist.
»So, Bubichen, jetzt bleibste artig da oben sitzen, bis ich mit meiner Küche fertig bin. Du machst ja hier nichts als Dummheiten«, sagt sie und beginnt den Sand zusammenzufegen.
Bubi ist beleidigt. Das sind doch keine Dummheiten, wenn er Sand streut, damit die Leute nicht fallen sollen. So viel Mühe hat er sich damit gegeben, und nun macht ihm die Minna alles wieder kaputt. Wirklich, Bubi ist sehr ärgerlich auf Minna.
»Na, Bubi, ist dir da oben auf dem Bratofen die Sprache eingefroren?« erkundigt sich Minna, der das ungewöhnliche Schweigen Bubis auffällt.
»Nee, die is behaupt nich gefroren.«
»Ja, warum bist du denn so still, Bubi?«
»Ich bin doll traurig.« Bubi macht dazu ein ernstdrolliges Gesichtchen.
»Weil dein Mädichen krank is? Du bist ein gutes Kerlchen, Bubi«, sagt Minna freundlich.
»Nee, behaupt nich. Weil Minnaßen mein seinen ßönen Sand kaputtgefegt hat.«
»Ach so«, sagt Minna lachend und beginnt die schwarzweißen Küchenfliesen zu scheuern. Plansch – da spritzt das Wasser ringsherum.
Das ist lustig. Bubi würde für sein Leben gern auch da mitherumpanschen. Aber der Bratofen ist schrecklich hoch. Man kann nicht herunter.
Da klingelt es. Minna muß aufmachen. Denn Frau Annchen ist in der Kinderstube bei Mädi.
»Der Herr Jeheimrat«, sagt Minna, als sie zurückkommt.
»Ach, Minnaßen, nimm mich doch ganz snell mal runter. Ich hab' bestimmt keine Zeit mehr, auf dem Bratofen zu sitzen«, bittet Bubi aufgeregt.
»Na, was du schon zu tun hast«, lacht Minna. Aber sie tut ihm den Gefallen.
Bubi muß doch nachsehen, was der fremde Onkel Doktor mit seiner Mädi macht. Er hat nämlich ein schlechtes Gewissen. Denn er weiß ganz genau, warum Mädi krank geworden ist. Bloß, weil er sich mit ihr gezankt hat. Weil er »dummes Ding« zu ihr gesagt hat. Das ist gewiß die Strafe dafür.
Bubi steht an der Kinderstubentür, die so freundlich ist, nicht ganz zuzugehen. Er späht eifrig durch die Türspalte.
Da drin beugt sich der fremde Onkel Doktor über Mädis Bettchen. Kerzengrade sitzen die Puppen in ihrem Wagen. Auch sie müssen wissen, was ihrer kleinen Puppenmutter eigentlich fehlt.
»Keine Sorge, gnädige Frau«, hören sie den Onkel Doktor sagen. »Es hat absolut nichts auf sich. Eine leichte Kinderkrankheit. Windpocken scheinen es mir zu werden. Hat sich das kleine Fräulein gewiß vom Kinderspielplatz mit heimgebracht. Windpocken sind augenblicklich recht verbreitet.«
»Wenn's nur nichts Ernstes ist, Herr Geheimrat!« Mutti atmet erleichtert auf.
»Es ist aber doch wohl besser, wenn wir unsere Kinder voneinander trennen, Herr Geheimrat?« erkundigt sich der Vater. »Wir nehmen unser Jungchen in unser Schlafzimmer hinein. Er braucht nicht auch noch die Windpocken zu kriegen.«
»Wenn er sie nicht schon hat, Herr Professor«, meint der alte Arzt lächelnd. »So was geht schnell, wie der Wind. Daher der Name. Ich glaube sicher, die Vorsicht ist unnötig. Ihr Kleiner ist auch schon angesteckt.«
»Bestimmt nich! Ich bin ja behaupt mit mein seiner Mädi böse gewesen«, klingt es da von der Tür her.
»Bubi, du sollst doch hier nicht hinein«, warnt die Mutti.
»Is doch mein seine ßöne Kinderstube. Und wenn der olle Wind mein seine Mädi gepockt hat, denn muß ich das doch mal sehen. Wo hat er sie denn gepockt?«
Bubi ist bereits drin und steht mit großen, erwartungsvollen Augen an Mädis Bettchen.
Der Vater spediert ihn wieder in die Küche hinaus zu Frau Annchen und Minna.
Inzwischen hat Mädi die Augen mit Anstrengung geöffnet. Denn sie drücken sehr und fallen immer von allein wieder zu. Sie sieht den fremden Herrn ängstlich an.
»Bischt du der geheime Wolf?« flüstert sie scheu.
Der Onkel Doktor lacht. »Jawohl, mein Herzchen.«
»Nee – nee – du sollscht aber nich der böse Wolf sein!« Mädi fängt an zu weinen. »Der Wolf beischt!« Das Kind ist furchtbar aufgeregt. Mutti beruhigt ihre kleine Mädi.
»Aber Herzchen, der Onkel heißt ja nur so. Wie kann meine kleine Mädi nur so dumm sein und vor dem guten Onkel Doktor Angst haben!« redet sie ihr zu.
Und auch die Puppen lachen die Mädi aus: »Nein, wie kann man nur so dumm sein, wenn man schon so groß ist!«
Mädi hat die Augen zugemacht, um den geheimen Wolf gar nicht mehr zu sehen.
Der Geheimrat verabschiedete sich und verspricht, morgen wieder nach der kleinen Patientin zu sehen.
»Nee, nee – der olle, geheime Wolf soll nich wiederkommen!« schreit Mädi ungezogen. Aber der Onkel Doktor nimmt ihr das nicht übel, weil sie Fieber hat und nicht weiß, was sie spricht.
Heute ist ein sehr langweiliger Tag für Bubi. Es ist noch viel schlimmer, als wenn er mit Mädi böse ist. Da konnten sie sich doch wenigstens als Kaufmann und als gnädige Frau miteinander unterhalten. Aber jetzt schläft Mädi den ganzen Tag, und er darf nicht mal zu ihr hinein.
Er steht am Fenster und guckt hinaus. Da draußen ist es recht windig. Der Wind jagt am Himmel die Wolken vor sich hin. Und unten in der Straße treibt er's nicht besser. Er reißt den Leuten die Hüte vom Kopf und zaust die armen Bäume an ihrem grünen Blätterhaar. Gewiß pockt er die Leute wieder, daß sie krank werden. Der Kleine stellt sich das so vor, als wenn er sie anpustet.
Bubi kennt den Wind ganz genau. Von seiner Reise ins Wolkenland her. Da hat er Bubi ja auch immer vor sich her gepustet. Und der Wind kennt Bubi auch. Aber doch wohl nicht so ganz genau. Denn es war ja Nacht, wie er oben im Wolkenland gewesen ist. Da hat er ihn jetzt gewiß mit seiner Mädi verwechselt. Weil sie doch Zwillinge sind und ganz gleich aussehen.
Als Bubi abends im Bettchen im Schlafzimmer der Eltern liegt, betet er: »Lieber Gott, mach' doch mein seine Mädi ganz snell wieder gesund. Und sag' doch dem ollen Wind, daß er lieber mich pocken soll. Abend.«
Auch drin in der Kinderstube, wo Frau Annchen am Bettchen von Mädi sitzt, spricht man sein Abendgebet. Mädi kann heute nicht beten, die wirft sich unruhig im Fieberschlaf hin und her.
Aber ihre Puppen beten für sie. »Lieber Gott, mach' doch unsere kleine Puppenmutter bald wieder gesund«, betet Puppe Elschen und faltet ihre Porzellanhändchen. »Mädi hat uns doch versprochen, daß sie künftig für uns sorgen wird und eine gute kleine Mutter werden. Da mach' doch, daß sie nicht so lange im Bett liegen muß und bald wieder spazierengehen kann. Ja, lieber Gott? Amen.«
Mädi hört ganz genau, wie das gute Elschen für sie betet. Und sie denkt: »Wenn ich erst wieder gesund bin, will ich dich dafür auch so lieb haben, Elschen, so lieb wie Braunchen.« Aber auch, was Puppe Lilli betet, vernimmt sie im Fieberschlaf: »Lieber Gott, mach' doch bloß, daß wir Puppen uns nicht anstecken und auch etwa noch die Windpocken bekommen. Amen.«
Ja, Lilli hat lange keinen so guten Charakter wie Elschen. Mädi hat das schon immer gewußt. Lilli ist nur auf ihr eigenes Wohl bedacht.
Der liebe Gott hat viel zu tun, wenn er des Abends auf sämtliche Gebete von allen Kinderchen und von allen Puppen hören muß. Und doch, er tut's. Kein Kinder- und kein Puppengebet vergißt er.
Am nächsten Tag hat auch Bubi die Windpocken. Ganz leicht nur, lange nicht so doll wie Mädi. Aber er ist doch sehr stolz darauf, daß der Wind ihn nun auch gepockt hat. Sein Bettchen wird von Minna und von Frau Annchen in die Kinderstube zurückgetragen. Und er darf wieder bei seiner Mädi sein.
»Kommt Onkel geheimer Wolf heut auch zu mir?« erkundigt er sich.
Ja, der Onkel Doktor, vor dem Mädi heute auch gar keine Angst mehr hat, untersucht auch Bubi. Er zieht sein Hörrohr hervor.
»Is das dein sein ßönes Fernrohr? Kannste damit alle Sternßen sehen, Onkel geheimer Wolf?« erkundigt sich Bubi eifrig.
»Nein, mein Jungchen, damit kann ich nur hören«, lacht der Onkel Doktor, setzt ihm das Hörrohr auf die Brust und legt das Ohr an.
»Der geheime Wolf teleniert ja in mein sein Bauch«, verwundert sich Bubi. »Kannste hören, was ich heute Mittag gegessen habe?«
Der Onkel »geheimer Wolf« ist ein sehr guter Onkel Doktor. Er lacht und schenkt Bubi ein Stückchen Schokolade. Und auch Mädi bekommt eins, weil sie jetzt keine Angst mehr vor ihm hat. Der Onkel Doktor klopft Bubis Wange und sagt: »Siehst du, mein kleiner Kerl, nun hast du auch die Windpocken.«
»Natürliß«, bestätigt Bubi. »Ich und mein seine Mädi, wir sind doch Zwillinge.«
Puppe Elschen bleibt gesund. Lilli aber bekommt ebenfalls die Windpocken. Und das ist ihr ganz recht.