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Piepvögelchen sitzt draußen im Garten auf dem Baum und singt wunderschöne Lieder. Unter dem Baum steht der Heinz und hört zu. Und weil das Piepvögelchen so schön singt, möchte er es gern fangen und in seine Kinderstube tragen.
»Du mußt dem Piepmatz Salz auf den Schwanz streuen, dann läßt er sich greifen«, sagt der Papa.
Da läuft Heinz, so schnell er nur kann, in die Küche zur Anna.
»Bitte Salz, Anna. Gib Heinz Salz, er muß das Piepvögelchen fangen.«
Anna lacht und gibt dem Kleinen eine ganze Hand voll Salz.
Aber die Mama sagt: »Laß das Vögelchen nur draußen im Garten, Heinz. In deiner Kinderstube wird es krank und mag nicht mehr singen.«
Doch der kleine Junge hört nicht. Er läuft mit dem Salz in den Garten hinaus und guckt zum Baum hinauf.
»Komm herunter, liebes Piepvögelchen, damit ich dir Salz auf den Schwanz streuen kann«, so ruft Heinz.
»Piep«, macht das Vögelchen, »so dumm bin ich nicht, piep.« Und es zwitschert, als ob es den Kleinen auslachen wollte.
Da wird Heinz böse.
»Na, dann komme ich eben zu dir«, ruft er. Eins – zwei – drei – steigt er auf die Gartenbank, dann auf den Tisch und – hoppla – springt er auf einen niedrigen Baumzweig.
»Äx«, macht der Zweig ärgerlich, denn die Mama hat streng verboten, daß Heinz klettert. Oben auf dem Baum sitzt das Piepvögelchen. Aber es singt nicht mehr. Traurig blickt es auf den unartigen Heinz. Da greift Heinz in die Tasche seiner Höschen, um das Salz zu holen. »Knacks«, sagt der Zweig und nochmal »knacks« – Heinz ist vom Baum gepurzelt. Da liegt er auf der Erde, aber er strampelt kein bißchen mit den Beinen, mäuschenstill liegt er. Piepvögelchen flattert herbei. »Piep« – ruft es erschrocken, »piep – der kleine Junge blutet ja!« Und ganz flink fliegt das gute Vögelchen an das Fenster zur Mama. »Piep – piep, komm schnell zu Heinz, Mama«, so singt das Piepvögelchen und fliegt der Mama voran zum Baum. Da liegt der Heinz noch immer, und aus seiner Stirn fließt rotes Blut. Mama nimmt ihren Jungen schnell auf den Arm und trägt ihn in die Kinderstube aufs Bettchen. Dort muß der Heinz viele, viele Tage liegen und kann nicht aufstehen und in den Garten laufen. Onkel Doktor kommt mit einer langen Pieknadel und näht dem Heinz das Loch auf der Stirn wieder zu. Ach, wie weint der kleine Junge da!
Am Kinderstubenfenster, da sitzt das Piepvögelchen und schaut traurig auf den armen Heinz, der solch Wehweh hat. Jeden Tag kommt das gute Vögelchen an das Fenster geflogen und singt dem kranken, kleinen Heinz seine schönsten Lieder. Von der lieben Sonne, die so lustig im Garten scheint, von den blauen und roten Blümchen, die der Heinz jetzt nicht sehen kann, und von all den artigen Kindern, die unter den grünen Bäumen spielen.
Als der Heinz wieder gesund ist und auch wieder in den Garten hinaus darf, da läuft er schnell zu dem Baum.
»Ich danke dir, liebes Piepvögelchen«, so ruft er, »daß du mich alle Tage besucht hast. Und ich will dir auch nie wieder Salz auf den Schwanz streuen und dich fangen.«
Da freut sich das Piepvögelchen.
Als der böse Wind all die grünen Blättchen vom Baume reißt, kommt der kalte Winter angegangen. Der streut lauter weißen Schnee auf den grünen Garten. Nun muß das arme Piepvögelchen frieren und findet kein Futter mehr. Da bricht der kleine Heinz jeden Morgen ein Stückchen von seiner Semmel ab und bröckelt es dem Vögelchen aufs Fensterbrett. Und das Piepvögelchen fliegt schnell herbei, pickt sich die schönen Krümchen aus dem Schnee und ruft: »Piep – piep – vielen Dank, du guter kleiner Junge!«