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V.
Ara spei

Der Titel (Ara spei = Altar der Hoffnung) ist S. 78 erläutert: »So errichte ich denn der Hoffnung einen Altar.«

Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe.

»Vincula frango.«

Von
Numa Numantius.

»Ara spei«

Moralphilosophische und socialphilosophische Studien über urnische Liebe.

Fünfte Schrift.

Verhältniß der urnischen Liebe zu Moral, Christenthum und sittlicher Weltordnung. Moralische Berechtigung der urnischen Liebe. Urnisches Liebesbündniß. Urnischer Conflict und seine Lösung. Der Liebe Ausnahmestellung in der sittlichen Weltordnung. Hoffnung.

 

»Aber ich allein ich traure; ach, mein Frühling ist noch weit!
Soll deß Maien nimmer schmecken und der Liede Seligkeit.«

»Harre eine kleine Weile; harre gleich wie Enna's Thal;
»Spät erblüht im Thal der Frühling: blühn wird er auch dir einmal«,

»Hybla und Enna« Hybla und Enna siehe in X. Prometheus S. 76 f.

von Numa Numantius,
Mitglied des Deutschen Juristentages, Verfasser der zu Göttingen gekrönten academischen Preisschrift »de foro reconventionis« und der zu Berlin des academischen Preises für würdig erkannten Schrift »de pace Westphalica.«

Preis 20 Rgr. = 1 fl. 12 kr.

Leipzig,
in Commission bei Heinrich Matthes.

1865.

 

»In der Moral giebt es nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Das Herz hat ein Recht, ein starkes Recht: auch das urnische Herz.«

N. Num.

 

Abkürzungen:

U, US, Uen = Urning, Urnings, Urningen.
D, Ds, Den = Dioning, Dionings, Dioningen.
urn. = urnisch.
dion. = dionisch.
Usmus = Uranismus.
Dsmus = Dionäismus.

Druckfehler: Druckfehler eingearbeitet. joe_ebc für Projekt Gutenberg-DE

Vorbericht.

I. Mittheilungen.

a. Urnische Liebe in Constantinopel.

Aus bester Quelle werden mir folgende Notizen. Zu Anfang des Nov. 1864 sind sie in Constantinopel selbst, in Deutscher Sprache, brieflich, niedergeschrieben, von einem Dioning zwar und von Dionings-Standpunct aus, aber, wie man sehen wird, von einem D, der ohne eigentliche Bosheit über urnische Liebe zu reden fähig ist: indem ich nachstehend auch nicht einen einzigen seiner Ausdrücke weggelassen, gemildert oder verschönert habe. Dieser D ist Achmet-Bei, vormals Gustav v. Fritsch, Ungar (trotz Deutschen Namens echter Cumanier- Ungar), 1849 Ungarischer Obristlieutenant, seitdem in Constantinopel; Türkischer General. Der Brief lautet:

»... Ich schreibe Ihnen also etwas specielles über eine Liebhaberei, die zwar in südlichen Ländern mehr oder weniger überall vorkommt, hier im Orient aber hauptsächlich cultivirt wird, von den Türken und ganz besonders von den Persern. Unter 10 Türken kann man mit Bestimmtheit auf 9 rechnen, welche diesem Laster »Laster«? Der Koran zwar liegt mit nicht vor. Doch versichert (im weiteren Verlaufe der unten §. 117 angeführten Stelle) Caramuel Lobkowitz, den Mohamedanern sei die Knabenliebe religiös völlig erlaubt. Ueber Uranismus und Christenthum vgl. unten §. 35. §. 114. §. 118. fröhnen.

»Obgleich ihnen die Bigamie gesetzlich erlaubt ist, haben die Herren Effendi's Die hohen Civil-Staatsbeamten. dennoch einen besondren Geschmack an jungen schönen Burschen von 13-17, 18 Jahren. Freilich auffallend jung. Wird aber theils dion. Uebertreibung sein, theils wird es liegen an der früh entwickelten Mannbarkeit der Orientalen und ihrer früh wieder verblühenden Blüthe. Zum großen Verdruß ihrer Frauen und Sclavinnen halten sich die reichen eine oder auch mehrere solcher männlichen Maitressen. Diese jungen hoffnungsvollen Practicanten erfreuen sich in der Regel eines großen Einflusses, oft auf die wichtigsten Entschlüsse ihrer Herren. Meist, wenn der Schnurrbart sich zu zeigen beginnt, treten diese Jungen dann in den Staatsdienst und machen glänzende Carriere. Vgl. unten §. 48, 3. Gewöhnlich erhalten sie die Töchter ihrer Protectoren zu Frauen. Möglicherweise Uranodionäismus; vgl. Formatrix, Vorbericht lit. a. Möglicherweise aber auch reiner Uranismus; vgl. Inclusa §. 53 und unten Note 44. Ein finanziell herabgekommener Großwürdenträger kam beim Sultan Machmud ein um eine Unterstützung. Unter andrem berief er sich darauf: sämmtliche Großwürdenträger, die höchsten Hofchargen, auch alle Minister, seien seine Lieblinge gewesen und durch ihn erhoben. Durfte ich also nicht mit Recht sagen (unten §. 89. b.): die Ansichten über eines jungen Mannes geschlechtliche Manneswürde seien elastischer denn Gummi? Constantinopel scheint den urnischen Conflict (unten §. 67 fgde.) mit vollkommener Leichtigkeit zu lösen. Vom alten Sparta bezeugt Aelian (siehe zu IV. Formatrix S. 19.) (III. cap. 12):
»Die schönen Burschen bezeugen hier gegen ihre Liebhaber weder Stolz noch Verachtung.»
Das alte Griechenland wußte diesen Conflict überhaupt vollkommen zu lösen. Constantinopel aber scheint es ihm fast noch zuvor zu thun.

»Jetzt, da die jüngeren Türken sich etwas civilisiren, hat diese Art Liebe etwas abgenommen. Abgenommen? Schwerlich! Das Eindringen nördlicher Sitte und Anschauung mag das öffentliche Auftreten ein wenig zurückdrängen. Daß künftig aber weniger Ue bei den Türken geboren werden, als bisher: dies zu bewirken, dazu gehört offenbar mehr! Außerdem mag das ganze nur Einbildung des Briefschreibers sein, ähnlich der berühmten Einbildung des jüngeren Plinius, welcher als Statthalter von Bithynien dem Kaiser Trajan berichtete: (Brief 10, 96.) »Das Christenthum ist hier schon im Abnehmen. Man bringt z. B. schon wieder mehr Opferthiere auf den Wochenmarkt, als in den letzten Jahren.»Noch vor 10 Jahren hatte jeder Pascha General. und Stabsofficier seinen schönen Pfeifenstopfer. Gegen fremde Uebergriffe bewachte er eifersüchtiger ihn, als seine Frauen im Harem.

»In Constantinopel giebt es eine Anzahl Privathäuser, wo solche männliche Schönheiten gleich öffentlichen Dirnen förmlich gehalten werden. Wie verbreitet der Usmus übrigens in Constantinopel schon war, ehe noch die Türken darin waren, beweisen die beiden Proclamationen Kaiser Justinians, die Inclusa §. 62. 64. wiedergiebt. Einige Türkische Bäder hier in der Residenz, wie auch in einigen Provincialstädten, genießen einer besondern Berühmtheit.«

[Ich will hier einschalten, was ein anderer Ungarischer Officier, ähnlichen Schicksals, über diese urn. Freudenhäuser in Constantinopel schreibt. Hutter, Hauptmann: »Von Orsowa nach Kiutahia.» Braunschweig, 1851. S. 219. 220. Eine dion. Verzierung mit giftigem Aufputz, die mir hier wieder aufstößt, lasse ich natürlich weg, ändere indeß auch nicht einen Buchstaben.

»In einer Gasse von Galata Stadttheil Constantinopels. hat die Göttin der Lust ihr Zelt aufgeschlagen. Diese Häuser existiren in Wirklichkeit, existiren als öffentliche, vom Staat geduldete, Anstalten. Vom Staat zwar nicht de jure, vollständig aber de facto geduldet, existiren sie auch in Neapel, Palermo, Madrid, Lissabon etc. Heimlich, und vor der Polizei keinen Augenblick sicher, auch in Paris, ja sogar in Berlin. Ich sah diese Buben. Im zartesten Alter stehend, das Haupt umwallt von üppigem Lockenhaar, gekleidet in goldgestickte Kleider, mit vielen Zierrathen behängt, das Gesicht reizend geschminkt. Ihre Liebhaberrollen spielen sie aus offener Straße. Ganz soweit scheint man in Neapel u. Palermo zwar noch nicht gekommen zu sein. Dort spielen die Burschen die Rolle des Anlockers wie es scheint nicht selbst, wenigstens nicht öffentlich selbst. Indeß machen dort die Kuppler der Freudenhäuser doch an Straßenecken und auf Plätzen ganz öffentlich dem vorübergehenden ihre Anträge. Sie bieten ihm geradezu die Auswahl zwischen einer »bella ragazza« und einem »bellissimo ragazzo«. (bella ragazza – bellissimo ragazzo: Ulrichs hat den Superlativ dem Jungen zuerkannt; Casper schreibt bello ragazzo – bellissima ragazza.) So erzählt ausdrücklich Casper (a. a. O. 1852. S. 59). Und zwar mit bestem Erfolg. Hochgestellte Osmanli herzen und liebkosen sie und lassen dabei ihrer Lust freien Lauf. Eine weitere Schilderung: meine Feder versagt sie! Die Quartiere, die sie bewohnen, sind zugleich als Kaffeehäuser eingerichtet. Ueben die Buben ihr« (eigentliches) »Handwerk nicht, so unterhalten sie die Gäste mit Gesang, Tanz, Gaukeleien und Mandolinenspiel. Tag und Nacht sind die Häuser von einer Unzahl von Gästen belagert.«

Kehren wir von der Prostitution zurück zur ehrenhaften Liebe.

Das Schreiben lautet weiter:]

»Unter allen Racen ist die Albanesische Jugend die gesuchteste. Sie ist die am besten gebaute und schönste.

»Ein liebender Albanier ist im Stande, jemanden, der seine Eifersucht rege macht, auf der Stelle zu ermorden. Auf seinen männl. Geliebten macht er Gedichte und schwört ihm ewige Treue.

»Während übrigens der Albanier im späteren Alter dieser Leidenschaft auf immer entsagt Kaum glaublich! Dioning werden? Das wäre ja fast eine Röslersche »Stufe zur Liebe». Vindicta Vorbericht lit. o., bleibt der Türke bis in das höchste Greisenalter hinein ein unverbesserlicher Anhänger dieser Liebhaberei.

»Auch General B. Stein Baron Maximilian Emanuel v. Stein, Deutscher, k. k. Oberst, 1848 Ungarischer General, betrat 1849 mit Bem die Türkei, ward dort Ferhad Pascha, † 1860. war großer Verehrer männlicher Schönheit. In Oesterreich war er in steter Gefahr, auf die Festung zu kommen, so er beklagt worden wäre. Als er die Türkische Gränze überschritten, soll er in Widdin ausgerufen haben:

»Endlich bin ich auf gesetzlichem Boden.«

... G. Fritsch.

b. Hannoversche Zustände.

Höchst sinnreich eingerichtet ist die Rechtsunsicherheit der Ue in Hannover: d. i. in dem Grade traurig, daß es wohl nur einer Erwähnung bedürfen wird, um Hand angelegt zu sehen zu ihrer Abschaffung. In Folge der elastischen Ausdrucksweise des Gesetzes über »öffentliches Aergerniß« und seiner weitgetriebenen Interpretation durch die Gerichte kann hier denkbarerweise alle Tage folgender Fall vorkommen.

Ein U findet einen hübschen Burschen, geht mit ihm in einen einsamen dunklen Wald, wo der Bursch ihm Liebe gewährt. Niemand hat es erblickt. Er schenkt ihm eine Belohnung. Der Bursch andren Tages erzählt es einem Freunde. Dieser, weit entfernt sittliches Aergerniß daran zu nehmen, beschränkt sich darauf, ihn auszulachen, daß er sich nicht einige Thaler habe zahlen lassen. Solch ein Herr könne zahlen. Das geht dem Burschen durch den Kopf. Endlich geht er zum Staatsanwaltsvertreter und denuncirt. Dieser: »Hat den Fall jemand erblickt?« Bursch: »Nein.« St.: »Nahm Ihr Freund an Ihrer Erzählung sittliches Aergerniß?« B.: »Er lachte mich aus.« St.: »Unter diesen Umständen findet nach unsren Gesetzen Bestrafung nicht Statt.« B.: »Aber, mein Gott, solch ein schändlicher Mensch müßte doch bestraft werden!« St.: »Wenn Ihnen daran liegt, so will ich Ihnen einen Weg angeben, wie Sie dazu gelangen können, (a:) Sie gehen einfach in ein Paar besuchte Bierhäuser und bringen dort den Vorfall unter die Leute. Dann kommen Sie wieder zu mir. Wo öff. Aerg. noch nicht vorhanden ist, kann man nach unsren vortrefflichen Gesetzen es ja jeden Augenblick aus dem Boden stampfen!« Criminalgesetz. 1840 §. 276: »Wer sich widernatürlicher Wollust unter Umständen schuldig macht, welche öff. Aerg. erregen oder mit Grund besorgen lassen, wird bestraft mit ...» Wo öff. Aerg. nicht in Frage steht, soll also nicht gestraft werden. Von einem denuncirten Falle, bei dem öff. Aerg. nicht in Frage steht, hat der Staatsanwalt, Gensdarm etc., so sollte man denken, überall nicht Notiz zu nehmen. Gleichwohl besteht keine Vorschrift, welche eine Notiznahme ihm verbiete oder deren Folgen für wirkungslos erkläre! – Uebrigens meine ich natürlich nicht, es gebe in Hannover Staatsanwälte so niedriger Gesinnung: sondern nur, daß in Hannover Staatsanwalt wie Denunciant eine gar nicht vorhandene Strafbarkeit einfach aus dem Boden stampfen können und dann der U rettungslos der Strafe verfallen ist. B.: »Das werde ich mir merken.« St.: »Ach, bemühen Sie Sich auch nur nicht. Wir können es noch einfacher machen, (b:) Ihre heutige Aussage nehme ich zu Protocoll und werde Haus bei Haus einzelne Personen auf gut Glück als Zeugen befragen: ob dieser Fall öff. Aerg. erregt habe? Wenn ich täglich Einen vernehme, so gebe ich Ihnen mein Wort: noch ehe ich an den 1Oten komme, weiß es die ganze Stadt und das öff. Aerg. ist fertig!« Auf Grund eines so fabricirten Aergernisses erkennt nun das Gericht die Strafe, welche für den Fall »erregten öff. Aergernisses« gesetzlich festgestellt ist. Einen Riegel gegen so sinnreiche Procedur giebt es in Hannover nicht!

Liegt der Fall wie bei a: (Verbreitung durch den gewährenden D selbst), so bezeugt mir, daß der Hannoversche Gerichtsgebrauch strafe, ein sehr kundiger Vertheidiger, Advocat Rose zu Celle, durch Schreiben vom 8. Dec. 1864.

In einem Falle des §. 276 cit., welcher wesentlich so lag, wie bei b: (Provocirung öff. Aergs. durch Einschreiten der Behörde), hat am 14. Oct. 1864 das kön. Obergericht Celle die für den Fall »erregten öff. Aergs.« gesetzlich bestimmte Strafe ausgesprochen. Hier hatten ein Gensdarm und das Amtsgericht Ahlden durch ihr Einschreiten das vollständigste öff. Aerg., das gar nicht vorhanden war, fertig gebracht: und das Gericht verurtheilte! Wie die Acten (wider den Schäfer Köneker) constatiren, lag der Fall so: Zu dem durchaus einsamen Orte der Handlung kommt zufällig ein Zeuge hinzu: Privatärgerniß. Zeuge macht dem Gensdarm Mittheilung. Dieser, anstatt keine Notiz davon zu nehmen, denuncirt beim Amtsgericht Ahlden. Von öff. Aerg. enthält diese Denunciation noch keine Silbe. Das Amtsgericht, anstatt seinerseits hievon keine Notiz zu nehmen, ladet den Zeugen vor. Inzwischen hat auch der Gensdarm im Dorfe »weitere Nachforschungen« angestellt. Welches Aufsehn es in einem friedlichen Dörfchen macht, ist erklärlich, wenn ein Gerichtsdiener eine Vorladung bringt oder ein Gensdarm Haus bei Haus in die Wohnungen eindringt, um »Nachforschungen« anzustellen. So wird nun der Vorfall so breit getreten, daß er in den Spinnstuben, wo die jungen Bauerburschen den schönen Spinnerinnen die Cour machen, bald den beliebtesten Gegenstand der Unterhaltung bildet, und daß, wie vor meinen Augen und Ohren am 14. Oct. 1864 ein beeidigter Zeuge ausgesagt hat, gerade die Mädchen unter einander mit Lachen erzählt haben: als Frucht jenes Vorfalls sei bereits ein Kind zur Welt gekommen! Zwar hatte jener Zeuge auch noch einigen andren Personen unter 4 Augen Mittheilung gemacht. Bei diesen war indeß Aergerniß nicht erregt. Einer von diesen hatte vielmehr – von wirklichem Schamgefühl geleitet – ihm erwiedert: »Schweig nur still; sonst giebt es der Jugend noch ein Aergerniß!« Was vermag aber solch Zartgefühl gegen das gewaltsame Einschreiten von Gensdarmen? Das verurtheilende Gericht bestand aus den Herren Obergerichtsräthen Schmidt und v. Pestel, Amtsrichter Leschen, Obergerichtsassessor Deneke und Gerichtsassessor Meyer. Den Antrag auf Bestrafung stellte der Kronanwalt Kistner.

Auf diese Weise kann in Hannover der untergeordnetste Gensdarm oder Polizeidiener einen Vorfall, der gesetzlich nicht strafbar ist, durch »geeignete« Anstellung »weiterer Nachforschungen« mit leichtester Mühe zu einem strafbaren machen. Diebe, Meineidige oder Fälscher in einen solchen Zustand der Rechtsunsicherheit, ja geradezu Rechtlosigkeit, zu stellen, möchte sich noch rechtfertigen lassen, da ihnen dies ein Theil ihrer Strafe wäre. Uns aber, deren Verbrechen darin besteht, daß wir, gleich euch, den Liebestrieb in der Weise befriedigen, die die Natur uns lehrt, uns so zu behandeln: wie wollt ihr das vor Gott und Menschen verantworten?

II. Nachträge.

c. Oeffentliches Aergerniß. Grenzen der Strafbarkeit.

De lege ferenda. Zu Vindicta §. 52. 53.

1. Ohne Verschulden eingetretenes öff. Aerg. ist nicht zu strafen.

Außer eigentlichen Excessen in der Geschlechtsbefriedigung (Vindicta § 51.) hat der Gesetzgeber m. Erm. nur zu strafen:

  1. vorsätzliche und fahrlässige Erregung öffentlichen Aergernisses durch geschlechtliche Handlungen;
  2. unzüchtige Handlungen, d. i. solche Geschlechtshandlungen, welche begangen wurden mit Frivolität oder Schamlosigkeit in der Art und Weise ihrer Ausübung.

Zu a) Erregt eine Geschlechtshandlung öff. Aerg. lediglich in Folge des Hinzutretens eines casuellen Ereignisses, ohne daß ihren Begeher also ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) trifft, so hat der Gesetzgeber m. Erm. kein Recht, den Begeher zu strafen.

Legislatorisch als gerechtfertigt erscheint nur die ratio: die Staatsbürger anzutreiben, kein ö. Ä. zu erregen; d. i: weder vorsätzlich noch fahrlässig es zu erregen. Der Staatszweck, ö. Ä. zu verhüten, rechtfertigt noch nicht, den zu strafen, der eine geschl. Handlung zwar beging, an der Erregung ö. Äs. durch sie aber unschuldig ist. Casus poenam nemo patitur. Für einen Zufall soll niemand Strafe erleiden. Vgl. Casus a nullo praestantur (für Zufälle steht niemand ein) bei Liebs, Lateinische Rechtsregeln S. 36. Für die Wirkungen eines zufälligen Ereignisses, das zu einer geschl. Handlung etwa hinzugetreten ist, den Begeher dieser Handlung strafrechtlich verantwortlich zu machen, bez. zu strafen, erscheint einfach als legislatorischer Frevel. Wie ist es möglich, frage ich, uns strafrechtlich für etwas verantwortlich machen zu wollen, an dessen Eintritte uns keine Urheberschaft trifft? dessen Eintritt oder Nichteintritt vielmehr lediglich außerhalb des Kreises unsrer Einwirkung liegt?

Man möchte einwenden: »Die strafbare Handlung besteht nicht in der Erregung des Aergernisses, sondern schon in der außerehelichen Geschlechtshandlung selbst. Diese soll indeß dann straflos ausgehn, wenn ö. Ä. thatsächlich nicht erregt worden ist.«

Allein dieses zu sanctioniren, ist eben legislatorisch nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat gar nicht das Recht, exceßlos ausgeübte außereheliche Geschlechtshandlungen selber für strafbar zu erklären, oder ihre Straflosigkeit von einem bloßen Zufall abhängig zu stellen: vorzüglich dann nicht, wenn, wie beim U der Fall, dem Begeher die Eingehung einer Ehe unmöglich ist. Exceßlos ausgeübte außereheliche Geschlechtshandlungen an sich selbst, insonderheit urnische, hat er somit nicht zu strafen: nur das Erregen ö. Äs. durch geschl. Handlungen. Code pénal: »outrage public ä la pudeur«

Das Vergehen der »Erregung ö. Äs. durch geschl. Handlungen« folgt somit einfach der Natur aller andren Vergehen. Also giebt es zwar ein vorsätzliches, ein fahrlässiges, und auch einen Versuch: ein casuelles Vergehen der Erregung ö. Äs. aber giebt es nicht. Bei casuell erregtem ö. Ä. hat der Begeher der betr. geschl. Handlung vielmehr dasselbe moralische Recht auf Straflosigkeit, wie derj., welcher casuell z. B. einen Menschen tödtete.

Zu b) Auch bei unzüchtigen Handlungen scheint es mir legislatorisch nicht gerechtfertigt, zu strafen ohne die Voraussetzung eines dolos oder culpos durch sie erregten ö. Äs. Im einzelnen Falle wäre ohnehin zwischen schamlos und nicht-schamlos die Grenze allzu schwer zu ziehn, als um Schamlosigkeiten an sich für strafbar zu erklären. Unter jener Voraussetzung indeß werden unzüchtige Geschlechtshandlungen allerdings schärfer zu strafen sein, als ohne Unzucht ausgeübte. (Vgl. Vindex §. 25.)

Hienach dürfte folgende Gesetzesformel sich rechtfertigen (anstatt der Vcta. § 53. aufgestellten):

»Wer durch geschlechtliche Handlungen öffentliches Aergerniß erregt, wird, wenn er ö. Ä. zu erregen beabsichtigte, mit Gefängniß bestraft. Nur mit Geld wird er bestraft, wenn er ö. Ä. zu erregen zwar nicht beabsichtigte, er den Umständen nach indeß, er werde ö. Ä. erregen, mit Wahrscheinlichkeit erwarten mußte.

Besondre Unzüchtigkeit und Schamlosigkeit in der Art und Weise der Ausübung bewirken höhere Strafzumessung innerhalb der zutreffenden Strafart.

»Folgenden Personen gegenüber wird, sobald jene Absicht fehlt, ö. Ä. nicht erregt: Kinder ..., öffentlich an gestellte Denuncianten, ...« (Die Vcta. § 53. genannten Personen.)

Erwägt man die dargestellten Begriffe von strafrechtlicher Verantwortlichkeit, von Verschulden und Nichtverschulden, und die S. XI vorgeführten Fälle, so scheint mir, will man anders den Uen überhaupt einen Rechtszustand gewähren, insonderheit noch folgender Zusatz geboten:

»Ist der Ursprung eines an geschlechtlichen Handlungen genommenen ö. Äs. nicht auf ein Verschulden der betheiligten zurückzuführen, sondern auf Ereignisse, welche ihnen gegenüber als zufällige zu betrachten sind, z. B. auf Maßnahmen von Beamten oder Unterbeamten oder darauf, daß ein an dem betreffenden Vorfall direct oder indirect betheiligter von demselben Mittheilungen gemacht hat, oder auf eine Arglist eines solchen: so gereicht ein so erregtes ö. Ä. den betheiligten, in den beiden letzterwähnten Fällen den übrigen betheiligten, nicht zur Bestrafung.«

2. Scandalum subsequens darf nicht Strafe nach sich ziehn.

Nun ist aber zu unterscheiden zwischen scandalum praesens et directum und scandalum subsequens. Ersteres ist jenes Aergerniß, welches wir empfinden, wenn wir (an einem öff. Orte) gezwungen sind, die Vornahme einer geschl. Handlung persönlich, mit eignen Augen, zu erblicken. Letzteres: wenn wir von der Vornahme einer solchen nur erzählen hören.

Soll nun nur das größere sc. praesens et directum Strafe nach sich ziehen oder auch das geringere sc. subsequens? Ich meine: nur ersteres.

Bewirkt auch scandalum subsequens Bestrafung, so ist factische Folge die schreiendste Ungleichheit vor dem Gesetz zwischen D und U. Von seinen Liebesabenteuern darf der D dreist selber erzählen: es müßte schon arg kommen, wenn daraus ein Aergerniß entstände, welches Bestrafung nach sich zöge. Die Leute hören entweder kaum danach hin, oder es gereicht ihnen zu Scherz und Kitzel, nicht zur Scandalisirung. Am wenigsten denkt ein hörender an Denunciation. Bei uns dagegen würde jedes Erzählen, von uns selbst oder von unsrem Gunstgewährer, mit höchst gefährlicher Leichtigkeit Scandalisirung, Denunciation und Bestrafung nach sich ziehen. Soll daher factische Gleichheit vor dem Gesetz stattfinden zw. D und U, so darf die Bestrafung nicht davon abhängig gestellt sein, ob das Publicum, das über Natur und Ursprung des Uranismus ohnehin im Irrthum ist, über erzählte urnische Liebesübung sich scandalisire. Des scandalum subsequens Einwirkung auf die Strafbarkeit muß pure abgeschafft werden: wie sie durch die Bairische Formel auch bereits ausgeschlossen ist. Demnach formulire ich meinen Gesetzesvorschlag nunmehr so:

»Wer an einem öff. Orte bei Vornahme geschlechtlicher Handlungen erblickt wird, wird, wenn er erblickt zu werden beabsichtigte, mit Gefängniß bestraft. Nur mit Geld wird er bestraft, wenn er erblickt zu werden zwar nicht beabsichtigte, er den Umständen nach indeß, er werde erblickt werden, mit Wahrscheinlichkeit erwarten mußte, Dies ist nämlich an einem öff. Orte ja noch keineswegs unter allen Umständen zu erwarten, z. B. zur Nachtzeit, an einer halbgedeckten Oertlichkeit, etc.

Besondre Unzüchtigkeit ... (Wie oben.)

Erblickten ihn jedoch nur Kinder ... (wie Vcta. § 53.), so findet, wenn jene Absicht fehlte, Bestrafung nicht Statt.

Hat das Erblicktwerden in Ereignissen seinen Grund, welche den betheiligten oder einem derselben gegenüber als zufällige zu betrachten sind, z. B. in Maßnahmen von Beamten oder Unterbeamten oder in einer Arglist eines an dem betr. Vorfall betheiligten, so gereicht dasselbe den betheiligten, bez. den übrigen betheiligten, nicht zur Bestrafung.«

d. Die bestehenden Strafgesetze sind für uns nicht zutreffend. De lege lata. Zu Vindex §. 50.

Die gegen naturwidrige Geschlechtsübungen gerichteten bestehenden Straf-§§. sind für uns nicht zutreffend: weder ihrer Voraussetzung noch ihrer ratio nach.

Diese §§. setzen voraus: daß der, gegen den sie gerichtet sind, neben jener Befriedigung, die ihm verboten wird, von Natur noch zu einer andren fähig sei, nämlich der naturgemäßen, daß bei ihm eine naturgemäße Befriedigung also gleichsam im Hintergrund stehe. Die ratio ferner ist die: ihn von der naturwidrigen Befriedigung abzuhalten und zur naturgemäßen zurückzuführen. Sicherlich ist die ratio nicht die: einer Menschenclasse die ihr naturgemäße Befriedigung lebenslänglich zu verbieten.

Voraussetzung und ratio treffen nun aber zu nur beim Onanisten und beim Thierbenutzer, und würden auch beim U zutreffen, wäre er der, für den man ihn irrig hält, d. i. ein Mann mit angeborenem männlichen Geschlechtstriebe. Beim U, wie er in Wahrheit ist, treffen sie dagegen nicht zu. Er steht schon auf dem Standpunct der Natur; er ist nicht von ihr abgewichen: er kann nicht zur Natur zurückgeführt werden. Geistig ist er selber Weib. Weiber zu lieben ist ihm daher unmöglich. Eine im Hintergrund stehende naturgemäße Befriedigung ist bei ihm nicht vorhanden.

Ist aber ein Gesetz seiner Voraussetzung und seiner ratio nach für uns nicht zutreffend, so ist es – nach bekannten Interpretationsregeln – auf uns auch nicht anwendbar.

e. Zu Vindex §. 47. De lege lata. Widerlegung eines Einwands.

Wo des jungen Ds Einwilligung und Mitwirkung vorliegt, (sei es nun active oder nicht active Mitwirkung): da ist dieser mitwirkende offenbar gar nicht Object, sondern ganz einfach – neben dem U – Subject (2tes Subject) der Handlung. Nur wo der U ihn vergewaltigt, ihn als trunkenen mißbraucht, etc., ist er Object.

f. Zu Ara spei §. 11 und Note 5. Eure Ungerechtigkeit.

Ich sagte: bei wem der Stachel des Liebestriebes den Schamhaftigkeitsinstinct überwältigte, den, ist er ein U oder ein Mädchen, verstoßt ihr. Ist es einer aus eurer eignen Mitte, ist es ein D, so sagt ihr, und zwar mit Recht:

» Homo sum: humani nihil a me alienum puto.«
Terentius. » Ich bin ein Mensch. Aus etwas menschlichem ist mir, meine ich, kein großer Vorwurf zu machen.« (Terenz (um 195/190-159 v. Chr.), lat. Komödiendichter; hier Zitat aus ›Der Mann, der sich selbst bestraft‹ (Heauton timorumenos): Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.)

Ich sage, mit Recht sprecht ihr so: unrecht scheint mir dabei nämlich nur dies, daß ihr bei U und Mädchen nicht dasselbe sagt!

Ist es ein Mädchen, so behandelt ihr sie als eine »gefallene«; durch namenlose Verachtung treibt ihr sie zu Kindesmord, Abtreibung der Leibesfrucht, ja zu Selbstmord. Stellt ihr eure Aechtung ein, wie die Gerechtigkeit es fordert, so werden alle 3 Schreckenserscheinungen von selbst ausbleiben. Am Verbrechen der Fruchtabtreibung oder des Kindesmordes trägt somit das unglückliche Mädchen nur die geringere Hälfte der Schuld. Die öffentliche Verachtung, die ihr gemacht habt und die ihr zu verantworten habt, trieb sie ja dazu! Die bei weitem größere Hälfte der Schuld trägt also niemand als ihr. Zur bei weitem größeren Hälfte seid für jeden Kindesmord ihr verantwortlich. Und ihr wollt strafen, grausam strafen? O, daß es doch einen Satan gäbe! Wie würde er hohnlachen über euch! Im Januar 1865 hat das Hannoversche Justiz-Ministerium auch die Bitte einer Verurtheilten um Strafmilderung abgelehnt.

g. Zu Ara spei §. 89. Manneswürde des D.

Virchows Worte über die angeblich verletzte Manneswürde des gewährenden D (vgl. Formatrix Note 11. »Strafgesetz«) beantwortet im Oct. 1864 der Vindicta §. 31 erwähnte Anonymus so:

»Seine Würde hat der Mann selbst zu schützen. Das Gesetz hat nicht die Aufgabe sie zu schützen.« (Vgl. Form. Note 11. »Strafbarerklärung«. In der That hatte Virchow mit dem Vorhalt der angeblich verletzten Manneswürde des gewährenden D die gegen uns gerichteten bestehenden Strafgesetze vertheidigt.) »Es klingt wie Hohn, wenn ein Mann wie Virchow, wo es sich um Duldung oder Zuchthaus handelt, von »Manneswürde« redet. Nicht um ein Wollen handelt es sich ja, sondern um eine unabweisbare Naturnothwendigkeit; und das ist es ja, um was wir klagen, daß man uns nicht gestattet nach unsrer Art zu empfinden, daß man für die Empfindung, die die Natur uns gab, und dafür, daß wir ihrem gewaltigen Zuge folgen, wie ihr dem Zuge der eurigen, uns verfolgt und verurtheilt. Traurig, daß ein so bedeutender Mann die Sache nicht tiefer ergreift.«

An die Urninge.

h. Unsre Sache steht noch in den Anfängen des im Mai eröffneten Feldzuges. Von Triumphen ist noch nicht zu berichten. Durch den errungenen Erfolg vor den Leipziger Richtern, durch die dadurch gesicherte Eröffnung der Arena, ist jedoch die erste Staffel erreicht. Aber auch die 2te ist erklommen. Dioninge von Einsicht und Gerechtigkeitssinn haben sich bereits für unsre Sache erklärt. Und auch noch eine 3te. Eine ganze Reihe von Den, alle, die die Schriften mit Sorgfalt und ohne Voreingenommenheit lasen, haben in ihrem Urtheil über urn. Liebe die früher stets unvermeidliche giftige Bitterkeit gänzlich abgestreift. Das sind 3 sehr erfreuliche Erfüllungen der Hoffnung, die ich auf die Gerechtigkeit unsrer Sache setzte. Seien es Vorboten unsres Sieges zur Freiheit! Wollen nur meine Schicksalsgenossen mich nicht verlassen in dem begonnenen Kampfe.

Am 22. Dec. 1864.

Numa Numantius.

*

Vorberichts-Nachtrag.

i. Am 3. Jan. 1865 erhielt ich einen 2. Brief von dem Anonymus, dessen 1. Brief (Formatrix Vorbericht a.) ich inzwischen beantwortet hatte. Darnach ist es nun mir, wie ihm selbst, zweifelhaft, ob er Uranodioning sei, und nicht vielmehr reiner U. Er schreibt:

»Als Kind schon, als die Triebe selber noch schlummerten, malte mir meine Phantasie verlockende Bilder nur in Gemeinschaft mit männl. Gestalten. Nie im Leben konnte und kann weibliche Schönheit mich fesseln. Kalt würde ich sie unberührt lassen.« In seiner Gattin sah er »das vollendete Ideal menschlicher Würde.« »Zu ihr zogen mich die innigste geistige Sympathie und Verehrung.« Ich hatte also nicht unrecht, a. a. O. ausdrücklich zu sagen: »vorausgesetzt, daß es wirklich geschlechtliche Liebe war«. Denn das eben geschilderte Gefühl ist weit davon entfernt, Geschlechtsliebe zu sein! »Effectiv geschlechtliche Sinneslust war mir ihr gegenüber total fremd. Mitunter mußte ich, um nur die nöthige Potenz zu erlangen, andre« (d. i. männliche) »Bilder in mir wach rufen. Auf Augenblicke freilich fühlte ich mich einzig in diesem Sinne getrieben. Mitunter war der Moment auch mir ein berauschender. Sonst hätte uns Gott ja auch keine Kinder geschenkt. Dann war denn auch, wenigstens zeitweise, jene andre Seite in mir zurückgedrängt. Eine Heirath, wenn schon eine erzwungene, scheint bei manchem jene Natur unterdrücken zu können.«(?) »Daß sie in mir aber noch wach ist, muß ich mir täglich sagen« (er ist fast 50 Jahr alt) »und Ihre Schriften haben es zur klareren Erkenntniß gebracht.«

Eine merkwürdige Uebereinstimmung mit meiner Form. Note 44 a. E. ausgesprochenen Idee finde ich in seinen ferneren Worten (er hatte, wie gesagt, Inclusa und Form. nicht gelesen):

»Ich komme mir immer wie ein Zwitterding vor, in allen Lagen des Lebens.«

k. Zu Formatrix §. 6. Dieser Herzog v. Devonshire war einige Jahre vor seinem Tode in Karlsbad mit nicht weniger als 5 jungen Bedienten; was den übrigen Curgästen, namentlich den Damen, sehr auffiel. Einem Freunde von mir sagte von diesen 5 Bedienten ein adliges Fräulein: »Einer war noch schöner wie der andre!«

l. Im Jan. 1865 fand in Frankfurt a. M. eine große urn. Kaffeegesellschaft Statt. Etwa 14 Ue nahmen daran Theil. Einige derselben hatten auch ihre Geliebten mitgebracht, Oesterreichische und Preußische Soldaten.

m. Zu Ara spei §. 1. fgde. »Instinct.« In einer neueren Schrift finde ich eine durchaus zutreffende Definition von Instinct:

»I. ist ein Wille, der gezwungen ist,« – besser: den die Natur zwingt – »das zu wollen, was er will.«

So ist es die uns Menschen angeborne Natur, die uns zwingt, geschl. Handlungen zu verbergen und den Körper zu bekleiden. (Ara spei §. 3.)

n Zu Ara spei Note 44. »Ehe zwischen U und Weib.« Callicratides, der U in Lucians ἔρωτες, (Cap. 38) sagt:

»So lange sie beschränkt bleiben auf den Zweck der Fortpflanzung, mag es Weiber geben. Außerdem aber – weg damit! (ἄπαγε) – will ich wenigstens keine Gattin haben.«

o. Zu Ara spei §.134. »Meine Unters.« Dies nehme ich zurück. Bis vor kurzem hielt ich Ue ohne weibl. Habitus nicht für echte Ue. Schon in Form. §. 115 gab ich diese Ansicht auf.

p. Zu Ara spei § 139. 140. »Ich liebe dich« ist überhaupt ein rein passiver, gar nicht aktiver, Begriff, gleich: »ich werde geschlechtlich ungezogen von dir.« (Die Sprachen sollten dies ausdrücken!) Der Irrthum hierüber ist besonders uns verhängnißvoll gewesen. Vgl. Incl. §.43. fgde; §. 50.

q. Des Us Herz hat seine Rechte. Aber auch feine physische Natur hat ihre Rechte. (Vcta. §. 6. a. E.)

r. Zu Ara spei §. 43. §. 47. »Urnisches Liebesbündniß mit der Solennität der Ehe« und §. 147: »Problem, demselben das Siegel socialer Sanction aufzudrücken.« Am 1. Januar 1865 nennt mir ein U: »Anastasius; Fahrten eines Griechen im Orient«; von Urquhart, einem Englischen Gesandten; in's Deutsche übersetzt von Lindau; erschienen etwa 1830-1840. Darin erzähle Urquhart:

»Im heutigen Griechenland, in Epirus und in andren entlegenen Provinzen der Türkei« [vielleicht auch in Albanien: siehe oben a.] »lassen bisweilen 2 Jünglinge von ihren Griechisch-katholischen Priestern sich zusammengeben ganz in den dortigen Formen der Ehe.«

Das deucht mir wonnevoll! Das ist die Lösung des Problems! Staatliche Wirkungen, juristische, fordre ich nicht für das urn. Liebesbündniß: nur moralische, Wirkungen für die öff. Meinung, für die sittliche Weltordnung. Darum verwerfe ich staatliche Sanction: darum preise ich die kirchliche dieser Griechen. Die Abschnitte m-r fehlen in der Neuausgabe von 1898.

Sprechsaal.

s. Ich erfahre, daß schon das noch nicht erschienene »Nemus sacrum« vielfach bestellt ist. Man wolle Rücksicht nehmen. Heft III. IV. V. schienen mir dringender.

Uebrigens wird »Nemus sacrum« reichhaltiger werden, als ich ankündigend (Incl. § 29) irgend hoffen zu dürfen glaubte. Es wird urn. Poesien enthalten der Griechen, Römer, Perser (Sadi und Hafis) und der Deutschen. Des Griechischen und Römischen Theils Inhalt wird dieser sein:

Zeus und Ganymedes. Neptun und Pelops. Apollo und Hyacinthus. Hercules und Hylas. Chariton und Menalippus. Das Grab des Diocles. Der Traumgott und Endymion. Sehnsucht nach Latmos' Thal. Verschmähte urn. Liebe und Eros der Rächer (Theocrits Idyll 23. und Narcissus). Theocrit an seinen Geliebten. Ibycus an seinen Euryalus. Anacreon an seinen Bathyllus (dionische Fälschung urnischer Liebespoesie). Pindarus an seinen Theoxenus. Der urn. Liebe himmlische Weihe; Prosa, von Plato, etc.

Catull an seinen Inventius. Virgil und Alexis. Gallus und Hylas. Domitian römischer Kaiser (69-82). und Earinus Earinus ist bei Statius im Vorwort zum dritten Buch der Silvae und bei Martial, Epigramm 9, 11, 13 erwähnt.. (Hadrian und Antinous. Diesen reichen und ruhmvollen historischen Stoff werde ich in historischer Monographie besonders bearbeiten. Die Verschiedenheit der Angaben über die Todesart des Antinous (unten § 137. u. S. 92.) beruht auf verschiedenen Darstellungen der alten Schriftsteller. Antoninus und Hierocles. Tormentum dulce tormentum dulce (süße Qual): Martial, Epigramm 7, 29, 1. von Martial. Menalcas und Amyntas von Virgil. Encolpius und Giton von Petronius. Lycidas und Jolas von Calpurnius. etc.

Deutschland wird jetzt durch 3 urnische Dichter vertreten sein.

Am 18. Januar 1865.

Numa Numantius.

Zur Nachricht. fehlt in der Neuausgabe von 1898 (wohl weil kein Heft erschienen ist).

Neben Heft VI. »Nemus sacrum« wird, etwa gleichzeitig, ein besondres Heft erscheinen, Urnische Tageschronik enthaltend. Meine Aufforderung an Urninge und Dioninge, Vindicta Vorbericht Sprechsaal, sei daher wiederholt.

I.
Der Instinct der geschlechtlichen Schamhaftigkeit und seiner berechtigten Einwirkung auf die Moral.

Hirschfeld ändert in der Neuausgabe von 1898 (S. 26) zu: »Grenzen seiner berechtigten Einwirkung« ... Horatius: Satiren 1, 1, 107 f.:
kurze, feste Schranken sind gezogen,
und diesseits und jenseits liegt das Unhaltbare. (Übersetzung W. Schöne)

 

»Sunt certi denique fines,
Quos ultra ... nequit consistere rectum.«

Horatius.

 

»Unsre moralische Pflicht, das moralische Recht, unser eignes wie das andrer, und die urtheilende Vernunft stehn hoch über unsren Instinkten und Naturtrieben.«

N. Num.

 

»Die Pflichten gelten nicht allein:
Das Herz verlangt gehört zu sein;
Vom besten will es haben.« D. i. »In der Moral giebt es nicht nur Pflichten: es giebt auch ein moralisches Recht. Auch das Herz hat ein Recht, ein starkes Recht.«

Rose von Tistelön.

 

§. 1. Die herrschende Ansicht scheint die Schamhaftigkeit zu halten für eine sittliche Charactereigenthümlichkeit, die man durch dauernde Erfüllung einer bestimmten Pflicht sich aneigne, die auch durch eine gute moralische Erziehung anerzogen werde.

Im Gegensatz hiezu halte ich sie für einen Instinct, d. i. für einen Naturtrieb, für einen nicht anerzogenen, sondern angeborenen, mehr oder weniger unbewußt vorhandenen, Trieb, dessen Vorhandensein unabhängig ist von Reflexion und Willenskraft.

§. 2. Jedoch sei es fern von mir, jene Handlungsweise, zu welcher dieser Instinkt uns anreizt, für gleichgültig zu erklären für das Sittengesetz. Den Instinkt der geschlechtlichen Schamhaftigkeit halte ich vielmehr für einen Trieb, den die Natur dem Menschen eingepflanzt habe zur Zügelung der Befriedigung des geschlechtlichen Liebestriebes. Der Schamhaftigkeitsinstinkt ist das naturmäßige Correctiv des ebenfalls naturmäßigen Geschlechtsinstincts. Jedes Zuwiderhandeln gegen die Gebote der Schamhaftigkeit halte ich daher, als ein Zuwiderhandeln gegen einen Naturtrieb, zunächst für naturwidrig, demnächst auch, wenigstens im allgemeinen, d. i. Ausnahmen vorbehalten, für unmoralisch. Für unmoralisch halte ich es jedoch nur, weil es naturwidrig ist; wenigstens so lange das Zuwiderhandeln nicht zugleich dritter Schamgefühl verletzt.

§. 3. Der Instinct der Schamhaftigkeit gebietet namentlich:

  1. die Befriedigung des geschlechtlichen Liebestriebes einzuschränken;
  2. nicht dagegen, diesem Triebe die Befriedigung unbedingt zu versagen;
  3. geschlechtliche Acte, Berührungen und Körpertheile Das Bewußtsein, nackt zu sein, ist wirkliche Pein. Der Alp erscheint uns unter der Form eines wilden Thiers, dem wir zu entfliehen suchen, unter der Form der Gefahr, von einem Thurm herabzustürzen: aber auch unter der des Nacktseins auf offener Straße. Dies scheint Beweis genug zu sein, daß es ein wahrer Instinct sei, der uns die Verhüllung vorschreibt.
    Wenn bei den Wilden der heißen Zone der Alp die Form des Nacktseins vielleicht nicht annimmt, so liegt darin kein Gegenbeweis. Der Wilde ist noch dem Kinde ähnlich und dem Thier, welchen beiden der Instinkt der Scham fremd ist, bez. noch unentwickelt. (Siehe unten §. 8. 9.) Bei ihm ist derselbe daher schon an sich schwächer, als bei uns. In der heißen Zone wird er aber außerdem auch noch abgestumpft durch das Bedürfniß, möglichst wenig bekleidet zu sein. Der Wilde der heißen Zone geht daher fast nackt oder ganz nackt.
    zu verbergen. Dies gebietet er selbst Ehegatten.

§. 4. Zu 2 habe ich eine sehr merkwürdige Thatsache anzuführen. Die Verkündiger von Religion und Moral (die in der Bibel aufgeführten, Päbste, Concilien etc.) haben, dem Triebe der Schamhaftigkeit folgend und

Laude pudicitiae ferventes, Prudentius, siehe III. Vindicta S. 3.

die Bekämpfung der Liebesbefriedigung eifrig und begeistert empfohlen. Die lebenslängliche Nichtbefriedigung des Geschlechtstriebes aber haben selbst die strengsten unter ihnen dennoch niemals von irgend einem Menschen verlangt Eine moralisch keineswegs gerechtfertigte Ausnahme theilt die folgende Anmerkung mit.. Wo diese lebenslängliche Nichtbefriedigung in Frage kommt, haben sie dieselbe stets und übereinstimmend nur anempfohlen als etwas Gott wohlgefälliges, d. i. sittlich schönes, und als etwas der Schamhaftigkeit entsprechendes. So z. B. der Apostel Paulus, die Concilien und die Päbste. Keinem Menschen hat jemals ein Pabst es für Pflicht erklärt, Priester zu werden oder in ein Kloster zu gehen, keinem Menschen jemals es für Pflicht erklärt, das Gelübde lebenslänglicher Keuschheit abzulegen. Es ziemt mir wohl, so gerecht zu sein, dieses Anerkenntniß als Protestant der katholischen Kirche nicht zu versagen.

Die bezeichnete Thatsache aber führe ich an zur Unterstützung meiner Ansicht, daß es irrig sei zu behaupten:

»Wegen der Schamhaftigkeit sei es dem Urning Pflicht, seinem geschl. Liebestrieb die Befriedigung lebenslänglich zu versagen Oder auch dem Zwitter. Entschieden muß ich auch den Zwittern das moralische Recht auf Befriedigung ihres Liebestriebes wahren und kann es nur laut für einen Frevel an der Natur erklären, daß 1855 das geistliche Gericht zu Münster dem mehrerwähnten Münsterschen Zwitter, dessen bisherige Ehe es für nichtig erklärt hatte, die Wiederverheirathung verbot. (Caspers Vierteljahrschrift a. a. O. Inclusa §. 6.) » Von Gott hat ein jeder das nämliche Recht«..

§. 5. Ferner halte ich die Gebote der Schamhaftigkeit, als eines bloßen Instincts, nur für untergeordnete Pflichten, deren Übertretungen noch nicht ohne weiteres Todsünden sind, Auch in der christlichen Kirche gelten die Uebertretungen der Gebote der Scham mit Recht für geringer, als andere Pflichtverletzungen; wenigstens in der katholischen Kirche, welche ausdrücklich lehrt: »Peccata carnalia minora sunt spiritualibus.« (Fleischesvergehen sind weniger schlimm als geistige Vergehen.) Nur von protestantischen Geistlichen habe ich sie ohne weiteres als »Todsünde» oder »gräuliche Sünde» bezeichnen hören. Wer, stachelnden Naturtrieben folgend, die Gebote der Schamhaftigkeit übertritt, aber beweist, daß er ein Herz hat für die Noth anderer, erscheint mir weniger sündhaft, als wer diese Gebote pünktlich erfüllt, sich aber lieblos und hartherzig erweist.
Hier hat die katholische Lehre sicher vollkommen Recht. Und doch ist dieser unter euch hochgeehrt: jenen aber, ist er ein U oder ein Mädchen, verstoßt ihr. Das sind eure Zustände!
und nicht für absolute Pflichten, sondern für solche, welche in Conflictsfällen anderen Pflichten zu weichen haben.

Angenommen, ein kranker schwebt in Lebensgefahr. Nur ein Arzt und eine Jungfrau sind zugegen. Nur sie sind im Stande, sein Leben zu retten, aber nicht ohne daß der kranke vor den Augen der Jungfrau entblößt werde. Hier wäre es ohne Zweifel pflichtwidrig, wollte die Jungfrau ihre Beihülfe zur Rettung seines Lebens versagen, um dem Gebot des Schamhaftigkeitsinstincts zu genügen, welcher den Anblick eines entblößten männlichen Körpers ihr verbietet.

Auch des Arztes Thätigkeit bei der Geburtshülfe ist schamhaftigkeitswidrig, also naturwidrig, dennoch moralisch erlaubt, ja moralische Pflicht.

Ferner verbietet die Scham, geschlechtliche Dinge in Worten zu erörtern. Dennoch ist solche Erörterung nicht pflichtwidrig, wenn sie zu wissenschaftlichen Zwecken geschieht, z. B. in medicinischen Büchern Dabei kann ich freilich nicht leugnen, daß die Schaustellung affreus nackter Geschlechtlichkeiten, die z. B. Casper und Tardieu a. a. O. eben über unsern Gegenstand liefern, die Scham m. Er. sehr stark verletzt. (Noch dazu eine durchaus einseitige und auf den wesentlichsten Irrthümern beruhende Schaustellung.). Ebenso, wenn sie geschieht, wie gegenwärtige Studien, um eine ganze Menschenclasse von ungerechter Verfolgung zu befreien. An jedem neuen Selbstmorde eines unglücklichen verfolgten Urnings würde ich durch schamhaftes Schweigen eine Mitschuld auf mein Haupt laden. Schamhaft zu sein, wäre mir geradezu Sünde.

§. 6. Ja auch bloßen moralischen Rechten weichen einzelne Gebote des Schamhaftigkeitsinstincts.

Beispiel 1. Bursch und Mädchen sind auf eine wüste Insel verschlagen, wo es weder Priester noch Civilstandsbeamte giebt. Sie knüpfen ein Liebesbündniß, eine Ehe ohne Form. Eine Ehe ist hier also nur materiell vorhanden, nicht auch sanctionirt. Ohne sanctionirtes Ehebündniß aber, also »außer der Ehe« wie »in wilder Ehe«, wird durch diesen Instinct der Liebesgenuß untersagt. Ist nun hier der Liebesgenuß ihnen Sünde? Nein! Sie haben ein angeborenes moralisches Recht auf Befriedigung des geschl. Liebestriebes. Der Satz:

»Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme Schaden an seiner Seele? Matthäus-Evangelium 16, 26.

trifft hier nicht zu. Sie nehmen eben nicht Schaden an ihrer Seele, weil sie nur dem angeborenen moralischen Rechte gemäß handeln und die bezeichnete Forderung des Schamhaftigkeitsinstincts diesem Rechte weicht.

Ich habe hier Aussprüche protestantischer Geistlichen für mich.

Beispiel 2. Ebenso ist es einer Schwangern ein Verstoß gegen den Instinct weiblicher Schamhaftigkeit und ist ihr darum naturwidrig, sich hinzugeben der geburtshelferischen Thätigkeit eines Mannes, eines Arztes oder gar eines Nichtarztes. Im März 1864 that in Schleswig eine Ehefrau eine Nothgeburt. Ein Gefecht tobte ganz in der Nähe ihres einsam gelegenen und verlassenen Hauses. Ein Paar junge Preußische Soldaten waren ihre Geburtshelfer. So berichten die Zeitungen. Wäre es hier nicht irrig gewesen, zu ihr zu treten und zu sprechen:

»Was hülfe es dem Menschen ... Also stirb lieber, als daß du dich entblößest vor Soldaten.«?

Dieser Verstoß gegen die Schamh. ist ihr eben nicht Sünde, und als sie zur Geburtshülfe im Falle der Noth Soldaten zuließ, hat sie nicht Schaden erlitten an ihrer Seele.

§. 7. Wir sehen also, daß Schamhaftigkeitswidrigkeiten, obgleich sie geschlechtliche Naturwidrigkeiten sind, unter Umständen, nämlich verschiedenen moralischen Pflichten und moralischen Rechten gegenüber, dennoch keineswegs moralisch unerlaubt sind. Können aber Schamhaftigkeitswidrigkeiten denselben gegenüber moralisch erlaubte Handlungen sein: so können auch andere geschlechtliche Naturwidrigkeiten derartigen Pflichten oder Rechten gegenüber moralisch erlaubte Handlungen sein. Die Pflicht, geschlechtlich naturgemäß zu handeln, ist keineswegs eine absolute Pflicht. Sie ist nicht eine absolute Pflicht, ebenso wie die Pflicht, dem geschlechtlichen Schamhaftigkeitsinstinct gemäß zu handeln, oder die Pflicht, in nichtgeschlechtlichen Dingen naturgemäß zu handeln, absolute Pflichten nicht sind. Genau betrachtet, ist auch jedes Zügeln eines Naturtriebes, jedes Beugen desselben unter Vernunft und Pflicht, naturwidrig. Und dennoch wird dieses Zügeln und dieses Beugen von Vernunft und Pflicht geradezu geboten.

Unsere moralische Pflicht, das moralische Recht unser selbst wie anderer und die urtheilende Vernunft stehen hoch über unseren Instincten und Naturtrieben.

§. 8. Es ist bemerkenswerth, zu beobachten, wie die Natur verfuhr, indem sie einigen Bedürfnissen, die sie dem Menschen einpflanzte, einen Instinct der Scham zur Seite stellte, anderen dagegen nicht.

Dem geschlechtl. Bedürfniß nicht allein, sondern auch dem Bedürfniß der Körperentleerung setzte sie den Instinct der Scham zur Seite Auch hier erscheint ein Zuwiderhandeln gegen den Instinct der Scham als naturwidrig und daher als unmoralisch.: nicht dagegen dem Bedürfniß Nahrung zu sich zu nehmen, obgleich das ebengenannte mit diesem im allerengsten sachlichen Zusammenhang steht. Auch nicht dem Bedürfniß des Säuglings an der Mutterbrust zu saugen. Die Mutter, auch die eheliche, wird durch eine Scham angetrieben, den Act des Säugens zu verbergen: ohne Schamgefühl dagegen sehen wir den Säugling saugen, die Brüste der Mutter entblößen und mit sichtbarem Wohlgefallen dieselben mit beiden Händchen berühren. Auch er scheint, bei dieser Berührung, eine wohlthuende magnetische Durchströmung zu empfinden, vielleicht ganz ähnlich wie sie der Liebende empfindet bei der Berührung der Körpers des Geliebten. Der Mangel dieser Durchströmung scheint mir die Hauptursache zu sein, daß an Flaschen gesäugte Kinder nicht so gut gedeihen, wie an der Mutterbrust gesäugte. Vgl., was ich in Incl. §. 103 sagte über die Zufluchtsbedürftigkeit des Kindes, welche durch die Nähe und die Berührung der Mutter befriedigt wird, und über deren große Aehnlichkeit mit des Us Zufluchtsbedürftigkeit, welche durch des männlichen Lieblings Nähe und Berührung gestillt wird. Er empfindet keine Scham, weil uns im zarten Lebensalter der Instinct der Scham überhaupt fremd ist.

§. 9. Ebenso ist dem Thiere der Instinct der Scham stets und unbedingt fremd trotz seines außerord. Reichthums an Instincten. Das Thier verhüllt weder den Begattungsact noch den Act der Körperentleerung. Der Instinct der Scham ist ausschließliches Vorrecht des Menschen.

§. 10. Ein geschlechtliches Schamhaftigkeitsgefühl ist es auch, welches die Dioninge für den Zustand stachelnder Liebesbedürftigkeit, wie ihn namentlich andauernde Versagung erzeugt, Spottnamen erfinden ließ. So sagten die Griechischen Dioninge vom Urning

»παιϑομανἠς«, d. i. burschentoll.

So sagt man in Ostfriesland

»jungensdüll« oder »jungensdull«

von Mädchen, d. i. ebenfalls burschentoll. »Junge« ist hier nämlich gleich Bursch. Auch »mannssüük«, d. i. mannssiech, liebeskrank nach Männern, sagt man hier ebendafür, aber in gleicher spottender Bedeutung. Für sich selbst jedoch haben die Dioninge entsprechende Spottnamen zu erfinden unterlassen. [Nach Abzug des spottenden beruhen diese Ausdrücke übrigens auf ganz richtiger Anschauung. So könnte man auch, vom Mädchen wie vom U, oft mit Grund sagen:

»soldatentoll«.

Ein durchaus zutreffender Ausdruck (freilich ein wenig sentimental) wäre: »burschensiech« oder »soldatensiech«.]

§. 11. Dasselbe Gefühl veranlaßt die De auch, eine unverheirathete, bei der der Stachel des Liebestriebes den Schamhaftigkeitsinstinct überwältigte, als eine » gefallene« zu behandeln und auszustoßen. Daß sie, wenn sie in gleicher Verdammniß waren, sich selber als »gefallene« behandelt oder auch »gefallene« sich nur genannt hätten, hat man nie vernommen. Jene treibt ihr durch eure Verachtung zu Selbstmorden. Daß unter euch einer sich als »gefallenen« selbst entleibt hätte, hörte ich nie.

§. 12. Beide Fälle dürften sattsam lehren, es sei Pflicht, den Instinct der Scham energisch einzuzwängen unter die Herrschaft nicht nur der Vernunft, sondern auch der Gerechtigkeit.

§. 13. So soll meines Ermessens der klare Verstand sich auch nie täuschen oder verwirren lassen durch diesen zwar sehr edlen aber zugleich sehr gefährlichen Instinct. Manche Geistliche sehen wir soweit gehen, den Geschlechtstrieb für einen an sich sündhaften und unheiligen Trieb wenn auch nicht zu erklären, so doch thatsächlich als einen solchen zu behandeln: nicht anders als die böse Lust des Diebes zu stehlen oder die des Betrügers zu betrügen; während doch der Verstand sagt: er ist an sich ebenso rein u. so frei von Sünde, wie die übrigen auf Befriedigung der Naturbedürfnisse gerichteten Triebe, z. B. wie Hunger und Durst. Der Verstand aber, welcher des urn. Liebestriebes Angeborensein erkannt hat, wird auch dem urn. Triebe diese Sündlosigkeit und Reinheit vindiciren.

Urtheilen sollen wir mit dem sehenden Verstande, nicht mit dem blinden Instinct.

Mit diesem Satze ist dem Instinct der Scham sein Recht keineswegs geschmälert. Sein Recht soll ihm überhaupt nicht geschmälert werden.

II.
Ist urnische Liebe moralisch berechtigt?

A. Aburtheilung dieser Frage durch die blinde Antipathie oder durch den prüfenden Verstand?

§. 14. Von dem blinden Instinct der geschlechtl. Schamhaftigkeit soll sich euer Verstand nicht täuschen noch in's Schlepptau nehmen lassen. Aber auch nicht von eurer blinden Antipathie gegen urnische Liebe.

§. 15. Eine solche Täuschung und ein solches in's-Schlepptau-nehmen scheint es aber zu sein, wenn z. B. protestantische Geistliche gesagt haben:

» Weil sie eine große Sünde ist, so hegen wir Abscheu vor dieser Liebe.«

Die Hand aufs Herz! ihr protest. Geistlichen: ist's nicht umgekehrt?

Weil ihr eine natürliche blinde Antipathie vor ihr hegt: so erklärt ihr sie für eine große Sünde, ohne bei diesem Urtheile euren sehenden Verstand irgendwie zu Rathe zu ziehen.

Ist's nicht also? Hat nicht die blinde Antipathie, die ihr vor urnischer Liebe hegt, eurem Verstände einen Streich gespielt? nicht sogar einen zwiefachen? hat sie nicht zuerst ihn in's Schlepptau genommen und nachher ihm vorgegaukelt, sie habe es nicht gethan?

Sie nimmt euren Verstand in's Schlepptau. Sie wirft ihn in Ketten und Fesseln. Seine sehenden Augen macht sie ihm geradezu blind. Sie stößt ihn von seinem Stuhle, auf dem er sitzt, wenn er urtheilt. Sie erborgt seine Gestalt und den Ton seiner Stimme, und setzt sich selber auf seinen Stuhl, und die Usurpatrix, die zu urtheilen absolut unfähige, verkündet das Urtheil:

»Urnische Liebe ist gräuliche Sünde!«

Hinterher aber gaukelt die verschmitzte mit Schmeichelreden ihm vor, ihm auf die Schulter klopfend:

» Du warst es ja, lieber einfältiger leichtgläubiger Verstand, der auf dem Stuhle saß. Du sprachst das Urtheil.«

Dies Lied singt sie dem armen so lange vor, bis er es glaubt.

§. 16. Ich aber, bin ich nicht in meinem Rechte, das so gesprochene Urtheil Vor einigen Jahren hat ein D gesagt: »Männer lieben sei gerade so schlimm als stehlen.» für ein nichtiges Urtheil zu erklären? Bin ich nicht im Recht, wenn ich erkläre: Wer seinen Verstand von blindem Instinct oder von blinder Antipathie in's Schlepptau nehmen läßt, dem kann ich die Würde des Menschen nicht zuerkennen? Und steht er nicht in der That auf Einer Stufe mit dem Thiere?

§. 17. Die h. Schrift in den Paulinischen Briefen unterscheidet zwischen dem natürlichen Menschen und dem geistigen, und verlangt von uns allen, den natürlichen Menschen abzustreifen und den geistigen anzuziehen. Nichts anderes aber ist es, was ich von euch begehre: auszuziehen den in blinden Natur-Instincten und vernunftlosen Antipathien befangenen Menschen; den urtheilenden Verstand von denselben zu emancipiren.

§. 18. Die Briefe der Apostel Petrus und Judas ferner, und selbst neuere Theologen, verwerfen mit aller Entschiedenheit die Handlungsweise jener, die, blindem Widergefühl folgend,

etwas »schmähen und lästern, davon sie nichts wissen«.

Jene Briefe stellen diese ausdrücklich auch mit den vernunftlosen Thieren auf Eine Linie.

2. Brief Petri Cap. 2, 12. 13:

»Diese aber sind, wie die Thiere, welche nicht mit Vernunft begabt sind« (sondern blinden Naturtrieben folgen). »Sie schmähen, davon sie nichts wissen. Sie werden umkommen in ihrer Verkehrtheit und den Lohn der Ungerechtigkeit davon tragen.«

Brief Indae 10:

»Diese aber lästern, davon sie nichts wissen: und in denjenigen Dingen, davon sie von Natur wissen, gleichwie die vernunftlosen Thiere« (d. i. davon sie wissen in Folge ihrer blinden Naturtriebe), »in diesen Dingen gelangen sie zu verkehrter Handlungsweise.«

§. 19.  Von Meyer, Dr. theol., (Bibelübersetzung 1823) sagt erklärend zu Jud. 10. fast buchstäblich dasselbe, was ich sagte von »blinder Sympathie, blinder Antipathie und blinden Instincten.« Er sagt:

»Ihr blinder fleischlicher Trieb und ihre natürlichen Neigungen« (also Antipathien wie Sympathien) »sind alles was sie wissen.«

Zwar mag Herr von Meyer es sich nicht klar gemacht haben, daß seine Worte vollkommen anwendbar sind auch auf die Dioninge und deren blinde Antipathie gegen urnische Liebe. Allein dem richtigen Gedanken hat er doch Ausdruck gegeben, vielleicht ganz gegen seinen Willen.

§. 20. Bisher hat also eine incompetente und absolut unfähige Instanz über uns zu Gericht gesessen. Gegen deren Urtheilsspruch aber ergreife ich Appellation und Nichtigkeitsbeschwerde bei der höheren Instanz, welche zugleich die höchste ist und die einzig competente und die einzig zu urtheilen fähige.

Vom Urtheil der blinden Antipathie appellire ich an das des sehenden Verstandes.

B. Aburtheilung dieser Frage nicht ohne vorgängige Prüfung.

§. 21. Zu Anfang des J. 1864 erschien eine Schrift von Warnstedt's über die Sache Schleswig-Holsteins. Deren einleitendem Vorworte entnehme ich folgenden Satz, welcher seinem Princip nach volle Anwendung findet auf die Sache der urnischen Liebe.

»Wer sich berufen fühlt, in der Schleswig-Holsteinschen Erbfolgefrage zu urtheilen: der soll sich billig unterrichten. Stellt er sich, ohne Prüfung der Rechtsfrage, auf die Seite des Feindes, so trifft ihn der Vorwurf der Leichtfertigkeit und Gewissenlosigkeit.«

§. 22. Auf unsere Sache angewandt lautet der Satz so:

»Wer sich berufen fühlt, über urnische Liebe zu urtheilen: der soll sich billig unterrichten. Stellt er sich ohne zu prüfen auf die Seite ihrer Verfolger, so trifft ihn der Vorwurf der Leichtfertigkeit und Gewissenlosigkeit.«

Einen ähnlichen Vorwurf habe ich bereits früher den Verfolgern daraus gemacht, daß sie verfolgen, ohne zuvor unsere Natur einer Prüfung unterzogen zu haben. (Vindex §. 32 33: der gesetzgebenden Gewalt, dem Strafrichter, den Blutsverwandten und jedem aus dem Volke.)

C. Beantwortung dieser Frage. Constatirung der moralischen Berichtigung der urnischen Liebe.

 

»O zürne nicht, daß ostwärts ich die Hände
Ausstrecke und dir Erosgrüße sende:
Es zieht ein Gott mich hin zu dir.
Es färbte röthlich deine Wangen,
Daß sie erweckten mein Verlangen
Und alles jubelte in mir.«
An ...

N. Num.

 

§. 23. Ihr werdet nicht umhin können, den urn. Liebestrieb für einen seiner Natur nach heiligen zu erklären. Derselbe ist ja dem U angeboren, wie dem D der dionische: und er enthält ja, gleich dem dionischen, Liebe, wahre lautere Liebe. Darum ist er auch eben so edel, ebenso rein, das Herz ebenso mit Muth und Kraft erfüllend, wie dieser; darum ist er aber auch ebenso heilig, und darum auch, nach dem Rechte der Natur, moralisch ebenso berechtigt, wie dieser.

Die moral. Berechtigung der urnischen Liebe ist weniger nachzuweisen, als vielmehr nur zu constatiren, nämlich als in der reinen Vernunft enthalten.

§. 24. Der urn. Trieb hat nur das Unglück, in euch eine instinctartige blinde Antipathie zu erregen. »Eure Antipathie erregend« aber und »unheilig« oder »unberechtigt« sind Begriffe, welche weder identisch sind noch ursächlich mit einander Zusammenhängen. Der erstere ist ein rein subjectiver, die beiden letzteren sind rein objective Begriffe.

Laßt euch von eurer Antipathie doch nicht bethören, diese Begriffe mit einander zu verwechseln, und hütet euch wohl, die angebliche Unheiligkeit oder Nichtberechtigung urn. Liebe aus eurer Antipathie gegen dieselbe zu folgern.

[Oder ist der Geschmack (um ad hominem zu argumentiren), den einzelne an Zwiebeln und Knoblauch finden, darum unheilig oder unberechtigt, weil andere Widerwillen empfinden schon bei dem bloßen Gedanken an Knoblauch?]

§. 25. Sagt euch nicht die Weisheit der Natur, sagt euch nicht euer eigenes Herz:

»Von Gott hat ein jeder das nämliche Recht?«

Haben nicht auch wir ein moralisches Recht auf Liebesbefriedigung? Jedem Menschen, behaupte ich, also auch dem U und dem Urningszwitter, ist angeboren ein moralisches Recht auf volle und ganze Befriedigung des geschlechtl. Naturbedürfnisses, und zwar ein moralisches Recht gerade auf jene Art der Befriedigung desselben, welche der ihm angeborenen Richtung des geschl. Liebestriebes entspricht.

§. 26. Ich appellire an Gottes Gerechtigkeit. An seine Gerechtigkeit nicht in Austheilung der Gaben des Glücks, sondern in Schaffung des Sittengesetzes; insofern wir ihn nämlich als Quelle des Sittengesetzes betrachten. Denn nicht um Gaben des Glücks handelt es sich hier, sondern um eine Frage des Sittengesetzes.

Es giebt nicht 2erlei Sittengesetz. Gott kann nicht Einer Menschenclasse zur Sünde machen, was er 2 andren Menschenclassen erlaubt. Euch und den Weibern nun ist die Befriedigung der geschl. Liebe sittlich erlaubt: also ist sie auch uns und den Zwittern sittlich erlaubt.

Nach erfolgter Emancipation von eurem blinden Widerwillen wird euer Verstand ebenso urtheilen. Er kann nicht anders.

§. 27. Wohl weiß ich, daß es einige unter euch giebt, namentlich Geistliche, welche 2erlei Sittengesetz lehren: eines für euch selber und eure Weiber, ein anderes für uns und für die Zwitter: ein euch privilegirendes und eins, welches uns zu einer verächtlichen Kaste moralischer Paria's herabdrückt, ein angebliches Sittengesetz, welches sich anmaßt, den Genuß der Liebe uns lebenslänglich zur Sünde zu stempeln.

Wißt ihr, wohin sie führt, diese Starrheit unmenschlicher Unnatur? Zu einem Verzweifeln an der Existenz eines gerechten Sittengesetzes oder, was dasselbe ist, zu einem Verzweifeln an der Existenz eines gerechten Gottes. Allen Glauben an Sittengesetz, Tugend, Gott und Gerechtigkeit untergrabt ihr mit eurem 2erlei Maß. Den U bringt ihr zur Verzweifelung, den D des großen Haufens dahin, sich pharisäisch wohl zu fühlen in seiner Bevorzugung, den gerechter denkenden aber, sich aufzulehnen gegen solch ein empörendes Pseudosittengesetz.

Sind wir nicht alle Kinder Eines Vaters? Hat uns nicht Ein Gott erschaffen? Auch wir Ue sind berufen theilzunehmen an der irdischen Glückseligkeit. Auch wir sind berufen, der Liebe Seligkeit; zu schmecken. Es ist nicht wahr, daß diese Seligkeit zu schmecken euch sündlos, uns zeitlebens Sünde sei! Zur Theilnahme an der Glückseligkeit auf Erden und zur Seligkeit der Liebe sind auch wir berufen von Gottes Gnaden und von Gottes Gerechtigkeit!

D. Urnische Liebe und das Christenthum.

 

»Der Protestantismus gestattet sich kein Verdammungsurtheil über den, welcher strebt, das Dunkle aufzuhellen«

Hameln 1861.
Dr. theol. Schläger. Dies ist wohl kaum ein Privilegium des Protestantismus. N. Num.

 

»Quid me
Desperare jubes?«

Aurelius Prudentius Clemens. Prudentius (warum läßt du mich verzweifeln): siehe III. Vindicta S. 2 f.

 

§. 28. Hört man einige Christliche Geistliche, so sollte man fast meinen: Das Christenthum habe keinen Platz für urnische Liebe. Und da sollte man dann ferner meinen: es stehe schlimm um die Sache der urnischen Liebe.

§. 29. Ich aber meine:

Hat das Christenthum keinen Platz für urnische Liebe, so stehe es schlimm um die Sache nicht der urnischen Liebe sondern des Christenthums.

Denn die Sache der urnischen Liebe ist gerechtfertigt durch ihr Angeborensein und durch das Recht der Natur. Die Vorkämpfer des Christenthums sollten sich daher wohl hüten, auszusprechen: das Christenthum habe keinen Platz für urnische Liebe.

§. 30. Ich meine indeß, das Christenthum habe allerdings Platz nicht nur für dionische sondern auch für urnische Liebe; es habe Raum für alle, für Dioninge wie für Urninge, und auch für die ihnen angeborene geschl. Liebe.

§. 31. Ueber das Verhältniß meiner Forschungen zum Christenthum habe ich überhaupt folgende bedeutungsvolle Bemerkung zu machen.

So oft ich das Christenthum berühre, wird man vielleicht vermuthen, mich mit demselben in unversöhnl. Kampf gerathen zu sehen. Diese Berührung wird oft eintreten. Allein staunen wird man, mich mit demselben stets in vollkommenem Einklange anzutreffen. In Kampf trete ich nur mit der religiösen Oberflächlichkeit und gewissenlosen Leichtfertigkeit, welche, ohne allen Ernst der Prüfung, die Schale für den Kern nimmt. Zunächst steht mir meine Sache so hoch wie keine andere, höher selbst, als der Streit um die Göttlichkeit des Christenthums, welcher in der Christl. Welt doch die höchste der Sachen ist. Suchen werde ich daher nicht den Kampf um das Christenthum, noch weniger den wider das Christenthum. Freilich würde ich, und zwar selbst wider das Christenthum, einem Kampfe auch nicht ausweichen, wenn das Graben und Scharren nach Wahrheit mich mit ihm in Conflict bringen sollte. Bis jetzt aber fand ich noch keine Lehre der Christl. Moral, der ich zu widersprechen für meine Pflicht gehalten hätte. Stützpuncte gerade fand ich in den Lehren des Christenthums.

§. 32. Bei näherer Prüfung ist nämlich des Christenthums Verhältniß zu angeborener urnischer Geschlechtsliebe dieses:

Die Existenz derselben innerhalb der menschlichen Natur ist ihm völlig unbekannt. Darum ist in ihm über diese Liebe gar nichts ausgesprochen. Mithin kann es ihre Befriedigung auch weder für erlaubt noch für unerlaubt erklären. In Betreff urnischer Liebe enthält es einfach eine Lücke. Diese Lücke ist auszufüllen aus seinen Principien, aus dem lebendigmachenden Geiste des Christenthums.

§. 33. Die heiligen Urkunden des Christenthums kennen nur Männer, d. i. Dioninge, und Weiber. Diesen stehen dieselben nicht an die Befriedigung der Liebe zu gestatten. Ganz wie es der menschlichen Vernunft entspricht, machen sie das Erlaubtsein der Geschlechtsbefriedigung auch nicht etwa abhängig von beabsichtigter Kindererzeugung. Die Befriedigung gestatten sie vielmehr schon lediglich zum Zweck der Stillung der Liebesqual.

»Si se non contineant, nubant«.
»Nubere melius, quam uri«. 1. Korinther-Brief 7, 9: So sie sich nicht enthalten, so laß sie freien; es ist besser freien, denn Brunst leiden.

§. 34. Urninge kennt die Bibel nicht. Ihnen die Befriedigung zu gestatten zum Zweck der Stillung der Liebesqual, ist darum das Christenthum bis auf den heutigen Tag noch gar nicht in die Lage gekommen.

Wer aber wird es wagen, jetzt der erste zu sein, die Lehre aufzustellen vom Privilegium vor dem Sittengesetz? Wer, der erste zu sein, zu lehren: »du D und du Weib, ihr beide dürft euer uri stillen: du aber, o U, bist von Gott verdammt zu lebenslänglichem uri: dir ist es Sünde, wenn du dein uri zeitlebens jemals stillst!«

Wäret ihr nicht als De geboren, sondern als Ue: eine Lehre von lebenslänglich unbedingter Sündhaftigkeit urnischer Liebesbefriedigung würde euch ebenso wenig in den Sinn kommen, wie es euch jetzt, da ihr De seid, nicht in den Sinn kommt, zu lehren, dionische Liebesbefr. sei lebenslänglich unbedingt sündhaft.

§. 35.  Verboten aber hat es den Urningen die Liebesbefriedigung durchaus nicht. Römer I. Andere Stellen, sehr kurze, sind nach Römer I. zu interpretiren. – Vgl. Vindex §. 36. Note. redet nur von Männern, d. i. Dioningen, und verbietet diesen: den natürlichen Gebrauch des Weibes zu verlassen, um an Männern den Geschlechtstrieb zu befriedigen.

Wir sind nicht Dioninge. Uns ist ferner der Gebrauch des Weibes nicht der natürliche. Den Gebrauch des Weibes endlich haben wir nicht verlassen.

Nicht uns also treffen Paulus Worte, sondern etwa Uraniaster Siehe Incl. §. 79 und unten §. 61. und die unten im §. 44 und 61 zu erwähnenden Schmeichler des. Heliogabalus. Uns verbieten sie gar nichts.

§. 36. Von der andern Seite verbieten sie dem D nur, einem Dioning geschlechtl. Genuß zu gewähren. Dem weiblich gearteten U (ober einem weiblich gearteten Zwitter) Liebesgenuß zu gewähren, verbieten sie dem männlich gearteten D nicht.

§. 37. Zwischen Christenthum und urnischer Liebe ist hiernach ein Conflict in Wahrheit gar nicht vorhanden. Dem angeborenen moralischen Recht der Urninge tritt es auch nicht mit einer Silbe entgegen. (Ueber die vollkommene Verträglichkeit der urn. Liebe mit dem Christenthum siehe auch noch unten Abschn. IV.)

§. 38. Dagegen verbietet das Christenthum allerdings tausendmal alle geschlechtl. Excesse, alle Zügellosigkeit und Schamhaftigkeitswidrigkeit. Den geschlechtlichen Liebestrieb gebietet es unter die streng zügelnde Herrschaft der Vernunft zu stellen.

Diese Vorschrift, die ich vollkommen anerkenne, trifft den U wie den Dioning.

§. 39. Schon vor etwa 200 Jahren muß ein höherer katholischer Geistlicher urn. Liebe vertheidigt haben, und zwar, da er Christlicher Geistlicher war, vielleicht eben auch vom Christlichen Standpuncte aus. Leider kenne ich nicht seine Schrift, ja nicht einmal seinen Namen. Ich finde darüber nur folgende dürftige Notiz aus dionischer Feder, natürlich ausgestattet mit der unvermeidlichen Gehässigkeit. In den Anmerkungen zu Luciani ἔςωτεϛ in »Luciani opera; Reitzius; Amstolodami; 1743« sagt ein gewisser Moses Solanus oder du Soul von den Lucianischen ἔςωτεϛ:

»Institutum ipsum« (etwa: das Thema, der Gegenstand der ἔςωτεϛ »pro rei atrocitate satis culpari non polest. Laudes» der urnischen Liebe (du Soul bedient sich eines Ausdrucks des Hasses) »majorum nostrorum aetate celebravit, rem notam loquor, Cardinalis.«

§. 40. Geistliche, welche Römer I. bisher auf urnische Liebe angewandt haben, scheint der Vorwurf der Leichtfertigkeit zu treffen. Vgl. oben §. 22 und Vindex §. 32.

Nachdem ihnen aber gegenwärtige Ausführungen bekannt geworden, würde ein härterer Vorwurf sie treffen, wollten sie fortfahren, mit dieser unzutreffenden Anwendung die Ue zu ängstigen; wenigstens so lange sie diese Ausführungen nicht durch Gründe widerlegt haben. Fahren sie nichtsdestoweniger fort zu sagen: »ein U, der urnische Liebe nicht als Sünde bekennt, habe nicht Theil an Jesu oder an Gottes Barmherzigkeit«: so stelle ich ihnen die Frage: »Schreibt Jesu Religion auch vor, arglistig die Gewissen zu verwirren?«

III.
Das urnische Liebesbündniß.

 

»' Εν δὲ τῇ τελεντῇ ... ὡρμηκότες ... πτεροῦσϑ αι
ἐκπαίνουσι τοῦ σώματος, ὥςτε οὐ σμικρὸν ἆϑ λον
τῆς ἐρωτικῆς μανίας φέρονται. Εἰς γὰρ σκότον
καὶ τὴν ὑπὸ γῆς πορείαν οὐ νόμος ἐστὶν ἔτι
ἐλϑ εῖν τοῖς κατηργμένοις ἤδη τῆς ὑπουρανίου
πορείας, ἀλλὰ, φανὸν βίον διάγοντας, εὐδαιμονεῖν,
μετ ἂλλήλων πορευομένους, καὶ
ὁμοπτέρους ἔρωτος χάριν, ὅταν γένωνται,
γενέσϑ αι.«

Plato »Bei ihrem Abscheiden aber treten sie aus dem Körper, nachdem sie bereits begonnen haben beflügelt zu werden« (Beflügelung ist bei Plato Symbol himmlischer Seligkeit): »so daß sie davontragen einen nicht geringen Kampfpreis ihrer Liebesbegeisterung. Denn ein ewiges »Gesetz sagt, daß in Finsterniß und Wandrung unter die Erde nicht mehr kommen, welche schon begonnen haben die himmlische Wanderung, sondern daß sie, ein Leben im Licht führend, glücklich seien, indem sie mit einander wandern und, ob früher oder später, zugleich beflügelt werden um ihrer Liebe willen«. Plato, Phädrus §. 83. Plato spricht hier ausschließlich nur vom urn. Liebesbündniß. .

 

§. 41. Schon mehrfach sprach ich es aus das Wort »Liebesbündniß«, an ein Bündniß zwischen U und D dabei denkend.

Unter urnischem Liebesbündniß verstehe ich nicht nur

  1. jenes zwischen U und D, sondern auch
  2. das zwischen Urnings-Zwitter und D geknüpfte.

§. 42. Zu a) Liebesbündnisse zwischen U und D, mehr oder minder solenn geknüpft, und mehr oder minder auf Dauer berechnet: was zunächst das thatsächliche betrifft, so kommen solche überall vor, wo es Urninge giebt.

Zahlreich kommen sie heute vor ohne Solennitäten bei Arabern, Spaniern, Italiänern, auch innerhalb der Französischen Fremdenlegion in Afrika. Ueber die urnischen Liebesbündnisse unter den Soldaten dieser Legion sind mir aus bester Quelle sehr interessante Notizen geworden. In einer späteren Schrift werde ich sie veröffentlichen. Im Puncte der Liebesbündnisse scheint die Legion fast zu gleichen der berühmten heiligen Schaar der Thebaner. Die Ue unter den Spanischen, Französischen und Italiänischen Soldaten sind vorzugsweise die Liebenden, die Deutschen und Schweizerischen Soldaten die Geliebten.

§. 43. Von aller Solennität der Ehe begleitet, kamen sie einst vor in Rom.

Nero hat sich 2 mal mit jungen Männern verheirathet: in Griechenland mit dem Sporus, in Rom mit dem Pythagoras, beide Male unter allen Solennitäten der Römischen Ehe. Im Costüm der Gattin erschien bei der Hochzeit mit dem Sporus Sporus, bei der andern Nero. Tacitus erzählt (annal. 15,37):

»Den Pythagoras Nach Suetonius hieß er nicht Pythagoras, sondern Doryphorus. Mir scheint, auch Tacitus habe »Doryphorus« geschrieben, und »Pythagoras« sei nur ein Schreibfehler der Abschreiber. heirathete der Kaiser in solenner Hochzeit. Gattin war dabei er selbst. Er ließ sich das hochzeitliche weibliche Haarnetz aufsetzen (flammeum). 2 Auspices wurden ausgesandt.« (Nämlich um aus dem Vogelflug gute Vorbedeutung zu entnehmen, daß die Ehe glücklich sein werde.) »Nicht fehlten Brautbett und Hochzeitfackeln.« (Das alles nämlich waren eben die Solennitäten der Römischen Ehe.)

Aurelius Victor (de Caes. 5, 5 und epit. 5, 5) sagt von dieser Hochzeit:

»Angethan mit dem Hochzeitsgewande einer Braut, erschien er« (vermuthlich neben dem Bräutigam) »im versammelten Senat und setzte dem Bräutigam die demselben zuzubringende Mitgift aus. Alle mußten die üblichen Festlichkeiten feiern. Er heirathete nach den Formen der strengen Römischen Ehe, der »in manum conventio«, so daß er sich unter die eheherrliche Gewalt des Mannes begab.«

Von derselben Hochzeit erzählt auch Suetonius (Nero, 29).

Von Nero's Hochzeit mit dem Sporus erzählen Suetonius und Dio Cassius. Suetonius (Nero, 28) sagt:

»Er heirathete ihn mit Mitgift und flammeum und der feierlichen deductio, und hatte ihn als Gattin. Sporus trug dabei weiblichen Anzug, weibliche Haarfrisur, und den Putz der Kaiserin (Augustarum ornamentis instructus). Dienerinnen begleiteten ihn.«

Dio Cassius (63. 13):

»Es fehlten weder Ehecontract, noch, wie das Gesetz vorschreibt, der desponsor der Braut. Die Griechen feierten diese Hochzeit mit und brachten dem jungen Ehepaar ihre guten Wünsche dar in herkömmlicher Form; worunter auch der übliche Wunsch nicht fehlte, daß ihnen Kinder möchten geboren werden. Sporus ward Herrin und Kaiserin genannt.« » Κυρία καὶ βασιλις.« [Vgl. noch Dio Cassius 62, 28 und Juvenal I. 62.]

Auch Martialis schildert Liebesbündnisse, die in Rom gerade unter diesen Solennitäten eingegangen seien; z. B. (lib. 12):

Barbatus rigido nupsit Callistratus Apro
Hac, qua lege viro nubere virgo solet.
Praeluxere faces velarum flammea, vultus,
Nec tua defuerant verba, Thalasse, tibi.
Dos etiam dicta est. Martial 12, 42 (den lateinischen Text korrigiert Ulrichs auf S. 50):
Hat Callistratus doch trotz Bart dem kräftigen Afer
sich vermählt nach dem Brauch, wie sich das Mädchen dem Mann.
Fackeln leuchteten da, und der Schleier verhüllte das Antlitz,
und man hört, wie der Ruf dir auch, Talassus erklingt.
Selbst die Mitgift wurde bestimmt ... (Übersetzung R. Helm)

Von des Kaisers Antoninus Heliogabalus Ehe mit dem Hierocles habe ich schon früher erzählt. (Incls. §. 109.111.) Lampridius sagt: »Nupsit, ita ut et pronubum haberet.« Er heirathete also als Weib, und zwar unter der solennen Hochzeitsform mit einer pronuba, hier einem pronubus.

In einem Liebesbündniß stand ferner Caligula zu M. Lepidus. (Ob solenn geschlossen? Ich sah die Quellen noch nicht ein.)

Petronius Satyricon schildert ausführlich das zärtliche, durchaus eheähnliche, Liebesbündniß zwischen dem U Encolpius und seinem reizenden »frater« Giton. (Ob solenn geschlossen, ist nicht ersichtlich, weil wir das Satyricon leider nur in lückenhafter Gestalt besitzen.)

§. 44. Um dem Kaiser Antoninus zu gefallen, haben sich sogar Dioninge soweit herabgewürdigt, mit Dioningen Liebesbündnisse einzugehen, als wären sie Urninge. »Erant amici improbi, ... qui caput reticulo componerent, ... qui maritos se habere jactarent,« erzählt Lampridius (cap. 11). Diese trugen also das weibliche Haarnetz (reticulum oder flammeum) und rühmten sich, gleich dem Kaiser Ehemänner zu haben.

§. 45. Eine solenne Heirath scheint in unsern Tagen auch in Blanks Wünschen gelegen zu haben, als er sich mit dem Handwerker verlobte und diese Verlobung förmlich publicirte. (Inclusa §. 18.)

Vor 2 Jahren sagte zu mir ein U: »Es muß noch dahin kommen, daß wir uns förmlich verheirathen können.« Diese Äußerung zugunsten der Ehe für Homosexuelle fehlt in der Neuausgabe von 1898.

§. 46. Ungemein häufig waren urn. Liebesbündnisse im alten Griechenland.

Ich erinnere an Hermodius und Aristogiton in Athen, an Antileon und Hipparinus in Heraclea auf Sicilien, an Chariton und Melanippus in Agrigentum auf Sicilien, Phidias und Pantarkes in Athen, Anacreon und Bathyllus auf Samos, Pindarus und Theoxenus in Theben, Epaminondas und Caphisodorus in Theben.

Die heilige Schaar der Thebaner bestand aus lauter Liebenden und Lieblingen, die durch feste Liebesbündnisse mit einander verknüpft waren.

Sacrates, Plato und Lucianus In seiner erwähnten philosophischen Schrift über urnische Liebe ἔςωτεϛ. reden stets, oder doch fast stets, von dauernden urnischen Liebesbündnissen, und zwar von erst durch den Tod sich lösenden.

§. 47. Auch solenn hat sich im alten Griechenland das urn. Liebesbündniß gestaltet, wenigstens auf der Insel Creta. K. J. Dover, Homosexualität in der griechischen Antike (1983) S. 165 f. Grundlage für die Darstellung ist ein Bericht des Historikers Ephoros (4. Jh. v. Chr.), den der Geograph Strabon (etwa 63 v. Chr. – 19 n. Chr.) überliefert. Meier berichtet darüber wie folgt A. a. O. Seite 161. Er beruft sich dabei auf des Ephorus Mittheilungen bei Strabo 10. 483 mm auf des Heraclides Ponticus sogen. Fragmente περὶ πολιτ. 3. p. 7.

»Gleich wie in Sparta die Bräute geraubt wurden, so ward in Creta auch dieses Verhältniß durch Raub eingeleitet Deshalb mußte auch Zeus den Ganymedes rauben.. Drei Tage vorher verkündete der Liebende den Verwandten des ausersehenen Burschen seine Absicht. An dem bestimmten Tage widersetzten diese sich dem Raube. Schien der Liebende unwürdig, im Ernst; andernfalls nur zum Schein. Sie verfolgten den Räuber, bis er den Burschen in sein städtisches »Andreion« gebracht. Hier beschenkte er ihn. Dann nahm er ihn mit sich auf sein Landgut. Die Verfolger, jetzt die Eigenschaft einfacher Zeugen annehmend, folgten auch dorthin. Dort bewirthete sie der liebende Räuber und unterhielt sie mit Jagd. Nach 2 Monaten kehrten sie alle in die Stadt zurück. Hier beschenkte er den Geliebten mit Kriegskleid, Trinkbecher und Stier «Gesetzliche« Geschenke; vermuthlich dem Herkommen gemäß, und zwar ohne Zweifel sehr altem Herkommen gemäß., außerdem mit anderen kostbaren Geschenken. Den Stier opferte nun der Bursch dem Zeus und beim Opferschmaus bewirthete nun er die Zeugen.« Ob hiemit das Liebesbündniß sich löste oder ob es ein bleibendes war? ist bei der Mangelhaftigkeit der Quellen nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Doch scheint letzteres (bleibendes Liebes-Bündniß) der Fall gewesen zu sein. Den geraubten gebührten öffentliche Ehrenplätze im Gymnasium und in Zusammenkünften. Mit dem ihnen geschenkten Kriegskleide schmückten sie sich als mit einem Ehrenkleide. Im Krieg war der geraubte Liebling in der Schlachtordnung des Liebenden Nebenmann.

§. 48. Paßlich nehme ich hier folgendes Eingesandt auf, da es für die Liebesbündnisse der Gegenwart von Interesse ist.

»In ..., einer größeren nichtpreußischen Stadt des nördlichen Deutschland, Hamburg ist nicht gemeint. bestehen schon bisher, trotz Polizei und Criminalgericht, dreifache urnische Verhältnisse, ganz entsprechend den täglichen dionischen.

1. Junge De von gemeiner Gesinnung treiben das Geschäft der gewöhnlichen Prostitution, locken die Ue an sich, um, in gewinnsüchtiger Absicht, sich ihnen rückhaltlos hinzugeben. Diese Prostitution ist förmlich organisirt. (Zuführer etc.) Von der gleichen (außerordentlich organisirten) männlichen Prostitution in Berlin redet eingehender ein etwa 1847 dort erschienenes Buch: »Die Berliner Prostitution« (von einem Polizeibeamten); Anhang. Von der in Paris sehr detaillirt Tardieu a. a. O. Numa Numantius.

2. Andere, vorzugsweise Soldaten, halten sich zu einem bestimmten U, dessen Börse sie ebenfalls lästig sind zur Bestreitung der Kosten einer »Extrahose« oder sonstiger Luxusausgaben. Dafür halten sie indeß Fine gewisse Treue: auch ihrerseits vom U förmlich eifersüchtig Treue erwartend.

3. Ein dort in öffentlicher Wirksamkeit stehender Mann, den ich sehr wohl kenne und der dort allgemeine Achtung genießt, steht in dem Rufe, junge Leute von Begabung in ihren Bestrebungen zu unterstützen und auf alle Weise zu fördern. Also vermuthlich »Jünglinge«. Aber auch einen «Nichtjüngling» kann der U in dieser (oder ähnlicher) wahrhaft ehrenhaften Weise im Liebesbündniß fördern. – Claudius Donatus (Donatus, Grammatiker und Rhetor (4. Jh.), Verfasser einer Vergil-Vita: Er liebte Cebes und Alexander. Beide entließ er nicht ohne Bildung: Alexander als Gelehrten, Cebes sogar als Dichter.) erzählt von Virgil: Dilexit Cebetem et Alexandrum. Utrumque non ineruditum dimisit: Alexandrum grammaticum, Cebetem vero et poetam. Numa Numantius. »Jünglinge«, d. i. Burschen von wenig männlicher Erscheinung. Siehe Inclusa §. 41; Formatrix an mehreren Stellen und unten unter »Soldatenliebe«. Unter denselben ist immer einer, den er besonders bevorzugt und den er zugleich bei sich wohnen läßt. Nach einigen Jahren ist dieser bevorzugte immer zu selbstständiger nützlicher Thätigkeit und Stellung gelangt. Einer war 5 Jahre lang so sein Liebling. Keineswegs ward er dadurch seiner natürlichen Bestimmung entzogen. Vielmehr ist er jetzt glücklicher Gatte und Vater. Beide beobachtend, fand ich sie noch immer in der wohlwollendsten und innigsten Beziehung zu einander: obgl. die Stelle des Lieblings jetzt ein anderer einnimmt. Unzweifelhaft sehen diese Schützlinge durch seine Liebe ihre rein menschlichen Bestrebungen auf wahrhaft wohlthuende Weise wirksam unterstützt, social sich gefördert und zugleich geistig gehoben.»

Dieser Mittheilung, welche mir gegenüber nicht anonym gemacht ist, wird die Versicherung beigefügt, eventuell solle ihr Inhalt durch nähere Angaben bewiesen werden.

§. 49. Zu b) Zwischen Urningszwitter und D habe ich von einem Liebesbündniß zu berichten, und zwar aus unsern Tagen, bei dem mehrerwähnten mit Testikeln versehenen Zwitter im Münsterschen. De facto ward dieses Bündniß feierlich von Priesterhand als eine Ehe geknüpft. Von dem nichts ahnenden Ortsgeistlichen ward dieser Zwitter einem D in aller Form kirchlich angetraut und blieb mit ihm Jahre lang ehelich verbunden. In den Acten über den später erfolgten Scheidungsproceß wird auch wiederholt bezeugt, daß unvollkommene Liebesacte unter ihnen oft stattgefunden haben, und zwar auch noch, nachdem der Mann von dem zwitterhaften Körperbau seiner Gattin sich längst überzeugt hatte. Caspers Vierteljahrsschrift a. a. O.

§. 50. Zwischen einem andern Zwitter Namens Maria Tschermak und einem Manne hat in den beiden vorigen Jahrzehnten in Böhmen ebenfalls eine förmliche Ehe Jahre lang bestanden, und zwar bis zu des Mannes Tode. Diese Maria hatte in ihrem Innern zwar Eierstöcke, war aber äußerlich fast ganz männlich, fast ganz wie ein U., gebaut. Von weiblicher Körperhöhle war, in diesem Puncte kaum um ein Haar vom männlichen Bau abweichend, auch nicht die Spur vorhanden. Und dennoch war sie Gattin. Sie erinnert mithin lebhaft an den Antoninus, die »Gattin« des Hierocles. So gut wie diese Maria eine Gattin vorstellen konnte, konnte es in der That auch Antoninus und kann es jeder U.

Ob sie wirklich Männer geliebt habe, ist freilich leider nicht constatirt. Die Prager Aerzte, welche 1855 ihren Leichnam untersuchten, scheinen, gleich den Preußischen in Münster, diesen Punct für eine viel zu unbedeutende Nebensache gehalten zu haben, als um darüber auch nur Fragen zu stellen oder eine Bemerkung fallen zu lassen. Gleich dem Münsterschen Zwitter ist sie in Weiberkleidern und unter weiblichem Namen aufgewachsen. Prager Vierteljahrsschrift Band 45. 1855, S. 123 fgde. Aufsatz von Dr. Willigk.

§. 51. Ans den zusammengestellten Gründen können diese Liebesbündnisse, soweit sie solenn geknüpft sind, euch nicht widerwärtig sein; wenigstens wenn euch zwischen einem häßlichen Mann und einem hübschen Mädchen oder zwischen einem hübschen Mann und einem häßlichen Mädchen das Ehebündniß nicht widerwärtig ist, welches ebenfalls nur auf der einen Seite durch wahre Geschlechtsliebe geknüpft ist.

Aber auch die nicht solenn geknüpften werden euch nicht widerwärtig sein können, wenn euch jenes Liebesbündniß nicht widerwärtig ist, welches Bursch und Mädchen, auf die wüste Insel verschlagen, ohne Form knüpften, weil es dort weder Priester noch Civilstandsbeamten gab. Warum sollen 2 Menschen nicht mit Leib und Seele einander angehören, um dadurch theilzunehmen an der irdischen Glückseligkeit, zu der doch alle Menschen bestimmt sind?

§. 52. Ueber das urnische Liebesbündniß, namentlich über sein moralisches Erlaubtsein, seine Zwecke, seine Knüpfung und über die Voraussetzungen des moralischen Erlaubtseins seiner Lösung, werde ich vermuthlich in einer ferneren Schrift noch verschiedenes nachzutragen haben.

§. 53. Sein moralisches Erlaubtsein halte ich mich für berechtigt zu stützen:

aa. auf das jedem Menschen, also auch dem U und dem Urningszwitter, angeborene moralische Recht Oben §. 25. auf volle und ganze Befriedigung des geschlechtlichen Naturbedürfnisses, und zwar auf diejenige Befriedigung, welche der ihm angeborenen Richtung des geschlechtl. Liebestriebes gemäß ist;

bb. auf den Satz, daß einer Classe rein männlich gebauter Individuen, wie auch verschiedenen Zwittern, zum Theil mit Testikeln versehenen, Geschlechtsliebe zu Männern angeboren ist;

cc. auf die obigen Ausführungen Vindicta §. 23-27.: »Dem D ist es subjectiv nur indifferent, nicht naturwidrig, objectiv aber vollkommen bestimmungsgemäß, auch dem U und Urningszwitter Liebesgenuß zu gewähren.« Deshalb kann ihm dieses Gewähren auch nicht an sich moralisch unerlaubt sein.

dd. Endlich halte ich mich für befugt, die Analogie der wüsten Insel Oben §. 6. anzuwenden, da der U und der ihm Liebe gewährende D sich permanent auf der wüsten Insel befinden. Für den Urningszwitter und den ihm Liebe gewährenden D tritt ebenfalls der Fall der wüsten Insel ein, sobald Priester oder Civilstandsbeamter die Knüpfung des Bandes verweigert. Sittlich erlaubt scheint mir die Befriedigung der Geschlechtsliebe zu sein:
a. innerhalb der ordentlichen solennen kirchlichen Ehe, zwischen Mann und Weib;
b. innerhalb der Civilehe, ebenso (jedoch nur unter der Voraussetzung eines Nothstandes);
c. auf der wirklichen wüsten Insel (also bei absolutem Nothstande) innerhalb des formlos eingegangenen Liebesbündnisses, ebenso;
d. auf der gedachten wüsten Insel (also bei gleich absolutem Nothstande) ebenfalls innerhalb des formlos eingegangenen Liebesbündnisses, zwischen U und D sowie zwischen Urningszwitter und D.
Uebrigens steht die formlose Noth-Ehe auf den beiden wüsten Inseln wohl keinesweges so gar tief unter der solennen kirchlichen. In der Meinung des Volks steht auch die Civilehe nicht gar hoch! (Wenigstens die ohne Nothstand eingegangene.) Die urn. Nothehe aber dürfte – selbst in euren Augen – doch nicht tiefer unter der dion. Nothehe stehen, als diese unter der solennen kirchlichen.

§. 54. Die Lösung dieses Bündnisses muß erheblich leichter sein, als jene der Ehe:

  1. weil der D dem Liebesgenuß am Weibe, weil er seiner geschlechtlichen Hauptbestimmung, nicht zeitlebens entzogen werden darf; Hiemit widerlegt sich, was R. Virchow (»Berlin, 19. August 1864«) mir einwirft:
    »Sie sind so selbstsüchtig, nur für sich zu plaidiren und Ihren Geliebten der Verkümmerung seiner Natur preis zu geben.«
  2. weil die Ehe wesentlich nur wegen desjenigen ihrer Zwecke für schwer lösbar, bzw. für unlösbar, erklärt ist, welcher auf Kinderzeugung und Kinderaufziehung gerichtet ist und welcher beim urn. Liebesbündniß wegfällt.

§. 55. Der Mann des Münsterschen Urningszwitters erhob später die Scheidungsklage. Die Aerzte, die in Folge dessen den Zwitter untersuchten, trugen kein Bedenken, nach Entdeckung seiner Testikel ihn sofort für eine Person männlichen Geschlechts zu erklären trotz der vorhandenen (wenn auch nur unvollkommenen) weiblichen Höhlenbildung und trotz des auf Männer gerichteten, also ebenfalls weiblichen, Liebestriebes, dessen Vorhandensein dem einen von ihnen in der That nicht entging. Ueber das wenig gerechtfertigte dieses Verfahrens vgl. Inclusa §. 5 Klammer und §. II d. Note. So erklärte denn nicht nur mit juristischem Recht sondern auch mit einem gewissen scheinbaren moralischen Recht das geistliche Gericht zu Münster auf Grund der Körperbildung der Gattin 1855 die Ehe für nichtig.

Die bisher vollzogenen Liebesacte stellten sich hienach dar als außereheliche wenn auch in putativer Ehe erfolgte, und außerdem als wegen der bezeichneten Körperbildung an sich unerlaubte. Ein Geistlicher hatte sie dem Manne aus diesem Grunde schon vorher für unerlaubt erklärt.

§. 56. Nach meiner Ansicht sind aus den angeführten Gründen aa.-dd. diese Liebesacte einmal innerhalb eines vollgültigen Liebesbündnisses, ja Ehebündnisses, erfolgt, und außerdem nicht auf Grund der Körperbildung an sich unerlaubt. Daher kein Geistlicher sie meines Erachtens dem Manne hätte als unerlaubt bezeichnen sollen.

§. 57. Daß Liebesacte zwischen D und Urningszwitter oder zwischen D und U dem gewährenden D auf Grund der nicht weiblichen Körperbildung des andern Theils an sich unerlaubt seien, bestritt ich. Dieselben sind nämlich zwiefach aufzufassen:

  1. So weit sie bestehen in ohne Activität gewährtem Liebesgenuß, sind sie moralisch erlaubt aus dem Grunde etc.
  2. Soweit sie bestehen in activ gewährtem Liebesgenuß, sind sie, meines Dafürhaltens, dem gewährenden D freilich naturwidrig. Allein daraus folgt durchaus nicht ihr moralisches Unerlaubtsein. Geschlechtliche Naturwidrigkeiten sind noch nicht an sich moralisch unerlaubt. Denn wie schon oben ausgeführt: »Gleichwie Schamhaftigkeitswidrigkeiten, so können auch andere geschlechtliche Naturwidrigkeiten, moralischen Pflichten oder moralischen Rechten gegenüber moralisch erlaubte Handlungen sein.« Oben §. 7. Hier aber liegt ein moralisches Recht allerdings vor: das angeborene moralische Recht des andern Theils auf Liebesbefriedigung.

§. 58. Meine Ansicht ist ferner diese:

Allerdings mußte der Mann das Recht haben, auf Scheidung zu klagen, weil er nicht zeitlebens dem Genuß am Weibe entzogen werden durfte. Dann aber darf nur Lösung des Ehebündnisses erfolgen, nicht Nichtigerklärung. Die bisherigen Liebesacte dürfen nicht ex post für unerlaubt erklärt werden.

Die Lösung aber hat zu erfolgen nicht auf Grund der unweiblichen Körperbeschaffenheit, sondern auf Grund des Antrages, also nicht ex officio.

§. 59. Nur wo der Mann ein Weib zu heirathen glaubte, in der Brautnacht aber einen Zwitter fand und mit diesem das Ehebündniß fortzusetzen nicht gewillt ist, muß die Lösung auf Grund der Körperbildung erfolgen, aber auch zugl. auf Grund des Antrags, nicht ex officio.

Die Lösung darf nicht erfolgen können auf Grund des unweibl. Körperbaues, sondern nur auf Grund des Antrags, also nicht ex officio, sobald der D das Bündniß freiwillig einging mit einem Urningszwitter (oder, wenn ich so sagen darf, mit einer Urningszwitterin), dessen (deren) unweiblichen Körperbau er kannte. Ebenso wenn er es freiwillig fortsetzte, nachdem er diesen Körperbau, der bei der Eingehung ihm fremd gewesen war, später entdeckt hatte.

§. 60. Wäre beim Bündniß zwischen U und D eine solenne Sanctionirung möglich, so würden, für dessen Lösung durch ein geistliches oder weltliches Gericht, diese Sätze analog ebenfalls gelten.

§. 61. Ein zwischen 2 wirklichen Dioningen etwa geknüpftes Geschlechtsbündniß würde den schönen Namen »Liebesbündniß« nicht verdienen, weil hier auf keiner von beiden Seiten Liebe vorhanden ist. Staat und Kirche scheinen mir allerdings berechtigt zu sein, gegen ein solches ex officio einzuschreiten, wenigstens unter Umständen, und es zu lösen, und zwar allerdings auf dem Wege der Nichtigerklärung. Uebrigens werden solche dionisch-dionische Bündnisse doch nur unter ganz abnormen Verhältnissen jemals vorkommen, so bei den erwähnten Speichelleckern des Kaisers Antoninus.

Bei Uraniastern (Inclusa §. 79.) sind sie, der angeführten hier obwaltenden besonderen Gründe wegen (Weibermangel, Gewöhnung), meines Ermessens milder zu beurtheilen.

§. 62. Gleich jenen unwürdigen dionisch-dionischen Geschlechtsbündnissen aber verdienen, aus gleichem Grunde, auch manche priesterlich eingesegnete Ehen jenen schönen Namen nicht: kalte Vernunftehen, die ohne geschlechtliche Liebe entweder geschlossen wurden oder bei denen anfängliche Liebe bereits erloschen ist Nicht nur in Italien, Spanien, Frankreich und England, nein selbst in Deutschland kommen gar nicht selten Ehen vor, bei denen beide Theile dem Aelius Cäsar gleichen, von dem Spartianus (Spartianus (siehe zu IV. Formatrix S. 18):
Zu seiner Gattin, die sich über seine Seitensprünge beklagte, soll er gesagt haben: Es steht mir frei, mit anderen meinen Lüsten zu leben. Gattin zu sein bedeutet Würde, nicht Vergnügen.) erzählt (Aelius Vexus Cap. 5.)
Uxori, conquerenti de extraneis voluptatibus, dixisse fertur: »Patere me per alias exercere cupiditates meas! Uxor »enim dignitatis nomen est, non voluptatis.«
(Wenn zum Heirathen die Dignität genügt, so können übrigens auch wir heirathen. Dignitatis causa sollen auch wirklich schon Weiber mit Uen Ehen eingegangen sein.) Solche Dignitätsehen, mögen nun geschlechtliche Acte in ihnen vorkommen oder nicht: in beiden Fällen stehen sie meines Erachtens tief unter dem Liebesbündniß, dem dionischen, wie dem urnischen.
, Ehen bei denen auf keiner von beiden Seiten geschlechtl. Liebe vorhanden ist, bei denen keinen von beiden Theilen nach dem andren in Liebe verlangt, und bei denen dennoch, rein mechanisch und gewohnheitsmäßig, kalte Geschlechtsacte erfolgen, denen alle magnetische Durchströmung fehlt.

Um wie viel ist doch das urnische Liebesbündniß der Natur entsprechender, als solche Ehen! das urn. Bündniß, bei dem doch auf Einer Seite wahre innige Liebe vorhanden ist. Um wie viel höher steht es doch an moralischer Würde! Selbst zwischen Bursch und Mädchen das Geschlechtsbündniß, nicht auf wüster Insel, sondern wo die Form erfüllbar ist, formlos geschlossen, scheint mir, wenn es auf Liebe beruht, würdiger als solche Ehe.

Nachtrag zu §. 62. Würdiger, als die große Mehrzahl der dion. Ehen, ist das urn. Liebesbündinß insofern, als dem U stets reine Liebe das Band knüpft, nie Liebe und Nebenrücksicht, nie z. B. Liebe und Kenntniß von des andren Theiles Zinscoupons, Rittergütern oder Erbschaftsaussichten. Uns ist es Gott sei Dank unbegreiflich, wie es euch möglich ist, »in einen Bauerhof« oder »in ein blühendes Geschäft« »hineinzuheirathen.«

§. 63. Mit meiner Ansicht über das urnische Liebesbündniß stimmen wesentlich überein Socrates und Plato. Innerhalb des urnischen Liebesbündnisses empfehlen zwar auch sie – ähnlich den (im §. 4) erwähnten strengen Religionslehrern des Christenthums –,

Laude pudicitiae ferventes, siehe III. Vindicta S. 3.

d. i. dem Instinct folgend, die absolute Nichtbefriedigung des Triebes und statt dessen jene Liebe, welche man nach ihnen, selbst bei der Weiberliebe, die »Platonische« genannt hat. So spricht Socrates in Plato's »Phädrus«:

»In den wahren Olympischen Kämpfen haben gesiegt der Liebende und sein Liebling, welche den Versagungskampf gegen den Trieb siegreich bestanden haben.«

§. 64. Allein ausdrücklich setzt er hinzu, was Meier A. a. O. S. 181. (in der That recht perfid) verschweigt:

»Andre, die so schwerem Kampfe nicht gewachsen sind,
werden jene Richtung wählen, die von der Menge
selig gepriesen wird. Die höchsten Pfänder der Treue
haben diese einander gegeben und empfangen. Jemals
unter einander in Feindschaft zu kommen, würde ihnen
schändlich sein. Und auch sie werden, wenn sie
scheiden, eingehen Hand in Hand in die lichten Hallen
des Himmels. Denn es ist ein ewiges Gesetz, daß
die Finsterniß nicht erschaue, wer im Leben den Geboten
der heiligen Liebe getreu war. Und deßhalb werden
auch ihre Seelen beflügelt werden um ihrer
Liebe willen

*

Zwischenbemerkung.

§. 65. Von dem, was ich vortrug über den Instinct der Schamhaftigkeit und über das urnische Liebesbündniß, sind nicht abhängig meine sonstigen Ausführungen über urnische Liebe, namentlich nicht der versuchte Nachweis, daß einer Classe männlich gebauter Individuen weibliche Richtung der Liebe angeboren sei, und der Satz, daß allen Menschen, also auch dem Urningszwitter und dem U, ein moralisches Recht auf Liebesbefriedigung angeboren sei.

Die beiden Gegenstände I. und III. (Schamhaftigkeitsinstinct und Liebesbündniß) sind schwierig. Was ich über dieselben vortrug, halte ich, in einzelnen Nebenpuncten, selber für verbesserungsfähig. Sollte es aber auch jemandem gelingen, es sogar in seinen Grundlagen zu widerlegen, so würde dadurch, aus dem angeführten Grunde, doch jener versuchte Nachweis noch nicht mit widerlegt sein und ebensowenig jener Satz von dem angeborenen Recht.

§. 66. Uebrigens glaube ich hiermit meine Hauptaufgaben gelöst zu haben. Ich habe

  1. die Vorfrage beantwortet: worauf ist urnische Geschlechtsliebe gerichtet? Inclusa und Formatrix; insonderheit Formatrix Abschnitt »Organ der concentrirten u. s. w.«
  2. nachgewiesen: sie ist angeboren. Inclusa.
  3. nachgewiesen: ihre Uebung verdient nicht verfolgt zu werden, weder vom Staate noch von der öffentlichen Meinung. Vindex und Vindicta.
  4. nachgewiesen: ihre Uebung ist moralisch erlaubt. Ara spei. Außerdem habe ich
  5. der Naturwissenschaft, insonderheit der Anthropologie, d. i. der Naturgeschichte des Menschen, Material geliefert über die geschlechtliche Natur der Urninge, welches ihr bis dahin unbekannt gewesen zu sein scheint. Inclusa und Formatrix.

IV.
Der urnische Conflict und seine Lösung.

Eine Lösung von der Natur herbeigeführter Conflicte durch die von der Natur abweichende selbstschöpferische menschliche Vernunft ist sittlich gerechtfertigt.
Lösung des urnischen Conflicts.
Nach seiner Lösung steht urnische Liebe nicht mehr im Widerspruch mit der sittlichen Weltordnung.

Vorbemerkung. Dies Gebiet ist unbetretene Wildniß. Etwaige Fehler im Gedankengange, ja selbst materielle Irrthümer, dürften daher einigen Anspruch auf Nachsicht haben. Die voranstehende Zwischenbemerkung schrieb ich schon vor einigen Monaten. Seit dem erkannte ich, noch eine andere Hauptaufgabe sei mir gestellt: das Problem der Lösung des urn. Conflicts.

A. Naturconflicte und ihre Lösung.

§. 67. In der belebten Schöpfung erblicken wir eine ungeheure Zahl moralischer oder geistiger Conflicte, welche die Natur selber herbeigeführt hat. Naturconflicte möchte ich sie nennen. Allen lebenden Wesen, dem Thier wie dem Menschen, gab nämlich die Natur eine Anzahl angeborener natürlicher Rechte. In Folge Anordnung der Natur selbst aber steht gleichwohl der Befriedigung dieser Rechte ein größeres oder geringeres Hinderniß entgegen.

§. 68. Das Hinderniß kann verschiedener Art sein. Bestehen kann es in einer Körperbeschaffenheit oder in einem Naturtriebe, entweder einem eigenen oder einem Naturtriebe des betr. Mitgeschöpfes, oder in einem moralischen Recht.

Ist das Hinderniß zu überwinden oder ganz zu beseitigen, so ist der Conflict lösbar. Eine Reihe dieser Conflicte aber ist unlösbar. Sind sie aber auch lösbar, so ist die Lösung dennoch oft nur eine mehr oder weniger unvollständige.

§. 69. So weit sie lösbar sind, löst sie theils wiederum die Natur selbst, indeß nur indirect, namentlich durch die mancherlei Vicariationsfähigkeiten, die sie austheilt, theils aber, und recht vorzugsweise, die von der Natur abweichende oder sie ersetzende bez. sie corrigirende selbstschöpferische menschliche Vernunft. Die Fähigkeit, die Naturconflicte zu lösen, ist gerade eine der erhabensten Eigenschaften der menschlichen Vernunft.

Dieses Abweichen der menschlichen Vernunft von der Natur, bez. dieses Ersetzen und Corrigiren der Natur: da es geschieht, um einen von der Natur selbst herbeigeführten Conflict zu lösen, so ist es sittlich gerechtfertigt.

§. 70. Beispiele werden diese Sätze erläutern.

Der Tiger so gut hat ein natürliches Recht zu leben, wie das Lamm, das er zerreißt. Daß der Fuchs den Hahn erwürgt, ist ihm kein Verbrechen, wozu Fabeln und Fibeln es ihm anrechnen. Gleichwohl sind Lamm und Hahn nicht schuldig, dem Fleischfresser ihr Leben zu opfern. Der Floh kann nicht leben, ohne uns zu peinigen. Gleichwohl sind wir nicht schuldig, uns von ihm peinigen zu lassen.

Hier besteht das von der Natur herbeigeführte Hinderniß in einem moralischen Recht. Hier stehen also 2 moralische Rechte einander direct gegenüber.

§. 71. In den meisten derartiger Fälle ist der Conflict unlösbar. Unter Umständen aber löst ihn auch hier die von der Natur abweichende Vernunft: wenn sie z. B. die von Natur fleischfressende Katze durch Zähmung dahin bringt, sich von Pflanzenstoffen zu ernähren, z. B. von Brot, gekochten Linsenfrüchten, Kartoffeln.

§. 72. Die gleiche Lösung fordert die Indische Moral auch von uns naturgemäß fleischessenden Menschen: und zwar mit um so größerem Recht, als wir schon von Natur daneben Pflanzenstoff-Esser sind. Unfern fleischfresserischen Naturtriebe sollen wir Zügel anlegen. Auch das Reh und das Repphuhn, dessen Fleisch uns Delicatesse ist, hat ein Recht, seines Daseins sich zu freuen. Kein Thier sollen wir darum tobten: von Pflanzenstoffen sollen wir uns nähren, unter thierischer Nahrung nur von Milch, Butter und Käse.

Die Jüdisch-Christliche Moral macht sich's offenbar bequemer. Nach ihr soll der Mensch aus des Schöpfers Händen neben der factischen Macht auch das sittliche Recht bekommen haben, das Thier seines Daseins zu berauben, um sein Fleisch zu verzehren.

§. 73. Hat man die factische Macht in Händen, so ist es freilich recht practisch, auf dem Kissen einer bequemen Lösung ohne Prüfung und Sorge einzuschlummern.

Ohne Prüfung und Sorge wiegtet ihr euch auch bei dem urn. Conflict bisher auf dem Kissen einer bequemen Lösung, die euer Irrthum erfand und der eure factische Majoritäts-Uebermacht die Sanction ertheilte, d. i. der Lösung auf dem Wege der Verfolgung und Infamirung.

Diese eure Lösung des Conflicts, die Lösung durch die factische Gewalt: wäre sie gerechtfertigt, so wäre es einzelnen Falls auch uns gerechtfertigt, den urn. Conflict durch die factische Gewalt zu lösen: d. i. urn. Liebesgenuß auf dem Wege der Nothzucht wäre gerechtfertigt! So ungerechtfertigt er ist: so ungerechtfertigt ist auch eure Lösung durch Verfolgung und Infamirung!

§. 74. Wo die Befriedigung des natürlichen Rechts des einen Geschöpfes nicht den Tod des Mitgeschöpfes fordert, ist eine Lösung leichter zu finden.

Die schwangere und der Embryo, beide haben ein natürl. Recht: zu leben und gesund zu sein, bez. ernährt zu werden. Nun aber hat die Natur es versäumt, für die Geburt einen weiteren Canal zu schaffen, als für die Empfängniß des Samens. Darum ist durch eine Veranstaltung der Natur selber der Mutter Leben oder Gesundheit beim Gebären in Gefahr gesetzt. (Hier besteht also das von der Natur herbeigeführte Hinderniß in einer Körperbeschaffenheit.) Hier tritt conflictlösend ein, oft auch mit Erfolg, die menschliche Vernunft: indem sie die Fahrlässigkeit der Natur ergänzt durch die obstetricische Kunst. Stirbt aber dennoch die gebärende, so ist wiederum auch seinerseits das neugeborene Geschöpf in Folge jener Veranstaltung der Natur einer Gefahr ausgesetzt: der Gefahr nicht ernährt zu werden. Hier tritt nun theils, indirect Hülfe bietend, die Natur ein mit ihrem Vicariationsmittel. An die Stelle der todten Mutter kann eine Amme treten oder sogar, wie bei einem berühmten Zwillingspaar, eine Wölfin. Die menschliche Vernunft, durch Kunst die Natur ersetzend, hat aber ebenfalls Lösungen Unvollständige; vgl. oben Note 8. Die Amme allein gewährt eine vollständige.: in der mit Kuhmilch gefüllten säugenden Flasche, ja in künstlich fabricirter Menschenmilch.

§. 75. Vor kurzem streichelte ich einen jungen noch nicht ausgewachsenen Hund. Sogleich kam eine Hündin herbei, offenbar um ebenfalls sich von mir streicheln zu lassen. Es war wie ich nachher erfuhr des jungen Mutter. Sogleich begann der junge, mit Begier an ihren Zitzen zu sangen. Die Hündin indeß litt dies nicht, sondern lief davon. Als sie bald darauf jedoch wieder zu mir kam, hielt ich sie fest. Abermals begann der kleine mit großer Begier zu saugen. Die Hündin schrie. Vielleicht mochte das Saugen schon ein Beißen mit Zähnen sein. Da ließ ich sie los und sie lief wieder davon.

Auch dies ist ein Naturconflict. Des jungen Thieres Trieb zu saugen ist noch lebendig, wenn der Trieb der Mutter zu säugen bereits erloschen, die Brust nicht mehr milchhaltig ist; wenn das Säugen schon schmerzhaft wird.

Irre ich nicht, so tritt beim Menschen ganz derselbe Conflict ein. Ihn löst die von der Natur abweichende, die Natur corrigirende, Vernunft durch ein mehr oder minder gewaltsames »Entwöhnen« des Säuglings. »Depellere« bei den Römern. (»Depulsis haedis« in Virgils »Palämon« Virgils »Palämon« (Ekloge 3, 82): den entwöhnten Zicklein.; siehe »Nemus sacrum«.) Dies Entwöhnen ähnelt dem Entwöhnen der Katze vom Fleischfressen.

§. 76. In allen diesen Lösungen steckt ein Abweichen von der Natur, bez. ein Ersatz für die Natur: beim Zähmen der Katze, bei der Selbstzähmung der Inder, bei der obstetricischen Kunst, bei der säugenden Flasche und beim Entwöhnen des Säuglings. In allen diesen Fällen aber ist dieses Abweichen ein sittlich gerechtfertigtes, weil es geschieht zur Lösung eines von der Natur selber herbeigeführten moralischen Conflicts.

§. 77. Oben führte ich Fälle ans, in denen eine Jungfrau einem nackten Manne das Leben rettet oder eine schwangere Ehefrau wildfremde gemeine Soldaten Hebamme spielen läßt etc. (§. 5. 6.) Der nackte Mann hat ein natürliches Recht zu leben, die schwangere ein natürlich Recht, behuf glücklicher Entbindung Hülfe anzunehmen: und seinerseits hat jeder hinzutretende Mitmensch eine sittliche Pflicht, sobald er es vermag, hier helfend einzutreten. In den bezeichneten Fällen tritt nun aber eine Anordnung der Natur in Conflict mit diesem natürlichen Recht, bez. mit dieser Pflicht: der natürliche Schamhaftigkeitstrieb. Also auch in diesen Fällen stehen wir vor von der Natur herbeigeführten Conflicten. (Hier besteht also das von der Natur herbeigeführte Hinderniß in einem Naturtriebe: bei dem nackten Manne in einem hinderlichen Naturtriebe des andern Theils, bei der schwangern in einem eigenen.) Auch hier aber löst den Conflict mit sittlicher Berechtigung die von der Natur abweichende menschliche Vernunft, nämlich durch eilt Abweichen von dem natürlichen Schamhaftigkeitstriebe, und zwar durch ein einfaches zeitweiliges Niederdrücken desselben.

§. 78. Das alles aber sind nichts mehr und nichts minder als Naturwidrigkeiten: und diese Naturwidrigkeiten, begangen zur Lösung von der Natur herbeigeführter Conflicte, sind sittlich gerechtfertigt.

§. 79. Die Lösung von der Natur herbeigeführter Conflicte ist hin und wieder indeß auch ohne Naturwidrigkeit möglich. Es giebt Menschen, denen eine Manie angeboren ist, z. B. zu stehlen oder Brand zu legen. Gleichwohl hast du das natürliche Recht, deines Hauses, deiner Scheune, deines Strohhaufens nicht beraubt zu werden durch die Brandfackel eines Maniemenschen, von einem solchen nicht bestohlen zu werden. Dieser Conflict aber ist sehr rasch gelöst, sobald du dem Maniemenschen einfach erlaubst, entweder deinen Strohhaufen anzuzünden oder Nachts über deines Gartens oder Weinbergs Mauer zu klimmen und dir aus demselben Aepfel oder Trauben heimlich zu entwenden. In gleicher Weise lösbar ist der Conflict, der durch manche Gelüste der schwangern entsteht.

(§. 80.  Hier nur gelegenheitlich eingeschalteter §. Uebrigens ist es handgreiflich irrig, uns auf Eine Linie zu stellen mit den Maniemenschen, wenigstens mit jenen gemeingefährlichen unter ihnen, welche ohne die erwähnte Erlaubniß stehlen oder Feuer legen. Der Vergleich ist doch offenbar nur dann zutreffend, Abgesehen nämlich von einem anderen Umstande. Des Us weiblicher Liebestrieb ist ein Stück des geistigen Organismus, ein integrirender Theil des Individuums, wie der Geschlechtstrieb stets ein nothwendiger Bestandtheil ist des zu gesunder Entwickelung gelangten Individuums. Ob die bezeichneten Manien hiemit auf Eine Linie gestellt zu werden verdienen, ist nach den neuesten Untersuchungen (z. B. v. Mittermaier »über Brandstiftungstrieb« in Friedreichs Blättern für gerichtliche Medicin; Nürnberg; 1864) noch sehr zweifelhaft. Mittermaier nimmt nicht an (a. a. O. S. 181) unwiderstehlichen Trieb, sondern einfach Lust am Feuer, übermüthiges Spielen mit dem Feuer und leichtsinniges Sichhingeben an jede aufwallende Neigung. wenn der U entsprechende Erlaubniß zu suchen verschmäht, also wenn er Gewalt anwendet oder schlafende, trunkene, oder Knaben etc. mißbraucht. Dann aber ist ihm eine Strafe ohne Frage wohlverdient. Kann er nicht lassen, wiederholt Gewalt anzuwenden, wiederholt schlafende, trunkene, Knaben etc. zu mißbrauchen: so ist es unter Umständen sogar gerechtfertigt, ihn, gleich jenen gemeingefährlichen unter den Maniemenschen, als ein gemeingefährliches Subject unschädlich zu machen, z. B. durch Einsperrung in polizeiliche Detentionsanstalten.

Nicht gemeingefährlich aber sind:

  1. der Maniemensch, der nur mit deiner Erlaubniß deine Trauben stiehlt,
  2. der U, der wie sichs gebührt um die Gunst der Liebe fleht.

(Der bittende U ist um so weniger gemeingefährlich, weil dem jungen D, den er bittet, sein natürl. Widerwille vor urnischer Umarmung ein wesentliches, und zwar ein natürliches, Hemmniß ist, den flehenden zu erhören.)

B. Rein geschlechtlicher urnischer Conflict. Dessen Lösung.

§. 81.  Der urnische Conflict. Nun ist auch bei der urn. Geschlechtsliebe ein von der Natur herbeigeführter Conflict vorhanden, und zwar sogar ein zwiefacher.

  1. Der geschlechtlich-geistige urn. Conflict. Von der Natur empfangen hat der U seine urn. Triebe, wie ihr eure dionischen, und zugleich mit denselben ein moralisches Recht auf Befriedigung derselben auf urn. Wege, wie ihr auf dion.

Der junge D. aber, den er liebt, fühlt sich, und zwar ebenfalls in Folge einer Gabe der Natur, nur zu Weibern geschlechtlich hingezogen, vom U aber geschl. zurückgestoßen. Beim Dionäismus kann nur ein ähnlicher Conflict eintreten, nie ein gleicher. Wenn ein D einem häßlichen oder alten Frauenzimmer Liebesgenuß gewährt, obgleich er vor demselben Horror, nicht Neigung, empfindet: immer ist es doch ein Frauenzimmer, dem er Gunst gewährt. Freilich soll der Grad der Horrors hier oft weit größer sein, als vor Berührung mit einem U. (Das von der Natur herbeigeführte Hinderniß besteht hier also in einem hinderlichen Naturtrieb des andern Theils.)

  1. Der geschlechtlich-körperliche urn. Conflict. In Folge des beiderseitigen Körperbaues, den die Natur ihnen gab, ist die ordentliche Befriedigung zwischen ihnen nicht möglich. (Hinderniß also eine Körperbeschaffenheit.) Ein 3ter ist noch der rein sociale urn. Conflict, der aber nur unter der Herrschaft irriger Auffassung über den Uranismus zur Existenz gelangen kann und mit deren Beseitigung ipso facto wieder erlöschen muß. Dies ist der vorstehend im §. 73 erwähnte. Der 4te und 5te, der geschlechtlich-sittliche und der sittlich-sociale, lösen sich weiter unten. Sie entstehen nur daraus, daß man den rein geschlechtlichen Conflict von besondren Gesichtspuncten aus betrachtet. – Ein 6ter endlich ist noch ein Conflict, den ich bedauern muß selber hervorgerufen zu haben, nämlich eben durch gegenwärtige Veröffentlichungen, und den ich nennen möchte den urn. »Atrocitätsconflict.» Er besteht in jener geistigen Ohrfeige, die von nun an wohl mancher unter euch erhalten wird, wenn er, in irgend einem Lesezimmer sitzend, bei Caffeetasse und Cigarre, und an nichts böses denkend, die Annoncen überfliegt, die die Rückseite der Volksztg. oder der Allgemeinen Zeitung bedecken, oder ganz harmlos einen beliebigen Büchercatalog durchblättert, und nun urplötzlich die entsetzliche Anzeige ihm entgegenstarrt:
    »über mannmännliche Liebe«.
    O rei atrocitatem! um mit du Soul zu reden. (Oben §. 39) O rem ne nominandam quidem! um mit Casaubonus (Isaac Casaubon (1559-1614), Philologe: eine Sache, die man nicht einmal beim Namen nennen kann.) zu reden. (Zu Spartians [siehe zu IV. Formatrix S. 18.] Hadrian Cap. 14.) O über die »Broschüren, deren Titel sich für öffentliche Nennung nicht eignet«! um mit dem »Leipziger Tageblatt« vom 31 Mai 1864 zu reden. Wird es jenem harmlosen Leser nicht sein, als würde seiner Nase plötzlich ein Fläschchen mit Salmiakspiritus untergehalten, oder als bekäme er unvermuthet einen elektrischen Stoß gegen den Ellenbogen? Für diesen Conflict weiß ich, ich gestehe es, – leider! – keine Lösung. Ihr müßt euch eben an ihn gewöhnen: wie die Krebse an das langsame Kochen. Hoffentlich wird er indeß eurer Gesundheit nicht nachtheilig sein.

§. 82. Indem ich also das Vorhandensein des geschlechtlichen urn. Conflicts vollkommen und rückhaltlos einräume, bitte ich zunächst nur zweierlei zu bedenken:

  1. Wo es sich nicht um Leben und Tod handelt, da wolle man sich unter Conflict doch nicht sogleich etwas unheimliches oder entsetzliches vorstellen, was für das dem Conflict weichende Geschöpf unter allen Umständen so gar grauenhaft-abnorm wäre. Es giebt ja, wie gezeigt, eine Reihe von Conflicten, welche ganz unschuldiger Natur und ganz schreckensfreier Lösung fähig sind, z. B. wenn die gebärende nun wirklich einmal ihre Schamhaftigkeit durch ihre Vernunft auf einen Augenblick soweit gewaltsam Niederdrücken muß, daß sie ein Paar fremde Soldaten zu ihrem Beistände zuläßt.
  2. In einem Conflicte, der für das weichende Geschöpf wahrhaft schrecklich ist, da es sich hier auf der einen Seite eben um Leben und Tod handelt: befindet ihr selber euch. Und diesen Conflict löst ihr täglich und stündlich mit wahrhaft naiver Sorglosigkeit auf die einfachste Weise von der Welt: indem ihr ohne Gewissensscrupel Hirsch und Reh erschießt, Puterbraten und Gänseleberpastete euch Wohl schmecken lasset.

§. 83.  Lösung des urn. Conflicts. Beide urn. Conflicte nun sind lösbar, und zwar, nach unsern genügsamen urn. Begriffen, in ziemlich vollständiger Maße. Nach euren verwöhnteren dionischen Begriffen vermuthlich nur in sehr kärglicher Maße.

Sie ermöglichen nämlich eine Lösung, welcher zwar die (Inclusa §. 90.) erwähnten 3 Mängel ankleben, Der dort genannte erste Mangel ist eigentlich identisch mit dem geschlechtlich -geistigen Conflict, der dort genannte 3te identisch mit dem geschlechtlich -körperlichen. Der 2te, die Unfruchtbarkeit, ist Folge des 3ten. welche gleichwohl den beiden hauptsächlichsten Stücken der Geschlechtsliebe keinen Abbruch thut: weder

  1. der Vollständigkeit einer wirklichen Liebesbefriedigung, eines wahren erotischen Genusses, noch auch
  2. der Seligkeit der nur geistig, ohne körperlichen Genuß, empfundenen Freude an dein Geliebten.

§. 84. Zu b. Den körperlichen Conflict löst nun die Natur selbst durch eine von ihr ausgetheilte Vicariationsfähigkeit, nämlich durch das geschlechtliche Vicariiren der Körpertheile. (Formatrix Abschnitt »Organ der conc. etc. Urnischer Liebesgenuß.) Den körperl. Conflict verlassen wir hiemit, ohne in diesem Abschnitt und in dieser Schrift auf ihn wieder zurückzukommen.

§. 85. Zu a. Den geistigen Conflict dagegen hat zu lösen die von der Natur abweichende menschliche Vernunft: nämlich einfach dadurch, daß der Geliebte, der D, sein Hinzezogensein zu Weibern, so wie sein Zurückgestoßensein von Männern, freiwillig auf Zeit unterdrückt und dem flehenden U die Gunst der Liebe gewährt.

§. 86. Meint ihr, ein solches Zurückgestoßensein könne man nicht unterdrücken? Der Horror, den z. B. der Gedanke an den Tod einflößt, ist jedenfalls schärfer, als dieser geschlechtliche Horror, der ohnehin in einzelnen Osnaturen nur äußerst schwach ist, ja kaum vorhanden. Und jener Horror sogar ist sehr wohl überwindbar. Jeder Mensch soll nicht nur: er kann auch mit dem Gedanken an Tod und Grab sich beschäftigen. Auch diese Horrorüberwindung erfolgt – ich bitte es nicht zu übersehen – nur mit Hülfe der von der Natur abweichenden Vernunft. Der Horror vor Tod und Grab wurzelt eben tief in der menschlichen Natur.

Aehnlich überwindbar ist der natürliche Horror vor Berührung eines Leichnams; gleichfalls ein unendlich schärferer, als der in Rede stehende. Mediciner und Anatomen überwinden ihn täglich.

§. 87. Diese Lösung des urn. Conflicts durch die vereinte Wirksamkeit der Natur (bei b.) und der von der Natur abweichenden menschlichen Vernunft (bei a.) ist nach dem vorstehenden sittlich gerechtfertigt: weil der U ein angeborenes moralisches Recht auf urn. Liebesgenuß von der Natur selbst empfangen hat, weil auch er zur irdischen Glückseligkeit geboren ist, der urn. Conflict aber, in welchen dies sein Recht geräth sobald es Erfüllung begehrt, ein von der Natur selber herbeigeführter ist.

§. 88. Die sittliche Rechtfertigung dieser Lösung des urn. Conflicts wird aber durch die Natur selber noch wesentlich verstärkt, wenn man den Gesichtspunct der Naturbestimmung des jungen Ds nicht aus den Augen verliert. Die Natur gab ihm ja die wunderbare Fähigkeit: nicht nur dem Weibe, sondern auch dem U, zu gewähren den vollen reinen Liebesgenuß, d. i. die volle Befriedigung seiner körperlichen wie geistigen geschlechtlichen Naturbedürfnisse. Sie bestimmte ihn also nicht für das Weib allein, sondern ebensowohl auch für den U. Wenn ich einen blühenden jungen Burschen, so recht in der Fülle der Jugend, Lebenskraft und Schönheit, in vergeblicher eigener Sehnsucht erblickte: wie oft stieg da in mir auf der Gedanke:
»Es ist doch wider Gottes Ordnung, daß ihr durch eure socialen Einrichtungen, nämlich durch urnischer Liebe Verfolgung und Infamirung, ihn daran hindert, seine 2te Naturbestimmung zu erfüllen, vielleicht sogar daran, diese seine Bestimmung nur zu kennen, ja nur zu ahnen. Nur seine erste Bestimmung gestattet ihr ihm zu erfüllen: dem Weibe Liebe zu gewähren. Seiner andern: sie auch uns zu gewähren, entzieht ihr ihn. Wie manchem U könnte er durch eine einzige Umarmung die verlorene Ruhe zurückgeben, wie manchem könnte er medicinisches Heilmittel sein. Ja, er hat vielleicht auch in der That ein mitleidiges Herz: er wäre vielleicht bereit, durch einen Händedruck, durch einen Blick, durch ein Lächeln, mich in das Paradies zu versetzen!«
So aber müssen all seine Reize, all diese herrlichen und wunderartigen Fähigkeiten, uns gegenüber zwecklos verblühn und verwelken: wie auf unersteigbarem Felsen, von zauberischem Banne gefesselt, ein duftender Garten voll blühender Rosen und köstlicher Melonen und Ananas, fähig, ermattete Nerven gesund zu machen und lechzende Lippen zu erquicken.

Indem daher der junge D seine von der Natur empfangenen Triebe auf Zeit unterdrückt: genügt er seiner von der Natur empfangenen Bestimmung.

§. 89. Hiedurch widerlegt sich, was R. Virchow mir einwirft (»Berlin, 19. Aug. 1864«):

»Ahnen Sie nicht, daß Sie die Würde des Mannes angreifen, wenn Sie ihn zu einem Geschäft gebrauchen, für welches er seiner Natur nach nicht bestimmt ist

Dabei befindet sich jedoch Virchow in dem Irrthum: unter urn. Befriedigung verstände ich einen bestimmten Modus (namentlich den des Eindringens). Schon Formatrix Note 11 … habe ich dies bestimmt verneint Im Aug. 1864 war Formatrix noch nicht erschienen. und daneben erklärt:

Wenn ich urn. Befriedigung für sittlich erlaubt erkläre und für vereinbar mit der Manneswürde des Ds, so lasse ich die Frage offen: ob vielleicht ein bestimmter Modus hievon auszunehmen sei?

In Bezug auf die übrigen Modus, von denen allein mithin ich hier rede, bin ich zweifelhaft, ob Virchow selber geneigt sein werde, den Einwurf aufrecht zu halten. Jedenfalls dürfte derselbe sich widerlegen durch die 2te Naturbestimmung des Ds, die ich constatirt habe. Gewährt der junge D einem Weibe Gunst, das nach ihm in Liebe verlangt, das gleichwohl seine Leidenschaft nicht reizt, so handelt er nicht wider seine Manneswürde, weil er seiner Bestimmung gemäß gehandelt. Gewährt er einem U Gunst, der nach ihm in Liebe verlangt, so handelt er ebenfalls nicht wider seine geschlechtliche Manneswürde, weil er auch hier seiner Bestimmung gemäß handelt.

Und ferner folgendes.

a. Zunächst: Der liebende D ist nicht bestellt zum Hüter der Ehre des Mädchens. Mag das Mädchen selber sie hüten. Noch weit weniger wäre das liebende Mädchen bestellt zur Hüterin der Ehre des D: hättet ihr für Mädchen und D einerlei Maß. Ebensowenig aber wie hier im 2ten Falle ist der liebende U von der Natur bestellt zum Hüter der Manneswürde des D. Mag dieser selber sie hüten. Er kann schon an sich leichter, als das Mädchen, seine Ehre hüten, und nun namentlich noch einem U gegenüber. Ja es dürfte sogar dem Begriff der Manneswürde selbst entsprechen, daß der Mann seine Ehre und Würde lediglich selber schütze.

b. Die Ansichten über eines jungen Mannes geschlechtliche Ehre und Würde sind elastischer, denn Gummi. Sie sind nach Zeit und Ort durchaus verschieden gewesen. Sie sind dem vollkommensten Wechsel unterworfen. Bei den Israeliten zur Zeit der Erzväter z. B., ebenso bei den alten Deutschen zu Tacitus Zeit, war es noch ein Schimpf, furtim eines schönen Weibes zu genießen. Und heute? Bekanntlich ist in Kreisen junger Männer kein Thema des Spottes beliebter, als » der keusche Joseph», wie er vor Potiphars schönem Weibe »durchbrannte.« So benannte seine Flucht z. B. 1862 eine Nummer der Frankfurter »Krebbelzeitung.«

In Sparta ferner, in Athen, Creta und bei anderen Griechen war keinen urn. Liebhaber zu haben einem jungen Manne ein Schimpf. So sagt Servius Vergil-Kommentator (4. Jh.) (»Alexis«: Vergils 2. Ekloge): Auf Kreta war es für die Jünglinge eine Schande, keinen Liebhaber zu haben. – Cicero, De re publica 4, 3: Den Jünglingen wurde ein Vorwurf gemacht, wenn sie keine Liebhaber hatten. zu Virgils »Alexis«: »Apud Cretenses juvenibus infamiae genus erat, non esse amatos.« Cicero de republica sagt: » Opprobrio fuit adolescentibus, si amatores non haberent.« (Bei Servius zur Aeneide X. 325.)

c. Alles, was von Manneswürde in Sachen der Liebe gesagt wird, ist m. Er. gar sehr cum grano salis zu nehmen.

Von einem alten Weibe sich die Wangen streicheln zu lassen, dürfte einem jungen Burschen streng genommen wider seine Manneswürde sein, cum grano salis genommen nicht. Nichts in der Welt soll man übertrieben idealisiren, auch die geschlechtliche Manneswürde nicht.

d. Manneswürde hat nicht höhere Ansprüche, als Weibeswürde. Wie oft aber laßt ihr eure Töchter ohne einen Funken von Liebe heirathen? Ich kenne die Tochter eines Protestant. Geistlichen, welche mit Thränen zu ihrer Mutter sagte: »Aber, Mutter, ich fühle nichts für ihn!« Die würdige Frau Pastorin indeß beseitigte dies Bedenken mit den Worten: »Das schadet gar nichts. Die Liebe kommt gewöhnlich erst nach der Hochzeit.« Die Hochzeit erfolgte: aber die für ihre Lebenszeit gefesselte wird lange aufgeschaut haben, ob denn die Liebe noch nicht bald komme?

Ist die Knüpfung dieses Bündnisses auf Lebenszeit der Weibeswürde nicht zuwider, so kann die temporaire (siehe oben §. 54 a) Eingehung des Liebesbündnisses mit einem U der Manneswürde um so weniger zuwider sein.

e. Der D, der sich Uen oder Weibern für Geld prostituirt, handelt allerdings wider alle Manneswürde. Nicht aber der, der sich überzeugt, es sei wahre, lautere, innige Herzensliebe, was der U für ihn fühlt, und deshalb, durch solche Liebe besiegt, menschlich rein fühlend, die Gunst der Liebe ihm gewährt. So sagt der Dichter:

»Doch als den er erschaut, der ihn liebt, wie keiner auf Erden,
Wie kein Weib auf der Welt und wie nicht Vater und Mutter,
Da erfreut sich sein Herz und er blickt ihm lächelnd entgegen.«

Zu §. 89 und 86. Hinsichtlich der Manneswürde kommt es ganz wesentlich auch noch darauf an, ob der junge D selber es mit seiner Würde vereinigen könne, einem flehenden U Gunst zu gewähren? Nun aber finden sich in mehr als hinreichender Anzahl junge De durchaus wackern und ehrenhaften Characters, in denen nicht nur ein Horror vor Umarmung mit einem U kaum vorhanden oder doch mit Leichtigkeit überwindbar ist, sondern die auch, nach ihren unverdorbenen und ungeschraubten natürlichen Gefühlen, jenes Gewähren mit ihrer geschlechtlichen Manneswürde unbedenklich vereinigen können.

Nur diese laßt uns; nur diesen wehret nicht, ihr gutes Herz uns zu öffnen; nur in diesen erweckt nicht das Gefühl des Beschimpftseins durch systematische Provocation eines Aergernisses im Wege gewaltsamen Einschreitens durch Polizeidiener und Gensdarm!

Bei den übrigen jungen Dn, bei denen ein schwer überwindbarer oder unüberwindbarer Horror oder eine andere Ansicht von Manneswürde uns entgegentritt, wollen wir ja gern selber zurücktreten: wenngleich ein ehrenhaftes bloßes » Werben um Liebe« auch hier uns unverwehrt sein muß.

§. 90. Den Trieben, die der D von der Natur empfangen hat, steht gegenüber also nicht nur das moralische Recht, das der U von derselben Mutter Natur empfangen hat: sondern sogar die eigene von der Natur empfangene Bestimmung.

§. 90. Hiedurch wird also sittlich gerechtfertigt, nicht nur (vgl. oben §. 57):

a. daß der D ohne eigene Activität dem U Liebesgenuß gewährt – dies ist ihm ja selbst dann nicht naturwidrig, wenn man seine eben erwähnte Bestimmung auch gar nicht mit in Betracht zieht (Vindicta §. 23-27) –, sondern auch:

b. daß er, seine von der Natur empfangenen Triebe auf Zeit freiwillig unterdrückend, mit Aktivität dem U Liebesgenuß gewährt, vorausgesetzt, daß er gewährt, nicht um selber zu genießen, sondern um des Us Liebesbedürfniß zu befriedigen. Diese Activität ist zwar seinen von der Natur empfangenen Trieben zuwider, also einseitig naturwidrig Was ich eben nannte »subjectiv naturwidrig.« Nachtrag: Lies: Praeluxere faces; velarunt flammea vultus; Nec tua defuerunt ... (lib. 12. 42.). Diese einseitige Naturwidrigkeit aber hebt sich auf durch seine von derselben Natur empfangene Bestimmung. Und daneben, schon ohne Rücksicht auf diese Bestimmung, tritt gegen sie auf den Kampfplatz das moralische Recht auf irdische Glückseligkeit, insonderheit auf urn. Liebesgenuß, das der U von ebenderselben Natur empfangen hat. Schon vor diesem moralischen Recht ganz allein hat jene einseitige Naturwidrigkeit die Fahne zu senken.

Nicht dagegen liegt in obigen Ausführungen eine sittliche Rechtfertigung des D dafür:

c. am Körper des U activ zu sein, um lediglich selber zu genießen.

§.92.  Einwand: »Warum aber sollen denn gerade des Ds natürliche Triebe weichen dem natürlichen Recht des Us? Warum nicht vielmehr umgekehrt? Kann der Mensch doch auf Rechte freiwillig verzichten, auch auf moralische.«

Und ferner: »Verzichte doch, o U! Oder, kannst du es nicht: so sei beherzt und jag dir die Kugel durch den Kopf! Deine Liebe steht im Widerspruch mit der sittlichen Weltordnung.«

§. 93. Der freiwilligen Entsagung des Us, seinem klösterlichen oder nichtklösterlichen Gelübde, will ich keineswegs bestreiten, ebenfalls eine sittlich gerechtfertigte Lösung des urn. Conflicts zu sein. Ich will sogar zugeben, wegen des urn. Conflicts und weil dem Dionäismus ein derartiger Conflict fremd ist, habe der U eher Veranlassung, zum Gelübde zu schreiten, als der D oder das Weib.

Allein mehr innere Kraft hat der Einwand nicht. Er beweist nur: daß der urn. Conflict 2er sittlich gerechtfertigter Lösungen fähig ist; nicht: die eine von beiden sei sittlich ungerechtfertigt. Die Eigenschaft einer sittlich gerechtfertigten Lösung vindicirte ich also mit Grund dem von mir erwähnten Wege der Selbstüberwindung des D.

§. 94. Gerade in diesem Augenblicke bejammere ich einen Freund, U, sehr religiös gesinnt, Katholik, welcher den Verzweifelungskampf mit sich kämpft: ob er das feierliche Gelübde ablegen solle oder nicht? Ein ihm und mir befreundeter U schreibt mir am 26. Juni 1864:

»Gestern erhielt ich Antwort von ihm. Sie war, wie in letzter Zeit gewöhnlich, ganz verzweifelungsvoll. Ich bin so unglücklich u. unruhig mit ihm! Oft denke ich: ich möchte mit ihm in ein Kloster gehen und allen Freuden der Erde entsagen. O Gott aber, welch ein Entschluß! Wie wird es noch mit ihm enden?«

Ich meines Orts vermag nicht anders, als die Lösung aus dem Wege der Entsagung zu halten für eine Grausamkeit gegen sich selbst, die das Sittengesetz sogar von uns Urningen nicht verlangt: für eine Grausamkeit, die zwar weniger barbarisch, aber weit grausamer noch ist, als die beiden fernern Lösungen des urn. Conflicts: 3) auf dem Wege der Selbstcastration, 4) auf dem Wege der Ertödtung des Liebestriebes durch medicinische Vergiftung (z. B. durch Nitrum).

§. 95. Nicht der Naturtrieb, nein die Vernunft, ist das absolute. Die Naturtriebe sind der hohen Herrschaft der Vernunft unbedingt untergeordnet. Das natürliche hat zu weichen den höheren sittlichen Rücksichten moralischer Pflicht und moralischen Rechts.

Dies rechtfertigt die Entsagung des U auf das natürliche Recht: ebenso aber auch die Ueberwindung der dionischen Natur. Darum ist auch folgende Lösung eines fernern Conflicts sittlich gerechtfertigt. Auch der U hat ein natürliches Recht auf Fortpflanzung und auf jene Freude, die eigene Kinder gewähren. Obgleich ihm daher sein angeborener geschlechtlicher Horror vor dem weiblichen Geschlecht (das Hinderniß besteht hier also in einem hinderlichen eigenen Naturtriebe) die Ehe mit einem Weibe zur Naturwidrigkeit macht, so ist sie ihm, m. Erm., dennoch sittlich erlaubt. (Vorausgesetzt, daß es ihm überhaupt möglich ist, am Weibe die Functionen des Mannes zu verrichten. Bei diesem U ist dies nämlich der Fall, bei jenem nicht.) Auch hier hat der Zug natürlicher Triebe (und zwar auch hier wieder, wie bei der Lösung des geschlechtlich geistigen urn. Conflicts, der angeborene geschlechtliche Horror) die Fahne zu senken vor höheren sittlichen Rücksichten. Diese beiden Lösungen haben darum eine gewisse Aehnlichkeit mit einander. Sie unterscheiden sich nur dadurch, daß dort der D aus Rücksicht auf des andern Theiles moralisches Recht seinen angeborenen geschlechtlichen Horror unterdrückt, hier der U aus Rücksicht auf das eigene. Ja, deswegen kann es dem D nicht nur sittlich erlaubt: nein sogar sittl. Pflicht sein, dem U Liebesgunst, Liebesgenuß und Heilmittel zu gewähren. Vom Christlichen Standpunct scheint mir dasselbe gesagt werden zu müssen. Die Weigerung kann mithin unter Umständen eine Versündigung sein. (Vgl. auch Inclusa §. 100: Versündigung, bei den Griechen; und unten §. 106). An sich behaupte ich nur das sittliche Gerechtfertigtsein. Juristisch kann von einer Pflicht natürlich nicht die Rede sein. Juristisch kann nur gelten persönliche Freiheit.

§. 96.  Fernerer Einwand. Vielleicht möchte man ferner gegnerischer Seits geneigt sein, uns zu verweisen auf eine gewisse Anordnung der Natur als eine angeblich von der Natur selbst hergestellte Lösung des urn. Conflicts: auf die Nächtlichkeiten des Liebestraums. Allein diese sind nicht etwa eine nur unvollständige Lösung: sie sind gar keine Lösung. Einestheils nämlich sind sie ungesund und die Nerven schwächend, da das dem Geiste vorgegaukelte Bild ja in Wirklichkeit nicht vorhanden ist, ihnen also die Berührung und die Einsaugung magnetischer Ausströmung mangelt, während der Genuß an einem geliebten Körper gesund und nervenstärkend ist. Anderentheils sind sie nicht geeignet, zu stillen die mehr geistigen Qualen der Liebe und der Liebessehnsucht. Würdet ihr jene Nächtlichkeiten acceptiren als einen Ersatz für Liebesgenuß?

§. 97. Daß übrigens meine Lösung die richtige sei, dafür führe ich noch an die Analogie des dionischen Conflicts und seiner Lösung. (Vgl. oben Note 37.) Die Natur hat es so veranstaltet, daß der D auch noch in dem Lebensalter das Liebesbedürfniß in sich trägt, wenn er selber nicht mehr anziehend, sondern schon abstoßend, auf das junge Mädchen wirkt, das in ihm Liebe erweckt. Mit dem Liebesbedürfniß ferner trägt er in sich auch ein moralisches Recht auf dessen Befriedigung. In der eignen Abstoßung aber errichtete die Natur ein Hinderniß. Wie löst sich dieser Conflict? Ihr wißt es sehr wohl: genau eben so, wie ich des urnischen Lösung beschrieb, d. i. dadurch, daß das Mädchen ihre Vernunft hemmend einwirken läßt auf ihren Widerwillen und den D einfach heirathet. Zwar kann auch er entsagen: allein auch die zuerstgenannte Lösung ist eine sittlich gerechtfertigte. In's Kloster zu gehen oder sich zu erschießen verlangt niemand von ihm.

§. 98. Die Lösung des rein geschlechtlichen urn. Conflicts (des geistigen) ist hiernach erreicht: sobald einer von beiden, sobald U oder D. seine freie Vernunft hemmend und unterdrückend einwirken läßt auf seine natürlichen Triebe, sobald einer von ihnen seine natürlichen Triebe, gleichviel aus welchen Motiven , freiwillig dem andern zum Opfer bringt: sei es der U entsagend, sei es der D gewährend.

Die einfache freiwillige Gewährung ist also schon Lösung des geschlechtlich-geistigen urn. Conflicts.

»Lösung des Conflicts« faßt übrigens ihrem Begriff nach schon immer etwas sittliches, etwas versöhnendes, in sich. Befriedigung urn. Liebe auf dem Wege der Gewalt ist eben darum nicht Lösung, sondern Zerhauung des Knotens.

C. Conflict der urnischen Liebe mit der sittlichen Weltordnung. Dessen Lösung.

§. 99. Die Lösung des geschlechtlich-sittlichen urn. Conflicts aber ist erreicht:

  1. auch hier, wenn der U das Opfer bringt durch entsagen,
  2. aber auch dann, wenn der D es bringt durch gewähren, vorausgesetzt, daß er es bringt aus bewußter Rücksicht entweder auf die eigene Naturbestimmung oder auf des U moralisches Recht.

§. 100. Mit der Lösung des geschlechtlich-sittlichen urn. Conflicts ist aber zugleich auch die des sittlich-socialen erreicht, d. i. des Conflicts der urn. Liebe mit der sittlichen Weltordnung: weil eben der geschlechtlich-sittliche Conflict gerade es war, was den sittlich-socialen Unterschied bewirkte zwischen urn. und dion. Liebe: nach Lösung des geschlechtlich-sittlichen Conflicts also die urn. Liebe mit der dion. auf gleicher Linie steht.

§. 101. Weil die Möglichkeit einer Lösung des geschlechtlich-sittlichen Conflicts und damit auch des sittlich-socialen, gegeben ist, nämlich in der erwähnten bewußten Rücksicht des Ds entweder auf die eigene Bestimmung oder auf des Us moralisches Recht: so widerlegt sich die Idee, daß urn. Liebe an sich (d. i. unter allen Umständen) im Widerspruch stehe mit der sittlichen Weltordnung. Sie steht vielmehr lediglich der dion. gleich: auch diese steht mit derselben an sich nicht im Widerspruch, trotzdem, daß sie unter Umständen (in einzelnen ihrer in die Erscheinung tretenden Beispiele) mit jener Weltordnung allerdings in Widerspruch treten kann.

Somit steht denn, nach gelöstem sittlich-socialen Conflict, auch die Gunstgewährung in der urn. Liebe sittlich-social, d. i. der sittlichen Weltordnung gegenüber, mit der in der dion. auf gleicher Stufe: die außereheliche so gut wie die eheliche, d. i. außerhalb wie innerhalb des Liebesbündnisses.

§. 102. Einschalten will ich hier jedoch noch eine andere Anschauung, nach welcher es jener Lösung eines sittlich-socialen Conflicts gar nicht bedarf, weil urn. Liebe schon an sich, mit ihrem geschlechtlich-geistigen Conflict, mit der sittlichen Weltordnung in Einklang stehe.

Auf diese Anschauung bin ich später gekommen, als auf die obige. Ich meine, sie sei die eines höheren Standpunkts.

Um zum Liebesgenuß zu gelangen, bedürfen wir allerdings einer vorangehenden Selbstüberwindung auf Seiten des geliebten Theils, einer Ueberwindung seiner eigenen Natur: ihr nicht.

Allein folgt denn daraus, unser Liebesgenuß sei uns oder ihm unsittlich? oder urn. Liebe stehe im Widerspruch mit der sittlichen Weltordnung (mit Gottes Ordnung)? Daraus folgt ja doch nur: eure Liebe ist thatsächlich begünstigter, als die unsere, sie ist eine thatsächlich vollkommenere, eine beneidenswerthere. Folgt denn daraus: eure Liebe allein stehe auf der normalen Linie, die unsere dagegen unter derselben? Eben so gut könnte man ja daraus folgern: die unsre stehe auf der normalen Linie, die eure aber unverdienterweise über derselben.

§. 103. Daß nämlich ein so hoher Genuß, wie der, den die Liebe gewährt, ohne Mühe, Anstrengung und Kampf sollte erreicht werden können, finde ich meines Orts gerade gar nicht normal, d. i. von oben herab betrachtet, so lange unser Blick nicht getrübt ist durch die Gewöhnung an die alltägliche Erfahrung. Dies, und vieles andere in meiner Untersuchung, fordert allerdings einen Standpunct, an den ihr euch erst werdet gewöhnen müssen. Bei manchem aus dem rohen Haufen unserer »Gebildeten« zweifle ich, ob er sich je dazu wird erheben können.

» Τῆς δ' ἀρετῆς ἱδρῶτα Θεοὶ προπάρευϑ εν ἔϑ ηκαν.«

sagt Homer. richtig Hesiod, Werke und Tage, Vers 289:
Tugend kennt erst den Schweiß, so wolln’s die (unsterblichen) Götter.
Vgl. Büchmann, Geflügelte Worte (37. Aufl. 1986) S. 248.

»Und find ich ihn, so schmeichl' ich ihm so lang,
Bis er besiegt sich mir zu eigen giebt.«

sagt eine liebende bei Daumer.« Hafis. Eine Sammlung etc. S. 182.

Es muß etwas zu besiegen sein in dem Geliebten! sagt mir mein Gefühl. Daß wir also unsern Geliebten und in ihm eine uns geradezu widerstrebende Natur erst besiegen müssen, um zu dem höchsten Genuß zu gelangen, den die Erde beut: das deucht mir ganz und gar normal. Wenigstens grade so normal, grade so in Gottes Weltordnung begründet, als wenn der D und das Weib kampflos einer entgegenkommenden Natur begegnen. Von »Eroberungen» könnt ihr mit Recht gar nicht reden (höchstens, wenn einer von euch abschreckend häßlich ist). Ihr habt ja nichts zu besiegen. Was wollt ihr denn erobern? Wir sind es, welche wahre Eroberungen machen, wir feiern Triumphe.

§. 104. Aber auch vom Standpunkt des Geliebten sehe ich, von oben herab betrachtet, nichts anormales darin, wenn ein Mensch nur mit Ueberwindung seiner selbst, nur mit Besiegung einer in ihm wohnenden Natur, einem anderen jenen höchsten Genuß bereiten kann.

§. 105. Die urn. Liebe scheint mir also auf normaler Linie und in vollem Einklang zu stehen mit Moral, Gottes Ordnung oder sittlicher Weltordnung.

§. 106. Mit dem Christenthum vollends scheint mir jene Selbstüberwindung, jene Besiegung der eigenen Natur, gar sehr im Einklang zu stehen. Das Christenthum empfiehlt ja, gerade auch die geschlechtliche eigene Natur zu besiegen, z. B. behuf lebenslänglicher geschlechtlicher Entsagung; und Mitleid und Barmherzigkeit gegen die Qual andrer zählt es ja zu seinen höchsten Pflichten. Oder wäre es etwa unchristlich, wenn ein D ein Mädchen heirathet lediglich aus Mitleid mit ihren Liebesqualen? Der Geist macht lebendig!

§. 107. Daß wir Ue in Deutschland eine so spärliche Minorität bilden, ist für uns allerdings ein Nachtheil. Wären wir stark, so würden wir, wie einst in Griechenland, einfach in Folge unserer Zahl die uns gebührende sociale Stellung einnehmen, ohne Kampf, ohne alle wissenschaftliche Rechtfertigung.

Im Sinne der Wissenschaft dagegen ist unsere Spärlichkeit ein Vortheil, da sie uns zwingt zu naturwissenschaftlichen Darlegungen unsrer Natur und zu philosophischen Nachweisen über unser moralisches und sociales Recht.

D. Unter welchen Voraussetzungen ist urn. Liebesübung sittlich erlaubt?

§. 108. Aus dem Resultat der letztgedachten Anschauung, wie aus dem der vorhergehenden, folgt nun jedoch noch keineswegs, daß – auch nach erfolgter Lösung des sittlich-socialen Conflicts – die urn. Gunstgewährung dem D unbedingt, unter allen Umständen, sittlich erlaubt sei.

Sittlich erlaubt ist ihm die Gewährung – die Lösung des geschlechtlich-geistigen Conflicts durch seinerseitige Bringung des Opfers – m. Erm. vielmehr unter ganz andren Voraussetzungen, nämlich unter Voraussetzungen, welche von der Lösung des sittlich-socialen Conflicts völlig unabhängig sind, also Eintreten können auch bei Nichtlösung dieses Conflicts. Sittlich erlaubt ist sie ihm m. Erm. nämlich:

1.  innerhalb des Liebesbündnisses,

2.  außerhalb des Liebesbündnisses, wenn er gewährt entweder:

a. aus Mitleid mit den Qualen, unter denen der U bei sehr großem Liebesbedürfniß leidet, oder:

b. aus Rücksicht auf vorhandene oder drohende Erkrankung des Us als Folge der Nichtbefriedigung, und in der Absicht, ihm durch die Liebesgewährung ein medicinisches Heilmittel Siehe den betreffenden Abschnitt in Formatrix. darzubringen.

§. 109. Im Falle b. glaube ich nämlich Mitleid nicht von ihm fordern zu dürfen, ohne freilich es ausschließen zu wollen. Sogar gegen Lohn würde ihm wie mir scheint die Gewährung völlig erlaubt sein. Vindicta §. 57. 1.

Nur muß er die Ueberzeugung gewonnen haben von seiner Befähigung, zur Heilung beizutragen oder der Erkrankung vorzubeugen, mag diese Ueberzeugung nun dadurch in ihm hervorgerufen sein, daß der Arzt dem U einen Liebesgenuß verordnet hat, oder auf andere Weise.

Wo nur Qualen zu stillen sind, Erkrankung nicht droht, glaube ich dagegen die Gemüthsstimmung des Mitleids fordern zu müssen.

§. 110. Der (aus Mitleid oder gegen Lohn) zu medicinischer Heilung gewährende D scheint mir nämlich, sittlich betrachtet, wesentlich gleich zu stehen:

a. der Mutter, die ein fremdes Kind an ihre Brust nimmt, sei es aus Mitleid, sei es (als Amme) gegen Lohn;

b. dem jungen Burschen, der mit schwachen oder reconvalescenten Personen zu deren Nervenstärkung in körperlicher Berührung zubringt (Vindex §. 53.), sei es aus Mitleid, sei es gegen Lohn.

Der sittlichen Gleichstellung dieser beiden mit ihm thut es nämlich m. Erm. keinen Eintrag, daß bei ihm ein Moment hinzutritt, das diesen beiden fremd ist: die freiwillige Lösung eines Naturconflicts (des rein geschlechtlichen) durch Niederdrückung der Naturtriebe. Diese Niederdrückung ist ja schon an sich nichts unsittliches: um so weniger aber ist sie es, wo sie Lösung eines Naturconflicts bezweckt.

Beide gewähren mit der Substanz ihres Körpers einem ihrer Mitmenschen einen Dienst zu Gesundheitszwecken: einen Dienst, der sittlich vollkommen gerechtfertigt ist. Und beiden scheint mir, auch ohne Lösung des sittlich-socialen urn. Conflicts, der zu medicinischer Heilung gewährende D sittlich völlig gleich zu stehen. Auch seiner Ehre schadet der gewährende D nicht, sobald nur einer der beiden bezeichneten Gesichtspunkte zutrifft: »sittlich erlaubt« und »Lösung des sittlich-socialen Conflicts«.
a. Die sittlich erlaubte Gewährung (1. und 2., a und b) kann ihm In den Augen aller sittlich gerecht urtheilenden eben so wenig schaden, als z. B. das Ausschlagen eines Duells aus sittlichen Gründen. Das Urtheil der sittlich ungerecht urtheilenden kann nicht in Betracht kommen.
b. Die Gewährung im Bewußtsein eigner Naturbestimmung oder fremden moralischen Rechts, d. i. unter Lösung des sittlich-socialen Conflicts, (abgesehen davon, ob sie einzelnen Falls unter 1. 2., a und b falle oder nicht,) steht der dion. Gewährung gleich. In den Augen aller vernünftig urtheilenden kann ihm also die Gewährung nicht weiter schaden, als er seiner Ehre schaden würde, wenn er einem Frauenzimmer Gunst gewährt, d. i., geschieht es nicht für Geld, gar nicht. Nach euren factisch herrschenden Begriffen, wie ihr De sie zur Herrschaft gebracht habt, steht ja in geschlechtlichen Dingen von euch jeder einzelne den Weibern gegenüber fast völlig frei da.
In Ländern, Gegenden und Orten, wo die Menge über urn. Liebe unwahr, unvernünftig oder ungerecht urtheilt, – wie bisher in Deutschland – hat der U solchen ungerechten Urtheilen allerdings bis zu einem gewissen Puncte zu deferiren. Seinen eigenen Usmus vor der Menge zu verbergen, wird ihm dadurch noch nicht zur Pflicht. Wohl aber hat er Rücksicht zu nehmen auf den Ruf seines Geliebten, der ihm Gunst gewährt, auch auf den factischen Ruf. Auch nicht einmal faktischer Unehre, unverdienter, darf er diesen aussetzen. Und daher ist es ihm strenges sittliches Gebot, seinen Geliebten, oder doch dessen Gunstgewährungen, vor der rohen Menge sorgfältig geheim zu halten: wenigstens so lange nicht etwa der Geliebte selber der Ungerechtigkeit die Stirne zu bieten bereit ist.
Dies ist übrigens nichts der urn. Liebe absonderliches. Auch in der dion. giebt es gar manches Liebesbündniß, welches in den Augen wahr und gerecht urtheilender Schande nicht verdienen möchte, da es gleichsam auf der wüsten Insel eingegangen ist, bei der Menge gleichwohl in Unehren steht. Die Umkleidung mit der Solennität der Ehe war, staatlicher oder kirchlicher Hindernisse wegen, unausführbar: die Natur aber forderte dennoch ihren Tribut. Auch hier ist es sicher dem Liebenden sittliches Gebot, die Geliebte vor factischer Unehre, vor unverdienter, durch Geheimhaltung zu schützen.
Wo diese Pflicht der Geheimhaltung zur Anwendung komme? und wie weit sie gehe? hängt ab lediglich von der Stufe der Aufklärung über Usmus. und von der Stufe der Gerechtigkeitsliebe, auf der factisch die Menge steht.

§. 111. Dem entsprechend halte ich auch dem U seinerseits die urn. Liebesbefriedigung für sittlich erlaubt:

1. innerhalb des Liebesbündnisses,

2. außerhalb des Liebesbündnisses, wenn sie erfolgt entweder:

a. bei sehr großem Liebesbedürfniß, z. B. bei förmlichen Liebes-Qualen, oder:

b. als medicinisches Heilmittel, bei vorhandener oder drohender Erkrankung.

In beiden Fällen ist ein vorhandenes moralisches Recht des U das entscheidende: das Recht quälende Naturbedürfnisse zu befriedigen (a) und das auch ihm angeborene Recht seine Gesundheit zu erhalten (b).

§. 112.  Christlich betrachtet, dürste die um. Gunst-Gewährung im Liebesbündniß der ehelichen entsprechen, der Gunst-Genuß dem ehelichen. Aus Mitleid oder zu medicinischer Heilung fällt Gewährung, wie der entsprechende Genuß, m. Erm. weder unter die Christliche »fornicatio« noch unter die »Unreinigkeit«. Obige Sätze würden mithin der Christlichen Moral nicht widerstreiten. Doch will ich hier dem Urtheil der Christlichen Theologen nicht vorgreifen. Nur Prüfung ihres abzugebenden Urtheils vorbehalte ich mir.

§. 113. Außerhalb des Liebesbündnisses scheint mir übrigens die um. Liebesbefriedigung für beide Theile jedenfalls wesentlich leichter moralisch erlaubt zu sein, als die dion., weil bei der urn. für den geliebten Theil eine bestimmte dion. Gefahr nicht eintritt: die Gefahr der außerehelichen Schwängerung mit ihren mancherlei traurigen Folgen. Dem U gewährt der Geliebte nicht mehr, als die Amme dem Säugling, und ebenso gefahrlos, als die Amme. Mit der Substanz seines Körpers leistet er ihm, wie der Bursch dem Reconvalescenten oder die Amme dem Säugling, einen ihm selber gefahrlosen Dienst: nicht mehr, nicht weniger.

§. 114. Doch ließe sich, und zwar gerade vom Christlichen Standpunct, vielleicht auch der reine Naturzustand für die urn. Liebesübung vertheidigen, d. i. der Satz: daß es zum sittlichen Erlaubtsein der urn. Liebesbefriedigung ganz allgemein eines Liebesbündnisses nicht bedürfe. Dabei bitte ich folgendes zu erwägen.

§. 115. In der Christlichen Kirche hat sich zu allen Zeiten eilte hyperfromme Richtung geltend gemacht, welche Gott einen Dienst zu erweisen glaubte, wenn sie alle mögliche Handlungsweise ohne viele Prüfung geflissentlich für sündhaft erklärte. In der protestantischen scheint sich diese Richtung neuerdings wieder sehr breit zu machen. In der katholischen gab es nun eine Zeit, in welcher man dieser gefährl. die Gewissen beengenden Richtung einmal entgegentrat, und zwar mit Vernunft und Prüfung, und bestrebt war, zwischen sündhaft und nichtsündhaft einmal die Gränze festzustellen. Eine ganze Reihe von Sätzen, meist sehr richtigen, stellten die katholischen Religionslehrer des 17. Jahrhunderts auf, welche nichts anderes sind, als Ausflüsse dieses Strebens, jener geflissentlichen Sündhafterklärung entgegenzutreten. (Aehnlich sind dem Rechtskundigen die Römischen Juristen bekannt, welche eine Reihe von Sätzen aufstellten, Ausflüsse des Princips: »exheredationes non sunt adjuvandae.« Corpus Iuris Civilis, Digesten 28, 2, 19 (S. 374): Enterbungen sind nicht zu begünstigen. Diesem Princip sind freilich längst nicht so richtige Sätze entflossen, als jenem: »die Sündhafterklärungen sind nicht zu begünstigen«; »condemnationes morales non sunt adjuvandae«)

§. 116. Da zu den Anhängern jener freieren vernunftgemäßen Richtung auch viele Jesuiten gehörten, bei den heutigen Anhängern freier und vernunftgemäßer Richtungen aber der vernunftwidrige und gerechtigkeitswidrige Satz wie ein Glaubenssatz feststeht: »an den Jesuiten darf principiell kein gutes Haar gelassen werden«, so begegnen wir einer gar eigenthümlichen Erscheinung. Jene vernünftiger Prüfung entsprungenen Sätze vernünftiger Religionslehrer sehen wir von den heutigen Anhängern der freien Richtungen hingestellt als »schamlos unsittlich«, als »empörend«, etc. Und zwar geschieht dies ohne alle Prüfung jener Sätze – natürlich! – freilich mit einer diesen Mangel ergänzenden Fluth von Schmähreden. Dies bezeichnen sie nun als »ein Kämpfen für wahre Aufklärung.« (In diesem Sinne ist z.6nbsp;B. die Frankfurter »Religiöse Reform« redigirt; in diesem Sinne sind die meisten Rongeschen Schriften Ronge, Johannes (1813-1887), gründete 1863 in Frankfurt einen ›Religiösen Reformverein‹. geschrieben, ferner die erwähnte (anonyme) Schrift: »Enthüllungen über Leben und Lehren der katholischen Geistlichkeit.« Wir verkennen nicht, daß hie bezeichneten Schriften einzelne Wahrheiten aussprechen. Allein von dem gemachten schweren Vorwurf wird ein unbefangen urtheilender sie schwerlich freisprechen.

§. 117. Einer der Anhänger jener vernunftgemäßen Richtung nun, Caramuel Lobkowitz, Bischof von Vigevano, († 1682) eine Autorität in der katholischen Kirche, (übrigens nicht Jesuit) lehrt von der Geschlechtsliebe im allgemeinen, d. i. ohne Rücksicht auf urn., folgendes; Lobkowitz; theologia moralis, ad prima ... principia deducta. Lovanii, 1645; lib. 4. pag. 409. 410. wobei ich Gewicht darauf lege, daß bei ihm überall die Rede ist von Beweis und Vernunftgründen:

»Es ist wider alle Vernunft, zu behaupten, die außereheliche Befriedigung sei an sich sündhaft. Mir ist es durchaus klar, daß sie nur darum sündhaft ist, »weil Gott« (zu irgend einem bestimmten Endzweck, z. B. zur Beförderung der Eingehung von Ehen,) »sie« (durch positiven Befehl) » verboten hat. Si Deus non interdixisset mollitiem, i. e. seminis effusionem voluntariam« (sc. außerh. der Ehe): »nunquam« ea esset mala (sündhaft), saepe esset bona (tugendhaft), aliquando obligatoria (durch die Pflicht geboten), Vgl. meine Ansicht, oben §§. 95. 106. ... Esse contra naturam,« semen decedere: nullus dialecticus ex rationabili causa probare polest.« (Die außereheliche Befriedigung könnte also denkbarer Weise sehr wohl erlaubt sein.)

Den Einwand:

»Wäre die außereheliche Befriedigung erlaubt, so würden keine oder nur wenig Ehen eingegangen werden«

widerlegt er ganz richtig, indem er sagt:

»Dann wäre es eben kein Uebel, wenn Ehen nicht eingegangen würden.«

Gewiß liegt sehr viel durchaus Wahres in diesem Raisonnement. Bei Protestanten und nichtglaubenden freilich wird es, weil es ein Katholik geschrieben hat, keine Gnade finden.

§. 118. Nun steht so viel wohl unwiderleglich fest: die Urheber der heiligen Urkunden des Christenthums kannten kein 3tes Geschlecht; sie kannten nur D und Weib. Die Sanctionirung des positiven Instituts der Ehe, die diese Urkunden enthalten, und das positive Verbot der außerehelichen Befriedigung, beides ist mithin nur für den Dsmus ausgesprochen, nicht für den Usmus. Da nun für den Usmus gar nichts sanctionirt ist, also auch nicht einmal ein Liebesbündniß, so könnte man vielleicht nicht ohne Grund annehmen: nach dem Christenthum sei für den Usmus – abgesehen von Excessen – der reine Naturzustand das erlaubte. Dann würde es eben kein Uebel sein, wenn im Usmus Liebesbündnisse nicht eingegangen würden.

§. 119. Der Dsmus mit Liebesbündnissen und der Usmus ohne solche könnten aber ebensogut und aus gleichem Grunde neben einander bestehen, wie z. B. in der Thierwelt die nesterbauenden, brütenden und kinderfütternden Vögel ehelich leben: während dagegen die nicht brütenden u. nicht kindernährenden Thiere, z. B. Amphibien, Fische und Insecten, etwas der Ehe auch nur entfernt ähnliches nicht kennen. Ja, auch die meisten Säugethiere, Hund, Katze, Hirsch, Reh, sehen wir ohne Ehe der Liebe pflegen. Etwas dem Brüten u. namentl. dem Füttern entsprechendes nämlich findet sich wohl beim Dsmus, nicht aber beim fortpflanzungsunfähigen Usmus. Beim Dsmus etwas dem entsprechendes: denn der Vogel-Vater füttert so gut wie die Vogel-Mutter. Beim Menschen säugt die Mutter, spätere Nahrung schafft der Vater. Zu solchem gemeinsamen Ernähren der Kinder aber ist bei Vogel und Mensch Ehe erforderlich.

§. 120. Ich will diese Frage jedoch noch als eine offene behandeln, und sogar erklären, daß ich persönlich mich noch zur Forderung des Liebesbündnisses neige, als eines Analogons der dion. Ehe: nur behauptend, daß die vorgetragenen gewichtigen Gründe für die entgegengesetzte Ansicht zu sprechen scheinen; die Widerlegung der Beweiskräftigkeit derselben erwartend. Mindestens dürften die beiden obigen Fälle: »bei sehr großem Liebesbedürfniß« – bez. «aus Mitleid« – und »als medicinisches Heilmittel« ihre Rechtfertigung finden durch die Lobkowitzschen Gründe »saepe bona, aliquando obligatoria«.

Dem rohen Haufen bemerke ich dabei, daß nicht Schmähreden, protestantischen Theologen, daß nicht Worte der Salbung, beiden, daß nur Gründe widerlegen.

§. 121. Ich sagte: einem U Liebesgenuß zu gewähren, sei dem jungen D unter Umständen sogar Pflicht. Man wolle mich nicht mißverstehen.

Es giebt 2 Standpuncte in der Moral. Ich möchte sie nennen den des Bürgerthums der Seele und den geistig-adeligen. Dem entsprechend giebt es auch 2erlei Pflichten, bürgerliche und adelige.

Der geistig-bürgerliche Standpunct ist jener, welcher lehrt:

»Omnis amor proximi incipit ab ego.« (Deutsch: »Erst komm ich, dann du.«) Der adelige lehrt: »Du sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst.« Der bürgerliche kennt nur die königlich Preußische Pflicht »Suum cuique« Suum cuique (Jedem das Seine) gilt als Ausspruch des älteren Cato (234-149 v. Chr.). Vgl. Büchmann, Geflügelte Worte (37. Aufl. 1986) S. 313., die Pflicht der Gerechtigkeit: dieser auch eine Pflicht der Selbstaufopferung für den Nächsten. Jener ist der Standpunct des Judenthums, Heidenthums und Islams: dieser der des Christenthums.

Vom bürgerlichen Standpunct aus nun ist jenes Gewähren ohne Frage niemals Pflicht. Es kann nie mehr sein, als die adelige Pflicht der Selbstverleugnung. Nur insofern erkläre ich es für Pflicht, als Selbstverleugnung Pflicht sein kann. Da in unsren Tagen alles geistige, von früherer Hoheit herabsteigend, sich mehr und mehr verbürgert, so mag es sein, daß ich für diese meine adelig-Christliche Theorie wenig Anhänger finden werde.

E. Einfügung der urn. Liebe in die sittliche Weltordnung.

§. 122. Auf die Lösung des sittlich-socialen urn. Conflicts lege ich hienach Gewicht nicht aus Rücksicht auf die reine Moral, sondern nur zu dem Zweck, um in den Augen der öffentlichen Meinung die urn. Liebe zu rechtfertigen und für sie Raum und Stelle zu gewinnen in der Gliederung der menschlichen Gesellschaft, und zwar eine Stelle, die nicht genöthigt sei, sich zu verstecken in das Dunkel der Nacht oder sich zu verhüllen in den Schleier des Geheimnisses. (Vgl. Vindicta §. 57. 2.)

§. 123. Nach Lösung des sittlich-socialen urn. Conflicts, ja schon wegen der vorhandenen nachgewiesenen bloßen Möglichkeit seiner Lösung, steht die urn. Liebe nicht mehr außerhalb der sittlichen Weltordnung; nach einer höheren Ansicht sogar an sich nicht.

Nach beiden Ansichten bleibt nämlich nichts, als eine rein factische Mangelhaftigkeit der urn. Liebe, welche im Vergleich mit der dion. vorhanden ist. (Incl. §. 90, erster Mangel: die eigene Abstoßung.) Sie besteht in der dem U auferlegten Nothwendigkeit, den in Naturtrieben verschanzten jungen D oft erst mühsam belagern oder im Sturm erobern zu müssen, ehe derselbe ihm die Thore seines Herzens öffnet und der Angreifer ihn, besiegt, sein eigen nennen darf. Es ist die Nothwendigkeit der oft schwieriger oft leichter zu bewerkstelligenden Selbstüberwindung des Ds. Also nur eine minder bequeme Stellung des liebenden U im Vergleich mit der des liebenden D.

§. 124. Unbedingt wichtig dagegen ist die Lösung des sittlich-socialen urn. Conflicts, oder wenigstens – wenn man des Conflicts Vorhandensein nicht annimmt – das bezeichnete geklärte Bewußtsein (§. 99. b.), für folgende 3 Fälle. Nach dieser Lösung, bez. beim Vorhandensein dieses Bewußtseins, steht urn. Liebe nicht mehr im Widerspruch:

  1. mit der Manneswürde des gewährenden D;
  2. mit den Banden älterlicher und kindlicher Liebe. Auf der wüsten Insel, auf der wirklichen, kann ein Vater zur Eingehung eines Liebesbündnisses mit einem D seiner Tochter mit gutem Gewissen die Einwilligung geben. Nach Lösung des sittlich-socialen urn. Conflicts – wenn er nämlich das bezeichnete dazu erforderliche Bewußtsein theilt – kann er sie ebenso freien Bewußtseins ertheilen auf der nur gedachten wüsten Insel seinem Sohne zur Eingehung eines Liebesbündnisses mit einem wackern U.
  3. Endlich auch nicht mehr mit der öffentlichen Meinung, d. i. der öffentlichen Achtung: sobald nämlich die öffentliche Meinung jenes geklärte Bewußtsein theilt. Dann ist des rein socialen Conflicts Lösung faktisch erreicht.

§. 125. Seid ihr De gleich die Organisatoren der menschlichen Gesellschaft, so bildet doch nicht ihr allein ihren Bestand: und darum habt ihr kein Recht, sie ausschließlich dionisch zu construiren.

Die bestehenden socialen Einrichtungen und die bestehende Richtung der öffentlichen Achtung und Verachtung habt ihr zu verantworten: vor uns und auch vor den Weibern. Auch an den Weibern handeltet ihr durch beides vielfach m. Erm. schwer verantwortlich. Ulrichs spricht hier ganz aus dem Geist der Aufklärung, was in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr selbstverständlich war. (Vgl. z. B. oben Note 5 und §. 11.)

Die sittliche Weltordnung ist nicht identisch mit der Weltordnung, wie ihr sie gemacht habt. In 1000 Stücken müßt ihr eure socialen Einrichtungen erst ändern, soll eine sittliche Ordnung der Dinge heraus kommen.

Das Herz verlangt gehört zu sein: auch das weibliche und das urnische Herz!

§. 126. Den Händen der Natur zwar mißrathene Geschöpfe (vgl. Formatrix) sind wir, aber doch aus ihren Händen hervorgegangene.

Und ferner: der Naturconflict, der aus unsrem Mißrathensein entspringt, ist lösbar, und zwar nicht nur der rein-geschlechtliche, sondern auch (falls man diesen als vorhanden annimmt) der sittlich-sociale.

Und endlich: auch das urnische Herz hat seine Rechte.

Ueber die ganz erhebliche Wichtigkeit dieser drei Sätze muß ich meine Gegner dringend bitten nicht leichtfertig hinwegzuhüpfen.

§. 127. In Consequenz dieser beiden Sätze habt ihr nun weder das Recht: uns zu verfolgen oder zu infamiren: noch uns auszustoßen aus der menschlichen Gesellschaft: den Störchen gleichend, die ihr Junges, wenn sein Wuchs ihnen mißfällt, einfach und kurz aus dem Neste hinabschleudern, oder den alten Deutschen gleich, die ihre neugeborenen Kinder im gleichen Falle im nächsten besten Sumpfe ersäuften: noch endlich uns, als gemeingefährliche Subjecte, in polizeiliche Detentionsanstalten oder in Irrenhäuser einzusperren oder aus Stadt und Land hinauszuweisen.

§. 128. Sind wir euch eine Last? Ich weiß es nicht. Wenn ja: nun, so hat die Natur der menschlichen Gesellschaft manche Lasten auferlegt. Sie gab euch kranke, arme, blinde, taube, blödsinnige. Solche Lasten habt ihr eben zu tragen: mit Rechtssinn, ja mit Humanität. So auch diese Last. Außerdem werdet ihr euch durch Gewöhnung mehr und mehr vertraut machen mit dem Gedanken an diese Last. Sie wird euch leichter werden. Eins aber vergesset nicht. Mit versöhnender Hand habt ihr auch den Uen ihre Lage zu erleichtern. Ihr habt kein Recht, mit Feuer und Schwert gegen diese Last zu wüthen; ihr habt kein Recht, mit dem Schwert der Gerechtigkeit auf sie einzuhauen: gegen die Verbrecher ist euch dies Schwert gegeben! nicht gegen unglückliche; ihr habt auch kein Recht, diese Last einfach und kurz über Bord zu werfen nach Art der Störche oder der Germanen.

§. 129. Wir sind vielmehr, gleich euch, existenzberechtigt in der menschlichen Gesellschaft: dem Maniemenschen gleich, dessen unschädliche Fackel ohne Erlaubniß des Eigenthümers keinen Strohhalm anrührt: und somit auch allen Dioningen gleich, die irgend einer vulgairen unschädlichen Passion nachhängen, z. B. jenem reichen Manne gleich, der Vergnügen daran findet, in seiner glänzenden Carosse Stunden lang durch die Straßen zu fahren, während Lakay und Jäger in goldstrotzender Livree bis zur Ermüdung, aber einwilligend, hintenauf stehen.

Wir haben volles Anrecht, mit unserm ganzen vollständigen Usmus in der menschlichen Gesellschaft, gleich euch, mitten inne zu stehen. Ein U meint uns dieses Anrecht nur für den Fall zusprechen zu können, daß wir als Ue auch äußerlich erkennbar in die Erscheinung treten, z. B. durch besondere Kleidung erkennbar, und daß wir zugleich unsre sociale Stellung als Männer (Vindex §. 10) aufgeben. Diese echt sociale Frage ist keineswegs bedeutungslos. Auch bin ich durchaus nicht principiell gegen die äußerliche Erkennbarkeit der Ue. Allein Ausübung, Besitz und Genuß unsrer angeborenen Rechte mache ich nicht abhängig von der Erkennbarkeit. In manchen Armeen, z. B. in der der Nördlinge wie der Südlinge in Amerika, in jener der Polnischen Insurgenten von 1863, gab es Mädchen oder Gattinnen, die in männlicher Soldatentracht mit ins Feld rückten, sei es als Mitkämpfer aus Patriotismus, sei es aus Liebe zu einem der Kämpfer als Adjutant (Fräulein Pustowojtow) oder Officierbursch. Wegen ihrer temporair männlichen Kleidung und temporair männlichen socialen Stellung wird es niemandem eingefallen sein diesen Weibern Ausübung, Besitz und Genuß ihrer weiblichen Rechte zu verkümmern. Also vindicire ich auch uns diese Ausübung schon jetzt.

§. 130. In der Aegyptischen Finsterniß, welche seit Jahrtausenden sich über den Usmus lagert, hat der rohe Haufe Zu dem übrigens in diesem Stück weit mehr als die übrigen die sog. gebildeten Classen zählen. seine Verachtung auch gegen den gewährenden Geliebten bisher in so hohem Grade wüthen lassen, daß schon die bloße Furcht vor dieser Verachtung bis zu Selbstmorden getrieben hat.

In Cassel in Kurhessen ist zwischen 1860 und 1862 folgender entsetzliche Fall vorgekommen. Ein urn. Unterofficier liebte einen Gefreiten, den schönsten seines Regiments. Er eroberte ihn: er fand Erhörung und Gewährung. Aus Furcht aber, jener Verachtung anheimzufallen, oder irriger Weise sie als berechtigt anerkennend und in der Meinung, sie zu verdienen, hat der Geliebte nach kurzem Liebesbündniß eine Pistole geladen und sich erschossen! Seine Beweggründe schrieb er vorher nieder auf einen Zettel, den man an seiner Leiche fand. Auf demselben spricht er von sich selbst in den verächtlichsten Ausdrücken.

§. 131. Hüben Vindicta §. 8. 9. 10. und drüben also Selbstmord! Mich schaudert. Der arme! O warum war er nicht aufgeklärt über den Usmus, nicht aufgeklärt darüber, daß auch der liebende U zur irdischen Glückseligkeit berufen sei, daß auch der U ein angeborenes Recht habe, der Liebe Seligkeit zu schmecken; warum er, der duftende Baum des Labsals, nicht aufgeklärt über seine eigne 2te Bestimmung! O warum war seine Umgebung über diese Puncte noch nicht aufgeklärt! Selbst wenn er die obenbezeichnete Gränze im Gewähren (oben S. 45) überschritt, handelte er, meine ich fast, nicht wider seine Bestimmung, und somit nicht gegen seine Manneswürde. Das Siegel solenner Sanction des urn. Liebesbündnisses ist ja leider noch nicht gefunden; der Usmus wohnt ja nun einmal, inmitten des Menschengewühls, auf wüster, priesterloser Insel. Warum doch mußte es ihm u. seiner Umgebung unbekannt sein, daß moralische Pflichten u. Rechte höher stehen, als Instincte u. Naturtriebe, und daß demnach – trotz der bestehenden Priesterlosigkeit für die urn. Liebe – einfach in geklärtem Bewußtsein für den urn. Conflict, für den geschlechtlich-sittlichen und für den sittlich-socialen, eine versöhnende Lösung vorhanden sei? Warum doch mußte der rein sociale Conflict factisch noch nicht gelös't sein? Warum war es ihm nicht vergönnt, auch nur allein die 3 Gedichte des Hafis zu lesen, die ich unten anführe? Vielleicht hätte er dann seine Hand nicht ausgestreckt nach dem verhängnißvollen Geschoß! Der urn. Conflict hätte ein blutiges Opfer weniger gefordert.

§. 132. Vor euch aber trete ich hin, ihr De, die ihr die öffentliche Meinung gebäret und verantwortlich seid für die sittlich-socialen Einrichtungen und für die Richtung der öffentlichen Achtung und Verachtung. Vor euch trete ich hin, ihr Gesetzgeber, und frage:

Diesen Selbstmorden, wie lange noch wollt ihr unthätig ihnen zuschaun? Wohlan! beschwört den Höllenrachen auf Erden, der jährlich seine Opfer verschlingt:
beschwört den urn. Conflict . Beweis't, daß ihr Sinn für Gerechtigkeit im Herzen habt. Die erste Hand legt an's Werk; das ist mein ceterum censeo: revidirt eure Gesetze !

V.
Rechte der Varietäten: Weiblicher Uranismus. Uranodionäismus. Uranismus mit männlichem Habitus. Zwitter.

§. 133. Beziehen sich meine Untersuchungen auch auf der männlich liebenden Weiber (der Urninnen) und der unentschieden (doppelt) liebenden Männer (der Uranodioninge) etc. moralische und sociale Rechte? Zunächst: nein.

a. Weibweibliche Liebe. Die Gründe, welche die mannmännliche Liebe, den männlichen Usmus, sittlich und social rechtfertigen, scheinen mir gleichwohl auch den weiblichen Usmus, die weibweibliche Liebe, zu rechtfertigen.

b. Uranodionäismus. Hier möchte man geneigt sein, so zu raisonniren:

»Beim Uranodioning liegt es lediglich in der eigenen Willenskraft, sich zu beschränken auf den conflictfreien Genuß am Weibe. Seine urnischen Liebesfreuden kann die Gesellschaft daher nicht dulden.«

Allerdings dürfte diese Schlußziehung nicht ganz ohne Grund sein. Allein zweierlei dürfte doch dem gegenüber erwägungswerth sein.

a) Das Vorhandensein der freien Wahl, worauf die Schlußziehung basirt, scheint mir noch sehr fraglich zu sein. Mindestens dürfte sie nicht stets vorhanden sein. Dafür scheint mir laut zu sprechen das Beispiel Nero's. (Formatrix §. 113. 5.)

b) (Die freie Wahl als vorhanden angenommen.) Auch bei euch, bei den dionischen Massen des Menschengeschlechts, liegt es ja lediglich in eurer Willenskraft, den Indiern gleich, eure Nahrung zu beschränken auf das conflictfreie Verspeisen von Vegetabilien, also kein Thier gewaltthätig seines Lebens zu berauben, damit sein Fleisch euch zur Nahrung diene. (Vgl. oben: Naturconflicte Nachtrag. Den geistigen urn. Conflict nenne ich wohl besser den urn. Naturtriebsconflict oder Gefühlsconflict. und ihre Lösung.)

Beim Uranodionäismus, wie bei dem Brot und Fleisch essenden Menschen, wohnt inne dem Ich ein unentschiedener nach 2 Seiten hin gerichteter Naturtrieb, gleichsam zwei Naturtriebe, deren einer conflictfrei ist, während der andere, sobald er Befriedigung verlangt, zwischen Ich und Mitgeschöpf einen Conflict erregt. In beiden Fällen aber liegt es lediglich in der Willenskraft des Ich, sich zu beschränken auf die Befriedigung der nicht confligirenden Richtung des Triebes.

So lange ihr daher euch die Beschränkung der Nahrung auf Vegetabilien nicht auferlegt, so lange ihr fortfahrt Fleisch zu essen: so lange fordert ihr meines Ermessens ohne Recht die Beschränkung der geschlechtlichen Liebe auf Weiber vom Uranodioning. Meliere sententia salva. vorbehaltlich eines besseren Urteils.

c. Der Zwitter moralisches Recht auf Liebesbefriedigung habe ich schon früher zu verfechten Gelegenheit genommen gegenüber unchristlichen Aussprüchen der Christlichen Kirche. Oben Note 4. u. §. 25. 26. 27. §. 53. §. 56. 57.

Biblisch wenigstens sind solche Aussprüche geistlicher Gerichte gegen das Recht der Zwitter nicht. Meines Wissens beruhen sie aber auch nur auf irriger Anwendung der bestehenden kirchlichen Vorschriften. Deren Sinn ist offenbar nur: »niemand soll an ein Individuum ehelich gekettet bleiben, das sich als Zwitter herausstellt.« »Dem Zwitter seinerseits sei die Befriedigung seines Liebestriebes lebenslänglich Sünde«: davon sagen die kirchlichen Vorschriften keine Silbe, weder der katholischen noch der protestantischen Kirche.

§. 134. d. Meine Untersuchungen gelten zunächst nicht einmal jenen Uen rücksichtlich ihrer moralischen und socialen Rechte, denen weiblicher Habitus fehlt, d. i. gänzlich fehlt.

Wo indeß der geliebte D in dem liebenden U weibliches Wesen nicht wahrnimmt, da ist seine Lage zwar nicht die gleiche, wie einem reinen U gegenüber. Allein keinesweges ist sie deßhalb ihm schon bestimmungswidrig oder verdammenswerth. Abgesehen von der Aufgabe, den urn. Conflict zu überwinden, welche bei ihm allerdings hinzutritt, entspricht sie vielmehr nur der Lage des Ehemannes, welcher in seiner Gattin, wie solches so oft vorkommt, weibliches Gemüth vermißt. Wie die Weiber, so haben auch die Ue hin und wieder jedenfalls männlichere Gemüthsart, als mancher D. Solche Ue und solche Weiber von recht männlicher Gemüthsart scheinen angezogen zu werden von den wenig männlichen »Jünglingsgesichtern«.

VI.
Soldatenliebe.

 

»Ohne Maß, wie Gott,
Ohne Schranken ist, wie Gott, die Liebe«.

Hafis.

 

§. 135. Die Neigung zu Soldaten hat man uns, als unedel, zum Vorwurf gemacht. In Deutschland ist sie thatsächlich entschieden vorherrschend: vgl. Incls. §. 42. »Doch unter allen die liebsten« etc.
Wie es scheint, auch in Frankreich. (fehlt in der Neuausgabe von 1898 – trotz (oder wegen?) der ›Soldatenliebe‹ in Berlin. Vgl. M. Hirschfeld, Berlins Drittes Geschlecht (1908, Neuausgabe 1991) S. 90-100.) So erzählt Tardieu von einer urn. Gesellschaft von 6 Personen, 3 Liebhabern und 3 Geliebten, die 1857 in Paris einen Abend mit einander zubrachten. Die 3 Geliebten waren: ein junger Tischler, ein Garde-Lancier und noch ein Soldat. (Tardieu-Theile; 1860. S. 183. vgl. mit S. 141.) Noch bestimmter aber geht es hervor aus der höchst bezeichnenden Thatsache, daß in Paris die Cinäden, um Ue anzulocken, sich gern als Soldaten verkleiden. So erzählt Tardieu von einer dort entdeckten Burschenspelunke, die auf Ue berechnet war, genannt »das Husarenhaus«, »maison des hussards«. Die Ihr angehörigen jungen Burschen trugen eine Art von Soldaten-Uniform (vermuthlich eben von Husarenuniform). In dieser Uniform zeigten sie sich an öffentlichen Orten und warben für die Spelunke, durch ihre Körpergestalt und die Uniform der Ue Blicke auf sich ziehend. Unter den Kleidungsstücken des ebenerwähnten jungen Tischlers, der an jenem Abend als Geliebter fungirte, fand sich ebenfalls eine Militair-Kleidung. »Auch sie kann nur zu einer solchen Verkleidung gedient haben.» (Tardieu S. 141.)
Im alten Griechenland finden wir zwar erwähnt, daß Liebender u. Geliebter neben einander in der Schlachtlinie standen etc., aber nichts von Liebe eines bürgerl. Us zu einem Soldaten. Einen Stand bildeten die Soldaten nicht. Auffallender ist mir, daß aus Rom (mir wenigstens) Erwähnungen urn. Soldatenliebe nicht bekannt sind. Vielleicht waren die Römischen Soldaten durchschnittlich älter, als die unsren. Eine Andeutung indeß, irre ich nicht, ist zu finden auf 2 Münzen Trajans, welcher bekanntlich U war, vorhanden im Münzcabinet des Herzogs von Blacas und im Cabinet de France. Auf denselben ist er dargestellt zu Pferde und ihm folgen 3 Soldaten, von denen der vordere, der vollständig sichtbare, wahrhaft prangt in Jugendschönheit. (Henry Cohen, médailles impériales II. 1859. Trajans-Münze I und 296 und Taf. I, wo letztere abgebildet.)
Reizende Schilderungen schöner Soldaten finden sich bei Ovid, welcher selber zwar D war, für die urn. Gefühle anderer aber so viel Verständniß hatte, daß er urn. Liebesgeschichten mehrfach wahrhaft schön geschildert hat. (Mehrere Proben in »Nemus sacrum«, namentlich die anziehende Erzählung von Apollo und Hyacinthus.) Von einem jungen Krieger sagt er (metam. VIII.):
Seu caput abdiderat cristata casside pennis,
In galea formosus erat. Seu sumserat aere
Fulgentem clipeum, clipeum sumsisse decebat.
(Setzte er auf sein Haupt den Helm, den mit dem Haarbusch gekrönten, so war er schön in dem Helme! Nahm er den von blankem Metall glänzenden Schild, so war er ein schöner Anblick, daß er den Schild nahm.) [Formosus ist gerade die Schönheit, welche Liebe weckt. Siehe mehrere Stellen in »Nemus sacrum«.]
Wer von euch Uen würde einen schönen Soldaten wohl hübscher schildern? Wer ferner würde zu seinem Geliebten traulichere Worte sprechen, als was Ovid [Metamorphosen 8, 25-27.] (freilich nicht gerade in diesem Sinne) sagt:
»Bellice, depositis, clipeo paulisper et hasta,
(Huc) »ades, et nitidas casside solve comas!«
(»Leg ab ein wenig, o Krieger, Schild und Lanze und bleib bei mir! Befreie vom Helm dein schönes Haar!«)
Sehr mit Unrecht.

Zwar kann sie ausarten zur Venus vulgivaga.

Allein an sich ist ein gemeiner Soldat ein durchaus würdiger Gegenstand unserer Liebe. Alles, was naturgemäß Anziehung ausübt, finden wir, und zwar gerade in höchster Potenz, unter den gemeinen Soldaten. Und zwar, wie es scheint, in der Regel bei gemeinen Soldaten mehr, als bei Unterofficieren und Officieren. Weßhalb? kann bei dem folgenden jeder sich leicht selbst erklären. (Natürlich nicht bei allen; wie ich denn auch bitte, das folgende nicht »Mann für-Mann« verstehen zu wollen.) Blühender schöner Körper, und zwar nicht nur Körper-Schönheit, sondern auch Körper-Frische; edler Wuchs, edle Formen, edle Haltung, Ebenmaß der Glieder, kurz Jugendschönheit in ihrer Vollendung: wo, frage ich, haben wir all dies eher zu suchen, bei den blassen »Jünglingen« oder unter den Reihen unserer schmucken jungen Krieger?

§. 136. Aber auch Geistesfrische und vor allem jene bezaubernde Geistes-Virginität finden wir bei den Soldaten, und wahrlich nirgends mehr als bei ihnen: jene thauige geistige Unschuld und anspruchslose Unwissenheit über sich selbst, die noch unbeleckt ist von städtischer Eitelkeit und Coquetterie. Irre ich nicht, so fühlt ihr ganz ähnliches bei einem unschuldigen unverdorbenen Landmädchen.

»Er schreitet vorüber und weiß es nicht,
Wie fesselnd sein herrlicher Anblick.« Die Verse stammen wohl aus einem längeren Gedicht Ulrichs’, der eindeutig eine Neigung zu Soldaten hatte.

Das alles aber verschmilzt in meinen Augen zum Urbilde jugendlicher Männlichkeit.

§. 137. Mit diesen anziehenden Vorzügen kann der Soldat außerdem, trotz seines geringen Standes, vereinigen die schönsten Eigenschaften männlichen Characters, der Treue und eines unverdorbenen Herzens.

Auch Antinous war geringen Standes, wahrscheinlich ein Hirtensohn, und von dem vorzüglichsten Character. Er, der Geliebte, opferte sein Leben für seinen Liebenden und ist dadurch, wie er es verdient hat, unsterblich geworden.

§. 138. Geistiges Gleichstehen und Harmonie in den Ansichten oder im Denken ist für Erweckung geschlechtlicher Liebe naturgemäß eher Hinderniß als Beförderung. Extreme sind ja die Erzeuger der geschlechtlichen Liebe. Höre man doch endlich einmal auf, Geschlechtsliebe zu verwechseln mit Freundschaft. Schon Arthur Schopenhauer geißelt mit Recht den »sehr naiven« Standpunct jener, welche in der Liebe geistige Harmonie erblicken. (A. a. O. S. 620. fgde.) Die Liebe erzeugen eher geistige Gegensätze, als geistige Harmonien.

§. 139. Dies gilt m. Erm. jedoch nur für Naturen, die – aus der langen Linie der Abstufungen zwischen männlichem und weiblichem Gemüth – auf den äußeren Enden stehen, also für Ue von wahrhaft weiblichem Gemüth. Je weiblicher des Us Gemüth, ein desto männlicherer D ist erforderlich, um in ihm Liebe zu erregen. Ein mehr männlicher U wird »Jünglinge« lieben, vielleicht sogar solche, welche geistig ein wenig mit ihm harmoniren, so daß geringere geistige Differenz unter ihnen vorhanden ist: aber auch vielleicht kühlere Liebe. Ein mehr weiblicher U dagegen wird die größeren Extreme lieben: echte »Burschen« und fixe kernige Soldaten. So will es das Gesetz der Natur.

Die Liebe in Extremen allein ist eine feurige, eine heftige, eine hochpoetische, die Liebe in Harmonien ist eine prosaische. Soldatenliebe aber ist eine Liebe in Extremen.

§. 140. Mit dem Griechischen Plato zwar stehe ich hier direct im Widerspruch. Er spricht verächtlich von »Matrosenliebe.« Aber Plato ist auch so einseitig, nur die mit dem Philosophiren verbundene urn. Liebe zu billigen, nur die pädagogische. Mit Matrosen läßt sich freilich nicht wohl philosophiren und pädagogisiren. Ferner ist ihm der Satz von den Extremen unbekannt. Er gefällt sich in dem Irrthum: das gleiche ziehe geschlechtlich an. So sagt er (Gastmahl Cap. 16):

»Sie finden Vergnügen daran, neben Männern zu lagern und sie zu umschlingen, weil sie selber von Natur die männlichsten sind. Sie thun es in Folge männlicher Begabung. An das ihnen selber ähnliche geben sie sich hin.« Ebenso scheint es mir mehr als einfältig von Plato, wenn er lehrt: »man solle mehr die Seele des Geliebten, als dessen Körper, lieben». Wir werden ja gar nicht gefragt, was wir lieben wollen: ob Seele ob Körper? In Lucians ἔςωτεϛ sagt Charicles, der Gegner urn. Liebe, zu dieser hochmoralischen Lehre mit vollem Recht (Cap. 23):
»Eine Liebe zur Seele behaupten diese Socratiker. Des Körpers schöne Gestalt zu lieben sich schämend, nennen sie sich »Liebhaber der Tugend«: wobei mir stets das Lachen kommt. Warum, verehrungswürdige, liebt ihr denn niemals tugendhafte Greise? warum nie etwas andres, als blühende Jünglinge?«

Dagegen war nicht nur dein von mir erwähnten U (Incl. §. 40) eines Soldaten Geplauder von Uniformknöpfen und Säbelputzen Genuß: ganz ebenso war auch den Ohren unsres Deutschen Platen das Geplauder eines Römischen Burschen niedren Standes wohlthuende Melodie. Und doch mochte es wohl nicht viel höhere Gegenstände betreffen, als das jenes Soldaten. Einen ganz gewöhnlichen Burschen, der ihn in Rom umhergeführt hatte, »Kirch und Palast« ihm zu zeigen, besingt er tu diesen Worten:

»Zwar du bist
Dürftigen Stands.
Doch dein Gespräch,
O wie sehr
Zieh ich es vor
Dem Stutzervolk.
Weiche melodische Zauberformeln
Lispelst du Meinem Ohr.» 2. Strophe der Ode »Warm und hell dämmert in Rom die Winternacht« von A. von Platen (August von Platen, Werke; Band 1: Lyrik, hg. von J. Link [1982] S. 459; die letzte Zeile heißt dort: Lispelt dein Römermund). Lucianus: siehe zu II. Inclusa S. 27.

§. 141. Die Liebe ist ein wilder Pegasus in der menschlichen Gesellschaft, der sich nie durch Zähmung wird Beugen lassen unter das enge Joch ihrer Formen. Es ist ein eigen Ding, das Herz:

Schranken verachtet es,
In die Wildniß schweift es,
Vom Besten will es haben!

Alle Theorien Plato's und der neueren, es zu zähmen, sind zwar gutgemeint, aber haltloser als Kartenhäuser. Es sträubt sich gegen jedes Joch. Alle Schranken überspringt es, die die Gesellschaft aufgerichtet hat, und wird sie ewig überspringen. So will es einmal die Natur.

Die Gesellschaft sollte endlich erkennen: daß Formen, Etiquette und Schranken, die sie für den geselligen Umgang schuf, zwar einen Sinn haben und eine wohlbegründete Berechtigung, aber nur für nichterotische Verhältnisse; daß die Liebe dagegen, die dion., wie die der Weiber und die urn., eine vollständige Ausnahmstellung verlange. Die Natur ist mächtiger, als alle socialen Formen, und in diesem Stück, wie mir scheint, auch berechtigter. Das absolut unmögliche sollte man von der Liebe doch nicht länger fordern. Was sind ihr Standesunterschiede? was Unterschiede in der Stufe der Bildung? was sind in ihren Augen Abweichungen von der Etiquette?

»Quid non amor improbus audet?« Ovid: Fasti 2, 331: Was wagt denn nicht die zügelverachtende Liebe?

sagt der D Ovid. (Fastorum II.) Improbus ist hier eben fessellos, zügelverachtend, was sich über alle Ordnung hinwegsetzt.

»Quis enim modus adsit amori!« Virgil, Ekloge 2, 68: Wie gäb es auch Maß in der Liebe?

sagt der U Virgil in seiner berühmten Ecloge »Alexis« (die ich in »Nemus sacrum« mittheilen werde.)

So spricht Hafis:

»Ohne Maß, wie Gott,
Ohne Schranken ist, wie Gott, die Liebe.« Hafis. Neue Sammlung. S. 40.

Und ferner sagt er zu einem nicht liebenden:

»In gewohnter Schranke bleibst du stehn;
Wie ein Leu aus seinem Gitter
In die Wildniß schweift Hafis.« Hafis. (Eine Sammlung etc. S. 101. »Hafis« sprich mit dem Ton auf der 2ten Silbe.

§. 142. Selbst Plato sagt, ohne es zu mißbilligen:

»Des Lieblings halber thut er gar wunderbare Dinge. Er fällt ihm zu Füßen und bittet ihn und beschwört ihn und schwört ihm Eide und liegt vor seiner Thür und thut für ihn Dienste, die man sonst durch Sclaven verrichten läßt, ja wie kein Sclav sie verrichten würde, und deren er in andren Stücken sich selber schämen würde.« (Gastmahl Cap. 10.)

Im Phädrus sagt er (Cap. 31):

»Fürchtete er nicht, in den Ruf der Raserei zu kommen, so würde er dem Liebling sogar opfern wie einem Gott.«

§. 143. Wie Nero (mit seinem Geliebten) im versammelten Senat erschien und dabei mit einem Brautkleide angethan war, habe ich schon oben geschildert.

§. 144. Auch Hadrian kehrte sich wenig daran, daß in Rom die Aristocratie die Achsel über ihn zuckte. So sehr nämlich durchbrach er alle Schranken der Etiquette, daß er, der geistvolle Weltmann und zugleich hochthronende Herrscher des gewaltigen Weltreichs, einen Hirtensohn in Liebesgedichten besang, seinen Tod mit Thränen beweinte, ihm Tempel am Nil und auf seiner Villa zu Tibur Marmorbilder errichtete.

§. 145.  Commodus, als er im Triumphzuge in Rom einzog, hatte im kaiserlichen Triumphwagen, den 4 schneeweiße Rosse zogen, den Anteros, seinen Geliebten, einen sehr schönen jungen Mann, aber ganz geringer Herkunft, neben sich, und sonst niemanden. Beide waren sie mit Lorbeer bekränzt.

§. 146.  Antoninus. Der Mutter seines Geliebten, des Hierocles, einer Frau sehr geringen Standes (nach Dio Cassius sogar noch Sclavin), die in der Provinz Carien wohnte, sandte er eine Ehrengarde von Soldaten, und ließ sie mit vielen Ehren nach Rom führen. Hier ertheilte er ihr, seiner »Schwiegermutter«, den höchsten Rang unter den Rangclassen nächst der Kaiserin Mutter: den Rang der consularischen Damen. (Dio Cassius 79. 15.) Mein Gott, wie werden da die consularischen Damen die Nase gerümpft haben!

§. 147. Aehnlich sagt Hafis: Neue Sammlung S. 148.

»Die Leute rufen:
»Ein rasender entsprang der Haft
O Gott, es ist mein armes Herz,
Das Liebe treibt und jagt.«

Und ferner: Neue Sammlung S. 23.

»Wär ich der Welt-Beherrscher: dennoch wär'
Mein liebster Sitz die Schwelle deiner Thür.«

Und abermals: Eine Sammlung S. 137.

»Den Huris in der Höhe raubt Hafis
Ihr Lockenhaar,
Um seines Lieblings staubiges Gemach
Damit zu kehren.«

Zu welch höchst etiquettwidrigem Knechtsdienst erbietet sich hier doch der berühmte Mann, den Fürsten und Könige ehrten!

§. 148. Hiermit wollte ich nur constatiren, mit welcher Entschiedenheit die Liebe, insonderheit auch die urn., von der socialen Regel abweiche und daher eine Ausnahme-Stellung verlange: wenn es auch keineswegs meine Absicht sein kann, die genannten Abweichungen sämmtlich zu rechtfertigen.

Von den mitgetheilten Abweichungen deucht mir zwar die kühnste u. zugleich die poetisch-schönste zu sein die des Commodus. Da sehn wir in Wahrheit den Leu, wie er hoch und frei über jegliches Gitter hinausschweift. Sittlich-social indeß kann ich nur die Linie billigen, welche sich Hadrian zur Richtschnur zog (wie Spartian ausdrücklich versichert): »seine Privatleidenschaften niemals mit den Angelegenheiten des Staates zu vermengen.« Wenn der Pegasus auch nicht wie ein Kutschpferd gezügelt werden soll, so soll er doch als Pegasus gezügelt werden. Einen Verzicht auf die Liebe haben die Angel. des Staates von niemandem zu fordern, und in eines Kaisers Tiburtinischer Villa kann ich mir keinen edlern Schmuck denken, als einen Antinous: in den Senat aber oder auf den Triumphwagen gehört der Geliebte nicht. Erst wenn das sociale Problem gelös't sein wird, dem urn. Liebesbündniß das Siegel socialer Sanction aufzudrücken: erst dann gehört der Geliebte auch öffentlich im socialen Auftreten an die Seite des Liebenden, um an allen seinen Ehren zur vollen Hälfte theilzunehmen, wie die Königin an jenen des Königs. Dieses Problem hatte bei den Römern, wie bei den Cretensern, Ansätze zu einer Lösung zwar gemacht (oben §. 43. 47), eine wirkliche Lösung aber nicht gefunden. Heute stehen wir sehr fern von einer solchen.

§. 149. Neben diesen Zugeständnissen, die ich bereitwilligst einräume, halte ich um so entschiedener fest an dem Recht der urn. Liebe auf eine sociale Ausnahmestellung innerhalb der gebührenden Zügelung.

Der privilegirten Liebe der De wird eine solche bereits willig eingeräumt.

Im Mondenschein singt ein D zur Guitarre in irgend einem Hofe unter dem Fenster seines rothwangigen Liebchens, mag sie nun heißen »schöne Müllerin« oder »der Wirthin Töchterlein«, oder mag sie ihres Zeichens eine Putzmacherin sein oder vielleicht gar eine ehrsame Nähemamsell; und mag auch sein Fuß in der Dunkelheit stolpern über Tonnenbänder und Topfscherben, ja sollte er auch mit bellenden oder gar beißenden Kettenhunden in Conflict gerathen. Offen darf er davon reden, ohne Gefahr, angespieen oder in's Irrenhaus gesteckt zu werden. Scherzendem Spott zwar wird er nicht entgehen: ausgestoßen zu werden aber aus der Gesellschaft, hat er nicht zu befürchten. Seine Stellung innerhalb derselben bleibt vollkommen ungefährdet. Sie bleibt unantastbar: und würde man ihn selbst ertappen beim Hineinklettern in Liebchens Fenster.

§. 150. Der U nun, der einem schönen Soldaten beim Glase Wein das Streichholz streicht zum Anzünden der Cigarre, der ihm seine Photographie schenkt, die seinige dagegen über seinem Sopha aufhängt und mit Rosen sie bekränzt, der in Liebesliedern ihn besingt und von seinem blonden Haar eine Locke auf dem Busen trägt: er handelt ja doch um keines Haares Breite etiquettwidriger, als der D, der die Mutter frägt: »Frau Wirthin, hat sie gut Bier und Wein?« der Tochter aber Blumensträußchen schenkt und Ständchen bringt. Und wir sollten nicht das gleiche Recht haben?

Vom Apollo, der in den Lorbeerhainen des Eurotas den Hyacinthus liebte, erzählt Ovid (metam X. 171.):

»Immemor ipsi sui non retia ferre recusat,
Non tenuisse canes.«

(»Seiner göttlichen Erhabenheit war er so gänzlich vergessend, daß er sich nicht weigerte, auf der Jagd dem Hyacinthus die Jagdnetze nachzutragen und ihm die Hunde zu halten.«)

Wenn der urn. Gott dem schönen Erdensohn die Jagdhunde hielt, so dürfen wir irdischen Ue doch wirklich wohl einem schönen Soldaten die Cigarre anzünden!

§. 151. Daß aber selbst urnischer Liebe die ihr gebührende Ausnahmstellung einst wirklich willig eingeräumt worden sei, bezeugt uns Plato. (Gastm. a. a. O.) Das geschilderte wunderbare Benehmen des Liebenden werde von der öffentlichen Meinung nicht nur vollkommen geduldet: er werde von ihr entschieden dazu sogar aufgemuntert. Dies geschehe aber nur, weil jenes Benehmen der Liebe entspringe. In allen anderen Verhältnissen werde dasselbe auf's höchste gemißbilligt werden.

§. 152. Ihr De unserer Zeit, die ihr heute die Gesellschaft construirt: was zögert ihr, der Liebe ihre Ausnahmestellung innerhalb der Gesellschaft, soweit ihr dieselbe gebührt, voll und ganz zu gewähren? d. i. sie voll und ganz zu gewähren nicht nur eurer eigenen dion. Liebe, sondern auch der der Weiber und der Ue. Schämen solltet ihr euch, eure eigene bisher zu einer privilegirten gemacht zu haben.

Den Conflict der Liebe, insonderheit auch den der weiblichen und der urn., mit der Etiquette: wohlan, lös't ihn dadurch, daß ihr endlich den unberechtigten Zwang aufgebt, mit dem ihr bisher versucht habt, ihre radicale Ausnahmenatur unter das Joch der socialen Regel zu zwängen.

Büßt denn, frage ich, die öffentliche Sittlichkeit das mindeste ein, wenn ihr euch zu der Toleranz bequemt, zu dulden, daß ein U von Stand und von Bildung mit einem jungen schönen Soldaten in einfachem Gespräch über die Straße geht oder im Weinhause mit ihm eine Flasche leert oder ihm das Streichholz streicht?

Sobald ihr uns daher aufnehmt »unter die anerkannten Religionsgesellschaften« – man verzeihe den Ausdruck –, müßt ihr uns aufnehmen und anerkennen mitsammt der wilden Pegasusnatur unserer Liebe, welche, indem sie Schamgefühl und Sittlichkeit hochhält, Stand, Bildung und Etiquette verachtet.

VII.
Hafis über Mitleid gegen Liebende und über socialen Zwang in der Liebe.

§. 153. Ich kann es nicht unterlassen, hier 3 kleine Gedichtlein von Hafis einzuschalten, deren Inhalt mit einzelnen meiner dargelegten Gedanken fast ganz genau zusammentrifft, und welche zugleich ihrer Schönheit wegen geeignet sind, gleichsam den Uebergang zu bilden zu dem folgenden Heft: zu »Nemus sacrum«. Hafis lebte im 14. Jahrhundert in Schiras in Persien. Scherr (Allg. Gesch. der Literatur 1851 S. 48) nennt ihn »den lautersten Genius, den im Orient je der Kuß der Muse geweckt hat.« Göthe sagt: »Hafis, mit dir, mit dir allein will ich wetteifern!« (Hafis. Eine Sammlung etc. S. 153.)

Dabei muß ich wahrhaft bedauern, zur Zeit weder den ganzen »Divan« des Hafis zu kennen, noch, was ich daraus kenne, in wörtlich genauer Uebersetzung vor mir zu haben. Vor mir habe ich nämlich nur Auswahl und freie Uebersetzung, beides aus dion. Händen.

Hafis scheint urn. und dion. Liebeslieder gedichtet zu haben, also – vielleicht – Uranodioning gewesen zu sein. Die wenigen urn., die die De mittheilen, sind weit schöner, als die meisten der dion. Leider kann ich nun nicht controlliren, ob manche von jenen, welche sie in dionischer Gestalt liefern, im Urtext nicht vielleicht urn. sind. Dies ist namentlich der Fall bei diesen 3 Gedichten, die ich der Daumerschen Auswahl entnehme. Hafis. Eine Sammlung Persischer Gedichte. Nebst Zugaben. Von Daumer. 1846. – Hafis. Neue Sammlung Von Daumer. 1852. In denselben wird der angeredete Theil nur genannt: »o Kind«, »o Lieb« und »schöne Rose«. Das sieht mir doch gerade so aus, als habe der dion. Uebersetzer in gutgemeinter Fälschung Ausdrücke gewählt, geeignet, den »süßen Knaben« u. s. w. zu verbergen, als habe ihm aber gleichwohl die Kühnheit gefehlt, geradezu »süße Maid« u. s. w. zu substituiren. Ich vermuthe also im Urtext urn. Gestalt dieser 3 Gedichte, und gestatte mir daher, den »Knaben« wiederherzustellen.

Von den beiden ersten Gedichten scheint mir jedes mit dem dritten in innerem Zusammenhang zu stehen.

§. 154.

I.

 

»O weigre nicht mir armem kleines Labsal!
Denn wisse, daß ein Kuß, dem Minne-Bettler,
Der sterben will in seiner Sehnsucht Weh,
Mit lindem Mund gespendet, höher ist,
Als jede andre Gabe der Barmherzigkeit,
Der Dürftigkeit gereicht.«

(Hafis. (Eine Sammlung x. S. 295.)

 

Auch ich bin dieser Meinung. Die Verweigerung des Kusses halte ich in diesem Falle – vom allgemein menschlichen, wie vom Christlichen Standpunct – geradezu für eine Versündigung. (Siehe oben.)

II.

(Hafis. Neue Sammlung S. 129.)

»Zarteres, als dein Wangenroth,
Süßer Knabe, giebt es nicht.
Weicheres, als ein Ruhepfühl
Hier im Moose, giebt es nicht.

Glühende Küsse, scheust du sie?
Wag es, ohne Zwang zu sein.
Süßeres, als mit dir, o Lieb,
Ein Gekose, giebt es nicht.«

III.

(A. a. O. S. 128.)

» Zusammengeschnürt sind, wie Knospen,
Mit Fesseln, doch nicht der Natur,
Die Herzen durch harter Sitte
Unmenschliche Dictatur.

Dein Herz, mein Knabe, o öffne
Der Sonne es ohne Scheu;
Laß blühn es in Rosenschönheit
Auf düfteberauschter Flur.

Und ob sie dich auch belegen
Mit ihrem obscuren Fluch:
Dich segnen am Himmel die Sterne,
Die ewigen im Azur.«

§. 155. »Zusammengeschnürt«, sagt Hafis, »werden die Menschenherzen in Rücksicht auf Liebe durch die unmenschliche Diktatur der bestehenden verkehrten sittlichen Weltordnung. Die Menschenherzen: also sowohl das liebeerfüllte des Liebenden, als das von bloßer Mildherzigkeit erfüllte des Geliebten.

»Du, mein Geliebter, sprenge kühn den Zwang dieser unmenschlichen Sitte. »Wag es, ohne Zwang zu sein.« Wie eine Rosenknospe die Fesseln abwirft und zu Duft und Schönheit erblüht: so wirf auch du die Fesseln ab und laß dein Herz frei und schön gegen mich aufblühn.

»Und ob auch der große Haufe, der die unmenschliche Sitte handhabt, dich mit seiner thörichten Verachtung belegt: für deine Mildherzigkeit gegen mich, für dein Erbarmen, werden dich segnen die ewigen Sterne. D. i. Segen, nicht Verachtung, verdienst du. Nicht darauf aber was dir zu Theil wird kommt es an, sondern auf das, was du verdienst.«

VIII.
Hoffnung auf Umwandlung eures Fanatismus in Anerkennung.

»Es muß das Herz an etwas hangen.«

§. 156. Graut euch vor des Us so tief empfundener Liebessehnsucht zu seinem Liebling?

Allerdings lese ich, wie selbst Meier, der so unbefangene D, (a. a. O. S. 155) sich äußert:

»Auch bei der reineren und edleren Knabenliebe der Griechen« (darunter versteht er die versagende Platonische) »äußerte sich die Freude über die Nähe des Geliebten, über jede leibliche Berührung mit ihm, und wieder der Schmerz der Entbehrung, ganz in derselben Art, wie wir es bei der Geschlechtsliebe kennen.« (Urnische Liebe will er also als Geschlechtsliebe nicht anerkennen.) »Auch mit der reinsten war oft eine eben solche Gluth der Empfindung verbunden, als bei uns mit der Liebe der beiden Geschlechter zu einander.« [Ein drittes Geschlecht kennt er ja nicht. Uebrigens wird dies Anerkenntniß eines D sehr dazu beitragen, der Ueberzeugung Eingang zu verschaffen, daß der U wahre Liebe empfinde.] »Die Art aber, wie sich die Empfindung des Liebenden aussprach, hat, wenn man bedenkt, daß ihr Gegenstand ein Mann ist, für uns etwas sehr befremdendes und ist geeignet, einen peinlichen, ja widerlichen Eindruck auf uns zu machen.«

Also für De »peinlich« und »widerlich«.

§. 157. Allein ihm ist es ja entgangen, daß der liebende U dem geliebten männlichen D als weiblichgeartetes Wesen gegenübersteht; und seinen Widerwillen gegen um Liebe fühlt er nur auf Grund seines Irrthums: der liebende U und sein Liebesbursch seien Personen Eines Geschlechts. Denn so fährt er fort (S. 156):

»Wir werden nicht umhin können, einzuräumen, »Einzuräumen«? In der That ein eigenthümliches Einräumen! »Ich räume dir ein, daß du mir widerlich bist.« daß selbst diese unschuldigen Aeußerungen der Liebe« (die Thür des Lieblings bekränzen etc.) »eine zärtliche Tändelei(!) »verrathen, die uns im Umgänge von Personen Eines Geschlechts höchst widerlich ist.«

Mit dem bereits geführten Nachweis, daß D und U nicht Personen Eines Geschlechts sind, wird daher auch dieser Widerwille seinem Kerne nach beseitigt sein.

§. 158. Ja, fast glaube ich auf Sympathie von eurer Seite rechnen zu können für unsere Liebes-Empfindung, wenigstens auf einen Funken von Sympathie, wenn ich mich erinnere, welche ganz richtigen Aussprüche ihr selber thut. So sagt ihr sehr wahr:

» Es muß das Herz an etwas hangen

Hoffentlich sprecht ihr nämlich diese Worte wohlthuender Gerechtigkeit ohne arglistige Mentalreservation.

§. 159. Denn da unser Herz an Weibern, als an gleichen Polen, nicht hangen kann, vielmehr auch uns, dem allgemeinen Naturgesetze gemäß, ungleiche Pole anziehen, d. i. De: so werdet ihr uns euren Beifall nicht versagen können, wenn auch unser Herz an etwas hangt:

nämlich an jungen Burschen.

Euren vollen und aufrichtigen Beifall werdet ihr mir nicht versagen können, wenn auch ich, wie jenes Mädchen in einem Krainerischen Volksliede Hafis. Eine Sammlung Persischer Gedichte, nebst Zugaben aus verschiedenen andern Völkern. Von Daumer. 1846. Seite 225., frage:

»Wozu, wozu
Sollte mir sein mein Herz,
Das volle, heiße mein,
Sollt nicht mit ihm geliebt sein mein Geliebter?

»Wozu
Sollte mir sein mein Auge,
Sollt nicht mit ihm beäugelt sein mein Liebster?

»Wozu
Sollte mir sein meine Hand,
Sollt nicht mit ihr gestreichelt sein mein Liebster?

»Wozu
Sollte mir sein mein Arm,
Sollt nicht mit ihm umschlungen sein mein Liebster?

»Wozu, wozu
Sollte mir sein mein Mund,
Sollt nicht mit ihm geküßt sein mein Geliebter?«

Mit Callicratides aber, dem Vertheidiger urnischer Liebe in Lucians - ἔςωτεϛ (Cap. 48) frage ich ihre Gegner:

»Weshalb schmähet ihr, was durch göttliche Gesetze festgestellt ist, und was durch ununterbrochene Folge auf uns gekommen ist? Empfangen haben wir es: und schützen es als ein Heiligthum

§. 160. Jedenfalls wird es, ich rechne darauf, künftig nicht mehr eure vernunftlos-blinde Antipathie sein, was euer Verhalten gegen urn. Liebe leiten wird, sondern euer prüfender und sehender Verstand. Ihr werdet einsehn, daß es vor allem andren euch Pflicht der Gerechtigkeit sei, eurer thierisch-instinctuellen Antipathie vor urn. Liebe Zaum u. Zügel anzulegen. Am Lichte eures Verstandes aber, des Irrthum-Aufklärers, wird diese Antipathie ohnehin dahinschmelzen, wie der Schnee an den Strahlen der Sonne. Eure ganze so fanatische Antipathie entkeimte ja eurem naturwiss. Irrthum von der scheinbaren Naturwidrigkeit unserer Liebe.

Damit werden aber die bisherigen mörderischen Consequenzen jener blinden Antipathie hinfort beseitigt sein. Wir werden aufathmen. Das Wunder der Liebe wird euch heilig sein auch in urnischen Herzen.

So errichte ich denn der Hoffnung einen Altar.

*

Geschrieben zu Aurich und bei Hannover im März und Sommer 1864.

Numa Numantius.

Antinous.

I.
Die Nilfahrt

Das ist des Kaisers Schiff! die bewimpelte Antinoēa
In Alexandria's Port, die vor der jauchzenden Menge
Bei Aurora's Leuchten die Ruder hebt und die Anker
Lichtet, um unter dem Hauch des segelschwellenden Nordwinds
Südlich zu lenken die Fahrt zu den Felscataracten des Niles.

Siehst du den Kaiser dort auf der purpurschimmernden Prora?
Hoheit eint sich mit Glück in den edlen Römischen Zügen.
Denn Antinous ist mit ihm zu Schiffe gestiegen!
Der an das Gitter sich lehnt, der ist's, und sieh! in die Lüfte
Jetzt den Wurfspieß schleudert hinauf zu dem jagenden Falken.
Steht er nicht da, wie erzeugt aus dem Blut der Olympischen Götter?

Mit dem lockigen Haar und der blühenden Fülle der Glieder,
Mit dem leuchtenden Aug voll himmlisch blickender Unschuld,
Mit den jungen Rosen auf thauig schwellenden Wangen?
Eros thront auf ihnen, entsendend zündende Blitze
In die Herzen der Weiber und aller Uranussöhne! Eros thront ...: die beiden Zeilen werden in VII. Memnon, Teil 1, S. VII ›berichtigt‹.

An Antinous Augen da schlürft er selige Stunden,
An Antinous Lippen vergißt er den Tod und den Hades.
Mit ihm zöge er wohl zu den glücklichen Inseln des Weltmeers
Mit ihm möchte er wohnen im Schnee Germanischen Nordens
Mit ihm möchte er weilen bei Garamanten und Indern,
Mit ihm möchte er fahren bis zu den Enden der Erde. Glücklicher Kaiser!

Drum auch flehte er oft im Gebet zu den waltenden Göttern,
Daß kein böses Geschick ihm raube den herrlichen Knaben.
Ach, du kanntest sie nicht, der himmlischen finstre Beschlüsse;
Ach, du wußtest es nicht, was an des Pontus Gestaden
Drei heimtückische Nymphen gar arges wider dich spannen!

Und der furchende Kiel der schöngebognen Triremis,
Streng im Tacte geführt von den nervigen Armen der Rudrer,
Wie ein rudernder Schwan durchschnitt er die spiegelnden Fluthen.

II.
Das Geschick.

Aber es wohnt ein Geschick in den Hallen des hohen Olympus,
Unbegreiflich und hehr; und die Götter neiden der Menschen
Irdisches Glück, wenn es streift an des Himmels selige Wonnen.
Deßhalb riefen sie jetzt aus des Orcus düsternden Schluchten
Aus der Erinnyen Zahl hervor die fahle Megära,
Deren schreckliches Haupt von zischenden Nattern umlockt ist:
Auf der tanzenden Fluth des Nilns einen zu suchen
Unter der Jünglinge Zahl an Borden Antinoea's,
Der wie ein junger Gott sei gestaltet an Wuchs und an Antlitz,
Ihm den klaren Geist mit den Nebeln der Nacht zu verfinstern.

III.
Wolken und Licht.

Und sie kehrten zurück von den Wasserfällen des Niles.–
Aber Antinous saß, das schöne Auge voll Schwermuth,
An dem vergoldeten Rand des bewimpelten Schiffes und schaute
Schweigend hinab in die Fluth der crystallgrün dämmernden Tiefe.
Und die Fülle der Locken umspielte kosend der Zephyr.

Auf dem Verdeck in dem Zelt, im Schatten Indischen Purpurs,
Saß Hadrian und sann. Er härmte sich über den Knaben.
Und es treibt ihn hinaus. Er tritt hervor aus dem Zelte
Rasch in's freie und schaut, den wilden Gott in dem Busen,
Dort ihn sitzen am Bord an der Prora starrenden Auges.
Und ihn hält es nicht mehr.

»Antinous, o du Geliebter!
' Ω παῖ παρϑ ένιον βλέπων,
Δίζημαί δε, σὐ δὃὐ κλύεις,
Οὐκ εἰδὼ, ὁτι τῆς ἐμῆς
Ψηχῆς ἡνιοχεύεις!« »Knabe, der du voll Unschuld blickst,
Ich rufe dich und du hörst mich nicht;
Weißt nicht, wie du gewaltiglich
Meine Seele beherrschest!«
Worte Anacreons an Bathylius. (Ulrichs hat seine Übersetzung in VII. Memnon, Teil 1, S. 14 verdeutlicht.)

Der erbebt in dem Traum und streicht sich die Locken langsam
Von der Stirne zurück, als könnt' er nimmer erwachen.
Doch als den er erschaut, der ihn liebt, wie keiner auf Erden,
Wie kein Weib auf der Welt und wie nicht Vater und Mutter:
Da erfreut sich sein Herz und er blickt ihm lächelnd entgegen.
Und Hadrian durchbebten die heiligen Schauer des Eros. – – –
Nur einen Augenblick! Dann kam die Schwermuth gezogen
Und umdüsterte wieder des Lieblings Mienen und Antlitz.

IV.
Die Nymphen.

Mit den Wassern des Xynthos, der von den Pontischen Bergen
Zwischen duftenden Auen und Hainen plätschernd herabfließt,
Schwammen im Tanz mit den Wellen in nimmeralternder Jugend
Schneeweißarmige Nymphen, die schilfumkränzte Rychea,
Cärula und Aquosa, hinab zu den salzigen Wassern
Und der wogenden Fluth der himmelblauen Propontis.
Denn es hatten im Hain die Abendwinde geflüstert:
Mit dem schönsten der Menschen, Bithyniens Fluren entsprossen.
Der erst siebzehn Lenze geschaut, durchwandre der Herrscher
Römischer Erde die Lande der Welt und die nassen Gefilde.
Und sie gedachten frohlockend, vor tausend Jahren wie einst sie
Listig dem Hercules raubten den goldenlockigen Hylas.
Und sie begehrten auf's neu, eines Jünglings Leib zu umschlingen.
Und durchschwammen die Furth der Hellespontischen Brandung
Und das Aegäische Meer. Am siebenarmigen Delta
Rasteten sie einen Tag, matt von der ermüdenden Meerfahrt,
Schwammen den Nil dann hinauf der Antinoea entgegen.

V.
Der Raub.

Und Antinous saß und schaute wieder vom Borde
Schwermuthvoll in die Fluth und streckt ihr die Arme entgegen.
Schaute lange hinab. Da sah er die Wogen sich regen.
Tanzend hinaus und hinab, als ob sich's drinnen bewege.
Siehe da tauchten hervor drei schneeige Blüthen der Lotus,
Eine mit goldenem Kelch, hellblau die andre, die dritte
Leuchtete purpurroth. Das Schiff fuhr gleitend vorüber
An den Palmengestaden und tönenden Memnonssäulen:
Aber an den drei Blüthen entglitt nicht Antinoea,
Sondern sie zogen mit ihr und umgaukelten neckisch die Fahrt ihr.

Und Antinous schaute das seltsame Spiel und gedachte
Eine der Blüthen zu rauben und schritt hinab zu dem Wasser.
Denn zur linken des Schiffs gezimmert lief eine Treppe
Oben vom Gitter hinab bis hin zum Spiegel des Flusses.
Beugte nieder die Hand, den schwankenden Stiel zu erhaschen.

Doch da er streifte die Fluth, da plötzlich hoben sich Hände,
Sechs aus dem Wasser zugleich, und zogen ihn in die Tiefe,
Der er die Arme so oft entgegengestreckt von dem Borde.

Und die Nymphen sie hörten: »Antinous!«; jammernde Rufe,
Daß ein Stein sich hätte erbarmt wohl; aber die Nymphen
Waren härter als Stein, und gaben den Raub nicht zurücke.

VI.
Das Sternenbild.

Als des jammernden Herz unsägliches Wehe verzehrte,
Schufen, jetzt sich erbarmend, an Uranos blauen Gefilden,
Neben dem weißen Strom, der durch die Welten sich windet.
Ihm zum Trost ein Gestirn, » Antinous« heißt es, die Götter.
Daß, wenn Gemmen und Tempel zerstört und Bilder von Marmor,
Die die trauernde Liebe dem Liebling klagend errichtet.
Noch sein strahlendes Bild von des Himmels Höhen herabschaut:
Unsrem Geschlecht eine Sprache, die, einstige Wonne verkündend,
Sehnsucht lindert und weckt, uranischer Liebe ein Zeugniß,
Bis die Erde vergeht und bis die Gestirne erbleichen.

*

Achim, 8. December 1863.

Numa Numantius.

Verzeichniß der in Inclusa, Vindicta, Formatrix und Ara spei citirten Schriften und Schriftsteller.

I. Griechische:

Plato.
Xenophon.
Callimachus.
Theocrit.
Phrynichus, Seleucus und Ibycus bei Athenäus.
Lucian.
Allan.
Dio Cassius.
Herodian.
Cedrenus.
Longus (Daphnis und Chloe).
Kaiser Justinian.
Suidas.

II. Lateinische:

Cicero.
Virgil.
Horaz.
Ovid.
Celsus.
Martial.
Petronius.
Spartian.
Lampridius.
Aurelius Victor.
Prudentius.
Salvian.
Paulus der Jurist.
Constantin d. gr.
Theodostus d. gr.

III. Biblische:

I. regum.
ep. ad Romanos.
I. Petri,
ep. Judae.

IV. Persische:

Sadi (im 13. Jahrh.).
Hafis (im 14. Jahrh.).

V. Lateinische der neuern Zeit:

Lobkowitz: theologia moralis; 1645.
de Lang: reverendi ... Morelli S. J. amores; 1815. (Vgl. unten.)

VI. Beccaria.

VII. Deutsche:

Aeltere Acten des Amts Meinersen.
Kreitmayr, Commentar zum Cod. Max.
Heinse.
M. H. E. Meier in Ersch u. Gruber.
Platen-Hallermund.
Schiller.
Schopenhauer.
Von Meyer, Bibelcommentar.
Scheffel, Ekkehard.
Enthüllungen über etc. der kath. Geistlichkeit. (Reverendi ... Morelli S. J. amores.) 1862.
Von Warnstedt, über Schleswig-Holstein. 1864.
Karl Beck; Jadwiga. 1864.
Deutsche medicinische Schriften.
Der Mensch und sein Geschlecht.
Casper in Caspers Vierteljahrsschrift.
Tourtual in Caspers Vierteljahrsschrift.
Caspers Wochenschrift.
Willigk in der Prager Vierteljahrsschrift.
Fränkel in der Preuß. medic. Zeitg.
Von Krafft-Ebing in Friedreichs Blättern für gerichtl. Medicin.

VIII. Französische:

Ambroise Tardieu, die Vergehen gegen die Sittlichkeit. Deutsch von Theile. 1860.
Henry Cohen, médailles impériales.

IX.

Erlaß des Sultans von Marocco v. 5. Febr. 1864.

*

Nachtrag

zu Inclusa § 5. und zu Formatrix § 93. § 100. b.

Ich zweifle jetzt keinen Augenblick mehr daran, daß meine Vermuthung in »Andrenfalls« das richtige traf, d. i. daß das zu männlicher Gestaltung entwickelte körperliche Zwitterorgan (Fx. § 88. a.) – und nicht das Gehirn – beim U so gut wie beim D der Sitz der Geschlechtsliebe sei: also nicht nur beim D der Sitz der männlichen, sondern auch wirklich beim U der der weiblichen. Ausnahmlos überall, bei D, U und Weib, ist also das Zwitter- Organ der Sitz des Zwitter- Triebes, d. i. der Geschlechtsliebe: Fx. § 89. § 90. a. Die Existenz des Triebes ist demnach abhängig von der Existenz des Zwitterorgans. Die männliche oder weibliche Richtung des Triebes dagegen ist unabhängig von dem männl. oder weibl. Gepräge des Zwitterorgans.

Nachtrag zu Ara spei, Vorbericht p. Der passive Begriff »Ich liebe dich« ist richtiger gleich: »Ich werde geschlechtlich hingezogen zu dir.« Denn das mich zu dir hinziehende ist nicht »du«, sondern die (Incl. §. 30. erwähnte) in mir wohnende unsichtbare Kraft der Natur.

Den 28. Februar 1865.

Numa Numantius.

Erläuterungen und Hinweise im Text als Fußnoten eingearbeitet. joe_ebc für Projekt Gutenberg-DE


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