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Der Titel bezieht sich auf natura formatrix (S. 40) = schaffende Natur (S. 53): »Der schaffenden Natur ferner gelingt es nicht, alle ihre Geschöpfe regelrecht zu bilden. Das ist der Schlüssel zu dem Räthsel urnischer Liebe«.
Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe.
»Vincula frango.« wie I. Vindex
Von
»Formatrix«
Anthropologische Studien über urnische Liebe.
Vierte Schrift.
Naturwissenschaftlicher Theil B.
Nur für Forscher bestimmt.
Darstellung der geschlechtlichen Natur der Urninge in ihren Einzelheiten. Schlüssel zum Räthsel des Uranismus und der urnischen Varietäten.
»Felix, qui potuit rerum cognoscere causus«
Virgilius, georg. II. 490. Vergil, Georgica 2, 490: Glücklich, wer der Dinge Natur zu erkennen vermochte.
Von
Numa Numantius,
Mitglied des Deutschen Juristentages. Verfasser der zu Göttingen gekrönten academischen Preisschrift »de foro reconventionis« und der zu Berlin des academischen Preises für würdig erkannten Schrift »de pace Westphalica«.
Leipzig,
in Commission bei Heinrich Matthes.
»Non uno contenta valet natura tenore:
»Sed permutatas gaudet habere vices.«
»Mit einer einzigen Regel ist die Natur nicht zufrieden; vielmehr gefällt sie sich darin, vertauschte Zustände zu haben.«
Petronius fragm. 32. siehe zu II. Inclusa S. 4.
*
Abkürzungen:
U, Us, Uen = Urning, Urnings, Urningen.
D, Ds, Den = Dioning, Dionings, Dioningen.
urn. = urnisch.
dion. = dionisch.
Usmus = Uranismus.
*
a. Heute, am 20. Dec. 1864, als Formatrix selbst bereits gedruckt war, erhielt ich, im Begriff, den Vorbericht in die Druckerei zu senden, einen Brief mit dem Postzeichen Leipzig. Ein Anonymus, der Vindex und Vindicta gelesen hat, unter dem ich einen Oesterreichischen Officier vermuthe, schreibt mir darin:
»Sie haben kühn die Schranke durchbrochen, sicher mit Hintansetzung gesellschaftlicher Interessen. Solches Wagen hat mich frappirt im höchsten Grade und doppelt mich interessirt, weil ich in vielen Phasen mein eigenes Ich wiederfinde. Ich empfinde theilweise wie Sie. Die Männlichkeit berührt mich mit dem von Ihnen bezeichneten magnetischen Feuer. Deßhalb aber empfinde ich keinesweges Ihren Horror vor weiblicher Schönheit.« [Sie mißverstehen mich. Vor weiblicher Schönheit empfinde ich nicht Horror: nur vor geschlechtlichen Berührungen mit einem weiblichen Körper. Vindex §. 1. Incl. §. 26. Als Anblick ist weibliche Schönheit mir ebenso angenehm, wie ein Kunstwerk aus Marmor oder eine im Morgenthau blitzende Rosenknospe. Sobald ein junges Mädchen vollkommen darauf verzichtet, den Liebeszauber ihrer Blicke und ihres Lächelns auf mich spielen zu lassen, was mir ebenfalls horrorerregend ist, hat ihre Nähe, ja ihr Umgang, durchaus nichts unangenehmes für mich.] »Erfüllt von jener Neigung – mit Schmerz, ja mit Verzweiflung, habe ich sie oft bekämpft –, war ich trotzdem sehr glücklich verheirathet, ach! nur kurze Zeit. Die ewig unvergessene Gattin hat der Himmel mir bald geraubt, mehrere blühende Kinder mir lassend. Außer ihr habe ich freilich nie ein Weib berührt, auch nie Neigung dazu gefühlt. Wohin wollen Sie hienach mich stellen mit dieser, Ihrer Theorie widersprechenden, Doppelnatur?« [Die Antwort geben Ihnen unten die §§. 106. 80. 81. 95. 96. 97. 113,5. und Ara spei §. 133 b. Vorausgesetzt, daß, was Sie für Ihre Gattin fühlten, wahre geschlechtliche Liebe war, stelle ich Sie unter die Uranodioninge.] »Ich tappe im dunklen. Ich liebe männliche Schönheit; Nähe und Umarmung greifen tief in mein Gemüth. Bitte, unterrichten Sie mich. Ich bin ja halb Ihr Leidensgefährte.– Schätzen muß ich Ihren Muth. Schade, daß bisher niemand es wagte, Ihren Fehdehandschuh aufzunehmen, daß Ihr »Nothschrei« in kühner Vereinzelung dasteht!«
b. In Berlin sind im Sept. 1864 sämmtliche vorhandenen Exemplare von Vindex und Inclusa confiscirt und beide Schriften im Polizeiwege für ganz Preußen verboten. Die Zeitungen nannten Vindex eine social- politische Schrift. Scheinen von seinem Inhalt keine Ahnung gehabt zu haben! Seltsam: in Preußen verboten, in Sachsen durch Richterspruch rechtskräftig freigegeben! Gut, daß Deutschland noch nicht Preußisch ist, daß man von Berlin aus in Leipzig den Heften nicht beikommen kann!
c. Vindicta erschien zu Anfang Novbrs 1864. Der Herr Staatsanwalt Hoffmann zu Leipzig erklärte, nach erfolgter gerichtlicher Freigabe von Vindex und Inclusa werde er gegen Vindicta eine Anklage nicht erheben.
d. Die erste Erwähnung meiner Theorie in einer Druckschrift der deutsch-ungarische Autor und Übersetzer Karl Maria Kertbeny (1824-1882), der später auch mit Ulrichs korrespondierte. Vgl. Kennedy, Ulrichs S. 163 ff. finde ich in »Erinnerungen an Charles Sealsfield Karl Anton Postl (1793-1864).« von Kertbeny; Leipzig, Ahn, 1864, S. 74. Seinen von 2 Welten wiederhallenden Ruhm habe dieser geheimnißvolle Mann (Sealsfield) in stiller Kammer einsam geschlürft. Maskirt sei er auch gestorben. Verfasser forscht nun nach den Ursachen dieser Maskirung. »Den Boden unsres Europäischen Lebens«, sagt er, »überziehen die Schlinggewächse alter Vorurtheile, neben sich nichts bestehen lassend, was nicht von gleicher Farbe ist. Doch das gehört in's Gebiet der Entwickelung unserer Begriffe von Sitte und Sittlichkeit und Numa Numantius'scher Thesen,«
e. Advocat Rose zu Celle schreibt mir am 22. Nov. 1864: »Ganz einverstanden bin ich mit Ihnen darin, daß mannmännliche Liebe an sich kein Gegenstand für die Strafgesetzgebung ist.« (Also ganz, wie der Vindicta q. genannte Anwalt.)
f. Dr. med. L. in Aurich, dem ich die Hefte zur Begutachtung vorgelegt, hat im Sept. 1864 erklärt: »das ganze sei ihm räthselhaft. Er könne sich noch gar nicht recht hinein denken.«
g. Ein Italiänisch-Oesterreichischer Fürst- Bischof, welcher nicht genannt zu sein wünscht, der Vindicta gelesen, läßt am 25. Nov. 1864 durch seinen Secretair mir schreiben: Er heische von mir, urn. hiebe als Sünde anzuerkennen. »So lange ...«, (Sie dies nicht thun,) »muß Ihr Bestreben, so gut gemeint es auch sein mag, in die zerrütteten sittlichen Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft mir noch mehr Zerrüttung bringen, in die eiternde Wunde neues Gift gießen, ohne Zweifel auch vielen Seelen den ewigen Untergang verursachen.«
Ein Sieg meiner Ansichten wird m. Erm. keines Us Seele zum ewigen Untergang führen, wohl aber vielleicht die Seele manches Ds zum Abstreifen des Irrthums und zur Erkenntniß der Gerechtigkeit.
Vielen meiner Leser würde ich ohne Zweifel eine Gefälligkeit erweisen, spräche ich hier den Wunsch aus, meine Hefte auf den päpstlichen Index vgl. IX. Argonauticus S. 105: »Was ich lange befürchtete, ist eingetreten. Ein von Rom zurückgekehrter Capitular hat die Nachricht mitgebracht: meine Schriften seien dort, und mit ihnen beschäftige sich bereits die Index-Congregation.« Im Index Librorum prohibitorum (1922) ist keine von Ulrichs Schriften genannt. gesetzt zu sehen. Auch würde letzteres ihre Verbreitung ohne Zweifel fördern. Allein ich werde doch hartherzig sein. Jenen Wunsch zu hegen, bin ich weit entfernt. So wenig meinen Muth beugt der Bannstrahl, den die Polizei von Leipzig und Berlin als Moralitätsbehörde gegen meine Schriften geschleudert hat: so erschütternd würde mir sein der verwerfende Ausspruch einer Behörde, welche in Sachen der Moral zu urtheilen competent ist und nach sorgfältiger Abwägung der Gründe ihr Urtheil abgiebt. Vor dem Herrn Fürstbischof wie vor der Römischen Index-Congregation wünsche ich vielmehr gerechtfertigt dazustehen. Daher verweise ich beide auf Ara spei §. 1-40. §.92-95. §. 108-121.
h. Ein Deutsch-Oesterreichischer Bischof, ebenfalls Fürstbischof, und welcher ebenfalls gerade Vindicta gelesen, schreibt mir eigenhändig am 12. Nov. 1864:
»Ihre eigenthümliche Theorie werden Sie doch nicht so weit ausdehnen wollen, daß Sie einer libido vaga zielloses Begehren das Wort reden.« [Allerdings nicht. Ara spei: »Soldatenliebe« §. 135. und »Urnisches Liebesbündniß« §. 41-64. Vergl. indeß Ara spei §. 114-120 incl.] »Ueberhaupt möchte ich Sie bitten, nicht den Patron einer Sache zu machen, die das Wort Gottes (Römerbrief I.) verdammt.« [Daß Römerbrief I. überall nicht von urn. Liebe redet, sondern von uraniastrischen Naturwidrigkeiten zwischen D und D, habe ich nachzuweisen gesucht Ara spei §. 35.] Die Abschnitte g und h fehlen in der Neuausgabe von 1898.
i. Etwa am 1. Nov. 1864 ging folgendes durch die Zeitungen:
»Zu Paris schwebt gegenwärtig beim Zuchtpolizeigericht die Untersuchung eines Sittenscandals, welcher ungeheures Aufsehen erregt. Es handelt sich um einen Liebesclubb, dessen Mitglieder nur Männer sind. Unter den compromittirten nennt man einen hohen Würdenträger, eine in's Privatleben zurückgetretene Geldpotenz, einen Russischen Fürsten und eine Anzahl sehr schöner Soldaten, dragons de l’impératrice.«
Es gelang mir, Erkundigungen einzuziehen über diese Nachricht. Danach ist dieselbe eine boshafte Mystification. Der Liebesclubb soll bestehen und hochgestellte Personen aus der Umgebung des Kaisers und der Kaiserin als Liebende daran theilnehmen: die Untersuchung aber soll Fabel sein.
k. Den entsetzlichen Botzener Urtheilsspruch v. 4. Sept. 1864 (Vindicta Vorbericht S. XIX) gegen den Priester Hofer, Curator von Moos im Passeier Thal, hat im Oct. das Oberlandesgericht zu Innsbruck vollen Inhalts bestätigt.
l. Vindicta γ erwähnte ich der zu Wien für Mitte Septbrs. 1864 bevorstehenden Gerichtsverhandlung gegen Andreas Neudasti und August Wlach. Ueber diese Verhandlung berichtet eine Wiener Zeitung folgendes, was man mir im Ausschnitt (datumlos) mittheilt:
»Im Angesicht des Galgens! In derselben Nacht, in der bei der »Spinnerin am Kreuz« das dreibeinige Thier errichtet ward zur Hinrichtung des Mörders Andersch, begingen zwei Männer, gerade tut Angesicht dieses vielgepriesenen Abschreckungsmittels, eine arge Unsittlichkeit. Den einen brachte diese vor die Civil-, den anderen vor die Militair-Gerichtsbarkeit. Ersterer, Andreas Neudasti, ist Taglöhner und ward heute wegen Unzucht wider die Natur zu zwei Monat Kerkers verurtheilt.« August Wlach also ist Soldat; vermuthlich der Geliebte.
m. Am 26. Nov. 1864 hat Amtmann Großkopf zu Celle einen U »wegen unzüchtiger Handlungen, welche öffentliches Aergerniß erregt,« in 5 Thlr. Geldbuße verurtheilt, weil dieser an einem blühenden jungen Soldaten durch einfache Berührung, ohne alle Entblößung und von niemanden erblickt, in einem Zimmer die concentrirte magnetische Durchströmung genossen hatte (unten §. 9. §. 120.), hernach aber noch vor dem Hause, in welches der Soldat ging, eine halbe Stunde lang auf sein Wiederherauskommen gewartet hatte. Dieses Warten sollte den vorübergehenden auffallend gewesen sein. Das ist öffentliches Aergerniß nach Hannover'schen Begriffen!
n. Auf dem Schloßplatz zu Mainz, gegen Ende Septbrs 1864, verhaftete man eines Abends zwei Ue, einen Frankfurter und einen Franzosen, auf Verlangen eines Preußischen Husaren von der Bundesbesatzung. Der Franzose ward gegen Caution entlassen. Den Frankfurter verurtheilte man zu vierzehntägigem Gefängniß wegen Angriffs auf des Husaren »Schamhaftigkeit« [im Princip in Einklang mit Vindicta §. 55.]: welcher Angriff hier jedoch in nichts bestanden haben soll, als in einem Anstoßen an dessen Knie bei einem Nebeneinandersitzen! Am 27. Oct. entließ man ihn aus der Haft, in der er fast fünf Wochen geschmachtet hatte.
o. Im Appellationsgerichtsbezirk Köln wurden 1863 abgeurtheilt 2652 Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit. (Kölnische Zeitung v. 18. Nov. 1864, 2. Blatt.) Ein gut Theil davon wird urnisch sein!
p. In einer Hannover'schen Landstadt haben im Nov. 1864, wie man mir mittheilt (noch nähere Mittheilung zusagend), 2 Soldaten an einem etwas ängstlichen U mit Hülfe eines verrätherischen Hinterhalts auf höchst raffinirte Weise eine Erpressung verübt, wobei sie ihm alle Taschen durchsuchten und sämmtliche Werthgegenstände, im Werth v. etwa 70 fl. Rh., ihm abnahmen: und zwar trotzdem, daß sie beide ihm, ein jeder 2 Mal, die Hand darauf gegeben hatten, dieß nicht thun zu wollen. Das ist die gerühmte Biederkeit Deutscher Soldaten: und dabei standen sie, faktisch unantastbar, unter dem Schirm der Hannover'schen Gesetze!
q. Im Sommer 1864 traf in Rom der französische Maler Allard, U, den 19jährigen schönen Margheriti und machte ihm Liebesanträge. Dieser aber ermordete ihn, indem er seinen Kopf buchstäblich zusammenhämmerte, und entfloh mit Allard's Uhr und Geld. Mordes und Raubes angeklagt, entschuldigte er den Mord mit seiner angeblichen Wuth über jene s. g. »schändlichen Anträge«. Der Römische Gerichtshof jedoch verwarf diese Entschuldigung, da er jene Anträge einfach habe ablehnen, eventuell aber (gegen Thätlichkeiten) sich habe wehren können, und verurtheilte ihn (Ende Octbrs. 1864) zu lebenslänglicher Zwangsarbeit. (Allg. Ztg: Rom 29. Oet. 1864.)
r. Die » Peiner Ztg.«, ein Hannoversches Localblatt, brachte am 12. Oct. 1864 einen Schmähartikel gegen urn. Liebe. Die Redaction gewährte mir die Genugthuung, in die nächste Nummer eine Erwiederung von mir aufzunehmen, worin es heißt:
»Ein Mann von Ehre wird sich nicht erlauben, über fremde Seelenzustände wegwerfend zu urtheilen, ehe er über deren Natur und Ursprung sich unterrichtet hat. Etwas, was jemandem ein Räthsel ist, ohne weiteres für etwas schändliches zu erklären, ist zwar bequem, aber gewissenlos. Wer sich unterrichtet, wird sich sagen müssen, daß es in der Natur räthselhafte Zustände giebt, davon er bisher auch nicht die leiseste Ahnung hatte«.
s. Die extrem männlichen (activen) unter den Uen und die Uranodioninge: von den weiblich-passiven Uen weichen sie so sehr ab, daß sie sogar der castrirte junge Mann anzieht, der doch bekanntlich zugleich ohne allen männlichen Habitus ist. Ihnen gegenüber scheinen am jungen Manne also die männlichen Liebesorgane (unten §. 9. 13. 15. Note 12 a. u. b.), wie auch Männlichkeit überhaupt, ohne alle Wirkung zu sein. Vergl. unten §. 113, 5. Absatz »Einem reinen U«.
Alexander der große liebte den verschnittenen Bagoas. (Meier a. a. O. S. 165.) Kaiser Domitian den verschnittenen Carinus. (Siehe die Interpreten zu Statius und zu Martial IX. 12. 17.) Den Sporus, seine» Geliebten, ließ Nero verschneiden. (Unten §. 113, 5.) Die Seelenverkäufer (mangones) und Kuppler in Rom zu Martial's Zeit machten ein Gewerbe daraus, zarte Knaben zu verschneiden, als künftige feile Waare für Ue. Martial IX, 7:
»... puer, avari secius arte mangonis,
»Virilitatis danima moerei ereptae.«
Martial 9, 7 = 9, 5 (6), 4 f.:
Kein Knabe, den des Sklavenhändlers schnöd Handwerk verschnit, muß um der Männlichkeit Verlust klagen.
und l. c. 9:
... teneros ... ephebos
... facit steriles saeva libido. (Sterilem facere, d. i. castriren.)
Martial 9, 9 = 9, 7 (8), 7 f. (von Ulrichs leicht verändert):
kam er doch kürzlich auch dem zarten Jüngling zur Hilfe, daß nicht lüsterne Gier grausam verstümmelt den Mann. (Übersetzung R. Helm)
l. Am 18. Dec. 1864 übersandte ich durch erbetene Vermittlung des Abgeordneten Giskra dem Oesterreich. Reichsrath eine Vorstellung, gerichtet auf Revision des dortigen Strafgesetzes. Darin sage ich:
»... Nach einer Prüfung der Natur und des Ursprungs urnischer Liebe wird man schaudern über einen Rechtszustand, welcher zu solch' unmenschlichen Grausamkeiten führt, mit dem Stempel der Justiz versehenen, wie die 9 Jahre schweren Kerkers für den Pfarrer Hofer aus dem Passeierthal .... Darf, frage ich, einer Gabe der Natur gegenüber, die das Individuum sich weder gegeben hat noch sich nehmen kann, die Justiz wie ein Würge-Engel vorschreiten mit Kerker und Kette? .... Oesterreich zählt etwa 30 000 erwachsene Ue. Da sollte es doch wohl der Mühe werth sein, Rücksicht zu nehmen auf eine solche Anzahl gleich ehrenhafter, moralisch gleich guter und vor dem Gesetz doch offenbar gleich berechtigter Staatsbürger und durch eine Revision barbarischer Gesetze, die subjectiver Irrthum und subjectiver Haß schufen, einer Classe unverdient verstoßener Staatsbürger die Existenz zurückzugeben, die Irrthum und Haß ihnen raubten, das ewig drohende Damoclesschwert der Criminalstrafe hinwegzunehmen, das Irrthum und Haß an einem seidenen Faden über ihren Häuptern aufhängten, überhaupt die Frage nach der socialen Existenzberechtigung der Ue, die eine Lösung energisch verlangt, im Sinne der Gerechtigkeit und der Humanität, versöhnend, zu lösen .... Wolle der hohe Reichsrath, ehe er meine Anträge verwirft, eingedenk sein der gesetzgeberischen Gerechtigkeit, die er ausnahmslos allen Staatsbürgern schuldet, eingedenk sein seiner moralischen Verantwortung vor Mitwelt und Nachwelt!«
Numa Numantius.
u. In einem Memorandum über den Beruf des Staates gegenüber dem Uranismus, das ich am 2. Nov. 1864 einer Hannover'schen Verwaltungsbehörde überreichte, habe ich gesagt:
α. »... Wir Ue haben ein Recht gegen den Staat, daß er uns, und zwar mit unserer angeborenen Eigenthümlichkeit, in gleichem Maße, wie die übrigen Staatsbürger, schütze in den Bedingungen unserer Ehre und unserer socialen Existenz. Die De haben kein Privilegium vor uns dadurch, daß sie als De, wir als Ue geboren sind.
β »Der Staat hat kein Recht, gegen exceßlosen Liebesgenuß der Ue einzuschreiten, weder durch Strafen noch durch Polizeimaßregeln. Er hat vom U insonderheit auch nicht strengere Selbstzügelung zu fordern, als er sie vom D fordert.
γ. » Gefährlich sind jedenfalls in weit höherem Grade, als wir, die jungen hübschen De, gefährlich nämlich den jungen Mädchen. Von ihnen droht letzteren außereheliche Schwangerschaft: und aus dieser wiederum drohen Kindesmord, Abtreibung der Leibesfrucht, ja Selbstmord. Von alle dem droht von unserer Seite unserem Geliebten nichts. Mit jeder Schwängerung ist außerdem eine erhebliche Einbuße an der Körperblüthe verbunden. Diese mehrfache Gefährlichkeit des jungen Ds für das junge Mädchen ist weder wegzuleugnen noch gering anzuschlagen. Gesteigert wird sie noch dadurch, daß seine Erscheinung im Herzen des Mädchens eine höchst bedenkliche Fürsprecherin seiner gefährlichen Wünsche ist.
δ. »Thatsächlich stellt sich diese Gefährlichkeit so, daß in Stadt und Land fast keine öffentliche Tanzbelustigung vorübergeht, ohne diesen Gefahren direct und offenkundig Thür und Thor zu öffnen. Und ferner so, daß die Statistik aller Länder eine stehende Rubrik kennt, welche beißt »Kindesmord und Abtreibung der Frucht« und eine andere, welche heißt »Selbstmord geschwängerter Mädchen«.
ε »Jene gefährlichen Tanzbelustigungen nun: ohne Zweifel wird die Polizei sie peremtorisch verbieten. Auswärtige junge Burschen ferner, die mit Geschlechtstrieb begabt sind: ohne Zweifel wird sie keinem einzigen den Aufenthalt in der Stadt gestatten. Sollte sich aber einer eingeschlichen haben: sofort wird sie ein so gefährliches Individuum ausweisen, nicht sowohl des Einschleichens wegen, als vielmehr seiner Gefährlichkeit wegen. O nein! Sie denkt nicht daran, über die gefährlichen De solche Maßregeln zu verhängen! Hunderte von auswärtigen jungen Burschen läßt sie ungemaßregelt in der Stadt, läßt sie unbedenklich ihrem Erwerbe nachgehen, ihrem Vergnügen nachgehen, selbst die Tanzböden besuchen, ja dort sogar die gefährlichen Liebesverhältnisse anknüpfen. Sobald er nur keine Excesse begeht, ist der Bursch keiner Ausweisung aus Stadt und Land und keiner sonstigen beschimpfenden Maßregelung durch die Polizei ausgesetzt. Kein Polizeidiener drängt sich störend und schändend zwischen zwei Herzen und in den zarten Kreis jener Dinge, die ein Recht haben, Geheimniß zweier Herzen zu bleiben. Dem liebenden Burschen giebt man nicht Gelegenheit:
Zu »predigen die Tyrannenwuth,
»Die süßer Liebe Glück zertritt.«
(Vindicta S. 4. )
ζ. » Wären wir also auch gefährlich, und sogar in so hohem Grade gefährlich, wie der Bursch, so würde dennoch die Gerechtigkeit fordern, daß man uns behandle wie ihn!
η »Was für Liebkosungen wir mit einem erwachsenen jungen Manne üben, der, nicht bethört durch Fürsprache von Seiten unserer Erscheinung, sondern mit ruhigem Verstande, freiwillig unsere Bitten erhört: ich meine, darum habe sich der Staat überall nicht zu kümmern; gleichwie er sich um die Liebesgenüsse zwischen D und Mädchen nicht kümmert: ja noch weniger, als um diese, da diese dem Mädchen ja gefährlich sind. Alles dies hat der Staat vielmehr, wie mir scheint, lediglich der persönlichen Freiheit zu überlassen. Jedes Einschreiten wäre Tyrannei.
η. »Ob es der Würde des jungen Mannes entspreche, uns Liebesgunst zu gewähren, hat der Staat nicht ex officio zu prüfen. Jedenfalls bedarf des Burschen geschlechtliche Würde in keinem höheren Grade eines polizeilichen Schutzes, als des Mädchens überaus empfindliche jungfräuliche Ehre. Wollte der Staat aber diese letztere ex officio schützen durch Maßregeln gegen die ihr gefährlichen Burschen, so müßte die Polizei allen jungen Den die Tanzböden verschließen und nur geschlechtslose »Tänze unter sich« den jungen Mädchen gestatten, vor allen Dingen aber sämmtliche in der Stadt nicht heimathsberechtigte junge Burschen zum Thor hinaus jagen mit einziger Ausnahme etwaiger Spadonen und Castraten. So lange sie dies nicht thut zum Schutz der arg bedrohten jungfräulichen Ehre der Mädchen: so lange fordert die Gerechtigkeit, daß sie auch uns nicht derartig maßregele zum Schutz der von uns angeblich bedrohten Manneswürde der Burschen.
θ. »Wer es mit seiner Würde vereinigen kann, uns Liebesgenuß zu gewähren, den hat der Staat gar kein Recht durch irgend welches Einschreiten, sei es gegen uns sei es gegen ihn, uns zu entziehen.
ι. »Handelte es sich um künstliche Einführung des Uranismus in's Land: ich wäre der erste, anzuerkennen, der Staat habe sich dem zu widersetzen mit äußersten Mitteln. Wäre ich D: mit äußersten Kräften würde ich mich sträuben, wollte man Liebe zum männlichen Geschlecht mir künstlich einimpfen. Allein darum handelt es sich nicht. Der Usmus ist schon im Lande: ist im Lande vermöge einer Anordnung der Natur.
λ. » Darum vielmehr handelt es sich, und das ist die Aufgabe des Staates hinsichtlich des Usmus: die moralischen Rechte der Ue, die ihnen mit ihrem Usmus angeboren sind, nicht, wie bisher, mit Füßen zu treten, sondern mit der gesellschaftlichen Ordnung sie zu versöhnen. Versöhnung aber fordert zur Grundlage Gewährung von Gerechtigkeit, ja von Humanität. Verfolgung ist bei ihr ausgeschlossen.«
Numa Numantius.
v. Zeitungen und medicinische Schriften erwähnen an lebenden Körpern ausgeführter Blut-Transfusionen Hirschfeld merkt in der Neuausgabe von 1898 (S. 16) an: »Es handelt sich hier um eine vorübergehende Mode-Theorie welche sich sehr bald als irrtümlich erwies.« und dadurch bewirkter zeitweiliger Umwandlung der geistigen Natur der dem Experiment unterworfen gewesenen Individuen. So ward einem Lamm eines Fuchses Blut eingelassen und vollständig nahm es eines wilden Thieres Natur an, die es auch durch etwa 14 Tage beibehielt. Einem wahnsinnigen Menschen goß man Blut von einem jungen gesunden Burschen ein: und er ward vernünftig, und zwar, entsinne ich mich recht, auf die Dauer. Gieße man doch einmal einem U Dsblut ein. Ob wohl sein Liebestrieb auf 14 Tage dion. werden wird? Denn dauernd wird die Umwandlung sicher nicht sein. Besonders interessant dürfte eine Beobachtung sein der allmäligen Rückumwandlung des dion. gemachten Triebes in den alten Uranismus, namentlich die Beobachtung: ob dabei eine Zeit lang doppelte Neigung eintrete? Ebenso würde man einen D durch Usblut oder Weiberblut vielleicht auf 14 Tage zum U machen können.
Am 20. Dec. 1864.
Numa Numantius.
*
Inclusa §. 36. c.
§. 1. c. α) c. α) setzt fort a. b. c. in Inclusa §.36. Ich bitte, diese Schrift überhaupt als untrennbar von »Inclusa« zu betrachten. Die eine ist der anderen Ergänzung. Der noch kaum bärtige Critobulus liebte den gleichalterigen Clinias.
»Den Clinias schaue ich an mit größerer Freude, als alles andere, was es in der Welt schönes giebt. Wenn ich nicht von ihm rede: glaubst du, daß ich seiner nicht gedenke?«
sagt Critobulus in Xenophon's Symposion. (4, 10 ff.) (Meier a. a. O. S. 153. 155.)
c. β) Der kaum erst mannbare Hippothales liebte den Lysis, welcher ebenfalls noch kaum mannbar war.
Wie Hippothales den abwesenden Lysis in Liebesgedichten besingt und wie er vor seinem Anblick erröthet und verwirrt wird, finden wir zart und schön geschildert in Plato's »Lysis.«
Inclusa §. 36. e.
§.2. e. α) e. α) setzt fort d. e. in Inclusa §. 36. Sokrates, Urning, las einst beim Grammatisten mit dem jungen schönen Critobulus aus Einem Buche. Als er dessen entblößte Schulter berührte, empfand er eine »magische« Wirkung.
So erzählt Xenophon (Symposion 4, 27. Vergl. Meier a. a. O. S. 169.).
Dies ist zugleich ein Beispiel, daß ein Urning an einem Urning Genuß empfunden bat. (Vergl. Inclusa §. 38.) Denn Critobulus war Urning. Aber vielleicht war dem Sokrates dessen weibliches Element damals nicht bekannt. Und dann: er war jung und schön. Junge und sehr schöne Urninge sind auch schon von Mädchen heftig geliebt worden. Davon kenne ich ganz bestimmte Beispiele. Ebenso auch wenig männliche, sehr schöne, Dioninge, und zwar von Mädchen wie von Urningen.
e. β) Von Antoninus Heliogabalus siehe zu II. Inclusa S. 17. erzählt Lampridius (cap. 12.):
»Beim Mahl wies er meist seinen jungen Burschen den Platz neben sich an, und ergötzte sich an deren körperlicher Berührung.« (»Eorum allrectatione et lactu gaudebat.«) Berührte hier er die Burschen oder sie ihn? Für das wahrscheinlichere halte ich das letztere. – Wenn ich von Antoninus, Nero, Blank etc. naturwissenschaftlich rede, so soll damit ihr Betragen natürlich nicht sittlich verteidigt sein! Der erste Satz fehlt in der Neuausgabe von 1898.
e. γ) Plato geht davon aus, Händedruck und Kuß eines blühenden jungen Burschen mache den U muthig zum Kampf in der Schlacht. De republica V. 468. läßt er den Socrates und den Glaucon folgendes sagen:
»Socrates: Wer sich aber durch Tapferkeit auszeichnet, soll der nicht schon auf dem Feldzug bekränzt werden von den Jünglingen und jungen Burschen, welche mit ihm die Waffen tragen, und zwar vom einem jeden besonders?
Glaucon: Ja.
S.: Sollen sie ihm nicht auch die Hand reichen?
G.: Auch das.
S.: Aber folgendes meinst du vielleicht nicht noch außerdem.
G.: Was denn?
S.: Daß er küssen solle und geküßt werden solle von jedem.
G.: Das meine ich ganz gewiß. Vielmehr mache ich zu dieser Bestimmung noch den Zusatz: so lange sie auf dem Feldzug sind, soll auch keinem erlaubt sein, sich zu weigern, den er wünschen wird zu küssen; damit, wenn einer von Liebe ergriffen ist, sei es zu einem Burschen, sei es zu einem Weibe, er muthiger sei zu Kampf und Sieg.«
δ) »Der Magister Julius Pellanda zu Landsberg (Süddeutschland, vermuthlich Bayern) liebte die jungen Männer so unbändig, daß er aus Wollust sie, wie ein unsinniger, in die Backen biß. 1713.« (Siehe die unten zu erwähnenden »Enthüllungen« S. 73.)
§. 3. Dieser wunderartige Genuß bei Berührungen ist, mir unzweifelhaft, derselbe, wie der, den bei Berührungen eines blühenden Burschen auch ein Mädchen empfindet. Nur wird z. B. der Kuß des Geliebten auf das Mädchen noch größere Wirkung ausüben, als auf den Urning, wenn des Mädchens Geliebter dasselbe zugleich seinerseits liebt, und zwar leidenschaftlich liebt.
Der urnische Kuß kann nur einseitigen Liebesgenuß gewähren, der dionische kann zweiseitigen gewähren. Dem dionischen kann gegenseitige Kraft innewohnen. Um den dionischen Kuß beneide ich die Weiber. Mein Geliebter küßt mich, ach, so kalt! Ich beneide Clemenca, welche, leidenschaftlich liebend, und ebenso geliebt, unter den Abschiedsküssen rufen konnte:
»O Georg, welche Zauberkraft haben deine Küsse! Ich glaube, im Grabe würde dein Kuß mich beleben.«
Aehnlich zwar kann auch der U rufen: so nicht. In Clemenca's Wort »deine Küsse« liegt etwas unaussprechliches, dem der U ewig entfremdet bleibt und das ihm ihren Ruf nachzurufen verbietet.
§. 4. Uebrigens wird die magnetische Durchströmung nicht nur bei Entblößungen empfunden, sondern, sehr wohlthuend und stärkend, auch schon durch die Bekleidung hindurch: ähnlich der animalischen Wärme, die von einem menschlichen Individuum ausgeht Ein U macht mich aufmerksam, welch' einen Verstoß, ich begangen, als ich in Inclusa so kühn gewesen sei, den wunderartigen Genuß, den wir empfinden bei Berührung unseres Geliebten, zu vergleichen mit einem köstlichen Braten. »Das kann für einen D genug sein, für die Zukunft ihm sogar den wirklichen Bratengeschmack zu verleiden!« Dann will ich nur hoffen, Inclusa möge nicht vielen Dn in die Hände gelangt sein..
»Krankt Hafis,
Mit gelahrtem Medicus verschon' ihn:
Einen besseren schicke ihm,
Einen jungen Arzt mit Rosentwagen.«
Hafis.
§. 5. Daß bei Männern und Weibern die absolute Nichtbefriedigung des Geschlechtstriebes der Gesundheit sehr nachtheilig werden könne, ist aus medicinischen Schriften hinreichend bekannt. Namentlich las ich in »Der Mensch und sein Geschlecht« (von einem Arzte) die merkwürdige Schilderung der hitzigen Krankheit, in welche ein französischer Geistlicher verfiel, der,
Laude pudicitiae fervens et amore Deorum Prudentius. Vergl. Vindicta §. 5.siehe III. Vindicta S. 3.,
das abgelegte Gelübde streng zu halten entschlossen war. Scheffel Viktor von Scheffel (1826-1886), Ekkehard (1855). in seinem »Ekkehard« erwähnt der seltsamen üppigen weiblichen Gestalten, die der heilige Gallus, gleich streng, in Fieberphantasien sah, die er freilich, nach der Sitte seiner Zeit, ansah für Blendwerke des Teufels, der seine Keuschheit in Versuchung führen wolle.
Daß bei Un die gleichen Folgen eintreten müssen, wie bei Männern und Weibern, wird eines besondren Nachweises nicht bedürfen.
Die weibliche Bleichsucht entsteht bekanntlich meist aus ähnlichen Ursachen und ist meist heilbar durch Liebesgenuß.
Auch Männern wird Liebesgenuß sehr häufig von Aerzten verordnet.
§. 6. Aber auch schon die bloße magnetische Durchströmung ist medicinisches Heilmittel.
Dem bekannten Berliner Gerichtsarzte Medicinalrath Professor Casper Johann Ludwig Casper (1796-1864), der als Gerichtsmediziner erstmals auch autobiographische Zeugnisse von ›Päderasten‹ heranzog. Ulrichs zitiert neben dem hier erwähnten Aufsatz »Ueber Nothzucht und Päderastie und deren Ermittelung Seitens des Gerichtsarztes«, in: Vierteljahrsschrift für gerichtliche und öffentliche Medicin 1 (1852), wieder abgedruckt in: J. S. Hohmann (Hg.), Der unterdrückte Eros (1977) das Zitat ist wie viele andere nicht genau –, Caspers »Practisches Handbuch der gerichtlichen Medicin« (1858) und seine »Clinischen Novellen« (1863). erklärte einst ein sehr offener U:
»Keine Ihrer Arzneien lindert meine Schmerzen in der Seite so sicher, als wenn mein Bedienter sich neben mich auf's Sopha legt.« So erzählt Casper selbst in einem längeren Aufsatze von 1851, den ich noch mehrfach citiren werde. Casper's Vierteljahrschrift Bd. I. Heft 1.1852, S.64.
Von guter Hand wird mir folgendes mitgetheilt, als im vorigen oder im vorletzten Jahrzehent vorgekommen:
Ein Herzog von Devonshire, U, war krank und so schwach, daß er seine Geisteskräfte nicht mehr sammeln konnte, um sein Testament zu machen. Letzteres wurde aber von mehreren Seiten gewünscht. Da brachte man ihm einige besonders kräftige und blühende junge Burschen. Durch deren bloße körperliche Berührung wurden die Lebenskräfte des Kranken wenigstens so weit wieder hergestellt, daß er sogleich darauf das Testament zu machen wirklich im Stande war.
»Introite! nam et heic natura est.« Introite! nam et heic natura est: Abwandlung des Spruchs Introite, nam et hic dii sunt (Tretet ein, denn auch hier sind Götter), mit dem nach einem Bericht des Aristoteles Heraklit seine Besucher aufgefordert haben soll, hereinzukommen, als er sich an einem Backofen wärmte. Lessing setzte den Spruch seinem Nathan der Weise als Motto voran. Vgl. Büchmann, Geflügelte Worte (37. Aufl. 1986) S. 255.
Vorbemerkung. Ich bitte den Leser, sich hier ganz in ein Auditorium der Medicin versetzen zu wollen. Geschlechtliche Ausdrücke sind hier ebenso unvermeidlich, wie in den eigentlichen Lehrvorträgen der Medicin. Dennoch berühre ich das zu sagende nur höchst ungern und nur, weil es durchaus gesagt sein muß. Ue haben mir schon zum Vorwurf gemacht, es noch nicht gesagt zu haben. Den Vorwurf muß ich als begründet anerkennen. So sage ich denn mit dem alten Römischen Arzte:
»Difficilis haec explanatio est simul et pudorem et artis praecepta servantibus. Nec tamen ea res a scribendo deterrere me debuit.«
Celsus; medicina, lib. 6. cap. 18.) Celsus (1. Jh.): Die Erläuterung ist schwierig, wenn man zugleich die Schamhaftigkeit und die Gebote der ärztlichen Kunst berücksichtigen will. Doch das konnte mich nicht davon abhalten, darüber zu schreiben.
§. 7. Das Geschöpf würde vielleicht in recht vielen Dingen es besser machen, als der Schöpfer. Namentlich würde es vielleicht schaffen eine sogenannte »reine«, nämlich von Sinnlichkeit losgelöste, Geschlechtsliebe. Im Uranismus z. B. scheint Meier (a. a. O.) geneigt, einer solchen Liebe, welche »nicht über den Augengenuß hinausgeht«, eine gewisse Berechtigung zuzuerkennen. Eine solche Geschlechtsliebe würde ähnlich sein etwa der Mutterliebe oder der sehnsuchtsvollen Liebe des Kindes, namentlich des noch ganz kleinen, zur Mutter.
Der Gedanke ist sicher unverwerflich. Allein der Schöpfer (die Natur) hat eben anders gehandelt So haben empfindsame Gemüther auch schon darüber mit dem lieben Gott gezankt, daß er den Menschen nicht befreit habe von dem allerniedrigsten, durchaus unästhetischen, thierischen Bedürfniß, die unverdaulichen Theile der Nahrung wieder von sich zu geben. Auch hier handelte er nach eignem Ermessen.. Alle Ausnahme von dieser Regel und Modification unten §§ .24-26. Geschlechtsliebe hat zwei Seiten: die eine, die das Licht nicht zu scheuen braucht (Augengenuß, Kuß etc.), die andere, die – in Folge des Instincts, den wir »Scham« nennen, – die Nacht sucht. Es ist eine geistige Doppelseitigkeit, ganz ähnlich einer anderen, welche rein körperlich in der Schöpfung vorkommt. Von der Pflanze z. B. sagt Schiller in der Klage der Ceres:
»Wenn der Stamm zum Himmel schreitet,
Sucht die Wurzel scheu die Nacht.«
Auch der Schneckenhausschnecke Eine Körperhälfte ist umhüllt von dem Gehäuse, welches diese Hälfte niemals losläßt. Entblößt von Erde und Gehäuse sind der Pflanze Wurzel und die Gehäuse-Hälfte der Schnecke etwas häßliches: Namentlich die Wurzel der Pflanze im Gegensatz zum Blätterschmuck und Blüthenschönheit. darum aber noch keinesweges etwas verächtliches oder unheiliges. Den Naturforscher träfe großer Vorwurf, wollte er sie ihrer Häßlichkeit wegen überspringen. Sie sind ihm vielmehr ebenso wichtig, wie die übrigen Theile von Pflanze und Schnecke. Mit Recht ist aus gleichem Grunde auch der Geschlechtsliebe Umhüllung suchende Seite von den Medicinern längst vor ihr Forum gezogen, nämlich der bisher allein gewürdigten dionischen Geschlechtsliebe. Im Recht zu sein glaube aber aus gleichem Grunde auch ich, wenn ich der urnischen Geschlechtsliebe Umhüllung suchende Seite vor das Forum der Naturwissenschaft bringe.
§. 8. Die erotische Anziehung, die der junge Bursch auf uns ausübt, wirkt gleich der des Magnets buchstäblich als Anziehung. Sie treibt an zu körperlichen Berührungen jeder Art. Jedoch ist sie nicht etwa Folge eines einmal genossenen wunderartigen Genusses, wie wir ihn bei Berührungen mit ihm genießen. Als eine ursprüngliche ist sie vielmehr jeder Berührung vorangehend. Die Anziehung empfinden wir, ehe wir es wissen, wie die körperliche Berührung so süß ist.
§. 9. Diese auf uns wirkende Liebesanziehung concentrirt sich eben da, wo auch die auf den D und auf das Weib wirkende sich concentrirt, nämlich in den Liebesorganen des anziehenden Individuums. D, Weib und U, wir alle drei haben folgendes mit einander gemein:
in Folge ursprünglichen inneren Dranges sehnt sich unsere Natur, des anziehenden Individuums Körper überhaupt zu berühren, dasselbe zu umarmen, zu umschlingen oder an seiner Brust, in seinen Armen zu ruhen, und es concentrirt sich dieser innere Drang in dem fast unwiderstehlichen Verlangen, insonderheit seine Liebesorgane innig zu berühren.
Diese Begierde auch unserer Urningsnatur ist also eine uns allen gemeinsame, mithin eine rein menschliche.
§. 10. Zwischen D und Weib ist nun eine gegenseitige innige Vereinigung der beiderseitigen Liebesorgane möglich, und in derselben erfolgt dann die vollständige Befriedigung.
Zwischen D und U ist diese Vereinigung nicht möglich. Nichtsdestoweniger ist nun aber der U seinerseits begabt zwar mit weiblicher Liebe, aber mit männlichen Organen und mit männlichem, activem Befriedigungsbedürfnis. Daher ist er darauf angewiesen, seine vollständige Befriedigung zu suchen in anderweiten Berührungen mit dem geliebten Körper.
§. 11. Hiezu gab nun die Natur selbst hülfreich das Mittel an die Hand, indem sie an dem geliebten Körper
jeden Theil erfüllte mit geschlechtlicher Anziehungskraft und mit magnetischer Ausströmung. Die geschlechtliche Anziehungskraft anderer Körpertheile des Geliebten hat daher gleichsam aushülfsweise einzutreten für das ad hoc ungeeignete Liebesorgan; und der U genießt aushülfsweise an anderen Körpertheilen jenen Genuß, den
es dem D vergönnt ist am Liebesorgan des geliebten Körpers zu genießen
Dies scheint auf demselben Naturprincip zu beruhen, auf welchem auch das
Vicariiren der Sinne beruht. Statt des erblindeten Auges stärken sich die Gefühlsnerven der Fingerspitzen. Ferner: wer ohne Hände geboren ist, dessen Füße lernen rasch schreiben.
Uebrigens zeigt schon
Heinse, der D, ein entferntes Verständniß für das geschlechtliche Vicariiren der Körpertheile. Er sagt (a. a. O. S. 28. Siehe Inclusa §. 86.):
»Jene Theile des Leibes, weßwegen wir, wir wissen selbst nicht warum, uns so sehr schämen, hielten die Griechen nicht für das allerheiligste, mit dem man
nichts berühren dürfe,
als ein bestimmtes einzelnes Theilchen, und zwar eines Weibes.«
Einen Beweis für das geschlechtliche Vicariiren der Körpertheile liefern auch die außerordentlichen Befriedigungsmodus zwischen Dioning und Weib, die sogenannten sept façons d'amour..
§. 12. An die Stelle des Einen ordentlichen Modus bei euch treten daher bei uns mehrere außerordentliche Modus; da ja der Eine ordentliche für uns geradezu nicht vorhanden ist. Neben dem Liebesorgan des jungen Burschen giebt es nun aber fernere Organe einer concentrirten erotischen Anziehung
nicht. Es giebt nicht Theile seines Körpers, welchen eine ähnlich, wie das Liebesorgan,
überwiegende geschlechtliche Anziehungskraft dem U gegenüber innewohnte. Deshalb giebt es auch unter jenen mehreren Modus einen
vorwiegenden nicht. Einen solchen vorwiegenden Modus, oder gar nur einen einzigen, scheint ihr, irrend, anzunehmen. Namentlich ist es auch Irrthum, der active Act des U sei nicht möglich ohne Eindringen in den geliebten Körper. Einem jungen Weibe in * verbot den Act örtliches Körperleiden. Der Mann, der sie wirklich geschlechtlich liebte, befriedigte sein actives Begehren dennoch an ihr, nämlich durch anderweite innige Berührungen,
ohne Eindringen. Dies eben ist auch unser Fall
So oft ich daher von urn. Befriedigung rede, meine ich durchaus nicht einen bestimmten Modus derselben, namentlich nicht den des Eindringens. Und ferner: Wenn ich sie für
sittlich erlaubt erkläre und für vereinbar mit der
Manneswürde des gewährenden Ds (Ara spei § 89.), so lasse ich einstweilen die Frage offen: ob vielleicht ein bestimmter Modus hievon auszunehmen sei? Vor dem
Strafgesetz dagegen verwerfe ich jedes Unterscheiden zwischen den verschiedenen Modus.
Wäre die Strafbarerklärung urn. Liebesübung dadurch gerechtfertigt, daß diese Uebung die De veranlaßt, ihre
Manneswürde hintanzusetzen (angenommen, daß sie dies z. Th. wirklich thue): so müßte man, um
gerecht zu sein, doch auch beim Dionäismus die außereheliche Uebung unbedingt für strafbar erklären, da diese ja doch ohne Zweifel die
Weiber veranlaßt, ihre
weibliche Würde hintanzusetzen..
Einen einzigen finde ich unter den dion. Schriftstellern, welcher zugleich scharfsichtig genug ist, dies wahrzunehmen, und zugleich gerecht genug, es offen anzuerkennen. Casper sagt a. a. O. S. 70.:
»Ich glaube nicht zu irren, wenn ich behaupte, daß diese« (folgt ein gehässiges Beiwort) im Original steht »ekelhaft« und »Afteroeffnung«. In Deutschland wenigstens ist es Ausnahme: In der Neuausgabe von 1898 (S. 27) merkt Hirschfeld an: »Diese Angabe, dass päderastische Akte im gewöhnlichen Sinn im konträrsexuellen Verkehr zu den größten Seltenheiten und Ausnahmen gehören, haben die neueren medizinischen Forscher auf diesem Gebiet, namentlich Krafft-Ebing, vollauf bestätigen können.« »Vermischungen von Mann mit Mann gar nicht in allen Fällen so rein mechanisch geschehen, daß vielmehr die ...-Oeffnung nicht selten dabei ganz unbetheiligt bleibt.«
Es ist immerhin schon anzuerkennen, wenn ein D auf Grund seiner einseitigen Forschung wenigstens so weit von den herrschenden Fabeln zurücktritt, daß er sagt: »gar nicht in allen Fällen« und »nicht selten.« Daß er aus sich selbst heraus dazu gelange, anzuerkennen, was er bisher für Regel hielt, sei gerade Ausnahme: dies ist von dem unter der Herrschaft jener Mährchen aufgewachsenen D nicht zu verlangen. (In Deutschland wenigstens ist es Ausnahme.)
§. 13. Stets aber, und selbst während des eigentlichen activen Liebesgenusses, bleibt es dem U wesentliche Hauptsache: die Liebesorgane seines Geliebten so innig als nur möglich zu berühren: und zwar trotzdem, daß sie für seine Activität ja völlig unbrauchbar sind.
Diese Erscheinung, welche euch unbegreiflich sein wird, ist in meinen Augen ein sehr wichtiger Punkt. (S. §. 16.)
§. 14. Die Erscheinung selbst haben sogar schon De beobachtet und in medicinischen Abhandlungen niedergeschrieben, freilich wiederum (wie beim weiblichen Habitus) die Bedeutung der Erscheinung gänzlich verkennend. Auch haben sie es mir unmöglich gemacht, jene mir vorliegenden Abhandlungen zu citiren, da sie ihr niedergeschriebenes mit so giftigen Glossen verziert haben, daß mir unwohl wird, wenn ich ihrer nur gedenke, und ich nicht Lust habe, mich zum Verbreiter derselben herzugeben.
§. 15. Dafür jedoch, daß die erotische Anziehungskraft, die Bursch auf U ausübt,
überhaupt in seinem
Liebesorgan sich
concentrirt, dafür liefern schon Griechische und Römische Schriften hinreichenden Beweis. Z. B. Lampridius
Wer sich ihm durch die Größe seiner Schamteile empfahl, wurde mit Ehren bedacht. und Dio Cassius im Leben des Antoninus, Petronius (in der Badescene). Ein specieller Beweis dafür liegt nämlich in der Thatsache, daß örtlich zurückgebliebene Entwickelung die Gesammtanziehungskraft des jungen Mannes ganz wesentlich schwächt, das umgekehrte dagegen entgegengesetzt wirkt. Dies zum Verständniß der genannten Classikerstellen
Da der Punkt wichtig ist, so wäre es unrecht von mir, hier mit bestimmten Belegen zurückzuhalten. Ich will deren drei anführen, betreffend die Ue
Heliogabalus, einen gewissen Römer
Cotta und den Jesuiten
Morell zu Augsburg.
a) Ueber
Heliogabalus finden sich bei Dio Cassius und Lampridius mehr als ein Dutzend hiehergehöriger Aussprüche. Je einer möge hier genügen:
Aurelius Joticus, dessen ich schon Inclusa § 112. erwähnte, reizte ihn nicht nur durch seine Schönheit, sondern vorzüglich, weil er
»alle übrigen übertraf τῷ τῶν αἰδοίων μεγίϑει,«
und namentlich erst da, als jener in gemeinschaftlichem Bade mit eignen Augen sich hievon überzeugt hatte. ( Dio Cassius lib. 79. cap. 16.)
Lampr. cap. 12.: »Ad honores promovit commendatos sibi enormitate membrorum pondibilium«
b) Von demselben Triebe eines U, den er
Cotta nennt, redet spottend Martial (I. 23. al. 24.):
»Invitas nullum, nisi quocum, Cotta, lavaris,
Et dant convivam balnea sola tibi.
Mirabar, quare me nunquam, Cotta, vocasses:
Jam scio, me nudum displicuisse tibi.«
Martial 1, 23:
Cotta, du lädst keinen ein als die, mit denen du badest,
und nur die Bäder allein liefern dir stets deinen Gast.
Cotta, ich wunderte mich, weshalb du mich niemals zu Tisch ludst;
doch jetzt hab ich’s erfaßt, daß ich dir nackt nicht gefiel. (Übersetzung R. Helm)
Hieran knüpfe ich die Thatsache, daß unter den heutigen Un das Geheimwort besteht: »großdeutsche und kleindeutsche Gesinnung.« (erklärt auf S. 61 Anm. 52. Note 52.)
c) Mir fällt ein Buch in die Hände: »Enthüllungen über Lehren und Leben der katholischen Geistlichkeit. Sondershausen bei G. Reuse. 1862.« Es enthält gesammelte Notizen über eine zahlreiche Reihe katholischer Geistlichen, vorzugsweise Süddeutschland's, aber auch Frankreich's und Belgien's, aus der Zeit von 1637-1713 und von 1859-1861, aus denen hervorgeht, daß dieselben Ue waren. Das Buch ist von einem D geschrieben in feindseligem Sinne gegen die katholische Geistlichkeit. Unter anderem enthält es in deutscher Uebersetzung die interessanten actenmäßigen lateinischen Berichte aus einer Disciplinaruntersuchung wider den Jesuiten
Morell am Jesuitengymnasium zu Augsburg aus dem Jahre 1698, deren Originale sich im königlichen Staatsarchiv zu München befinden und welche veröffentlicht sind unter dem Titel: »Reverendi in Christo patris Jacobi Morelli S. J. amores. Per Carolum de Lang. Monarchii 1815.« Im Jesuitengymnasium zu Augsburg wohnten nicht nur die Jesuiten des Gymnasiums selbst, sondern auch die Schüler. Mit den schönsten unter denselben knüpfte Morell Liebesverhältnisse an, namentlich mit drei sehr vornehmen, nämlich 1. mit Ruprecht Joseph
Fugger, Graf zu Babenhausen, 2. mit Anton Christoph
Fugger, Graf zu Kirchberg und Weißenborn, 3. mit Crafto Wilhelm Graf von
Oettingen. Wiederholt besuchten ihn diese (d. i. einzeln) auf seinem Zimmer. Dann wurden die Fenstervorhänge geschlossen – das Zimmer lag zu ebener Erde (a. a. O. S. 53.) – und die Thür zugeriegelt, auch das Schlüsselloch verstopft. Unter dem Datum »Augsburg 22. Sept. 1698« berichtet nun der Pater Ignatius Erhard an den Provincial der Gesellschaft Jesu in Oberdeutschland, Martin Müller, wie unter den drei genannten der schöne junge Graf
Oettingen ihm eingestanden habe, was eigentlich zwischen ihm und Morell vorgekommen sei. In diesem Berichte heißt es (a. a. O. S. 51.): Graf Oettingen habe ihm erklärt:
»Morell (vgl. die zweisprachige Ausgabe: Die Knabenliebschaften des Jesuitenpaters Marell (!). Aus den Ordensarchiven Oberdeutschlands zusammengestellt von Karl Heinrich Ritter von Lang. Neu herausgegeben und ... aus dem Lateinischen übertragen von Karl von Hutten (1890) S. 31.) näherte sich mir anfangs mit zärtlichen Küssen. Dann öffnete er mir nach und nach die Knöpfe und Schleifen meiner Unterkleider. Hierauf
legte er seine Hände an meine Geschlechtsorgane. Sodann ...«. Ganz dieselbe anthropologische
Erscheinung ist längst schon auch bei der Weiberliebe constatirt: wofür ich freilich Belegstellen nicht bringen kann
Eine finde ich bei Martial: lib. 7, epigr. 14. Martial, Epigramm 7, 14 endet mit den Versen:
Nein, sie verlor einen Knaben, er zählte nur zweimal zehn Jahre,
und sein Dingel betrug nicht einmal anderthalb Fuß. (Übersetzung R. Helm), da die Mediciner auch diesen Punkt bisher als res nullius momenti
eine Sache ohne Bedeutung. übergangen haben.
§. 16. Daß in den Liebesorganen des Geliebten die erotische Anziehung, die er auf uns ausübt, sich concentrirt, und daß ihre Berührung für den Liebesgenuß der urn. Liebe wesentlich ist, ist mir deßhalb eine wichtige Erscheinung, weil hiedurch offenbar der Beweis geliefert wird:
daß unser Liebestrieb nicht ein irregeleiteter männlicher sei, sondern daß er ein wesentlich weibliches Element enthalte, welches offenbar einer anderen Quelle entsprungen sein muß, als einer »Irreleitung« oder Gewöhnung. Denn welche Anziehungskraft üben auf den Mann männliche Geschlechtsorgane, die ihm an sich Begierde nicht erwecken, zu seinem Genuß aber ja ganz unbrauchbar sind? Wäre »Irreleitung« Der Begriff schon ist mir nicht ganz klar. oder Gewöhnung an unregelmäßige Befriedigung Ursache der urn. Liebe: so würde die dadurch angeblich geweckte Neigung sich doch offenbar auf alle anderen Körpertheile eher concentriren müssen, als gerade auf die männlichen Liebesorgane. Dem Weibe dagegen sind dieselben schon an sich begierdeerweckend.
§. 17. Aus Büchern kann jeder sich unterrichten: diese Theile bestehen einfach aus ganz gewöhnlichen Sehnen, Häuten, Drüsen und Gefäßen. Diese gewonnene Kenntniß jedoch hat die wunderbare Anziehung, die sie ausüben, – bei mir wenigstens – nicht im mindesten abgeschwächt. Dadurch wird diese Anziehung zu einem wahren Räthsel.
§. 18. Ich stelle also drei Sätze hin:
§. 19. Diesen Sätzen entsprechen auch ganz unsere Nächtlichkeitsträume. Die Erscheinungen des Nächtlichkeitstraumes sind allerdings nur dem inneren Auge wahrnehmbar. und zwar nur dem eigenen. Allein dies ist auch bei tausend anderen Erscheinungen der Fall, die deshalb dennoch – wie sie es verdienen – sorgfältig beobachtet werden. Dahin gehören Schmerzen an Gesunden (aus denen z. B. bei Untersuchung des Münster'schen Zwitters Dr. Tourtual auf Testikel schloß) oder an Kranken, und sonstige innere pathologische Erscheinungen eines Kranken. Sehr mit Unrecht daher hat man die Wichtigkeit jener inneren Traumerscheinungen für die Geschlechtswissenschaft (Mit diesem Gedanken nimmt Ulrichs Freud vorweg.) bisher leider noch immer gänzlich übersehen: gewiß zum großen Schaden der letzteren. Ich, meines Orts, stehe nicht an, hier freimüthig für Wahrheit und Wissenschaft mein Zeugniß niederzulegen. Bei mir erfolgt die Nächtlichkeit (Hirschfeld ergänzt in der Neuausgabe von 1898 (S. 30): »(Pollution)«.) nie anderes, als so, daß der Zuführer Traum den Burschen, den er mir zugeführt, von Angesicht zu Angesicht mir gegenüber stellt, und ich bestrebt bin, sei es mit den Händen, sei es mit dem gleichen Theile, sein Anziehungsorgan zu berühren. Sobald nun das Gaukelspiel dahin gelangt, daß diese Berührung erreicht ist: so erfolgt augenblicklich die Nächtlichkeit, und zwar, ohne daß dabei irgend welche Activität meinem geistigen Auge vorgegaukelt würde, sei es von seiner, sei es von meiner Seite. Kürzlich setzte mich dabei der Zauberer auf des sitzenden Burschen nackten linken Oberschenkel rittlings, von Angesicht zu Angesicht ihm gegenüber, so daß mein Theil eben nur diesen Schenkel berührte. – So war es bei mir unverändert seit Eintritt der Pubertät. – Noch eins. Die Nächtlichkeit ist bei mir stets begleitet von irgend einem mir vorgegaukelten störenden Nebenumstande. Theils sind Personen nahe, deren Nähe in hohem Grade unwillkommen ist, theils weigert der Bursch die Gewährung etc.; einer war mit einer Blutschwäre behaftet. Auch pflegen die mir vorgezauberten Gestalten längst nicht so scheu und so anziehend zu sein, als ich ihnen in der Wirklichkeit begegne: während man von des Traumes Bildwerken doch Ideale erwarten sollte. Meinem Traumgotte habe ich dieserhalb schon oft gegrollt, Gleiches, so versichern mich De, trifft auch ihre Träume; daß das vorgeführte Mädchen z. B. sich, weigert. Diese ganze Erscheinung der Mangelhaftigkeit oder des Gestörtseins des nächtlichen Quasigenusses, bei euch wie bei uns, scheint mir darin ihren Grund zu haben: die Nächtlichkeit ist keinesweges ein voller Ersatz für den Liebesgenuß, vielmehr, da Berührung und magnetische Durchströmung ihr ja fehlt, mir eine mangelhafte, schwächende, nervenerschütternde Körper- und Geistesfunction. – So weit ich mich erinnere, hat mir der Traum nie einen bestimmten jungen Mann vorgeführt, der Liebe in mir erweckt hatte, sondern in der Regel gänzlich fremde Gesichter, ganz selten mir bekannte Personen. Letzteres war stets wiederum etwas störendes.
§. 20. Doch bedarf der U nur selten der vollständigen Befriedigung; wie es scheint, erheblich seltener, als der D. In der Regel genügt ihm der Genuß der magnetisch-erotischen Durchströmung in mehr oder minder geschlechtlichen Berührungen.
§. 21. Ihrer Natur nach begehren die Ue oft nicht nur den erwähnten activ-subjectivischen Genuß, sondern auch einen passiv-objectivischen, bei welchem sie (ähnlich wie das Weib) Object einer Art von Liebesthätigkeit sind: je nachdem in ihnen – sei es augenblicklich, sei es individuell – das männliche Bedürfniß überwiegt oder das Begehren der weiblichen Natur. Auch bei dem objectivischen Genuß ist kein bestimmter Modus überwiegend; und zwar deßhalb nicht, weil auch hier ein geschlechtliches Vicariiren aller Körpertheile eintritt, d. i. weil seinerseits auch am U jeder Körpertheil mehr oder minder fähig ist, in sich aufzunehmen die concentrirte magnetische Ausströmung der erotischen Organe des anderen Theils. Die Modus des objectivischen Genusses sind jenem des subjectivischen umgekehrt entsprechend. Die Rollen wechseln. – Scheinbar ganz verschiedenartige Modus gehören, wie zu jenem, so auch zu diesem. Vergl. jedoch noch unten Abschnitt XIV.: »Actives und passives Begehren der urn. Natur.«
§. 22. So erklärt sich denn die große Verschiedenheit der Nachrichten, der historischen wie der neueren, über die Genüsse der Ue. Fast alle entstammen sie dion. Federn und sind von diesen natürlich theils in Folge Unkenntniß entstellt, theils mit Fleiß möglichst zu abschreckenden Beispielen herausstaffirt.
§. 23. Die große Mehrzahl der thatsächlich vorkommenden Genüsse der Ue ferner erscheinen den Du selbst nur als ganz unschuldige Liebesfreuden oder Liebesspielereien und sind ihnen in der That schon bisher gar nicht oder kaum widerwärtig gewesen. Aufrichtige De (ich meine natürlich die nichtbetheiligten) haben mir dies vielfach einbezeugt. Diese Genüsse werden aber von jenen Federn, wie vom heutigen Gerücht, fast systematisch mit Stillschweigen übergangen.
Eine einzige Feder nehme ich aus, die Casper's, dessen nachstehende Worte ich hieher ziehen zu müssen glaube. Er sagt (a. a. O. S. 76.) Uebrigens sind die Gerichtsärzte, mit all' ihrer »Erfahrung«, hier nicht völlig competent. Noch nicht ein Procent der Ue geräth ihnen unter die Hände. Ueberhaupt muß ich mich ein für alle Mal verwahren gegen euere etwaige Idee, aus ihnen über urn. Liebe ein Urtheil schöpfen zu können. Was insonderheit Casper und Tardieu betrifft (die ich bei Vindex und Inclusa leider noch nicht kannte, und gerade früh genug kennen lernte, um bei Formatrix sie nach benutzen zu können): so sind beide in principiellen Irrthümern befangen, (Z. B. in dem, was sie sagen über die Gesundheitszustände der Ue und der Geliebten.) Allein abgesehen davon: wer wollte es wagen, z. B. über dion. Liebe zu urtheilen aus Büchern über weibliche Prostitution, verworfene Dirnen oder über Geschlechtskrankheiten? Denn nur mit solchen Büchern gehen beide parallel. Sie behandeln fast nur die urn. Venus vulvivaga und Prostitution. Nur ungern erwähne ich überhaupt beider. Mir vergeht Hunger und Durst, wenn ich lese, was alles beide Herren in nackter Blöße anstandslos niederschreiben. So maßlos geben sie sich dabei auch ihrem Hasse hin, daß bei gerechteren Zuständen sie ohne Zweifel zur Verantwortung würden gezogen werden wegen Aufreizung zu Haß und Verachtung gegen einzelne Classen.:
»Ich glaube nicht zu irre», wenn ich behaupte, ... daß bei nicht wenigen die unerklärliche geschlechtliche Verirrung sich in den Gränzen eines gewissen Platonismus erhält: eine Ansicht, in der mich namentlich viele Stellen der Cajus'schen Tagebücher
D. i. die sehr ausführlichen und aufrichtigen Tagebücher eines Us (eines Edelmannes von alter Familie, wahrscheinlich des in Inclusa §. 67. erwähnten v. Malzahn) über seine Liebesverhältnisse, Liebesabenteuer, Liebesgenüsse und Empfindungen, die der Berliner Polizei in die Hände gefallen waren. (Der oben §. 6. erwähnte U ist ein anderer.) Ueber den Inhalt dieser Tagebücher sagt Casper (a. a. O. S. 68.):
»
Erstarrend ist der Eindruck, wenn er zutraulich erzählt, wie er noch jetzt an dem N. N. mit Liebe und Verlangen hänge, wie er sich glücklich fühlen würde, wenn er ihn auch nur einmal noch über die Straße gehen sähe.
Erstarrend ist der Eindruck, wenn man die schwärmerischen Epitheta liest, mit denen er seine« (jungen Burschen) »überschüttet, oder die Ergüsse seiner Eifersucht gegen Genossen, die ihm in's Gehege gekommen.«
Einem D mag das alles freilich wohl »erstarrend« sein.
Den letzten Geliebten, dessen das Tagebuch erwähnt, nennt er »den feurigen Karl«. (A. a. O. S. 71.)(Der bei Casper »Graf Cajus« genannte Tagebuchschreiber wird meist mit dem Orientreisenden Heinrich Carl Eckhardt Helmuth von Maltzahn-Tarnow (1826 bis 1874) gleichgesetzt (vgl. M. Hirschfeld, Die Homosexualität des Mannes und des Weibes [1914, Nachdruck 1984] S. 598), doch ist wohl eher an dessen Vater Heinrich Carl Franz Adolf (1793-1851) zu denken; vgl. B.-U. Hergemöller, in: Forum Homosexualität und Literatur 14 (1992) S. 88.) bestärkt haben.«
Diese freiwillige Selbstbeschränkung mag euch allerdings wohl unerklärlich vorkommen. Bei euch selbst seid ihr an dergleichen wohl gar nicht gewöhnt. Vielleicht ist sie euch das unerklärlichste unter dem unerklärlichen.
§. 24. Alles dies gilt jedoch nur von sinnlicher Urningsliebe. Denn nicht jede ist sinnliche Liebe, wie solche vorzugsweise erweckt wird durch Burschen, die durch üppigen und blühenden Körperbau hervorleuchten. (2 Seiten der Geschlechtsliebe. Oben §. 7.)
Es giebt auch rein schwärmerisch-poetische urn. Liebe: die, welche Plato in Gastmahl und Phädrus so begeistert preist, dieselbe, von der ich sprach in Inclusa §. 39. Wir, nicht die De, haben das Recht, von »Platonischer« Liebe zu reden. Diese von Sinnlichkeit freie Liebe, fast möchte ich sie nennen »heilige« oder »bräutliche« Liebe.
§. 25. Sie kommt vor vorzüglich dann, wenn der Geliebte sehr schön ist, von Antlitz und namentlich von Augen schön
So daß, wie
Sadi, der Persische Dichter des 13. Jahrhunderts, U, sagt:
»Solche Schönheit war die Kibla meines Augenstrahls.«
Die Kibla ist das Zeichen in den Moscheen, weiches dem betenden die Richtung angiebt, wo Mekka liegt. Sadi schaute also auf seinen Geliebten, wie ein betender nach Mekka. (»Der Rosengarten des Sadi.« Aus dem Persischen übersetzt, von Resselmann. 1864. S. 200.), mag auch der Liebende andere sinnlich zu lieben disponirt sein; und dann, wenn der Liebende noch sehr jung ist. Des Us erste Liebe wird stets solch' bräutliche sein. Bei bräutlich urn. Liebe wird der sinnliche Trieb nicht sowohl besiegt, als vielmehr: aus einer Art von Umhüllung tritt er gar nicht hervor. Dieser Liebe scheint mir also, so preiswürdig sie ist, immerhin doch eine Art von Unvollständigkeit der Entwickelung anzukleben.
§. 26. Urn. Liebe enthält an sich allerdings beide Stücke, das bräutliche und das sinnliche Element: wie die Pflanze enthält Stamm, Blatt und Blüthe und zugleich Wurzel. Allein ihre Entwickelung pflegt nicht zugleich nach beiden Richtungen hin einzutreten. In ihrer Entwickelung pflegt sie nicht beides gleichzeitig zu sein, sondern nur entweder bräutlich oder sinnlich: und zwar das eine oder das andere entweder ausschließlich oder doch ganz entschieden vorwiegend. Vorhandene bräutliche Liebe wird sogar zerstört durch sinnlichen Genuß. Zeigt sich eine urn. Liebe also schwärmerisch poetisch, ist der Geliebte zugleich sehr schön: so ist mit großer Sicherheit anzunehmen, dieselbe sei frei von Sinnlichkeit. So halte ich z. B. Pindarus' Pindar – Theoxenus: Pindar soll in den Armen des Theoxenos gestorben sein. Vgl. vor allem VII. Memnon, Teil 1, S. XV. Liebe zu Theoxenus, sowie Hadrian's vgl. V. Ara spei S. 89-93 Ulrichs’ Gedicht Antinous wunderbare Liebe zu Antinous, für rein bräutlich.
§. 27. So oft unerwartet ein schöner Bursch in meinen Gesichtskreis tritt, fühle ich mich in dem, was ich gerade vorhabe oder woran ich denke, gar eigenthümlich unterbrochen und gestört: ganz wie durch eine höhere Macht, von der ich mich willenlos abhängig fühle. Oft – z. B. wenn die Störung wieder vorüber ist, der Gesichtskreis wieder frei, und ich wieder zurückkehre zu meinem Ideenkreis – oft kommt mir dann unwillkürlich der Vergleich dieser Erscheinung mit den Störungen der Himmelskugeln im Planetensystem. Tritt der schöne Bursch in die Nähe der Urningsbahn, so tritt für sie eine Störung ein, ähnlich wie sie für die Uranusbahn eintritt, wenn ein Neptun in ihre Nähe tritt. Diese Uebereinstimmung zwischen den Naturgesetzen der Körper und jenen der Seelen zähle ich zu den größesten Wundern der Natur.
§.28. Die Einwirkung ist in dem Maße wirklich Störung meiner Bahn, daß die Unterbrechung meines Vorhabens und meiner Gedanken durch des Burschen Nähe mir oft keinesweges willkommen ist, indem mich vielleicht gerade Lieblingsgedanken, nichterotische, beschäfftigen: ich mich gleichwohl aber unter einer höheren Gewalt fühle, deren Einwirkung auf meine Seele mich wenigstens völlig zu entziehen ich machtlos bin. Ja, selbst dann fühle ich solch' eine Störung, und zwar eine unwillkommene, wenn meine Gedanken bereits auf einen anderen jungen Mann gerichtet sind.
Inclusa §. 12. ff.
§. 29. Rührend und erhebend zugleich ist die Trauer urn. Liebe, mit der ein kaiserlicher U, Hadrian, seinen Geliebten feierte und beweinte, den Antinous, der, wie ein junger Gott, so schön war. Aber die Art der Trauer fand man auf dion. Seite auch bei ihm auffallend, ja, wie die Schriftsteller geradezu sagen, weiblich. Obgleich ich in Hadrian's Lebensbild, wie es Spartianus röm. Historiker, einer der Verfasser der Historia Augusta (siehe oben zu II. Inclusa S. 17): Seinen Antinous verlor er bei einer Fahrt auf dem Nil. Er beweinte ihn wie eine Frau. und Dio Cassius sehr detaillirt zeichnen, im ganzen ziemlich viel männlich scheinende Züge finde, so sagt doch Spartianus (Leben Hadrian's Cap. 14.):
»Antinoum suum, dum per Nilum navigat, perdidit. Quem muliebriter flevit.«
§. 30. Mit einem U, dessen ich schon oft erwähnt habe, der etwa 40 Jahre alt sein mochte, stand ich im Sommer 1863 eines Tags in einer der steinernen Brüstungen der Mainbrücke zu Würzburg. Oft hatte er mir erzählt von einem väterlichen Freunde. Als er mir jetzt aber wehmüthig mittheilte, derselbe sei gestorben, gerieth er ganz in Thränen. Etwas ähnliches habe ich bei Dn noch nicht gesehen. – Auch der D weint, aber, in der Regel wenigstens, unter ganz anderen Voraussetzungen. Vor Wuth weint er, z. B. wenn man ihn gewaltsam hindert, seinen Zorn auszulassen; wie das z. B. in Wirthshausscenen vorkommt, wenn einer Rauferei dadurch vorgebeugt wird, daß man den ersten rauflustigen festhält. So schildert auch Karl Beck in seiner »Jadwiga« (1864) den unterdrückten Groll der Polnischen Männer:
»Ein Auge mit des Zornes Gluth,
Die Faust gekrampft vor stiller Wuth,
Ein düstres Brüten, die Thräne zuletzt,
Die schämig des Mannes Wange benetzt.«
Bezeichnend ist es auch, daß bei euch Männerthränen, d. i. Thränen der Wehmuth, bekanntlich als unmännlich gelten, ja als schimpflich Wem Thränen angeboren sind, dem soll es schimpflich sein zu weinen? Was gilt doch alles bei euch als schimpflich? Machen eure socialen Zustände eigentlich Anspruch darauf, naturgemäß zu sein?.
§. 31. Auch mir kommen bei Gemüthsaffecten, bei erotischen wie nichterotischen, leicht die Thränen in die Augen.
Ich hoffe nicht mein Heiligthum vor die Hunde zu werfen, wenn ich mittheile, daß ich, 31 Jahre alt, bei der Nachricht vom Tode meiner Mutter länger als eine Stunde bitter geweint habe. Etwa fünf Jahre später habe ich einmal am Allerseelentage spät Abends vor einem Kirchhofe, in weiter Ferne von ihrem Grabe, noch in der Erinnerung an sie recht lange geweint.
Höre, sehe oder lese ich eine edle That oder einen Zug rührender Liebe, sei es Geschlechtsliebe, dion. wie urn., oder sei es Mutterliebe, so treten mir sogleich die Thränen in die Augen.
Ich habe oft Liebesgedichte gemacht. Einige sind verstreut in den Forschungen abgedruckt; die meisten scheinen verloren zu sein. Wohl die Hälfte ihrer Manuscripte ist mit meinen Thränen benetzt.
§. 32. Der Athenienser Demetrius Phalereus athenischer Politiker (4. Jh. v. Chr.). Ulrichs zitiert Aelianus (um 170-240), Bunte Geschichten 9, 9 (Übersetzung von Hadwig Helms [1990] S. 119 f.); es fehlt der Satz: »Im Umgang mit Frauen war er zügellos, und auch der Knabenliebe war er nicht abhold«. war U Meier a. a. O. S. 172.174. und die dort angeführten Citate.. Er ließ seinen Fußboden mit Blumen bestreuen, wie jede Jahreszeit sie hervorbrachte, um nur auf Blumen einherzugehen. Sein Haar kräuselte er und gab demselben eine Goldfarbe. Sein Gesicht schminkte er Athenäus lib. 12. pag. 542. Aelianus 9, 9. Aelianus schreibt irrig Demetrius Poliorcetes..
Natürlich haben die De dies, wie gewöhnlich, auch ihm ohne weiteres zur Schande angerechnet.
§. 33. Seit dem Erscheinen der Inclusa hat man zu §. 15. derselben geltend gemacht, auch dieser oder jener D habe als Kind gehäkelt, gestickt oder gar mit Puppen gespielt. Drei De hat man mir dieserhalb genannt.
Allein auch des Ds Virilität variirt, gleich der Muliebrität der Weiber und der Ue, und zwar sowohl der Art wie dem Grade nach. (Inclusa §. 106.)
Und ferner: nicht darauf kommt es an, ob bei einem Individuum eine einzelne seiner Beschäfftigungen männlich oder weiblich sei, sondern darauf, ob dessen Gesammthabitus männlich oder weiblich sei. Dieser Gesammthabitus wird bei jenen drei Dn schwerlich weiblich gewesen sein. Bei dem einen derselben, den ich in seiner Kindheit persönlich gekannt habe, war er entschieden männlich. Die beiden anderen kenne ich nicht.
§. 34. Der weibliche Gesammthabitus ist hin und wieder auch vollständig erkennbar ausgeprägt. Im Jahre 1862 hat in W. ein U aus Fr. in einem ihm ganz fremden Manne, der, wie sich hernach herausgestellt, wirklich U war, feines Habitus wegen einen U sogleich vermuthet.
§. 35. Zum Gesammthabitus aber gehört alles, was ich in Inclusa §. 12 ff. aufgeführt habe, und noch mehr.
So habe ich bei einzelnen Un einen durchaus weiblichen Accent der Stimme beobachtet. Dieser trat bei ihnen aber nicht in Gegenwart von Dn hervor, sondern nur, wenn sie sich unter Un und unbelauscht und unbeobachtet wußten. Unter diesen Voraussetzungen gaben sie sich hin, ungenirt, der gewaltsam unterdrückten Muliebrität Luft machend, einer Art von Heiterkeit und Ausgelassenheit, die Herr Kreisphysicus Frankel, sähe er sie mit an, ohne Zweifel für »läppisch« und der mehrwähnte protestantische Geistliche ohne Frage für »sündhaft« erklären wurde Hat er doch kürzlich meine Unlust an Schneeballwerfen, die er in lnclusa §. 15.17. gelesen, für »sündhafte Feigheit« erklärt. Angeborene Muliebrität für Sünde!. Bei Dn habe ich diese Art von Ausgelassenheit nie gesehen. Dann trat nun auch jener weibliche Accent hervor.
»Ach, meine Nerven!«
rief einer in scherzweise erheucheltem Schreck, als etwa ein Bierglas vom Tisch fiel, mit sichtlichem Behagen diesen weiblichen Ausruf nachahmend, in Kopfstimme, dabei Nacken, Kopf und den ganzen Körper mädchenhaft verdrehend.
»Ach, mein guter Ruf!«
ebenso, als eine Anekdote erzählt ward, die ein wenig frivol war. Einer fächelte sich Kühlung zu mit einem gestickten Taschentuche, so coquet, so albern und so graziös, wie eine ermattete oder eine nervenschwache Schöne, den Kopf hin und her bewegend, ein schmelzendes »Ach!« bald seufzend, bald es nur leise lispelnd, in der Handbewegung und in dem schmachtenden Mienenspiel ganz Dame.
§. 36. Casper, welcher eine Reihe von Un, aber auch von Geliebten, untersucht und beobachtet hat (dem dabei jedoch der große Unterschied zwischen beiden seltsamerweise entgangen ist), verzeichnet bei fast allen Un, die er schildert, weiblichen Habitus. A. a. O. S. 62. 63. sagt er zunächst allgemein:
»Nicht wenige dieser Männer pflegen ein mehr weibisches Aeußere zu haben. Sie sind weibisch eitel in ihrem Anzuge, die Haare in Locken gekräuselt, Ringe bedecken die Finger und Riechwasser werden reichlich verbraucht.«
Sodann folgt Einzelschilderung. Einen vornehmen, früher hochgestellt gewesenen U will er früher stets »würdig gekleidet« gesehen haben, später »geckenhaft« aufgeputzt mit Ringen, Tuchnadeln und Uhrgehängen. Den grauen Kopf bedeckte eine blonde Lockenperücke und in der Hand bewegte er ein wohlriechendes Taschentuch. (S. 63.)
Ein anderer (S. 65.) »benahm sich auf Festen, wie überhaupt im Leben, als Sonderling, behängte sich mit Shawls und Ringen und Ketten.«
Des erwähnten Edelmannes (Cajus; v. Malzahn) Wesen nennt er »weibisch-kindlich«. (S. 67.)
Von einem ferneren sagt er (S. 63. 70.):
» Seine weibisch-weibliche Tournure war schon in seiner Jugend so auffallend gewesen, daß er mir stets verdächtig vorgekommen war. Früher excellirte er als Schauspieler besonders in carrikirten Weiberrollen.«
Alle genannten waren erwiesene Ue. In solchem Grade wird sich Muliebrität bei Dn sicher niemals finden.
§. 37. Tardieu siehe S. 21, Professor der gerichtlichen Medicin zu Paris Ambroise Tardieu: »die Vergehen gegen die Sittlichkeit«, deutsch von Theile. 1860., schildert eine sehr große Zahl von ihm untersuchter Ue. Dabei erwähnt auch er mehrfach des weiblichen Habitus oder weiblicher Beschäfftigungen. Bei einigen fand man z. B. künstliche Blumen, angefangene Häckelarbeiten und Stickereien. (Tardieu S. 183.)
»Oft zeichnen sie sich schon im Aeußeren aus, in Kleidung, Gang und Liebhabereien, worin die naturwidrige Verkehrung ihrer geschlechtlichen Neigungen sich einigermaßen kund giebt.« (S. 140.)
Das ist ein sehr wahres Wort Tardieu's, sobald man nur setzt: »worin die angeborene Exceptionalität ihrer geschlechtlichen Neigungen sich kund giebt.«
Tardieu schildert nun die Ue im allgemeinen so:
»Das Haar frisirt, das Gesicht geschminkt; mit Schmuck beladen, duftend von Parfüms, in der Hand Schnupftuch, Blumen oder eine Arbeit: das ist das auffallende Bild, welches den ... verräth.« (S. 140.)
Dies trifft zu auch in Deutschland bei einzelnen Un, die ich kenne.
Der U Tessié ließ sich gern vom Friseur Locken machen. (S. 141.)
Einen Menschen von 21 Jahren, der sich in Paris den Un prostitutionsmäßig hingab und (wie mir unzweifelhaft ist) selber U war, schildert eine Pariser Gerichtszeitung nach seinem Auftreten vor dem Zuchtpolizeigericht in folgenden Worten:
»Ist das ein Mann? Sein Haar ist gescheitelt. In Locken fällt es über die Wangen herab, wie bei einem gefallsüchtigen Mädchen. Um den Hals trägt er mir ein einfaches Tuch à la Colin. Der Hemdkragen fällt in ganzer Breite auf die Schultern herab. Sein Mund ist süßlich, seine Augen schmachtend. Auf seinen Hüften schaukelt er sich wie ein Spanischer Tänzer. Bei seiner Verhaftung trug er eine Schminkbüchse bei sich.« (Tardieu S. 142.) Er trug den weiblichen Spitznamen » Reine d’Angleterre«.
Das alles führen Gerichtszeitung und Tardieu nota bene lediglich in der Absicht an, um den U um so verächtlicher hinzustellen – was ihnen bei dem großen Haufen der Ungebildeten und der »Gebildeten« auch gelingt –: nicht ahnend, daß sie in Wahrheit ihm dadurch zum Vindex vgl. den Titel der ersten Schrift. werden!
§. 38. Am 5. September 1864 schreibt mir ein U vom Mittelrhein nebenbei: »Neulich sagte eine Schauspielerin von einem, der U ist:
»Er ist ein Kochlöffel!«
Sollte heißen: er näht, stickt etc., kurz: ist wie ein Frauenzimmer.« (Vielleicht kocht er auch.)
§. 39. Nur als Kind Hirschfeld widersprach dem in der Neuausgabe von 1898 (S. 42): »Das Kind hat im allgemeinen weder männlichen noch weiblichen Habitus, es ist neutrius generis. Aeusserlich sind Knaben und Mädchen oft nur durch Haarschnitt, Kleidung etc. zu unterscheiden. Wie die primären Geschlechtscharaktere in der Embryonalzeit, so entwickeln sich auch die sekundären zur Zeit der Pubertät aus der einheitlichen Anlage.« übrigens hat der Urning reinweiblichen Habitus. Ist er erwachsen, so ist sein Habitus weniger der des gewöhnlichen Weibes, als vielmehr der des sogenannten emancipirten Weibes. Dies bewirken einerseits die uns von außen kommende Anerziehung männlicher Manieren, andrerseits unser eigenes Streben, unsere weiblichen Manieren zu verbergen, erzeugt durch die Schande, zu der man solche uns anrechnet. (Inclusa §. 15.) Nur wo diese Ursachen nicht wirksam gewesen sind, wie z. B. bei Blank und Antoninus Inclusa §. 18. §. 108-112. und bei einigen unter den so eben berührten Beispielen, bleibt auch dem erwachsenen U der reinweibliche Habitus, oder beziehungsweise er taucht wieder auf in ihm.
Den U haltet ihr, wenn ihr auf seinen weiblichen Habitus schmähet, für einen verweiblichten Mann. Er ist aber, gleich der Emancipata, ein virilisirtes weibliches Wesen. Er ist nicht muliebrisirt, sondern virilisirt.
§. 40. Ueber das noch nicht mit Sicherheit constatirte Vorkommen eines »Uranismus mit rein männlichem Habitus« vergl. unten Abschnitt XI1. »Urnische Stufen«.
§. 41. Unter Habitus des Us verstehe ich im bisherigen nur den Charakterhabitus, einschließlich der Manieren und des Benehmens im geselligen Verkehr: nicht den Körperhabitus, das männliche oder weibliche Gepräge des Körperbaues. Dieses nämlich ist beim U im allgemeinen völlig männlich. Aber auch selbst hier sind zwei Stücke bei manchem U weiblich:
Auch ein ärztlich untersuchter Zwitter (mit Eierstöcken, aber ohne weibliche Körperhöhle) hatte weiblich gebaute kleine Hände neben entschieden männlichem sonstigem Körperhabitus, neben männlich verkümmerten Brustdrüsen, starkem Bartwuchs an Ober- und Unterlippe und am Kinn und neben männlicher Stimme Maria Tschermak, † 1854. Prager Vierteljahrschrift. 1855. S. 123 ff..
§. 42. Weder zu dem rein körperlichen noch zu dem rein geistigen Habitus zähle ich folgende Stücke:
c) Ich kenne einen U in Frankfurt a. M., dessen Stimme etwa die Mitte hält zwischen männlicher und weiblicher, der weiblichen aber näher steht, oft ganz in dieselbe umschlagend. Bei anderen Un habe ich nur einfach männliche Stimme wahrgenommen; wie solche z. B. auch mir eigen ist.
d) Dagegen hat es mir von je her Vergnügen gemacht, weiß ich mich allein, in Kopfstimme (»durch die Fistel«) zu singen. Weiß ich mich allein, so singe ich gern, nie aber in männlicher Stimme, stets durch die Fistel: obgleich ich in Singvereinen ersten, ja zweiten Baß gesungen habe. Bei Männern findet diese Liebhaberei für weiberartige Kopfstimme meines Wissens nie Statt. Im Gegentheil: sie pflegt ihnen zuwider zu sein.
e) Bei mehreren Un habe ich gefunden, daß sie nicht pfeifen können (»flöten«, wie man in Norddeutschland sagt). Auch ich kann es nicht. Männer pflegen es stets zu können. Einzelne Ue können pfeifen.
Aehnlicher Eigenthümlichkeiten dürften sich noch mehr bei den Un entdecken lassen.
§. 43. Daß diese speciellen Eigenthümlichkeiten gerade bei allen Un vorkommen, glaube ich kaum: ebensowenig, daß einzelne derselben nicht auch bei Dn sollten vorkommen können. Die Natur gefällt sich ja in tausend Abstufungen. Wohl aber vermuthe ich: weit vorwiegend kommen sie vor gerade bei Un, und nur ganz ausnahmsweise bei Dn. (Vergl. unten Abschnitt: »Urnische Stufen«.) Auch dem weiblichen Geschlecht ist ja der weibliche Habitus, dem männlichen der männliche, nur vorwiegend, keinesweges ausschließlich, eigenthümlich. An Charakter z. ;B. ist manches Weib männlicher, als mancher D.
Und ferner: das wenigstens scheint mir constatirt zu sein, daß ein in dem Grade entwickelter weiblicher Habitus, wie er uns bei einzelnen Un begegnet, bei Dn niemals vorkommt. Nicht entgegen stehn: die, ohnehin zweifelhafte, Natur des unten (§.82.) anzuführenden Herzogs und die mir entgegengehaltenen (ebenso zweifelhaften) drei Beispiele in vorstehendem §. 33. Ich meine so ausgeprägte Naturen, wie Antoninus, Blank, und die coguettirenden, die in §. 35. 36. 37. geschildert sind.
Jedenfalls beweist der weibliche Habitus an männlich gebauten Individuen, an Un wie an Dn: daß die Natur mitunter männlich und weiblich mischt.
Vereinzelt giebt es Dioninnen, d. i. Weiber mit Geschlechtsliebe zu Männern, die gleichwohl, verheirathet, ihre Ehemänner beherrschen oder aus freier Vorliebe die Rolle der Emancipata ergreifen. Ebenso kann es ja vereinzelt auch Ue geben mit Stücken des männlichen Habitus und De mit Stücken des weiblichen.
Wir Ue haben durchschnittlich so viel Muliebrität an uns, als die Weiber durchschnittlich Muliebrität, die De durchschnittlich Virilität an sich haben Bei allem weiblichen Habitus übrigens sind wir Ue, meine ich, dennoch ganz manierliche, gesittete und umgängliche Menschen. Ihr braucht euch unter uns nicht etwa eine Art von Seeungeheuern vorzustellen..
§.44. Tardieu sagt (S. 140. 141.):
»Ebenso charakteristisch« (als das sichbeladen mit Schmuck, Blumen, Schminke und Parfüm) »ist aber auch ein anderer Zug, der mir hundert Mal aufgestoßen ist: nämlich die widerwärtigste Unsauberkeit, die mit jener erborgten erborgten? Eleganz und jener äußerlichen Ausstaffirung der Person in grellem Widerspruch steht.«
§.45. Das Factum, die bei einzelnen Uen vorkommende grelle Vernachlässigung der Kleidung, muß ich bestätigen. Aber auch dieses Factum bin ich geneigt ganz einfach, wenn auch nur indirect, aus dem weiblichen Habitus zu erklären. In der Kindheit pflegt der U nach vollständiger Mädchenkleidung zu verlangen. Mancher U auch noch später nach vollständiger Weibertracht. Mancher findet später Wohlgefallen daran, wenigstens noch zu einzelnen Stücken seiner Kleidung Stoffe zu wählen, wie sie thatsächlich gerade von Frauenzimmern gern gewählt werden.
§. 46. So erinnere ich mich folgender Thatsache aus meinem eigenen Leben. Als ich 22 Jahre alt war und längst noch nicht über meine Natur nachgedacht hatte, sollte in meiner Familie ein Hochzeitsfest stattfinden, wozu meine Mutter und meine Schwester sich neue seidene Kleider anfertigen ließen. Aus einer Menge von Proben ward Auswahl getroffen. Ich mischte mich hinein. Ebenso sehr wie die Damen betheiligte ich mich an der Auswahl. Ja, einen dieser Seidenstoffe erkor ich mir zu einer Weste. Trotz aller Widerreden der Damen: »dies sei durchaus kein paßlicher Stoff für Herrenwesten« nahm ich wirklich von jenem Stoff, ließ mir daraus eine Weste machen und habe solche mit Vorliebe getragen.
Einige Jahre später kam nochmals etwas ähnliches vor. Bei einer Dame fand ich die Probe eines eleganten Seidenstoffes. Ich erbat sie mir. Mit der Probe ging ich zum Kaufmann, um mir von diesem Stoff Zeug wiederum zu einer Weste zu nehmen. Von diesem Stoff hatte er nicht mehr vorräthig. Von ihm befragt, nach einigem Zögern, nannte ich ihm meinen Zweck. Da legte er mir »Stoffe zu Herrenwesten« vor. Diese habe ich sämmtlich entschieden verschmäht. Ich forderte ausdrücklich der Probe ähnliche Stoffe. Unter den mir nun vorgelegten Stoffen gefiel mir ein äußerst zartes blaßgrünes Seidenzeug. Wiederholt bemerkte dazu der Kaufmann: »Ich möchte Ihnen doch mehr rathen zu jenen Stoffen« und: »Dieser Stoff eignet sich wenig zu Herrenwesten« und: »Es ist ein Stoff zu Ballkleidern für Damen«. Allein er fand taube Ohren. Ich ließ mich nicht irre machen. Ich kaufte wirklich von dem Stoff ein Quantum zur Weste.
§. 47. Ebenso erschien ich auf Bällen mehrmals mit orangegelbem oder kirschrothem seidenen Halstuch, was allgemein auffiel.
§. 48. Und ferner: ich besitze zwei goldene Ringe, einen Herrenring, der freilich etwas zu sehr verziert ist für einen Herrenring, und einen offenbaren Damenring, besetzt mit einer Krone von Granaten und Perlen. Mit Wohlgefallen habe ich stets den letzteren getragen.
§. 49. Hieraus dürfte hervorgehen, daß ich allerdings Geschmack finde an Eleganz, aber an Eleganz in weiblichem Stil.
§. 50. Ferner ist es Jahre lang mein sehnlichster Wunsch gewesen, eine Zeit lang Soldat zu sein, habe auch mehrmals wirklich Schritte dazu gethan, um auf kurze Zeit freiwillig einzutreten. In dem Gedanken, Soldat zu sein, war ich glücklich. Nachts träumte mir schon davon, Honneur zu machen etc. Es war freilich nicht Mannesmuth, was mich dazu trieb, sondern der Wunsch, einmal in den Waffen und in der Uniform derer zu stecken, welche am meisten Liebessehnsucht in mir erregt hatten.
So ist es auch lange Jahre hindurch mein Wunsch gewesen, einmal in Soldatenuniform gekleidet mich photographiren zu lassen.
Was hieher gehört, ist folgendes. Mit dem Gedanken, bald Soldat zu sein, in welchem ich schwelgte, war stets verflochten der Gedanke, in der Soldatenuniform stets so elegant einherzugehen wie nur möglich. Wäre ich wirklich Soldat geworden: in der Uniform wäre ich sicher der ärgste Stutzer und Elegant gewesen.
Also auch in diesem Stil die Anlage zu Eleganz.
§. 51. Wie aber in der mir aufgezwungenen Herrentracht? Wie oft hat man mir zum Vorwurf gemacht, daß ich mein Aeußeres allzu sehr vernachlässige! Ich muß auch gestehen: an der mir aufgedrungenen Männertracht finde ich durchaus nichts, was meinen Geschmack und meine Eitelkeit reize. Kein neuer Herrenrock, kein Herrenhut, und wenn auch nach der neuesten Pariser Façon, hat je mir das Gefühl der Freude abgewonnen. Was Wunder also, daß ich niemals den geringsten Sporn in mir empfand, in dieser mir so langweiligen Tracht mich elegant zu kleiden? Ich meine, dies wird jedem unbefangen prüfenden einleuchten.
§. 52. Wenn einige Ue sich nun gleichsam entschädigen durch grellen Putz mit seidenen Tüchern und sonstigem Schmuck: so finde ich, nach dem erzählten, auch darin gar nichts auffallendes, wenn andere dies ungenügend finden und deßhalb in gänzliche Vernachlässigung der Männertracht verfallen: ja wenn an ein und demselben U beide Erscheinungen vorkommen.
§. 53. Diese gänzliche Vernachlässigung der Männertracht betrachte ich übrigens als ein Zeichen von Selbstständigkeit des urn. Charakters, als ein sich-nicht-beugen unter die Gesetze ober Launen der dion. Mode und des dion. Herkommens.
Inclusa §. 101-104.
§. 54. Zu einem mir befreundeten U hat ein ihm befreundeter D gesagt:
»Dein weiblich mildes Urtheil ist mir stets so wohlthuend.«
§. 55. Ein durch Schmerz niedergebeugtes Weib wird an der Trostrede einer Freundin weniger Trost finden, als an der eines Freundes, namentlich eines geliebten: auch wenn er sich nur derselben Trostworte bedient, wie jene.
Ganz dasselbe wird der Fall sein beim U, wenn er der Stärkung bedarf und entweder ein Weib oder ein U oder aber ein D ihm Trost einspricht.
§. 56. Ich sprach von dem weiblich zarten Charakter der empfindungsreichen urn. Poesie und von der Anziehung, die sie auf De ausgeübt hat. Diese Anziehung muß stattfinden, wenn Göthe Recht hat:
»
Das ewig weibliche
Zieht uns hinan.«
Goethe, Faust, Schluß von Teil 2 (Verse 12 110 f.) Suidas: siehe zu II. Inclusa S. 26.
Daß einen Mann weibliches Wesen anzieht, überall, wo es in seiner Blüthe und Reinheit sich ihm darstellt, ist Naturnothwendigkeit. Dieser Anziehung kann er sich gar nicht entziehen.
Für uns und Weiber aber gilt dem gegenüber:
»Das ewig männliche
Zieht uns hinan.«
Inclusa §. 90.
§. 57. Auf Grund des in §. 90. gesagten, d. i. wegen der drei Mängel der urn. Liebe, stehe ich nicht an, ausdrücklich einzuräumen:
Die dion. Liebe ist eine weit vollkommnere, als die urn.
§. 58. Daneben freilich halte ich fest, daß letztere in folgenden Stücken der dion. gleichsteht:
§. 59. Ja, ich meine, daß sie in einigen Stücken die dion. sogar noch übertreffe:
a. An Innigkeit, Zartheit und Opfermuth. (Inclusa §. 28. und Nemus sacrum.)
b. Der edle urnische Trieb hat, wo er zu freier Entfaltung gelangte, wie z. B. im alten Griechenland und Rom, auch sonstige edle Blüthen getragen: wie mir scheint edlere, als je dion. Liebe sie trug. Zu Plato's bewunderten Werken, Gastmahl und Phädrus, hat ihn begeistert ein Ideenaustausch mit seinem Geliebten. Was vermögt ihr dem an die Seite zu setzen? Welche Ideen werdet ihr je von euren social-unfreien Weibern eintauschen?
Eine Heldenschaar, die durch Liebe begeistert ist, wie der Thebaner heilige Schaar, ein solches Wunder ist der Dionäismus seiner Natur nach zu erzeugen unfähig, weil nur beim Uranismus Liebender und Geliebter mit einander in die Schlacht ziehen können. Beide nebeneinander fochten, der eine kämpfte für den anderen, der eine starb für den anderen, neben einander lagen sie oft im Tode; so daß selbst Dioninge den Anblick genannt haben:
»ϑέαμα ἔνδοξόν τε καὶ ὑπερήφανον« »Dein Anblick groß und erhaben«. Suidas unter dem Wort Παιδινῶν.
a. Unerzeugbarkeit urnischer Liebe durch die Willenskraft.
Inclusa §. 43-48.
§. 60. Unser weiblicher Liebestrieb ist ein Stück unsres geistigen Organismus, ein integrirender Theil des Individuums, wie der Geschlechtstrieb stets ein nothwendiger Bestandtheil ist des zu gesunder Entwickelung gelangten Individuums.
§. 61. In zwei gerichtlich-medicinischen Aufsätzen In Friedreich's Blättern für gerichtliche Medicin. Nürnberg 1864. betont Dr. Buchner des Individuums Selbstbestimmungsfähigkeit. Diese ist bei uns in Rücksicht unserer Liebesrichtung entschieden nicht vorhanden.
§. 62. Sobald ihr eure Vernunft zu Rathe zieht, und erwägt, was ich Inclusa §. 43-48 vorgetragen habe, werdet ihr unmöglich annehmen können, urnische Liebe sei dadurch entstanden, daß der Urning von der Natur abgewichen sei; daß er seinen Liebestrieb von Weibern umgelenkt habe auf Männer.
§. 63. Ueberhaupt bitte ich zu erwägen, daß ja keinesweges allein unser körperlicher Organismus von der Natur geschaffen ist, sondern auch unser geistiger. Unser geistiger Organismus enthält z. B. unsere Fähigkeit, bestimmten Ereignissen gegenüber zu hoffen, zu wünschen, Freude, Kummer, Schreck, Angst zu empfinden, und unsere Fähigkeit, bestimmten anderen menschlichen Individuen gegenüber entweder nicht-geschlechtliches Wohlwollen zu empfinden, als Mutterliebe, Kindesliebe, Freundschaft, oder aber geschlechtliche Liebessehnsucht.
Ist denn das alles unser eigenes Werk? Ist es Werk unserer Erwägung, unseres Entschlusses und unserer Willenskraft? Ist alles dies nicht vielmehr Werk der Natur, der tiefverschleiert schaffenden, die nicht nur unsren körperlichen Organismus schuf, sondern auch unsren geistigen?
Wie könnt ihr denn nun annehmen, die Richtung unserer Liebessehnsucht sei unser eignes Werk?
§. 64. Und ferner: Eure Annahme möchte noch einen Schein für sich haben, wenn die urn. Liebe eine vollkommnere wäre, bei der der Liebende es bequemer hätte, zum Genuß zu gelangen, als bei der dion. Nun aber ist gerade das Gegentheil der Fall. Sie ist eine von vielen Mängeln begleitete.
Ihr fehlt das Glück der Gegenliebe. Wahrhaft qualvoll ist das Bewußtsein: »Der, den du liebst von ganzer Seele, gerade der fühlt Horror vor deiner Liebe«. Auf ihr ruht die ganze Last der Verfolgung und der Infamirung durch die öffentliche Meinung. Sie ist unfruchtbar und somit absolut unfähig, jemals das Glück der Familie in ihrem Gefolge zu haben. Absolut unfähig des Glückes der Familie? Wehmüthiger Gedanke! Ein D, der in Vindex unbegreiflicher Weise nicht Rechtfertigung, sondern Propaganda, urnischer Liebe fand, erklärte mir: »Meine Kinder! die Freude meines Lebens!« Das fühle ich ihm ganz nach. Sie ist endlich begleitet von körperlicher Disharmonie.
Und ihr wollt im Ernst annehmen, einer der eurigen, ein D, werde je aus freien Stücken eine solche Liebe gewählt haben? freie Wahl sei der Entstehungsgrund des Uranismus?
b. Unmöglichkeit, urnische Liebe in dionische umzulenken.
Inclusa §.49.
§. 65. Kraft unsrer weiblichen Natur ist es uns, wie mir scheint, absolut unmöglich, oder doch sehr schwer, den Entschluß zu fassen, unsren weiblichen Liebestrieb zu Männern umzuwandeln oder umzulenken in männlichen Liebestrieb zu Weibern.
Ebenso unmöglich würde es sein, diesen Entschluß, angenommen, wir hätten ihn gefaßt, auszuführen.
Durch Selbstzwang erzwungene solenne Umarmung eines Weibes namentlich ist erfahrungsmäßig durchaus unwirksam als Mittel zu diesem Zweck.
Ebensowenig liegt in der Willenskraft an sich ein Mittel der Ausführung.
§. 66. Damit ist nicht zu verwechseln, daß es dem U auf dem Wege des Selbstzwanges allerdings möglich ist, den Entschluß zu fassen, ein Weib rite zu umarmen: wir denn einzelnen Uen, nicht allen, auch eine Ausführung dieses Entschlusses, eine maschinenartige, auf gleichem Wege möglich ist.
Mehr als diesen Entschluß scheint mir der Vindicta § 36. erwähnte U nicht gefaßt zu haben: nicht den Umwandlungsentschluß.
c. Uns angesonnene Versuche, den Trieb umzulenken, und Unnöthigkeit solcher Versuche bei euch.
§. 67. Einem D erzählte ich, schon im Augenblick seines ersten Erwachens sei in mir der Liebestrieb gerichtet gewesen auf das männliche Geschlecht.
Er: »Damals wäre es Zeit gewesen für Sie, Sich zu bezwingen und ihm die Richtung auf das weibliche Geschlecht zu geben.«
Häufig ferner empfehlen De Uen eine solenne Umarmung eines Frauenzimmers, einen »gesunden Beischlaf«, wie sie sagen; dabei ihre feste subjective Ueberzeugung aussprechend, dadurch werde der urn. Trieb dionisch werden.
Noch andere haben von einer bloßen Badekur Hirschfeld merkt in der Neuausgabe von 1898 (S. 53) an: »Neuerdings wird mit besonderem Nachdruck die Hypnose als Heilmittel der konträren Sexualempfindung empfohlen, lieber die Erzielung von Dauererfolgen sind die Ansichten der Gelehrten indess jedoch sehr geteilt.« mit bestimmter Diät diese Triebes-Umwandlung erhofft.
§. 68. Es ist aber doch auffallend, daß bei euch derartige Experimente unnöthig sind. Eure Liebe ist auf Weiber gerichtet, ohne daß ihr versucht habt, eurem Liebestriebe eine Zwangsroute zu geben, ehe ihr in weiblichen Armen Liebe genossen habt, und ohne daß ihr in's Bad gereist seid. Ganz von selbst, ganz ohne alle eigene Mitwirkung, ist euch die Liebe zu Weibern gekommen.
Dieser Unterschied zwischen uns und euch ist, meine ich, gerade ein Beweis, daß wir von Natur anders geartet sind, als ihr.
§. 69. Jener D sprach in einem Tone, als wäre das bezeichnete sich-selbst-bezwingen meine Pflicht gewesen. Ich aber kenne keine Pflicht, zu versuchen, die angeborne Richtung des Liebestriebes gewaltsam umzukehren.
§. 70. Aehnlich verhält es sich mit der Idee eines Ds zu Leipzig, der mir am 23. Juli 1864 schrieb, wir Ue seien vielleicht »befangen auf einer Stufe zur Liebe«: etwa als ob urn. Liebe sich mit der Zeit von selbst, ohne Badekur, in die dion. umlenken werde. Ihr gelangt aber doch direct zur Weiberliebe. Von einer urn. Neigung, als Zwischenstufe zwischen Nichtliebe und Weiberliebe, ist bei euch bekanntlich nicht die Spur zu finden. Faßt ihr also unseren Uranismus auch nur als Zwischenstufe: so anerkennt ihr damit doch schon unsere von euch abweichende Natursingularität, und so hat ferner doch der Uranismus so lange seine Rechte, als er der angeblichen Zielstufe nicht Platz gemacht hat.
d. Gegensatz zwischen Liebengenuß und der nackten Triebesbefriedigung, welcher die erotische Ergänzung fehlt.
§.71. Ihr nehmt an, an jungen Männern genieße der U mechanischen kalten Genuß. Genuß an jungen Männern aber seht ihr ihn erstreben. Also müßt ihr ferner annehmen, er erstrebe mechanischen kalten Genuß.
§. 72. Diese zwiefache Annahme indeß könnt ihr selber euch widerlegen.
Mindestens den mechanischen Genuß müßte doch auch das Weib ihm gewähren. Gleichwohl seht ihr ihn den Genuß an Weibern, selbst an den blühendsten und schönsten, beharrlich meiden.
Also muß der Genuß an jungen Männern ihm doch ein höherer sein, als der an jungen Weibern, mithin auch ein höherer, als der mechanische kalte Genuß.
Und weiter, wäre der U zufrieden mit mechanischem Genuß, so würde er doch auch an Weibern Genuß aufsuchen. Er meidet sie aber. Also muß er doch einen höheren Genuß erstreben und mit dem mechanischen nicht zufrieden sein.
§.73. Der Zustand subjectiver Liebesbedürftigkeit eines Individuums ist zu unterscheiden von der erotisch-geschlechtlichen Anziehung, die ein bestimmtes anderes Individuum auf dasselbe ausübt.
Die subjective Bedürftigkeit kann eintreten in absoluter Einsamkeit, auf wüster Insel: die erotische Anziehung ohne Hinzutritt eines zweiten Individuums nicht.
Das Gefühl, welches ein anziehendes Individuum in dem angezogenen erweckt, ist eben Liebe. Das Gefühl, von einem anderen Individuum geschlechtlich angezogen zu werden, ist geschlechtliche Liebe.
Dieses Angezogenwerden setzt aber voraus jenen Zustand subjectiver Bedürftigkeit. Liebe ist also stets eine irritatio duplex. Wer liebt, liebt »meinetwegen und deinetwegen.«
§. 74. So ist auch jeder geschlechtl. Genuß in den Armen des anziehenden Individuums eine satiatio duplex; Liebesbefriedigung, Liebesgenuß. Liebesbefriedigung ist zu unterscheiden von der nackten Triebesbefriedigung. Letztere, die Befriedigung der bloßen subjectiven Bedürftigkeit, ist satiatio simplex. Liebesbefriedigung ist zwar Triebesbefriedigung, aber nicht nackte, nicht die einer Ergänzung entbehrende, sondern jene Befriedigung des Triebes, welcher die nothwendige Ergänzung zu Theil wird durch das Gefühl, von dem Individuum, das den Genuß gewährt, auch zugleich erotisch angezogen zu werden. In der Liebesbefriedigung ist Triebesbefriedigung enthalten.
§. 75. Nur Triebesbefriedung, nur satiatio simplex, genießen der Uraniaster, der Thierbenutzer und der Onanist. Ihrem Genusse fehlt die Ergänzung durch geschlechtl. Liebe. Ebenso empfinden sie vor der Befriedigung auch nur irritatio simplex. Ihre geschlechtl. Aufregung ist nur die subjective Bedürftigkeit, eine Aufregung nur »meinetwegen«, nicht auch »deinetwegen«.
§. 76. Der Urning dagegen empfindet irritatio duplex und genießt satiatio duplex, weil in ihm, dem subjectiv liebesbedürftigen, der junge D wahre geschlechtliche Liebe erweckt. Bei ihm findet die erotische Ergänzung Statt. Sein Genuß ist also nicht ein mechanisch kalter, sondern ein höherer. Sein Genuß ist wahrer voller Liebesgenuß.
Der U steht mithin auf Einer Linie nicht mit Uraniaster, Thierbenutzer und Onanist, sondern mit Weib und Dioning.
e. Dionischer Einwand.
§. 77, Der Vindicta, Vorbericht p., bezeichnte D hat mir eingewandt:
»Eine frühzeitige unregelmäßige Befriedigung wird die ganze Natur des Menschen umgewandelt haben«.
Ich erwiedere:
a. Zunächst wird die Voraussetzung des Einwands durch nichts unterstützt: die Voraussetzung einer so großen Wirksamkeit frühzeitiger unregelmäßiger Befriedigung. Der Einwand ruht rein auf subjectiver Hypothese. Tausend Fälle dagegen beweisen im Gegentheil, daß junge De auch trotz in zartester Jugend mit Männern geübter Acte ihre dion. Triebe unverändert beibehalten haben.
b. Bereits Inclusa §. 91 b. habe ich gesagt: Diese Wonne beginnen wir an jungen Männern mit Eintritt der Pubertät zu empfinden, und zwar ehe wir den mindesten Liebesgenuß an einem jungen Manne geschmeckt haben.
c. Ueber die dreifache Frage scheint der einwendende nicht nachgedacht zu haben: wie in Folge unregelmäßiger Befriedigung in einem geborenen D denkbarerweise sollte entstehen können:
α) zarte, innige, wahre Liebessehnsucht zu jungen Männern,
β) weiblicher Habitus,
γ) die Concentrirung der erotischen Anziehungskraft des jungen Mannes in seinen zum Genuß doch ganz unbrauchbaren Liebesorganen? (Oben §.9ff.).
Diese drei Erscheinungen als Wirkung unregelmäßiger Befriedigung anzunehmen, würde doch jedenfalls der Vernunft widersprechen.
d. Des Us weiblicher Habitus zeigt sich, als etwas ganz characteristisches, schon in seiner allerfrühesten Kindheit, wenn au Liebesbefriedigung noch nicht entfernt gedacht werden kann.
§. 78. Doch angenommen übrigens, ihr setzt euch in der Idee fest, die Männernatur sei wirklich in dem Grade schwächlich, daß sie durch irgend eine äußere oder mechanische Einwirkung umgewandelt werden könne in Weibernatur: und zwar vollständig umgewandelt, ja so vollständig, daß es eine Rückumwandlung nicht mehr giebt (beim uns ist eine Umwandlung in Dioningsnatur unmöglich). Ist aber die Männernatur in solchem Grade elastisch oder verflüchtigungsfähig: dann könnt ihr, meine ich, von keinem im Ernst noch eine Verantwortung darüber fordern, wenn ihm seine Männernatur abhanden gekommen ist! Dann wird euer Widerspruch gegen meine Forderungen fast ebenso (oder ganz ebenso) hinfällig, als wenn ihr das von mir behauptete ursprüngliche Angeborensein einräumt. Außerdem läge in solcher Umwandlung der Männernatur in Weibernatur eine ebenso große naturgeschichtliche Merkwürdigkeit, wie in dem ursprünglichen Angeborensein.
§. 70. Ganz unvermuthet finde ich das Zeugniß des erwähnten Berliner Gerichtsarztes Casper, welcher eine große Anzahl gerichtlicher Urningsfälle zu untersuchen hatte und (a. a. O. S. 62.) rückhaltlos und unumwunden erklärt:
» Die geschlechtliche Hinneigung von Mann zu Mann ist bei vielen Er sagt: bei vielen dieser » unglücklichen«. Ich bitte euch dringend, einmal aufzuhören mit diesem Geschwätz. Unglücklich sind wir nur, weil eure Verfolgung und Beschimpfung uns unglücklich macht. (Gebt uns nur Gerechtigkeit: der Krokodilthränen eures Mitleids bedarf es dann nicht mehr. angeboren.« Bei Casper heißt es: »... ist bei vielen Unglücklichen – ich vermuthe aber bei der Minderzahl – angeboren ...« (Daneben nimmt er nämlich noch eine andere Entstehungsursache an: Uebersättigung am Genuß des Weibes). Consequenzen zu ziehen aus dem Angeborensein zu Gunsten der gebornen Ue, fällt ihm freilich im Traume nicht ein. Im Gegentheil, an einer anderen Stelle (a. a. O. S. 58.) ist es ihm ein Gräuel, daß auf urn. Liebe nicht mehr Todesstrafe, noch auch nur irgend eine andere recht schwere Strafe, gesetzt sei, daß namentlich das Preußische Strafgesetz von 1851 nur noch Gefängniß von 6 Monaten bis zu 4 Jahren drohe. »Wenn diese Milderung so fortgeht«, ruft er verzweifelnd aus, »so werden zur Zeit unserer Urenkel solche Gräuel vielleicht schon gar nicht mehr gesetzlich geahndet werden!« Hirschfeld merkt in der Neuausgabe von 1898 (S. 58) an: »Schon der Nachfolger Caspers Liman gelangte zu dem entgegengesetzten Standpunkt, indem er am 15. Januar 1879 als gerichtlicher Sachverständiger erklärte: ›Die bestehenden strafgesetzlichen Bestimmungen gegen Päderastie kann ich nur noch als vorübergehende ansehen. Ich halte den Zeitpunkt für nicht fern, in welchem derartige Strafen aus unseren Gesetzbüchern schwinden werden‹.«
§. 80. In Inclusa schilderte ich das im Urning vorhandene Gemisch von männlich und weiblich so vertheilt: »Körper männlich, Liebestrieb weiblich, Gemüthsart weiblich.« Aber die räthselhaft waltende Natur mag männlich und weiblich auch noch anders mischen.
1. Uranodionäismus.
§.81. So kann ich mich namentlich nicht länger versperren gegen die sich mir aufdrängende Ueberzeugung, daß es Doppelnaturen giebt, welche für Männer wie für Weiber Liebe empfinden. Nero's und Commodus Doppelliebe dürfte durch die Klassiker hinlänglich beglaubigt sein. Nach seinen Liebesgedichten an Lydia und Ligurinus zu schließen, scheint auch Horaz hieher zu gehören. Auch aus der Gegenwart kenne ich Beispiele. Einer (aus dem nördlichen Kurhessen) trägt an Körper wie an Gemüthsart einen ausgeprägt männlichen Geschlechtshabitus. Er liebt Mädchen wie Burschen, weit überwiegend jedoch Burschen. Eines anderen (eines Bayern) Gemüthsart und Benehmen ist weiblich, wenngleich nicht gerade von entschiedener Ausprägung. Derselbe war in seiner Jugend verheirathet mit einem jungen und sehr schönen Frauenzimmer, welche sehr früh starb. Dieselbe will er innig geliebt haben. Jetzt liebt er, und zwar wie mir scheint mit wirklicher Liebe, Burschen, namentlich Soldaten. Er liebt sie noch, wenn sie schon etwa 25 Jahre alt sind
Dieß ist mehrfach bei Uen der Fall. Mir sind sie am gefährlichsten im Alter von etwa 19-23 Jahren.. Ein dritter (in Norddeutschland, in B.), männlichen Benehmens, liebt beides gänzlich mischweise. Ein vierter, am Main, und
daher, nicht ausgeprägt männlichen Benehmens
vielleicht ein privater Scherz? Hirschfeld änderte 1898 (S. 60) zu »... am Main zu Hause, nicht ausgeprägt männlichen Benehmens«., will als sehr junger Mensch einen oder einige seiner Mitschüler sehnsüchtig geliebt haben, jetzt aber nur für Weiber Liebe fühlen
Dieser erzählte mir, folgenden Nächtlichkeitstraum gehabt zu haben: »Eine Rinderheerde begegnete mir. Eine Kuh aus derselben kam auf mich zu. Sie hatte plötzlich eine Hand und berührte mit derselben mein Organ. In diesem Augenblick erfolgte die Nächtlichkeit.«. Ueber einen fünften, einen Nichtdeutschen, siehe unten §. 97. Nero's Habitus scheint weibliche Züge an sich gehabt zu haben. Nach Dio Cassius wenigstens ward er mehrfach als »Weib« oder als »weibisch« geschmäht. Doppelliebe soll namentlich im Orient sehr häufig vorkommen. Auch aus Frankreich wird von ihr gesprochen im vorigen Jahrhundert in den bekannten Briefen der Herzogin von Orleans.
Elisabeth Charlotte (Liselotte) von der Pfalz, Gemahlin des Herzogs Philipp I. von Orleans (›Monsieur‹), Bruder Ludwigs XIV.
Hirschfeld merkt in der Neuausgabe von 1898 (S. 60) an: »Auffallend ist es, dass Ulrichs hier nicht Julius Cäsar nennt, dem u. a. Sueton, Calvinus, Licinius, Cicero Doppelliebe nachsagen; Curio, der ältere, sagt von ihm, ›er sei der Mann aller Weiber, das Weib aller Männer gewesen‹.« Siehe aber zu VI. Gladius furens S. 23..
2. Dionäismus mit weiblichem Habitus.
§.82. »Körper und Liebestrieb männlich, Gemüthsart und Habitus vollständig weiblich«. Von dieser Mischung werden mir zwei Beispiele aus neuerer Zeit mitgetheilt, beide ... Herzogshäusern angehörend Daß Deutsche Fürstenhäuser Ue hervorgebracht, davon sind aus diesem und dem vorigen Jahrhundert etwa sechs Beispiele nachzuweisen.. Der eine von den beiden soll sich Tage lang in seinem Schlosse eingeschlossen haben, um nach Gefallen in Weiberkleidern darin umherzugehen. Gleichwohl soll er in der Liebe rein D gewesen sein. Er war wenigstens verheirathet und einer seiner Söhne ziert jetzt einen ...-Thron. Der andere, noch lebend, daher besser nicht näher zu signalisiren, wird mir bezeichnet als ein »widerliches Weib in Männergestalt«. Dieser hat früher Maitressen gehalten. Doch scheint er auch für seine Kammerdiener gefühlt zu haben, also zu den doppelten Naturen zu gehören. Sollte nicht der erste vielleicht einfach ein verheiratheter U gewesen sein, den seine Stellung zwang, seine urn. Triebe zu unterdrücken?
Daß dagegen manches Ds Gemüthsart unmännlicher ist, als die seiner Gattin, beweisen hinreichend schon die zahlreichen bekannten Erzählungen von dem Pantoffel. Aber auch in Manieren und im Benehmen beim geselligen Verkehr scheint manchem D in einzelnen Stücken weiblicher Habitus eigen zu sein. Ich habe vereinzelt davon gehört. Vergl. oben §. 33. u. 43. Daß eines Ds in ... im Königreich Hannover ganzes geselliges Wesen weiblich-sanft sei, ist mir von gegnerischer Seite behauptet worden. (Für seiner Dionäismus ward indeß nur sein Verheirathetsein angeführt.) Jedenfalls dürften solche Fälle äußerste Seltenheiten sein. Auch differiren sie noch weit von dem Habitus eines Blank, eines Antoninus und der oben erwähnten coquettirenden Ue.
3. Uranismus mit männlichem Habitus.
§. 83. Auch folgende Mischung wird mir gegenüber behauptet: »Körper männlich, Liebestrieb weiblich, (also U), Gemüthsart und Habitus aber männlich«. Denkbar ist diese Mischung: gefunden habe ich sie bisher nicht, namentlich auch nicht an dem, der mir zum Beweis für ihr Vorkommen sich selbst vorstellte. Gefunden habe ich nur Ue mit Muliebrität geringen Grades, noch nicht dagegen ohne alle Muliebrität. Meine Theorie von dem weiblichen Element der Ue nahm mir jener fast übel.
»Männer sind wir!«
sagte er. In Folge der mir anerzogenen Virilität und der mir gegebenen männlichen socialen Stellung habe auch ich mich lange gesträubt, meine eigene Muliebrität anzuerkennen. Erst als ich mich nicht länger der neuen Ueberzeugung verschließen konnte, habe ich anerkannt. Er ist aus Mitteldeutschland. Sein Auftreten erschien mir allerdings ziemlich männlich. Allein er selbst anerkannte, als Kind den Umgang der Mädchen gesucht zu haben. Auch habe er mit Puppen gespielt. Ein D habe neuerdings sogar zu ihm gesagt:
»Ihr weiblich mildes Urtheil ist mir stets so wohlthuend.« (oben §. 54.)
Dennoch wäre es Unverstand von mir, es leugnen zu wollen, das Vorkommen von Uen ohne alle Spur von Muliebrität in Gemüth und Habitus.
»Männer sind wir!«
würden übrigens selbst diese nicht auszurufen befugt sein, weil die auch ihnen angeborene Liebe zum männlichen Geschlecht ja eben ein Stück Weiblichkeit ist.
4. Weiblicher Uranismus.
Inclusa §. 80. Note.
§.84. Von Weibern mit männlichem Liebestrieb – weib-weibliche Liebe, weiblicher Uranismus – liegen mir jetzt so zahlreiche und so beglaubigte Beispiele vor, dass mir die thatsächliche Existenz des weiblichen vollkommen so verbürgt erscheint, wie die des männlichen Uranismus.
Primaire und secundaire Bildnerin des Embryo. Zwitternatur des primairen Embryo. Umformungs-Aufgabe der secundairen Bildnerin, damit der Embryo nicht gelange zum »Urbild des Menschen«. Mißlungene Umformung.
Inclusa §. 6-11.
»Das Buch der Natur ist so groß, daß noch kein Mensch es ganz durchgelesen hat.«
§. 85. Wer wird den Muth haben, es für undenkbar zu erklären:
die tiefverborgene Entwicklerin der Embryonen, die Natur, habe in einzelnen Individuen die beiden Keime des Geschlechtsorganismus, den körperlichen und den geistigen in divergirenden Richtungen entwickelt: den körperlichen in männlicher, den geistigen aber in weiblicher?
§. 86. Bei Heranbildung des Embryo durch die natura formatrix dürfen wir, wie mir scheint, gewissermaßen unterscheiden zwei der Zeit nach auf einander folgende Naturen, zwei Bildnerinnen: eine primaire und eine secundaire.
Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, welcher etwa in die zwölfte oder dreizehnte Woche des embryonischen Daseins fällt, waltet über dem Embryo körperlich wie geistig die primaire Natur. Alle Embryonen bildet sie heran nach ein und derselben Schablone. Alle rüstet sie aus durchaus uniform, nämlich:
§. 87. Mit dem bezeichneten Zeitpunkt nun wird von der primairen Natur das Werk ihrer Hände gleichsam abgetreten an die secundaire Natur, gewissermaßen an eine zweite Künstlerin. Diese nun (wie es fast scheint, wegen der Fortpflanzung der Gattung) stellt sich die complicirte Aufgabe:
aus dem vorgefundenen Zwittergeschöpf ein geschlechtlich einheitliches herauszuarbeiten: ein rein männliches Geschöpf oder ein rein weibliches.
Körperlich wie geistig ist das vorgefundene Geschöpf ein Zwittergeschöpf: körperlich wie geistig will sie es umschaffen zu einem geschlechtlich einheitlichen.
§.88. Diese allgemeine Aufgabe, die sie sich stellt, zerfällt in drei Einzelaufgaben.
A. Umschaffung des körperlichen Geschlechtsorganismus.
Einzelaufgabe α: mit ihren körperbildenden Händen aus dem ihr überkommenen Geschöpf körperlich- doppelter Geschlechtsorganisation herauszuformen ein Geschöpf körperlich einfacher Geschlechtsorganisation: entweder einen Knaben oder ein Mädchen.
Zu dem Ende bringt die zweite Natur die vorgefundenen Geschlechtsorgane gleichsam unter männliche oder weibliche Prägform. Insonderheit bat sie:
§. 89. Das von der primairen Natur ihr überkommene Zwittergeschöpf trägt nun aber in sich auch eines geistigen Lebens schlummernde Keime, namentlich:
Jeden primairen Embryo kann die zweite Natur nach Gefallen entwickeln:
α) zu einem Manne (Dioning)
mit männlichen Geschlechtsorganen und männlichem Geschlechtshabitus am übrigen Körper, mit männlichem Stimmorgan und Bart,
sowie mit männlichem Liebestrieb und männlichem Geschlechtshabitus im Charakter.
β) aber auch zu einem Weibe (Dioningin, Dionin)
mit weiblichen Geschlechtsorganen und weiblichem Geschlechtshabitus am übrigen Körper,
sowie mit weiblichem Liebestrieb und weiblichem Geschlechtshabitus im Charakter.
Hieraus scheint mir aber mein Satz zu folgen:
in jedem primairen Embryo schlummere der Zwitterkeim eines geistigen Geschlechtsorganismus, d. i. ein solcher Keim des geistigen Geschlechtsorganismus, welcher zugleich männlicher und weiblicher Entwickelung fähig ist.
Insonderheit scheint mir daraus noch zu folgen:
der Keim des Liebestriebes sei ein Zwitterkeim, d. i. zugleich männlicher und weiblicher Entwickelung fähig.
Der im Embryo schlummernde geistige Zwitterkeim des Liebestriebes scheint mir wegen seiner doppelten Entwickelungsfähigkeit völlig zu entsprechen den körperlichen Zwitter- Testikeln des Embryo.
§. 90. Die zweite Natur nun (wie es scheint, wegen der Fortpflanzung der Gattung) stellt sich die fernere Aufgabe:
B. Umschaffung des geistigen Geschlechtsorganismus.
Einzelaufgabe β: dem Zwitterkeim des geistigen Geschlechtsorganismus entweder männliche oder weibliche Entwickelung zu geben, insonderheit also:
§. 91. Zur Umschaffung des embryonischen Zwitters in ein geschlechtliches Einheitsgeschöpf ist aber noch drittens erforderlich:
C. Uebereinstimmung zwischen körperlicher und geistiger Umschaffung.
Einzelaufgabe γ: bei: körperlichen und den geistigen Geschlechtsorganismus in übereinstimmender Richtung zu entwickeln, also nicht den einen männlich, den anderen weiblich.
§. 92. Ist es nun zu verwundern, daß eine so complicirte Aufgabe körperlicher und geistiger Umformung, und zwar übereinstimmender, der zweiten Natur mitunter mißlingt?
Man wird sagen: »Der Natur? wie kann denn der schaffenden Natur etwas mißlingen?«
O sehr leicht! Und zwar m. E. ohne daß es dazu, wie manche wollen, einer äußeren Einwirkung auf die schwangere bedürfe. Ihre Geschöpfe gerathen ihr mitunter nicht besser, wie einem Kuchenbäcker das Backwerk. Wie oft mißrathen nicht der Natur ihre Backwerke! Bringt sie nicht hervor: Kinder ohne Arme, Hühner mit Beinen auf dem Rücken, Kälber mit zwei Köpfen, Siamesische Zwillinge, Kinder mit sechs Fingern an den Händen, oder ohne Gehör, oder Augenlicht, oder mit Wolfsrachen oder Hasenschaden, oder mit dem sogenannten Pferdefuß (mit zu kurz gerathener Achillessehne) oder mit schielenden Augen (mit zu kurz gerathener Augapfelsehne)?
§.93. Ist es danach noch etwas absonderliches, frage ich, wenn auch einmal eine andere Aufgabe ihr mißräth, die so kunstvolle der geschlechtlichen Umprägung?
Ist es zu verwundern, wenn einmal eines specifischen Körpertheils zu ertödtende Lebenskraft unter ihren Händen nicht völlig ersterben will, und sie zugleich dem gegenüberstehenden Keime, den sie eigentlich nicht unterdrücken will, aus Versehen ein gut Theil seiner Lebenskraft entzieht? [Mißlingen der Einzelaufgabe α] wenn aus ihren Händen also statt eines vollendeten Knaben oder eines Mädchens ein
Zwitter hervorgeht?
Auch unter den
Thieren giebt es Zwitter: ja ohne Zweifel auch Ue. Wenn letzteres in Lucian's έρωτεϛ (Cap. 22.) [Pseudo-Lukian, Erotes 22 (S. 78):
Wird doch von den Tieren, die nicht infolge einer lasterhaften Veranlagung falschen Trieben nachgehen können, das Gesetz der Natur rein und unverfälscht bewahrt. (Übersetzung H. Licht).] Charicles, der Gegner urn. Liebe, unbedingt leugnet, und in Longus' (Longus (2./3. Jh.), Verfasser des Hirtenromans »Daphnis und Chloe«. Aurelius Victor: siehe zu II. Inclusa S. 39.) Griechischen Hirtengeschichten der Hirt Daphnis wenigstens in Bezug auf Schafe und Ziegen: so darf ich wohl ebenso apodiktisch behaupten, Charicles, wie Daphnis, habe sich unter den Säugethiergeschlechtern weder genau umgesehen noch unter sämmtlichen. Mir z. B. wurde ein Beispiel von einem jungen Stier erzählt, welcher sich den Kühen durchaus nicht geschlechtlich nähern wollte. Ein U will von noch bestimmteren Fällen gehört haben. Dies Gebiet (Uranismus unter den Thieren) ist noch durchaus unerforscht. – Bei den
Zwittern unter den Thieren will ich ein historisch merkwürdiges Beispiel anführen. Es beweist zugleich, daß schon Rom's Haruspices zwischen Zwittern und urn. Liebe einen Zusammenhang ahnten.
Aurelius Victor (Caes. 28.): »Quum hostiae mactarentur, suis utero maris feminarum genitalia apparuere.«
An einem äußerlich männlich gebauten Schweine fand man also im Leibe weibliche Geschlechtstheile. Vermuthlich ganz ähnlich, wie bei dem erwähnten Prager Zwitter. Der Fall ereignete sich unter der Regierung des Kaisers Julius Philippus (Arabs) um 248 nach Chr. Die Haruspices erklärten: »der Fall bedeute ein Ueberhandnehmen urn. Liebesübung«. Dies hatte zur Folge den Beginn der Verfolgungen urn. Liebe zu Rom, zunächst daß jener Kaiser das Verbot erließ, dessen ich Inclusa §: 59. erwähnt habe. (Aur. Vict. a. a. O.)
Oder wenn die Einzelausgabe γ. ihr misslingt, d. i. wenn sie, gleichsam in Folge eines Fingerfehlers, den unrechten specifischen Theil unterdrückt?
Ist es also zu verwundern, wenn sie z. B., während sie den Zwitterkeim des Liebestriebes weiblich entwickelt und dem Charakter zugleich den weiblichen Geschlechtshabitus aufprägt: mit ihrer unterdrückenden Thätigkeit statt des Membrum zufällig gerade Brustdrüsen und Höhle trifft, das Membrum aber entwickelt, die Zwitter-Testikel männlich entwickelt und dem übrigen Körperbau männlichen Geschlechtshabitus, männliches Stimmorgan und Bart verleiht? wenn aus ihren Händen also ein weiblich liebender Mann hervorgeht, ein Urning? In Frankfurt lebt übrigens ein U, den ich kenne, mit durchaus nicht männlicher Stimme, und, irre ich nicht, auch ohne Bart oder doch mit sehr schwachem Bart. Seine Stimme steht der weiblichen entschieden näher, als der männlichen. (Erwähnt oben §. 42. c.)
Oder auch, auf dem umgekehrt gleichen Wege, ein männlich liebendes Weib (eine Urningin, Uranierin, Urnin)?
Der Fingerfehler der zweiten Natur, durch den U und Uranierin entstehen, besteht also darin, daß dieselbe, in Folge eines Versehens, den Testikeln gerade diejenige Entwickelung giebt und von den specifischen Theilen gerade diejenigen unterdrückt, welche nicht entsprechen der Entwickelung, die sie dem Liebeskeime giebt.
Sie schafft enorm mehr Ue, als Zwitter.
§. 94. Zu zwei in allen Stücken einander entgegengesetzten geschlechtlichen Polen, zu zwei in allen Stücken einander gegenüberstehenden geschlechtlichen Extremen, sucht die zweite Natur umzuformen die vorgefundenen unter einander sämmtlich gleichartigen, uniformen Zwittergeschöpfe. Was Wunder, wenn diese geschlechtliche Extrembildung ihr sehr oft mißräth? Fast möchte ich meinen: die Aufgabe sei in so hohem Grade zusammengesetzt und kunstreich, daß betrachten wir das häufige sonstige Mißrathen ihrer Geschöpfe, vielmehr das zu verwundern bleibt, daß in der großen Mehrzahl von Fällen diese Aufgabe ihr in der That gelingt, d. i. daß sie nicht noch weit mehr mißrathene Geschöpfe schafft, als wirklich geschieht, nicht noch weit mehr geschlechtliche Spielarten.
Daß insonderheit die geistige Entwickelung in unabhängiger Richtung erfolgen könne von der körperlichen, dafür habe ich in Inclusa §. 11. Gründe angeführt.
§. 95. Geschlechtsliebe unentschiedener Richtung. Aber auch die Einzelaufgabe β. kann ihr mißlingen, d. i. die Aufgabe, den Zwitterkeim des Liebestriebes entweder entschieden männlich oder entschieden weiblich zu entwickeln. (Denkbar möchte es sein, daß es ihr mißlingt, auch die Zwitter- Testikel entschieden zu entwickeln, zu Hoden oder zu Eierstöcken.) Mißlingt ihr also die Aufgabe μ, so geht aus ihren Händen hervor ein Geschöpf mit unbestimmt gelassener, in unentschiedener Richtung entwickelter Geschlechtsliebe: sei es nun, daß körperlich dieses Geschöpf normal gerathener Mann, normal gerathenes Weib oder aber Zwitter ist.
§. 96. Diese unentschiedene Liebe scheint mir in Wahrheit nicht etwa doppelte zu sein, nicht etwa männliche und weibliche neben einander. Solches Nebeneinandervorhandensein scheint mir undenkbar: gleich wie das Nebeneinandervorhandensein von Hoden und Eierstöcken undenkbar ist. Im Resultat freilich kommt die unentschiedene Liebe der doppelten nahe, da ein Individuum unentschiedener Richtung sowohl Männer als Weiber liebt. Ich nenne daher auch ein unentschieden liebendes Individuum, falls es körperlich männlich gebaut ist: Uranodioning, falls weiblich: Uranodioningin, und die unentschiedene Geschlechtsliebe: Uranodionäismus.
§. 97. Dafür jedoch, daß der Uranodionäismus in Wahrheit nicht doppelte Geschlechtsliebe sei, scheint zu sprechen ein zuverlässig, wenn schon nur individuell, mir mitgetheilter Umstand, nach welchem derselbe wesentlich andrer Art zu sein scheint, als die zur Vollkommenheit entwickelte Geschlechtsliebe der De, der Weiber und der Ue. Der schwärmerisch ästhetische Theil der Geschlechtsliebe nämlich, die himmlische, die leidenschaftliche Liebe, scheint den Doppelnaturen, richtiger unentschiedenen Naturen, zu fehlen. Ein Uranodioning, welcher Vindex und Inclusa gelesen, 40 Jahre alt, schreibt mir am 6. Juli 1864 über sich selbst folgende sehr interessante Notizen:
»Ich bin von Natur frei von aller Leidenschaft. Ich habe starke Triebe, aber nie leidenschaftlich mich selbst bewältigende. Jetzt verliebt wie ein Gott, habe ich oft schon in der nächsten Minute nicht mehr daran gedacht, sagte mir mein stets nüchterner Verstand: hier erreichst du nichts. Dies zügelnde Phlegma besitze ich bei urn. wie bei dion. Liebe. Urnisch war ich nie affectirt, manierirt, augenverdrehend, schmachtend
Unter »nie augenverdrehend, nie schmachtend« verstehe ich: »nie leidenschaftlich-schwärmerisch liebend.«. Ich liebe einen voll und kräftig blühenden Körper,
Von seinem eigenen Körper sagt er: »Mann bin ich nicht so sehr körperlich, als geistig.« Sein Körperbau ist mithin wohl nicht sehr kräftig.
Ich halte es für anthropologisch geboten, auch von meinem Körperbau zu reden. Von Körperbau (Knochenbau wie Muskelbau) bin auch ich wohl weit eher schwach, als stark; von mittler Größe. Nach Abstammung und Geburt angehöre ich dem nordwestlichen Deutschland, dem Lande Hannover. Ich bin von feinen Gesichtszügen und von feinem Teint. Namentlich in jüngeren Jahren war mein Gesicht von mädchenhafter Farbe, ich möchte sagen, von mädchenhafter Durchsichtigkeit der Haut. Noch jetzt sind in gesunden Tagen meine Wangen geröthet, wie man es bei Männern selten oder nie findet. Uebrigens bin ich gesund, wie andere Männer. Vielleicht entspricht das alles einer weichen und zarten Gemüthsart, die mir eigen ist, und meinem geschlechtlichen Bedürfnis, welches durchaus verlangt, kräftig blühende und schwellende Körper zu berühren. Das Extrem ist es ja, was Geschlechtsliebe erregt. Zarte Körper wecken in mir nur schwärmerische Liebe: wenn sie nämlich schön sind. Anderenfalls verschmähe ich sie in beiden Richtungen: schwärmerisch wie sinnlich. Durch Magerkeit wird bei mir, sogar neben Schönheit, jede Art von Liebe gehindert. Mein sinnliches Bedürfniß verlangt Gesichtsschönheit nicht. dabei
aber nur das wirklich schöne, das natürliche, das unbewußt edle. Wo diese Unbewußtheit, diese
Virginität der Seele, fehlt, muß da der Gegenstand noch so brillant sein, gleichviel ob dion. oder urn.: er läßt mich völlig kalt. Beim Mädchen nun ist diese Geistesvirginität sehr oft zu vermissen. Der junge Mann voll Geistesunschuld dagegen, das gerade Gegentheil von der Coquetterie, die dem Mädchen freilich natürlich ist: inmitten der ihn umgaffenden Lüsternheit geht er umher, sicher und ahnungslos, in göttlich schöner Naivetät! Das ist der Grund, weßhalb mich, bei gleicher Jugend und Schönheit, unter hundert Mädchen oft nicht zehn reizen, dagegen unter hundert jungen Männern gewiß gleich neunzig.«
Trotz dieser offenen Aeußerung dürstet mich noch sehr nach Licht über den Uranodionäismus.
§. 98. Außerdem ist es denkbar, daß, in Folge eines Mißrathens oder eines Fingerfehlers, ein Geschöpf erhalte:
§. 99. Bedenkt ihr dann noch, daß Virilität und Muliebrität sowohl der Art wie dem Grade nach variiren (Inclusa §§. 16. 106.), so daß also tausend Abstufungen möglich sind zwischen den erwähnten Hauptvarietäten (z. B. zwischen Un mit rein weiblichem und Un mit rein männlichem Charakterhabitus): so werdet ihr bekennen müssen, in welchem Irrthum ihr bisher befangen wäret, wenn ihr annahmt, nur zwei Varietäten schaffe die Natur, Mann und Weib, zu denen ihr höchstens noch, als dritte, den Zwitter hinzuzähltet.
Von den
Mißgeburten unterscheiden sich die erwähnten Hauptvarietäten dadurch, daß sie, was bei den Mißgeburten nicht der Fall ist, sämmtlich ziemlich häufig vorkommen, und daß sie zugleich, so oft sie vorkommen, in untereinander so übereinstimmenden Erscheinungen vorkommen, daß die
Ausnahme gleichsam wiederum ihrerseits eine
Regel bildet, daß sie zu einer Unter-Regel wird, zu einer classenbildenden exceptionellen Regel
Die Naturanlage dieser Varietäten ist also
exceptionell naturgemäß, nicht
naturwidrig. Schopenhauer scheint diese beiden Begriffe unter einander zu verwechseln. (Siehe Inclusa §. 76.) Die Natur kann abweichen von der Regel, die sie selber sich gab, abweichen vom ordo naturae. Exceptionell bilden, extra ordinem bilden, kann sie ihre Geschöpfe. Sie kann handeln contra naturae ordinem, oder wie Petronius in seinem Fragment (Inclusa §.85.) ganz richtig sagt:
»contra naturae munera nota«.
Naturwidriges aber schaffen, contra naturam handeln, kann sie nicht. Was aus ihren Händen hervorgeht, ist unter allen Umständen natürlich, niemals naturwidrig. Es ist nämlich entweder
secundum ordinem natürlich oder
extra ordinem natürlich..
§. 100. Urbild des Menschen.
a. Wir wollen einmal annehmen, in einem bestimmten Embryo trete der Umformungsproceß der zweiten Natur überall nicht ein, die erste Natur werde bei ihm nicht verdrängt von der zweiten, setze vielmehr lediglich ihren ursprünglichen Entwickelungsproceß fort, stetig und ununterbrochen.
Hier werden alle seine specifischen Theile zugleich zur Entwickelung gelangen, die eine Hälfte derselben also nicht unterdrückt werden. Erwachsen wird dieß Wesen ein vollständiger Zwitter sein. An sich tragen wird er entwickelte weibliche Brüste, entwickelte weibliche Körperhöhle und daneben entwickeltes männliches Membrum.
Mit den Zwittertheilen allein wird sich bei dieser Weiterentwickelung die erste Natur in einer gewissen Verlegenheit befinden, d. i. mit Testikeln und Geschlechtsliebe, jedoch nicht in derselben, in welcher sich bei jedem Embryo die 2te Natur befindet, so oft diese sich zu entscheiden hat: »ob Knabe? ob Mädchen?« Testikel und Liebe, und ebenso auch das Körpergepräge des übrigen Körperbaues und das Geistesgepräge des nichterotischen Gemüthslebens, wird die fortentwickelnde erste Natur vielmehr entwickeln müssen nicht in männlicher oder weiblicher, sondern in unentschiedener Richtung.
So also sieht aus der stetig fortentwickelte Embryo, der ohne Unterdrückung einzelner Keime, ohne Dazwischenkunft der zur Hälfte tödtenden zweiten Natur entwickelte: also, vom primair-embryonischen Standpunkt betrachtet, das Urbild des Menschen.
b. Nicht entsteht dieß Urbild, wenn der zweiten Natur der vollständige Umformungsproceß gelingt, wenn ihr also namentlich gelingt die einseitige Entwickelung der Zwittertheile, der Testikel und der Liebe, d. i. die Entwickelung in entschiedener Richtung, und die vollständige Unterdrückung der einen Hälfte der specifischen Theile, und zwar die jener einseitigen Entwickelung der Zwittertheile entsprechende Unterdrückung. In diesem Falle fabricirt sie entweder Dioning oder Weib: jenen bei Unterdrückung von Brustdrüse und Körperhöhle, dieses bei Unterdrückung des Membrums.
Streng genommen, ist also nur jenes Urbild der wahre, der vollständige Mensch: und sind D und Weib nur unvollständige, nur einseitig entwickelte, nur halbe Menschen
Auch nach Plato (Gastmahl Cap. 15.) sind D und Weib nur halbe Menschen. Er nennt sie geradezu durchgeschnittene: gleichsam die Hälften eines durchgeschnittenen gesottenen Eies., Abweichungen vom Urbild, Verkümmerungen oder Verkrüppelungen des Urbildes, ja, vom primair-embryonischen Standpunkt betrachtet, geradezu Mißgeburten
Dem Urbilde entspricht, wenigstens künstlerisch, eine ziemlich häufig vorkommende, sehr ideale Darstellung der Griechischen und Römischen Kunst: die des
Hermaphroditen. Antike Statuen von ihm zeigen männliche Geschlechtstheile, weibliche Brüste und weiblichen Körperhabitus. Es giebt zwei Griechische Sagen von ihm, a) Die Nymphe Salmakis liebte einen Jüngling, ohne Gegenliebe. Auf ihr Gebet ward sie durch ein Wunder der Götter mit ihm in Einen Körper vereinigt. b,) Der Hermaphrodit ist ein göttliches Wesen, das zu gewissen Zeiten unter den Menschen erscheint, halb Mann, halb Weib, des weiblichen Körpers mit Zartheit verbindend mit männlicher Würde und Kraft. (Vergl. Vollmer, Wörterbuch der Mythologie, 1851.)
Ein U schreibt mir von einer Darstellung der Nymphe Salmakis und des von ihr geliebten Jünglings auf einem Französischen Kupferstich aus dem vorigen Jahrhundert. Aus demselben scheint mir der Jüngling, trotz des ersten Worts der Unterschrift, einfach als U, nicht als Hermaphrodit, dargestellt zu sein. Jener schreibt:
»Man sieht einen kräftig und männlich gebauten jungen Mann, der sich badet. Im Vordergrunde lauscht nach ihm die Nymphe Salinakis Neben ihr steht ein kleiner Amor, ebenfalls nach ihm hinschauend, der jedoch nicht einmal einen Pfeil für ihn bei sich hat, weil er weiß, daß es doch nichts hilft! Darunter steht:
Hermaphrodite est insensible
Aux feux d’une jeune beauté.
L’Amour à qui tout est possible
Le rit de sa simplicité.«
Soweit jener. Man sieht, die niedlichen Verse hat ein D gemacht! Ein U würde unbedingt gesagt haben: »
Den Amor, dem sonst alles möglich ist, lacht
er aus ob seiner
Machtlosigkeit.« – Das Bild selbst scheint mir Nachbildung eines antiken Musters zu sein, etwa eines Pompejanischen Wandgemäldes. Dann wäre dieser Amor mit der Nymphe Zuneigung zu dem sich badenden und seine Pfeillosigkeit ohne Bedeutung. Er wäre nicht der weltbeherrschende Gott, sondern nur des Individuums Liebessehnsucht, die von dem Gotte erweckt ist. Ganz gleiche Situationen finden wir auf antiken Darstellungen s. B. ebenfalls auf Pompejanischen Wandgemälden), auf denen Narcissus dargestellt ist und die Nymphe Echo, von einem Amor begleitet, die jenen liebt ohne Gegenliebe.
Uebrigens ist es bezeichnend für des Us unklares halbweibliches Bewußtsein, daß man bei Uen mehrfach Vorliebe oder Hingezogensein zur Idee des Hermaphroditen findet. Casper schildert (a. a. O. S. 63.) eines Berliner Us Zimmerausschmückung: »sie enthalte eigenhändige Zeichnungen junger hübscher Soldaten und Copien Griechischer Hermaphroditen-Statuetten.« Von einem mit befreundeten U werde ich in einem der folgenden Hefte ein Gedicht bringen, betitelt: »Der Hermaphrodit«. (Der Hermaphrodit ist unempfänglich für das Feuer einer jugendlichen Schönheit. Amor, dem alles möglich ist, verlacht ihn wegen seiner Einfalt.
Das Gedicht »Der Hermaphrodit« folgt auf S. 65.).
c. Mißräth der zweiten Natur die vollständige Unterdrückung der einen Hälfte der specifischen Theile, mißräth ihr dabei zugleich die vollständige Entwickelung der anderen Hälfte, so daß beide Hälften unvollständig entwickelt werden, die eine nur unvollständiger als die andere, während zugleich auch die Zwittertheile zu irgend einer Entwickelung gelangen: so muß das Fabrikat offenbar sein: zwar nicht das Urbild selbst, weil dazu beide specifischen Hälften vollständig entwickelt werden müßten, aber doch ein anderes, einigermaßen ähnliches Mittelgebilde zwischen D und Weib: d. i. ein unvollständiger Zwitter, ein Zwitter der verschiedenen vorkommenden Arten Denkbarerweise können vorkommen: a) unentschieden liebende (doppeltliebende Zwitter, Uranodioningszwitter), b) männlich liebende (Dioningszwitter), c) weiblich liebende Zwitter (Urningszwitter, wie z. B. der Münster'sche). Ein Zwitter, der jenem Urbild völlig entspräche, ist noch nicht gefunden. Die Testikel der Zwitter übrigens nähern sich offenbar den in unentschiedener Richtung entwickelten des Urbilds.. Bei einem oder dem anderen Stück, z. B. den Brustdrüsen, pflegt der zweiten Natur jedoch die vollständige Unterdrückung leicht zu gelingen. Der Zwitter Brustdrüsen sind fast stets vollständig zurückgebliebene.
d. Mißräth ihr nur die Uebereinstimmung zwischen Unterdrückung einerseits und Entwickelung der unentschiedenen Theile (Zwittertheile) zu entschiedenen Theilen anderseits, so entsteht Urning oder Urningin. Dies Gebilde hat allerdings in den am Urbild gezeichneten Einzelheiten durchaus keine Aehnlichkeit mit ihm: wohl aber im allgemeinen, da beide, Urbild wie U, entwickelte Männlichkeiten und entwickelte Weiblichkeiten in sich vereinen.
§. 101. Vor dem Zwitter graut euch? Vor uns Uen graut euch? Den Zwitter und uns behandelt ihr verächtlich? Den Zwitter und uns verfolgt ihr, wenn er und wir den Winken und Weisungen unserer Natur folgen? Nun, er und wir sind nach dem vorgetragenen doppelseitige Varietäten des Menschen. Dem gezeichneten Urbild des Menschen stehen er und wir näher, als ihr, des Menschen einseitige Varietät. Wir sind noch halb-primaire Gebilde. Wir stehen, noch erwachsen, dem nahe, was ihr, als Embryonen, einst wäret. Sind ihr und wir nicht Kinder Eines Vaters? Hat uns nicht Ein Gott erschaffen?
§.102. Sämmtliche bezeichneten doppelseitigen Varietäten aber, im körperlichen wie im geistigen Geschlechtsorganismus, also: die drei verschiedenen Arten der Zwitter, den Uranodioning (und die Uranodioningin, siehe unten), die Urningin und namentlich auch den Urning, halte ich somit ganz einfach für Reste der ersten Natur des Menschen, welche regelwidrig mit hinübergegangen sind in seine zweite Natur, für Reste der mann-weiblichen Doppelnatur des primairen Embryo, für Reste des Zwitterkeims seines Liebestriebes, welcher ja von Haus aus fähig war, weibliche Richtung anzunehmen: Reste, welche zur Entwickelung gelangten, weil es der zweiten Natur mißlang, die specifischen Theile regelrecht zu unterdrücken, und weil dieselbe die Zwitterkeime aus Versehen regelwidrig entwickelte.
Was im Keim vorhanden ist, das kann sich auch entwickeln. Jeder primaire Embryo aber trägt an sich männlicher Entwickelung fähige Testikel, ein Membrum, eine Körperhöhle, welche fähig ist, zu Raphe und Scrotum zuzuwachsen, und daneben geistig den weiblicher Entwickelung fähigen Liebeskeim. Der schaffenden Natur ferner gelingt es nicht, alle ihre Geschöpfe regelrecht zu bilden. Das ist der Schlüssel zu dem Räthsel urnischer Liebe.
§. 103. So dürfte denn die wissenschaftlich-richtige Stellung dieser geschlechtlichen Varietäten gefunden sein: während man bisher die Zwitter setzte unter die gewöhnlichen Mißgeburten, die übrigen aber, namentlich uns Ue, – unter die Verbrecher. Die Zwitter zwischen Wolfsrachen und Kälber mit zwei Köpfen. Für uns hatte eure Wissenschaft keinen besseren Platz, als zwischen Dieben, Fälschern, Meineidigen und Betrügern. Freilich ist es verzeihlich, daß sie nicht auf den Gedanken kam eines inneren Zusammenhanges der Zwitter mit uns als mit Spitzbuben und Verbrechern. Wie lange, möcht' ich fragen, gedenkt ihr diese sinnreiche Classification wohl noch fortbestehen zu lassen?
§. 104. Auch habt ihr schwerlich Ursache, von diesen Varietäten, von Zwittern und Uen, euch so gar kalt abzuwenden, wie ihr bisher gethan: da theils auch ihr ja einst reine Zwitter waret, und Reste eurer einstmaligen Zwitternatur noch heute an euch tragt, nämlich in euren Brustwarzen und in eurem Scrotum nebst Raphe, theils aber gerade ihr in gewissem Sinne verkrüppelte Geschöpfe und Mißgeburten seid.
§. 105. Durch obige Darlegung glaube ich übrigens allerdings der Lösung eines großen Räthsels näher gekommen zu sein, des (im Vindex §.22. erwähnten) Räthsels der Entstehung der Geschlechter.
»Crescit eundo.« Crescit eundo (es wächst beim Gehen), vgl. Vergil, Aeneis 4, 175 über ein Gerücht: Viresque acquiret eundo (und Kräfte bekommt es beim Gehen).
Virg.
§. 106. Das »crescit eundo« ist auch auf meine Studien anwendbar. Seit dem Erscheinen von Vindex und Inclusa hat sich mein dort noch beschränkter Blick ganz erheblich erweitert. Theils ward ich angeregt durch Gedankenaustausch; theils nahm die eigene Forschung ihren Fortgang. Daneben ward mir von mehreren Seiten werthvolles neues Material mitgetheilt.
§.107. Irrig wäre es, anzunehmen: mit weiblichem Habitus eines Us treffe zusammen ein Ueberwiegen oder gar ein ausschließliches Vorhandensein des passiven geschlechtlichen Begehrens, mit männlichem Habitus dagegen des activen. Auch bei entschieden weiblichem Habitus kann im U, neben einem größeren oder geringeren weiblich-passiven Begehren, dennoch ein männlich-actives Geschlechtselement vorhanden sein. Dasselbe besteht nicht nur in der männlichen Fähigkeit zu Functionen activer Art, sondern auch in einem Triebe zu Funktionen activer Art, in einer männlichen Begierde activ zu fungiren. Natürlich immer nur dem geliebten männlichen Körper gegenüber.
§. 108. Im einzelnen U, sei es mit weiblichem Habitus, sei es mit männlichem, ist es lediglich quaestio facti: ob das active Begehren überwiege oder das passive. Bei mir z. B. überwiegt das active so sehr, daß ich das passive kaum verspüre. In dem U dagegen, den ich am genauesten kenne, ist der weibliche Habitus gar nicht sehr ausgeprägt, namentlich um nichts ausgeprägter, als in mir Bei mit ist er nämlich, trotz des in Incl. und oben angeführten, so wenig ausgeprägt, daß ein Schwager (entweder Grupen oder Ludewig, verheiratet mit Ulrichs Schwestern Louise bzw. Ulrike.) von mir, der mich seit meinem 22. Lebensjahre kennt, kürzlich erklärt hat: »er habe denselben an mir noch gar nicht bemerkt.«: und doch ist in ihm das passive Begehren sehr entschieden vorhanden.
In Uen freilich, welche so gänzlich Weib sind, wie z. B. Blank und Antoninus, scheint das passive Begehren der Natur stets so stark zu überwiegen, daß von activem wenig oder gar nichts vorhanden ist. Bei Blank und Antoninus wenigstens war dieß der Fall nach den bestimmten Zeugnissen der genannten höchst zuverlässigen Quellen. Bei Uen entschieden activen Begehrens dürfte somit der Habitus meist vorwiegend männlich sein, bei Uen entschieden passiven vorwiegend weiblich.
Daß es aber auch Ue gebe, in denen activer und passiver Begierdetrieb einander die Waage halten, ist mir nicht zweifelhaft.
§. 109. Hiedurch berichtigt sich zugleich ein Mißverständniß, welches bei einigen meiner Leser entstanden ist: mit »weiblichem Habitus« habe ich in Inclusa und Vindex andeuten wollen passives Begehren. Der Geschlechtshabitus scheint mir so gut mit der Richtung der Liebe Siehe §.112. a. zusammenzuhangen, als mit der specifischen Art des sinnlichen Begehrens. Siehe §.112. b.
§.110. Bei mir ist der passive Begierdetrieb, bei Blank und Antoninus der active, ein unentwickelter geblieben. Dieses Unentwickeltsein bin ich geneigt zu vergleichen dem Unentwickeltsein der specifischen Körpertheile, d. i. dem des Membrum beim Weibe, der Brüste beim Manne. Ich bin also geneigt anzunehmen, ganz dieselbe Natur habe z. B. in Blank den activen Begierdetrieb unterdrückt, die in allen Weibern die Entwickelungskraft des Membrums ertödtete, also die secundaire Natur.
§.111. Danach trägt denn jeder Embryo an geistigen Geschlechtskeimen in sich:
§. 112. Demnach unterscheide ich denn in jedem erwachsenen Menschen:
§.113. Hieraus ergeben sich nun folgende Verschiedenheiten:
Ein Uranodioning mit solch' doppeltem Begierdetriebe, mit activem und passivem, hat sich mir kürzlich zu erkennen gegeben.
Auch Nero, der Uranodioning (der z. B seine Gemahlin Octavia verstieß, um die schone Poppäa Sabina zu heirathen), hatte offenbar diesen doppelten Begierdetrieb. Activ war er verheirathet mit dem Sporus: und daneben passiv mit dem Pythagoras. Mit dem einen wie mit dem andern hat er eine solenne Hochzeit gefeiert. Weiblichen Schmuck trug bei der Hochzeit mit dem Pythagoras Nero, bei der anderen Sporus. Diesen Glanzpunkt der chronique scandaleuse der damaligen Welt haben uns die dionischen Geschichtschreiber Rom's, selbst ein Tacitus, mit allen Einzelheiten auf das sorgfältigste aufbewahrt, Tacitus sogar bis herab auf die Angabe der Zahl der auspices Ehestifter., die dabei zugezogen wurden. Tacitus annal. 15, 37. – Suetonius in Nerone 28, 29. – Aurel. Vict, de Caes. 5, 5. – Dio Cassius 62, 28. 63, 13. – Juvenalis I. 62. – (Ara spei §. 43.)
Bei dem Uranodioning Nero finden wir noch eine ganz besondere Erscheinung. Daß er Mädchen wirklich geschlechtlich geliebt hat, ist hinlänglich beglaubigt. Er beschaute z. B. mit Begierde die Geschlechtstheile nicht nur junger Männer, sondern auch junger Mädchen. So erzählt Aurelius Victor. (Caes. 5, 7.) Ferner fühlte er unzweifelhaft auch actives Begehren. Dennoch muß es ihm hin und wieder Bedürfniß gewesen sein, gerade einen männlichen Körper activ zu genießen, und sein innerer Trieb muß dann ihn, gleich dem reinen U, gezwungen haben, weibliche Körper zu verschmähen: trotz der körperlichen Hindernisse, die einem männlichen Körper ein männlicher Körper für den Genuß darbietet. Um nun diese Hindernisse zu beseitigen, wandte er, der Uranodioning, und das gerade ist das seltsame! sich nicht etwa zu den Weibern; was er doch gekonnt hätte, wie man denken sollte: nein, er versuchte, einem jungen Manne, den er liebte, dem genannten Sporus, eine weibliche Körperöffnung beizubringen – ohne Zweifel durch ärztliche Operation – oder, wie die Geschichtschreiber sagen, ihn in ein Weib umzuwandeln. Die Lösung des körperl. urn. Conflicts (Ara spei, §. 81. b. §. 84.} versuchte er also auf operativ schaffendem Wege. Man scheint freilich nicht weiter gekommen zu sein, als dazu, ihm seine Testikel zu nehmen; was derselbe sich jedoch, wie es scheint, willig gefallen ließ. Aurelius Victor (Caes. 5. 15. u. epit. 5. 7.) sagt vom Sporus, als er bei Nero's Tode zugegen war:
»spado der Verschnittene. Sporus, quem quondam exsectum formare in mulierem« Nero »tentaverat.«
Einem reinen U, mir wenigstens, ist es unbegreiflich, wie jemand der Idee fähig sei: »Wenn mein Geliebter castrirt ist, wird er noch meine Liebe erregen« oder wie er an einem, den er als einen bereits castrirten kennen lernt, geschlechtliches Wohlgefallen empfinden könne.
Uebrigens erinnert dieß lebhaft an Antoninus, den reinen U mit vorwiegend passivem Begehren, welcher den körperlichen Conflict ebenfalls auf dem Wege der Operation zu lösen wünschte: jedoch, da er nicht, wie Nero, activ, sondern passiv begehrte, durch Operation an sich selbst. (Inclusa §. 114.)
6) Von Uranodioninginnen (also Weibern mit Liebe zu Männern und zu Weibern) ist mir noch kein Beispiel bekannt. Vermuthlich würde eine solche dem soeben charakterisirten Uranodioning entsprechen.
Zu 1. u. 2. In der regelrechten Entwickelung hat beim D die zweite Natur den passiven Begierdekeim des Embryo getödtet, bei der Dionin den activen.
Zu 3-6. In der unregelmäßigen Entwickelung, welche z. B. den U schafft, ertödtet oder unterdrückt sie bald jenen bald diesen: bald läßt sie, dem Urbilde des Menschen gemäß, beide nebeneinander bestehn. Das obengezeichnete Urbild ist jetzt dahin zu vervollständigen, daß gleichwie es körperlich Brüste und zugleich Membrum hat, ebenso es geistig activen und passiven Begierdetrieb nebeneinander in sich trägt.
Der U mit activem und passivem Begierdetrieb trägt also in sich geradezu geistige Reste der primairen Embryonatur, nämlich den activen und den passiven Begierdekeim, welche nebeneinander zur Entwickelung gelangten, weil die zweite Natur keinen von beiden unterdrückte. Also ist dieser U in der That auch ein Stück des gezeichneten hermaphroditischen Urbildes der menschlichen Natur.
§. 114. Anziehung zwischen U und U (z. B. oben §. 2. α. Socrates und Critobulus) ist nur scheinbar Ausnahme von der Regel, daß nur ungleiche Pole geschlechtlich anziehen. Denn wie im Weibe, so auch in jedem U, mag sein Habitus auch noch so männlich sein, steckt weibliches Liebeselement, weil beider Herz eben von männlichen Körpern angezogen wird. Auf des angezogenen Theils weiblichen oder männlichen Körper aber kommt es bei der geschlechtlichen Polarität nicht an, sondern auf sein weibliches Herz. Ist also der anziehende Theil auch ein U, so ist er wegen seines männlichen Körpers dennoch ungleicher Pol.
§. 115. Nun scheinen unter den Uen folgende zwei Classen unterschieden werden zu können, zwischen welchen indeß tausend Abstufungen zu constatiren sind.
Die Extreme in der Geschlechtsfärbung scheinen daher bei den Uen viel weiter aus einander zu liegen, wie bei den Den und wie bei den Weibern. Sie scheinen in der That so weit aus einander zu liegen, wie die beiden äußeren Extreme, wenn man De und Weiber zusammenfaßt. D. i. es giebt Ue so entschieden männlicher Färbung, wie nur je ein D vorkommen kann Dieser Theil meiner Hypothese ist mit freilich noch zweifelhaft. Doch scheint es wenigstens Ue zu geben, die männlicher sind, als die männlichsten unter den Weibern und weiblichere, als die weiblichsten unter den Männern. Auch giebt es weit mehr männliche Ue, als männliche Weiber. Unter den einzelnen Uen giebt es also weit größere und hervorstechendere Habitusverschiedenheiten, als unter den einzelnen Den oder Weibern., und (unzweifelhaft!) auch Ue so entschieden weiblicher, wie nur je ein Weib vorkommen kann.
§. 116. Nun aber wird ein Virilior in seiner Jugendblüthe ganz das Gepräge eines »Burschen« an sich tragen, ein Muliebrior das eines »Jünglings«.
Daher kann denn ein jugendlich blühender Mannling, also urnischer Bursch, einen jugendlich blühenden Weibling, also urnischen Jüngling, nicht nur lieben, wie er einen dion. Jüngling lieben wird: sondern auch von ihm geliebt werden, wie ein dion. Bursch von ihm geliebt werden wird.
So wären wir denn zu dem wichtigen Ergebniß gelangt: daß der liebende U unter Umständen sogar Gegenliebe finden kann, so daß also der erste, wahrhaft bemitleidenswerthe, Mangel urn. Liebe (Inclusa §. 90., oben §. 64.) dann wegfällt.
§. 117. Diesem theoretischen Ergebniß scheint auch die Erfahrung zu entsprechen. Zwei Belege kann ich bis jetzt beibringen. Zwar sind beide leider der schamlosesten urn. Prostitution entnommen; doch thut dies der naturwissenschaftlichen Beweisfähigkeit der Erscheinung offenbar keinen Abbruch. Später lerne ich vielleicht Belege kennen aus der ehrenhaften Urningsliebe.
a. Am 1. October 1864 schreibt mir ein U (von vorwiegend männlichem Habitus) aus Br., einer größeren Stadt Norddeutschland's:
»Seit vierzehn Tagen kenne ich hier einen achtzehnjährigen echten U. Er hat nie etwas anderes zum Geschäfft gehabt, als nähen und sticken. An ihm zeigt sich der Typus durchaus. Er ist durch und durch Weib. Er hat früher nichts von der Sache gewußt.« (D. i. von der Existenz urn. Liebe.) »Er ist aber sehr hübsch.«
Einige Wochen später:
»Interessant ist es mir, den neu entdeckten echten U zu beobachten. Ganz der unverkennbare Typus! Als wäre er Jahre lang in die Berliner Schule gegangen! Dabei muß man ihn immer warnen, daß er seine Natur verberge. Natürlich: er selbst sieht ja kein Unrecht darin.«
Am 12. November 1864 dagegen, was ich nur mit großem Widerstreben mittheile. Der Forderung nachgebend, die die Wissenschaft an mich stellt, gebe ich es indeß unverkürzt.
»Er ist bereits zur gemeinen H ... geworden. Dem raffinirtesten Berliner giebt er nichts nach. Das liebste ist ihm eine stark ausgeprägte physische Mannheit Offenbar das, war ich oben §. 15. und Note 12 a. und b. erwähnte. An diesem Punkte dürfte übrigens schwerlich Anstoß zu nehmen sein. – Beiläufig sei hier bemerkt: das Note 12b. angeführte Geheimwort wird dem uneingeweihten nicht ganz verständlich sein. »Kleindeutsche Gesinnung« bedeutet nicht Wohlgefallen an schwach ausgeprägter Mannheit. sondern schwach ausgeprägte Mannheit selbst.. Seit ich entdeckt habe, daß er zwei Eingänge zur Verfügung stellt Also passive Begierde, passiver unwiderstehlicher Drang in seinen äußersten Consequenzen. Vergleiche Antoninus' Beispiel, der and starkem passiven Begehren nach Lampridius Zeugniß dasselbe that (selbstverständlich nicht prostitutionsmäßig), und den sein passives Begehren sogar zu Bitten an die Aerzte trieb, ihm ein weibliches Pudendum künstlich in den Leib einzuschneiden, um ohne derartige unschöne körperliche Nothbehelfe auf harmonische Weise passiv genießen zu können. Incl. §.114., und daß es ihm noch dazu einerlei ist, wer eindringen will, wenn er nur zahlt, ist mein Interesse für ihn dahin.«
In diesem der schamlosesten Prostitution verfallenen jungen U ist also nicht nur der weibliche Habitus durchaus vorherrschend, sondern aus dem letzten Briefe ergiebt sich zwiefach auch sein entschieden passives Begehren. Denn auch die Begierde nach starker örtlicher Entwickelung scheint in weit höherem Grade bei den passiv begehrenden Weiblingen vorhanden zu sein, als bei den activ begehrenden Mannlingen, scheint also vorzugsweise auf Weiblingsnatur schließen zu lassen. Er ist also ein vollständig ausgeprägter Weibling.
Es ergiebt sich aber ferner, daß er, trotz seines weiblichen Jünglingshabitus, bei seiner Jugend und einbezeugten Schönheit, Liebhaber findet, und zwar zahlende, nicht etwa bezahlte, also Ue: und scheinen dies eben Mannlinge zu sein.
b. Das andre Beispiel ist der 21jährige Pariser U »Reine d’Angleterre«, dessen durchaus weiblichen Habitus ich nach Tardieu schon oben (§. 37.) erwähnt habe, der sich Uen prostitutionsmäßig hingab und von Uen, vermuthlich wiederum eben von Mannlingen, ausgesucht worden sein muß, da Tardieu (a. a. O.) hinzufügt: »Angeblich ernährte er sich von Anfertigung von Parfüms, in der That aber von der .., «d. i. urn., »Prostitution« Mir fällt noch ein Quasi-Beispiel ein. In C. (Deutschland) hat im vorigen Jahrzehnt ein Engländer einen Uranodioning von durchaus männlichem Habitus und stattlicher Figur, den ich persönlich kenne, leidenschaftlich geliebt. Ob übrigens der Engländer Weibling war eher Mannling, darüber fehlen mit Nachrichten. Es ist der oben §. 81. erwähnte Uranodioning, in welchem der Usmus entschieden vorwaltet..
§.118. Wenn so nun eine gegenseitige Liebe zwischen Um möglich ist, d. i. zwischen Mannling und Weibling, so ist doch die Art der Liebe nicht auf beiden Seiten gleich. Des Mannlings Liebe ist eine Jünglingsliebe, des Weiblings eine Burschenliebe. Die Unterschiede dieser beiden Arten der Urningsliebe habe ich in Ara spei §. 139. angedeutet. (Uebrigens werden diese Unterschiede sich großentheils auch bei der Liebe der Weiber zu Den finden, je nachdem die liebende mehr männlich oder aber extrem weiblich geartet ist, also einen Jüngling oder aber einen Burschen lieben wird.) Des Mannlings männlich gefärbtes weibliches Liebeselement und des Weiblings weiblich gefärbte männliche Körpererscheinung sind einander gegenüber nicht so vollständige Extreme, als des Weiblings weiblich gefärbtes weibliches Liebeselement und des Mannlings männlich gefärbte männliche Körpererscheinung.
Nur des Weiblings Liebe, sei es zu einem Virilior, sei es zu einem echt männlichen D, ist eine » Liebe in Extremen«. (Ara spei §.139.) Doch scheint mir nach näherer Prüfung des Mannlings Liebe, sei es zu einem Weibling, sei es zu einem dion. Jüngling, eine ebenso heftige sein zu können, als des Weiblings Liebe in Extremen. (Ara spei §. 139.)
§.119. Ob übrigens eines Weiblings Liebe zu einem U jemals eine so feurige sein könne, wie zu einem D, ist mir noch zweifelhaft, da auch der männlichste U ja stets doch ein Stück Weiblichkeit in sich trägt und dieses einigermaßen störend wirken wird. Des Mannlings Liebe zu einem urn. Jüngling dagegen mag noch feuriger sein, als zu einem dion. Jüngling, da es das eigentliche Mannlingsherz vielleicht reizen wird, im urn. Jüngling noch mehr Weiblichkeit zu finden, als im dionischen.
Dieser farbige Anhang fehlt in der Neuausgabe von 1898.
§. 120. Folgende seltsame Erscheinung glaube ich bekannt geben zu sollen. Im Juli oder August 1863 eines Abends zwischen neun und zehn Uhr zu Würzburg genoß ein U, zwischen 35 und 40 Jahre alt, der concentrirten erotischen Durchströmung. (oben §. 9.) Ich führe ihn redend ein.
»Neben einem jungen Soldaten saß ich auf einer Bank im Schatten der Bäume außerhalb der Stadt. Schwere Wolken hingen am Himmel. Es war recht finster, wo wir saßen. Wir saßen fast bewegungslos in naher Berührung. Meine Hand berührte seine Organe. Ich war geschlechtlich aufgeregt, aber nicht stärker, als sonst bei derartigen Berührungen. Da erblickte ich plötzlich an meinem Organ, welches von seiner Hand berührt ward, einen kleinen, aber ziemlich stark glänzenden Funken: soweit ich mich entsinne (ich schreibe dies nieder Ende Juni 1864) von gelbweißlichem Licht, nicht von bläulichem. Der Funken saß nicht, wie das St. Elms-Feuer, am äußersten Ende des Gegenstandes, sondern an einem Punkte des Randes der Glans. Der übrige Theil dieses Randes zeigte kein Erglänzen. Der Funken zeigte sich unbeweglich an ein und derselben Stelle, war auch nicht intermittirend. So lange ich mein Augenmerk auf ihn richtete, war er auch zu sehen. Dieß dauerte wohl einige Minuten lang. Mir wenigstens war er sichtbar. Mein Geliebter scheint ihn nicht bemerkt zu haben, obgleich wir so saßen, daß auch er sehr wohl ihn hätte sehen können. Aufmerksam habe ich ihn nicht gemacht. An meines Geliebten Organ, welches von meiner Hand berührt ward, war von einem Erglänzen nicht die Spur zu sehen, obgleich hier gleiche Erection vorhanden war, wie bei mir. St. Elms-Flammen waren nirgend um uns her sichtbar. Es regnete nicht, hatte auch nicht geregnet. Später habe ich einige wenige Male Gelegenheit gehabt, zu beobachten, ob diese auffallende Erscheinung sich wiederhole, eine Wiederholung indeß nicht bemerkt. Auch früher habe ich sie nicht bemerkt – tatsächlich mag sie ja hin und wieder vorgekommen sein – habe auch nie erzählen hören von phosphorescirenden oder funkenartigen Licht-Erscheinungen bei geschlechtlichen Berührungen, weder in urnischer noch auch in dionischer Liebe.«
War dieser Funken Reichenbach'sches Od? War er positive animalische Electricität? (Mit der Electricität der Wolken und der Luft stand er offenbar nicht in Zusammenhang.) Jedenfalls scheint er mir ein Symptom des Geschlechtslebens gewesen zu sein, erzeugt durch des Us Liebe zu dem Soldaten, sowie durch das von-demselben-berührt-werden. Sehr wünschenswerth wäre es mir, über das Phänomen Aufklärung zu erhalten oder Mitteilung über etwa beobachtete ähnliche.
Geschrieben bei Hannover im Sommer 1864.
(Abschnitt XV. Anfang Decembers 1864.)
Numa Numantius.
§. 121. Zu oben §. 100. »Urbild des Menschen« und Note 44.
Vor dem Marmorbilde des Hermaphroditen. Nach Lucian (Göttergespräche, 23.) ist Hermaphrodit Sohn der Venus, der Aphrodite. N. Num.
O Marmorbild! du bist nicht Mann noch Weib,
Bist ein geheimnißvolles Doppelwesen
Mit Manneszier mit mädchenhaftem Leib.
Liebreiz und Gluth ist dir im Aug' zu lesen,
Und deiner Formen herrliche Entfaltung
Ist wie zum höchsten Sinnenrausch erlesen.
Hast du gelebt, bevor aus kaltem Stein
Dein Bild gemeißelt, jeden zu entzücken?
Umstrahlt dich noch der Unschuld Zauberschein?
Wen durftest du durch deine Gunst beglücken?
Wie ward mit dir der Sehnsucht Gluth gekühlt
Bei der Umarmung taumelndem Entzücken?
Hat dir ein Weib im Lockenhaar gewühlt?
Hermaphrodit! Hast du mit trunknem Beben
An
Männer-Brust der Liebe Qual gestillt?
Dir ward des Mannes stolze Kraft gegeben
Und auch des Weibes Reiz und süße Zartheit:
Und Mann
und Weib machst du vor Lust erbeben
Trotz deiner wunderbaren Doppelartheit!
Hermann von Scharff-Scharffenstein.
§. 122. Zu oben §. 58. c. und §. 76. »Urnische Liebe gewährt wahren Liebesgenuß.« Den Genuß urnischer Liebe schildert Petronius im Satyricon (cap. 79.):
»Qualis nox fuit illa, Di Deacque!
Quam mollis torus! Haesimus calentes,
Et transfudimus hinc et hinc labellis
Errantes animas! Valete curae
Mortales: ego sic perire coepi!«
Seltsam: diese reizenden Verse hat ein Dioning uns übersetzt, der mehrerwähnte Heinse. (A. a. O. Band II. S. 9.; siehe Inclusa §. 86.) Er übersetzt:
»Welch' eine Nacht, ihr Götter und Göttinnen!
Wie Rosen war das Bett! Da lagen wir
Zusammen in Gluthen und wollten in Wonne zerrinnen!
Und aus den Lippen dort und hier ergoß
Sich, frei entschwebend, Seel’ in Seele ganz!
Lebt wohl, ihr Sorgen, euch gehör' ich nicht:
Ich hab' in diesen seligen Sekunden,
Daß ich nun friedlich sterben kann, empfunden!«
Am 6. Januar 1865.
Numa Numantius.