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Ueber die Sage vom Herzog Ernst.

Inauguralrede,
gehalten am 22. November 1832.

Wenn es im Zweck einer Inauguralrede liegt, Art und Richtung der Vorträge des eintretenden Lehrers der akademischen Gemeinde anschaulich zu machen, so glaube ich, bei zufälliger Verspätung meiner Antrittsrede, dem Zweck am besten damit zu entsprechen, daß ich den Gegenstand derselben dem Kreise meiner schon gehaltenen Vorlesungen entnehme.

Die deutsche Nationalliteratur, wie diejenige andrer Völker, ist nicht mit der Masse vorhandener und vollendeter Schriftwerke abgeschlossen. Jenseits der Literatur im buchstäblichen Sinne liegen, für die ältere Zeit, gerade die nationalsten Erzeugnisse des geistigen Lebens: Mythus, Sage, Volksgesang. Allerdings müssen wir auch hierbei zunächst von schriftlichen Auffassungen und Andeutungen ausgehen. Allein das Auffassen im Schriftwerke bezeichnet oft nur die Aufhör des lebendigen Wachstums, das Werden erstarrt im Gewordenen, und um das Wesen des dichterisch schaffenden und bildenden Volksgeistes kennen zu lernen, müssen wir ihn, die jeweilige Form zerbrechend, seinem freien, beweglichen Elemente zurückgeben.

Diesen außerliterarischen Teil der Nationalliteratur unsres und der stammverwandten Völker zur Darstellung zu bringen, war ein vorzügliches Augenmerk meiner bisherigen Lehrvorträge, eben weil hier nicht auf die fertige Schrifturkunde verwiesen werden kann, sondern das Ergebnis in der fortwährenden Entwicklung selbst bestehen muß.

Das weiteste und fruchtbarste Gebiet für diese Seite der geschichtlichen Forschung öffnet sich, was Deutschland betrifft, in dem umfassenden und vielgegliederten Zyklus einheimischer Heldensage. Das Nibelungenlied, dessen Name so häufig zum Losungsworte der oberflächlichsten und verkehrtesten Ansichten dienen muß, macht nur den Abschluß der mannigfaltigen Entwicklungen des großen mythisch-epischen Kreises. Außer diesem zyklischen Verbände gibt es aber noch andre deutsche Sagenbildungen geringeren Umfangs, deren eine ich hier auswähle, um die angedeutete Richtung an einem Beispiele darzulegen, das weniger Zeit erforderte und als ein unscheinbares nur um so besser dem Zwecke dienen möchte.

Es ist die Sage vom Herzog Ernst, die noch jetzt im Volksbuche gangbar ist, das auf unsern Märkten verkauft wird. Von älteren Bearbeitungen derselben nenne ich: zwei größere, mittelhochdeutsche Gedichte aus dem dreizehnten Jahrhundert, von denen bis jetzt nur eines vollständig bekannt gemacht ist, ein lateinisches vom Anfang desselben Jahrhunderts und die Bruchstücke eines deutschen, das noch im zwölften Jahrhundert abgefaßt war. Die früheste nachweisliche Erwähnung einer deutschen Behandlung des Gegenstandes findet sich beim Jahre 1188 in einem Briefe des Markgrafen Berthold von Andechs an den Abt von Tegernsee, worin ersterer sich das deutsche Büchlein vom Herzog Ernst zur Abschrift erbittet.

Die äußeren Spuren der poetisch bearbeiteten Sage reichen somit nicht über die Zeit der Hohenstaufen hinaus. Dagegen werden wir im Inhalt der Dichtung eine Reihe von Personen und Ereignissen aus den Zeiten der früheren Königsgeschlechter, des sächsischen und des fränkischen, gesammelt und zur Einheit verbunden finden. Dies war nur dadurch möglich, daß jene ganze Periode über in der Geschichte selbst gleichartige Bestrebungen walteten, die ich in den Hauptzügen zum voraus bezeichne.

Die deutschen Könige waren, um die Macht ihrer Herrschaft zu heben, unablässig darauf bedacht, sich zugleich der Gewalt, welche die großen Reichsämter darboten, zu versichern. Mittel zu diesem Zwecke suchten sie vornehmlich darin, daß sie die Herzogtümer und andre bedeutende Würden auf Glieder ihres Hauses übertrugen oder durch Vermählungen an dieses knüpften. Hierin lag aber auch der Keim der Eifersucht und Zwietracht unter den nächsten Verwandten selbst, die sich auf solche Weise in verschiedenem Trachten, nach gesammelter Herrschermacht von seiten des Königs, nach Unabhängigkeit und Eigengewalt von seiten der Fürsten, gegenübertraten. Statt daß die Provinzen dem König enger verbunden wurden, indem sein Sohn oder Eidam, sein Bruder oder Schwager über sie gesetzt war, wurden vielmehr diese seine Angehörige ihm durch ihre Stellung nicht minder entfremdet, als es frühere, verdrängte Fürstengeschlechter gewesen waren. Eine weitere Quelle des Familienzwistes ergab sich in der Unbestimmtheit des Erbfolgerechtes, das hier mit dem Wahlrechte, dort mit der jezeitigen Macht des Stärkeren in Wage stand. Die Zerwürfnisse, die aus solchen Ursachen unter hochgestellten und nahe verwandten Personen erwuchsen, waren an sich schon geeignet, Aufmerksamkeit und Teilnahme zu erwecken. In sie waren aber auch die Völker selbst, tätig und leidend, verflochten. Sang und Sage, die Organe der Volksstimmung, mußten von diesen mannigfachen Bewegungen und Verwicklungen um so lebhafter angeregt werden, als es überall auch mächtige Persönlichkeiten waren, die auf dieser tragischen Weltbühne auftraten. Die herrschende Gewalt ist, zu verschiedenen Zeiten, bald mehr in der Idee, bald mehr in die Person gelegt. Im deutschen Mittelalter war letzteres der Fall. Diese Zeit verlangte einen König von Mark und Bein, von sichtbarer, hoher Gestalt, dem der Geist aus den Augen leuchtete. Darum war Deutschland ein Wahlreich; zwar vererbte sich die oberste Gewalt meist langehin in demselben Stamme, aber ein solches Königsgeschlecht war selbst eine Persönlichkeit; konnte diese nicht mehr genügen, so trat, vermöge des Wahlrechts, ein andres an seine Stelle. So kam es denn, daß wir in den Kaiserhäusern des Mittelalters überall auf hervorstechende, im Guten und im Bösen kräftige Persönlichkeiten treffen, auf solche, die wohl auch befähigt waren, Phantasie und Gemüt der Zeitgenossen für Lied und Sage anzusprechen.

Sehen wir nun, wie der angegebene Charakter der Zeit sich in unsrer Sage ausgeprägt hat! Der Inhalt derselben ist, nach der Darstellung des vollständig herausgegebenen, mittelhochdeutschen Gedichts, im wesentlichen folgender:

Kaiser Otto vermählt sich zum zweitenmal mit Adelheid, der schönen und tugendreichen Witwe des Herzogs von Bayern. Ihr Sohn erster Ehe, der junge Herzog Ernst, steht anfangs bei seinem kaiserlichen Stiefvater in großer Gunst und wird von diesem sogar zum Nachfolger im Reiche bestimmt; er ist bei allen Fürsten beliebt, Arme und Reiche wünschen ihm Gutes. Darum neidet ihm der Pfalzgraf Heinrich, Ottos Schwestersohn, und verleumdet ihn bei dem Kaiser, als ob er diesem nach Ehr' und Leben trachte. Der Kaiser läßt sich überreden, und mit seiner Zustimmung fällt Heinrich mit Raub und Brand in Ernsts Land Ostfranken, das zu Bayern gezählt wird. Ernst kommt mit zweitausend Schilden herbei, entsetzt Nürnberg, das der Pfalzgraf belagert hat, und schlägt noch in einem Streite bei Würzburg, wo er und sein Freund, Graf Werner, sich als Helden erweisen, den Gegner in die Flucht. Nachdem Adelheid vergeblich versucht hat, den Gemahl zu besänftigen, gibt sie ihrem Sohne Nachricht, wer die Feindschaft angestiftet habe. Ernst rüstet sich nun zu weiterer Gegenwehr. Dann kommt er, nur selbstdritte, mit dem Grafen Werner und einem andern Dienstmanne, zu Speier, wo der Kaiser sich aufhält, auf den Hof gesprengt. Jener Dritte muß die Rosse halten, Ernst und der Graf gehen hinauf in die Kaiserburg. Es ist an einem Abend, die Herren sind meist zur Ruhe, nur der Kaiser selbst und Pfalzgraf Heinrich sind noch in geheimer Beratung beisammen. Ernst kommt vor die offene Kammertür und dringt ein. Der Kaiser entspringt in eine Kapelle und schließt die Tür hinter sich. Dem Pfalzgrafen aber schlägt Ernst das Haupt ab, geht unerschrocken wieder hinunter und reitet mit seinen Gefährten von dannen. Für diese gewaltsame Tat wird er in die Reichsacht erklärt und eine Heerfahrt nach Bayern aufgeboten. Regensburg wird belagert und täglich davor gestritten. Zuletzt muß sich diese achtbarste Stadt ergeben. An der Donau nieder und den Lech hinauf ziehen die Heere. Ernst rächt die Not seines Landes durch Einfälle in das Reich. So gehen fünf Kriegsjahre vorüber. Als nun aber der Kaiser eine neue Heerfahrt aufruft, da findet Ernst sich nicht mehr stark genug zu nachhaltigem Widerstand, er beschließt, zur Schonung seines Volkes, zu weichen und eine Fahrt nach dem heiligen Grabe zu tun. Fünfzig der Seinigen nehmen mit ihm das Kreuz, und viele andre aus deutschen Landen schließen sich an; er hat wohl tausend in seiner Schar, Ritter und Knechte. Sie ziehen durch Ungarn und die Bulgarei nach Konstantinopel, wo sie sich einschiffen. Von da an beginnt eine Reihe der wunderbarsten Abenteuer. Ein Sturm versenkt einen großen Teil der Schiffe, die übrigen werden zerstreut. Dasjenige, worauf Ernst und Werner sich befinden, wird nach dem Lande Kipria getrieben, wo die Kreuzfahrer ein Volk mit Kranichhälsen und Schnäbeln finden, dem sie eine entführte Königstochter aus Indien abkämpfen. Sie segeln dann weiter, leiden Schiffbruch am Magnetberge, der dem Schiffe alles Eisenwerk auszieht, lassen sich, ihrer sechse, soviel vor Hunger und Krankheit noch übrig sind, in Ochsenhäute genäht, von den Greifen in ihr Nest durch die Lüfte hintragen; fahren auf einem Floße durch den Karfunkelberg, gelangen zu den Arimaspen, Leuten mit einem Auge, bekämpfen dort die Riesen und Plattfüße, gehen nach Indien, besiegen hier für die Pygmäen die Kraniche; dann den König von Babylon und erreichen, von diesem geleitet, Jerusalem, wo sie den Templern das heilige Grab verteidigen helfen. Endlich, nachdem Ernsts Ruhm auch nach Deutschland gedrungen und des Kaisers Zorn sich gelegt, begeben sich die Helden auf die Heimfahrt. Sie kommen am Christabend vor Bamberg an, wo der Kaiser über Weihnachten einen Hof hält. Ernst läßt die Seinen im nahen Walde halten und geht, als es Nacht geworden, in Pilgertracht in die Stadt und nach dem Münster, wohin seine Mutter ihn heimlich beschieden. Sie kommt zur Frühmette, begrüßt mit vielen Tränen den lang entbehrten Sohn und belehrt ihn, wie er sich verhalten soll. Dann tritt sie wieder an ihren Stuhl und ruft mit nassen Augen die Mutter des Herrn an, bei all der Freude und Ehre, die ihr an diesem Tage von dem göttlichen Sohne geworden. Als hernach die festliche Messe gesungen ist und durch die Predigt des Bischofs alle Herzen andächtig bewegt sind, da dringt Ernst, nach der Mutter Rate, vor den Sitz des Kaisers, wirft sich diesem zu Füßen und fleht um Vergebung seiner Schuld. Der Kaiser sagt ihm Verzeihung zu und erhebt ihn mit eigener Hand. Als er aber den Mann in Pilgertracht besser ansieht und ihn erkennt, da wechselt sein Antlitz die Farbe. Die Fürsten jedoch, zuvor von Adelheid für ihren Sohn gestimmt, treten vor den Kaiser und mahnen ihn, daß er noch stets sein Wort gehalten. Da bestätigt er die Versöhnung, zum Jubel alles Volkes. Ernst erhält sein Land wieder und Werner seine Herrschaft. Der Mutter aber ist der wiedergewonnene Sohn, wie das Gedicht sagt, ihr klarer Sonnenschein und ihres Herzens Freude.

Es sind ohne Zweifel vorzüglich die Wunder der abenteuervollen Kreuzfahrt, welche dieser Erzählung eine so große Verbreitung in mehrfachen Bearbeitungen und selbst noch die Fortdauer in unsern Tagen, mittelst des Volksbuches, verschafft haben. Hier beschäftigt uns die deutsche Sage, in welche jene Reiseabenteuer und das auf gelehrtem Wege, mittelbar wenigstens aus Plinius, Solinus, aus den fabelhaften Geschichten Alexanders des Großen, hinzugekommene Wunderbare eingelegt wurden. Was im Zeitverlaufe zum Rahmen geworden, haben wir als Hauptbild herzustellen.

Den Grundbestand der Sage bildet eine Gruppe von fünf Personen: der mächtige Kaiser Otto; dessen zweite Gemahlin, die treffliche Adelheid, Witwe des Herzogs von Bayern; Adelheids Sohn erster Ehe, der junge Herzog Ernst, der erst beim Kaiser, seinem Stiefvater, in höchster Gunst steht, dann aber, als sich Neid und Verleumdung zwischeneingedrängt, vom Kaiser geächtet, bekriegt und vom Lande zu weichen genötigt wird; der Pfalzgraf Heinrich, des Kaisers Schwestersohn, eben der Verleumder und Stifter des Unheils, der aber von Ernsts Schwerte den Lohn empfängt; der Graf Werner, Ernsts treuer Kampfgenosse und unzertrennlicher Begleiter auf seinen Irrfahrten. Die Handlung, zu welcher die fünf Hauptpersonen verflochten sind, besteht in den Störungen des freundlichen Verhältnisses zwischen dem Kaiser und seinem Stiefsohn, in den Kämpfen und Gewalttaten, welche daraus hervorgehen, in den Drangsalen und Heldenwerken der geächteten Freunde und in der endlichen Wiederaufnahme des Vertriebenen in die Huld des Stiefvaters durch Vermittlung der Mutter.

Fragen wir aber nach der geschichtlichen Unterlage, so weisen schon die Namen auf eine für die Einsicht in den Gang der Sagenbildung merkwürdige Vermischung verschiedener Bestandteile hin, in welche sich dem Forschenden jene Gruppe der handelnden Personen und die eine Handlung selbst wieder auflöst. Die Namen Otto, Adelheid, Heinrich gehören der sächsischen Kaisergeschichte und auch wieder verschiedenen Momenten dieser an, die Namen Ernst und Werner der salisch-fränkischen. Und so verhält es sich auch in der Sache selbst; eine Folge – der Zeit und den Personen nach getrennter, aber in Geist und Wesen gleichartiger Geschichten aus der Periode des sächsischen und des fränkischen Kaiserhauses hat sich durch die bindende Kraft der Sagendichtung zur einzigen, scheinbar Gleichzeitiges umfassenden Handlung verschmolzen.

Ich versuche, diesen Hergang klar zu machen, indem ich die historischen Schichten, aus welchen sich das sagenhafte Ganze angesetzt, näher bezeichne. Die erste:

Otto I. und sein Bruder Heinrich.

Otto I., aus dem Hause Sachsen, durch einstimmige Wahl der Fürsten zum deutschen Throne berufen, empfing am 8. August 936, im Dom zu Aachen, unter lautem Zurufe des Volkes, die feierliche Königsweihe. Nach der kirchlichen Feier setzte sich der neue König im Palast zum Krönungsmahle nieder. Die Herzoge des Reiches, jeder in seinem Erzamte, versahen dabei den Dienst. Mit königlicher Freigebigkeit wurden sie von Otto begabt, und man schied in lauterster Freude. Aber die heitere Eintracht, die bei diesem Feste den König und die Fürsten verbunden hatte, war von kurzer Dauer. Unter den vier Reichsbeamten, die ihm beim Krönungsmahle gedient, war nicht einer, der nicht selbst oder dessen Nachkommen nicht, früher oder später, das Schwert gegen den König Otto erhoben hätten. Auch seine Brüder, Dankmar und Heinrich, ließen sich, nacheinander, in diese Empörungen hinziehen. Der letztere, Heinrich, ist uns hier von besonderer Bedeutung. Otto und Heinrich waren Söhne aus der zweiten Ehe Heinrichs I., des Vogelstellers, mit Mathilden, einer Tochter des sächsischen Grafen Dietrichs, vom Stamme Wittekinds. Das Leben dieser ausgezeichneten Frau, wie es auf Befehl ihres Urenkels, des überfrommen zweiten Heinrichs, beschrieben wurde, stellt sie, dem Geiste der Zeit gemäß, im Licht einer Heiligen dar, verhehlt aber doch auch nicht die menschlichen Züge mütterlicher Schwäche. Ihr zweiter Sohn Heinrich war von vorzüglicher Schönheit, er trug den Namen des Vaters, ihn liebte die Mutter vor ihren übrigen Söhnen, und ihn wünschte sie, nach dem Tode des Vaters, auf dem Throne zu sehen. Ihrer Hoffnung schmeichelte der Umstand, daß der ältere Otto vor der Erhöhung des Vaters, ihr Liebling Heinrich aber, wenngleich der jüngere, in der Königspfalz geboren war. Allein je mehr ihn die Mutter verzärtelte, um so härter traf ihn das Geschick. Ueber der Leiche des Gemahls ermahnte zwar die Königin ihre Söhne, sich nicht um weltliche Herrlichkeit zu entzweien, deren Hinfälligkeit sie hier vor Augen hatten. Aber der Same der Eifersucht war ausgestreut, und als Otto den Zepter empfing, trug Heinrich den Stachel im Herzen.

Wenige Jahre nachher verschworen sich die Herzoge Eberhard in Franken und Giselbert von Lothringen, Schwager des Königs, gegen diesen. Heinrich, im ehrgeizigen Gelüste nach der Krone, nahm Teil an dem Aufstand. Aber die Verschworenen wurden, als sie ihr Heer über den Rhein setzten, von den Freunden des Königs überfallen; beide Herzoge kamen um, und Heinrich, dessen hochfahrende Hoffnungen mit einem Schlage vernichtet waren, entfloh nach Frankreich. Doch bald demütigte er sich vor seinem königlichen Bruder, gelobte fortan Treue und erhielt von ihm Vergebung und sogar die Belehnung mit dem erledigten Herzogtum Lothringen. Dieses geschah im Jahr 939. Aber schon im folgenden Jahre wurde Heinrich von seinen neuen Untergebenen verdrängt, und der König sah sich veranlaßt, das Herzogtum anderwärts zu verleihen. Heinrich stiftete eine neue Verschwörung an, und zwar eine sehr gefährliche, gegen das Leben des Königs gerichtet. Dieser jedoch wurde noch zur rechten Zeit gewarnt, die Verbundenen fielen in seine Gewalt, und die meisten derselben büßten ihr Verbrechen mit dem Tode. Nur Heinrich, der Urheber des Anschlages, rettete sich abermals durch die Flucht. Nachdem er eine Zeitlang unstät in seinem verlorenen Herzogtum Lothringen umhergeirrt, suchte er, der vielen Drangsal müde, von neuem die Gnade des schwerbeleidigten Bruders. In Begleitung einiger Bischöfe, die er um ihre Verwendung angesprochen hatte, kam er eines Tages unerwartet, mit bloßen Füßen, als ein Büßender, vor den König und warf sich vor ihm nieder. Dieser wollte zwar dem Gedemütigten kein Leides tun, ließ ihn jedoch nach der Pfalz Ingelheim bringen und dort, bis auf weitere Entschließung, bewachen. Bis zum Ende des Jahres 941 (an Ostern desselben hatte die Verschwörung ausbrechen sollen) saß Heinrich dort gefangen. Der König aber kam nach Frankfurt am Main, um hier das Weihnachtsfest zu begehen. Da gelang es jenem, zur Nachtzeit seiner Haft zu entfliehen. In der Frühe des Christfestes, vor Tagesanbruch, war König Otto im Dom zu Frankfurt beim Gottesdienste gegenwärtig, er hatte all seinen kostbaren Schmuck abgelegt und war mit einfachem Gewande bekleidet, um ihn ertönten die feierlichen Hymnen dieser heiligen Nacht. Da trat mit nackten Sohlen, des Winterfrostes unerachtet, der unglückliche Heinrich in die Kirche und warf sich vor dem Altare mit dem Angesicht auf die Erde. Fromme Gefühle kamen über den König, er war eingedenk des Festes, an welchem die Engel der Welt den Frieden sangen, ihn erbarmte seines reumütigen Bruders, und er gewährte demselben volle Verzeihung. Einige Zeit nachher verlieh er ihm das Herzogtum Bayern, und fortan bestand unter den Brüdern die ungestörteste Eintracht. Ausdrücklich wird noch versichert, daß Ottos milde Gesinnungen gegen seinen straffälligen Bruder durch Ermahnung und Vermittlung ihrer heiligen Mutter Mathilde angeregt worden seien.

Ziehen wir nun aus diesen Berichten der Geschichtbücher den Erfund für unsere Sage, so zeigt sich der historische Otto I. hier in demselben Verhältnisse zu seinem jüngeren Bruder Heinrich, in welchem nach dem Gedichte der gleichnamige Kaiser zu seinem Stiefsohne Ernst steht. Beide, Heinrich und Ernst, müssen, nach vereitelter Unternehmung, vom Lande weichen. Auf seiner zweimaligen Landesflucht wurde Heinrich, wie der Annalist sagt, von vielen Mühsalen ermattet. Schon hier boten sich Anlässe dar, die Schicksale des heimatlos umherirrenden Fürstensohnes mit wunderbaren Abenteuern auszumalen, wie es beim Herzog Ernst geschehen ist. Die Aussöhnung wird durch die Fürsprache einer den beiden Gegnern gleich nahe gestellten königlichen Frau vermittelt; hier ist es die Königswitwe Mathilde, die Mutter der entzweiten Brüder, dort Adelheid, die Mutter Ernsts und Gemahlin Ottos. Heinrich erhielt von seinem versöhnten Bruder das Herzogtum Bayern. Als Herzog von Bayern ist auch Ernst dargestellt, und er empfängt nach der Begnadigung dieses Herzogtum zurück.

Am stärksten aber tritt die Ähnlichkeit in den besonderen Umständen der Versöhnungsszene hervor. Wie im Gedichte Herzog Ernst bei der Weihnachtsfeier im Münster zu Bamberg, Wohin er vor Tagesanbruch in Pilgertracht heimlich gekommen, sich vor dem Kaiser niederwirft, ebenso Heinrich, als Büßender, bei der gleichen Feier im Dome zu Frankfurt.

Die Nonne Roswitha zu Gandersheim, welche diesen Vorgang in ihrem lateinischen Gedichte von den Taten der Ottone am ausführlichsten beschreibt, hat zwar, nach ihrer Versicherung, selbst keine schriftlichen Berichte vor sich gehabt, und es ist darum möglich, daß sie dieses Ereignis bereits durch mündliche Ueberlieferung einigermaßen für die poetische Darstellung zugebildet fand. Aber immerhin stand sie den Begebnissen noch ziemlich nahe, sie schrieb für den Sohn, Otto II., die Geschichten des Vaters, Otto I., und widmete das Werk ihrer Aebtissin Gerberg, der Tochter des begnadigten Heinrichs. Bei ihr nun finden wir schon jene Szene festgestellt, die sich lange nachher, in den Dichtungen vom Herzog Ernst, den Hauptzügen nach unverrückt erhalten hat. Dieselbe ist hier vorzüglich nur darin erweitert, daß die vermittelnde Mutter persönlich in sie eingetreten ist. Jenes: »auf Ermahnung und Vermittlung ihrer heiligen Mutter,« wie von Otto und Heinrich gesagt war, ist in der Sagendichtung vom Herzog Ernst zur lebendigen Gestalt geworden; die milde Fürsprecherin durfte nicht fehlen im Bilde der feierlichen Versöhnung.

So hat sich uns auf dieser ersten Stufe von den Hauptpersonen der Sage Kaiser Otto, dem Namen und der Sache nach, geschichtlich begründet. Auch das Verhältnis des Kaisers, hier zu Heinrich, dort zu Ernst, die Stellung der beiden Frauen, Mathilde und Adelheid, ist sich in allgemeinen Zügen ähnlich, und besonders auffallend ist die Zusammenstimmung in der Katastrophe.

Aber noch sind uns die Namen Adelheid statt Mathilde, Ernst statt Heinrich nicht gerechtfertigt, und andere Personen fehlen noch gänzlich.

Schreiten wir daher weiter in der Geschichte! Zweitens:

Otto I. und sein Sohn Liutolf.

Zehn Jahre nach Beilegung des Bruderzwistes war der Erwerb neuer Macht und erhöhten Glanzes für den König Otto zugleich der Anfang neuen und weitgreifenden Zwiespalts, der wieder von seinem Hause ausging. Adelheid, die junge Witwe des Königs Lothar von Italien, hatte, von ihren Verfolgern gedrängt, die Hilfe Ottos angerufen und ihm, der damals Witwer war, ihre Hand zugleich mit der Herrschaft über Italien anbieten lassen. Otto folgte diesem Rufe, ward der Befreier Adelheids, nahm von dem lombardischen Reiche Besitz und kam im Frühjahr 952 mit seiner neuen Gemahlin nach Deutschland zurück. Die Königin Adelheid, eine Tochter des burgundischen Königs Rudolf II., wußte durch glänzende Schönheit, edle Eigenschaften und die wunderbaren Geschicke, durch die sie frühe schon gegangen war, aller Augen auf sich zu ziehen. Auch um ihr Haupt wob sich in der Folge der Heiligenschein.

Argwöhnisch sah aber zu dieser neuen Verbindung Liutolf, Herzog von Schwaben, der Sohn Ottos aus erster Ehe mit Editha, einer englischen Königstochter. Sein Vater hatte ihn bereits, mit Zustimmung der Reichsfürsten, zum Mitherrscher und Nachfolger ausrufen lassen. Durch die zärtliche Neigung, welche Otto seiner zweiten Gemahlin zuwandte, glaubte sich der damals zwanzigjährige Liutolf aus der Liebe des Vaters verdrängt, die er sonst im vollsten Maße genossen hatte. Er mochte selbst besorgen, daß er, als vor der Thronbesteigung Ottos geboren, in der Reichsnachfolge zurückstehen müsse, wenn diesem in zweiter Ehe Söhne geboren würden. Zunächst jedoch warf sich sein bitterster Groll auf seinen Vatersbruder Heinrich, denselben, der sich früher wiederholt empört, seit seiner letzten Begnadigung aber Ottos unbeschränktes Vertrauen und nun auch das der Königin erworben hatte. Zuvor schon waren Liutolf und Heinrich über die Grenzen ihrer Herzogtümer, Schwaben und Bayern, in Streit geraten. Jetzt, nachdem die Eifersucht immer heftiger entbrannt war, verband sich Liutolf mit dem gleichfalls unzufriedenen Eidam des Königs, Herzog Konrad von Lothringen, und dem Erzbischof Friedrich von Mainz, um gegen Heinrich loszubrechen und, wenn der König sich des letzteren annähme, auch ihm die Spitze zu bieten. Vor den König nach Mainz beschieden, gaben zwar Liutolf und Konrad vor, daß ihre Rüstung nicht gegen ihn gerichtet sei, äußerten jedoch ohne Rückhalt ihr Vorhaben, den Herzog Heinrich zu greifen, wenn er zum Osterfest am königlichen Hoflager zu Ingelheim sich einfinde. Nachdem sie, infolge ihrer Weigerung, auf dem Reichstage zu Fritzlar zu erscheinen, in die Reichsacht und ihrer Herzogtümer verlustig erklärt worden waren, brach im Sommer 953 die offene Fehde aus. Im Verlaufe derselben bemächtigte sich Liutolf der festen Städte des Bayernherzogs, namentlich der Hauptstadt Regensburg, welche fortan der Mittelpunkt des Kampfes wurde und dreimal von seiten des Königs harte Belagerung erfuhr. Die Empörer scheuten sich nicht, selbst die wilden Scharen der Ungarn zu ihrer Hilfe nach Deutschland zu rufen. Zuletzt jedoch mußte Regensburg sich ergeben, und als die Heere sich an der Iller zu einer neuen, entscheidenden Schlacht gegenüberstanden, wurde ein Stillstand dahin vermittelt, daß Liutolf auf einem Reichstage zu Fritzlar sich stellen solle, um des königlichen Ausspruchs zu gewarten. Als nun in der Zwischenzeit, im Herbst 954, Otto zu Sonnenveld, in Thüringen, der Jagd oblag, erschien Liutolf, der ihm nachgezogen, barfuß und warf sich vor ihm nieder. Der Vater zuerst und dann alle Anwesenden wurden, wie der Annalist sagt, vom Flehen des reuigen Sohnes zu Tränen gerührt. Liutolf wurde begnadigt, das Herzogtum Schwaben jedoch erhielt er nicht zurück.

Auf gleiche Weise, wie in der früheren Verwicklung seinem meuterischen Bruder Heinrich, steht Kaiser Otto in dieser zweiten seinem widerspenstigen Sohne Liutolf gegenüber. An seiner Seite erscheint nun auch, wie im Gedichte, seine zweite Gemahlin Adelheid, deren Namen wir bisher noch vermißten. Aber die geschichtliche Adelheid ist Liutolfs Stiefmutter und, wenn auch unverschuldet, Gegenstand seines Grolles. Die Königin Adelheid der Sage dagegen ist Fürbitterin des Sohnes beim Stiefvater. In dieser sagenhaften Adelheid lebt offenbar die historische Mathilde fort, deren Tätigkeit in Vermittlung und Fürsprache uns bekannt ist; ein späterer, glänzender Frauenname hat die Stelle eines früheren eingenommen. Liutolf ist von seinem Vater zum Reichsnachfolger bestimmt, und die Besorgnis, in dieser Nachfolge beeinträchtigt zu werden, reizt ihn auf; Ernst hatte von seinem Stiefvater, als er gleichfalls noch in dessen voller Liebe stand, dieselbe Bestimmung erhalten, was nur in seiner Identität mit Liutolf einen rechten Anhalt findet. Vorzüglich aber weist uns die Geschichte nunmehr auch den Verleumder und Zwietrachtstifter Heinrich, wie er im Liede lebt und mit eben diesem Namen nach. Dort heißt er Pfalzgraf, hier ist er Herzog von Bayern, dort des Königs Neffe, hier sein jüngerer Bruder. Derselbe Heinrich, der in der ersten Geschichte der Aufrührerische und Geächtete war, also in der nämlichen Stellung, wie nachher Liutolf und im Gedichte Ernst, sich befand, nimmt nun einen Standpunkt ein, auf welchem Sage und Geschichte in seinem Namen Zusammentreffen. Der Bayernherzog Heinrich wird zwar nicht von dem gekränkten Liutolf erschlagen, wie der Pfalzgraf Heinrich des Gedichts von Herzog Ernst bei dessen kühnem Eindringen in die Kaiserburg zu Speier. Aber das melden die Annalen, daß Liutolf und Konrad offen gedroht, den Herzog Heinrich zu greifen, wenn er sich zur Osterfeier zu Ingelheim, auch einer rheinischen Königspfalz, einfinden würde. Besonders noch stimmen des historischen Liutolfs und des sagenhaften Ernsts Krieg gegen den Kaiser darin überein, daß beidemal die belagerte Stadt Regensburg der Mittelpunkt des Kampfes ist. Liutolfs endliche Begnadigung geht nicht so feierlich in der Kirche vor wie bei Heinrich und Ernst, aber doch wirft auch er sich als Büßender, mit bloßen Füßen, vor dem beleidigten Vater und König nieder.

Wir haben hiernach in diesem zweiten historischen Ansatze den Namen Adelheid, einer weiteren Hauptperson des Gedichts, dann Namen und volle Gestalt des Zankstifters Heinrich, nebst der Belagerung Regensburgs, urkundlich aufgefunden. Kaiser Otto steht fortwährend an seiner Stelle, und der Sohn Liutolf entspricht dem Stiefsohne Ernst.

Es ließe sich, auf einer weiteren Sprosse der sächsischen Kaisergeschichte, in Otto II., dem Sohne und Nachfolger Otto I., und in Heinrich von Bayern, dem gleichnamigen Sohne des bisher besprochenen Bayernherzogs, ähnliche Zerwürfnis und Versöhnung nachweisen, wie sie zwischen den Vätern stattgefunden. Doch mag hier die Bemerkung genügen, daß Begebenheiten und Verhältnisse, die sich so von Geschlecht zu Geschlecht, selbst unter gleichen Namen, geschichtlich wiederholten, auch in der Sage dasselbe Gepräge zu erhalten und aufzufrischen geeignet waren.

Notwendig aber zur Ergänzung des historischen Sagenbodens, auf welchem uns bisher noch die Namen des Haupthelden Ernst und seines Freundes Werner fehlten, ist die folgende, dritte Geschichtsstufe:

Konrad II. und sein Stiefsohn Ernst.

Ein andres Geschlecht deutscher Könige stieg herauf, das fränkische oder salische. An der Spitze desselben stand Konrad II. Fest und rastlos wirkte auch er darauf hin, die Macht seines Hauses und damit seine Herrschergewalt zu mehren und zu stärken. Er war vermählt mit Gisela, der Witwe des Herzogs Ernst von Schwaben, die als die ausgezeichnetste Frau ihrer Zeit gepriesen wird. Sie hatte aus erster Ehe einen Sohn, der gleich seinem Vater Ernst hieß und dessen Nachfolger im Herzogtum Schwaben war. Um die Erbfolge im Königreich Burgund entzweite sich der junge Fürst mit seinem mächtigen Stiefvater. Er griff zu den Waffen, aber bald in diesem ungleichen Kampfe von seinen Vasallen verlassen, mußt' er sich unbedingt dem Kaiser ergeben und wurde von diesem auf dem Felsschlosse Gibichenstein eingekerkert. Einzig Graf Werner von Kiburg war ihm treu geblieben, verteidigte drei Monate lang seine Feste Kiburg gegen den Kaiser und irrte, als solche nicht länger zu halten war, geächtet umher. Auf Fürsprache seiner Mutter Gisela wurde Ernst, nach zweijähriger Gefangenschaft, wieder freigelassen. Er sollte zuerst das Herzogtum Bayern erhalten, nachher aber in sein Herzogtum Schwaben wieder eingesetzt werden, jedoch unter der Bedingung, daß er schwöre, Werner, den Anstifter der Unruhen, wenn dieser sich in seinem Gebiete betreten ließe, festzunehmen und auszuliefern. Ernst aber wollte lieber auf das Herzogtum verzichten, als den Freund verraten. Ihn schreckte nicht, daß Reichsacht und Kirchenbann über ihn ausgesprochen wurde. Mit Werner und einigen andern begab er sich zuerst nach Frankreich, um bei dem Grafen Odo von Champagne, seinem Verwandten, Beistand zu finden. Als aber dieser Versuch vergeblich war, setzte er sich mit seinen Gefährten, in der Wildnis des Schwarzwaldes, auf die Burg Falkenstein, deren Trümmer noch in der Gegend von Wolfach zu sehen sind. Dort aufgesucht und gedrängt, fiel er in verzweiflungsvollem Kampfe gegen die Uebermacht zugleich mit Werner und vielen der Seinigen. Dies ereignete sich im Jahr 1030.

Die Schicksale des Herzogs Ernst, die wechselseitig aufopfernde Treue der beiden Freunde und ihr gemeinsamer Tod, wie die Geschichte sie beurkundet, bieten dem Gemüte so viel Ergreifendes dar, daß man ihren frühzeitigen Uebergang in Lied und Sage sich wohl erklären kann. Es ist auch nicht zu zweifeln, daß diese Geschichten ursprünglich selbständig gesagt und gesungen wurden. Aber derselbe Bildungstrieb, vermöge dessen sich in unsrem größeren epischen Zyklus so mannigfache Sagen und Sagenkreise zum umfassenderen Ganzen verbunden haben, äußerte auch hier noch seine Wirksamkeit und spielte die fränkisch-alemannische Sage mit der ottonischen, deren stufenweise Bildung bisher verfolgt wurde, zusammen. Der Anlaß und Heftpunkt dieser Verknüpfung lag darin, daß die Stellung Ernsts zu seinem Stiefvater Konrad und seiner Mutter Gisela in der Hauptsache die nämliche wie schon auf jener ersten Stufe die Stellung des sächsischen Heinrichs zu seinem königlichen Bruder Otto und seiner Mutter Mathilde. Aber die Verknüpfung ging nicht ohne bedeutende Einbuße von fränkisch-alemannischer Seite von statten. Die wahrhafte Geschichte des Herzogs Ernst steht offenbar größer da als die nunmehrige Sagendichtung. Die Geschichte bot zwei lebendige Hauptmomente dar, welche gewiß auch von Anfang im Volksgesang aufgefaßt waren: die wetteifernde Treue der beiden Freunde und die Stellung Giselas zwischen dem Gemahl und dem unglücklichen Sohne. Das erstere Moment, das großartige Beispiel der Freundestreue bis in den Tod, ist unverkennbar das dichterisch bedeutendere. Aber es ist der Sagenverknüpfung zum Opfer gebracht worden und nur noch die Spur, wie es einst lebendiger in der Sage gewaltet, hat sich noch darin erhalten, daß im Gedichte Herzog Ernst und Graf Werner als unzertrennliche Gefährten im Kampf und auf der Irrfahrt erscheinen. Der ältere, ottonische Sagengrund blieb unvertilgt und behauptete das Uebergewicht über den späteren Anwuchs. Jene ältere Sage schloß mit der Versöhnung und so fiel die tragische Katastrophe der Ernstssage hinweg. Das Gemeinsame der beiden Sagen schlug in ihrer Verbindung vor und dieses lag für die Ernstssage in dem zweiten Hauptmoment, in der Stellung Giselas zwischen Gemahl und Sohn, deren Entsprechendes in der ottonischen Sage uns genügend bekannt ist. In den Namen Adelheid, der im Gedichte feststeht, trat, wie früher Mathilde, so nun Gisela ein. Die Mutterliebe, wie sie unermüdlich wach und tätig ist, dem bedrängten Sohne sein hartes Schicksal zu lindern und die Versöhnung des unseligen Zwiespalts herbeizuführen, und wie sie zuletzt, nach manchem bittern Jahre, freudig gerührt, ihr Friedenswerk zum Ziele gebracht sieht, diese fromme Mutterliebe ist auch wirklich im Gedicht vom Herzog Ernst mit vieler Innigkeit aufgefaßt und durchgeführt, und eben hierein setze ich hauptsächlich dessen poetischen Gehalt. Nicht bloß der Sturm der Leidenschaften, das Toben der Kämpfe, ist aus jenen Jahrhunderten zu uns durchgedrungen, sondern, in der liebenden Mutter, auch das milde Gemüt, der sanfte Friedenshauch. Indem die ursprüngliche Ernstssage sich nunmehr auf das zweite Moment beschränkte, bricht sie, mit den Berichten der Annalisten verglichen, schon beim Jahre 1024, sechs Jahre vor Ernsts Tode, ab, da nämlich, wie er, nach seiner ersten Auflehnung, gedemütigt, dem Stiefvater nach Augsburg folgt und hier, durch die Zwischenkunft der Mutter, mit ihm ausgesöhnt wird. Dies, glaube ich, ist auch der Punkt, auf welchem die Ernstssage mit der ottonischen, mit den ähnlichen Versöhnungsszenen in dieser, sich berührte und zusammenschmolz, dabei aber ihren tragischen Schluß hinter sich ließ.

Sehen wir von dem ab, was auf solche Weise verloren ging, so ist gleichwohl nicht zu mißkennen, daß in jener Gruppe, von der wir ausgingen und die wir nun aus so mannigfachen Entwicklungen herangebildet fanden, noch immer ein tüchtiges deutsches Geschichtbild vor uns steht. In den Hallen des alten Doms, wo die Priesterschaft Weihnachtshymnen anstimmt, ragt, in einfachem Gewande, des ernsten, strengen Kaisers hohe Gestalt, vor ihm, am Altar, wirft sich ein Mann in Pilgertracht nieder, in Kämpfen und Mühen früh gealtert und fast unkenntlich geworden, an dessen Seite steht, die Hand am Schwert, der treue Genosse seiner Drangsale, auch jetzt bereit, jede Wendung der Dinge mit ihm zu tragen und durchzukämpfen, die Mutter aber beugt sich herein, die fürbittenden Hände gefaltet. Auch die Fürsten des Reiches, im Halbkreis umher, zeigen ihre vermittelnde Teilnahme und erwartungsvoll drängt sich die Volksgemeinde, die einst von dieser Geschichte sagen wird. Den Verräter aber, den Anstifter des Unheils, und seinen blutigen Tod deckt längst der breite Grabstein am Boden der Kirche.

Gerade, daß der Kaiser zugleich Otto und Konrad, Ahn und Urenkel ist, der knieende Pilger Heinrich, Liutolf und Ernst, die fürbittende Frau Mathilde, Adelheid, Gisela, daß in den stehengebliebenen Namen verschiedene geschichtliche Epochen sich kreuzen, daß der Verräter Heinrich der sächsischen, der treue Werner der fränkischen Kaisergeschichte angehört, eben damit ist das Geschichtbild ein ideales, es stellt den Geist und Charakter einer langen, vielbewegten Zeitperiode dar.

Der geschichtliche und früher im Volksgesange gefeierte Ernst hat allerdings in der Sage, in welcher sich so viele Zeitereignisse aufgerollt, an seiner sittlich-tragischen Erscheinung verloren, aber doch war die Nachwirkung derselben so mächtig, daß er der ottonischen Sage, indem sie ihn und seinen Freund in sich aufnahm, seinen Namen aufdrückte, daß solche nun als die Sage vom Herzog Ernst fortlebt.

Ernst verehrt am Ziele seines Irrsals dem Kaiser den leuchtenden Edelstein, den er bei der Fahrt durch den hohlen Berg aus dem Felsen geschlagen und der, fortan ein Kleinod in der Reichskrone, als der einzige seiner Art, der Waise genannt wird. Diesem Steine legt das lateinische Gedicht die wunderbare Eigenschaft bei, daß er, auf der rechten Scheitel sitzend, das Bild des römischen Reiches zurückwerfe. So befestigt doch am Ende noch Ernst in der alten Reichskrone den weltspiegelnden Kristall der Poesie, in welchem all jene weiten Räume deutscher Geschichte sich abstrahlen.

Es ist versucht worden, die historische Begründung der Ernstssage noch in ein drittes Kaisergeschlecht, das schwäbische, fortzusetzen. Man hat in Ernsts verwegener Gewalttat, wie er seinen boshaften Neider, den Pfalzgrafen Heinrich, zu Speier in der Kammer des Kaisers aufsucht und erschlägt, wie der Kaiser selbst nur durch schnelle Flucht dem Schwerte des Zürnenden entrinnt, eine poetische Nachbildung des Königsmordes gemutmaßt, welchen der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach an dem Hohenstaufen Philipp verübte, indem er auf ähnliche Weise in Philipps Gemach auf der Altenburg bei Bamberg eindrang. Die Vergleichung dessen, was hiervon die Jahrbücher melden, mit den Umständen der Tat in der Sage zeigt wirklich auffallende Uebereinstimmung, während in sächsischer und fränkischer Kaisergeschichte, außer den Drohungen Liutolfs gegen Heinrich, nichts dergleichen vorkommt. Allein da der Vorgang zu Speier bereits in den Ueberresten einer poetischen Darstellung der Ernstssage erzählt ist, welche nach Vers und Sprache unzweifelhaft noch dem zwölften Jahrhundert angehört, die Ermordung Philipps aber in das Jahr 1208 fällt, so muß jene Beziehung notwendig aufgegeben werden. Dagegen bieten sich in karolingischen Sagen, die ihre Ausbildung im nordfranzösischen Epos erhielten, entsprechende Züge von Vasallenfrevel dar und geschichtlich finden wir schon unter Ludwig dem Deutschen zweier Großen des fränkischen Reiches, eines Grafen Ernst und eines Grafen Werner, gedacht, welche als Meuterer, der erstere im Jahr 861, der andre im Jahr 866, ihrer Würden entsetzt wurden. Hierin liegen zwar Andeutungen, nach welchen die Ernstssage gegen eine frühere Zeit, als die der Ottone, bei der wir begonnen, sich erschlösse. Für eine bestimmtere Nachweisung aber sind die Meldungen der Annalen von den Grafen Ernst und Werner des neunten Jahrhunderts allzu summarisch abgefaßt.

Den vermuteten Einfluß der Tat Ottos von Wittelsbach auf die Gestaltung unserer Sage mußten wir aus chronologischem Grunde ablehnen. Zulässiger scheint es, umgekehrt, einen Einfluß der Sage auf die Tat anzunehmen. Jener Graf Berthold von Andechs, der sich im Jahr 1188 das deutsche Büchlein vom Herzog Ernst zur Abschrift erbat, war der Vater des Markgrafen Heinrichs von Istrien, der als Anstifter der vom Wittelsbacher verübten Freveltat betrachtet und deshalb geächtet wurde, sowie des gleichfalls in diese Sache verwickelten Bischofs Egbert von Bamberg. War nun das Gedicht, in der Jugend dieser Brüder, im Hause Andechs vorhanden, so ist auch die Möglichkeit gegeben, daß eine, damals so beliebte Fabel dem Markgrafen Heinrich und seinem Mitverschworenen, Otto von Wittelsbach, zum aufregenden Vorbild diente, nach welchem sie den eigenen kecken Anschlag faßten. Dies angenommen, hätte derjenige Bestandteil der Sage, der in der fernsten Vergangenheit zu wurzeln scheint, auch am weitesten hinaus noch das schwäbische Kaiserhaus ergriffen, aber nicht zu poetischer Gestaltung, sondern rückwirkend auf die Geschichte. Der Sagenheld Ernst erschlägt den leibhaften Kaiser Philipp.

Die Zeit der Hohenstaufen ist unstreitig diejenige Periode des deutschen Mittelalters, welche die reichste und mannigfaltigste Fülle dichterischer Denkmäler aufzuweisen hat. Ueberaus dürftig und farblos erscheint hiegegen, was die Literargeschichte aus den Zeiten der sächsischen und fränkischen Kaiser zu verzeichnen weiß. Anders jedoch stellt sich die Sache, wenn wir im Reichtum der späteren Zeit auch das Erbe der früheren zu erkennen, wenn wir auch den leiseren Spuren und Klängen des nichtliterarischen Altertums nachzugehen bemüht sind. Dann wird sich zeigen, daß dem ritterlichen Minnesang, der sich vom Ende des zwölften Jahrhunderts an so üppig und kunstreich entfaltete, ein einfacherer, aber frischerer Volksgesang vorausgegangen sein muß, daß die deutsche Heldensage, die unter den Hohenstaufen in größere Dichtwerke aufgefaßt wurde, notwendig erst durch die vorherigen Perioden hindurchgeschritten ist und in diesen ihrem ursprünglichen Wesen noch näher kam. So trägt denn auch unsre Ernstssage in sich die Gewähr, daß sie, wenn gleich die vorliegenden Bearbeitungen kaum noch ins zwölfte Jahrhundert hinaufgehen, doch ihrem inneren Wachstum nach aus viel älteren Zeiten herstammt. Ja sie gibt den Beweis, daß in dieser älteren Periode mehr noch als in der hohenstaufischen, die bildnerische Triebkraft im deutschen Volke tätig war, welche die Geschichten der eigenen Zeit zum Epos gestaltet. Wer es unternähme, der Sage vom Herzog Ernst die sonstigen Spuren sagenhafter Ueberlieferung, besonders aus den Tagen Ottos I., anzureihen, dem möcht' es gelingen, jene scheinbar öden Strecken der deutschen Literargeschichte in poetischem Anbau ergrünen zu lassen. Gerade diese dunkleren und anscheinend undankbaren Zeiträume gewähren der geschichtlichen Forschung einen höheren Reiz als diejenigen, welche schon licht und fruchtbar zu Tage liegen; denn bei den ersten muß sie selbsttätiger, auf eine dem dichterischen Schaffen verwandte Weise, in Wirksamkeit treten.


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