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Tallien in Paris. – Er sucht vor dem Convent sein Betragen in Bordeaux zu rechtfertigen. – Tallien als Vorsitzender im Convent. – Seine Gemeinplätze Robespierre gegenüber. – Er läßt von Theresia eine Petition an den Convent richten. – Robespierre läßt sich nicht zum Narren halten. – Er befiehlt die Verhaftung Theresias. – Taschereau, ein Agent Robespierres. – Theresia wird in das Gefängniß La Force abgeführt. – Tallien unterzeichnet den Befehl zur Verhaftung Guérys. – Seine Gründe. – Alberne Redensarten Tallien's Robespierre gegenüber. – Theresia im Gefängniß. – Sie spielt keinerlei Rolle im Staatsstreich vom 9. Thermidor. – Ein Bericht über diesen Tag.
Man erinnert sich, daß Tallien Bordeaux am 22. Februar 1794 verlassen hatte, um in Paris seine Rechtfertigung selbst zu führen. Mißtrauen begegnete ihm von allen Seiten: der Wohlfahrtsausschuß ließ ihn nicht einmal vor. Brief Talliens an Ysabeau 3. März.
Nach verschiedenen fruchtlosen Versuchen mußte ihm klar werden, daß er zu den »Verdächtigen« zähle. Am 12. März hielt er im Convent eine große Rede, durch welche er der Anklage vorgreifen wollte. Er sagte u. A.:
»Seit lange schon werden die Patrioten von Verleumdungen verfolgt. Die Repräsentanten des Volkes, die man in die Departements schickte, sind heute allen Anfeindungen, allen Widerwärtigkeiten preisgegeben. Nichts Auffälliges ist in dem Betragen der Feinde, ihre Complotte sind zu oft vereitelt, die Larve ist ihnen von der Stirn gerissen. Die nach Bordeaux geschickten Repräsentanten durften darauf rechnen, daß sie nicht verschont bleiben würden. Diese Commune war zu einem der Hauptherde des Föderalismus geworden, es zeigte sich eine große Aufregung der Geister, Verführung überall. Girondisten in Bordeaux und Paris verstanden einander vortrefflich. Verschwörungen breiteten sich über die ganze Republik aus. Und wären wir nicht mit kluger Energie vorgegangen, so hätte Bordeaux dasselbe Schicksal gehabt, wie Lyon. Wir waren so glücklich, diese bedeutende Commune für die Republik zu retten und zwar ohne daß auf Seite der Patrioten ein Tropfen Blut geflossen wäre. Wir haben den Föderalismus bis in seine Wurzeln ausgerottet, wir haben den gebeugten Muth der Patrioten wieder aufgerichtet, wir haben sie zu den öffentlichen Aemtern berufen, wir sind voller Muth den Aristokraten entgegengetreten, wie den Föderalisten, wie allen Verdächtigen. Daß wir von ihren Helfershelfern denuncirt wurden, ist erklärlich, wir haben es nicht anders erwartet. Ihr Ausschuß für die öffentliche Sicherheit hat gestern einen Brief erhalten, in welchem ihm angezeigt wird, daß Ysabeau und ich im Begriff ständen, uns nach Amerika einzuschiffen und daß das Schiff, auf welchem wir fahren wollten, mit mehreren Millionen beladen wäre. Alle Journale veröffentlichen heute, daß in Bordeaux die Gegen-Revolution ausgebrochen ist, daß die Verdächtigen in den Straßen sich breit machen und der Patriotismus geknechtet würde. Nun denn, Bürger, Alles dies ist erlogen! … Eine große Anzahl von Bewohnern Bordeaux' sind in diesem Augenblick in Paris und werfen mit Schimpfworten über Bordeaux und die Volksrepräsentanten, die dort hingeschickt wurden, um sich. Handelte es sich nur um mich, ich wäre nicht hierhergekommen, um heute die Aufmerksamkeit des Convents in Anspruch zu nehmen; die Schmähungen, ich erkläre es, waren von Nichtswürdigen, von Schurken verbreitet. Der Convent ist verpflichtet, Denen gerecht zu werden, die ihre Schuldigkeit gethan haben. Es ist nöthig, daß die guten Bürger beruhigt, daß die Frevler zum Schweigen gebracht werden, und daß diejenigen Männer, welche nie und nimmer ihre Grundsätze änderten, von Denen aufgemuntert werden, welche dieselben zu schätzen verstehen.
Ich fürchte die allerstrengste Untersuchung meines Verhaltens nicht, ebenso wenig wie die des Verhaltens meines Collegen: im Gegentheil, ich beantrage sie! Mit Ungeduld sehe ich dem Augenblick entgegen, da ich vor Ihren Ausschüssen Bericht über all unsere Maßnahmen erstatten kann, sie werden, wie Sie selber, erstaunt sein von der Masse der Arbeit, die wir auf uns genommen und bewältigt haben.«
Diese etwas dürftige Vertheidigungsrede beseitigte den bestehenden Argwohn nicht. Zehn Tage, nachdem sie gehalten war, präsidirte Tallien (22. März) im Convent, sein Präsidium währte bis zu dem Tage, da die Häupter Danton's und Desmoulin's fielen. Die Präsidenten des Convents wurden nur auf die Dauer von vierzehn Tagen gewählt.
Inzwischen konnte sich Tallien der Bemerkung nicht entziehen, daß die Verdachtsgründe wider ihn und daß seine Widersacher im Convent sich mehrten. Die Art, wie Robespierre sich Danton's und Desmoulin's entledigt hatte, mahnte ihn daran, daß ihm dasselbe Schicksal bevorstände: jene waren auf Grund des von Robespierre aufgestellten Programms (16. Germinal – 15. April) geköpft worden. Um das ihm drohende Schicksal zu beschwören, hielt er es für angezeigt, sich noch einmal hinter das Rednerpult zu stellen, um Dem einige Schmeicheleien zu sagen, dem der gesammte Convent bereits unterthänig war.
»Wenn unter uns«, rief er, »noch Männer sind, deren politische Grundsätze verwerflich sind, Männer ohne Rechtlichkeit, ohne Ehre, ohne Tugend, so mache man sie doch ohne Weiteres namhaft, und wenn die Beschuldigungen gerechtfertigt sind, so werden wir uns wie ein Mann erheben und sie vor das Revolutionstribunal verweisen. Allein Privatanfeindungen und Verdächtigungen müssen ein Ende haben. Mögen Männer, die da sind, um sich gegenseitig zu achten, einander prüfen und Denen ihr Vertrauen schenken, die es verdienen. Patrioten von der Bergpartei, die Ihr nie abgewichen seid von den Grundsätzen der Wahrheit, die Ihr, nur 50 an der Zahl, lange gegen die Rechte und deren abscheuliche Machenschaften gekämpft habt, ich sage Euch, es ist heut mehr denn je nöthig, daß die Patrioten zu einander stehen. Und wenn Andere da sind, die von ihren Irrwegen zurückkehrten und aufrichtig wünschen, mit uns gemeinschaftlich zu marschiren, die rein sind wie das Volk, welches sie vertreten, die nichts mit Complotten zu thun hatten, die wir gestraft haben, wir werden mit ihnen den dornenbestreuten Weg gehen, werden mit ihnen das Glück des Volkes machen.«
Man sieht, wie Tallien Schutz und Stütze bei der Bergpartei suchte, wie er auf sie zählte und wie er den Anderen entgegenkommt und sie versichert, sie wären bei seiner Partei bestens willkommen. Leere Worte! »Dornen-Weg« – »Glück des Volkes« – keine praktische Idee, nur hohle Phrasen, wie sie dem Volke gefallen, das sich an ihnen genügen läßt!
Um der Bergpartei noch besonders zu gefallen, spricht er ihr von ihren Feinden, von Denen, die sich dem Glück des Volkes widersetzen, er reizt zum Haß, nachdem er vor Rührung geweint hat.
»Aber«, ruft er schließlich mit drohend erhobener Stimme, »wir wollen von Denen Nichts wissen, die in den ersten Tagen der Revolution sich nicht gestellt haben, die versteckt waren in ihren Kellern, während wir uns kämpfend um die Bastille schaarten, die sich in die Bresche stellten, als keine Gefahr mehr war, und die sich heut nur zeigen, um uns einen Theil der dem besiegten Feinde abgenommenen Beute abzufordern.«
Ja, die dem besiegten Feinde abgenommene Beute, das ist das Wichtigste! Darauf versteht sich der Herr Tallien am Besten und weiß, daß auch eine gewisse Anzahl seiner Collegen sich sehr darum kümmert. Das ist der Kern seiner Rede, in zwei Worten versucht er, sich zu rechtfertigen, aber in unbestimmter Weise, denn unbestimmt sind auch die Beschuldigungen wider ihn, die unter den Volksvertretern wie beim Volk laut wurden.
»Diese Beute des besiegten Feindes«, so fährt Tallien fort, »wir haben sie demselben nur abgenommen, um sie unter das Volk zu vertheilen. Sie selbst haben es auf den Bericht des Wohlfahrts-Ausschusses hin angeordnet, und die Vertheilung erfolgt nach dem Wunsche, den wir im Herzen tragen, sie soll das Schicksal der unbegüterten Patrioten lindern – das ist Alles, was wir wollen!«
Das Volk auf den Tribünen mußte einer solchen Sprache applaudiren: denjenigen ihre Habe entreißen, die durch Arbeit, Talent, Sparsamkeit, durch ihre dem Staate geleisteten Dienste, durch Entbehrungen oder Gefahren dieselben erworben haben, um sie unter Diejenigen zu vertheilen, die, anstatt zu arbeiten und zu sparen, es vorziehen, ihre Zeit in den Conventssitzungen, in den Schenken oder Clubs zu verbringen – das war in der That eine wunderbare Idee, und der, der sie aussprach, ein großer Mann! Das Volk applaudirt stets Denen, die ihm schmeicheln, die seinen Instincten begegnen. Tallien wußte dies und suchte sich aus einer unangenehmen Lage durch ein Compliment an das Volk, das ihm durch seinen zujauchzenden Beifall Amnestie ertheilte, zu befreien.
Seine Phrasenliebe aber verleitet ihn noch zu folgendem Zusatz:
»Dann werden wir in unsere Hütten, unsere Scheunen zurückkehren und uns sagen können, wir haben eine glorreiche Aufgabe erfüllt, haben den Erwartungen der Nation genügt, haben das Vertrauen gerechtfertigt, welches man in uns setzte – dort werden wir in Frieden uns des Glückes freuen, das Glück des Volkes gemacht zu haben. Das ist Etwas, was wir allen Schätzen der Welt vorziehen!«
Zweifel erscheinen hier in der That am Platz: in eine Scheune wäre dem Herrn Tallien seine Maitresse schwerlich nachgekrochen, sie wollte sich vor allem ergötzen an den materiellen Gütern der Welt, wollte sich Nichts versagen, sie mußte Pferde, Wagen, Dienstboten und Juwelen haben. Später hat Tallien denn allerdings eine sogenannte Hütte, die » chaumière Tallien«, bewohnt, aber welche Pracht, welcher Luxus herrschte im Innern derselben, sie erinnerte in Nichts an eine Wohnstätte armer Landleute. Es war sehr gewagt, wenn er von sich behauptete, daß er sich in seine Hütte, seine Scheune zurückziehen wolle, während er doch in Bordeaux in seinem Hause an der Place Dauphine einen so fabelhaften Aufwand getrieben hatte. Er ging nie zu Fuß, man sah ihn stets in einer Equipage, er aß Weißbrod, während die ganze Stadt Schwarzbrod genoß, er trank nur die theuersten Weine des Landes. Seine Worte sollten nur den niedrigen Empfindungen des Neides bei seinen Zuhörern schmeicheln.
Robespierre hatte keinerlei Zuneigung zu Tallien: er hatte eigentlich nur Verachtung für diesen unfertigen, diesen durch und durch falschen, charakterlosen Menschen, der vor einem Unterrock, vor einem Thaler auf den Knieen lag und stets bereit war, aus Liebe zu dem einen oder dem anderen Alles zu verrathen. Tallien war sich der Antipathie Robespierre's bewußt. Es setzte ihn der durchdringende Blick, kalt und scharf wie das Secirmesser des Chirurgen, den Robespierre zuweilen durch seine Brille auf ihn richtete, in nicht geringe Verlegenheit. Vor ihm war er verlegen und bestürzt, wie der Schuldige vor dem Richter. Daß Tallien Robespierre nicht leiden konnte, ist klar: schwach und ohne inneren Halt fürchtete er ihn, falsch und strebsam wie er war, versuchte er dem Gewaltigen zu schmeicheln. Robespierre aber in eisiger Verachtung nahm seine Huldigungen nicht an. In der Sitzung vom 1. Germinal des Jahres II (21. März 1794) las Tallien, der erst seit einem Monat in Paris war, eine Rede im Convent vor, die sich in den denkbar heftigsten Ausdrücken gegen Aristokraten und Gemäßigte richtete. Es geschah weniger im Interesse der Republik, als um Robespierre den Hof zu machen, der ja im Besitz zahlloser Anzeigen aus Bordeaux wider den Herrn Convents-Commissar war. Vertreter, welche mit Tallien an einem Strange zogen, forderten, Talliens Vortrag solle gedruckt und an den Straßenecken angeschlagen werden.
Da erhob sich Robespierre.
»Ich widersetze mich,« rief er, »dem Druck dieser Rede, weil dieselbe ungenaue und unrichtige Angaben enthält. Es ist nicht wahr, daß die Aristokraten und die Gemäßigten voller Freude sind und den Kopf erheben, sie waren vielmehr nie so niedergeschmettert wie jetzt.«
Tallien konnte von sich dasselbe behaupten, seine Hoffnungen schwanden sichtlich, allein, fade und augendienerisch wie er war, sagte er, Robespierre habe Recht, er selbst habe eine Dummheit gesagt, eine zweite würde es sein, wollte man dieselbe durch Plakate vervielfältigen lassen.
Seine Speichelleckereien gewannen ihm aber nicht das Wohlwollen, an dem ihm soviel gelegen war. Tallien suchte also nach Stützen wider dies gefährliche Uebelwollen.
Wie alle Liebenden, die da waren, die da sind und sein werden, erzählte Tallien Alles, was er that und was ihm Andere thaten, der geliebten Theresia. Die kluge Maitresse hörte ihn an, um für sich Vortheil aus seinen Mittheilungen zu ziehen, der Mann aber glaubte, sie schenke ihm volles Zutrauen. Theresia wußte also jetzt Bescheid in Bezug auf das hell zu Tage tretende Uebelwollen Robespierre's gegen Tallien. Nun soll doch aber gleich … dachte die schöne Theresia … was hat dieser ärgerliche, vergnitterte Mensch dabei, uns zu verhindern, daß wir in Frieden unserer Ersparnisse von Bordeaux froh werden? Wenn der Mann durchaus als der »Unbestechliche« dastehen will, so ist dies ja seine Sache, Niemand wird ihn daran hindern, aber er möge doch um Gotteswillen nicht Andere verhindern, so zu leben, wie es ihnen beliebt.
Bald waren Beide dahin einig, daß, um die gute Meinung des Convents wiederzugewinnen, welche Tallien in Folge des Auftretens Robespierre's abhanden zu kommen drohte, um zugleich die ebenfalls denuncirte Theresia als eine gute Bürgerin hinzustellen, diese unter der Form einer Petition dem Convent eine Darlegung unterbreiten solle, welche, eingegeben von den edelsten Principien eine Art von republikanischem Bekenntniß nach der Formel des Tages sein, und die Bittstellerin und den Geliebten erhaben über jeden Verdacht unlauterer Gesinnung hinstellen sollte. Es war eine Wiederholung der kleinen Comödie, welche sich am 30. December des vorhergehenden Jahres in der Kirche des Récollets in Bordeaux abgespielt hatte, nur war es diesmals nicht Theresia selbst, die die Abhandlung vorlas. Es ist schade, denn sie hätte gewiß sofort gewonnenes Spiel gehabt! Mußte sie nicht alle Mittel anwenden, um die wackelig gewordene Stellung Tallien's wieder zu sichern? War sie ihm das nicht schuldig? Ihm, der sie aus dem Gefängniß befreit hatte, der, wenn er jetzt angeklagt wurde, den Börsen einiger Reaktionäre Ader gelassen zu haben, es doch zum Theil für sie und ihr Verlangen nach Luxus gethan hatte?
Die Petition wurde also geschrieben und beim Convent eingereicht, vermuthlich auf Grund eines Entwurfes, welchen Tallien aus Paris ihr nach Bordeaux eingeschickt hatte. Tallien hatte nicht mehr den Präsidentenstuhl inne: auch das ist schade, wie pikant wäre es gewesen, wenn er selbst die Petition seiner Maitresse im Convent vorgelesen hätte.
Robert Lindet nannte sich Der, dem diese Ehre beschieden war.
Eine sonderbare Comödie: der Convent hört eine Abhandlung an, welche gelehrt sein sollte, eingeschickt von der Maitresse eines Repräsentanten, die durch ihre leichten Sitten schon viel Aergerniß verursacht hatte. In der Abhandlung ist die Rede von »der Moral, welche mehr denn je obenansteht,« von der »Schamhaftigkeit und ihrem Glück bringenden Einfluß.« Da heißt es: »Wer könnte Schamhaftigkeit besser einschärfen, als die Stimme einer Frau? Was könnte dazu in beredterer Weise auffordern, als ein gutes Beispiel?« – Um Alles das sagen zu können, stützte sich die schöne Sünderin auf Nichts. Doch nicht auf ihre eigene Erfahrung und die Moralität ihres Wandels? Sollte man die guten Lehren des Beispiels etwa bei ihr suchen?
Niemand täuschte sich über das Ziel, welches der Petitionirenden vorschwebte, allein keine protestirende Stimme erhob sich gegen das Geschwätz, mit welchem die Versammlung um ihre Zeit gebracht wurde. Die Petition wurde dem zuständigen Ausschuß überwiesen. Wenn dieselbe, statt von einer jungen und schönen Frau geschrieben zu sein, das Werk einer alten, tugendhaften, armen Lehrerin gewesen wäre, hätte man ihr wohl eine solche Rücksicht erwiesen?
Man findet im Anhang den vollen, wörtlichen Text von Theresias Petition, der »Moniteur« vom 26. April 1794 hat ihn veröffentlicht. Hier beschränken wir uns darauf, zu erwähnen, daß für die Frauen der ehrenvolle Vorzug, in den Hospitälern und Hospicen als Pflegerinnen und Trösterinnen zu wirken, für Mädchen in denselben Anstalten eine längere Lehrlingszeit durchzumachen verlangt wurde. Auf diese Art – der Gedanke ist wahrlich so übel nicht, setzt aber, weil er von Theresias Lippen fällt, in Erstaunen – würden sie in die Ehe nicht nur mit dem Sinnen auf Freude und Zerstreuung, was ja so oft den Grund zum Unglück der Männer gebe, treten, sondern sie würden durch eigene Anschauung wissen, daß Leiden aller Art zu den Bedingungen des Lebens zählen, und daß man mit andern Dingen ausgerüstet sein müsse, als mit Diamanten und schönen Roben.
Robespierre war wahrlich nicht der Mann, der mit sich spielen läßt, er erkannte die Absicht, welche hinter der Eingabe steckte: es sollte ein Schlag geführt werden, der eine Aenderung im Wohlfahrts-Ausschuß und Convent, wie in der öffentlichen Meinung zur Folge haben müßte. Sein Programm »der Unbestechlichkeit und Unabänderlichkeit« konnte die Machenschaften Tallien's nicht zulassen. Er erkannte in diesem Volksvertreter einen Ränkeschmied, der ihn mit den Betheuerungen seiner Ergebenheit überschüttet, nur, um ihn zu blenden – noch ist der Blick Robespierre's klar und durchdringend! Noch fühlte sich Robespierre stark genug, über den elenden Heuchler, den lästigen Gegner zu triumphiren.
Robespierre sah aber auch, daß dieser Schwächling, der vor seiner Maitresse auf den Knieen lag, für seine Handlungen nicht allein verantwortlich wäre. Es giebt Männer, auf welche die Liebe solchen Einfluß hat, daß sie auf persönliches Denken völlig Verzicht leisten, daß sie zu willenlosen Werkzeugen in den Händen der Geliebten werden. Robespierre war sich völlig klar darüber, daß Tallien Nichts war, als ein Kinderspielzeug, ein »Hampelmann«, welcher Arme und Beine bewegt, wenn man an einem Faden zieht, daß Tallien Nichts war als eine Sache in den Händen der Theresia Cabarrus. Diese machte der »Grünadrige« zum Theil verantwortlich für die Querelen und Zettelungen Tallien's, aber er irrte sich doch in seinem Calcul, denn in Tours wußte Tallien von einer Theresia Cabarrus noch Nichts, und auch dort hatte sein Auftreten für seine Uneigennützigkeit kein Zeugniß abgelegt. Außerdem hatte er noch einen besonderen Ingrimm – man möchte fast von Familienhaß reden – gegen Theresia, weil sie eine çi-devant Aristokratin und ihre freiwillige, d. h. aus Ueberzeugung erfolgte Unterwerfung unter die Republik, doch fraglich war; sodann auch, weil ihre lockeren Sitten nicht in den Rahmen der sittenstrengen Gewohnheiten paßte, mit denen er Parade zu machen liebte, endlich noch, weil sie in Bordeaux auf Grund der Erpressungen ihres Liebhabers in so luxuriösen Verhältnissen lebte, wie Robespierre sie sich versagen mußte. So kam er endlich auf den Gedanken, es würde das Beste sein, Theresia behufs ihrer Rechtfertigung vor das Revolutionstribunal zu fordern.
Vom Gedanken zur That war bei dem Manne nur ein kleiner Schritt. Am 24. April war Theresia's Petition im Convent verlesen worden; Theresia hatte am 4. oder 5. Mai Bordeaux verlassen, am 10. war sie wahrscheinlich in Fontenay-aux-Roses angelangt, am 22. Mai erließ der Wohlfahrtsausschuß seinen Verhaftungsbefehl – sehr bezeichnend ist es, daß dieses Schriftstück durchweg von Robespierre's eigener Hand geschrieben ist. Man lese im »Anhang« den Wortlaut des Haftbefehls nach.
Auf ihm allein lastet offenbar die Verantwortung der Einkerkerung Theresia's, obwohl Billaud-Varennes, Barère und Collot d'Herbois mit unterzeichnet hatten.
Man höre, was Collot d'Herbois später vorbrachte, als er sich vor dem Convent seiner Unterschrift wegen entschuldigen wollte:
»Was den gegen die Bürgerin Cabarrus ausgestellten Haftbefehl betrifft, so ist uns derselbe nicht von Robespierre unter Formen vorgelegt worden, die einem Zwange gleich gekommen wären. Er sagte uns nur, sie wäre die Tochter eines spanischen Grafen und Ministers, in Valence geboren. Keiner von uns hat aus Uebelwollen unterzeichnet, denn wir kannten sie nicht.«
Collot d'Herbois sagte nicht Alles; er konnte, nachdem Die, die den Staatsstreich vom Thermidor herbeiführten, triumphirt hatten, die wirklichen Gründe, welche Robespierre, um die Unterschriften zu erlangen, angegeben, nicht gut sagen. Man darf aber nicht unerwähnt lassen, daß Robespierre's Unterschrift allein genügt hätte. Er allein von den vier Unterzeichnern gehörte zum Wohlfahrts-Ausschuß, und nach dem Wortlaut des Gesetzes vom 17. September 1793 genügte die Unterschrift eines einzigen Mitgliedes des Ausschusses zur Verhaftung eines Nichtfranzosen. Theresia wurde als Fremde angesehen, die Republik führte zudem Krieg mit Spanien.
Es gab damals in Paris einen Agenten des Wohlfahrts-Ausschusses, dessen Aufgabe es war, im Geheimen den Ausschuß über das Thun und Treiben von verdächtigen Personen zu unterrichten. Er hieß Taschereau – es war schon die Rede von ihm. Er war damals der ergebene Diener Robespierre's, wurde aber nach dem 9. Thermidor der erbitterte Feind desselben. Man sehe seine widerwärtige Brochure: »An Maximilian Robespierre in der Unterwelt« von Taschereau-Fargues.
Es giebt Leute, die das Bedürfniß fühlen, sich vor den Emporragenden, den Mächtigen zu verflachen und Diejenigen herabzusetzen und zu zerzausen, die Nichts mehr vermögen, und hätten sie ihnen noch soviel zu verdanken. Zu diesen gehörte Taschereau. Woher aber kannte er Theresia? Man weiß es nicht. Er läßt sich über ihre Verhaftung und deren Einzelheiten aus; obwohl man seinen Angaben nicht viel Glauben schenken darf, mögen seine Worte hier doch Platz finden.
»Nie ist ein Opfer von Robespierre mit solcher Erbitterung verfolgt worden. Es war die Rede davon, sie arretiren und von der Militär-Commission in Bordeaux aburtheilen zu lassen. Sie hatte in Paris einen Freund, der auch zu den meinigen zählte; ich benachrichtigte ihn von Dem, was man mit ihr vorhatte. Er schrieb an sie und forderte sie auf, sofort abzureisen und sich in eine Stadt an der Loire zu verfügen, wo wir sie aufsuchen würden, um uns gegenseitig zu verständigen. Zehn Tage nach diesem Briefe traf sie in Fontenay-aux-Roses ein, wohin wir uns sogleich verfügten. Ich hatte sie nie vorher gesehen, und meine Schritte zu ihren Gunsten hatten weiter keinen Grund, als daß ich meinem Freunde gefällig sein wollte. Aber sobald sie mir von ihrem Unglück gesprochen hatte, verwandelte sich meine Stellung ihr gegenüber und ich versprach ihr, voll von Theilnahme, ich würde Nichts unterlassen, um sie den Verfolgungen zu entziehen.
Andern Tages kam sie nach Paris und verfügte sich zu meinem Freunde; die Gefahr für sie wurde immer größer. Aus Bordeaux wurde berichtet, sie wäre abgereist, Taschereau spielt jedenfalls auf den Brief des »kleinen Jullien« an Robespierre vom 30. Mai 1794 an: »Ich glaube, Dir die Abschrift eines Briefes, den Tallien an den National-Club gerichtet hat, schicken zu sollen; derselbe fällt zusammen mit der Abreise der Fontenay, welche wahrscheinlich auf Veranlassung des Wohlfahrts-Ausschusses verhaftet sein wird«. alle Nachforschungen waren vergeblich. Die Handlanger Robespierre's, Lavalette und Boulanger, setzten sich in Bewegung, wir werden scharf beobachtet. Es blieb Nichts weiter übrig als zu entfliehen, vielleicht konnte man sich in Versailles verstecken. Boulanger trifft in dem Augenblick ein, als ich bei meinem Freunde in's Zimmer trete. Der Befehl lautete, die Bürgerin Fontenay-Cabarrus und alle Die zu verhaften, welche zu ihr in Beziehung stünden. Mein Freund und dessen Frau wurden zunächst verhaftet, allein auf meine Befürwortung hin unter Bewachung zweier Beamten nach Hause geschickt. Großer Lärm bei der Familie Duplay, der das Haus gehörte! Bekanntlich bewohnte Robespierre mit der Familie Duplay das Haus in der Rue St. Honoré, Eigenthum des Herrn Duplay. Das Haus steht noch; es ist nur um eine Etage höher geworden. Man sehe das interessante Werk des Dr. Cabanès: »Le cabinet secret de l'histoire« 2. Serie 196-199. Mein Freund hatte es auf meine Veranlassung hin gemiethet, dorthin hatte sich die Bürgerin Cabarrus-Fontenay flüchten wollen. Es war eine schreckliche Nacht. Gegen 12 Uhr wurde die Fontenay in Versailles arretirt, zunächst nach der Wache-Station auf den Champs Elysées, von dort nach dem Gefängniß La Force transportirt.«
Dies ist der Hauptsache nach wahr! Zehn Tage, nachdem Robespierre den Haftbefehl erlassen hatte, wurde Theresia in Versailles durch den Brigadegeneral Bürger Boulanger verhaftet. Zu gleicher Zeit wurde »der junge Mann, bei welchem sie wohnte«, wie der Rapport besagt, der Bürger Guéry verhaftet; derselbe leistete seit der Reise von Bordeaux, auf der er die Maitresse Tallien's begleitet hatte, derselben Gesellschaft. Man lese im Anhang den Bericht des General Boulanger über die Verhaftung Theresias. Ihr Diener, Wilhelm Bidos, wurde zugleich im Hause des Bürgers Desmousseau, Rue de l'Union 6 (Champs Elysées) verhaftet. Auch die schon erwähnte gutherzige Frenelle entging in Fontenay-aux-Roses ihrem Schicksal nicht; das gute Kind gab sich für die Herrin aus, im Glauben, sie könne dieselbe dadurch retten!
Diese Ereignisse trugen sich zu in der Nacht vom 11. auf den 12. Prairial (30./31. Mai 1794.) Nach dem Bericht des General Boulanger ist die Bürgerin Fontenay nach dem Gefängniß Petite Force abgeführt und in einer besonderen Zelle eingesperrt; der Bürger Guéry kam nach dem Luxembourg, der Diener und das Kammermädchen wurden, der Eine ebenfalls im Luxembourg, die Andere in der Petite-Force hinter Schloß und Riegel gesetzt.
Die »Petite Force« ist eine Filialanstalt von dem großen Gefängniß La Force; es ist das alte Palais des Herrn de Caumont, Herzogs de la Force und lag in der Rue Pavé-aux-Marais. Daneben war das Haus Lamoignon's. Die Gefangenenliste von La Force verzeichnet die Ablieferung Theresias ins Gefängniß. Wie ist es möglich, daß trotzdem behauptet wird, Theresia wäre im Gefängniß Aux-Carmes (bei den Carmelitern) eingesperrt worden?
Das Item in dem Gefangenregister, sofern es sich um Theresia handelt, ist vom 8. Prairial des Jahres II (27. Mai 1794) und nicht vom 22. März 1794, wie fälschlich behauptet wird, denn um diese Zeit hielt sich Theresia noch in Bordeaux auf. Allein auch das Datum »27. Mai« ist unrichtig, denn da sie erst in der Nacht vom 30. zum 31. Mai in Versailles verhaftet wurde, konnte sie doch nicht am 27. schon in Paris eingekerkert sein. Die Gefängnißbeamten waren im Jahre II der Republik wohl noch nicht firm in den Daten des neuen Kalenders. Es sollte heißen am 12. Prairial (31. Mai), dieses Datum trägt der Verhaftbefehl des Ueberwachungs-Ausschusses. Die beziehentliche Stelle im Register lautet wörtlich:
»Therese Cabarrus, Frau Fontenay, alt 20 Jahr, geboren zu Madrid in Spanien, ohne Stand, wohnhaft in Versailles, Größe 4 Fuß 11 Zoll, Haare und Augenbrauen braun, Stirn gewöhnlich, Augen braun, Nase mittelgroß, Mund klein, Kinn rund, ist in dieses Haus abgeliefert und soll in Einzelhaft behalten werden, laut Befehl des Wohlfahrts-Ausschusses vom 3. Prairial.«
Wie es kam, daß sie nach der Petite Force überführt wurde und auf wessen Befehl es geschah, ist unbekannt.
Es liegt folgendes weitere Dokument vor:
»Befehl des Ueberwachungs-Ausschusses, Section der Champs Elysées: den Johann Guéry, der als der junge Mann bezeichnet wird, welcher die Therese Cabarrus, Frau Fontenay, begleitet haben soll, nach dem Luxembourg oder irgend einem anderen Gefängniß zu überführen, laut Verfügung des Wohlfahrts-Ausschusses. Am 12. Prairial des Jahres II.«
Wer hat diesen Befehl unterschrieben? Ist es nicht sonderbar, daß außer den Unterschriften des Präsidenten Dumas und denen von 6 Ausschußmitgliedern derselbe auch von Tallien unterfertigt ist?
Man fragt sich natürlich, wie Tallien dazu kam, mit zu unterzeichnen, welches die amtliche Stellung war, die ihn dazu berechtigte. Die Beweggründe dazu sind ja wohl zu erklären. Man wird sich erinnern, daß Theresia aus Bordeaux in Gesellschaft eines jungen Mannes, Namens Guéry, eintraf. War es der Sohn jenes Mannes, welcher, nach dem Bericht Boulanger's, ihn für ein Geschäft in Salpeter gewonnen hatte?
Man weiß es nicht, weiß auch nicht, ob zwischen Theresia und ihrem Begleiter über Salpeter verhandelt worden ist, aber möglich ist es, daß die schönen Augen Theresias das Pulver bei dem jungen Guéry zum Explodiren gebracht haben – war sie nicht schon seit zwei Monaten von Tallien, den sie nicht liebte, Man erinnere sich der Worte in einem ihrer nach Rückkehr der Bourbonen geschriebenen Briefe, welche wir schon anführten. getrennt? Solch' ein tête-à-tête in der Postchaise ist für eine junge zwanzigjährige, feurige und romantisch gestimmte und obendrein geschiedene Frau doch eigenartig nach verschiedenen Richtungen hin – die schönen Maitage – wie sagt doch La Fontaine?
»Das Verlangen, die Gelegenheit, das keimende Grün und – ich glaube – auch der Teufel haben sie gedrängt …«
Es ist also möglich, daß ihr Betragen Tallien etwas eifersüchtig gemacht hatte. Denn ebensogut wie Robespierre wußte jedenfalls auch er über die Vorgänge Bescheid. Nach einer Aussprache mit ihr, die ihn nicht befriedigt haben wird, hat er wohl in einem Augenblick von Verachtung und Ekel – oder in der Raserei der Eifersucht – die sonderbare Unterschrift gegeben, um sich zugleich an Theresia und Johann Guéry zu rächen.
Vielleicht hatte er auch unter den Akten im Bureau des Wohlfahrts-Ausschusses den Brief entdeckt, in welchem Jullien berichtete, Theresia habe mit ihm nach Amerika zu entfliehen gewünscht – wer kann es wissen!
Am Ende hat der feige charakterlose Mensch gar den Gedanken gehabt, er würde sich selbst retten, wenn er sein Liebchen opferte, wußte er doch, wie sehr Robespierre auf Theresia erzürnt war, und dachte er nicht vielleicht, sich den »Grünadrigen« durch seine That wieder zu versöhnen? Man wird sehen, daß Tallien mit seinen Kriechereien vor Robespierre noch nicht zu Ende war.
Am Tage nach der Verhaftung Theresias hat Taschereau, wie er erzählt, Tallien auf der Promenade der Champs Elysées begegnet und bemerkt, daß derselbe sehr traurig und niedergeschlagen ausgesehen habe.
»Ich ging auf ihn zu«, erzählt er, »und sagte ihm: Du hast Nichts zu befürchten in Bezug auf die Bürgerin Cabarrus; Deine Freundin wird heute noch nicht dem Revolutions-Tribunal vorgeführt.«
Theresia war inzwischen von Coffinhal, welchen Robespierre zu ihr geschickt hatte, vernommen worden; es scheint, als hätte Taschereau, ein Freund des von Theresia gekannten Desmousseau, bei den Bürgern Boulanger, Lavalette und Verdem ein gutes Wort für die schöne Gefangene eingelegt. Diese drei Männer suchten nämlich Coffinhal auf und setzten es bei demselben durch, daß Theresia noch nicht sogleich vor das Revolutions-Tribunal gestellt wurde. Man mußte vor Allem Zeit gewinnen.
Die Frage, was that Tallien nach der Verhaftung Theresias, beschäftigt uns vor Allem. Befand er sich unter Denen, die bei Coffinhal ein gutes Wort einlegten? Es ist wahrscheinlich, daß er, da er ja wußte, wie sehr er verdächtigt war, lediglich bemüht war, sich von Denen vergessen zu lassen, welche die »Billets« für die Guillotine mit eben der Liberalität ausgaben, die er selbst in Bordeaux sich zum Ruhme gerechnet hatte. Außerdem mußte er ernstlich darauf bedacht sein, sich zu rehabilitiren, zu diesem Zweck, für dieses Ziel all seine Gedanken zu sammeln. Der Gedanke, mit einem verwegenen Angriff gegen Robespierre vorzugehen, scheint ihm zunächst nicht gekommen zu sein, ja er hat vielleicht um diese Zeit jenen Besuch bei Robespierre gemacht, von welchem Barras spricht, indem er hinzufügt:
»Robespierre war im Convent in seiner Person eine Art von Tribunal geworden, auf das ein Jeder glaubte Bezug nehmen zu sollen, um ein Urtheil über diejenigen Dinge zu erlangen, wegen deren er angeklagt werden konnte. Man glaubte sich in Sicherheit gebracht, sowie Robespierre sich für Absolution entschied.« Barras: »Mémoires« I. 146.
Tallien, Fréron, Barras machten im Hause der Rue Saint Honoré ihre Aufwartung; sie fanden keinen sie zufriedenstellenden Empfang – eine große Thorheit Robespierre's! In seiner Lage durfte er Niemanden gegen sich verstimmen und nicht allzusehr auf seine Popularität pochen. Er wußte, daß man ihm vorwarf, Danton die Hand gedrückt zu haben an dem nämlichen Tage, an welchem er ihn vor das Revolutions-Tribunal schickte. Wollte er nun Verachtung für Tallien, Fréron und Barras an den Tag legen? Wollte er dem Vorwurf der Hypokrisie entgehen, der ihm in Bezug auf den Fall Danton gemacht war?
Tallien aber hielt sich nicht für geschlagen, und nahm zu neuen Kriechereien seine Zuflucht. In der Conventssitzung vom 24. Prairial (12. Juni), zwölf Tage nach der Verhaftung Theresias, zwei Tage nachdem das unter dem Namen »Gesetz vom 22. Prairial« bekannte Gesetz passirt war, – Robespierre wünschte, mittelst desselben auf sichere und schnelle Weise jene Männer zu treffen, die sich »vollgefressen hatten am Blut und Raub«, wie er sagte – war Tallien von Robespierre der Lüge geziehen und in schonungsloser Weise vor versammeltem Convent herabgesetzt worden. Am Tage darauf erhielt Robespierre von dem Geschmähten einen in kriechenden Ausdrücken abgefaßten Brief, der unbegreiflich auch aus dem Grunde ist, weil Tallien wußte, daß von Robespierre, dem Grünadrigen, dem Unbestechlichen, der Befehl zur Verhaftung Theresias ausgegangen war.
»Betrug, gestützt auf Verbrechen,« so schrieb er in seinem Briefe, »das sind schreckliche, ungerechtfertigte Worte Robespierre's, die mir noch in den Ohren klingen und in meiner schwer verwundeten Seele haften. Ich komme mit der Offenheit eines rechtschaffenen Mannes, um Dir einige Aufklärung zu geben.«
Ein beleidigter Ehrenmann pflegt Dem, der ihn öffentlich einen Lügner, einen Verbrecher geheißen hat, keine Aufklärungen zu geben, es sei denn mit dem Degen in der Hand: den Degen aber, den braven, edlen, loyalen Degen kannte ein Tallien nicht!
Nicht zufrieden damit, sich abermals vor Robespierre in die Knie zu werfen, fühlt er auch noch das Bedürfniß, Couthon mit einer gleichen Aufmerksamkeit zu bedenken.
In den Peitschenhieben, mit welchen Robespierre die Männer, »vollgefressen von Blut und Raub«, traf, in seinen Worten, die den festen Willen, sie exemplarisch zu bestrafen, ausdrücken, hat man die erste Veranlassung zu dem Staatsstreich vom 9. Thermidor zu suchen. Auf diese Sitzung vom 24. Prairial ist die Verschwörung zwischen Verbrechen und Furcht zurückzuführen gegen Den, der mit der Zuchtruthe drohte.
»Es hieße,« so hatte Robespierre gesagt, »das Vaterland schänden, wollte man dulden, daß einige Schufte, verächtlicher noch als die andern, weil sie Heuchler sind, sich bemühen, einen Theil des Berges (Bergpartei) für sich zu gewinnen, um sich selbst zu Parteiführern emporzuschwingen …« Bourdon, Vertreter für das Oise-Departement, ruft: »Man hat soeben ziemlich unumwunden behauptet, ich wäre ein Verbrecher.« Robespierre: »Ich habe Bourdon nicht genannt. Weh dem, der sich selbst nennt Schufte zählen nicht zur Bergpartei.« – »Namen, Namen,« ruft man. »Ich werde sie nennen, sobald es nöthig ist,« erwiderte Robespierre.
Er ließ einstweilen das Damoclesschwert über den Häuptern Derer hängen, welche Schmutz am Stecken hatten. Von da an aber datirt die instinctive Annäherung, das Syndicat der Verbrüderung aller belasteten Gewissen gegen diesen Cato, der die sonderbare Anmaßung hatte, zu verlangen, es sollten die Repräsentanten des Volkes lauter rechtschaffene Männer sein. Wenn Robespierre, anstatt seine Anklage gegen eine unbestimmte Anzahl ungenannter Repräsentanten zu richten, offen gesagt hätte:
»Dich, Tallien, beschuldige ich, in Bordeaux mit dem Leben von Menschen Handel getrieben, Dich, Barras, und Dich, Fréron, die Kirchen zu Marseille und Toulon für Euer Conto geplündert und 800 000 Francs in Eure Taschen gesteckt zu haben, – Dich, Rovère, an den Diebstählen und Verbrechen zu Avignon betheiligt zu sein, – Dich, Courtois, gelegentlich Deiner Mission nach Belgien geraubt, Dich Andreas Dumont, alle möglichen Räubereien in Amiens begangen, Dich, Fouché, desgleichen in Lyon gethan zu haben« – hätte sich Robespierre in solcher Weise frei von der Leber weg ausgesprochen, so wären alle diese Elenden – St. Just nannte sie »Revolutionäre im Sinne des Verbrechens« – sofort dem Revolutions-Tribunal überwiesen worden, und dieses hätte kurzen Proceß mit ihnen gemacht – wer weiß, ob nicht damit die blutige Aera der Revolution zu Ende gewesen wäre, ob es dann je einen 9. Thermidor gegeben hätte!
Die Drohung Robespierre's veranlaßte die Concentrirung aller derjenigen Repräsentanten, die sich hatten Uebergriffe und Excesse zu Schulden kommen und Anderer, die weniger verbrecherisch, doch auch kein reines Gewissen hatten und von den Donnerworten Robespierre's erschreckt waren. Sie verstanden die augenblickliche Lage ebenso auszunützen, wie die Posten, auf die man sie gestellt hatte.
Sie entwarfen Listen und ließen dieselben circuliren, indem sie ganz leise sagten, dieselben enthielten die Namen derjenigen Repräsentanten, welche Robespierre vor das Revolutions-Tribunal schicken wollte. Nun fuhr der Schrecken unter Die, welche » la Terreur«, die Schreckenszeit ins Leben gerufen hatten – so kam es zum 9. Thermidor, der nicht, wie man sieht, die »Strafe für dictatorische Anmaßung«, wie Barère uns glauben machen möchte, auch nicht ein »einfaches Gezänk, ein Familienstreit«, wie Mallet du Pan sich ausdrückt, war.
Inzwischen fuhr Robespierre fort, Tallien durch geheime Agenten des Wohlfahrts-Ausschusses bewachen zu taffen. Es sind über diese Vorgänge noch heute Polizeiberichte vorhanden. Seit der Verhaftung Theresias folgten ihm Schritt auf Schritt die Geheimen, um die geringfügigste Handlung zu verzeichnen und zu berichten. Man sehe die Polizeiberichte im »Anhang«. Er hatte dies wohl bemerkt und darüber – in allerdings sehr ungeschickter Weise – vor dem Convent gesprochen; er ging nur bewaffnet aus und beobachtete die größte Vorsicht. Ob er damals schon in der Rue de la Perle (Marais) wohnte, ist nicht mehr zu ermitteln. Ob er dort hinzog, um dem La Force-Gefängniß näher zu sein, in welchem seine schöne Freundin schmachtete – wer könnte das heute sagen! Jedenfalls war sein Dasein in der kurzen Zwischenzeit bis zum 9. Thermidor ein an Befürchtungen reiches.
Theresia that inzwischen in ihrem Kerker Das, was alle Frauen, die damals verhaftet wurden, thaten. Erst war sie voller Verzweiflung, dann machte sich die Gewohnheit, die Alles lindernde, geltend. Es ist vielfach das Gerücht verbreitet, sie wäre »bei den Carmelitern«, einem andern Gefängniß, früher Kloster der Carmeliter, untergebracht worden und hätte dort die Bekanntschaft der Madame Josephine de Beauharnais und der Madame d'Aiguillon gemacht, welch' Letztere später den Grafen Louis de Girardin heirathete und Ehrendame bei der Königin von Neapel wurde. Allein dies ist ein nachgewiesener Irrthum. Der Bericht des General Boulanger Man findet diesen Bericht im »Anhang.« ist in seiner Klarheit maßgebend. Alexander Sorel har in seinem Buch »Das Carmeliter-Kloster« im Uebrigen noch einige Einzelheiten beigebracht.
»Es existirt«, schreibt er, im »Carmeliter-Gefängniß ein Gelaß, welches, über einem sich an die Sakristei anschließenden Saal gelegen, ein Fenster nach dem Garten hinaus hat. Man gelangt zu ihm mittelst einer etwa fünfzehn Stufen zählenden Treppe. In diesem Raum haben die gefangenen Priester, ehe sie in den Tod gingen, ihre Namen verzeichnet. Vor einigen Jahren noch zeigten die Mauern dieses traurigen Raumes, bekannt unter dem Namen »die Schwertkammer«, die Spuren zahlloser Inschriften. Der Abbé Guérin hat sie sorgfältig copirt und in der Zeitschrift »La Vérité« veröffentlicht. Sie sind dann sämmtlich, als die Wände geweißt wurden, vernichtet worden. Die erste, welche ins Auge fiel, war dem Fenster gerade gegenüber. Die Worte waren mit Kreide geschrieben und lauteten:
»O, Freiheit! Wann wirst Du aufhören, ein sinnlos eitles Wort zu sein! Es sind jetzt siebzehn Tage, daß wir eingesperrt sind. Man sagt uns, wir würden morgen in Freiheit gesetzt, wozu die trügerische Hoffnung!
»Die Bürgerin Tallien,
Josephine Wittwe Beauharnais,
d'Aiguillon.«
Die drei Namen unter der Wandinschrift waren kaum die Fürsorge der Madame de Soyecourt werth – diese Dame ließ eine Glasscheibe darüber anbringen.
Man muß sich nämlich doch fragen, ob Alles historisch beglaubigt ist: das Wort »eingesperrt«, wenn es sich auf Frauen bezöge, müßte mit zwei » e« geschrieben sein, also » enfermées«, nicht wie dasteht, » enfermés«, was sich auf männliche Individuen beziehen würde, und dann die Unterschriften selbst! Alexander Sorel: »La convent des Carmes pendant la Terreur«, Pag. 317-325.
Man sollte über orthographische Schnitzer hinwegsehen, denn die Briefe der Tallien und Josephine wimmeln von solchen häßlichen Kleinigkeiten – Voltaire sogar war über aller Orthographie erhaben! Man muß aber bemerken, daß Theresia sich nie unterzeichnet hat »Bürgerin Tallien«; zu der Zeit war sie auch noch gar nicht mit dem Repräsentanten Tallien verheirathet und unterzeichnete stets »Cabarrus-Fontenay«. Dann hatte ja Theresia als Gefangene garnichts mit dem Gefängniß » des Carmes« zu thun.
In ihrer einsamen, engen Gefängnißzelle des La Petite Force-Gefängniß hat die arme junge Frau, gewöhnt an Wohlleben und Luxus, wohl viel ausgestanden. Unsere Vorfahren, weniger feinfühlig, wie wir, glaubten, ein solcher Raum als »Vorzimmer des Todes«, wäre durchaus genügend.
Taine giebt uns von diesem, ursprünglich für Mörder und Diebe bestimmten Gewahrsam, eine haarsträubende Schilderung:
»Am Fuße der Treppe, unter den Luken, die als Fenster dienen, sind zwei Gelasse, jedes eine Art von Schweinetrog, Latrinen und Nachtgeschirr verpesten die Luft; als Betten dienen Strohsäcke, wimmelnd von Ungeziefer; man nöthigt die Gefangenen zu der abscheulichen Kost der Sträflinge.«
Gewiß, das ist schrecklich! Theresia aber hatte Muth und Widerstandskraft. Sie hatte schwer zu leiden, aber bei ihren Leiden gute Gesellschaft. Die Trümmer des ancien régime, Herren und Damen, mit ihr zugleich eingesperrt, hatten Dasselbe auszustehen wie sie. Unter den Schicksalsgefährten war auch der Marschall Ségur, der bei Rocoux und Lawfeldt rühmlich Verwundete, der frühere Kriegsminister unter Ludwig XVI, dem eine österreichische Kanonenkugel den Arm fortgerissen und der täglich einen wichtigeren Theil seines Körpers zu verlieren erwarten konnte.
Man mußte viel Gleichmuth und Charakterstärke besitzen oder außerordentlich frivol sein, um an einem solchen Ort, mit der Guillotine in Aussicht, den Muth zu bewahren. Einige Gefangene befanden sich in einem Zustande völliger Erstarrung und suchten zu schlafen, soviel sie konnten, um im Schlafe Vergessenheit zu finden, andere bäumten gegen ihre elende Lage auf und gegen die Entbehrung der tausenderlei Dinge, welche für einige Alles sind; sie suchten ihren Leidensgefährten Ausdauer, an welcher sie wohl selber Mangel litten, zu empfehlen. In solchen Lagen zeigen sich die Charaktere, zeigt sich bei Jedem die ungeschminkte Natur – was für den Betreffenden nicht immer schmeichelhaft ist – an Beispielen von stoischem Gleichmuth, von männlicher Resignation fehlte es auch nicht. Andreas Chénier, der seit einigen Monaten im Gefängniß saß, hat uns von dem Leben, welches man in demselben führte, ein Bild entworfen, aus dem Verachtung und Abscheu sprechen:
»Man lebte – man lebte in einer abscheulichen Weise! Es ging aber nicht anders – schließlich ißt man doch und schläft. Hier sogar, wo der Tod uns noch eine Weide bietet und das Fallbeil uns ausloost, giebt es Ehemänner, giebt es Liebende, die zum Narren gehalten werden, giebt es thörichtes Geschwätz und Ränke. Man singt, man spielt, man lüftet den Saum des Kleides, Lieder werden gedichtet und Witze gerissen.«
Der Mensch fügt sich ja in Alles. So hatte sich auch die gelehrige Heerde der Gefangenen in allen Gefängnissen an ein Leben in Elend und Angst gewöhnt. Theresia machte es wie die Anderen, sie ertrug mit Geduld ihre Leiden. Nach und nach wurde man auch in der Behandlung ein wenig milder, gab ihr zum Beispiel frisches Stroh und ließ in der fortwährenden Ueberwachung nach.
Man weiß nur wenig von den damaligen Zuständen im La Force-Gefängniß, allein die Legende kam gleich nach dem 9. Thermidor in ihre vollen Rechte; es ist nicht der Mühe Werth, diesen Phantasien nachzugehen – sie sind oft voll hohler Schmeicheleien für Mad. Tallien.
Was that Tallien, während seine Maitresse im Gefängniß steckte und auf einem, »von Ungeziefer wimmelnden Strohsack« lag? Er führte Krieg gegen Robespierre; er vereinigte zu einem Bündel alle verletzte Eigenliebe, alle Furcht, alles Streberthum, er sammelte alle, welche das Licht zu fürchten hatten gegen Den, der wollte, daß es Licht werde.
Robespierre wußte sehr wohl, daß seine Feinde an der Minirungsarbeit waren; hätte er mehr Kenntniß von den menschlichen Leidenschaften besessen, hätte er eine feinere Witterung gehabt, so würde er gemerkt haben, daß es, nachdem er den Augenblick zu handeln am 24. Prairial versäumt hatte, die größte Unklugheit war, seinen Feinden die nöthige Ruhe für ihre Organisation, wie für ihre Vertheidigung zu lassen. Er rechnete, wie gesagt, zu sehr auf seine Popularität, um sich beunruhigenden Gedanken hinzugeben. Auch schätzte er seine Feinde zu gering. Aber, wie Bossuet sagt: »Die menschliche Weisheit läßt nach dieser oder jener Richtung hin immer zu wünschen übrig.« Bald sollte Robespierre in dieser Beziehung eine grausame Erfahrung machen. Er sah wohl ein, daß die aufs Aeußerste gespannte Lage der Dinge so nicht fortdauern konnte. In der Sitzung der Jacobiner am 6. Thermidor sprach er mit großer Heftigkeit gegen Die, welche die Bürger unter einander durch geheime Umtriebe verfeindeten. Couthon sprach deutlicher, indem er erklärte, diese Ränkeschmiede säßen im Convent: es gäbe deren 5 oder 6: »deren Hände voll von Reichthümern sind und besudelt zugleich von dem Blute Unschuldiger, die sie zur Schlachtbank geführt haben.«
Das war eine neue Drohung; sie beschleunigte den Gang der Ereignisse. Barras, Frèron, welche aus der Provence wegen böser Dinge zurückberufen waren und welche der Wohlfahrts-Ausschuß vorzulassen ablehnte, Tallien, welcher sich in einem ähnlichen Falle befand, Rovère u. A. wollten sich nicht zuvorkommen lassen – der Erfolg, wie im Kriege, mußte dem Angreifer gehören. Kühnheit und Raschheit des Vorstoßes konnte allein die Verschworenen retten. Sie gewannen die Rechte des Convents für sich, indem sie ihr Toleranz und Mäßigung versprachen, sie trumpften die äußerste Linke ab, indem sie ihr nachwiesen, daß Robespierre Nichts war, als ein »Gemäßigter,« daß er mit seiner Erfindung des höchsten Wesens die Revolution rückwärts führe und einzig und allein nach der Dictatur strebe. Schmeicheleien, Drohungen, alles Erdenkliche wurde aufgeboten und Fouché konnte am 8. Thermidor ausrufen: »Die Division ist aufmarschirt, morgen muß geschlagen werden.«
Ehe wir uns an eine Darstellung des 9. Thermidor machen, wollen wir uns einen Augenblick noch mit Theresia befassen.
»Es ist anzunehmen, daß es ihr gelungen war, mit Tallien in Correspondenz zu treten, jedenfalls demselben einige Zeilen in die Hände zu spielen. Die Schärfe der Ueberwachung wird wohl allmählich etwas nachgelassen haben, außerdem waren viele unter den Gefangenen, denen es zuvor schon durch allerhand Mittel gelungen war, mit den Ihrigen Nachrichten auszutauschen. Wenn es ihr möglich geworden ist, Briefe fortzuschicken, so ist es nicht anzunehmen, daß sie – wenigstens auf dem gewöhnlichen Wege – Briefe empfangen hat. Unter den Acten des Wohlfahrts-Ausschusses, die sich im Archiv von Paris befinden, ist ein Bericht vom 5. Messidor des Jahres II, welcher besagt: Der Revolutions-Ausschuß (Section pp.) überreichte zwei weitere Briefe, adressirt an die Bürgerin Cabarrus, geschiedene Frau Devin (sic.) Der eine, ohne Bedeutung, kommt aus Bordeaux, der andere mit demselben Stempel ist unterzeichnet Manoury und geht nach Rouen. – Dazu eine Note Robespierres, welche besagt: »Einen Begriff geben von dem Inhalte der beiden Briefe; versuchen den Manoury herauszufinden.« Das Revolutions-Comite schickt zehn neue Briefe ein, gerichtet an »Die Bürgerin Cabarrus, geschiedene Devin.« Sie enthalten nichts Verdachterregendes. Lauter Liebesgeschwätz. – Eine weitere Note Robespierres: »Alle auf die Cabarrus bezüglichen Schriftstücke zusammenstellen.«
Es ist vielfach behauptet worden, der Sturz Robespierre und der Herrschaft der Guillotine sei die Folge eines Briefes Theresias gewesen. Dieser Brief, geschrieben in der Furcht für ihr Leben, wäre der Peitschenhieb gewesen, den Theresia ihrem Liebhaber vom Gefängniß aus gegeben, um denselben aus seiner Erstarrung aufzuwecken.
Tallien, der wohl ebenso wie Theresia den Stachel der Furcht in der Seele und sich der Köpfungsmaschine ebenso nahe fühlte wie die Freundin, brauchte den »Peitschenhieb« nicht. Ein 9. Thermidor läßt sich nicht improvisiren, ein so gewaltthätiger Act fordert eine lange Vorbereitung. Tallien hatte mit Denen, welchem an später »Thermidoristen« nannte, einen Plan wohlüberlegt und vorbereitet; er hatte die Angriffskolonne formirt, deren Flanken, deren Rücken gedeckt, eine Reserve aufgestellt – erst als Alles fertig war, lieferte er die Schlacht.
Der Brief Theresias spielte keine Rolle in der Sache. Es ist überhaupt die Frage, ob ein solcher Brief geschrieben wurde.
Lacretelle, in seiner Geschichte Frankreichs, drückt in rühmenden Worten den Dank aus, den er der Mad. Tallien schuldet, daß sie sich nach dem 18. Fructidor für ihn verwendet habe. Hätte jener Brief existirt, so hätte Lacretelle sicher Kenntniß davon gehabt und ihn bereitwillig citirt – er spricht mit keinem Wort davon. Er mußte die Fabel kennen, welche die Thermidoristen in Umlauf setzten, aber glaubte wohl nicht, daß man eine Salon-Galanterie der Nachwelt als Geschichte bieten könnte.
Später, im Jahre 1824, in einem Brief, den die Prinzessin Chimay an Herrn de Pougens schrieb, beklagt sie sich und sagt: »Erweisen Sie mir den Dienst und drücken sie Herrn de Lacretelle meinen Dank aus für den Ton, in welchem er von mir im 11. Bande seiner Geschichte spricht. Ich hätte es allerdings gern gesehen, wenn er meinen Brief vom 7. Thermidor an Herrn Tallien erwähnt hätte.«
Diese Reclamation legt den Gedanken nahe, daß Theresia selbst der Legende den Vortritt vor der Geschichte zu geben wünschte. Für den Fall, daß dieser Brief wirklich existirte, würde doch immer der Beweis dafür fehlen, daß er auch vor dem Staatsstreich, dessen Resultate den Herrn Tallien selbst gewaltig in Erstaunen setzten, geschrieben war – bei solchen Umwälzungen erscheinen die Dinge oft weit über dem Begriffsvermögen der Betheiligten – konnte nicht Tallien selbst sein »Verdienst« mit der Geliebten haben theilen wollen? Die anderen Thermidoristen waren zu galant, um nicht mit Tallien dieselbe Siegesmelodie anzustimmen, und dann – wie hinreißend ist der romantische Effect – wenn eine Frau, im ganzen Zauber ihrer Schönheit dem Kerker entsteigend, mit dem Feenstab in der Hand wie aus Wolken tritt, als » Notre Dame de Thermidor« – das ist ein Titel, der dem Haupte Theresias, der der Geliebten Tallien's, den Schmuck eines strahlenden Diadems lieh. Hier jener Brief:
Madame de Fontenay an Herrn Tallien, Gefängniß La Force am 7. Thermidor. Soeben verläßt der Chef der Polizei das Haus. Er kam, um mir anzuzeigen, daß ich morgen vor dem Tribunal zu erscheinen hätte, das heißt, daß das Schaffot mich erwartete. Das stimmt wenig mit dem Traume überein, den ich in vergangener Nacht hatte: Robespierre existirte nicht mehr, alle Thore der Gefängnisse waren geöffnet. Dank Ihrer unaussprechlichen Feigheit wird es bald Niemanden mehr in Frankreich geben, der den Traum verwirklichen möchte.«
Da aus dem Gefängniß heraus zu correspondiren doch, wie allseitig bekannt, große Schwierigkeiten hatte, so kam man darauf zu sagen, und Frau Tallien hat es bestätigt, daß es nur auf ganz außerordentliche Art möglich war. Da hieß es denn, Tallien habe einen Speicher gemiethet, von welchem aus man in den Gefängnißhof habe sehen können; in demselben habe Theresia ihre Abendpromenaden gemacht, Tallien ihr gelegentlich einen Kieselstein in ein Stück Papier eingewickelt zugeworfen: auf dem Papier aber stand, was er ihr mitzutheilen wünschte. Dann wieder, erzählte man sich, in einem ausgehöhlten Kohlkopf habe Theresia ihre Correspondenz mit dem Geliebten versteckt und den Kohlkopf über die Gefängnißmauer geworfen, so wäre namentlich der vorhin erwähnte Brief vom 7. Thermidor an seine Adresse gelangt.
Daß Tallien auch ohne diesen Brief gegen Robespierre vorgegangen wäre, ist über allen Zweifel erhaben und Theresia brauchte, um ihren Namen in der Geschichte verzeichnet zu sehen, nicht ihre Zuflucht zu allerhand Hocuspocus zu nehmen, ihre gutherzigen Handlungen, ihr weitverzweigtes, wohlwollendes Wirken verhalfen ihr dazu mehr als die Dienste, die sie am 9. Thermidor leistete.
Theresia spielte in Wirklichkeit gar keine Rolle bei den Ereignissen des 9. Thermidor, die den Sturz Robespierre's herbeiführten.
Der 9. Thermidor – 27. Juli 1794 – war ein Sonntag. Es lag über Paris jene heiße Nebelluft, die für den Spätsommer dort so charakteristisch ist. Im Convent gab es ein ungewisses Bangen. Die Gruppe der »Vermoderten« ( pourris) war entschlossen, das Glück herauszufordern, und, koste es, was es wolle, eine Macht zu brechen, in der ihr Gefahr drohte. Seitens der Rechten und der äußersten Linken durften sie auf Unterstützung rechnen, die Gruppe der »Zitterer« mußte ihnen, wie anzunehmen war, folgen. Es war für das Wagniß der Verschworenen ein glücklicher Umstand, daß 68 Robespierre ergebene Repräsentanten auf Sendungen in den Provinzen abwesend waren.
Um die Auftritte der denkwürdigen Sitzung genau kennen zu lernen, thut man nicht gut, sich in den Spalten des » Moniteur« zu unterrichten. Der Bericht stammt ja von den Siegern und daß diese es nicht genau mit der Wahrheit hielten, braucht wohl kaum besonders bemerkt zu werden. Barère darf nur mit Vorsicht aufgenommen werden; was Barras mittheilt, ist nun gar unzuverlässig. Mit dem Bericht Levasseur's ist es schon etwas Anderes, aber dieses Mitglied des Convents war zur Zeit garnicht in Paris und stützt sich auf Das, was er gehört hat; sein Bericht ist trotzdem als derjenige anzusehen, der noch der Wahrheit am nächsten kommt.
Man wird finden, daß in der denkwürdigen Conventssitzung sich ein Uebergewicht auf seiten Tallien's zeigt insofern, als er es ist, der das Alarmfanal anzündet. Da man vorbereitet war, folgte die Masse der Unentschlossenen und Zaudernden wie immer Dem, der sich als der Stärkste aufspielt; sie wäre ebensogut Robespierre gefolgt, wenn gleich anfänglich die Umstände sich diesem günstig gezeigt hätten.
Die Sitzung begann, wie gewöhnlich, mit der Verlesung des Sitzungsberichtes vom Tage vorher. Nachdem der Bericht angenommen war, bestieg St. Just die Tribüne. Er verlas, indem er seine Phrasen, wie gewöhnlich, mit den Hammerschlägen seiner Faust auf das Pult begleitete, ein Schriftstück vor, in welchem er den Mitgliedern des Wohlfahrts-Ausschusses zu Leibe ging.
Tallien unterbrach ihn, um zu bemerken, auch er gehöre, wie der Redner, keiner Partei an; er habe lediglich das Wohl des Vaterlandes, habe freiheitliche Interessen im Auge. Der Beweis sei der, daß er verlange, den Schleier ganz zu zerreißen.
Seinen Worten folgt eine dreifache Salve von Beifallsrufen und Zustimmungen.
Ein Jeder von den Verschworenen wußte, was die Worte zu bedeuten hatten. Damit war an diesem Tage die Rolle Tallien's – so berichtet Barère, dem wir hier wohl Glauben schenken dürfen – zu Ende. Barère sagt:
»Das ist der Dienst, den Tallien den Ereignissen des Tages erwies, er ist – ich wiederhole es – Alles, was Tallien mit den Ereignissen des 9. Thermidor zu thun hatte. Auch war dies allgemein so wohl bekannt, daß es für ihn und die in Paris aus Coblenz eingetroffenen Agenten der Emigrirten, für seine Mitarbeiter an der Contrerevolution, für die Führer der bis zum 13. Vendémiaire am Ruder bleibenden Reaction nicht leicht war, von seinem »großen Einfluß« zu reden.« Barère: Mèmoires III 221. Es ist unzweifelhaft eine richtige Darstellung, nur sollte man nicht vergessen, daß Tallien alle Vorbereitungen für die Schlacht getroffen hatte und dabei Geschick als Parteiführer und einen klaren Blick in die Verhältnisse gezeigt hatte.
Billaud-Varennes eilte auf die Tribüne, sowie Tallien sie verließ. Er hielt eine lange Rede; Robespierre wollte ihm auf dem Fuße folgen, allein die Verschworenen ließen ihn nicht zu Worten kommen; die Rufe »nieder mit dem Tyrannen« erstickten seine Stimme, die sich vergebens Geltung zu verschaffen wünschte.
Als Tallien sah, daß für Robespierre die Sache bedenklich wurde, ergriff er nochmals das Wort. Diesmal ist seine Sprache eine kühnere, er fühlt, daß er unterstützt wird, er erklärt mit von feierlichen Bewegungen begleitetem Pathos, er habe sich mit einem Dolch versehen, um ihn in das Herz des neuen Cromwell zu stoßen, falls der Convent den Muth nicht hätte, denselben unter Anklage zu stellen.
Große lange Applause begrüßen seine Worte und der Convent verfügt die Verhaftung Henriot's und seines Generalstabes, indem er sich zugleich in Permanenz erklärt: »bis das Schwert der Gerechtigkeit die Revolution sicher gestellt habe.«
Billaud-Varennes verlangt die Verhaftung des General Boulanger: sie wird bewilligt.
Robespierre will noch einmal das Wort ergreifen, ein Donner widersprechender Stimmen bringt ihn zum Schweigen. Die Partie scheint gewonnen: Tallien, Fouché, Rovère, Barras und tutti quanti schöpfen Athem.
Barère, der den Glücksstern Robespierres erblassen sieht, hält es für gut, eine Rede zu halten, die sich in Gemeinplätzen und blauem Dunst verliert, um schließlich sich gegen Den zu wenden, den der Redner vor zwei Tagen noch bis in den Himmel erhoben hat – noch aber erhebt er keine Anklage. Dies übernimmt der alte Vadier, während Tallien dem am Boden liegenden Gegner noch eins auswischt: er wirft ihm die Verhaftung von Mitgliedern des Revolutions-Tribunals vor, Schmähungen gegen die Retter des Vaterlandes, er wirft ihm eine Reihe von Gewaltthätigkeiten gegen Privatpersonen vor: er machte auch Anspielungen auf die Verhaftung der Theresia Cabarrus …
Da unterbrach ihn Robespierre mit den Worten: »Das ist falsch … ich …«
Von Neuem brach wie Donnerrollen in der gewitterschwülen Atmosphäre ein vielstimmiges Geschrei aus, es bricht immer von Neuem aus, es nimmt kein Ende. Für Robespierre ist es unmöglich, zu Worte zu kommen, dazu das schrille Geklingel der Präsidentenglocke. Einer stachelt den Zorn, die Wuth des Andern, es ist ein Chaos!
Es tritt ein Moment der Ruhe, der Erschöpfung ein, Robespierre benutzt ihn und schreit aus Leibeskräften, seine Stimme ist wie die Trompete im Schlachtgewühl:
»Zum letzten Mal, Präsident von Mordgesellen, verlange ich das Wort! Bewillige es oder sage, daß Du mich zu ermorden beschlossen hast!« Levasseur: Mèmoires III 146.
Der Unglückliche hat errathen, was man mit ihm vorhat, er sieht mit klarem Blick plötzlich das ganze Fädengewirr der Verschwörung, sieht sich gerichtet. Daß man ihn mit einem Pistolenschuß niederstrecken werde, daran zweifelte er zwar, aber er weiß, daß es aus ist mit ihm, daß die letzte Stunde naht, daß auch er sein Haupt auf dem Schaffot lassen wird.
Noch wehrt er sich, quält sich ab, um sich Gehör zu verschaffen.
»Du sollst das Wort haben in der Reihe, die Dir zusteht,« ruft ihm Thuriot zu, der soeben an Stelle Collot d'Herbois' auf dem Präsidentenstuhl Platz genommen hat und mit einem Act der Ungerechtigkeit sich auf seine Carrière unter dem Kaiserreich vorzubereiten scheint.
Noch ist der Kampf nicht zu Ende. Man ruft dem Niedergeschrieenen zu, der sich in seiner Wuth kaum zu bändigen weiß:
»Es ist das Blut Danton's, das Dich erstickt!«
Robespierre erhebt nochmals die kreischende Stimme und ruft:
»Ihr Elenden! Warum habt ihr ihn nicht vertheidigt?«
Nein! Nicht um Danton zu rächen, votiren sie die Verweisung Robespierre's vor das Revolutions-Tribunal, nicht um das Schaffot, um die Blutherrschaft der Terreur zu beenden, stürzen Tallien, Barras, Rovère, Fréron, Fouché ihn, nicht sind sie deshalb ohne Mitleid, weil er ohne Mitleid war – sie thun es einzig und allein, um sich Straflosigkeit zu sichern für die von ihnen begangenen Verbrechen, um den Ertrag ihrer Diebstähle zu genießen – sie thun es, weil sie die Herrschaft an sich reißen wollen.
»Hebe Dich fort,« sagt Barère, »damit ich mich auf Deinen Platz setze.« –
Das war die ganze Politik der Thermidoristen, das lag ihnen mehr am Herzen, als die Rettung der Republik. Barère: Mémoires II 239.
Robespierre inmitten dieser furchtbaren Scene nimmt sich aus wie ein Scorpion, den Straßenjungen in Sevilla mit einem Kranz glühender Kohlen umringen. Wo immer es sich hinwendet, um zu entfliehen, rennt das Insect gegen die glühende Barrière und richtet schließlich, da es die Unmöglichkeit zu entrinnen merkt, den giftigen Stachel gegen sich selbst.
Endlich führte die Erschöpfung Aller einen Moment unheimlicher Stille herbei.
Da erhob sich Loucket und sagt:
»Ich beantrage den Haftbefehl gegen Robespierre.« Repräsentant für Aveyron, zügelloser Terrorist, nachher unter dem Kaiserreich Staatsbeamter: er erwarb als General-Schatzmeister der Somme ein enormes Vermögen.
Lozeau: »Ich beantrage, daß Robespierre unter Anklage gestellt wird.«
Die Majorität entscheidet sich sogleich zu Gunsten des Antrages.
In diesem Augenblick erbebt sich Robespierre der Jüngere und verlangt in edelmüthiger Aufwallung das Schicksal seines Bruders Maximilian zu theilen.
Sein Antrag wird bewilligt.
Fréron trocknet die feuchte Stirn – ist es, weil die Hitze im Saal fürchterlich ist oder weil er auf den glühenden Kohlen der Angst sitzt – er ruft in sentimentaler Rührung über den Heroismus des Bruders: Man erinnere sich des Verhaltens der Brüder des unglücklichen Königs, welche sich in die Fremde flüchteten, sowie die Umstände gefahrdrohend für Ludwig XVI wurden.
»O! Wie schwer ist es doch, einen Tyrannen zu stürzen.«
Dieser Fréron, von dessen Blutthaten Marseille erzählt, fügt seinen Worten jubelnd hinzu:
»Es lebe die Freiheit, es lebe die Republik!«
Maximilian und Augustin Robespierre, Saint Just, Couthon, Le Bas, unter Anklage gestellt, werden von Gendarmen abgeführt.
Die Sitzung ist zu Ende.
Die Commune hatte sich auf die Nachrichten hin, die aus dem Conventsaal in die Oeffentlichkeit drangen, versammelt. Ein Erlaß jagte den andern, u. A. wurde den Directoren der Gefängnisse strengstens untersagt, irgend einen Gefangenen aufzunehmen, es sei denn, daß der Befehl dazu von dem Maire Fleuriot-Lescot ausginge. Sodann ward befohlen, daß Robespierre und Genossen mit Hülfe der bewaffneten Macht befreit werden sollten. Es erfolgte der Aufruf zu den Waffen an das Volk.
Die neuen Gebieter Frankreichs, ebenso thätig wie die Commune, hatten sich um 7 Uhr Abends zu einer Sitzung vereinigt. Sie führten Schlag auf Schlag wider die Commune, sie annullirten die von jener Seite getroffenen Verfügungen und – blieben Sieger.
Robespierre, nachdem er von Gefängniß zu Gefängniß geschleppt war, wurde schließlich auf dem Hauptpolizeiamt am Quai des Orfèvres untergebracht; gleich darauf aber erschien eine Deputation der Commune und holte ihn nach dem Stadthause ab. Es war halb 9 Uhr Abends. Vielleicht hätte Robespierre, gestützt auf seine Popularität, Alles wieder gut machen können, aber – er war kein Mann der That. Er war unschlüssig, verlor Zeit und gab nach langem Zaudern seine Einwilligung, einen Aufruf an die »Sektion der Pikenträger«, welche der Repräsentant Lerebours errichtet hatte, zu unterzeichnen. Er hatte eben die ersten Buchstaben seines Namens niedergeschrieben, als er sinnend die Feder fallen ließ.
Diesen Augenblick benützte ein bezahlter Mordgeselle und feuerte einen Pistolenschuß auf ihn ab. Die Kugel traf ihn in die Backe und zerschmetterte die Kinnlade. Es war Leonard Bourdon, wie Hamel, der gelehrte Biograph Robespierre's und St. Just's mittheilt, der einen zwanzigjährigen Burschen, Namens Merda, für die Mordthat gewonnen hat. Dieser Bourdon wurde später Baron des Kaiserreichs, Oberst, und hatte die Ehre – eine ihm nicht zustehende Ehre – an der Spitze des 1. Regiments Jäger zu Pferde in der Schlacht an der Moskwa zu fallen. (Man sehe auch » Le général Curély« vom General Thoumas.) Ein Facsimile des blutbespritzten Papiers, auf welchem die Buchstaben Ro… stehen, ist den »Memoiren Barras'« beigefügt.
Damit war der Kampf zu Ende – die Thermidoristen triumphirten – es war der Triumph persönlicher Interessen über andere persönliche Interessen! Aus dem Grunde waren Wuth und Erbitterung aufs Höchste gestiegen. Von politischen Doktrinen, einem politischen Programm war keine Rede.
Es war jetzt Sache der Sieger, von ihrer Mäßigung, ihrer Menschlichkeit Zeugniß abzulegen. Da hielten im Hofe des Gerichtsgebäudes die Karren, welche bisher die täglichen Opfer für die Guillotine abzuholen und nach der » Place du Trône-renversé« zu befördern pflegten; sie warteten und warteten: es war schon 5 Uhr Nachmittags. Der Convent hätte ja hinlänglich Zeit gehabt, um den Befehl zu schicken, mit den Hinrichtungen innezuhalten. Es geschah nicht. Und daraus ist zu ersehen, daß die Thermidoristen zunächst durchaus nicht Willens waren, von Blutthaten abzusehen. Auch von Milde war keine Rede – die Guillotine räumte am andern Tage mit Robespierre, seinen Anhängern und den Mitgliedern der Commune auf: 70 Köpfe fielen am 10. Thermidor: über ihren Leichen erhob sich die kurze Herrschaft der Thermidoristen.
Erst einige Tage später, unter dem Drucke der öffentlichen Meinung, wurden die Hinrichtungen suspendirt, die Gefängnißthore öffneten sich eins nach dem andern: mit der » Terreur«, der Schreckenszeit, ging es zu Ende.
Die Thermidoristen, die dadurch in den Ruf mildgesonnener Herrscher kamen, und die von der Geschichte als die »Boten der Humanität« bezeichnet werden, hätten es in Wahrheit ebenso wie ihre Vorgänger verdient, dem Revolutionstribunal, der, wie Chenier sagt: »unheiligen Vehme, die Blut ißt, trinkt und bratet«, vorgeworfen zu werden. Des Augenblickes harrend, daß man ihn der »Sainte Guillotine« opfere, schrieb der Dichter folgende empörte Zeilen:
»Sterben soll ich ohne meinen Köcher geleert zu haben, ohne diesen Verhunzern der Gesetze, diesen Henkersknechten, diesen Bestien die Pranken durchstochen zu haben?«
Was Robespierre betrifft, so sind wir weit entfernt, aus ihm, wie es späterkommende Freunde thaten, ein unschuldiges Opfer zu machen. Wir theilen nicht die Anschauungen des Doctor Souberbielle, die sich in folgenden Worten Luft machen:
»Er, Robespierre, ein Blutmensch? Er, der Rechtschaffenste aller Bürger, ein Blutmensch? Wissen Sie nicht, wie es Henriot erging, der eines Tages dem Freunde sagte: »Um mit einem Schlage ein Ende zu machen, müssen hunderttausend Köpfe springen?« Nun denn – Robespierre ließ Henriot köpfen. Will man etwa noch bei der Behauptung bleiben, Robespierre wäre ein Blutmensch gewesen?« Es ist in dem Ausspruch Souberbielle's ein sonderbarer Irrthum versteckt: Hanriot (nicht Henriot) ist am 9. Thermidor von demselben Haftbefehl ereilt worden, wie Robespierre, und ist am 10. zusammen mit dem Freund »spedirt« worden.