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Um die Zeit, von der hier die Rede ist, lebte in Moskau eine verwitwete georgische Fürstin, eine etwas fragwürdige, beinahe verdächtige Person. Sie stand in den Vierzigern und war wohl in ihrer Jugend von jener eigentümlichen orientalischen Schönheit gewesen, die so schnell verwelkt: Jetzt puderte und schminkte sie sich und färbte sich die Haare gelb. Über sie waren allerlei nicht sehr vorteilhafte, etwas unklare Gerüchte im Umlauf; ihren verstorbenen Mann hatte niemand gekannt, auch hatte sie sich in keiner Stadt längere Zeit aufgehalten. Sie hatte weder Kinder noch ein Vermögen; aber sie lebte – anscheinend auf Kredit oder sonst irgendwie – auf ziemlich großem Fuße, unterhielt einen sogenannten Salon und empfing eine recht gemischte Gesellschaft, die vorwiegend aus jungen Leuten bestand. Alles in ihrem Hause – angefangen von ihren Toiletten, Möbeln und Küche bis zur Equipage und Dienerschaft – schien irgendwie unecht, provisorisch und von zweiter Güte; doch die Fürstin und ihre Gäste stellten anscheinend keine höheren Ansprüche. Die Fürstin galt als Liebhaberin von Musik und Literatur und als Beschützerin der Künstler und Schauspieler. Für diese Dinge hatte sie ein wirkliches, an Begeisterung grenzendes und durchaus nicht erheucheltes Interesse. In ihr pulsierte zweifellos eine künstlerische Ader. Außerdem hatte sie ein freundliches, angenehmes Wesen, gab sich einfach und ungekünstelt und war – was die wenigsten merkten – auch recht gutmütig, weichherzig und nachsichtig . . . Das sind ja Eigenschaften, die bei Personen dieser Art selten anzutreffen sind und um so höher geschätzt werden sollten. »Das Frauenzimmer ist zwar nichts wert«, sagte von ihr einmal ein geistreicher Herr, »wird aber unbedingt ins Paradies kommen! Sie verzeiht alles, also wird auch ihr alles verziehen werden!« Man erzählte sich, daß sie in jeder Stadt, aus der sie verduftete, ebenso viele Gläubiger wie Menschen, die sie glücklich gemacht hatte, zurückließ. Ein weiches Herz läßt sich eben nach allen Seiten biegen.
Kupfer geriet, wie es zu erwarten war, bald in ihren Kreis und wurde mit ihr sehr intim . . . sogar zu intim, wie böse Zungen behaupteten. Er selbst sprach über sie nicht nur freundschaftlich, sondern auch mit Hochachtung. Er nannte sie ein goldenes Herz – was man dagegen auch einwenden mochte – und glaubte aufrichtig nicht nur an ihre Liebe zu den Künsten, sondern auch, daß sie viel von Kunst verstünde.
Als er eines Nachmittags bei den Aratows saß und die Rede wieder einmal auf die Fürstin und ihre Empfänge brachte, begann er Jakow zuzureden, wenigstens einmal sein Einsiedlerleben aufzugeben und ihm, Kupfer zu gestatten, ihn bei seiner Freundin einzuführen. Jakow wollte anfangs nichts davon hören.
»Was denkst du dir eigentlich?« rief Kupfer schließlich aus. »Wie stellst du dir diese Einführung vor? Ich will dich einfach, so wie du da sitzt, in dem Rock, den du jetzt anhast, nehmen und auf einen ihrer Abende bringen. Bei ihr gibt es gar keine Etikette, mein Lieber! Du bist ja Gelehrter, liebst Literatur und Musik (in Aratows Arbeitszimmer stand tatsächlich ein Pianino, auf dem er manchmal Akkorde mit verminderter Septime anzuschlagen pflegte), bei ihr im Hause findest du aber davon, soviel du willst! Du triffst bei ihr auch recht sympathische Menschen ganz ohne Prätensionen! Außerdem geht es wirklich nicht, daß ein junger Mann in deinem Alter und mit deinem Äußern (Aratow senkte die Augen und machte eine abwehrende Handbewegung), ja, mit deinem Äußern, sich dermaßen von Welt und Gesellschaft zurückzieht! Es ist ja kein General, zu dem ich dich bringen möchte! Ich verkehre auch selbst nicht mit Generälen . . . Sei nicht so eigensinnig, Liebster! Sittlichkeit ist natürlich eine gute und achtbare Sache, man soll aber nicht in Asketismus verfallen! Du willst doch nicht etwa Mönch werden?!«
Aratow wollte nicht nachgeben. Kupfer fand aber ganz unerwartete Hilfe bei Platonida Iwanowna. Sie wußte zwar nicht recht, was das Wort »Asketismus« bedeutete, war aber auch der Meinung, daß es Jaschenjka gar nicht schaden würde, sich zu zerstreuen und unter Menschen zu kommen. »Um so mehr«, fügte sie hinzu, »als ich Fjodor Fjodorowitsch vertraue und weiß, daß er dich an keinen schlechten Ort führen wird!«
»Ich werde ihn Ihnen in seiner ganzen Makellosigkeit wieder abliefern!« rief Kupfer aus.
Platonida Iwanowna sah ihn aber trotz ihres ganzen Vertrauens etwas argwöhnisch an. Aratow errötete bis über die Ohren, gab aber seinen Widerstand auf.
Es endete damit, daß Kupfer ihn am nächsten Abend zu der Fürstin brachte. Aratow blieb aber nicht lange da. Erstens traf er bei ihr an die zwanzig Männer und Frauen, die zwar sympathisch schienen, die er aber nicht kannte; das genierte ihn, obwohl er sich nur sehr wenig an der Unterhaltung zu beteiligen brauchte, und davor hatte er ja die allergrößte Angst. Zweitens mißfiel ihm die Hausfrau selbst, die ihn zwar sehr freundlich und einfach aufnahm. Alles mißfiel ihm an ihr: das geschminkte Gesicht, die gebrannten Locken, die heisere, süßliche Stimme, das schrille Lachen, die Manier, die Augen zu rollen, das viel zu tiefe Dekolleté und die dicken, glänzenden, mit einer Unmenge von Ringen geschmückten Finger.
Er saß in einer Ecke und ließ seine Blicke über die Gesichter der Gäste schweifen, ohne sie recht zu unterscheiden, oder starrte zu Boden. Als sich aber ein zugereister Virtuose mit bleichem Gesicht, langen Haaren und Monokel unter der gekrümmten Augenbraue vors Klavier setzte, mit aller Wucht in die Tasten schlug, den Fuß aufs Pedal drückte und eine Lisztsche Fantasie über Wagnersche Themen herunterzuhauen begann, war es Aratow doch zuviel, und er brannte durch, einen wirren und schweren Eindruck forttragend, zu dem sich auch noch eine andere, ihm unverständliche, aber bedeutsame und sogar aufregende Stimmung gesellte.