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Dämmerlicht rann durch das Dunkel und noch immer wälzte sich Jarnegan auf seinem Bett. Ruhelos setzte er sich auf und beobachtete die Flucht der Nacht vor dem Tage. Der unterdrückte Dichter in ihm schwelgte einen Augenblick in der Schönheit des Tagesanbruchs. Ungebärdig warf er die Bettdecke von sich und trat zur Schnapskaraffe. Rasch tat er zwei Züge und schnitt eine Grimasse. Mit noch wackelndem Kopf nahm er die Flasche neben der Karaffe und betrachtete sie näher. Er sah das Bild einer Mühle auf einer Straße Kentuckys. »Ich weiß nicht, warum mich das verfluchte Schicksal nicht jenseits des Ohio in Kentucky zur Welt kommen ließ. Das ist ein Staat, wo ein Kerl wie ich geboren werden sollte.« Er wunderte sich, wieso ein Fluß zwei Staaten so sehr verschieden machen konnte. Das eine voll Schönheit, das andere schal und fahl.
»Ach was – zum Teufel damit.« Er trank wieder.
Zu dieser Stunde waren schon alle Gegenstände im Zimmer sichtbar. Zwei Miniaturfiguren nackter Mädchen standen auf einem kleinen Mahagonigestell. Sie versinnbildlichten in ihrer roten und weißen Marmorschönheit den Geist der Nacht und des Morgens. Jarnegan betrachtete sie. Die harten Züge seines Gesichts wurden weicher.
»Schön – schön« – die Worte waren wie schwerer Samt. »Das ist alles, was es in der Welt gibt – alles, was es gibt.« Er nahm das Gestell an sein Bett und setzte die Whiskykaraffe und die Flasche zwischen die Figuren. Dann lag er wie ein müder Knabe unterm Baum, auf seinen linken Ellbogen gestützt und starrte sie eine Weile an. Er wünschte ein Gott zu sein, um ihnen Leben einzuhauchen. »Wie wunderbar wäre es, sie auf den Mund zu küssen und vor Freude tanzen zu lassen.« Sein Geist klammerte sich an diesen drolligen Einfall. »Wie herrlich wäre es, wenn ich mir meine eigenen Schönheiten schaffen könnte – um sie nach meinem Willen in fünfzig verschiedenen Farben zu gestalten. Kleine Blumen, die nie zerfallen und von Würmern zerfressen werden – die niemals verblühen und nie vom Winde verweht werden. O Christus, was für ein Traum! Ich würde die Kindchen mit Rosen und Mohnblumen schmücken und sie mit einem Schnalzen meiner Finger aus der Luft verwischen. Ich würde es so einrichten, daß sie, wenn ich ihrer überdrüssig wäre, auf einmal zusammenschrumpften und im Nu älter wären, als der ewige Jude.
Der ewige Jude – wenn ich nur wüßte, wo er jetzt ist – seit zwanzig Jahrhunderten wandert er die Wege der Welt, ein alter, alter Mann – kein Mädchen um ihn – kein Mensch verdient ein solches Los. Der arme alte Teufel. Er geht nur, geht und geht mit seinem schweren Wanderstock und seinem langen Bart und seiner noch längeren Nase. Seine Mutter hatte ihm erzählt, sie hätte ihn als kleines Mädchen einmal gesehen, wie er an einem Bächlein auf einer Wiese in Irland ruhte. Er lag ausgestreckt auf der Erde, die Arme unterm Kopf verschränkt, sah zum Himmel hinauf und vielleicht hatte er sich just gefragt, wohin er von hier gehen würde. Er hatte ein ewiges Leben und kein Mädchen, das es mit ihm teilte. Der arme alte Teufel – für ihn war der Schlaf des Rip van Winkle ein kurzer Schlummer – wenn er nur ein paar Jahrhunderte schlafen und die Welt ein wenig weiter kreisen lassen könnte, aber nein, er mußte wandern, wandern, wandern – jede Nacht an einem andern Ort. »Ich wollte, ich könnte mit Christus sprechen, ich würde ihn packen und nicht eher loslassen, bis er dem armen, armen Juden Rast gönnte – ich würde den armen alten Teufel in ein Freudenhaus führen und die ganze Zeche für ihn bezahlen.«
Wieder griff er zur Flasche und führte sie an seine Lippen. Nachdem er sie zwischen die Statuetten gestellt hatte, breitete er die Arme aus und lag da wie ein Gekreuzigter.
»Was tu' ich nur von jetzt bis abends – allmächtiger Gott – noch ein Tag. Cherry wird kommen – eine Stunde mit ihr genügt mir – ich bin nicht für ihr Geschwätz aufgelegt – Velma ist bei der Arbeit –« Sein Körper war so warm, als läge er nackt in der Sonne.
»Sehen wir mal – Colleen muß jetzt sechzehn, siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein – der Teufel weiß, wann sie geboren wurde! Jemand wird sie nehmen – vielleicht ist es auch schon geschehen. Mädchenpensionat – ha ha – vielleicht ist es der Direktor. Zwei Jahre ist es schon her, seit ich sie gesehen habe – möchte sie gerne wieder einmal sehen – ein schönes kleines Mädchen – hat mehr Grütze im Kopf als ihre Mutter – sie hat etwas von mir – müde Augen wie ich – mit Tränen erwartete sie mich am Bahnhof. – »Bin so stolz auf dich, Papa – ganz unbändig stolz. Denk' dir, ich nenne mich Colleen Jarnegan Muldoon. Das ist so irisch wie Dublin, Papa.« So stand sie vor mir, das rötlich braune Haar lugte unter dem hübschen Turbanhut hervor. Die Kleine hat Geist – achtete meine Launen – ärgerte mich nie. Wenn ich nur wüßte, wem sie nachgerät – der Zug ist nicht alltäglich. Jesus – sie ist älter als Daisy Carol.« Seine Lider wurden schwer. Er sah eine lange Straße auf beiden Seiten mit Eukalypten gesäumt sich hindehnen. Mit geschlossenen Augen sauste er mit der Geschwindigkeit des Lichtes die Straße hinunter.
Endlich fiel er, völlig erschöpft, in fiebernden Schlaf. Es ging auf neun, als er erwachte. Das Telephon hatte mehrmals geklingelt. Während er sich sorgfältig rasierte, hörte er an der Tür läuten. Charlie trat zu ihm.
»Missy Lindal wünschen Herrn sprechen«, sagte er.
Jarnegan zögerte einen Augenblick und sah in den Spiegel.
»Laß sie herein, sie soll auf mich warten. Ich komme nach dem Frühstück hinaus.« Er saß langsam und streifte zwischendurch den Stumpfsinn einer Zeitung aus Los Angeles.
Er fragte sich, was mit Cherry los sein mochte. »Vielleicht glaubt sie, ich kränke mich wegen gestern abend«, dachte er, als er zu ihr hinausging.
Sie lächelte, als er ihr die Wangen streichelte.
»Hast du eine angenehme Nacht verbracht?« fragte sie mit ein wenig hämischer Stimme.
»Nicht schlecht«, zuckte er die Achseln. »Sonderbar, daß du nicht einmal zufällig zu Hause bleiben kannst.«
»Gestern nacht ging es nicht. Daisy Carols Zustand hatte sich verschlimmert.«
»Und fühlt sie sich jetzt besser?«
»Nein, nicht besser.«
»Schlechter?«
»Ja – viel schlechter«, erwiderte Cherry.
»Wieso viel schlechter?« gab Jarnegan zurück.
»Verdammt schlechter – sie ist tot.«
Verdutzt starrte er auf Cherry. Seine eiserne Ruhe bekam eine Scharte.
Das gekränkte Weib in Cherry jauchzte.
Als er seine Gelassenheit wiedergewonnen hatte, sagte er gleichmütig: »Nun, sag' es Gott – in diesem Fall bin ich nicht der Regisseur.«
Überrascht von der kühlen Aufnahme ihrer Bombe, lächelte sie ihn leise an.
»Das vielleicht nicht – aber wohl der Regisseur, den sie nannte.«
»Nannte? Wie meinst du das?« fragte er rasch.
»Ach, nichts, Jack – gar nichts. Sie rief nur laut deinen Namen, bevor sie verschied.« Cherry kostete die Lage aus. »Ich versuchte dich anzurufen, Jack, aber dein verdammter Chinese läutete ab. Die Pflegerin erzählt einem jeden, daß sie aufschrie: ›Oh – oh – Mister Jarnegan – warum haben Sie das getan!‹ Dann sank sie zurück und verstummte.«
Jarnegan setzte sich auf das Ledersofa und vergrub den Kopf in seinen Händen. Cherry beobachtete ihn.
»Sie rüsten sich, dich ans Kreuz zu schlagen, Jack. Alles ist bereit. Sie machen die Nägel heiß, um sie in dein Fleisch zu treiben. Jetzt sind die Weiber vom Klub an der Reihe. Du weißt, was sie für eine Schar Gänse sind. Sie werden so laut schnattern, daß kein Jude den Mut haben wird, dich jemals wieder einen Film drehen zu lassen.«
Er sah zu Cherry hinauf und fragte rasch: »Wer sagte dir, daß sie gestorben ist?«
»Wer mir's sagte?« feuerte sie zurück. »Es steht auf der Titelseite im Beacon.«
»Ach, diese verfluchte Flappe. Erwähnt sie auch meinen Namen?«
»Wer braucht deinen Namen zu erwähnen, Jack, das ist eine Geschichte, die bestimmt durchsickert, wenn du keinen Riegel vorschiebst. Deine Karriere ist futsch.«
Jarnegan lachte. »Du bist eine entzückende Optimistin, Cherry. Ich habe das Mädchen nie berührt. Ich werde mich zur Wehr setzen.«
»Halt' dich nicht selbst zum Narren, Jack – gegen Gespenster kann man sich nicht zur Wehr setzen. Es wäre, als ob du mit dem Finger ein Loch ins Wasser bohren wolltest.«
»Gegen mich die öffentliche Meinung, das Gespenst, das Hollywood heimsucht«, dachte Jarnegan rasch. Er erinnerte sich eines Regisseurs, der über einen Drahtzaun gestolpert war. Er hatte eine starke Vorliebe für halbwüchsige Mädchen. Dann kam eine erzürnte Mutter – fünfzigtausend Dollar war der Preis ihres kostbaren Schweigens. Und der Regisseur ging wo anders hin. Aber das Gerücht folgte ihm. Zuletzt verschwand er bettelarm aus der Filmwelt.
»Well, Cherry – das ist eine Patsche – meinst du nicht auch?« fragte Jarnegan leichthin.
Sein Benehmen rührte sie, wie immer.
»Ja – es ist eine Patsche, Jack –« sagte sie zärtlich.
»Geh' schenk' dir ein Glas ein, Cherry – einverstanden? Ich möchte eine Minute über die Sache nachdenken.«
Er trat zum Tisch und blätterte in einer Filmzeitung. Sein Blick blieb an den Geschäftsberichten der Kinotheater haften – es handelte sich zufällig um einen seiner Filme.
»Der Blick nach Oben.« – 2100 m. – Regie Jack Jarnegan. Geschäftsgang gut. Spezialfilm. Wird allen gefallen, die hineingehen. Figuren glänzend gezeichnet. Das Drama erschütternd. Aufnahmen prachtvoll. Allgemeines Interesse. Jarnegan auf dem Gipfelpunkt seines Könnens. Provinzstadt von 8000. 1100 Sitze. Entree 25 Cent und 50 Cent.
Und Jarnegan lächelte über einen anderen Bericht:
»Nur ein Weib.« 1600 m. Starbesetzung, Regie Jeremy Sipcomb. Habe keine 50 Dollar eingenommen. Kein Tempo. Handlung einschläfernd. Moral alle Achtung. Geeignet für sonntägliche Kirchenbesucher. Kein Spezialfilm. Publikumsinteresse gleich Null, Neuerlicher Durchfall. Nicht aufs Programm setzen. Stadt von 3000. Entree 20 bis 30 Cent.
Er blätterte mechanisch um, es wirbelte in seinem Hirn.
Seine Weiber, die Dienerschaft, das schöne Heim, die fünf Morgen Grund und der Trunk – er würde sich schon irgendwie heraushauen. Gewiß rückte ihm Bernard diesmal arg zu Leibe. Mit Groll dachte er an Daisy – vielleicht war sie die ganze Zeit mit Bernard beisammen gewesen – vielleicht Monate – wer wußte es? Er war der erste gewesen, der sie überhaupt wo hingeführt hatte. Er wünschte, Jerry Brannigan wäre in der Stadt – aber Patsy würde schon helfen – er war Redakteur des »Bulletin«. Er schnalzte mit den Fingern – heute abend gab es Gesellschaft bei Leedman – alle waren dort – auch Bernard – der fehlte nie, wenn sich die Hohlköpfe versammelten – lange Stunden wurde über den Film geschwatzt – das war das einzige, das sie in ihren leeren Schädeln hatten. – –
Er vernahm Lärmen im Nebenzimmer. Cherry lachte mit Charlie. Er liebte Cherrys Lachen – sie erinnerte an Alice Toren – oder auch nicht – an wen erinnerte sie ihn nur? – Gleichviel – die war hier – gestern abend – er konnte sie nicht finden.
Er dachte an die Eule – war da etwas dran, an diesem irischen Aberglauben? – Er stutzte – wenn dir eine Eule ans Fenster fliegt und schreit – stirbt wer – vielleicht starb Daisy zur selben Stunde – konnte er darum nicht einschlafen? – nein – er war ganz von Gedanken zerwühlt gewesen – man kann nicht schlafen mit einem brennenden Ofen in sich. –
Die arme Daisy – nun wußte sie schon, was hinter dem Ganzen steckte. »Ich bin neugierig, ob man sie einäschern wird – das wäre das richtige – sie sollten ihre Asche über die Hügel streuen – damit die Tauben sie einatmen – sie selbst war wie eine Taube – noch zarter.« Nun – ihn traf kein Verschulden an ihrem Tode – hätte sie auf ihn gewartet, dann wäre alles gut geworden – er kannte drei oder vier Ärzte – überdies – –
Es klingelte zweimal an der Tür. Charlie ging öffnen. Falon trat ein. Charlie führte ihn zum Saloneingang. Er trat eilig auf Jarnegan zu.
»Well –« Jarnegan unterbrach sich und warf einen freundlichen Blick auf ihn – »ein furchtbares Pech, was, Jimmy?«
»Ja – ein furchtbares Pech.«
»Aber es wird vergehen, Jimmy. Alles vergeht.« Er seufzte. »Die Kunst ist, nicht mitzuvergehen.« Wieder seufzte er. »Jaah, das ist die Kunst.« Dann – langsam, unbewußt schauspielerisch: »Nicht mitzuvergehen.«
Jarnegan strich sich durch sein wirres Haar und wandte sich an Felon: »Es ist nicht die erste knappe Rettung, die wir erleben, Jimmy.« Er schlug seine Handflächen zusammen, als wollte er die Spannung lösen, dann pfiff er leise – –
Regnen wird es nimmermehr – nimmermehr.
Regnen wird es nimmermehr – –
Mit beherrschtem Geist bleckte er die großen weißen Zähne – »Ich werde nie vergessen, Jimmy, in welche Klemme mich einmal Irene Ellis gebracht hat – die ganze Gesellschaft war beschwipst und sie kletterte auf einen Baum – sie wollte dem Mann im Mond die Hand schütteln – bei Gott – ich mußte ihr nachklettern – und du weißt Jimmy, – eine betrunkene Frau ist ärger als zehn Männer – sie wird gleich hysterisch – genug an dem, ich holte sie herab – versuchte, sie zur Vernunft zu bringen und sagte ihr, während sie noch so illuminiert war wie der Santa-Fé-Expreß, wenn er durch einen Tunnel fährt: ›Jetzt sei gescheit, Irene, sei ein braves Mädchen und komm morgen zu mir zum Abendbrot –‹ sie rülpste ein paarmal und sagte: ›Ist klar.‹ Ich vergaß das Ganze – fest darauf, daß sie es auch vergessen würde – am nächsten Nachmittag um drei ruft sie meinen Sekretär an und erinnert mich, daß sie abends bei mir speisen soll, – und um sieben – kommt sie in einer Limousine, groß wie ein Schlachtschiff. Sie hatte sich fein herausgeputzt – war behängt wie Simon Legrees Peitsche, hatte mindestens für zwanzigtausend Dollar Schmuck auf sich. Ich sagte zu ihr: ›Irene – warum trägst du so viel Juwelen, warum ziehst du dir nicht falsche an?‹ ›Ach, zum Teufel,‹ stieß sie hervor, – ›was hat's für einen Sinn, welche zu haben, wenn man sie nicht trägt? Das ist, wie wenn man ein Pfandleihhaus hat und mit einer Eindollaruhr herumläuft.‹
Ihre Nerven waren kaputt, und ich erinnere mich noch heute, wie ich daran dachte, daß es die größte Dummheit ist, wenn Frauen bummeln – sie können's nicht vertragen – ich hab' noch nie eine gekannt, die nicht mit dreißig so gescheppert hätte wie eine alte Blechdose mit einem Kieselstein drin – du hast noch nie eine dralle Koberin gesehen, die sich am Suff beteiligt hätte – genug an dem – Irene schickte ihren Chauffeur weg – hatte aber der Kerl ein gar zu garstiges Gesicht – –
›Warum behältst du diesen Halunken in deinem Dienst?‹ fragte ich sie. –
›Na ja‹, sagte sie. ›Hübsch ist er nicht – er schaut nicht viel besser aus als Bull Montana – aber verflixt – er ist wie ein Vater zu mir – berührt mich so respektvoll, als ob ich eine Heilige wäre – das alles für fünfzig Fetzen in der Woche – und du weißt, Jack – jeder, der an einem hängt, ist verflixt viel wert in dieser Welt – wo man, je höher man kommt, auf um so mehr Dolche mit Samtgriffen stößt.‹
›All right, Irene, ich verstehe, was du meinst – ich habe auch drei Chinesen von seiner Art‹ – und ich führte sie ins Speisezimmer. – –
Kaum sitzen wir am Tisch, da kippt Irene um – mit dem Gesicht in die Suppe – steif wie ein totes Mädchen in einem Melodrama – Charlie und Konfucius stürzen herein – wir legen die Leblose auf ein Kanapee – ich horche ihr Herz ab – es schlägt schon kaum – nur ganz sachte – einen Augenblick schien es mir, als setzte es ganz aus – Herrje – eine schöne Suppe hat die mir eingebrockt – dachte ich mir. ›Wenn sie in meinem Haus abschiebt – geht's mir an den Kragen. –‹ Also gut – Charlie und ich plagen uns zwei Stunden mit Irene, bis endlich ihr Herz normal zu schlagen beginnt – auf einmal, als wir schon fast am Ziele sind, hört das verfluchte Ding beinahe ganz auf – ich sah die Zeitungstitel vor mir – so ungefähr – ›Irene Ellis – die weltberühmte Schauspielerin in Jack Jarnegans Wohnung gestorben – Staatsanwalt Woolwine hat die Untersuchung eingeleitet.‹ Ich wußte, daß Woolwine nicht gut auf mich zu sprechen ist – ich habe einem armen Teufel von einem Radikalen, den er ins Loch steckte, etwas Geld geschickt –, und dazu gesagt: ›Zum Teufel auch, wer ist der Richter über Woolwine? – Ich glaube, das wahre Verbrechen ist das Gesetz, das dieser Kerl handhabt.‹ Jedenfalls sah ich Woolwine vor mir sitzen – wie er in meiner Vergangenheit wühlte – und was ich alles in dieser Stadt trieb.
Irene dankte mir später, daß ich so gut zu ihr war – aber Weiber verstehen nie so was – was hätte ich tun sollen – zu mir selbst war ich gut – das war alles – –
Kurz und gut, wir bringen sie so weit, daß sie sitzen kann und ich schicke Fuke ans Telephon – der Chauffeur wird gerufen. – –
Himmel, du hättest sehen sollen, wie er hereingestürzt kam, – er trat zu ihr – nahm ihr den Schmuck Stück für Stück ab – bat um ein Säckchen – steckte die Sachen hinein – bat dann um ein Stück Papier – nahm die Brillanten wieder aus dem Sack – schrieb jedes Stück einzeln auf – bat mich zuletzt, die Liste zu unterschreiben, dann unterschrieb er seihst. – –
›Behalten sie das bei sich, Mr. Jarnegan – sollte es verloren gehen oder sollte man mich anhalten, so könnte ich's nicht erklären.‹ – Charlie übernahm den Schmuck und ich half dem Chauffeur, Irene in den Wagen zu tragen – sie war schon wieder ganz hin – aber ihr Herz schlug regelmäßig. –
›Kommt das oft vor?‹ fragte ich den Chauffeur.
›Na so ein paarmal in der Woche!‹, gab er zurück. ›Ich bin es schon gewöhnt.‹
Ich sah dem Mammuhnenschen zu, wie er Irene so bettete, daß sie sich nicht den Kopf anschlagen konnte – ich sah, wie er ihre schönen Beine in den feinen Seidenstrümpfen zudeckte, so gleichgültig, als wäre sie eine Holzpuppe – und sie hörte die ganze Zeit nicht auf zu stöhnen: ›Oh – oh – oh – zum Teufel hinein – zum Teufel mit dem Ganzen –‹ in einem peinlichen Singsang. Dann kam sie eine Sekunde zu sich und sagte nur: ›Grüß dich, Jack – hübscher Abend –‹ und dieser häßlichste aller Menschen fuhr mit ihr im Wagen davon.
Ich ging auf dem Kiesweg zwischen den Rosensträuchern und dachte über den Chauffeur nach – er hatte eine Schramme im Gesicht, breit wie eine Ackerfurche und seine Augen waren kleiner als Biberaugen – seine Stirne stieß so steil nach vorne, daß kaum eine Fliege hinaufklettern konnte – aber bei Gott, er war bei alledem ein ganzer Kerl – in dieser Nacht dachte ich lange über das Leben nach – und wunderte mich noch mehr … Herrgott, wenn ich nur das Geheimnis herauskriegen könnte – es treibt mich oft fast zum Wahnsinn – wer hat diesem Teufelskerl von einem Chauffeur so viel Treue ins Herz geträufelt – warum tut er Irene nicht Gewalt an … vielleicht tut er's doch … wer weiß?« Die Stirne des prächtigen Vagabundenregisseurs legte sich in Falten.
Er blickte auf Falon … »Jimmy – ich denke immer was Schlechtes – das ist, weil sie mir etwas angetan haben, als ich noch ein Bursche war – oder war es vielleicht nicht einmal schlecht – Hölle, was ist schlecht! – Irene konnte über ihren Körper verfügen, auch wenn sie ihn nicht in der Macht hatte. – –
Wie dem auch sei – der nächste Tag war ein Sonntag und ich sagte meinen Leuten, sie sollen den Kerl von Irene zu mir schicken, wenn er die Juwelen holen kam …
Als er kam, führte ihn Charlie zu mir. –
Ich schenkte ihm zu trinken ein, er goß es wie Wasser in seinen Schlund hinab.
›Wie fühlt sich Irene?‹ fragte ich.
›Heute besser. Sie ging zu Ti Juana. Mit ein paar Leuten.‹
›Wie lange sind Sie schon bei ihr, Ed?‹
›Sechs Jahre.‹ Sein unförmiger Mund verzog sich zu einem Lächeln. ›Sie war ein blutjunges Ding, als ich zu ihr kam – hat damals Theater gespielt – und sehr oft kein Geld gehabt, um mir den Lohn zu zahlen.‹
Ich wollte ihn zum Sprechen bringen – schenkte ihm wieder ein … Dann schwatzten wir über dies und jenes, und wie aus heiterem Himmel kam es plötzlich:
›Verstehen Sie, Mister Jarnegan – Miß Irene gab mir den Posten, als ich aus San Quentin kam – ich war schon ein Rückfälliger – meine Schwester diente bei Miß Irene und erzählte ihr von mir – sie brachte mich heraus – und viel große Leute, wie Miß Irene. –‹
›Warum haben sie Sie ins Loch gesteckt?‹ fragte ich.
›Einbruch‹, war die Antwort.
›Zum zweitenmal verurteilt?‹
»Ja – ich war ein Rückfälliger – noch ein Rückfall – und der Richter hätte mich verdonnert, lebenslänglich – da töte ich mich lieber – kein Gefängnis ist so wie das von San Quentin – die Sonne brennt den ganzen Tag herab – und der große See da draußen mit den Blumen am Rand – und es bricht einem das Herz, sie zu sehen …
Ich war in der Jutefabrik, vier Jahre – bis an die Hüften – die Wächter mit Knütteln – die großen Maschinen brüllen – Staub wirbelt dichter als Nebel – es dröhnt den ganzen Tag, wie Züge, die zusammenfahren – –‹
›Wo ist Ihre Schwester jetzt?‹
›Sie führt das Haus für mich – Miß Irene kaufte uns ein kleines Häuschen auf Boyle Heights.‹
»Nun, nun – sie waren hart zu Ihnen – nicht wahr, Bruder – aber nur Mut – jetzt geht's Ihnen gut bei Irene – und wenn's irgendwie einmal nicht klappt bei ihr – kommen Sie zu mir.‹ Und ich folgte ihm den Schmuck aus. – ›Warum haben Sie ihn das letzte Mal nicht mitgenommen?‹ fragte ich ihn.
›Es war Nacht – und ich hinterlasse ihren Schmuck immer bis zum nächsten Morgen. – –‹
Er arbeitet noch immer bei Irene – und macht sich – spart Geld – eine ulkige Welt, Jimmy –, eine sehr ulkige Welt. – –«
Jarnegan seufzte.
»Würde der Billings bei der ›Post‹ glimpflich über dich schreiben, wenn es zu einem Krach käme?« fragte Jimmy.
»Nein – die Laus – er würde seine Mutter durch den Kot zerren, um einen guten Titel zu bekommen.«
»Wie steht's mit Brannigan?«
»Nun, du weißt, wie ich zu ihm stehe. Und ich habe mir einiges ausgedacht. Sie denken nicht schneller als ich. Lass' uns sehen – ich will heut' abends in deiner Wohnung speisen, Jimmy. Hier werden mich die Zeitungsschreiber überlaufen.«
Jarnegan rief nach Charlie, der hastig eintrat. »Schick' eine hübsche Portion Getränke und Fressalien zu Mr. Falon hinüber – genug für ein halbes Dutzend – wir essen um sechs Uhr dreißig –« Er wandte sich um. »Ist's dir recht, Jimmy?«
»Natürlich ist's mir recht«, antwortete dieser ohne Zögern.
»Also schön«, erklärte Jarnegan geistesabwesend, als Cherry ins Zimmer trat.
Er vergaß Falon und Cherry und folgte mit seinen Blicken dem Teppichmuster. Die beiden beobachteten ihn. Verstehend schritten sie der Tür zu.
»Ich will eine lange Fahrt machen, Kinder«, sagte er sanft »Ich werde dich heute abend bei Jimmy sehen – gelt, Cherry?«
»Ja«, lächelte sie zärtlich.
»Bring' auch Velma mit, Jimmy«, schloß Jarnegan. »Die Fahrt wird mir wohltun. Auf Wiedersehen heute abend.«