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Der Oberfeldwebel, der von den Kindern immer wieder ausgefragt worden war, hatte Rahnsburg wieder verlassen. Selbstverständlich wurde Emilie dauernd bestürmt, zu erzählen, wie es sein würde, wenn sie mit dem Soldaten Hochzeit mache. Sie sollte versprechen, die drei Knaben zur Hochzeit einzuladen, sie würden ihr ein Ständchen mit der neuen Trompete bringen, die Peter kürzlich bekommen hatte.
»Was ziehst du denn für ein Kleid an?«
»Gibt es viel zu essen?«
»Bleibst du nach der Hochzeit hier oder gehst du dann fort?«
Schließlich wurde Emilie das Fragen zuviel, und eines Nachmittags warf sie die Knaben energisch aus der Küche. Als Peter und Rudi erneut versuchten, in die Küche einzudringen, versetzte sie jedem der Knaben einen derben Schlag und drohte ihnen, sie würde morgen keine süße Speise kochen, wenn sie sie noch weiter belästigten.
Rudi gab sich zufrieden, Peter hingegen war auf Emilie böse. Er überlegte angestrengt, wie er sie ärgern könnte, und kam schließlich auf den Gedanken, sie einmal furchtbar zu erschrecken. Bis gegen Abend mußte er damit warten, dann war sein Plan fertig. Er stellte sich hinter die Küchentür, nahm einen Besen zur Hand, über den er den Wischlappen gehängt hatte, zog eine Serviette über das Gesicht und wartete in der Dämmerung darauf, daß Emilie vom Flur aus die Küche betreten würde. Mit dem Besen würde er dann auf sie losgehen und dabei ein fürchterliches Geheul ausstoßen.
Endlich kam Emilie. Sie trug ein Tablett mit Gläsern in den Händen, die sie aus dem Wohnzimmer geholt hatte. Bei Frau Gregor war Besuch gewesen. Als Emilie die Küche betrat, stürzte Peter mit lautem Geschrei hinter der Tür hervor und versuchte, Emilie den Besen in den Leib zu stoßen. In seinem Eifer sah er das Tablett mit den Gläsern nicht; sie fielen zur Erde und zerbrachen. Emilie stieß einen Schreckensruf aus, dann ergoß sich eine Flut von Vorwürfen über den Missetäter. Peter wollte lachend fortlaufen, aber Emilie hielt den Kleinen fest.
»Nun habe ich es satt! Das geht zu weit! Jetzt mag dir dein Vater einmal nachdrücklich erklären, ob du einen Menschen erschrecken darfst, und wer Schuld daran trägt, daß die Gläser zerbrochen sind.«
»Ich wollte doch nur Spaß machen«, meinte Peter kleinlaut.
Emilie wies auf die Scherben. »Das nennst du Spaß? Das ist eine Lümmelei!«
»Warum hast du auch gerade Gläser in der Hand. Das habe ich doch nicht gewußt.«
»Nun wird dir dein Vater schon eintrichtern, was sich gehört und was nicht.«
»Mielchen – wir beide sind uns doch sooo gut. Ich helfe dir auch und sammle die Scherben auf. – Sieh mal, der Peter ist schon wieder artig.«
»Ich lasse mich nicht beschwatzen. Deine Strafe sollst du haben, die hast du verdient. – Nein, mich so zu erschrecken! – Weißt du denn nicht, daß man keinen Menschen erschrecken darf?«
»Warum darf man das nicht?« fragte Peter, während er die Scherben aufsammelte.
»Ein Mensch kann vor Schreck krank werden. Manch einer ist sogar schon vor Schreck gestorben.«
Da lachte Peter laut auf. »Ach nein, das glaube ich dir nicht!«
»Dann frage den Vater, der weiß es genau. Hier in Rahnsburg ist auch schon einmal einer vor Schreck gestorben. Denkst du, ich schwindle dir etwas vor?«
Peter streichelte Emilie zärtlich. »Na, du bist ja nicht gestorben, und nun ist alles wieder gut, nicht wahr?«
»Aber die Gläser sind zerbrochen. – Fünf Stück.«
»Mielchen – so, nun habe ich alles aufgesammelt, jetzt wollen wir nicht mehr daran denken.«
»Oh, ich denke noch sehr lange daran. Ich habe den Schreck und den Ärger, dein Vater die Kosten, und du kriegst die Prügel.«
»Mielchen, ich erschrecke dich ganz bestimmt nicht wieder – weil man doch daran sterben kann.«
Während Emilie noch mit Peter verhandelte und den letzten Rest der Scherben zusammenkehrte, kam Pucki herein. Peter verschwand hinter der Küchentür. Die Mutter hatte ihn längst gesehen und fragte Emilie, was vorgefallen sei.
»Da steht der unartige Junge, Frau Doktor Gregor«, sagte Emilie zum Schluß ihres Berichts.
Bald hörte Emilie ein lautes Geschrei aus dem Wohnzimmer und die kläglichen Versicherungen: »Ich werde sie ganz bestimmt nicht wieder erschrecken. – Mutti, jetzt ist's genug. – Es waren doch nur ein paar Gläser.«
Etwas später kam Peter wieder in die Küche, gefolgt von dem neugierigen Rudi. Er reichte Emilie die Hand und sagte noch immer schluchzend: »Ich mach' nie wieder einen schwarzen Mann mit 'nem Besen – es tut mir leid.«
»Nun, dann ist alles wieder gut«, sagte Emilie.
Von außen schlug er dann die Küchentür zu und schrie aus Leibeskräften: »Olle Petze – olle Petze!«
Emilie lachte nur dazu und gab sich den Anschein, als hörte sie die Schmähung nicht. Erst als Rudi mit einstimmte, riß sie die Küchentür auf. Da liefen die beiden Knaben davon.
Das kleine Vorkommnis war bald vergessen. Peter hatte den Vater gefragt, ob es wirklich möglich sei, daß ein Mensch tot sein könne, wenn man ihn ganz toll erschreckte. Der Vater bestätigte das. Es gäbe manches, was einen Menschen ganz plötzlich sterben ließe. Großer Schreck könne das Herz plötzlich stillstehen lassen, dann sei es mit dem Menschen aus.
»Dann erschrecke ich nie wieder einen Menschen«, sagte Karl nachdenklich, »auch die Brüder nicht. – Weißt du, Vati, es macht aber doch soviel Spaß, wenn man plötzlich wie ein Donnerwetter losfährt und der andere schreit auf.«
»Wenn ihr euch beim Spielen ein wenig erschreckt, ist das nicht so schlimm, zumal der andere ja immer darauf vorbereitet ist, daß aus diesem oder jenem Versteck einer hervorspringt. Nur einen richtigen, großen Schreck darf man keinem Menschen zufügen. Das kann schlimm werden. Ihr kennt doch Tante Tekla?«
»Ja, die mit den weißen Haaren?«
»Richtig. Sie hat ihr weißes Haar durch einen großen Schreck bekommen.«
»Vati, erzähle mal!«
»Tante Tekla hat mit ihrem Mann und ihren Kindern einmal eine Segelbootfahrt gemacht. Da ist das Schiff umgeschlagen, und alle sind ins Wasser gefallen. Die gute Mutter wollte ihre Kinder retten, sie ist ihnen nachgeschwommen, fand aber nur eins. Laut rief sie um Hilfe. Ein junger Mensch half ihr und hat schließlich ihr anderes Kind gefunden, das schon bewußtlos war und erst nach langen Bemühungen wieder ins Leben zurückgerufen werden konnte. Diese schrecklichen Minuten, die Tante Tekla durchlebte, der große Schreck und die Angst haben ihr schönes blondes Haar weiß werden lassen.«
»Vati«, flüsterte Karl, »ich erschrecke nun wirklich keinen Menschen mehr. Denke mal, der Anton hat so schönes Haar, wenn das plötzlich weiß würde, das wäre schlimm.«
Über den Schreck, das weiße Haar und den plötzlichen Tod unterhielten sich die drei Kinder noch lange. Sogar in der Schule wurde viel davon gesprochen. Der Klassenlehrer wußte auch einen warnenden Fall zu erzählen. Er hatte in seiner Heimat erlebt, daß ein Mann durch Schreck gestorben war.
Die Septembertage gingen dahin, und schon winkten die Herbstferien, auf die sich Peter ganz besonders freute. Pucki war jetzt viel im Garten beschäftigt, denn die zahlreichen Obstbäume brachten reiche Ernte. Die umsichtige Hausfrau trug selbst manchen gefüllten Korb ins Haus, für die Knaben aber war es eine besondere Freude, ihr dabei zu helfen.
So auch heute. Karl und Rudi folgten dem strengen Verbot, von dem vielen Obst, das bereits abgenommen war, zu essen.
»Ihr bekommt nachher genug. Aber alles dürft ihr nicht durcheinander essen, sonst werdet ihr krank und müßt ins Bett.«
Peter, der sich unbeobachtet glaubte, steckte aber schnell noch einige Birnen in seine Hosentaschen. Pucki hatte es gesehen. Schweigend nahm sie ihm die Birnen wieder weg.
»Mutti, es sind ja nur ganz kleine Dinger!«
»So, Peter, da du noch immer unfolgsam bist, darfst du heute nicht weiter mit helfen. Du gehst sofort ins Haus und läßt dich im Garten nicht mehr sehen. Das ist deine Strafe.«
»Mutti, ich möchte nur – –«
»Peter, du hörst, was ich sage! Sofort verläßt du den Garten!«
Peter zog ein langes Gesicht, ging aber langsam davon. Er wußte ja, wenn die Mutti Ernst machte, gab es keine Widerrede.
Anfangs saß Peter im Kinderzimmer, dort wurde es ihm aber bald zu langweilig. So ging er hinaus in den Hof, aber auch Frau Mahler hatte keine Zeit für ihn. Nun stand der kleine Mann am Zaun, der den Hof vom Garten trennte, und rief laut nach Rudi.
»Du, komm her, ich habe was sehr Schönes!«
Rudi zögerte, kam dann aber doch langsam näher, und als Peter immer kräftiger winkte, rief er in den Garten hinein: »Mutti, kann ich zum Peter gehen? Er hat was Schönes.«
»Meinetwegen geh«, sagte Pucki, »wir sind hier gleich fertig.«
Da gab es zwischen den Brüdern bald wieder Streit, denn Rudi wollte das Schöne sehen, und Peter hatte selbstverständlich nichts.
»Komm Rudi, wir wollen zu Emilie in die Küche gehen, sie soll uns was Schönes erzählen.«
In der Küche war Emilie damit beschäftigt, in einen Spirituskocher neue Flüssigkeit zu füllen. Rudi stieß sie kräftig an, so daß sich ein Teil der Flüssigkeit auf den Küchentisch ergoß.
»Ihr sollt nicht so stürmisch sein, Kinder«, tadelte sie, wischte rasch einen Teil des Spiritus weg und setzte den Kocher in Brand. Die große Flamme, die hochschlug, war zwar gänzlich ungefährlich, weil der Tisch in der Mitte stand, aber für Rudi und Peter war das etwas ganz Neues.
»Hu – Feuer!« rief Peter. »Das brennt aber toll!«
»Feuer – fein!« schrie Rudi.
Als nun aber das Feuer wie leuchtende Tropfen hinunter auf den Fußboden fiel und auch dort die geringe Menge Spiritus, die herabgetropft war, aufflammte, schrien die Knaben erschreckt auf. Emilie sah sofort, daß hier nicht die geringste Gefahr bestand, trotzdem hatte sie mit den Knaben, die das zum ersten Male sahen, nicht gerechnet. Feuer, das wußten beide, war etwas sehr Gefährliches, und schon stürzte Peter aus der Küche, eilte durch den Flur hinaus in den Garten und schrie aus Leibeskräften::
»Mutti – Feuer! Mutti – in der Küche brennt es! Die Emilie hat alles voll Feuer!«
»Peter – was ist los?« fragte Pucki entsetzt.
»Alles in der Küche brennt!« Peter, der von kleinauf übertrieb, der es niemals mit der Wahrheit genau nahm, erzählte aufgeregt weiter. »Um die Emilie brennt alles, und der Rudi ist auch da!«
Schon war die geängstigte Mutter von der Leiter gesprungen. »Peter, es brennt in der Küche?« rief sie bebend. »Es brennt?«
»Alles brennt, Mutti!«
Pucki flog durch den Garten. Peter und Karl rannten hinter der Mutter her. Peter konnte nicht genug rufen: »Alles brennt – die Emilie wird nun auch brennen und der Rudi. – Mutti, Mutti, alles brennt!«
Vor Puckis Augen entstand ein grauenvolles Bild: Feuer in der Küche, darin Emilie und ihr Rudi. Wenn die Kleider Feuer fingen, war größte Gefahr. Warum schrien sie nicht im Hause um Hilfe, warum hörte sie kein Schreien und Rufen?
»Rudi – Emilie!« Sie hastete durch den langen Flur und stieß die Küchentür auf, vor Angst und Aufregung ganz außer Atem. Da sah sie Emilie ruhig in der Küche umhergehen und Rudi daneben auf dem Schemel sitzen, aber vom Feuer war nichts zu sehen.
»Feuer?« fragte Frau Gregor mit bebenden Lippen. »Wo brennt es?«
»Mutti«, antwortete Rudi, »dort in dem Ding und um das Ding 'rum hat es gebrannt. – Das war fein!«
Pucki lehnte sich gegen die Tür. Eine plötzliche Schwäche überkam sie. Der Schreck, den Peter ihr eingejagt hatte, war zu groß gewesen. Noch klang es in ihren Ohren: »Alles brennt, die Emilie, der Rudi!«
Emilie sah das totenblasse Gesicht der Frau Doktor. Rasch schob sie ihr einen Schemel hin. »Was ist geschehen?« fragte sie bestürzt.
»Peter sagte – – alles – – brennt.« Dann schloß Pucki die Augen.
Inzwischen hatten auch Peter und Karl die Küche erreicht. Peter glaubte tatsächlich, daß ihm das helle Feuer entgegenschlagen würde, und er war sehr erstaunt, als nichts mehr davon sah.
»Mutti«, sagte er erstaunt, »es war aber alles – – Mutti – – Mutti – –« Pucki hatte die Augen geschlossen und den Kopf gegen die Wand gelehnt.
»Peter, wie kannst du deine Mutter so erschrecken!« tadelte Emilie.
Die Worte hatten eine ungeahnte Wirkung. Mit weitgeöffneten Augen blickten Karl und Peter auf die erschöpfte Mutter, deren Brust sich noch immer stoßweise hob und senkte.
»Der Schreck– – der Schreck – –« murmelte Karl, dann umschlang er die Mutter mit beiden Armen. »Mutti, liebe Mutti – hast du dich so erschreckt?«
»Karlchen«, hauchte Pucki. Der Junge sah, wie die Mutti am ganzen Körper zitterte. Da schlich auch Peter scheu heran.
»Mutti – Mutti – –«
»Laßt die Mutti in Ruhe!« rief Emilie ärgerlich. »Seht ihr denn nicht, wie sehr sie sich erschreckt hat?«
Alle drei Knaben dachten in diesem Augenblick an nichts anderes, als daß der Schreck die Mutti töten könnte. Eine furchtbare Angst überfiel die Kinder, immer wieder riefen sie zärtlich den Namen ihrer Mutter.
»Pucki, liebes Mütterchen, stirb doch nicht!«
Pucki, die noch immer von einem heftigen Schwindel befallen war, raffte sich gewaltsam auf. »Es ist ja alles – wieder gut, Kinder«. Die matte Stimme, mit der die Worte gesprochen waren, entfesselten bei Peter einen Tränenstrom.
»Mutti, was fehlt dir?« fragte Peter ängstlich.
»Macht, daß ihr 'rauskommt!« sagte Emilie, nahm Rudi und setzte ihn ziemlich unsanft vor die Küchentür, dann kam Peter an die Reihe. Bei Karl gelang es ihr nicht.
»Laß mich hierbleiben«, bat er leise, »ich bin ganz still.«
Vor der Küchentür saßen die beiden Knaben und weinten leise, in der Küche hockte Karl an der Seite der geliebten Mutter und hielt ihre Hand fest zwischen seinen beiden Händchen. Pucki hatte die Augen wieder geöffnet, lächelte Karl freundlich zu und sagte:
»Nun ist alles wieder gut, mein lieber Junge. – Ach, Kinder, warum habt ihr mich so sehr erschreckt.«
Es war gut, daß Puckis innere Erregung sich in Tränen auflöste. Aber diese Tränen taten Karl besonders weh.
»Mütterchen, wenn einem schlecht ist, legt ihn der Vati ins Bett. – Mutti, komm, ich will dich aufs Bett legen. Bitte, liebe Mutti, komm doch!«
»Legen Sie sich ein wenig nieder, Frau Doktor Gregor«, bat auch Emilie. »Ruhe wird Ihnen guttun.«
»Ja, Emilie«, sagte Pucki matt.
»Mutti, leg mal deinen Arm fest um meinen Hals, ich führe dich. Ich halte dich ganz fest. – So, Mutti.«
Noch immer fühlte Pucki ein Zittern in den Knien. – Im Flur wollten sich Peter und Rudi sogleich wieder an die Mutter hängen. Da drohte ihnen Karl aber so erschreckend mit der Hand, daß es keiner der beiden wagte, näherzukommen. Nur ganz zaghaft tönte Peters Klage:
»Mutti, ist dir wieder gut?«
Pucki legte sich im Wohnzimmer auf den Diwan, ließ sich von Karl zudecken, und Rudi durfte ihr ein Kissen bringen. Als aber Peter sich ebenfalls dem Diwan nähern wollte, um der Mutti auch ein Kissen zu bringen, wies sie ihn zurück.
»Nein, Peter, du darfst nicht helfen. – Du hast die Mutti so sehr erschreckt, du hast wieder die Unwahrheit gesprochen oder doch stark übertrieben. Die Mutti ist sehr traurig darüber. – Geh hinaus, Peter.«
»'raus mit dir!« rief Karl, faßte den Bruder am Arm und zog ihn vor die Tür.
Im Kinderzimmer saß Peter mäuschenstill. Er merkte es kaum, daß ihm dicke Tränen über die Wangen rollten. – Wenn die Mutti jetzt krank wurde, hatte er ganz allein die Schuld. Er hatte gesagt, daß Feuer in der ganzen Küche sei, er hatte wieder die Unwahrheit gesprochen und die Mutti furchtbar erschreckt. Jetzt war sie ihm ganz böse, und hatte sicher ihren Peter nicht mehr lieb. Nicht einmal ein Kissen durfte er ihr bringen.
»Mutti – – Mutti – –« jammerte er. Alle seine Unwahrheiten standen plötzlich wie eine Anklage vor ihm. Er hatte Obst genommen, er hatte von der Marmelade genascht, ganz heimlich Bonbons aus der Schale genommen und immer aus einer Kleinigkeit eine große Sache gemacht. Oh, welchen Spaß hatte ihm das immer bereitet! Doch wie oft hatten ihn Vater und Mutter deswegen getadelt. Aus einem Lügner konnte leicht ein Dieb werden; ein Dieb nahm erst wenig, später, wenn er größer wurde, nahm er mehr. Wie oft war die Mutti traurig gewesen. – Wenn die Mutter jetzt durch den großen Schreck krank würde – das wäre furchtbar!
»Ich habe nur ein bißchen Feuer in der Küche gesehen, nur ein bißchen, und dann habe ich der Mutti gesagt, alles in der Küche brennt. – Da ist sie gerannt vor Schreck. – Einmal war sie schon so krank, da mußte sie fort, und nun wird sie wieder krank. – Ach, Mutti, du wirst mich nicht mehr liebhaben!« So machte sich Peter bittere Vorwürfe.
Ob der Vati ihm noch gut war? Plötzlich kam dem Knaben der Gedanke, zum Vater zu gehen. Er konnte es vor Herzweh nicht länger aushalten. Nur ein Gedanke erfüllte ihn: Mutti wird krank werden.
Er lief zum Vater; der wollte gerade aus seinem Zimmer gehen. Peter taumelte auf ihn zu. »Hab mich lieb, Vati! Die Mutti hat mich nicht mehr lieb.«
»Peterli, was ist denn los?«
Das Gesicht des Knaben glühte wie im Feuer.
»Natürlich habe ich dich lieb, Peterli, sehr lieb. Was hast du denn, Peterli?«
»Ich hab' immerzu gelogen, ich bin ein schlechter Junge. Vati – ich – – darf der Mutti – kein Kissen bringen.« Dann weinte er herzzerbrechend.
Claus nahm den Kleinen auf den Arm und sprach beruhigend auf ihn ein. Eine Weile ging er mit ihm im Zimmer umher, dann entschloß er sich, den Knaben ins Bett zu stecken. Er trug das heftig weinende Kind hinüber ins Schlafzimmer.
»Hier bleibst du ruhig liegen, Peterli, der Vati kommt gleich zurück.«
Dann suchte der Vater Pucki auf und fand sie im Wohnzimmer auf dem Diwan. Sie hatte sich schon wieder ein wenig erholt.
»Nanu«, versuchte der Gatte zu scherzen, »das ist ja hier eine zweite Klinik. Was ist denn los?«
Sehr rasch verstand er. Puckis kurze Mitteilungen genügten ihm, um klarzusehen.
»Du bleibst liegen, Pucki«, sagte er, nach dem er ihren Puls gefühlt hatte. »Jetzt gehe ich zu dem kleinen Missetäter, der heute eine Strafe bekommen hat, die fast zu hart war. – Mache dir keine Sorgen, Pucki, Peter bleibt in meiner Obhut.«
Für Peter wurde eine Medizin geholt. Er lag still in seinem Bettchen. Die liebevollen Worte des Vaters wirkten beruhigend auf ihn. Trotzdem klopfte sein kleines Herz noch immer stürmisch.
»Vati – ist die Mutti krank?«
»Ja, der große Schreck hat ihr viel Herzklopfen bereitet, und beinahe wäre sie wieder krank geworden. Der liebe Gott hat es aber noch einmal gut mit uns gemeint.«
Da lag Peter ganz ruhig mit gefalteten Händen in seinem Bettchen und bat bald den lieben Gott, bald die Mutti, sie möchten gut und lieb zu ihm sein. Und er nahm sich fest vor, nie wieder zu schwindeln und nicht wieder eine Unwahrheit zu sagen.