Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Pucki weint

Die hellen Augen Puckis waren in den letzten Tagen trübe geworden. Die Nachrichten aus dem Forsthaus Birkenhain lauteten immer beunruhigender. Puckis Vater, Förster Sandler, war an einer beiderseitigen Lungenentzündung schwer erkrankt und lag in hohem Fieber. Da das Forsthaus nur etwa zwanzig Minuten von Rahnsburg entfernt lag, ging Pucki täglich hinaus. Auch Claus stattete seinem Schwiegervater täglich einen Besuch ab, um nach ihm zu sehen. Er hatte es allerdings für nötig gehalten, auch den zweiten Rahnsburger Arzt, Herrn Doktor Ucker, mit heranzuziehen. Augenblicklich war die Klinik voll besetzt; Doktor Gregor hatte schwere Fälle zu behandeln, so daß er mitunter bis tief in die Nacht hinein in Anspruch genommen war.

Heute morgen war Pucki durch den Fernsprecher der Bescheid geworden, daß es sehr schlimm um den Vater stünde. So machte sie sich auf den Weg nach dem Forsthaus, nachdem sie Emilie alle Anweisungen für das Mittagessen erteilt hatte.

»Dürfen wir mitkommen?« fragte Karl. »Mutti, die Schule fängt bald wieder an, dann haben wir wenig Zeit.«

»Nein, Karl, Mutti hat es heute sehr eilig. Außerdem ist der Großvater schwer krank, und wir dürfen ihn nicht stören, er muß Ruhe haben.«

»Du gehst doch aber auch hin?«

»Das ist doch etwas ganz anderes. Es ist doch mein Vater, und Kinder dürfen zu jeder Zeit nach ihren erkrankten Eltern sehen.«

»Wir sind aber doch auch die Kinder vom Großpapa«, maulte Peter.

»Ihr bleibt hier. – Macht eurer Mutti keinen Ärger, sie hat genug Kummer!«

Karl streichelte zärtlich ihre Wange. »Wenn du Kummer hast, machen wir dir keinen Ärger. Dann sind wir sehr artig. Weißt du noch, Mutti, du warst auch einmal krank und mußtest von uns fort. Da waren wir sooo artig!«

»Da war die olle Oberin hier!« sagte Peter.

»Laßt die Mutti in Ruhe, sie muß fort. Stört auch den Vati und Tante Waltraut nicht, denn drüben ist viel zu tun. Spielt miteinander, dann hat die Mutti Freude.«

»Der Karl spielt immerzu Soldat, das ist zu dumm! Ich spiele gar nicht mehr gern mit ihm. Immerzu rechtsum – linksum – und hinlegen. Heute ist es im Garten schmutzig, und dann zankst du, wenn wir uns hinlegen.«

»Wie wäre es, wenn ihr drei zu Manfred gehen würdet? Er ist doch dein bester Freund, Karl. Seine Eltern haben auch einen großen, schönen Garten. Dort stört ihr bestimmt nicht. Frau Heiwer hat oft gesagt, ihr möchtet einmal hinkommen.«

»Au ja, wir gehen zu der Wippe im Garten!«

Da Heiwers auf dem Wege wohnten, den Pucki zum Forsthaus einschlagen mußte, setzte sie ihre drei Knaben dort ab. Pucki wußte, daß die Kinder dort nicht störten, denn Frau Rechtsanwalt Heiwer war sehr kinderlieb; sie hatte außerdem zur Zeit ihre beiden jüngeren Schwestern zu Besuch. Die beiden jungen Mädchen beschäftigten sich ständig mit den beiden Heiwerschen Kindern, Manfred und Inge. Die Gregorschen Kinder wurden mit großer Freude willkommen geheißen. So konnte Pucki ruhig hinaus zur Försterei gehen. – –

Es stand nicht gut um den Vater. Puckis Schwester Waltraut hatte in der Nacht bei ihm gewacht und war dann am frühen Morgen zurück in die Klinik gegangen, um noch ein wenig zu schlafen. Auch Agnes, die dritte der Schwestern, die auf dem Niepelschen Gut verheiratet war, erhielt die Nachricht zu kommen, da es heute besonders schlecht mit dem Vater stünde.

Nun saß Pucki am Bett des Vaters. Er erkannte seine Tochter nicht, lag in hohem Fieber und stieß wirre Worte aus. Pucki hielt seine heiße Hand liebevoll in der ihren und schaute besorgt in sein Antlitz. Wieviel Liebe, wieviel väterliche Güte hatte er ihr geschenkt! Immer war Hegemeister Sandler für seine drei Töchter bemüht gewesen, immer hatte er den Seinen, auch später den erwachsenen Töchtern, Freude bereitet! Sein eigenes Ich wurde immer zurückgestellt. Er und auch seine Frau, Puckis geliebte Mutter, hatten den Kindern eine sonnige Jugend geschenkt.

»Du darfst nicht von mir gehen, lieber Vater, du sollst erst noch einen ruhigen Lebensabend genießen. Im kommenden Jahre wirst du pensioniert, dann darfst du endlich ausruhen von all der vielen Arbeit. – Ach, Väterchen, was kann ich tun, dir Erleichterung zu schaffen?«

Pucki wartete das Eintreffen von Doktor Ucker ab. Als er kam, fragte sie ihn sorgenvoll, ob er noch Hoffnung hätte.

Als der Arzt eine ausweichende Antwort gab, verlor Pucki jede Hoffung.

»Man kann in solchen Fällen niemals Genaues sagen, Frau Gregor, aber wir wollen hoffen«, tröstete der Arzt. »Ich komme am Nachmittag noch einmal her. Es wird alles geschehen, was in meinen Kräften steht.«

»Mein Mann hat heute eine schwere Operation vor. Trotzdem wird er am Nachmittag herauskommen. – Ach, Herr Doktor, es wäre furchtbar, wenn der sonst immer so gesunde Mann in diesem Alter dahingerafft würde.«

Eine Viertelstunde später kam Agnes. Da hielt es Pucki für ratsam, wieder heimzugehen; sie wollte am Abend noch einmal herauskommen. Frau Sandler ging mit verweinten Augen umher; die Sorge um den geliebten Mann und die wochenlange Pflege hatten sie sehr angegriffen. Dennoch lehnte sie es ab, eine Pflegerin ins Haus zu nehmen.

»Ich bin in Freud und Leid mit ihm verbunden gewesen, wir waren immer beisammen, nun will ich ihn auch hegen und pflegen bis zum letzten Atemzug. Ich würde es als grobe Pflichtverletzung ansehen, wenn ich es nicht täte. Gehe ruhig wieder heim, mein liebes Kind, ich rufe dich sofort, wenn sich Vaters Zustand noch weiter verschlimmern sollte. Ich weiß von Waltraut, daß du augenblicklich viel zu tun hast. Gehe ruhig heim, der liebe Gott wird uns helfen.«

Die Worte der Mutter machten Pucki das Herz nicht leichter. Wenn ihr der Vater genommen wurde, ging ein Stück ihrer Jugend mit ihm fort. Freilich, sie hatte einen guten Mann und drei liebe Kinder. Sie war eine glückliche, beneidenswerte Frau und Mutter, aber trotzdem war ihre tiefe Liebe zu den Eltern nicht verblaßt.

Im ersten Augenblick dachte sie daran, die Knaben auf dem Rückweg bei Heiwers abzuholen, aber dann unterließ sie es. Vielleicht tat ihr ein wenig Ruhe in der nächsten Stunde gut. Wenn sie die Knaben abholte, würde sie von ihnen mit endlosen Fragen bestürmt werden. – Was sollte sie ihnen sagen?

So kam sie allein zu Hause an und sah in der Küche nach dem Rechten. »Lassen Sie nur alles, Frau Gregor«, sagte Emilie, »Sie sehen gar so müde aus. Es ist alles in Ordnung, ich schaffe die Arbeit allein. – Gehen Sie ein wenig hinaus in den Garten, die Ruhe tut Ihnen gut.«

Pucki folgte gern dieser Aufforderung. Sie schritt langsam durch den blühenden Garten und setzte sich schließlich in der von wildem Wein dicht umrankten Laube nieder. Hier störte sie niemand, hier konnte sie ihren Gedanken ungestört nachgehen.

Wenn der Vater starb? – Vielleicht erlebte er den heutigen Abend nicht mehr. Dann war die gute Mutter ganz allein. Es würde schwer, unendlich schwer für sie sein, allein im Leben zu stehen. Dann mußte sie auch aus dem ihr liebgewordenen Forsthaus hinaus, um einem Nachfolger Platz zu machen.

»Ach, Väterchen, wieviel Liebe hast du deinen Kindern geschenkt! Wie gut warst du stets zu uns!» dachte Pucki.

Sie konnte es nicht hindern, daß ihr die Tränen mit aller Gewalt aus den Augen stürzten. Bisher hatte sie sich tapfer zusammengenommen, um Waltraut und die Kinder nicht zu beunruhigen. Nun war sie allein, nun konnte sie sich einmal ausweinen, und die Tränen würden ihr das schwere Herz ein wenig leichter machen. – So saß Pucki in der einsamen Laube, drückte das Gesicht in beide Hände, und Träne auf Träne floß aus ihren Augen. – –

K.

Das fröhliche Spielen der Kinder bei Heiwers hatte nicht lange gedauert. Karl und sein bester Freund Manfred gerieten sich bald in die Haare, obwohl Frau Heiwer versucht hatte, den ausgebrochenen Streit zu schlichten.

»Freunde dürfen sich nicht zanken«, mahnte sie.

»Gerade weil er mein bester Freund ist, zanke ich mit ihm«, behauptete Karl eigensinnig, »und heute kann ich ihn gar nicht leiden.«

»Aber Karl, du sagst doch immer, du hättest Manfred sehr lieb.«

»Habe ich auch, ich habe ihn furchtbar lieb – nur heute nicht!«

So gab ein Wort das andere. Manfred schlug sogar auf seinen besten Freund ergrimmt ein. Da erklärte Karl, er ginge nun nach Hause.

»So geh nur«, sagte Frau Heiwer lachend, »heute nachmittag seid ihr ja doch auf eurer Wiese beisammen. Hoffentlich ist bis dahin die Freundschaft neu erwacht.«

»Das wird schon sein«, meinte Karl, »heute nachmittag werde ich ihn wieder gern haben, aber jetzt gehe ich!«

»Deine Brüder behalten wir aber hier – –«

»Nein, die Brüder lasse ich nicht bei meinem Feinde.«

»Du bist auch mein Feind«, schrie Manfred. »Wenn ich eine Kanone hätte, würde ich dich damit totschießen. – Na, das mache ich später, denn ich werde auch ein Soldat, dann habe ich eine Kanone!«

»Und ich nehme vorher ein Gewehr und schieße dich tot!«

»Das sind ja schlimme Dinge«, wehrte Frau Heiwer ab. »Kinder, vertragt euch und spielt weiter!«

Aber Karl faßte Rudi am Arm und rief: »Peter, herkommen! Antreten, es geht im Marsch nach Hause! Bei unserm Feinde bleiben wir nicht länger!«

»Macht, daß ihr 'rauskommt, oder ich schieße«, rief Manfred.

Nochmals versuchten Frau Heiwer und ihre beiden Schwestern die Kinder zum Bleiben zu bewegen, aber Karl zog die Brüder mit sich fort. So wanderten die drei heimwärts. Peter und Rudolf blieben im Hof am Sandhaufen sitzen, Karl dagegen holte die Latte, sein Gewehr, und marschierte zum Garten.

»Ich muß fleißig üben, wenn ich ihn mal totschießen will«, dachte er. Dann gab er sich selbst die Befehle: »Gewehr ab! – Legt an! – Feuer! – Puff!« Dann marschierte er wieder und machte darauf einen Patrouillengang, denn ein guter Soldat mußte auf Schleichwegen an den Feind herangehen. So hatte es der Gefreite ihm erzählt.

Mit eingeknickten Knien, die Latte schußbereit im Arm, schlich Karl durch den Garten. Er bemühte sich, ganz leise zu gehen, und spähte von Zeit zu Zeit nach rechts und links, ob er den Feind noch nicht sähe. –

Plötzlich lauschte er. – Was war das? Es klang, als ob jemand bitterlich weinte.

Lautlos pirschte sich Karl an die Laube heran, in der Pucki saß und schluchzte. In jähem Schrecken blieb der Knabe stehen. Durch das Weinlaub hindurch konnte er die Mutter erkennen. Er sah, wie sie sich soeben die Augen abwischte und dann den Kopf müde in die Hand stützte und wieder aufschluchzte. Sein erster Gedanke war, hin zu der Weinenden zu eilen und seine Arme im ihren Hals zu legen. Aber das Weinen war so erschütternd, daß Karl nicht wagte, die Mutter zu stören. Irgend etwas hielt ihn zurück, er wußte selbst nicht, warum er den Mut nicht fand, in die Laube zu gehen.

»Mutti weint – –« flüsterte er leise vor sich hin. Angst und Leid klangen in seiner Stimme.

Noch einmal schluchzte Pucki bitterlich auf. Da stürmte Karl davon. Der Mutti war etwas geschehen, sie versteckte sich in der Laube. Oh, es mußte etwas Schlimmes sein!

In wildem Lauf eilte Karl zur Klinik. Die erste Schwester, die er traf, fragte er nach dem Vater.

»Er ist in Zimmer fünf, wird aber sofort herauskommen, mein Kind.«

Aufgeregt wartete Karl vor der Tür. Als der Vater kam, rief er ihm angsterfüllt entgegen: »Vati, die Mutti sitzt in der Laube und weint fürchterlich. Sie hat ganz rote Augen und weint immer mehr! Vati, komm schnell!«

»Mein lieber Junge, störe die Mutter nicht. Sie hat großen Kummer und möchte allein sein. Geh nicht zu ihr. Wenn sie sich ausgeweint hat, wird ihr leichter sein. Nicht wahr, du läßt sie in Ruhe?«

»Vati, sie weint aber so sehr! Vati, ich möchte auch weinen!«

»Laß die Mutti hübsch in Ruhe, mein lieber Junge. Ich weiß, was ihr fehlt.«

»Vati – was fehlt ihr denn?«

»Sie hat großen Kummer und viele Sorgen, sie ängstigt sich um den Großvater, der schwerkrank ist.«

»Vati, dann möchte ich zu ihr gehen und ihr sagen, daß sie nicht länger weinen soll.«

»Das ist lieb von dir, mein Junge, aber laß die Mutti jetzt in Ruhe«, sagte der Vater in strengem Ton. »Störe sie nicht und sorge auch dafür, daß Peter und Rudi nicht in die Laube gehen. Karl, ich verlasse mich auf dich!«

»Ja, Vati. – Ach, ich bin so traurig, daß die Mutti weint!«

Der Vater hatte es eilig und entfernte sich. Langsam schritt Karl den Korridor zurück. Ob er Tante Waltraut benachrichtigen sollte, daß die Mutti weinte? Er fragte eine Schwester, die gerade über den Flur ging, wo die Tante zu finden sei.

»Sie hat sich vorhin ein wenig niedergelegt. Jetzt ist sie im Operationssaal, Karl. Dort darfst du sie nicht besuchen.«

Schwer bekümmert ging Karl davon. Er schlich wieder in den Garten und bemühte sich, still und leise zu gehen. Aber es drängte ihn, in der Nähe der weinenden Mutter zu sein.

Puckis Weinen war leiser geworden. Von Zeit zu Zeit vernahm Karl freilich noch einen schmerzlichen Seufzer.

»Mutti – Pucki – Mütterchen – weine doch nicht! Du bist doch unser liebes Mütterchen! – Ach, Mütterchen, ach – ach – –« Schließlich begann Karl selber leise zu weinen. Um aber die geliebte Mutter ja nicht zu stören, entfernte er sich von der Laube, behielt sie jedoch im Auge. Das Leid der Mutter trieb auch ihm die Tränen in die Augen, und er stammelte: »Du liebes Mütterlein, weine doch nicht so sehr!«

Plötzlich hörte er das Lärmen der Brüder. Da sprang er auf, eilte ihnen entgegen und versperrte ihnen mit ausgebreiteten Armen den Weg.

»Ihr seid ganz ruhig, die Mutti darf euch nicht hören!« Flüsternd setzte er hinzu: »Die Mutti weint.«

»Die Mutti weint – –« wiederholte Peter leise.

»Sie hat soviel Kummer und Not. – Wir dürfen sie nicht stören. Sie muß allein weinen, hat der Vati gesagt, bis sie ausgeweint hat. Keiner darf hin!«

»Rudi will zur Mutti!«

»Nein, du bleibst hier!«

»Die Mutti soll nicht weinen«, sagte Peter kläglich. »Ich will der Mutti sagen – –«

»Wir dürfen nicht zu ihr!«

»Rudi will aber zur Mutti!«

Da versetzte Karl dem kleinen Bruder ein paar Schläge auf das Hinterteil, worauf Rudi zu weinen begann.

»Jetzt weint er auch«, sagte Peter.

Rudi lief davon, dem Hause zu, um bei Emilie Trost zu finden.

»Geh ihm nach«, befahl Karl, »sonst fällt er noch in die Wassertonne oder auf der Treppe. Peter, geh, ich befehle es dir!«

Rudi war schnell in die Küche gegangen. Dort war Emilie emsig bei der Arbeit. Sie wischte sich mit dem Taschentuch gerade den Schweiß aus dem Gesicht, denn es war heiß in der Küche. In diesem Augenblick kam Peter herein, der Rudi nachgelaufen war. Wortlos starrte er Emilie an, denn er glaubte nicht anders, als daß auch sie weinte. Und während Rudi dem treuen Mädchen sein Leid klagte, ging Peter mit tiefernstem Gesicht wieder davon. Er fand den Bruder im Garten und flüsterte ihm zu:

»Sie weint auch.«

»Ja, Mutti weint.«

»Nein, die Emilie!«

Erschreckt wandte Karl sich zum Bruder. »Sie weint auch? Dann ist es sehr schlimm in unserem Hause.«

»Ich will zur Mutti, um zu hören, warum sie weint.«

»Aber ganz leise. Es ist schrecklich!«

Bild07

Tatsächlich schlichen die beiden Brüder geräuschlos zur Laube. Dort kauerten sie nieder, die Augen gespannt auf das dichte Weingerank gerichtet, hinter dem von Zeit zu Zeit ein schmerzlicher Seufzer ertönte. Sobald aber Peter eine Bewegung machen wollte, legte Karl den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß er ganz still sein müßte. – So hockten die Knaben ein ganzes Weilchen. Das Schluchzen verstummte endlich, die Mutter hatte sich ein wenig beruhigt, trocknete die Augen und erhob sich langsam.

Die Knaben sahen sie aus der Laube treten, aber auch Pucki erblickte plötzlich die beiden Knaben, die im Gras kauerten. Sie sah das verweinte Gesicht von Karl und die Angst in den Zügen ihres Peterli.

»Nun, ihr kleinen Kerlchen, was macht ihr denn hier?«

Die freundliche Stimme der Mutter brachte Karl vollends aus der Fassung. Aufschluchzend warf er sich seiner Mutter in die Arme.

»Mütterchen Pucki – –« Mehr konnte er in seinem Schmerz nicht sagen. Als aber Pucki die Liebe und die mitfühlende Teilnahme ihres Kindes erkannte, wurden ihre Augen erneut naß, und das war zuviel für Peter.

»Mutti – Mutti«, begann er bitterlich zu weinen, »dem Peter ist so angst!«

»Du brauchst keine Angst zu haben, mein lieber, kleiner Peter, deine Mutti ist ja bei dir«, röstete Pucki ihren Jungen. In jedem Arm hielt sie einen der schluchzenden Knaben, als sie mit ihnen durch den Garten schritt. Sie fühlte die überströmende Kindesliebe und war in all ihrem Schmerz doch glücklich in dieser Stunde. Trotz ihrer Tränen konnte sie nun wieder lächeln.

»Ihr lieben, lieben Kinder!« sagte sie. »Ihr habt eure Mutter gar so lieb getröstet, daß ihr nun wieder ein wenig leichter ums Herz ist. Nun braucht die Mutti nicht mehr zu weinen, und ihr sollt es auch nicht. Eure Mutti weiß, daß sie liebe Kinder hat, und das macht sie froh.«

Karl strich ihr zärtlich über die feuchten Wangen. »Mutti, ich bin traurig, wenn du weinst.«

»Es ist ja wieder gut, mein geliebter Junge. Wir wollen den lieben Gott bitten, daß er den Großvater wieder gesund macht.«

»Mutti, macht ihn denn der Vati nicht gesund?« fragte Peter.

»Das Leben eines jeden Menschen steht in Gottes Hand, Peterli. Der liebe Gott allein hat darüber zu entscheiden. Die Mutti hat eben den lieben Gott herzlich gebeten, daß er dem Großpapa hilft.«

»Mutti, dann bitten wir auch den lieben Gott, dann wird er doch helfen. – Mutti, ich habe gehört, wie du geweint hast, da mußte ich auch weinen.«

»Und ich mußte auch weinen, Mutti, und die Emilie weint auch in der Küche.«

»Das ist sehr traurig. – Wo ist denn Rudi geblieben?«

»Der weint auch, Mutti«, rief Peter, »er hat von Karl Keile gekriegt.«

»Dann ist es Zeit«, sagte die Mutter, schmerzlich lächelnd, »daß ich mich nach euch umsehe. Doch nun weint nicht mehr; jetzt wischen wir uns die Tränen aus den Augen und sind wieder fröhlich.«

»Ich bin schon wieder fröhlich«, rief der kleine Peter.

Karl schritt still neben der Mutter einher. Seine Augen hingen unverwandt an ihren Gesicht. »Ich bin noch nicht fröhlich, Mutti. – Und du bist auch noch nicht fröhlich. – Jetzt will ich den lieben Gott bitten, daß er den Großpapa gesund macht und dich wieder fröhlich.«


 << zurück weiter >>