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Das Rückenkissen

Pucki hatte von der Mutter den Auftrag bekommen, dem Vater die Kaffeetasse auf den Tisch zu stellen und dafür zu sorgen, daß er einen warmen Nachmittagstrunk hätte, wenn er aus dem Walde käme. Pucki war über solche Aufträge stets hocherfreut und machte Minna, dem treuen Hausmädchen, damit das Leben schwer. Mehrfach mußte Minna dem Kind verweisen, den Finger nicht in den Kaffeetopf zu stecken, um zu fühlen, ob der Kaffee für Vati auch warm genug sei. Pucki trug selbst den Zucker, die Milch und das Brot auf den Tisch und lief, wenn alles fertig war, immer wieder ungeduldig zur Gartenpforte, um nachzusehen, ob der Vati nicht bald käme.

So war Pucki auch heute wieder voller Ungeduld. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß der Kaffee in der Küche dampfte, nahm sie an der Gartenpforte Aufstellung und wartete. Harras kündigte durch lautes Bellen das Kommen des Försters an und eilte dem kleinen Mädchen schweifwedelnd entgegen.

»Weidmannsheil, Vati, heute mache ich dir den Kaffee, er ist ganz heiß. Ich habe mir beinahe den Finger verbrannt.«

»Weidmannsdank, Pucki, der Vati freut sich auf den Kaffee und auf die Ruhestunde, der Vati ist heute ganz besonders müde.«

»Das ist schön, Vati, dann legst du dich nachher auf das Sofa, und ich decke dich zu.«

Wenige Minuten später kam der Förster an den Kaffeetisch. Pucki rückte ihm den großen Stuhl zurecht und schrie aufgeregt nach Minna, die die Kanne mit dem Kaffee hereinbringen sollte.

»Ist er auch schön heiß?« fragte Pucki.

Minna lachte nur und ging wieder hinaus. Sie mußte sich um die kleine Agnes kümmern, da die Försterin heute mit Waltraut nach Rahnsburg gegangen war.

Förster Sandler setzte sich in den bequemen Stuhl.

»Pucki, lauf und hole mir noch ein Kissen, der Vati hat heute einen krummen Rücken.«

Pucki brachte ein Kissen herbei und stopfte es dem Vati so energisch in den Rücken, daß er einen leisen Schmerzensschrei hören ließ. Dann zog er das Kissen ein wenig höher.

»Hast du noch ein Kissen, Pucki? Der Vater möchte heute recht mollig sitzen.«

Das kleine Mädchen drehte sich auf dem Absatz einige Male um sich selbst und ließ die Augen im Zimmer herumgehen. »Auf einem sitzt du schon, Vati, eins hast du im Buckel, und das andere habe ich rasch dem Harras hingetragen, weil er vielleicht auch sehr müde ist.«

»Dann hole mir aus dem Nebenzimmer das hübsche gelbe Kissen.«

»Darf ich nicht, Vati – das Kissen mit der schönen Bommel darf ich nicht nehmen. Weißt du, Mutti hat mal gescholten.«

»Nun, dann lassen wir es sein, Kind, es geht auch ohne das Kissen.«

»Wenn du doch aber so müde und krumm im Rücken bist, Vati? – Soll ich dir meinen Mantel holen? Ich roll' ihn ganz fest zusammen; das macht der Paul Niepel immer so, wenn er sich im Wald niedersetzt.«

»Laß nur, Pucki. – Nun erzähle mir mal, was du heute gemacht hast.«

Hedi Sandler berichtete von ihren Erlebnissen in der Schule, unterbrach sich aber ganz plötzlich und sagte: »Vati, ist ein Stuhlkissen nicht viel was Schöneres als ein Lesezeichen?«

»Wieso?«

Pucki machte ein pfiffiges Gesicht. »Mir ist eben ganz was Schönes eingefallen, aber ich sage es dir nicht! – Vati, ich muß rasch mal zur Minna hinauslaufen und sie was fragen.«

Schon eilte sie aus dem Zimmer und betrat das Kinderzimmer, in dem Minna den Säugling auf dem Arm wiegte.

»Ich weiß was, Minna! Wenn der Vater am 24. Mai Geburtstag hat, schenke ich ihm ein Kissen, damit er weich im Rücken sitzt. Und das Lesezeichen kannst du fertig sticken und ihm schenken. Aber du darfst nichts sagen, das ist mein schönes Geheimnis.«

»Mach nur das Lesezeichen fertig, darüber freut sich der Vater ganz bestimmt.«

»Ich möchte aber lieber ein Kissen machen.«

»Dazu brauchst du Stoff, dann muß es genäht werden. – Nein, Pucki, Mutti hat bestimmt, daß du ein Lesezeichen arbeitest, und dabei bleibt es.«

»Ich brauch' keinen Stoff!«

»So, woraus willst du denn das Kissen machen?«

Hedi ging in ihre Spielecke, riß aus dem Puppenwagen ein Stück Stoff heraus und hielt es mit glänzenden Augen der Minna hin. »Ätsch – das hat mir zu Weihnachten die Großmutti geschickt. Mutti hat gesagt, es sei zu schade für die Puppe, sie könnte daraus ein Kissen machen! – Ätsch, jetzt mache ich das Stuhlkissen für den Vati!«

»Da wird deine Puppe aber recht traurig sein, wenn sie die schöne Wagendecke hergeben muß.«

»Sie darf nicht traurig sein! Ach, Minna, ich freue mich, daß ich dem Vati ein Rückenkissen machen kann. Wenn er dann mal wieder einen krummen Buckel hat, lege ich ihm mein Kissen auf den Stuhl, dann freut er sich.«

Minna achtete nicht mehr auf das Geplauder von Hedi, die noch einmal den schönen Brokatstoff betrachtete. Das gab ein herrliches Kissen ab. Man brauchte den Stoff nur ringsherum zusammenzunähen und irgend etwas hineinzustopfen, damit das Kissen dick wurde. Was würden Vati und Mutti für Augen machen, wenn sie am Geburtstag mit dem Kissen erschien! In aller Heimlichkeit mußte es geschehen.

Als Pucki wieder neben dem Vater im Eßzimmer saß, hatte ihr Gesicht einen listigen Ausdruck.

»Na, na«, meinte der Vater, »was denkst du dir denn wieder aus, Pucki?«

Das Kind drückte beide Hände fest auf den Mund und schüttelte den Blondkopf.

»Ist es wieder ein Geheimnis, Pucki?«

»Wenn einer bald Geburtstag hat, Vati, darf man nichts sagen.«

»Nun gut, so will ich nicht weiter fragen.«

»Aber freuen wirst du dich! Es glitzert und hat bunte Blumen. – Mehr sage ich dir aber nicht!«

Seit dieser Stunde dachte Pucki beständig an das Geburtstagsgeschenk für den Vati. Sie wußte zwar nicht recht, wie sie das Rückenkissen fertigstellen sollte. Am anderen Morgen packte sie den Stoff in die Schulmappe, denn vielleicht konnte ihr Thusnelda, ihre Mitschülerin, einen guten Rat geben. Thusnelda wurde von Pucki in allen Dingen um Rat gefragt. Obwohl Thusnelda immer recht ärmlich gekleidet war und keinen Vater hatte, der für sie sorgen konnte, hatte Pucki gerade diese Klassenkameradin in ihr Herz geschlossen. Am ersten Schultage wanderte Puckis Schultüte in Thusneldas Hände, und sie trug auch Puckis Schuhe. Manches Kleidchen, das Pucki zu eng geworden war, hatte Thusnelda beglückt in Empfang genommen.

Vor Beginn des Unterrichtes bereitete Pucki den Brokatstoff, der natürlich von allen bestaunt wurde, auf der Bank aus.

»Ich mache meinem Vati zum Geburtstag ein Rückenkissen, damit er weich sitzt. – Habt ihr zu Hause auch solche Kissen, Thusnelda?«

»Nein.«

»Ich nähe das Kissen zusammen, dann stopfe ich Federn hinein, damit es hübsch weich wird.«

»Hast du denn Federn?«

»Nein – –«

»Meine Mutter stopft in die Betten Stroh«, sagte Thusnelda. »Wir haben auch keine Federn.«

Da Pucki bereits Sorgen hatte, woher sie Federn für das Stuhlkissen nehmen sollte, schien ihr Stroh ein rettender Ausweg zu sein. Warum sollte sie nicht auch Stroh in das Kissen stopfen können? Davon lag genug im Ziegenstall. Wenn sie etwas fortnahm, merkten die Eltern nichts, und die Überraschung gelang.

Pucki erkundigte sich eingehend bei Thusnelda, ob man auf einem Strohkissen auch gut liegen könne. Als Thusnelda das bestätigte, beschloß sie, gleich heute das Kissen zusammenzunähen und Stroh aus dem Ziegenstall hineinzustopfen.

Die Arbeit wurde zu Hause auch wirklich in Angriff genommen. Mit einer langen Stopfnadel nähte Pucki das Kissen zusammen. Endlich war diese schwere Arbeit getan. Dann schlich sie in den Ziegenstall.

»Paßt mal gut auf, Schwänzli und Leckerli, ich brauche euer Stroh. Ihr müßt dem Vati was abgeben, wie sich das für gute Freunde gehört.«

Schon zog Pucki das Stroh unter den Füßen der Ziegen weg.

»Puh –« sagte sie, »das geht nicht! Ich muß sauberes Stroh haben!« Sie suchte die sauberen Strohhalme heraus. Als sie ein gut Teil davon in den Händen hielt, wollte sie mit dem Stopfen beginnen. Dabei zeigte es sich, daß sie das Kissen an allen vier Seiten zugenäht hatte.

Für den heutigen Tag mußte die Arbeit unterbleiben, weil noch Schulaufgaben zu machen waren und die Mutter darauf drang, daß Pucki am Lesezeichen stickte. Sie tat es schweigend. Das Kissen mußte eine Überraschung werden, sie durfte also keine Silbe davon verraten.

Am nächsten Tag begann die Arbeit von neuem. Die eine Seite des Kissens wurde wieder aufgetrennt und das Stroh hineingestopft. Pucki preßte es mit aller Kraft in die Umhüllung und stellte enttäuscht fest, daß an allen Seiten die Halme durch die Nähte hindurchstachen.

»Die schneide ich einfach ab«, sagte sie zu sich.

Sehr große Schwierigkeiten machte das Zusammennähen der vierten Seite. Das Kissen sah aus wie eine Pauke. Nach zwei weiteren Tagen war die Arbeit jedoch vollendet. Freudestrahlend trug Pucki das Kissen ins Kinderzimmer, legte es auf einen Stuhl und setzte sich darauf, um es auszuprobieren. Ein leises Knacken und Krachen – da waren zwei Seiten aufgeplatzt. Das Stroh quoll heraus.

Wieder vergingen zwei Tage mit Überlegungen. Das mit Stroh gestopfte Kissen gefiel dem Kinde nicht. Es mußte etwas anderes zum Füllen gefunden werden. Und nun waren es die Niepelschen Drillinge, die ihr einen guten Rat gaben.

Pucki und Waltraut waren am Sonntag, wie schon oft, auf das Niepelsche Gut geholt worden, um mit den Knaben und dem kleinen Schwesterchen Dora zu spielen. Gutsbesitzer Niepel hatte seine drei Knaben aus der Rahnsburger Grundschule herausgenommen und ihnen einen Hauslehrer gegeben. Mit Herrn Hupfer schien er einen guten Griff getan zu haben. Er hielt die drei wilden Knaben ziemlich streng und sorgte für Ordnung. Freilich, mit Paul hatte er manchmal einen schweren Stand, denn Paul ersann manchen tollen Streich und verführte seine beiden Brüder Walter und Fritz zu den unglaublichsten Dummheiten. Aber gerade das übte auf Pucki große Anziehungskraft aus. Es war gar zu schön, mit den drei Knaben herumzutollen. Jedesmal, wenn sie und Waltraut bei Niepels waren, verschwand Pucki mit den Drillingen und ließ das Schwesterchen bei der vierjährigen Dora.

So auch heute. – Kaum hatte man den Kaffee getrunken, als Paul der Pucki verstohlen ein Zeichen machte. Die vier verschwanden aus dem Zimmer.

»Kommt«, flüsterte er draußen den anderen zu, »ich habe gesehen, daß die Tür zum Heuboden offen steht. Dort können wir uns verstecken. – Kommt schnell!«

Alle vier stiegen die steile Stiege zum Heuboden hinauf. Pucki warf sich begeistert in das duftende Heu.

»Du darfst dir davon was mitnehmen«, sagte Walter, »denn mit Heu stopft man die schönsten Kissen.«

Pucki griff in das weiche Heu. »Es riecht so schön! Au, ich nehme mir ein paar Arme voll mit, dann wird das Kissen besonders fein. Das sticht auch nicht so sehr wie das olle Stroh.«

»Und nun wollen wir erst mal Verstecken spielen«, meinte Paul.

Die Kinder vergruben sich tief ins Heu, wühlten Gänge von einem zum anderen und belustigten sich herrlich. Plötzlich ertönte ein lauter Schrei.

»Eine Maus!« brüllte Fritz, der kleinste der drei Knaben.

»Wo ist sie? Die schlagen wir tot!«

Pucki wühlte sich, so rasch es ging, aus dem Heu heraus und stellte sich vor Paul hin. »Du«, sagte sie mit warnend erhobenem Finger, »laß das kleine Mäuschen hübsch leben, es hat dir nichts getan.«

»Der Vater fängt auch Mäuse.«

»Mein Vater fängt sie auch, aber er fängt sie gleich so, daß sie nicht erst in Angst und Schrecken sind. Die Maus hier im Heu mußt du leben lassen. Wenn du der kleinen Maus ein Leid antust, hilft sie dir nicht, wenn du in den Zauberwald gehst.«

»Hahaha«, lachte Paul und tippte mit dem Finger auf die Stirn, »wo ist denn der Zauberwald?«

»Bei meinem Vati! In dem Zauberwald sind auch Mucki und Pucki, die beiden Kinder der Waldfrau, die mit Kienäpfeln nach den Leuten werfen, um sie zu necken.«

»Deswegen heißt du auch Pucki.«

»Nein, die Pucki im Walde ärgert die Leute immerfort, und ich ärgere sie nur ein bißchen.«

»Wenn der Wald von deinem Vater ein Zauberwald ist, mußt du dich doch fürchten, darin spazieren zu gehen«, sagte Fritz ein wenig ängstlich.

Pucki lachte. »Ich brauche mich nicht zu fürchten, denn alle Tiere im Walde haben mich lieb und alle Bäume auch. Sie sind alle meine Freunde. Ich tue aber den Tieren auch kein Leid an, und wenn wirklich mal der böse Zauberer käme und mich verhexte, würden alle Tiere kommen und mir helfen.«

»Dann werden die Tiere auch nicht helfen können«, meinte Paul.

»O doch – dem Fridolin haben sie auch geholfen. Und wenn mir die Tiere nicht helfen können, kommen die Heinzelmännchen. Die sind gut, die haben dem armen Schneider geholfen, sie haben mir auch schon mal geholfen. Dann kommen auch die kleinen Mäuschen, die du eben totschlagen wolltest, und helfen mir, denn dem Fridolin haben sie auch geholfen.«

Die drei Knaben kamen näher an Pucki heran, und Walter fragte: »Wer ist denn der Fridolin?«

»Das war ein kleiner Junge, der ging in den Wald, um Beeren zu suchen. Allen Tieren hat er geholfen und ihnen Krümchen von seinem Brot gegeben. Deshalb waren ihm alle Tiere sehr gut. Und wenn er sich zu den Ameisen setzte, nickten ihm die kleinen Ameisen freundlich zu.«

»Das ist ja dummes Zeug«, rief Paul. »Ich habe mich auch mal zu den Ameisen gesetzt, da sind sie mir in die Hosen und in die Jacke gekrochen und haben mich schrecklich gebissen. Noch drei Tage später sind sie an mir 'rumgekrochen. – Du, Pucki, der Fridolin hat sich ganz bestimmt nicht in einen Ameisenhaufen gesetzt.«

»Laß doch Pucki weitererzählen«, zürnte Fritz.

»Im Walde waren auch viele schwarze Käfer und niedliche graue Mäuschen, denen hat der Fridolin auch was geschenkt. Eines Tages aber kam der Zauberer und sagte: ›Hokus pokus, abra kadabra, jetzt wirst du verhext, denn hier ist der Zauberwald!‹ Dann hat er einen Zauberstab genommen und den Fridolin an einen Baum gebunden und mit tausend Stricken festgemacht, daß er sich gar nicht mehr bewegen konnte. ›Du Menschenjunge‹, hat er gesagt, ›jetzt wirst du langsam ein Baum. Du wirst immer mehr zusammenschrumpfen, nur wenn du dich losmachen kannst, bleibst du ein Mensch‹.«

»Ist der Fridolin zusammengeschrumpft?« fragte Fritz voller Spannung.

»Sssssssst – ist der Zauberer durch die Luft entwischt. Der Fridolin hat noch gehört, wie es ›Rrrrrrrrr‹ ging, dann war er allein und sehr traurig. – Aber auf einmal hörte er rings um sich her: ›Quik – quik – quik‹, und tausend kleine Mäuse kamen, immer mehr und noch mehr, die krabbelten an den Stricken hoch –«

»Hu, muß der sich gefürchtet haben! Wenn eine Maus an mir herumkrabbelt, schreie ich fürchterlich«, rief Fritz.

»Nein, Fritzchen, der Fridolin hat gar nicht geschrien. Er wußte, daß ihm die Mäuschen zu Hilfe kamen. Dann ging es: ›Knabber, knabber, krix, krax‹, und bald waren alle Stricke kaputt, und der Fridolin war frei. Da ist er froh und glücklich nach Hause gegangen.«

»Ist der Zauberer nicht mehr gekommen?«

»Nein. – Darum darf man keiner Maus was tun. Wenn ich mal von dem Zauberer an einen Baum gebunden werde, kommen auch tausend Mäuschen und knabbern.«

»Was du immer für verrückte Geschichten weißt, Pucki.«

»Das sind keine verrückten Geschichten, du dummer Paul, das ist so.«

Vom Hof herüber scholl lautes Rufen. Man suchte die Kinder, die sich zunächst noch still verhielten. Erst als Herr Niepel selber erschien und energisch nach den Kindern rief, steckte Pucki den Kopf aus der Tür des Heubodens heraus. Sie war über und über mit Heuhalmen behangen. Niepel brach in Lachen aus, als er das kleine Mädchen sah.

»Nun aber rasch herunter, sonst gibt es keinen Schokoladepudding.«

Das half! Schon eine Minute später waren alle vier zur Stelle. –

Als man abends die beiden Kinder nach dem Forsthaus Birkenhain fuhr, hütete Pucki einen kleinen Sack. Er enthielt die kostbare Füllung für das Rückenkissen.

Frau Sandler stand in der Tür, als der Wagen vor dem Forsthause anhielt. Pucki machte ein ängstliches Gesicht. Sie wollte unter keinen Umständen ihr Geheimnis preisgeben. So tuschelte sie schließlich mit dem Kutscher.

»Hast du den weißen Stein gesehen, an dem wir eben vorbeigefahren sind?«

»Natürlich habe ich den gesehen.«

»Nimm den kleinen Sack wieder mit und stelle ihn an den weißen Stein. Nachher hole ich ihn mir, denn die Mutti darf ihn nicht sehen. – Willst du das machen?«

»Ich werde den Sack lieber in den Garten legen.«

»Nein, nein, dort sieht man ihn. Bitte, lege ihn an den weißen Stein, er ist gleich dort hinten.«

Der gutmütige Kutscher erfüllte dem Kinde den Wunsch, hielt an dem bezeichneten Stein an und stellte das Säckchen mit dem Heu daneben. Dann fuhr er zurück nach dem Gut.

Puckis Absicht, den Sack noch am Abend ganz heimlich zu holen, mißlang. Es hatte sich inzwischen etwas ganz Neues und furchtbar Wichtiges im Forsthause ereignet. Der Vater fand auf seinem Rundgang ein Rehkitz, ein ganz junges Tierchen, das vergeblich nach der Mutter verlangte. Ob das Muttertier durch einen Wilderer abgeschossen oder verunglückt war, konnte nicht festgestellt werden. Es war unmöglich, das Kitz im Walde zu lassen. So hatte es Sandler heimgebracht, um es im Forsthaus mit der Flasche aufzuziehen.

Als nun Pucki und Waltraut vom Niepelschen Gute zurückkehrten, schauten sie entzückt auf das kleine, unbeholfene Tierchen. Während sich Waltraut darüber freute, daß das Rehlein von nun an im Hause bleiben würde, empfand Pucki innigstes Mitleid mit dem Tier.

»Nun rufst du immerfort nach der Mutti, und sie kommt nicht! – Ach, es ist schrecklich, wenn keine Mutti da ist, die dich streichelt und dir was zum Essen gibt.«

Pucki war nicht zu bewegen, von dem Rehkitz fortzugehen. Vergessen war der Sack mit dem Heu, der am weißen Meilenstein stand, vergessen das Abendbrot. Pucki saß bei dem kleinen Tier und strich ihm behutsam über das braune Fell.

»Was hast du für ein liebes, weiches Schnäuzchen und ein so schönes Fell.«

Förster Sandler kam, um nach dem Tier zu sehen.

»Vati, es sieht aus wie der Teppich in der Stube. So ein weiches Fell hat es, und genau so braune Augen wie die Blumen auf dem Teppich. Weißt du, ich meine den schönen Plüschteppich. Jetzt nennen wir das Rehkitz ›Plüschli‹, weil es sich wie der Plüschteppich anfaßt. – Nicht wahr, Plüschli, der Name gefällt dir gut?«

Voller Interesse schaute das Kind zu, wie der Vater dem Tier eine Flasche mit einem Sauger ins Maul steckte. Gierig sog das Tier die Milch ein.

Pucki klatschte hocherfreut in die Hände. »Oh, wie wird die Agnes schreien, daß du ihr die Flasche weggenommen hast! Morgen gebe ich dem Plüschli die Flasche. Darf ich das, Vati?«

»Es ist wohl besser, Pucki, wenn das der Vater zunächst selber besorgt.«

»Bitte, bitte, laß mich morgen dem Plüschli die Flasche geben.«

»Meinetwegen.« Sandler nahm sich aber vor, dabei zu sein, damit Pucki alles ordentlich besorgte.

Am anderen Morgen, in aller Frühe, war Pucki wieder bei dem Rehkitz. Dann stürmte sie zurück in die Küche.

»Minna, gib mir mal schnell die Flasche!«

Minna war eben dabei, die Milchflasche für die kleine Agnes zurechtzumachen, die durch lautes Schreien ankündete, daß sie erwacht war. Sie glaubte daher, Frau Sandler habe Pucki geschickt, um die Flasche mit der erwärmten Milch zu holen. So händigte sie dem Kinde die für Agnes bestimmte Milch aus.

Pucki lief sogleich zum Rehkitz. »So, Plüschli, jetzt bringt dir die Pucki die Milch. Nachher kann die Agnes was bekommen. Erst trink dich mal recht satt!«

Das kleine Tier machte einen langen Hals. Jauchzend schob ihm Pucki den Sauger ins Mäulchen.

»Ach, wie gut es ihm schmeckt! – Vati, Vati!«

Der Förster kam hinzu. »Pucki, was hast du denn da?«

»Plüschli wollte seine Milch haben!«

Herr Sandler nahm dem Rehkitz die Flasche fort, betrachtete sie einige Augenblicke und fragte streng: »Woher hast du diese Flasche, Pucki?«

»Die hat mir Minna gegeben. Du hast doch gesagt, ich kann Plüschli heute füttern. Es hat sich so gefreut.«

Schon kam auch Minna herbei, die durch Frau Sandler bereits von der Verwechslung erfahren hatte. Der Förster hatte Mühe, das Lachen zu unterdrücken, aber Pucki erhielt doch einen Verweis.

»Das ist doch die Milchflasche von deinem Schwesterchen«, zürnte Minna.

Pucki betrachtete die Flasche, die noch halb voll war. »Ach«, sagte sie, »die Agnes hat noch genug.«

Das Mißverständnis hatte keine üblen Folgen, nur mußte für Agnes nun ein neuer Sauger besorgt werden. Pucki begriff nicht recht, warum das nötig war. Sie hätte sich keinen Augenblick besonnen, mit Plüschli aus einer Flasche zu trinken.

Noch immer hockte sie neben dem kleinen Tier, als plötzlich die Mutter neben ihr stand.

»Pucki, vergißt du heute die Schule? Es ist höchste Zeit.«

Nun galt es, alles zusammenzupacken. Dabei fiel Pucki gar schwer auf die Seele, daß am weißen Meilenstein seit gestern abend der Sack mit dem Heu stand. Und der vierundzwanzigste Mai kam in bedrohliche Nähe. Gleich nach Schluß der Schule wollte Pucki den Sack mit dem Heu holen, um das Kissen zu stopfen.

In den ersten Schulstunden war Pucki sehr unaufmerksam, so daß ihr die Lehrerin, Fräulein Caspari, mehrfach mit dem Finger drohte. Und als ganz plötzlich ein starker Platzregen einsetzte, der kräftig gegen die Fensterscheiben trommelte, sprang Hedi Sandler mit beiden Füßen auf die Bank und schrie aus Leibeskräften:

»Der Sack wird naß!«

Fräulein Caspari, die gerade an der Tafel stand, fuhr erschrocken herum.

»Der Sack – – der Sack!« Pucki fuchtelte mit beiden Armen durch die Luft. »Jetzt ist er ganz naß. Ich habe vergessen, ihn zu holen, weil wir Plüschli im Hause hatten. – Ach, was mache ich nun? – Fräulein Caspari, trocknet der Sack schnell wieder?«

»Was ist denn mit dir los, Hedi?«

»Der Sack mit dem Heu – –«

»Erzähle einmal ganz ruhig, was mit dem Sack geschehen ist.«

Pucki war ans Fenster geeilt und blickte mit ängstlichen Augen zum grauen Himmel empor, der immer größere Regentropfen herunterschüttete.

»Kann ich nicht schnell mal nach Hause laufen?«

»Aber Hedi – du hast bis zum Forsthaus einen weiten Weg. Bei solch einem Regen geht kein Mensch auf die Straße hinaus.«

»Die Waldfrau ist schuld daran, die Waldfrau und Mucki und Pucki. Ich hab's schon lange gedacht, daß sie mich ärgern werden.«

Schließlich erfuhr die ganze Klasse von Puckis Sorgen.

»Stecke doch Sägespäne ins Kissen.«

»Oder Holzwolle«, sagte ein anderes Mädchen.

»Ich bringe dir morgen Hobelspäne mit«, erbot sich der Sohn eines Tischlermeisters.

»Dein Heu wird wieder trocken«, tröstete die Lehrerin. »Du brauchst gar nicht viel für ein Kissen. Breite es gut in der Sonne aus und gib schön acht, daß es nicht wieder naß wird.«

Aber Pucki war doch dafür, den Rat eines Schulfreundes zu befolgen. Der meinte nämlich, Hedi solle ruhig das nasse Heu ins Kissen stopfen und dann das Kissen auf dem Küchenherd trocknen.

»Wenn der Herd schön warm ist, trocknet das Heu schnell.«

Beim Schulschluß hatte der Regen nachgelassen. Pucki eilte am Forsthaus vorüber, hin zum Meilenstein und atmete erleichtert auf, als der Sack noch dort stand. Er war freilich völlig durchnäßt, und als Pucki ihn mit beiden Armen aufhob, tropfte das Wasser unten aus dem Sack heraus. Es war wohl besser, sie brachte nachmittags das Kissen her, stopfte es mit Heu voll, nähte es dann heimlich zu und legte es abends auf den warmen Küchenherd. Dann würde das Kissen über Nacht trocknen, und sie konnte endlich das fertiggestellte Geburtstagsgeschenk im Schrank verwahren.

Am späten Nachmittag schlich Pucki aus der Försterei hin zum Meilenstein. Dort wurde möglichst viel Heu in den Brokatbezug gestopft, der sich nun bald feucht anfühlte. Pucki nahm das Kissen mit heim, setzte sich damit in den Ziegenstall, weil sie hier ungestört war, und nähte mit der großen Stopfnadel und dem dicken, schwarzen Zwirn die vierte Seite wieder zu. – Nun endlich war die Arbeit getan! Das Kissen glich zwar mehr einer dicken Rolle, doch Pucki meinte, je voller es gestopft sei, um so mehr würde es dem Vati gefallen.

Voller Stolz betrachtete sie ihr Werk. Daß das Kissen naß war, störte sie gar nicht. Es würde ja auf dem Herd bis morgen trocknen.

Minna wunderte sich, warum Pucki sie fragte, ob abends nochmals Feuer im Herd gemacht würde.

»Natürlich, ich muß die Milch für das Schwesterchen doch warm machen.«

»Und für Plüschli auch?«

»Freilich.«

»Minna, gehst du nachher 'raus aus der Küche?«

»Jawohl, ich muß noch nach Rahnsburg gehen und einkaufen.«

»Au, das ist fein!«

»Willst du mitkommen, Pucki?«

Die Kleine lachte verschmitzt. »Nein, heute will ich nicht mitkommen, ich mache was anderes.«

Nun paßte Pucki genau auf. Kaum hatte Minna das Forsthaus verlassen, da eilte Pucki aus dem Kinderzimmer und legte das feuchte Kissen auf den warmen Herd. Damit aber weder Vater noch Mutter in die Küche kamen, schloß das Kind die Tür, die vom Hausflur hineinführte, einfach ab und versteckte den Schlüssel im Ziegenstall.

Der Küchenherd war zwar nicht mehr sehr heiß, trotzdem aber bräunte sich der golddurchwirkte, hellblaue Brokatstoff mehr und mehr. Das feuchte Heu begann zu riechen, und dadurch wurde Frau Sandler aufmerksam. Sie wollte in die Küche gehen – die war verschlossen. Ihr erster Gedanke galt Minna, die beim Fortgehen den Schlüssel gewiß mitgenommen hatte. Warum nur? Das tat sie doch sonst nicht.

Der brenzlige Geruch wurde immer stärker. Frau Sandler wollte vom Garten aus das Küchenfenster eindrücken, da sie vom Herd einen dünnen, weißen Rauch aufsteigen sah. – Was lag nur auf dem Herd für eine bunte Trommel? In diesem Augenblick kam Pucki aus dem Garten und eilte ahnungslos auf die Mutti zu.

»Schau, Pucki, in der Küche scheint etwas zu brennen, und Minna hat die Tür abgeschlossen.«

Entgeistert blickte das Kind durchs Fenster, stieß dann einen Schrei aus, stürmte davon, holte aus dem Ziegenstall den Küchenschlüssel, betrat die Küche und griff nach dem schwelenden Kissen. Aus der Unterseite hing das nasse Heu heraus, und der schöne Brokatstoff war verkohlt. Das alles ging so schnell, daß Pucki schon längst mit dem verbrannten Kissen verschwunden war, als Frau Sandler aus der Stube zurückkam, wo sie einen zweiten Küchenschlüssel suchen wollte.

Pucki hatte das Kissen unter den Arm genommen, und während ihr die dicken Tränen über die Wangen rannen, ging sie hinaus in den Garten, wo sie mit Harras umhergetollt war. Der Hund, der das Schluchzen seiner kleinen Freundin vernahm, kam sogleich herbeigelaufen und legte seine Pfoten auf die Schultern des Kindes.

»So lange habe ich genäht«, stieß Pucki unter heftigem Weinen hervor, »erst habe ich das olle Stroh 'reingeschoben, dann habe ich mich mit dem Heu gequält, und nun ist alles kaputt. – Nun kriegt der arme Vati für seinen krummen Rücken wieder kein Kissen, und ich hätte mich doch so gefreut, weil er sich freut. – Ach, Harras, was machen wir nun?«

Der Hund schien den Schmerz des Kindes zu verstehen. Er hob mehrmals eine Vorderpfote, legte sie auf Puckis Arm und ließ ein leises Jaulen hören.

»Nun weinst du auch«, sagte Pucki und fühlte sich durch das Jaulen des guten Harras ein wenig getröstet. Doch einen Rat, wie das Kissen wieder in Ordnung zu bringen war, wußte natürlich auch Harras nicht. – Wem sollte sie sich anvertrauen? Vielleicht der Thusnelda? Ja, die würde Rat wissen. Die gute Mutti sollte nichts davon wissen, der Vati erst recht nicht, und zu Minna hatte Pucki nicht das rechte Vertrauen. So blieben nur noch die Schulfreundinnen. Und nun zeigte es sich wieder, daß jede von ihnen dem kleinen Försterkinde freudig helfen wollte, denn alle hatten die kleine Hedi sehr lieb.

»Meine Puppe hat eine blaue Wagendecke, die bringe ich mit. Dann nähst du sie auf das Loch.«

»Das geht nicht, was drauf nähen«, beharrte Pucki.

»So nimm Stecknadeln«, sagte die kleine Marie Rensing.

Das leuchtete Pucki schon eher ein.

Am anderen Tage wurden allerhand größere Flecken von den Klassenkameradinnen mitgebracht. Pucki wählte ein Stück hellblauen Strickstoff aus, der ihr am besten zu passen schien.

»Stecknadeln kannst du nicht nehmen«, meinte Thusnelda, »sie pieken deinen Vater.«

Am anderen Tage erhielt Pucki zahlreiche Sicherheitsnadeln, mit denen sie in aller Heimlichkeit den blauen Flicken auf das Kissen steckte. So schön wie früher sah es freilich nicht mehr aus, doch war es prall und rund, und Vati würde sich darüber freuen. Daß das Heu noch immer ein wenig feucht war, störte Pucki nicht.

Einen Tag vor dem 24. Mai, dem Geburtstag des Vaters, war Hedi in der Apotheke von Rahnsburg und wurde von dem Apotheker mit ins Wohnzimmer genommen. Dort sah sie auch ein Kissen, das mit zwei Bändern am Stuhl befestigt war, damit es nicht herunter fiel. Zu Hause steckte Pucki zwei ihrer roten Haarschleifen mit Nadeln an je einer Ecke des Kissens fest. Nun war das Kissen wirklich schön und fertig!

An diesem Tage kam auch Lehrer Strenke, der Freund des Försters Sandler, zu Besuch. Er hatte sich zwei Tage freigemacht, um seinen alten Schulgefährten wiederzusehen. Pucki, die sonst nicht scheu war, ging dem großen, breitschultrigen Manne aus dem Wege. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Das Lesen ging wohl recht gut, aber im Rechnen haperte es. Sie fürchtete, daß Lehrer Strenke sie auf die Probe stellen würde.

Nun war endlich Vatis Geburtstag. Auf dem Tisch stand ein Kuchen mit Lichtern, und viele schöne Dinge lagen rings herum. Puckis Herz schlug vor Freude. Auf dem Gabentisch lag auch ihr Lesezeichen, das der Vati voller Freude betrachtete. Doch hatte sie ihm das Rückenkissen noch nicht gebracht. Jetzt aber, da es zum Frühstücken ging, wollte sie es bringen, damit der Vati es sogleich benutzen konnte.

Frau Sandler rief zum Kaffee. Da stürmte Hedi davon, kam mit hochroten Wangen wieder und trug in beiden Armen das riesige, vollgestopfte Kissen.

»Vati«, sagte sie strahlend, »jetzt wirste weich im Rücken sitzen. Das habe ich alles ganz allein gemacht! – Guck, hier mußt du es anbinden, und dann mußt du dich dransetzen. – Ist es nicht herrlich?«

»Wirklich ganz herrlich«, sagte der Förster. »Was soll das vorstellen, Pucki?«

»Nun, ein Rückenkissen für dich!«

»Wirklich fein!« Der Förster wollte es auf den Stuhl legen, doch wagte er nicht, sich darauf zu setzen. Das Kissen mußte ja zerplatzen.

»Aber Vati, das ist doch nicht zum Draufsitzen, es ist für den Rücken. – Sieh mal – so! Und nun setz dich mal hin.«

Herr Sandler setzte sich wieder, doch das Kissen, das Pucki an die Rückenlehne hielt und anzubinden versuchte, stand wegen seiner Fülle so weit vor, daß der Förster, als er sich auf dem Stuhl niederließ, den Oberkörper weit nach vornüber biegen mußte. Wie ein Häufchen Unglück saß er da.

Pucki verschränkte die Arme und betrachtete den Vati.

»Ist's fein?« fragte sie zaghaft.

»Ganz herrlich!« klang es zurück.

Obwohl Sandler sehr unbequem saß, ließ er das Kissen ruhig an seinem Platz. Er konnte es nicht übers Herz bringen, seiner Pucki die Enttäuschung zu bereiten, daß ihr Rückenkissen in dieser Form einfach unbrauchbar sei.


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