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»Lauf schnell einmal zum Kaufmann, Pommerle, und hole zwei Pfund Zucker und sechs Eier. Hier hast du Geld. Beeile dich, ich brauche alles sehr notwendig.«
Pommerle fuhr hastig in den Mantel, setzte die blaue Mütze auf und griff nach dem Roller, um möglichst schnell den Auftrag auszuführen. Auf dem Roller kam man doppelt so schnell vorwärts. Die Tante brauchte dann nicht lange auf die Sachen zu warten.
Der Kaufmann wohnte nicht weit. Pommerle erstand die Eier und den Zucker, klemmte die Tüte fest unter den Arm, nahm die Eier behutsam in die Hand, schwang sich auf den Roller, dann ging die Fahrt los.
Plötzlich bremste es heftig. Auf der Straße lag ein Hufeisen. Ein Hufeisen war immer die Sehnsucht des Kindes gewesen, seitdem der Vati geäußert hatte, er habe in letzter Zeit recht wenig Glück. Pommerle hatte in der Schule gehört, ein Hufeisen bringe Glück, und auch der Jule hatte gesagt, wenn man ein Hufeisen über sein Bett hänge, könne einem nichts mehr zustoßen.
Das Hufeisen! Pommerle war mit einem Satz vom Bürgersteig herunter, schwang sich erneut auf den Roller, bremste geschickt gerade vor dem Hufeisen – im nächsten Augenblick stieß es mit dem Kopfe gegen den Kopf eines Knaben, der im vollen Lauf auf das Hufeisen zugestürzt kam.
Einige Augenblicke flimmerte es vor den Augen des Kindes, es fuhr mit der Hand an die schmerzende Stirn, irgend etwas fiel zur Erde.
»Au!« sagte Pommerle.
»Dumme Trine!«
Und dann stand neben Pommerle noch ein dritter, ein viel größerer Knabe. Pommerle hörte ihn laut lachen. Noch immer rieb das Kind die Stirn. – Endlich war der Schmerz ein wenig überwunden.
»Wo hast du denn das Hufeisen?« sagte der Knabe. »Gib es her!«
»Das Hufeisen gehört mir«, meinte Pommerle. Das Kind sah sich um. Von dem Hufeisen war nichts zu sehen. Dagegen sickerte aus einer Tüte eine gelbe Flüssigkeit heraus.
»Der Steiner hat das Hufeisen genommen!« Der kleinere Knabe schrie es hinter dem davoneilenden größeren Knaben her.
Pommerle stimmte ein. »Gib das Hufeisen wieder her!« Trotz der schmerzenden Stirn schwang es sich wieder auf den Roller, um den Dieb einzuholen. Der aber schwenkte das gefundene Eisen hoch in der Luft und verschwand um die nächste Straßenecke.
Pommerle kehrte an die Stelle des Unfalls zurück. Jetzt erst sah es, daß nicht nur die Eiertüte, sondern auch der Zucker auf die Straße gefallen und beide Umhüllungen geplatzt waren.
Das Kind war entsetzt. Es stimmte schon, was der Jule sagte. Ohne ein Hufeisen hatte man kein Glück.
»Das Hufeisen«, klagte es, mitten auf dem Damm stehend. Es begann, in die geplatzte Tüte den Zucker hineinzufüllen. Erst im letzten Augenblick hörte es das laute Schimpfen eines Fuhrmannes, der gerade noch sein Pferd zum Stehen bringen konnte. Das Kind sprang entsetzt zur Seite. Der Wagen fuhr wieder weiter.
Aber es war zu spät. Das eine Rad des Wagens rollte durch den gelben Brei, Tüte und Eier waren völlig zermalmt.
Da stand das Pommerle im Rinnstein, an seinen Roller gelehnt, den Zuckerrest in dem Stück Papier, und war so unglücklich, daß es nicht heim wollte. Und wie es nun immer ist, ein Unglück kommt selten allein. Aus einem der Nebenhäuser goß ein Mädchen, das soeben das Schaufenster putzte, den Wassereimer in den Rinnstein, und Pommerles Stiefelchen waren sehr bald von der schmutzigen Flut umspült. Es sprang auf. Da fiel auch noch der letzte Rest des Zuckers in das Wasser und wurde fortgeschwemmt.
Sehr gedrückt kehrte es ins Haus zurück. Die Tante kam ihm schon entgegen.
»Gib schnell her, mein Kind!«
»Ach, was du denkst, das ist nicht. Das Hufeisen ist schuld daran, und der Kutscher ist über die Eier gefahren, und der Zucker liegt im Rinnstein.«
»Aber, Pommerle, was ist denn schon wieder los? Was hast du denn an der Stirn? Das gibt ja eine große Beule.«
»Da siehst du eben, der Vati und ich, wir haben beide kein Glück.«
Anna wurde nochmals zum Kaufmann geschickt. Inzwischen rieb Frau Bender dem Kinde die Stirn ein. Aber sie konnte es doch nicht verhindern, daß Pommerles Stirn eine große Beule zeigte.
Jule tröstete die Kleine am Abend.
»Wenn du ein Hufeisen haben willst, dann gehen wir am Sonntag zum Schmied. Der hat viele. Dann kannst du es deinem Onkel bringen.«
»Dem Vati.«
»Ach was, dem Onkel, dem Professor!«
»Das verstehst du nicht, Jule. Der Vati hat gesagt, er ist jetzt mein Vati, und darum ist er es auch. Aber zum Schmied komme ich mit.«
»Ich fahre 'raus, und du kannst hinterherkommen. Es ist ja nicht weit. Gleich hinten am Bober.«
»Kann ich nicht hinten aufsitzen?«
»Ja, das kannst du.«
Am Sonntag drängte das Kind, es müsse mit dem Jule eine geheimnisvolle Besorgung machen.
»Es ist wohl besser, mein Kind, du sagst uns zuerst, was du tun willst.«
»Der Mutti kann ich es sagen, aber der Vati darf es nicht wissen. Der Jule meinte, man müßte damit überrascht werden, sonst hilft es nicht.«
Frau Bender erfuhr von dem Geheimnis, und da der Schmied nur eine Viertelstunde entfernt wohnte, gab sie die Erlaubnis, daß die beiden Kinder ein Hufeisen holten.
Sehr stolz kam der Jule am Hause vorgefahren. Er benutzte sein Fahrrad bei jeder Gelegenheit. Erst kürzlich mußte ihm der Meister verbieten, daß er mit dem Rade von der Wohnung zur Werkstatt hinüberfuhr, die kaum zwanzig Schritte entfernt war. Mußte der Jule sein Rad einmal irgendwo stehenlassen, so kettete er es dreimal fest, damit ihm ja keiner seinen großen Schatz stehle. In jeder Tasche hatte er eine Sicherheitskette und ein mächtiges Schloß daran.
»Aber vorsichtig sein, Kinder«, mahnte Frau Bender. »Jule, wirf mir das Pommerle nicht um!«
»Wäre ja gelacht«, meinte der Jule. »Ich kann schon fahren, ohne daß ich die Hände auf die Lenkstange lege.« Mit diesen Worten schwang er sich aufs Rad, steckte die Hände in die Hosentaschen und fuhr Frau Bender eine Runde vor.
»Wenn aber das Pommerle mit drauf ist, machst du mir solche Sachen nicht, Jule.«
»Sie brauchen keine Sorge zu haben, Frau Professor. Ich weiß doch, wie man mit kleinen Mädchen umgehen muß.«
Die Schmiede war bald erreicht. Jule brachte sein Anliegen vor, und der Meister war lachend bereit, dem Kinde ein Hufeisen zu geben.
»Ein recht großes und recht dick. Je dicker, um so mehr Glück hat dann der Vati.«
»Kannst es dir selbst aussuchen. Drüben in der Ecke liegt ein ganzer Haufen.«
»Darf ich dann gleich zwei nehmen? Eins für den Vati und eins für die Sabine.«
»Jawohl, das darfst du.«
Pommerle suchte die beiden größten aus, bedankte sich artig bei dem Meister und sagte: »Du wirst ja genug Glück haben, Meister, du hast so viele Hufeisen, da kommt das Unglück nicht über deine Schwelle.«
»Ich habe auch Glück, mein Kind, ich bin gesund, habe Arbeit, mein gutes Brot und liebe Kinder.«
»Hast recht, Meister, du bist gesund und wohlgemut, und das ist wohl das größte Gut.«
»Ei, ei, kleines Pommerle, so ist es richtig. Da weißt du ja etwas recht Schönes.«
»Ich weiß auch noch mehr. Zur Arbeit, nicht zum Müßiggang, hat mich der Herr geschaffen.«
»Auch das stimmt, kleines Mädchen. Denke nur immer daran, dein ganzes Leben lang.«
»Steige nun endlich auf«, sagte der Jule. »Wollen wir noch etwas weiter fahren? Am Bober entlang?«
»Es könnte nichts schaden.«
»Ist dir auch nicht kalt?«
»O nein, es zwickt wohl etwas im Gesicht und an den Händen, aber das ist nicht schlimm.«
Sie fuhren los. Pommerle fand es herrlich. Sie hatte volles Vertrauen zu Jule und ängstigte sich auch nicht, als ihr Jule zeigte, daß er ohne Hände fahren könne. Das Rad schwankte zwar mitunter recht bedenklich, aber es gelang Jule doch immer wieder, das Gleichgewicht zu halten.
Endlich ging es in raschem Tempo heim. Plötzlich mäßigte Jule die Geschwindigkeit. Ein Hund jaulte gar jämmerlich. Dazwischen vernahm man zornige Stimmen.
Wieder schrie der Hund auf. Anscheinend bekam er Schläge. Und nun kamen zwei Burschen aus dem Walde heraus, die hatten einen Hund an der Leine und trieben ihn mit Schlägen dem Boberufer zu.
Mit einem Satz war der Jule vom Rade herunter. Wenn man einem Tier ein Leid antat, drehte sich in Jule alles um. Schon stieg ihm dunkle Röte in die Stirn. In dem einen Knaben erkannte er seinen früheren Mitschüler, den um zwei Jahre älteren Robert Scholz.
»Scholz Robert, was fällt dir ein, den Hund zu schlagen!«
Daß Pommerle bei seinem Abspringen fast vom Rade gefallen wäre, kümmerte Jule im Augenblick nicht. Er vergaß sogar für Sekunden sein kostbares Geschenk.
»Was zerrst du denn den armen Hund?«
»Wir wollen ihn ersäufen.«
»Ihr seid wohl verrückt!«
»Wir mögen ihn nicht mehr. Er ist häßlich und schmutzig.«
»Das ist er freilich«, stellte der Jule fest, indem er auf den unsauberen und ungepflegten Hund schaute. »Kann der Hund dafür? Denkst du vielleicht, du bist hübscher? Bist auch dreckig. Jetzt laß den Hund los!«
Statt einer Antwort versetzte Robert Scholz dem Hund einen weiteren Schlag mit dem Stecken.
In der nächsten Sekunde war der Jule auf den einstigen Schulkameraden losgesprungen, hatte ihm den Stock aus der Hand gerissen und verabfolgte ihm einen kräftigen Schlag.
»Daß du weißt, wie das tut!« Dann knickte er den Stock über dem Knie in kleine Stücke.
»Dich geht das gar nichts an«, sagte der andere. »Der Hund gehört uns, wir können mit ihm machen, was wir wollen.«
Angstvoll war Pommerle näher gekommen. »Warum soll denn der süße Hund totgemacht werden? So ein lieber Hund.«
»Weil er häßlich ist, wir wollen ihn nicht mehr.«
»Oh, du bist doch aber auch häßlich«, meinte das Kind. »Wenn dich deine Mutter auch ins Wasser werfen wollte! Laß doch den lieben Hund in Ruhe.«
»Wenn du den Hund noch einmal schlägst«, rief der Jule wild, »sollst du aber was erleben! Dann haue ich dich so zusammen, daß dir Hören und Sehen vergehen soll. – Jetzt laß den Hund los!«
Der Größere suchte einen Stein, um ihn dem Hunde um den Hals zu binden.
Pommerle schrie angstvoll auf. »Der liebe Hund darf nicht sterben, es ist ein lieber Hund.« Das Kind kniete neben dem verängstigten Tier nieder, das Pommerle zunächst anfletschte, sich dann aber ruhig streicheln ließ.
»Du lieber, schmutziger Hund«, meinte Pommerle, »häßlich bist du ja, aber gut bist du doch. Die alte Krausen ist auch häßlich, aber sie ist gut, und niemand wird ihr was tun.«
Wieder hatten sich Jule und Robert angepackt, sie rauften zusammen und wälzten sich schließlich am Boden. Jule merkte, daß er unterliegen würde.
»Rübezahl«, schrie er laut, »du willst nicht, daß man Tiere quält! Rübezahl, komm!«
»Laß den Jule los!« rief Pommerle, und kurz entschlossen schlug es mit beiden Fäusten auf den anderen ein. Nun kam aber der Größere seinem Gefährten zu Hilfe, versetzte dem Kinde einige kräftige Schläge und riß es von den sich Balgenden zurück.
»Rübezahl!« schrie der Jule laut.
»Was ist denn hier los?«
Es war ein Spaziergänger, der von dem Lärm aufmerksam geworden war. Jule zeigte arge Kratzwunden im Gesicht, Pommerle hatte den Strumpf heruntergezogen und rieb das blutende Knie.
»Sie schlagen den lieben Hund und wollen ihn ins Wasser werfen, nur weil der Hund häßlich ist.«
Da geschah etwas ganz Merkwürdiges. Der Hund kam zu dem weinenden Kind, legte seinen Kopf in Pommerles Schoß und sah es mit seinen treuen Augen vertrauensvoll an.
»Nun bittet er, ihr sollt ihm wieder gut sein und ihm das Leben lassen. Ja, du lieber Hund, du brauchst nicht zu sterben. – Willst du mit mir kommen?«
Der Spaziergänger wollte Aufklärung haben. Da schrie der Jule los. Aber auch der andere verteidigte sich. Und so war es für den Herrn schwer, etwas zu verstehen.
»Schenkt mir den Hund«, sagte Pommerle weinerlich, »ich schenke euch auch eins meiner Hufeisen oder was anderes. Aber ich möchte nicht, daß der Hund ins Wasser kommt. – Nicht wahr, du süßes Hundchen, du gehst mit mir? Daheim hast du auch eine Spielgefährtin, eine Katze. Du kannst doch Katzen gut leiden, kleines Tierchen?«
Der Herr schlichtete schließlich den Streit. Mürrisch erklärten sich die beiden Burschen bereit, den Hund zu verschenken.
»Es ist ja gar kein Hund, es ist eine Hündin. Wir mögen sie nicht mehr. Sie hat Ungeziefer und bekommt Junge.«
»Dir streiche ich es noch mal an!« rief der Jule erbittert. »Komm du nur in meine Nähe, ich schlage dich mit meinem ersten gehobelten Brett vor den Kopf. – Einen Hund so zu quälen. Komm du mir nur in den Weg, du Lümmel – du Mörder!«
Der Jule redete sich immer mehr in Wut, und plötzlich stürzte er sich erneut auf den Robert. Ehe sich der zur Wehr setzen konnte, hatte er von Jule einige kräftige Ohrfeigen erhalten.
»Dich müßte ich in den Bober schmeißen, dir müßte ich einen Stein um den Hals hängen.«
»Schäme dich«, sagte der Herr. »Und nun geht ihr auseinander, sonst liegt ihr beide im Wasser.«
Auch der Robert schimpfte weidlich, doch der andere gab ihm nichts nach. Pommerle saß noch immer auf dem kalten Boden, hatte den einen Arm um den Hund geschlungen und liebkoste das Tier.
»Wenn du kleine Hundchen bekommst, lege ich dich in ein schönes Körbchen und passe gut auf, daß dir keiner was tut.«
»Kleines Mädchen, so stehe doch auf, du wirst dich erkälten. Der Hund geht schon von selbst mit dir.«
Jetzt erst merkte Pommerle, daß es sehr fror.
»Und jetzt marsch, macht, daß ihr heimkommt. Erst geht ihr fort, mit den beiden bleibe ich noch ein Weilchen zurück, sonst gibt es erneut eine Keilerei.«
Immer vor sich hin brummend, ging der Jule zu seinem Fahrrad.
»Und das Hundchen?« fragte Pommerle.
Den Hund konnte man freilich nicht mit aufladen.
»Dann gehen wir eben alle drei zu Fuß«, meinte der Jule. »Oder ich fahre ganz langsam neben euch her.«
Er stieg auch wirklich auf, wandte sich dann aber nochmals um.
»Na warte nur, wenn ich dich treffe. Den Rübezahl will ich an jedem Tage darum bitten, daß du auch mal in den Bober geworfen wirst. Er wird mir den Wunsch schon erfüllen. – Du niederträchtiger Lümmel! – Pfui, so ein Kerl, pfui – pfui – pfui!«
Einige Augenblicke überlegte Jule, ob er nicht doch noch einmal umkehren und den Robert kräftig anfahren sollte. Das wäre ein Triumph gewesen. Aber er begnügte sich schließlich damit, noch aus der Ferne seine lauten Pfuirufe ertönen zu lassen.
Der Hund wandte sich nicht mehr nach seinen Peinigern um. Er trottete ruhig neben Pommerle her, das sich so glücklich fühlte, das häßliche, unsaubere Tier vor dem Tode gerettet zu haben. Vati und Mutti würden gewiß nichts dagegen haben, daß es sich ein liebes Hundchen mit heimbrachte. Man würde dar Tier baden und immer gut abbürsten, dann würde sehr bald aus dem alten struppigen Köter ein schönes, sauberes Hündchen werden, das jedermann lieb hatte.
»Wirst du dich auch mit Grauchen vertragen?«
»Du Scheusal, na, warte nur, wenn ich dich kriege! Das vergesse ich dir als mein Lebtag nicht.«
»Was willst du denn, Jule?« fragte Pommerle erschreckt.
»Dich verhaue ich noch gründlich!«
»Jule, warum bist du denn so böse?«
»Kann das Vieh denn was dafür, daß es so garstig ist? Dabei sieht er selbst aus wie ein Teufel ohne Hörner. Pfui!«
»Schimpfst du auf den Robert?«
Der Jule redete sich schließlich so in Wut, daß er immer heftiger auf die Pedale trat und bald dem Pommerle entschwunden war. Aber das Kind hatte ja auch nur Gedanken für das liebe Hundchen. Am liebsten hätte es beim Fleischermeister angepocht und um ein Stückchen Wurst gebeten. Aber der Laden war heute, am Sonntag, geschlossen.
Der Jule hatte unterwegs noch ein böses Erlebnis. Er war noch immer voller Groll und schimpfte lustig weiter. Ein alter Herr, der gerade über die Straße gehen wollte, blieb stehen, denn Jule fuhr in gar zu schnellem Tempo an ihm vorbei.
»Mal etwas mehr Vorsicht!«
»Du ekelhafter Lümmel! Dir werde ich es anstreichen! Komm mir nur in die Nähe!«
Der Jule ahnte gar nicht, daß seine Worte von dem alten Herrn gehört worden waren. Er hatte ihn gar nicht angesehen, ihn gar nicht erkannt. Daß es sein eigener, früherer Rektor gewesen war, wußte er nicht. Zu sehr war er mit dem Scholz Robert beschäftigt; er mußte seinem ergrimmten Herzen Luft machen.
Aber der Rektor hatte den Jule erkannt, er wußte, daß Professor Bender ja Jules Vormund war. Schließlich brauchte sich ein alter Herr nicht gefallen zu lassen, daß ihn ein junger Bursche einen ekelhaften Lümmel nannte. Der Rektor beschloß, Klage bei Professor Bender zu führen, und machte sich sofort auf den Weg.
Inzwischen war Pommerle daheim angekommen und zeigte freudestrahlend den Hund.
Frau Bender verzog ein wenig das Gesicht. Der Hund hatte wohl niemals etwas Pflege gehabt. Er war voller Schmutz.
»So ein süßes Tierchen«, meinte das Kind und streichelte zärtlich über das unsaubere Fell.
»Pommerle, was soll mit dem Tier geschehen?«
»Wir wollen es behalten und alle recht liebhaben. Es wird sehr fein sein, wenn das Hundchen mit Grauchen spielt.« Dann lockte Pommerle die Katze herbei.
Sie kam, machte einen krummen Buckel, und auch dem Hunde sträubten sich die Haare.
»Ihr müßt euch gut vertragen«, sagte Pommerle, »denn ihr gehört jetzt zusammen. Ihr seid nun beide meine Kinder.«
Als aber der Hund heftig zu kläffen begann, nahm Frau Bender die Katze rasch hoch.
»Sie müssen sich erst aneinander gewöhnen, Pommerle. Aber willst du den Hund wirklich behalten?«
»Bitte, bitte, liebe, süße Mutti, so ein niedliches Hundchen habe ich mir schon lange gewünscht.«
Frau Bender fand zwar, daß der Hund gar nicht niedlich war; aber sie gab schließlich nach. Man konnte doch ein Tier, das in aller Kürze Junge erwartete, nicht ertränken. Das war eine Grausamkeit, die sie auch nicht zugab. Was aber wurde dann, wenn die Hündin mehrere Junge warf? Pommerle würde sich über die kleinen Hundchen sehr freuen und sich nicht von ihnen trennen wollen.
Währenddessen saß der Rektor bei Professor Bender und berichtete von Jule und dessen häßlichen Ausdrücken.
»Der Jule wird bald hier sein. Sonntags ißt er bei uns. Ich will ihm ordentlich die Meinung sagen, Herr Rektor.«
Als der Jule dann kam, klärte sich das Mißverständnis sehr schnell auf. Trotzdem bekam er Vorwürfe, daß er noch immer in so ungezogenen Ausdrücken über den Robert Scholz zeterte.
»Nun ist es genug, Jule. Der Robert wird auch einmal seine Strafe bekommen.«
Am Nachmittag verbreitete sich in Hirschberg die Kunde, daß Robert Scholz durch eine Unvorsichtigkeit in den Bober gestürzt sei, doch habe er sich, ohne Schaden zu nehmen, retten können. Jule hörte die Botschaft von Anna, die soeben das Kaffeegeschirr ins Zimmer tragen wollte. Wie ein Besessener sprang er umher.
»Ich danke dir, Rübezahl, oh, du bist doch der Beste! Hättest ihm auch einen Stein um den Hals hängen sollen und ihn dann eine Weile zappeln lassen. Rübezahl, Rübezahl, du bist doch der Beste!«
Da der Jule mit Rufen nicht aufhören wollte, kam Frau Bender erschreckt ins Zimmer geeilt, gefolgt von Pommerle.
»Was ist denn geschehen?«
»In den Bober ist er gefallen«, jauchzte Jule. »So ist es recht, das hat der Rübezahl gemacht.«
»Schämst du dich nicht, Jule? Wie kann man sich darüber freuen, wenn jemandem etwas Böses zustößt?«
»Wenn er einen Hund ertränken will, ist er ein Mörder, ein ganz gemeiner Kerl. Und mit so einem gemeinen Kerl habe ich kein Mitleid. Der Rübezahl hat ihn gestraft.«
Pommerle schaute zu Frau Bender auf.
»Ich will mein süßes Hundchen und mein liebes Grauchen niemals quälen, Mutti. Sie sollen es beide sehr gut haben.«
»Jawohl, Pommerle, wir werden auch deinem Hundchen ein hübsches Lager bereiten, und du wirst dafür sorgen, daß es seine Ordnung hat.«
Tags darauf wurde gemeinsam mit Jule beraten, was das neue Hündchen für einen Namen bekommen sollte. Er betrachtete das Tier prüfend und meinte schließlich:
»Klug sieht das Vieh aus, auch gelehrt. Der muß einen sehr vornehmen Namen bekommen. Wollen wir es ›Professor‹ nennen?«
»Nein«, meinte Pommerle. »Mein Hundchen muß einen schöneren Namen haben.«
Allerlei wurde beraten; immerfort fragte das Kind:
»Möchtest du ›Rumpelstilzchen‹ heißen – oder ›Dornröschen‹? Oder vielleicht ›Leberwürstchen‹?«
Plötzlich schnappte der Hund lustig nach den streichelnden Händen des Kindes.
»Sieh nur, Jule, wie niedlich er schnappt!«
»Du oller Schnapper! Sollst du nach deinem Frauchen schnappen?«
»Natürlich soll er das, schnapp nur immerfort, mein liebes Hündchen! Schnapp – schnapp.« Und wirklich begann der Hund mit dem Kinde zu spielen.
»Schnapp!« Der Hund kam gelaufen. »Oh«, meinte Pommerle entzückt, »jetzt weiß ich, wie ich ihn nenne. Er hört schon auf seinen neuen Namen. ›Schnapp‹ sollst du heißen, mein süßes Hundchen. Hast du verstanden? Schnapp!«
Schweifwedelnd sprang das Tier an dem Kinde empor.
»Ja, der Name scheint dir gut zu gefallen, Schnapp. Nun wollen wir zur Anna gehen und sie fragen, ob sie nicht ein kleines Wursteckchen hat. Du mußt doch zu deiner Taufe etwas geschenkt bekommen.«
Man ging in die Küche. Pommerle brachte sein Anliegen vor.
»Aber, Pommerle«, sagte Anna. »Vor einer halben Stunde hast du eine Wurstecke gewollt. Ich kann doch nicht immerfort Wurstecken abschneiden.«
»Nur weil Taufe ist, Anna.«
»Eine Käserinde kann ich dir geben.«
»Und eine kleine Wurstecke.«
»Na, meinetwegen. Aber heute kommst du nicht wieder.«
Schnapp bekam seine Wurstscheibe, blinzelte Anna dankbar an und blieb neben ihr stehen.
»Na, komm nur, Schnapp«, meinte Pommerle, »ein Stückchen Schokolade habe ich auch noch. Das schenke ich dir.«
Dann wurde Jule gebeten, er möchte von jetzt an alle Wurstecken aufheben und mitbringen.
»Der Meister hat aber auch einen Hund.«
»Na, da laß die Wurstpellen dem Hund von deinem Meister. Ich werde in der Schule bitten, daß ich Wurstpellen bekomme.«
Am nächsten Tage, in der Pause, stellte sich Pommerle mitten auf den Schulhof und rief mit lauter Stimme seine Mitschülerinnen herbei.
»Ich habe euch was Wichtiges zu sagen. Kommt doch mal alle her!« Dann wurde von dem Hund erzählt, der viel Hunger hätte, der nächstens viele Kinderchen bekommen würde, die alle ernährt werden müßten. Jeder sollte daheim nachsehen, ob nicht Knochen, Wurstabfälle oder sonst etwas Gutes übrig sei, das sollte man Pommerle am folgenden Tage mit in die Schule bringen.
Der Erfolg war groß. Schon am nächsten Tage bekam das Kind, da es bei seinen Mitschülerinnen sehr beliebt war, viele kleine Päckchen. Ein Mädchen brachte sogar einen großen Schinkenknochen mit. Strahlend nahm Pommerle alles in Empfang.
»Jetzt kann der Schnapp viele Tage lang fressen.«
Die Vorräte wurden in die Schulmappe gepackt. Diese konnte die Menge kaum fassen. Und als Pommerle beglückt heimkam und vor Anna den Ranzen entleerte, schlug das Hausmädchen entsetzt die Hände zusammen. Aus den Papieren waren natürlich die Wurstpellen herausgefallen; erschrocken betrachtete Pommerle seine Hefte, die fast alle Spuren der fettigen Geschenke zeigten. Anna nahm von den Vorräten fast alles fort.
»Wenn du einen Hund haben willst, Pommerle, mußt du auch wissen, wie man ihn behandelt, wieviel er fressen darf und wie man ihn zu erziehen hat. Sonst stirbt eines Tages dein Schnapp.«
Da wurde die Kleine nachdenklich. Sie ging zu Schnapp, nahm ihn auf den Schoß und sagte zärtlich:
»So, Schnapp, jetzt geht es los mit der Erziehung, sonst wirst du mir krank, liebes Hundchen. Vor allem mußt du dich mit Grauchen vertragen. Ihr seid doch jetzt Geschwister, und die dürfen sich nicht zanken.« Dann holte Pommerle das Grauchen; aber schon wieder fauchte die Katze den Hund an, und Schnapps Haare sträubten sich bedenklich. Obwohl Pommerle beiden gut zuredete, waren seine Worte erfolglos. Schnapp knurrte, wurde immer unruhiger, und Grauchen behielt den krummen Buckel.
»Ihr seid eben beide noch nicht erzogen«, seufzte die Kleine. »Na, es wird schon noch anders werden. Wenn ihr erst beide Kinderchen habt, werdet ihr euch schon vertragen.«
Noch am selben Tage lauschte Pommerle aufmerksam den Worten des Vati, der ihm erklärte, was eine Hündin brauche und wie man sie zu behandeln habe.
»Aber vielleicht ist mein Hund anders.«
»Nein, kleines Pommerle. Wenn du zuviel des Guten tust, wird das Tier krank. Und besonders, wenn es demnächst Junge haben wird, mußt du ganz besonders vorsichtig sein.«
»Wieviel junge Hundchen werde ich bekommen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Das weiß ich auch nicht«, sagte Professor Bender seufzend. »Aber ich sehe schon eine ganze Menagerie um dich herum. – Was willst du mit allen den Tierchen nur anfangen, Pommerle?
»Schrecklich liebhaben will ich sie, und alle zu guten, brauchbaren Tierchen erziehen.«