Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In einem Hotel, ganz in der Nähe des Stettiner Bahnhofs, waren Benders abgestiegen. Man war am zeitigen Vormittag angekommen und sollte Pommerle sogleich nach Lichterfelde zu Wanglers bringen, damit es dort Mittag esse, denn den Nachmittag wollte man dazu benutzen, um dem Kinde die Großstadt zu zeigen.
Pommerle stand im Hotelzimmer und betrachtete staunend das Wasserbecken, das der Onkel mit warmem Wasser füllte, das er aus der Wand herausholte. Die Wasserleitung hatte das Kind längst von daheim kennengelernt; daß aber, wenn man an den Hähnen drehte, bald kaltes, bald warmes Wasser kam, war ihm etwas Unerklärliches.
»Wo wird denn das Wasser gekocht?«
Der Professor gab die Erklärung, daß im Keller des Hauses eine große Anlage sei und daß aus einem großen Kessel Röhren nach den verschiedenen Zimmern geleitet würden, durch die das Wasser käme.
Nun stand die Kleine an dem Waschbecken, drehte bald kalt, bald warm an und vergaß darüber ganz, sich zu waschen.
Endlich war auch diese Arbeit erledigt. Vom Fenster aus schaute die Kleine hinaus auf die Straße und den dort herrschenden Verkehr. Es zählte die elektrischen Bahnen, las die Schilder an den Omnibussen, rief aufgeregt die Tante heran, wenn es etwas Besonderes sah.
»Komm schnell, Tante, auf dem einen Wagen sitzt noch ein zweiter Wagen!«
Es war der zweistöckige Omnibus, der Pommerle in hellstes Erstaunen versetzte.
»Kann man da oben 'rein? Darf ich da auch fahren?«
»Jawohl, Pommerle, wenn ich dich nachher nach dem Potsdamer Bahnhof bringe, werden wir solch einen zweistöckigen Omnibus benutzen.«
»Tante – sieh doch mal den blauen Wagen!«
Es war ein leuchtend blaues Auto. Aber ehe Pommerle noch mit dem Staunen fertig war, wurde seine Aufmerksamkeit erneut abgelenkt. Auf der Straße ging ein Mohr.
»Laß mich rasch herunter, liebe, liebe Tante, ich will ihn mir genau besehen.«
»Nein, mein Kind, wir müssen uns jetzt fertig machen. Der Onkel hat einen wichtigen Gang vor, und ich bringe dich hinaus zu Wanglers. Heute abend bringt dich Frau Wangler hierher zurück.«
»Tante – Tante, sieh doch nur – –«
Pommerle wies auf dieses und jenes und wollte sich gar nicht anziehen, denn es gab unendlich viel für das Kind zu sehen. Aber schließlich verließ man doch das Hotel. Pommerle hatte es sich nicht nehmen lassen, der Gummifrosch mußte mit.
»Er will auch was sehen, Tante, und bei Hella spiele ich mit ihm.«
Man betrat die Straße, man wartete auf den Omnibus. Jeder Wagen, der angefahren kam, wurde von der Kleinen mit lautem Jubel begrüßt. Das Kind begriff nicht, warum man nicht einstieg. Aber endlich kam der rechte Wagen, man kletterte hinein.
»Tante, wir wollen die Treppe hinaufgehen, wir wollen im obersten Stockwerk sitzen. – Weiß denn der Mann, wohin wir fahren wollen?«
»Ja, Kleines.«
»Gehört der Wagen dem Herrn Ober Wangler?«
»Nein, wir fahren nur bis zum Potsdamer Bahnhof, dort steigen wir aus.«
»Dann mußt du doch dem Manne sagen, daß er uns dorthin fährt.«
»Ist schon gut, Pommerle.«
Man war hinauf in den oberen Teil des Wagens gestiegen. Es war hier ziemlich besetzt, und Pommerle drängte sich dicht an die Tante. Aber kaum hatte es seinen Platz eingenommen, da sprang es schon wieder auf.
»Tante – Tante,« rief es erregt, »dort hinter dem Glas stehen Frauen!«
Pommerle wies auf das Schaufenster eines großen Konfektionsgeschäfts. »Müssen die den ganzen Tag so ruhig dastehen?«
»Setz dich doch hin, Kind!«
Das geschah. Aber im nächsten Augenblick schnellte Pommerle erneut empor. Die linke Hand, die den Frosch hielt, fuhr zur Seite, und Pommerle schlug mit dem Gummitier eine Dame gerade ins Gesicht.
»Tante – – dort ist ein Wagen in den Laden gefahren, sieh doch nur schnell hin!«
Noch ein zweiter Schlag mit dem Gummifrosch, denn Pommerle konnte sich nicht erklären, daß man Automobile in Schaufenstern ausstellen konnte.
»Aber, Kleine, sieh dich doch vor!«
Pommerle schaute sich verdutzt um. Aber im selben Augenblick sah es jenseits der Straße ein Haus mit einer goldenen Kuppel.
»Tante – Tante, sieh doch!«
Nun wurde es der nebensitzenden Dame zuviel. Sie griff energisch nach dem Gummitier und nahm es aus der Hand des Kindes.
»Tante – jetzt stiehlt sie mir meinen schönen Frosch!«
Frau Bender wußte nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. Pommerle stand auf der Bank, fuhr mit der rechten Hand der Tante erregt ins Gesicht.
»Hast du das goldene Dach gesehen?«
Frau Bender entschuldigte sich bei der Dame, die schließlich über das erregte Kind mitlachte. Auch die anderen Fahrgäste lächelten über Pommerle, das so viel zu sehen hatte.
Da stand der Schaffner vor ihm.
»Wie weit?«
»Bitte, fahren Sie uns zum Ober Wangler, der mich eingeladen hat.«
Der Schaffner lachte; Frau Bender erledigte alles, und man bekam die Fahrscheine.
»Ist das eine Eintrittskarte?« Pommerle bettelte der Tante die kleinen Zettel ab, betrachtete sie, aber plötzlich sah es draußen über die Häuser hinweg eine Bahn fahren.
»Tante – Tante – sieh doch!«
Zwei Fahrscheine flatterten aus der Hand des Kindes hinaus auf die Straße.
»Au, Tante, die Leute fahren über die Köpfe der anderen weg! – Können wir da auch mitfahren?« Und plötzlich lachte Pommerle hellauf. »Die gucken ja den anderen in die Fenster! Und wenn da ein Kind schlafen geht, gucken alle zu! Ach, liebe, liebe Tante, wir wollen auch dort fahren.«
»Das ist die Hochbahn.«
»Wir wollen auch Hochbahn fahren, Tante – Tante, Tante, sieh doch nur, dort hängt mitten auf der Straße 'ne rote Lampe. – Au, Tante, nu ist sie gelb geworden – guck doch nur schnell hin – Tante, Tante – –«
Der Frosch schwankte wieder vor dem Gesicht der Tante.
»Das ist für die Verkehrsregulierung, Pommerle. Wenn rote Lichter über der Straße hängen, muß alles halten.«
»Kauf mir ein rotes Licht, Tante! Muß unser Doppelwagen auch bei 'nem roten Licht anhalten?«
So ging das Fragen unermüdlich weiter. Frau Bender seufzte leise vor sich hin, denn immerfort gab es Neues für die Kleine. Sie war froh, als endlich der Potsdamer Platz erreicht war und man den Omnibus verlassen konnte.
Pommerle wollte hier nicht weiter. Die riesigen Häuser, der kleine Turm mitten auf dem Platze, auf dem ein Mann stand, imponierte ihm furchtbar. Dazu der starke Verkehr von Wagen aller Art, und dann die vielen Händler, die hier Zeitungen und Blumen zum Kauf anboten.
»O Tante, das ist noch viel schöner als auf dem Jahrmarkt in Hirschberg.«
»Komm, Kind, wir müssen weiter.«
»Nein, nein,« rief Pommerle erregt und zerrte die Tante am Arm, »ich muß erst alles sehen!«
Das rote Licht, das durch gelb und grün abgewechselt wurde, hielt das Kind wie in einem Zauberbann. Mehrfach drängte die Tante, aber Pommerle flehte so innig, daß sie selbst noch ein Weilchen stehenblieb.
»Hu, Tante, wie sie alle nebeneinanderstehen und nicht weiter können, nur weil ein kleines rotes Licht brennt. – Warum fahren sie denn nicht doch weiter? Ich würde doch 'mal so 'n bißchen weiterfahren. – Was ist denn dann?«
»Dann wirst du bestraft.«
»Von wem denn?«
Wieder seufzte Frau Bender. »Von dem Manne, der dort oben auf dem Turm sitzt, der paßt genau auf.«
»O je, ich möchte mal sehen, wie er den bestraft, der doch so 'n bißchen weiterfährt. – Liebe, liebe Tante, sag doch mal dem Manne dort auf dem Wagen, er soll 'mal ein Stückchen weiterfahren.«
»Er fährt gleich. – Sieh, nun ist das grüne Licht wieder da.«
»Komm rasch an die andere Ecke, wo sie alle halten!«
Pommerle versuchte mit aller Kraft, die Tante weiterzuziehen. Aber Frau Bender weigerte sich.
»Du hast nun genug gesehen, Kind, Wanglers erwarten uns.«
So ging man zum Wannseebahnhof. Abermals wurden Fahrkarten gelöst, Pommerle stand wieder auf einem Bahnsteig und bestieg mit der Tante den bereits wartenden Zug. Endlich ertönte das Abfahrtssignal. Ganz von selbst schlossen sich die automatischen Türen.
»Tante – es spukt!«
»Warum denn?«
»Tante, wir fahren in einem verhexten Wagen. – Hast du gesehen, es war niemand da, der die Tür zumachte.«
Pommerle wollte neugierig zur Tür gehen, wurde aber von Frau Bender zurückgehalten.
»Du willst wohl hinausfallen! Du bleibst ganz ruhig neben mir sitzen, Kleines.«
»Tante – der Jule wird denken, ich bin ein großer Lügner, wenn ich ihm das alles erzähle. Oh, nun halten wir wieder an. – Paß auf, Tante, komm 'mal her!«
»Komm fort von der Tür, Kind!«
Ein Herr stieg ein, nahm Platz, die Türen blieben offen. Dann ein kurzer Knall, sie hatten sich selbsttätig wieder geschlossen.
»Hast du gesehen, Tante –« Pommerle hatte so lebhaft nach der Tür gezeigt, daß ihm der Frosch aus der Hand flog. Nun holte es das Gummitier wieder und starrte erneut auf die Zaubertür. »Ach, Tante, wir wollen nachher auch 'mal aussteigen und wieder einsteigen.«
Frau Bender lehnte erneut ab. Schon gab es für Pommerle Neues zu sehen. Man fuhr an den Häusern dicht vorüber und konnte auch wirklich in einige der weit geöffneten Fenster hineinsehen.
»Tante,« rief das Kind hochrot vor Erregung, »dort stand eben eine Frau und kochte. Du, Tante, könnte man da nicht 'mal ein Steinchen 'reinwerfen? Ach, nun sind wir schon wieder vorbei!«
Endlich war Lichterfelde erreicht. Frau Bender erkundigte sich am Bahnhof nach der angegebenen Straße. Man wies sie zurecht. Der Weg war nicht weit. Hier gab es keine so hohen Häuser wie in Berlin, Pommerle meinte daher:
»Jetzt kommen wir wohl schon in die Nähe von Hirschberg, jetzt ist nicht mehr Berlin?«
Vor dem Springbrunnen in einem Garten blieb Pommerle stehen. »Ach, Tante, sieh nur, der große Hund spuckt immerzu Wasser aus. – Wollen wir da 'mal 'reingehen?«
»Das dürfen wir nicht. Aber komm, mein Kind, wir haben Eile.«
Frau Wangler empfing ihre Gäste sehr herzlich, auch Hella war da, die Pommerle sogleich in ihr Zimmer führte, um dem Kinde dort das schöne Spielzeug zu zeigen. So etwas hatte Pommerle natürlich noch nicht gesehen. Da stand ein Selbstfahrer, eine große Puppenstube mit vier Zimmern, eine wunderschöne Puppe, die Papa und Mama sagen konnte, eine Katze, die genau wie eine lebende aussah, und allerhand anderes. Pommerle wagte nicht, all die schönen Sachen anzurühren. Hella freute sich über das Staunen der Freundin und setzte die verschiedensten Tiere, die ein Räderwerk in sich bargen, in Bewegung und ließ sie auf dem Fußboden umherlaufen. Auch ein kleines Auto war vorhanden, das wie irrsinnig im Zimmer umherraste.
»Hast du auch 'ne rote Lampe, die gelb wird?«
Das hatte Hella nun freilich nicht, aber sie hatte noch vieles andere, so daß Pommerle rasch befriedigt war.
Frau Bender hatte sich wieder empfohlen, Pommerle sollte abends gegen acht Uhr mit dem Wanglerschen Auto ins Hotel zurückgebracht werden. Am Nachmittage wollte man mit den beiden Kindern in die Stadt fahren, um Pommerle allerlei Neues zu zeigen.
Pommerle war gar nicht scheu und verlegen. Es spielte sich wunderschön mit Hella, und da Frau Wangler eine sehr freundliche und kinderliebe Dame war, faßte die Kleine rasch Vertrauen und erzählte von dem hohen Doppelwagen, in dem man hierher gefahren sei, von den roten Lampen, die gelb wurden, und von all dem Neuen, was es heute gesehen hatte.
»Heute nachmittag wirst du noch mehr Neues sehen, mein kleines Mädchen. Wir fahren hinaus nach dem Lunapark.«
»Einen Park gibt es auch in Hirschberg.«
Hella klatschte vergnügt in die Hände. »Oh, der Lunapark, da ist es herrlich, da fahren wir auf der Gebirgsbahn, dann gibt es Spiegel, darin siehst du ganz klein und dick aus oder ganz dünn und groß. Ach, du wirst dich halbtot lachen. Dann gibt es einen Topf, der mächtig wackelt, darin fährt man spazieren. Dann gibt es ein Indianerdorf und einen lebenden Elefanten. Ach, fein!«
Pommerle konnte das alles noch nicht fassen. Als es aber hörte, daß man mit einem eigenen Auto fuhr, wurde es völlig erregt. Vielleicht konnte man nun bei dem roten Licht mal ein bißchen vorrutschen. Pommerle wollte zu gern hören, was der Mann auf dem kleinen Turme dann sagen würde.
Man nahm das Mittagessen ein, Herr Wangler war noch beschäftigt, aber heute wollte man ohne ihn speisen, um recht früh den Lunapark zu besuchen.
»Hat dein Vater denn so viele Bücher zu schreiben?« fragte Pommerle.
»Nein, mein Papa arbeitet auf dem Gericht.«
Vor Pommerles Augen stieg das Hirschberger Amtsgericht empor. Es wußte, daß dort täglich viele Herren ein und aus gingen, die schrieben, rechneten und dicke Akten zusammennähten. Wenn ein Mensch etwas Schlimmes getan hatte, so hatte Anna gesagt, wurden für ihn Papierbogen zusammengenäht, dort hinein wurde alles geschrieben, was er getan hatte, dann wurden sie lange verwahrt. Das nannte man Akten.
»Macht dein Vater auch für alle Leute Akten?«
»Wenn einer was Schlimmes tut, dann sagt er: du bist ein schlechter Mensch, du mußt ins Gefängnis, und dann sperrt er ihn ein.«
Pommerle, das eben im Begriff gewesen war, etwas Papier zu zerreißen, hielt in dieser Beschäftigung inne. Es schien ihm doch gefährlich, in diesem Hause unnütz zu sein.
»Der Jule würde nicht zu euch kommen, der macht manchmal einen tollen Streich. Aber einsperren läßt er sich auch nicht. – Wenn man mit dem Wagen ein bißchen weiterfährt, auch wenn das rote Licht brennt, sperrt uns dein Vater dann auch ein?«
»Ja,« meinte Hella, die über die Tätigkeit des Vaters wenig unterrichtet war.
Eingesperrt wollte Pommerle nun nicht werden, aber vielleicht konnte man einen anderen Kutscher bitten, daß er ein Stückchen weiterfuhr. Vielleicht fand sich heute nachmittag dazu eine Gelegenheit.
Nach dem Essen rüstete man sich zum Ausfahren. Das Auto des Oberstaatsanwalts fuhr vor, und als Frau Wangler mit den beiden Kindern aus dem Garten trat, legte der Chauffeur grüßend die Hand an die Mütze. Pommerle machte einen artigen Knicks. Dann bestieg man den Wagen.
Aufs neue begannen die Fragen. Frau Wangler konnte so schön erzählen, warum der Wagen ohne Pferde lief, warum der Chauffeur tuten mußte, wie die Straßen hießen, durch die man fuhr, was auf den Plätzen für Denkmäler standen. Oh, es war herrlich! Pommerle wippte dauernd auf dem weichen Polster und freute sich jedesmal, wenn es um eine scharfe Ecke ging und sie gegen Hella und Frau Wangler stieß.
Dann kamen wieder hohe Häuser, man fuhr eine breite Straße entlang, über eine große Brücke. Pommerle hatte hundert Fragen zu stellen. Da hielt der Wagen, und das Kind las: Lunapark.
Schon das bunte Eingangstor erregte hellstes Entzücken. Ein buntgekleideter Verkäufer, der einen Zigarrenkasten trug, kam ihnen entgegen. Pommerle staunte ihn an. Es wollte hinter ihm herlaufen, aber Frau Wangler zog die Kinder mit sich fort.
An dieser und jener Bude mit Sehenswürdigkeiten kam man vorüber. Pommerle wußte nicht, ob es wache oder träume.
»Bleib 'mal stehen, Tante,« sagte es heiser vor Erregung, »ich muß mich erst 'mal zwicken. – Der Onkel sagt immer, wenn man nicht weiß, ob man wach ist, soll man sich zwicken.«
»Du schläfst nicht, mein liebes Kind, das hier ist ein Vergnügungspark, darin ist alles aufgebaut, um die Leute zu belustigen.«
»Ich bin schon so lustig, Tante.«
»Dort, dort ist sie!« rief Hella und wies auf eine Gebirgslandschaft, die hoch über alles hinwegragte. Ein Geschrei ertönte, man sah mehrere kleine Wagen, die aus der Tiefe hervorkamen, an der Bergwand hinauffuhren, wieder abwärts schossen und in einem Tunnel verschwanden.
Pommerle war stehengeblieben, es war wie zu Stein erstarrt. So etwas hatte es in seinem Leben noch nicht gesehen. Und als jetzt an einer ganz anderen Stelle die kleinen Wagen wieder an einer Felsenwand sichtbar wurden, klammerte sich Pommerle fest an den Mantel der Tante Wangler.
»Was ist das?« Hanna war ganz blaß vor Erregung.
»Die Gebirgsbahn, mein Kind. – Möchtest du auch einmal fahren?«
Pommerle wagte nicht zu antworten. Erst wollte es sich dieses rätselhafte Ungeheuer ein wenig besehen. Aber die Leute, die in den Hexenwagen saßen, lachten gar so vergnügt. Das mußte also ein großer Spaß sein.
Nun stand man am Eingange der Gebirgsbahn; Pommerle sah die ankommenden und abfahrenden Wagen, sah auch das schwarze Loch, in dem die Wagen verschwanden; dabei wurde ihm ein wenig bänglich zumute.
»Aber in Hirschberg gibt es keine solche Bahn.«
»Wir wollen mitfahren,« drängelte Hella.
»Willst du, Pommerle?« fragte Frau Wangler.
»Noch etwas warten.«
»Komm, so wollen wir uns zuerst etwas anderes ansehen.« Frau Wangler ging mit den beiden Kindern weiter. Jetzt schwenkte sie links ab, ging mehrere Stufen hoch, da tönte aus Pommerles Munde ein langgezogener Aufschrei.
»Tante, ich bin verhext!«
Frau Wangler lachte. Der Rundspiegel gab Pommerles Bild zurück, aber die Kleine war durch den eigenartigen Schliff riesengroß und dünn, hatte ein verzerrtes Gesicht, lange dünne Arme und Beine.
»Tante – Tante – – ich bin verhext und mein Frosch auch!«
Frau Wangler trat neben die Erregte, da schrie Pommerle zum zweitenmal auf.
»Komm rasch fort, du bist auch verhext!«
»Du brauchst keine Sorge zu haben, Pommerle, schau 'mal Hella an.«
Im Spiegel nebenan war Hella zu sehen. Sie lachte, daß sie sich krümmte. Ein zweiter Spiegel machte Hella zu einer kleinen, dicken Kugel, die sich kaum bewegen konnte.
Es dauerte noch einige Augenblicke, ehe sich Pommerle gefaßt hatte. Als es aber bemerkte, daß alle Vorübergehenden ihre Gestalt veränderten, begann es ebenfalls herzlich zu lachen. Soeben kam ein hochaufgeschossener junger Mann des Weges.
»Tante, Tante,« rief Pommerle, »wie wird denn der aussehen?« Pommerle blickte dem Näherkommenden erwartungsvoll entgegen. Er schien an dem Spiegel vorübergehen zu wollen, da rief das erregte Kind: »Bitte, gucken Sie doch mal in den Spiegel, ach, bitte, bitte!«
Der Herr schaute die Kleine lachend an, dann ging er zu dem Spiegel. Aber er sah auch nicht anders aus als alle die anderen, nur noch ein wenig größer, aber Pommerle und Hella standen hinter ihm und lachten, daß es weithin schallte.
Nun ging man weiter. Pommerle wurde ein wenig ängstlich, als man sich dem Indianerdorfe näherte, als es die rothäutigen Gestalten sah, von denen zahlreiche einen prachtvollen Federschmuck trugen.
»Tun sie uns was?«
»Nein, Pommerle, das sind Leute, die in einem anderen Erdteil wohnen.«
»Warum ziehen sie sich aber so komisch an?«
»Das ist nun einmal ihre Tracht. Es sind alles gute, friedliche Leute, vor denen du dich nicht zu fürchten brauchst.«
Pommerle schien aber doch nicht das rechte Vertrauen zu diesen Menschen zu haben, und so verließ man das Indianerdorf bald wieder und ging in eine Konditorei, um Kaffee zu trinken. Bis hierher schallte das laute Jauchzen derjenigen, die die Gebirgsbahn benutzten, und so keimte in Pommerle das Verlangen auf, auch auf dieser Bahn zu fahren.
Man kehrte daher zur Gebirgsbahn zurück, Frau Wangler bestieg mit den beiden Kindern einen der kleinen Wagen. Hella war voller Übermut, Pommerle hing sich fest in den Arm von Tante Wangler, drückte den Gummifrosch fest an sich und wartete ein wenig ängstlich auf das Abfahrtszeichen. Es war der Kleinen nicht ganz behaglich zumute, doch der Onkel sagte stets, man dürfe nicht feige sein. So nahm Pommerle all seinen Mut zusammen.
Ein Aufkreischen, – der Wagen fuhr steil hinab.
»Uh je.« Auch Pommerle schrie laut auf. Die eine Hand krallte es in den Arm Frau Wanglers, die andere in den Gummifrosch. Es ging auf- und abwärts, endlich war die Reise beendet.
»Nun, Pommerle, war das schön?«
»Hm,« meinte das Kind, »ich glaube, Tante, der Frosch hat sich gefürchtet.«
Man kehrte ins Gasthaus zurück. Hella wäre noch gern einmal mit der Wasserrutschbahn gefahren, doch Pommerle schüttelte den Kopf.
»Dann fällst du wieder ins Wasser, und ich hab' doch jetzt keinen Besen, dich 'rauszuholen.«
Das viele Neue, das das kleine Mädchen im Lunapark erschaute, machte es bald müde. Wohl riß Pommerle bei allem Neuen, das es noch zu sehen bekam, die Augen weit auf; doch die Eindrücke verwirrten sich in dem Kinderköpfchen, weil eben alles ein noch nie erblicktes Wunder darstellte. So hielt es Frau Wangler für das richtigste, gegen sieben Uhr den Lunapark wieder zu verlassen, heimzufahren, dort noch etwas zu essen, um dann das Kind rechtzeitig im Hotel wieder abzuliefern.
Auf der Rückfahrt war Pommerle sehr still. Es mußte das Gesehene erst in sich verarbeiten. Hella plauderte hingegen munter drauflos.
»Hat es dir gefallen, kleines Pommerle?«
Die Kleine nickte eifrig.
»Massenhaft.«
»Das freut mich.«
»Der Jule hat das alles noch nicht gesehen.«
»Der Jule wird auch einmal nach Berlin kommen.«
»Nein, er muß jetzt Tischler lernen, dann kann er nicht weg aus Hirschberg.«
Man hatte Lichterfelde erreicht, man nahm rasch einen kleinen Imbiß ein, dann verabschiedete sich Hella von ihrer Spielgefährtin. Frau Wangler wollte Pommerle ins Hotel zurückbringen, wie sie es Frau Bender versprochen hatte.
Zuerst, so lange man durch die Vororte fuhr, gab es für Pommerle nicht viel Neues. Als aber dann wieder Berlin in Sicht kam, hatte das Kind abermals ungezählte Fragen. Und nun sah es auch etwas ganz Neues.
»Tante Ober Wangler, – was ist denn das?«
Pommerle wies auf Buchstaben, die auf dem Giebel eines Hauses hin und her liefen. Diese Art Lichtreklame hatte es noch niemals gesehen.
»Schau doch nur 'mal hin, Tante Ober Wangler!«
Das Kind las die Reklame und konnte sich nicht genug wundern, daß immer neue Worte erstanden.
»Sieh doch nur, wie dort oben die Buchstaben laufen!«
Pommerles Begeisterung steigerte sich ins Riesenhafte.
»Brrr,« schrie es dem Chauffeur zu, »es kommt noch mehr, halt!«
Aber man konnte mitten auf dem belebten Platz nicht anhalten. Pommerle sprang im Wagen umher, denn bis zuletzt wollte es dieses wunderbare Schauspiel sehen.
Dann kam man wieder über den Potsdamer Platz. Man mußte mit den anderen Fahrzeugen anhalten, und in dem erregten Kinde erwachte der Übermut.
»Nur ein kleines bißchen weiterfahren, liebe Tante!«
Diese aber sah sofort und sagte es auch dem Kinde, daß solch ein Vorfahren unmöglich sei, weil dadurch leicht die Fußgänger in Gefahr kämen.
»Dann wollen wir 'ne ganze Weile halten und zuerst die anderen Wagen weiterfahren lassen. Vielleicht rutscht doch einer vor, dann kommt der Mann aus dem Turm.«
Weiter ging die Fahrt. Pommerle sah die vielen Schaufenster mit den prachtvollen Auslagen, von einer Seite des Wagens sprang es auf die andere, was Frau Wangler lachend gewähren ließ, obgleich ihr das Kind häufig auf die Füße trat. Was gab es nicht alles zu sehen!
»Ach, Tante,« sagte Pommerle endlich, »in meinem Kopf ist jetzt alles drunter und drüber.«
»Ja, mein kleines Mädchen, du hast heute gar viel Neues gesehen. Jetzt setze dich einmal ruhig neben mich, wir wollen uns noch etwas unterhalten.«
Pommerle lehnte sich in die Polster zurück, doch gleich darauf leuchtete wieder ein Schaufenster auf, das voller prächtiger Blumen war. Frau Wangler verzog schmerzhaft das Gesicht, wieder hatte das Kind sie heftig getreten.
»Sieh nur, sieh!«
Endlich war das Hotel erreicht. Pommerle stieg aus, machte dem Chauffeur wieder einen artigen Knicks und betrat den Vorraum.
Der Pförtner in dem schwarzen Rock mit dem Goldbesatz erregte stets des Kindes Bewunderung. Es schaute ehrfurchtsvoll zu ihm auf, während er Frau Wangler mitteilte, daß Herr und Frau Bender vor einer Viertelstunde zurückgekommen seien und oben in ihrem Zimmer wären.
Man stieg empor. Pommerle stürzte auf seine Pflegeeltern zu, seine Worte überstürzten sich.
»O Tante, – da sind die Buchstaben auf dem Dache gelaufen, – dann sind wir in einen Tunnel gefahren, wo es ganz finster war, – und dann bin ich 'mal ganz groß geworden, o je, wie komisch habe ich ausgesehen; und die Türen, Onkel, die gehen von ganz allein zu, da braucht keiner zu stehen und sie zuknallen. Dann sind wir an 'ner Bergwand hoch 'raufgefahren, – drei Pfannkuchen habe ich gegessen, – – und richtige Indianer habe ich gesehen. Aber wir sind nicht vorgefahren, weil sonst der Mann aus dem Turme herauskommt. – Bist du auch schon 'mal Gebirgsbahn gefahren, Onkel?«
Es dauerte längere Zeit, ehe sich das erregte Kind ein wenig beruhigte. Pommerle hatte in Berlin gar zu viel Neues erschaut. Es sprach herzliche Dankesworte zu Frau Wangler, die sich sehr bald wieder verabschiedete.
Dann brachte die Tante Pommerle zu Bett. Aber der kleine Plaudermund wollte heute gar nicht stillestehen.
»Onkel – richtige Indianer habe ich gesehen, oh, die sind schlimm!«
»Jetzt schlafe, mein Pommerle, morgen müssen wir beizeiten aufstehen, denn morgen geht es nach Hirschberg zurück.«
»Zum Jule,« sagte das Kind mit leuchtenden Augen. »Ob der schon 'mal Gebirgsbahn gefahren ist?«
»Gute Nacht, mein Kind!«
»Gute Nacht, lieber Onkel, – gute Nacht, liebe Tante!«
Fünf Minuten später schlief das Kind fest und süß.