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Freuden und Leiden in Neuendorf

Am Strande wurde fieberhaft gearbeitet. Ein großer Trupp Kinder hantierte mit Schippen, Kohlenschaufeln, Brettern und Stangen. Es galt einen Teich zu machen, in dem der Gummifrosch schwimmen sollte.

Anfangs hatte man den Frosch einfach in die See werfen wollen, doch Pommerle fürchtete, daß das herrliche Tier, ebenso wie Hella, von einer Welle fortgeholt werde.

Man mußte daher einen Teich anlegen, der tief genug war, um den Frosch darin herunterzudrücken.

Mehr als zwanzig Kinderhände waren an der Arbeit, und nicht immer ging es friedlich ab. Pommerle hatte die Leitung übernommen, ihm fügten sich alle Kinder, denn sie wußten, daß Pommerle gestern etwas Besonderes geleistet hatte.

Es war gar nicht so einfach, einen Teich anzulegen, denn zunächst versickerte das hineingeleitete Wasser ziemlich schnell, bis schließlich Professor Bender hinzukam, der den Teich so anlegen ließ, daß durch ständigen Zulauf aus der See in den tiefer gelegten Teich dauernd neues Wasser eindrang.

Die Seetiere wurden hineingesetzt, unter lautem Jubel der Kinder schwamm der große Frosch auf der Wasseroberfläche. Es war ein Ereignis, und wenn der Frosch nun gar mit dem Blechfisch oder der Flunder zusammenstieß, gab es ein Geschrei, das über den Strand weithin hörbar war.

Pommerle stand regungslos am Rande des kleinen Sees und schaute den Frosch an. Einige Knaben machten mit ihren Schippen Wellen, und als sich eine der Wurzelfasern um ein Bein des Frosches legte, machte Pommerle einen Freudensprung – – der Sand gab nach, und bis zu den Knien stand das Kind im Wasser.

Das gab ein Lachen und Schreien. Es war gut, daß Pommerle seine Schuhe und Strümpfe schon längst ausgezogen hatte und somit nur das Röckchen ein wenig feucht wurde.

Da plötzlich erschien Professor Bender erneut unter den spielenden Kindern.

»Du mußt ins Haus kommen, Pommerle, es ist ein Herr da, der dich sprechen möchte.«

»Werde ich schon wieder nach Berlin eingeladen?«

»Nein, Pommerle, es ist der Gemeindevorsteher von Neuendorf, der zu dir kommt, denn auch er hat gehört, daß du gestern der kleinen Hella das Leben gerettet hast.«

Pommerle griff rasch nach dem nassen Frosch, dann schritt es neben dem Onkel her. Neugierig folgten die Kinder in einiger Entfernung. Sie wollten hören, was der Gemeindevorsteher von der Hanna Ströde wollte.

Pommerle, das von einem Gemeindevorsteher noch nie etwas gehört hatte, schaute fragend zum Onkel auf.

»Was will denn der gemeine Vorsteher von mir?«

»Es ist der Vorsteher der Gemeinde Neuendorf, kleines Pommerle. Kennst du denn den alten Herrn Magritz nicht mehr?«

»O ja, den Onkel Magritz, den kenne ich, er hat mir 'mal was auf die Finger gegeben. Da hab' ich in den Netzen herumgestochert, da ist er gerade dazugekommen.«

Im Vorgarten des Häuschens stand der alte Herr. Pommerle machte ihm einen artigen Knicks und zog die Augenbrauen hoch, denn auch der Gemeindevorsteher hielt im Arm ein Päckchen.

»Onkel, der hat was für mich,« flüsterte das Kind dem Professor leise zu.

»Nun kann ich dir doch auch guten Tag wünschen, kleine Hanna Ströde. Ich habe soviel Gutes von dir gehört, daß ich selber komme, um dir Worte der Anerkennung zu sagen. – So war es recht! Immer mit Überlegung helfen, niemals davonlaufen, wenn Gefahr da ist. Das hast du brav gemacht mit der Hella Wangler.«

»Ich hab' dafür auch den schönen Gummifrosch bekommen.«

»Zu dem Gummifrosch sollst du auch dies noch haben.«

Pommerle griff nach dem gereichten Paket und wandte sich erneut an den Onkel.

Pommerle stand regungslos am Rande des kleinen Teichs und schaute den Frosch an.

»Siehst du, ich hab's mir doch gleich gedacht, daß er mir was bringt!«

»Aber, Pommerle, man bedankt sich zuerst.«

»Wart' 'mal noch ein bißchen, Onkel Magritz, ich will nur schnell 'mal nachgucken, was drin ist.«

Dem Karton entnahm Pommerle eine reizende Puppe, die in einem kleinen Strandkorbe saß.

»O je, ist die neidisch – nu dank' ich dir schön, Onkel Magritz, die muß gleich zusehen, wie der Gummifrosch schwimmt.«

In dem einen Arm den Frosch, im anderen die Puppe, wollte Pommerle schnell wieder fortlaufen; aber Benders hielten das Kind zurück.

»Man läuft nicht fort, wenn Besuch da ist, Kleines, der Herr Gemeindevorsteher ist deinetwegen gekommen.«

»Ganz Neuendorf spricht vom kleinen Pommerle, das sich so tapfer benommen hat.«

»Überall spricht man von mir?«

»Natürlich. – Wenn hier jemand ertrinken will, ängstigt sich doch der ganze Ort. Und da kommt solch kleines Mädchen daher und zieht den Ertrinkenden heraus. Das ist etwas sehr Schönes.«

Pommerle wies mit dem ausgestreckten Arm nach Osten.

»Hat man da ganz hinten auch gehört, daß ich die Hella 'rausgezogen habe?«

»Freilich – morgen steht es sogar in der Zeitung.«

»O je – der Vater hat immer die Zeitung gelesen – hört man es auch da ganz hinten, bis an den Wald hin?«

Professor Bender sah den traurigen Schatten, der sich wieder einmal auf das frische Kindergesichtchen legte. Er wollte aber nicht, daß die Kleine erneut an den toten Vater dachte.

»So, mein kleiner Liebling,« sagte er schnell, »nun gib dem Herrn Gemeindevorsteher schnell die Hand, und dann laufe zu den Kindern zurück, die alle draußen vor dem Hause stehen. Geht wieder zu eurem Teiche spielen, ich komme dann nachsehen, ob der Frosch auch brav schwimmt.«

»Komm doch, Hanna,« riefen die Kinder von draußen her.

Da ließ sich Pommerle nicht länger bitten, es machte einen artigen Knicks, dann stürmte es davon, gefolgt von den Spielgefährten.

»Der war aber lieb zu dir,« sagte einer der Knaben, »mich schreit er immer an, wenn er mich sieht.«

»Dann mußt du auch 'mal jemanden aus dem Wasser 'rausziehen.«

»Eben – das hab' ich ja gemacht, ich bin 'mal 'rausgerudert und hab' die Netze 'rausgerissen, und deswegen hat er mich mächtig ausgezankt.«

»Netze darf man doch nicht 'rausziehen,« sagte Pommerle, »der Vater hat immer gesagt, das ist Mühe und Arbeit, und die Netze, die andere hinsetzen, müssen uns was wert sein.«

Da waren die Gedanken des Kindes schon wieder beim Vater. – Wenn man in ganz Neuendorf davon gehört hatte, daß es ein braves Mädchen sei, mußte man es auch dort auf der anderen Seite des Dorfes wissen. Die Sehnsucht, das Vaterhaus wiederzusehen, wurde plötzlich in Pommerle riesengroß. Es wurde immer schweigsamer, achtete nicht mehr auf das fröhliche Spiel, es hatte die Puppe im Strandkorbe in den Sand gesetzt, den Frosch ins Wasser geworfen und stand gedankenvoll ein wenig abseits.

Wenn der Vater nicht mehr da war – wer mochte da jetzt auf dem Sofa mit den roten Blumen sitzen?

Pommerle hatte sich umgewandt und schaute den Strand entlang. Es war gar nicht weit. – Wenn es den Strand entlang lief, kam es bald zu dem kleinen Häuschen.

Die ersten Schritte gen Osten wurden langsam und zögernd gemacht. Das Kind fühlte sich wie von einer unsichtbaren Gewalt nach vorwärts geschoben, es ließ die spielende Schar zurück und lief davon.

Je näher das Häuschen kam, um so rascher eilte das kleine Mädchen, bis es plötzlich im Laufen innehielt und still dastand.

Das war das Haus, das war der kleine Zaun mit den grünen Latten, das war das Fenster mit dem Blumenbrett, auf dem auch jetzt wieder mehrere Töpfe standen.

Schritt für Schritt ging Pommerle näher. Es stand an der hölzernen Gartenpforte, legte die zuckende Kinderhand auf die Klinke. Dann ging es zum Fenster und schaute in die Stube hinein. Es war niemand darin. Der Platz an dem braunen Kachelofen, an dem Tante Bertha meistens saß, die Schüssel zwischen den Knien, war leer. Es war so vieles anders. Nur dort an der Wand stand noch das große Sofa mit den großen roten Blumen.

Pommerle hatte ein Gefühl, als müsse es laut aufschreien, dann lief es zur Haustür, betrat den verräucherten Flur, lief in die Stube, die ihm so vertraut und doch so fremd war. Im Zimmer schaute es sich um, dann ging es zum Sofa, setzte sich darauf nieder und begann plötzlich zu weinen.

So fand Frau Pust, die das kleine Häuschen nach dem Tode Strödes erworben hatte, das kleine Pommerle vor. Sie erkannte Hanna Ströde sofort, war doch ihr Mann immer mit dem Fischer Ströde zusammen fischen gefahren.

»Hannerle, mein kleines Hannerle!«

Pommerle hob das tränenüberströmte Gesichtchen, legte es aber wieder in die Hände und sagte nichts weiter als die beiden Worte:

»Der Vater – –«

Frau Pust setzte sich neben das weinende Mädchen auf das Sofa und nahm ihm die Hände vom Gesicht.

»Hab' schon gehört, daß du wieder hier bist, Hannerle, mußt nicht weinen, der Vater ist im Himmel. Mußt nicht so traurig sein, Hannchen. Horch 'mal, dort draußen ist auch noch ein alter Freund von dir.«

Frau Pust war aufgestanden, öffnete die Tür und ließ einen ziemlich großen schwarzen Hund herein, der den Kopf hob, langsam zu Pommerle herankam, an dem Kinde schnupperte.

»Der Bello!« rief das Kind.

Da begann das Tier mit dem Schwanze zu wedeln, bellte ein paarmal freudig auf, sprang dann an der Kleinen hoch und wollte ihm die Hände lecken. Er war jetzt fast närrisch vor Freude.

»Bello, Bello,« rief Pommerle unter Tränen lachend, »ja, kennst du mich denn noch?«

Immer freudiger bellte der Hund. Wie oft hatte Pommerle im vorigen Jahre mit dem Pustschen Hunde gespielt: das Tier war dem Kinde ein gar lieber Spielkamerad gewesen, und alle Knochen, alle Wurstpellen und Flundergräten hatte es dem Bello gebracht. Nun erkannte der Hund das kleine Mädchen wieder, das so lange fortgewesen war.

»Ach, Bello, lieber, lieber Bello – ich war in Hirschberg – hast du auch gehört, ich habe der Hella das Leben gerettet?«

Pommerle hatte sich auf die Erde gekniet, beide Arme um den Hals des Hundes gelegt und sprach lebhaft auf das Tier ein.

Frau Pust war glücklich, daß die Kleine eine Ablenkung gefunden hatte.

»Mußt öfters zu Bello kommen, Hannchen, er spielt gern mit dir,« sagte sie.

Nochmals strich die kleine Kinderhand wie liebkosend über den großblumigen Bezug des Sofas; dann reichte das Kind Frau Pust die Hand.

In Begleitung des Hundes schritt Pommerle hinab zum Strande. Es ging denselben Weg, den es so oft an der Hand des Vaters gegangen war. Geradeaus, denn gleich vor dem kleinen Häuschen lag das Boot am Strande. Dort setzte sich Pommerle nieder, der Hund tat ein Gleiches, legte den Kopf in des Kindes Schoß und schaute es mit seinen klugen Augen unverwandt an.

So saßen die beiden lange zusammen.

Endlich erhob sich Pommerle.

»Mußt nun wieder heimgehen, Bello, dein Hundebraten wartet auf dich, und ich muß auch gehen. Aber wir sehen uns wieder.«

Es war, als habe der Hund die Worte verstanden, er legte eine Vorderpfote auf Pommerles Arm, die andere schien er ihm zu reichen. Pommerle schüttelte sie.

»Ja, wir sehen uns wieder, Bello.«

Pommerle brachte den Hund bis an den Hauseingang, dann lief es davon.

An dem Teiche spielten noch immer die Kinder, als Pommerle wieder zurückkehrte.

»Frau Pommerle hat dich schon zweimal gerufen, du sollst zum Essen kommen.«

Da nahm das Kind den Frosch und die Puppe und ging langsam dem Jägerschen Hause zu.

Am nächsten Morgen gab es schon wieder eine Überraschung für das Kind. Professor Bender las beim Frühstück seiner Pflegetochter die kurze Notiz vor, die in der Neuendorfer Zeitung stand. Mit glänzenden Augen hörte Pommerle zu.

»Lies noch 'mal, Onkel,« bat Pommerle mit leuchtenden Augen.

Der Professor las: »Durch das beherzte Zugreifen der achtjährigen Hanna S., einem Neuendorfer Kinde, wurde gestern ein großes Unglück verhütet.«

»Gib mir 'mal die Zeitung. – Es steht noch mehr drin?«

Herr Bender reichte der Kleinen das Blatt. Pommerle las immer wieder die wenigen Zeilen und schaute schließlich strahlend auf.

»Die Zeitung hebe ich mir auf – ja?«

»Freilich, mein Pommerle, die zeigst du daheim dem Jule und der Anna.«

»Hat der Jule auch schon einmal durch ein beherztes Zugreifen ein kleines Mädchen gerettet?«

»Nein, Pommerle.«

»Oh – was wird dann der Jule dazu sagen? Kann ich die Zeitung 'mal der Frau Jäger zeigen und der Hella?«

»Frau Jäger wird es auch schon gelesen haben und Hella desgleichen. Hella fährt morgen wieder heim.«

Pommerle ließ einen Seufzer hören. »Ach je – und wir fahren dann auch bald. – Dann höre ich die liebe Ostsee nicht mehr rauschen.«

»Aber du siehst dann wieder die hohen Berge, du gehst wieder in die Schule – –«

»Kann ich allen Kindern in der Schule die Zeitung zeigen?«

»Ja, Pommerle, aber du darfst dich nicht zu sehr rühmen, denn es ist Pflicht eines jeden Menschen, dem anderen zu helfen.«

»Aber wenn es doch in der Zeitung steht? – Die Anna tut auch zu Hause immer ihre Pflicht, und das steht nicht in der Zeitung.«

»Ein Menschenleben zu retten, ist auch etwas Besonderes, mein Kleines. Aber nun laufe noch 'mal hinunter zum Strand, vielleicht ist Hella dort, dann kannst du dich gleich von ihr verabschieden.«

Den Frosch und ihre Puppen im Arm, ging Pommerle zum Strande, wo es gar bald seine Spielgefährten fand. Heute hatte sich auch Herbert Affmann wieder eingefunden, der die Nachricht erhalten hatte, daß es seiner Mutter bedeutend besser ginge und daß sie in etwa vierzehn Tagen wieder nach Neuendorf zurückkehren könne.

Nochmals wurde der Unglücksfall durchgesprochen, und die kleine Grete Bauer behauptete, daß Pommerles schöne Geburtstagspuppe unartig sei, und daß man ihr auch den Kopf einschlagen müsse. Schon holte sie einen großen Stein herbei, aber Pommerle nahm angstvoll das Puppenkind in den Arm.

»Durch das beherzte Zugreifen habe ich dich vor dem Krankenhause bewahrt,« sagte es zu seinem Puppenkinde. Die Notiz in der Zeitung wollte gar nicht mehr aus dem Kinderköpfchen herausgehen.

So vergingen die nächsten Tage. Hella Wangler war mit ihren Eltern abgereist, nochmals war alles genau verabredet worden, und Hella sowie Pommerle freuten sich herzlich auf das Wiedersehen in Berlin. Benders wollten in einem Hotel Wohnung nehmen, den nächsten Tag für ihre Besorgungen freihalten, Pommerle sollte in der Zeit bei Wanglers sein. Am nächsten Tage wollte man nach Hirschberg weiterfahren.

So kam denn auch für Pommerle der Tag der Abreise von Neuendorf immer näher heran, und Frau Bender begann bereits mit dem Einpacken. In Begleitung Pommerles machte man noch einige Einkäufe, denn man wollte Anna, Jule und einigen Bekannten etwas mitbringen und erwarb verschiedene niedliche Sachen.

»Kann ich dem Jule nicht auch was mitbringen, Tante?« fragte Pommerle.

»Aber freilich, mein Kind.«

»Und meiner lieben Lehrerin?«

»Auch der.«

»Dann muß aber die Anna auch noch was von mir haben.«

»Hast du denn so viel Geld, Pommerle?« fragte Professor Bender lachend.

»Ja, Onkel – ich habe fünfzig Pfennige.«

»Was willst du denn kaufen?«

»Recht was Schönes!«

Aber in den Geschäften, die in Neuendorf waren, fand Pommerle nichts Geeignetes, obwohl es alles genau besah. Frau Bender mußte mehrfach mahnen, daß die Kleine endlich käme.

»Ich muß doch noch einkaufen.«

»Du kannst dir heute nachmittag überlegen, was du kaufen willst.«

Da saß nun Pommerle am Tische und zählte nochmals ihre Barschaft.

Am Strande war eine kleine Bude aufgeschlagen, dort gab es wunderschöne Dinge. Da waren große Muscheln, schöne bunt bemalte Flundern aus Holz, Bilder – ach, es war eine Pracht! Pommerle hatte schon oftmals davorgestanden und sehnsüchtig all die Herrlichkeiten angestaunt. Dort fand es gewiß etwas Geeignetes, was Jule erfreuen würde.

Aber ehe es des Nachmittags ans Einkaufen ging, mußte Pommerle noch einen Brief an Hella schreiben, in dem es der Spielgefährtin mitteilte, daß es am Donnerstag gegen Mittag zu ihr kommen werde.

Pommerle schrieb den Brief, klebte ihn zu, klebte auch die Marke auf und eilte dann zu dem kleinen Strandbazar. Dort stand, wie immer, Herbert Affmann, denn auch er bewunderte die schönen Dinge, die hier zu kaufen waren. Besonders ein Säckchen mit Muscheln interessierte Pommerle. Ob sie dieses Säckchen der Lehrerin schenkte?

Hanna Ströde beriet mit Herbert.

»Nimm ihr einen Beutel mit Sand mit,« sagte der Knabe, »in der Stadt haben sie keinen Sand. Meine Tante aus Breslau hat sich auch 'mal Sand mitgenommen, als sie hier war.«

Aber Pommerle gefiel eine Holzflunder, auf der das Meer und einige Strandkörbe gemalt waren, viel besser.

»Das ist sehr schön,« meinte das Kind.

Als es nach dem Preise fragte, stellte es sich heraus, daß die Flunder fünfzig Pfennige kostete.

»Das geht nicht,« sagte Pommerle, »ich muß noch drei andere Sachen kaufen und habe nur fünfzig Pfennige.«

Die freundliche Verkäuferin legte der Kleinen verschiedene Sachen vor, aber Pommerle schaute immer wieder sehnsüchtig nach der Holzflunder. Es griff in sein Täschchen – da steckte ja noch der Brief an Hella.

»Wollen Sie eine Briefmarke?«

»Die laß lieber auf dem Briefe kleben, mein Kind. Ich gebe dir die Flunder für vierzig Pfennige und dann nimmst du noch ein Säckchen mit Muscheln dazu.«

Pommerle war überglücklich. Die Lehrerin bekam die Flunder, Jule die Muscheln, und Anna bekam ein Säckchen mit Sand. Sie mußte jetzt schnell heimlaufen und von der Tante ein Säckchen erbitten.

»Vielleicht freut sich dein Jule auch über schöne Steine?«

Herbert bückte sich, suchte mehrere runde Steine aus und hielt sie Pommerle hin.

»O ja,« meinte das Kind.

Es stopfte sich die Tasche voller Steine.

»Nun hat er doch Steine und Muscheln,« meinte Herbert, »da könntest du mir vielleicht die Muscheln schenken.«

»Meinst du, daß er sich über die Steine toll freut?«

»Da hat er doch viel mehr als an den paar Muscheln.«

Auch dieses Geschäft wurde gemacht. Herbert erklärte sich noch bereit, Pommerle eine ganze Menge Steine ins Haus zu bringen, damit der Jule recht viel bekäme.

Frau Jäger, die zuerst von Pommerle angesprochen wurde, meinte, sie könne der Kleinen solch ein Säckchen geben.

»Wäre es nicht besser, mein Kind, ich schenkte dir für deinen Freund eine Flasche mit Himbeersaft? Ich habe gerade welchen eingekocht. Darüber freut er sich gewiß viel mehr als über den Sand und die Steine.«

Pommerle war begeistert. Aber den Sand wollte es trotzdem mitnehmen. Es ließ sich also von Frau Jäger in eine mittelgroße Flasche schönen, duftenden Himbeersaft einfüllen, dann korkte man die Flasche zu.

»Mußt unterwegs gut aufpassen, mein Kind, daß der Korken nicht herausgeht.«

Die Kleine strahlte. Vom Strande holte es sich den Sand, füllte den Sack prall voll und schleppte etwa zehn Pfund keuchend heim. Oh, was hatte es nun für prächtige Geschenke! Es besaß selbst einen kleinen Koffer, den es tragen durfte. In dieses Gepäckstück sollten die herrlichen Geschenke gelegt werden.

Aber der Koffer erwies sich als viel zu klein. Allein schon die Steine füllten ihn ganz aus. Der Sandsack hatte nun gar keinen Platz mehr. Aber Pommerle wußte Rat. Den Sandsack wollte es in die eine Hand nehmen, den Koffer in die andere. Zu unterst kam die schöne Flunder, dann wurden die Steine darauf gelegt, dann bohrte Pommerle mit der Flasche eine Vertiefung. Sogar die Flasche fand auch noch Platz. Aber die Puppen und der Gummifrosch gingen nicht hinein. Da war guter Rat teuer!

Der Gedanke, zwei Puppen in den Arm zu nehmen, mußte fallen gelassen werden, denn es hatte bereits genügend zu tragen. In Hirschberg hatte es einen kleinen Rucksack. Wie schön wäre es gewesen, wenn es den hier gehabt hätte. – Was nun?

Vielleicht nahm der Onkel den Gummifrosch und die Puppen unter den Arm. Am Ende fanden sie etwa auch noch in dem großen Koffer der Tante Platz. So trug Pommerle seine Schätze hinüber ins Zimmer der Tante und brachte sein Anliegen vor.

»Du hast recht, Pommerle, das alles wird in dein Köfferchen nicht hineingehen. Du hast so viele neue Sachen bekommen, ich werde die Puppen mit einpacken. Aber den Frosch kannst du allein tragen. Den nimm in den Arm.«

Da fand Pommerle auch wieder einen Ausweg. Es band den Frosch an einen Bindfaden, indem es dessen eines Bein umschnürte, und hing ihn an den immerhin schweren Koffer.

»O je,« sagte die Kleine, »ist der aber schwer!«

Die Steine polterten, als das Kind den Koffer aufhob. »Wird sich der Jule aber freuen!«

Am nächsten Tage ging es in aller Frühe ans Abschiednehmen. Der Wagen fuhr vor, denn Neuendorf hatte keine Eisenbahn, man mußte im Wagen bis Warnow fahren, um dort den Zug nach Berlin zu erreichen.

»Hole dein Köfferchen, wir fahren gleich ab.«

Da Professor Bender und Frau noch mit dem Jägerschen Ehepaar sprachen, merkten sie es nicht, daß das Kind zuerst mit dem Sandsack angeschleppt kam, den der Kutscher lachend in den Wagen legte. Dann kam der Frosch an die Reihe, und schließlich keuchte Pommerle mit seinem kleinen Köfferchen daher.

»Was nimmst du denn da alles mit?« fragte der Fuhrmann Will. »Der Koffer ist ja mächtig schwer.«

»Schöne Sachen für den Jule,« erwiderte die Kleine geheimnisvoll.

Nun noch ein herzliches Abschiednehmen, denn viele Neuendorfer hatten sich vor dem Jägerschen Hause eingefunden; noch ein Winken und Grüßen, dann zogen die Pferde an.

»Komm bald wieder, Hanna!« rief Herbert, und auch Grete Bauer winkte lebhaft.

»Im nächsten Jahre bringe ich euch das kleine Pommerle wieder,« rief Herr Professor Bender winkend zurück.

»Ja – ich komme wieder,« sagte die Kleine und wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

In Warnow half der Kutscher die Sachen herausgeben und stellte alles zunächst auf den Bahnsteig.

»Was hast du denn in dem Sack, mein Kind?« fragte Frau Bender.

»Etwas für die Anna.«

»Was ist denn das?«

»Schöner weißer Ostseesand!«

»Aber, Pommerle – das geht doch nicht. Wie willst du denn den schweren Sack tragen? Wir schütten ein wenig davon aus, und du legst einen Beutel davon in deinen Koffer.«

»Ach nein, Tante,« sagte Pommerle, indem es sich rasch auf den Sandsack setzte, »die Anna muß doch viel haben. Der Jule bekommt doch auch so viel.«

»Nein, mein Kind, das geht nicht. Wir müssen in Stettin umsteigen, in Berlin haben wir sogar auf einen anderen Bahnhof zu gehen. Wir wollen wenigstens etwas ausschütten. Anna freut sich, auch wenn sie nur die Hälfte bekommt.«

»Meinen schönen Sand,« meinte Pommerle kläglich, »ich wollte doch die Anna sehr erfreuen.«

Die Hälfte des Sandes wurde ausgeschüttet. Frau Bender hätte gern noch mehr fortgetan, aber Pommerle bat so kläglich, daß die gute Frau Professor den Sack wieder zuband, der nun nur noch etwa fünf Pfund enthielt.

»Im Zuge werden wir zusehen, daß wir ihn in deinen kleinen Koffer legen, damit du nicht zwei Pakete zu tragen hast.«

Im Zuge gab es aber zuerst allerlei zu sehen. Man fuhr nicht allein; es waren noch zwei Damen im Abteil, die sehr schweigsam waren und sich in die Ecken drückten. Pommerle saß neben dem Onkel am Fenster. Es gab so viel zu fragen.

»Onkel – gib mir doch bitte 'mal meinen Koffer aus dem Netz, ich möchte 'mal nachgucken.«

»Richtig, wir wollten ja den Sand hineinlegen.«

Da der Kutscher den Koffer ins Netz gelegt hatte, ahnte Professor Bender nicht, daß der kleine Behälter so schwer war. Er wollte ihn ohne jede Kraftanstrengung herunterheben, staunte aber über die Last. Mit einem energischen Ruck zog er den Koffer aus dem Netz.

»Aber, Pommerle – was hast du denn da hineingepackt?«

»Sehr was Schönes für den Jule,« erwiderte das Kind verzückt.

In diesem Augenblick hielt der Zug an, eine alte Dame stieg ein, die sich neben Professor Bender setzte. Pommerle hielt den kleinen Koffer auf den Knien.

Als sich der Zug in Bewegung setzte, streckte Frau Bender die Hand danach aus.

»Gib 'mal her, Pommerle, jetzt wollen wir rasch umpacken, denn das Sandsäckchen muß noch hinein. Der Onkel trägt dann den Koffer, falls er zu schwer wird, und du nimmst die Schirme.«

»Was hast du denn in dem Sack, mein Kind?« fragte Frau Bender.

»Aber nichts wegschütten!« bat das Kind, »das ist alles für den Jule.«

Pommerle drückte den Koffer nochmals recht innig an sich.

»Warte, ich helfe dir,« sagte Herr Professor Bender, nahm den Koffer, setzte ihn zuerst auf seine Knie und wollte ihn eben seiner Gattin hinreichen, als Frau Bender plötzlich aufschrie:

»Was tropft denn da heraus! – Pommerle, wie siehst du denn aus?«

Aber Pommerle betrachtete schon seine Hände. Die waren ganz klebrig. Professor Bender setzte den Koffer hastig auf den Boden, auf seinen Beinkleidern zeigten sich dicke, glänzende Tropfen.

»Was hast du denn in deinem Koffer, Pommerle?«

»Pfui, hier hinten läuft ja ein dicker Brei auf der Bank entlang,« rief die zuletzt eingestiegene Dame entrüstet.

Alle Insassen des Abteils erhoben sich. Der auf der Erde stehende kleine Koffer wurde geöffnet – Steine, Scherben und ein Rest Himbeersaft in einer zerschlagenen Flasche wurden sichtbar.

»Mein schöner Saft!« schrie Pommerle erschreckt auf, »mein schöner Saft für den Jule!«

Eine beispiellose Verwirrung entstand. Pommerles Kleid, seine Hände und Strümpfe, alles klebte vor Saft. Professor Bender war ebenfalls beschmutzt, und da Pommerle, als jetzt der Zug eine scharfe Kurve machte, auf die Tante fiel, zeigte auch sie Spuren des klebrigen Saftes.

Die drei anderen Damen begannen zu schelten. Professor Bender entschuldigte sich zwar sogleich, doch das half gar nichts.

»Mein Mantel ist verdorben,« sagte eine der Damen, »fühlen Sie nur, überall klebt es!«

Frau Bender hatte das Taschentuch hervorgezogen und begann das Kind zu säubern, auch Herr Bender rieb an seinen Beinkleidern. Aber der Schaden war nicht so schnell wieder zu beseitigen.

»In Wietstock haben wir zehn Minuten Aufenthalt. Dort wollen wir unter die Wasserleitung gehen und das Kind säubern.«

Pommerle war ganz kleinlaut geworden, zumal Frau Bender kurz entschlossen Steine und Flaschenscherben aus dem Fenster warf.

»Am liebsten würde ich den Koffer hinterdrein werfen,« sagte sie verärgert, »er tropft immer noch.«

Das Kind erhielt heftige Vorwürfe. Es drückte den Gummifrosch fest an sich, bis Herr Bender sagte:

»Du machst ja den Frosch auch noch schmutzig, laß ihn doch liegen.«

Endlich war Wietstock erreicht. Die drei Damen verließen mit bösen Blicken auf das Ehepaar und das Kind das Abteil, Frau Bender nahm Pommerle und den Koffer, stieg aus, während der Professor zurückblieb, um mit Hilfe von Zeitungspapier eine Reinigung des Abteils vorzunehmen.

Verschiedene Reisende drehten sich nach Frau Bender und der Kleinen um und lachten. Pommerle hielt den großen Frosch fest im Arm, denn auch das Gummitier brauchte notwendig eine Abreibung. Man mußte erst durch die Unterführung hindurchgehen, um zu der Wasserleitung zu gelangen, die auf dem anderen Bahnsteig angebracht war.

Nun begann eine gründliche Reinigung. Mit Hilfe von angefeuchteten Taschentüchern, die immer wieder ausgewaschen wurden, säuberte Frau Bender ihr Pflegekind.

»Einsteigen!« erscholl es.

Du liebe Zeit, man war noch lange nicht fertig. Der Koffer stand noch genau so schmutzig, wie er gewesen war, neben dem Brunnen.

»Meine Beine kleben noch mächtig, Tante.«

»Wollen Sie drüben mit dem Zuge mitfahren, dann müssen Sie sich beeilen.« Es war ein Bahnbeamter, der Frau Bender schon längere Zeit beobachtete.

Es blieb keine andere Wahl. Man mußte den kleinen, billigen Koffer einfach hier stehenlassen.

»Meine Flunder!« rief Pommerle verstört, als es mit der Tante den Bahnsteig entlang eilte. Das Kind riß sich los, eilte zurück – –

»Pommerle, Pommerle,« rief Frau Bender angstvoll.

»Beeilen Sie sich!« drängte der Beamte.

Frau Bender lief hinter dem Kinde her, das aus dem klebrigen Koffer die Flunder hervorzog.

»Laß die schmutzige Flunder darin!«

Aber Pommerle hatte das kostbare Geschenk schon ergriffen, drückte es an die Brust und rannte der Tante entgegen, die nun beide, wie gehetzt durch die Unterführung stürmten.

Professor Bender stand an der weit geöffneten Tür des Abteils und winkte schon von weitem.

Atemlos erreichten beide die Tür, die sofort hinter ihnen geschlossen wurde; man hörte die scheltende Stimme eines Bahnbeamten, dann setzte sich der Zug in Bewegung.

»Pommerle – –« Frau Bender rief es entsetzt. Von der Holzflunder tropfte der Himbeersaft herunter.

»Meine schönen Steine!« sagte das Kind kläglich, »jetzt habe ich nichts für den Jule.«

Aufs neue begann Frau Bender mit den durchnäßten Taschentüchern die Flunder abzuwischen und des Kindes Kleidchen abermals ein wenig zu säubern. Sie ersehnte Stettin, um endlich den Schaden völlig beseitigen zu können. Dort hatte man eine halbe Stunde Zeit, dann konnte sie das Kind umkleiden, denn in dieser Verfassung konnte es unmöglich nach Berlin kommen.

Die Fahrt verlief recht schweigsam. Herr Bender war verstimmt, denn seine Beinkleider klebten noch immer, und auch Frau Bender fühlte sich nicht behaglich.

Alle waren froh, als Stettin endlich erreicht war. Jetzt gelang es auch, das Kind umzukleiden, sogar Herr Professor Bender konnte sich völlig reinigen.

Die Reise wurde daher in besserer Stimmung fortgesetzt; nur Pommerle war nach wie vor recht still. Sein Sandsack war klein geworden, die schönen Steine hatte die Tante fortgeworfen, der Himbeersaft war ausgelaufen und der kleine niedliche Koffer überhaupt nicht mehr vorhanden.

Das alles waren große Verluste für das Kinderherz. Wie gut, daß es wenigstens den Gummifrosch noch hatte! Den durfte sich der Jule recht oft ansehen, dann hatte er doch auch noch eine Freude.


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