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Die Robinson-Insel

Klein-Goldköpfchen stand im Garten neben dem Monteur, der sich mit dem Springbrunnen beschäftigte. Sehnsüchtig wartete sie darauf, daß aus der langen Röhre endlich wieder ein Wasserstrahl herausschießen möge, genau so, wie sie es in Dresden in einem großen Garten gesehen hatte.

»Kommt es noch immer nicht?«

»Heute wird es überhaupt noch nichts. Alles ist verrostet, ich muß vieles ergänzen. Das macht viel Arbeit.«

»Lassen Sie das Wasser recht hoch springen, dann stelle ich mich im Badeanzug drunter und lasse mich bespritzen. – Oh, das wird fein sein!«

Während der Monteur emsig weiterarbeitete, ging Erna, wie sie es immer tat, mit den Händen auf dem Rücken durch den Garten. Sie besah aufmerksam die verschiedenen Beete, stellte fest, daß die Petersilie und die Mohrrüben gut wuchsen und wanderte weiter bis zum äußersten Ende des großen Gartens, wo vor dem Schuppen ein riesiger Apfelbaum stand. Zu schade, daß sie nicht im Herbst hier war, wenn die vielen Äpfel reif waren. Dann kam die Hecke mit den vielen Johannisbeersträuchern und schließlich die großen Fliederbüsche.

Plötzlich blieb sie stehen. Aus dem Garten des Nachbargrundstückes erscholl lauter Lärm. Erna hatte bisher von dorther niemals Lärm gehört; in dem großen Garten war es immer recht still gewesen. Vom Großvater wußte sie, daß der Garten zu dem grünen Hause gehörte, das vor mehreren Jahren ein pensionierter Kapitän erbaut hatte. Den alten Kapitän Korber kannte Klein-Goldköpfchen. Sie hatte im vorigen Jahre seine Bekanntschaft gemacht, war auch schon einige Male in seinem Garten gewesen.

Wo kamen plötzlich die Kinder her, die dort lärmten?

Erna trat dicht an die hohen Fliederbüsche heran, bog die Zweige auseinander und erblickte vier Knaben, die alle ein wenig älter sein konnten als sie. Sie schrien und lärmten durcheinander. Auf dem Rasenplatz, den sie übersehen konnte, standen mehrere große Kisten, ein Plättbrett war an einen Baum gelehnt, über dessen Äste mehrere Tücher hingen. Kurzum, es herrschte ein geschäftiges Leben und Treiben auf dem Rasenplatz.

Erna stand und schaute. Vier Knaben begannen mit Schaufeln um die Kisten einen Graben auszuheben.

»Es muß doch eine Insel sein«, hörte Erna den größten rufen, »so eine richtige Robinsoninsel. Ringsum ist das weite Meer, und ich wohne hier ganz allein, habe nur meinen Brotbaum.« Dabei wies er auf einen Nußbaum, der nicht weit von den Kisten stand.

»Und ich bin der Freitag, dein treuer Schwarzer, den du befreit hast. Ich bin dir treu ergeben, Robinson, ich kämpfe und schieße für dich nach den wilden Tieren, damit wir was Ordentliches zu essen haben.«

»Die Bella müssen wir auch noch holen, die ist dann das Lama des Robinson!«

Erna lauschte mit hochroten Wangen. Die Bella kannte sie genau. Das war der große Bernhardinerhund des Kaufmanns Kreiling, und die beiden Knaben, die eifrig beim Schippen halfen, waren dessen Söhne Max und Moritz.

»Ich hole die Bella«, rief Max, »und bringe gleich noch 'nen Haufen Holzwolle mit. Robinson muß doch ein Lager haben.«

Ein sehnsuchtsvoller Blick trat in Klein-Goldköpfchens Augen. Vom Robinson wußte sie auch schon mancherlei. Bruder Hermann besaß ein dickes Buch, das er schon mehrfach gelesen und Geschichten daraus erzählt hatte. Robinson war ein fauler Schlingel gewesen, der seinen Eltern fortlief und schließlich als Schiffsjunge auf ein Segelschiff kam. Dieses Schiff wurde vom Sturm zerschellt. Robinson aber rettete sich auf eine kleine, einsame Insel, die mitten im großen Meere lag. Nichts hatte er, gar nichts. Mühsam baute er sich aus Palmenblättern eine Hütte und lebte von den Früchten, die er auf der Insel fand. Eines Tages fand er am Ufer des Meeres einen Schwarzen, der an Händen und Füßen gefesselt war. Nur mit Mühe konnte sich Robinson mit dem armen Burschen verständigen. Er hörte, daß der Schwarze hier ausgesetzt worden war, weil er ein Feind des Stammes war. Robinson befreite den Gefesselten und nannte ihn, weil er ihn an einem Freitag gefunden hatte, »Freitag«. Der Schwarze war Robinson treu ergeben und teilte mit ihm Leid und Freuden.

Max kam zurück, beide Arme voll Holzwolle, neben ihm schritt der große braun-weiße Bernhardinerhund einher.

»Robinson, hier bringe ich dir dein Lama!«

Da brach Erna in Lachen aus. Sie kannte die Bilder des Buches genau und wußte, daß Robinson ein ganz kleines, junges Lama gefunden hatte, das er aufzog.

Vier Knabenköpfe fuhren herum, und vier Augenpaare blickten hinüber nach der Richtung, aus der das Lachen gekommen war. Nun sahen sie Ernas Blondkopf zwischen den Fliederzweigen.

»Das ist die vom Apotheker Wagner«, sagte Moritz, »die kenne ich. Sie ist schon mal hier gewesen.«

»Warum lachst du?« fragte einer der anderen Knaben.

»Das ist doch kein Lama! Der Robinson hat doch ein ganz kleines Lama gefunden. Was sollte er mit so 'nem großen Hund machen? Der frißt ihm ja das bißchen Essen weg, was er auf der Insel findet.«

»Was weißt denn du vom Robinson?« fragte der älteste Enkel des Kapitäns.

»Oh, ich weiß alles«, erwiderte Erna wichtig, »ich bin doch weltklug! Ich weiß, daß sich der Robinson eine Hütte baute. Kisten hat er aber nicht gehabt. Da müßt ihr euch schon in die Erde ein Loch graben. Und dann müßt ihr auch einen Aussichtspunkt machen, einen Felsen, auf dem stand der Robinson und guckte, ob kein Schiff kommt.«

»Ja, einen Felsen als Aussichtspunkt müssen wir haben.– Wie machen wir das?«

»Wir stellen drei Kisten aufeinander.«

»Nein, ihr müßt auf den Baum kriechen«, rief Erna hinüber. »Dort oben legt ihr ein Brett hin und macht euch einen hohen Sitz. So einen Sitz haben wir uns daheim auch in den Bäumen gemacht.«

Die beiden Enkelsöhne des Kapitäns, der dreizehnjährige Lothar und der elfjährige Erik, kamen der Fliederhecke näher.

»Willst du mit uns mitmachen?«

»Ich kann doch hier nicht durch.«

»Robinson macht alles«, rief der ältere Knabe. »Wir machen ein Loch in die Hecke, da kannst du durchkriechen.«

»Du kannst ja auch unser Lama sein.«

»Ich bin doch kein Tier. Aber der Robinson könnte sich ja eine Frau holen.«

»Der Robinson hat keine Frau«, rief Erik.

»Nun, er konnte ja eine finden.«

»Nein, eine Frau braucht er nicht«, bestimmte Erik, »eine Frau kann der Robinson auf seiner einsamen Insel nicht brauchen.«

Erna, die gar zu gerne mitspielen wollte, erklärte erneut: »Die Frau Robinson kocht euch dann Schokoladenspeise und bringt euch süßen Wein, den mein Opa in einem Faß unten im Keller hat. Sie hält die Kinder in Ordnung – –«

»Quatsch«, rief Erik, »der Robinson hat keine Kinder und keine Frau. Es ist schon besser, du bist das Lama. Da hast du es bei uns sehr gut.«

»Ach ja, sei mal das Lama«, rief Max, »als Frau mußt du zuviel schuften. Wenn du aber das Lama bist, machen wir dir ein weiches Lager und streicheln dich.«

»Na, dann werde ich mal das Lama sein«, sagte Erna. »Das Lama kann ja auch allerlei für euch tun.«

»Abgemacht«, sagte Moritz, »ich bringe den Hund wieder weg, er sitzt ja doch nur faul herum, und das Lama kann uns helfen. Jetzt grab mal gleich mit, denn wir müssen erst die Insel haben.« Bei diesen Worten drückte er Erna einen Spaten in die Hand. Erna begann sogleich mit der Arbeit.

»Eine richtige Insel muß es werden«, rief Lothar, der Robinson.

»Was seid ihr denn?« fragte Erna die beiden Söhne des Kaufmanns, Max und Moritz.

»Wir sind der wilde Stamm der Seeräuber, wir finden den Robinson auf der Insel und werden mit ihm kämpfen. Wir kommen mit unseren Pfeilen, mit unseren Messern und machen 'ne regelrechte Schlacht.«

»Und ich verteidige meinen Freund Robinson«, rief Erik, »ich bin ja der Freitag! Ich lasse die wilden Stämme nicht erst landen.«

»Au – fein«, jubelte Erna, »das wird aber ein schönes Spiel sein.«

»Erst müssen wir unsere Insel bauen und unsere Wohnung haben. Ein Boot müssen wir auch zimmern. Das wird 'ne Kiste.«

»Nee, wir nehmen den Roller, damit können wir wie im Boot rund um die Insel fahren!«

So war die Freundschaft zwischen Erna und den vier Knaben geschlossen. Erna erfuhr im Laufe des Spielens, daß Robinson und Freitag in Dillstadt zu Besuch bei ihrem Großvater, dem alten Kapitän Korber, waren. Die Mutter war auch mitgekommen. Der Vater war fern, er weilte als Ingenieur im Auslande.

Gar fleißig wurde gearbeitet. Erna hörte gegen vier Uhr das Rufen des Opas. Es war Kaffeezeit, er wollte das Kind holen.

»Opa«, rief sie, so laut sie konnte, »ich habe wirklich keine Zeit, ich bin das Lama vom Robinson und muß arbeiten.«

Herr Wagner trat an die Hecke heran. Er sah das kleine Loch, das die Knaben für Erna ausgehoben hatten, damit sie bequem in den Nachbargarten gelangen konnte.

»Also hier steckst du!«

»Opa, guck mal, das hier wird 'ne Insel, und ich bin das Lama. Dann kommen die wilden Stämme mit ihren Pfeilen und wollen den Robinson überfallen. Aber wir, haben einen Ausguck, wir sehen sie kommen, und dann werden wir die wilden Stämme schon kriegen. – Opa, willst du auch ein wilder Stamm sein?«

»Danke herzlich!«

»Opa, du mußt uns später von deinem guten Wein geben, denn der Robinson muß doch was zu leben haben. – Ach, Opa, es ist hier so schön! Kriech fix mal durch und schippe ein bißchen. Mir tun schon die Arme sooo weh!«

»Das macht beim Robinson gar nichts«, lachte Herr Wagner, »der muß tüchtig arbeiten. Und nun komm Kaffee trinken, die gute Großmama wartet schon.«

»Ich habe gar keinen Hunger, lieber Opa!«

»Komm fix, Klein-Goldköpfchen. Nach dem Kaffeetrinken kannst du wieder hierher gehen. Eine Pause tut dir gut, dir stehen ja schon die Schweißtropfen auf der Stirn.«

Das Kind mußte mitkommen, obwohl es sich ungern von der fröhlichen Schar entfernte.

»Ich komme gleich wieder, dann machen wir unsere Insel fertig.«

Von dieser Stunde an wurde im Garten des Kapitäns furchtbar gearbeitet. Sogar der alte Herr freute sich an dem regen Treiben der vier Knaben, denen das Lama half. Die merkwürdigsten Forderungen stellte man an den alten Herrn; er sollte das Unmöglichste heranschaffen, damit es wirklich eine Robinsoninsel werde. Lothar meinte, der ganze Krempel sei nicht richtig, eine Insel müsse von Wasser umgeben sein. Der Großvater solle zusehen, ob er es nicht einrichten könne, daß jenes Graseiland im Wasser schwimme.

»Du kennst doch Inseln«, sagte Erik, »du bist als Kapitän auf vielen Inseln gewesen. Das hier ist ja Quatsch! Wenn du auf einer Insel gelebt hast, konntest du überall Wasser sehen.«

»Ja, wir müßten eine richtige Insel haben«, meinte das Lama.

»Großvater«, beharrte Lothar, »du mußt uns mindestens einen breiten Graben anlegen lassen.«

»Wenn wir unser Lager am Bach bei der Färberei aufschlügen, hätten wir richtiges Wasser«, sagte Max, der Sohn des Kaufmanns.

»Richtiges Wasser haben wir in unserem Garten«, jauchzte das Lama. »Der Springbrunnen gibt von morgen an Wasser, so hat der Opa gesagt. Wir haben eine gemauerte Grube, dort spritzt der Wasserstrahl hinein.«

»Au – fein«, lärmten die Knaben, »wir machen die Insel drüben beim Apotheker!«

»Kommt gleich mal mit«, sagte das Lama und kroch als erste durch das Loch in der Fliederhecke. Die vier Knaben krochen nach, und bald standen alle vor dem großen gemauerten Becken des Springbrunnens. Wasser befand sich bereits darin.

»Das muß anders gemacht werden«, sagte Lothar nach einer Weile. »Das gemauerte Ding da ist unsere Insel, der Wasserstrahl aber muß so gelenkt werden, daß er nicht ins Becken spritzt, sondern darüber hinaus. Jedesmal, wenn dann die wilden Stämme ankommen, lassen wir das Wasser spritzen.«

»Hurrah – hurrah! Jetzt haben wir 'ne feine Robinsoninsel. – Nu' her mit den Kisten!«

Schon begann eifriges Hin und Her. Kisten wurden herbeigetragen, bis Max plötzlich Einhalt gebot. »Es könnte sein«, meinte er nachdenklich, »daß der Apotheker das Wasser nicht anders spritzen läßt als in das gemauerte Ding.«

»Oh, ich sage ihm, daß das unsere Insel ist, dann macht er es schon«, lachte Klein-Goldköpfchen, »mein Opa macht alles, was ich will!«

Diese Worte waren so ausschlaggebend für die vier Knaben, daß mit dem Bau des Hauses im Becken begonnen wurde.

»Etwas Grünes muß natürlich auch da sein, unser Lama muß doch fressen.«

»Wir stechen Rasen aus, dort drüben ist ja genug, und legen ihn hier herum. Die andere Seite ist dann die steinige Küste.«

»Und unser Ausguck?«

»Die Röhre wird uns nicht aushalten«, meinte Lorenz.

»Nee, die hält nicht«, bekräftigte Erik.

»Einen Ausguck müssen wir unbedingt haben«, rief Max.

»Wir graben neben dem Bassin eine Stange ein. Ich kann dann fein daran hinaufklettern«, schrie Erik begeistert, »dann melde ich die wilden Stämme.«

»Ich kann auch klettern«, sagte Klein-Goldköpfchen.

»Ein Lama kann nicht klettern, ein Lama kann auch nicht sprechen und uns sagen, wenn die wilden Stämme kommen.«

»Wie macht ein Lama?« fragte Erna.

Einen Augenblick lang wußten die Knaben nichts zu sagen.

»Ich glaube – – es meckert«, sagte Moritz.

»Ach wo, ein Lama ist ein Schaf und macht bä–ä–ä–«, meinte Erik.

»Wenn ich ein Lama sein soll, muß ich wissen, wie ich rede.«

»Fragen wir unseren Großvater«, entschieden die Enkel des Kapitäns. »Der hat schon furchtbar viele Affen, Kamele und anderes Getier gesehen, der weiß auch, wie ein Lama macht!«

»Komm, wir gehen gleich zu deinem Großvater«, jubelte Klein-Goldköpfchen, faßte Erik an der Bluse und zog ihn nach rückwärts, hin zur Fliederhecke.

»Nee, ich bin der Freitag, ich muß mir erst meine Hütte bauen.«

»Du –« sagte die Kleine mit blitzenden Augen, »wenn du nicht gleich mitkommst, binden wir dich nachher, wenn wir Robinson spielen, fest mit Stricken zusammen und lassen dich lange an der steinigen Küste liegen. Dann kommen die Fische und fressen dich!«

»Ich komm' ja schon«, sagte Erik.

»Ja, du mußt mitgehen«, rief Lothar, »der Freitag hat die Aufgabe, unser Lama gut zu behüten.«

Kapitän Korber stand an der einstigen Robinsoninsel und schaute nach seinen Enkeln aus. Im Geschwindschritt sah er die beiden Kinder ankommen.

»Lieber Onkel Kapitän, wie macht ein Lama?«

»Was denn?«

»Bellt es, meckert es, oder macht es wie ein Schaf?«

»Ein Lama – spuckt.«

Erna schlug in die Hände. »O pfui, ist das ein Tier! Spuckt es immer? Sagt es gar nichts anderes?«

»Ja, mein liebes kleines Goldköpfchen, die genauen Laute eines Lamas weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, daß es einen Spucklaut von sich gibt.«

»Ach, lieber Onkel Kapitän, mach doch mal, wie es macht!«

»Pui« – sagte lachend der alte Herr.

»Pui – pui – pui! – – Das ist aber schön!«

»Du, aber anspucken darfst du mich nicht«, drohte Freitag. »Wenn ich auch der Diener von Robinson bin, so darfst du doch nicht spucken.«

»Pui – pui – pui – –« machte Erna.

Erik wich zurück und hielt beide Hände vor das Gesicht.

»Hab' keine Angst«, sagte Erna zärtlich, »ich spuck' dich nicht an. – Paß mal auf, ich kann immerfort pui pui sagen, dabei behalte ich meine Spucke im Munde. – Nicht wahr, Onkel Kapitän, ich spucke nicht?«

»Das wäre auch für ein kleines Mädchen sehr häßlich.«

»Ich bin kein kleines Mädchen, ich bin ein Lama!«

»Na, wie ein Lama siehst du nicht gerade aus.«

»Wie sieht ein Lama aus, Onkel Kapitän? Ist es weiß oder schwarz?«

»Nun, es hat ungefähr die Farbe des Kamels. Ein Kamel kennst du doch?«

»Oh, dann möchte ich auch wie ein Kamel aussehen!«

Erik brüllte vor Lachen. »Das Lama will wie ein Kamel aussehen! Du Kamel, du Lama-Kamel – –«

»Ich bin kein Kamel, ich bin ein Lama, und ein Lama ist etwas Hübsches.«

»Mußt dir eben ein hellbraunes Kleidchen anziehen oder ein Stück Stoff dieser Farbe umhängen«, meinte der alte Herr.

»Ich laß mir von meiner Oma ein Lamakleid machen, ich will ein ganz richtiges Lama sein. Ich gehe gleich zur Oma und laß mir so ein Kleid machen.«

»Warum brecht ihr denn hier eure Zelte ab?«

»Du gibst uns ja kein Wasser, Großvater. Wir haben drüben beim Apotheker 'ne viel schönere Insel.«

»Wo denn?«

»Komm mal mit!«

Bis an die Hecke ging der Kapitän mit.

»Kriech hier durch«, sagte Erna mit ihrer silberhellen Stimme.

»Nee, das kann ich nicht.«

»Na, warte mal«, meinte Erik, »ich krieche zuerst, dann ziehe ich dich, und das Lama stößt. Dann kriegen wir dich schon durch die Hecke.«

»Danke für dieses zweifelhafte Vergnügen. Ich kann ja von der Straße in den Garten kommen, um eure neue Insel zu sehen.«

»Wir müssen jetzt gehen, Großvater, wir haben Eile, sonst kommen die wilden Stämme. Die liegen ohnehin schon auf der Lauer. Unser Bau ist noch nicht befestigt. – Großvater, hast du keine Ziegel? Hol sie doch und schmeiße sie durch das Loch.«

»Erst will ich mir mal euren neuen Bau ansehen.«

Da war auch das Lama schon durch die Hecke verschwunden. Die beiden Kinder eilten dem Springbrunnen zu. Schon von weitem hörten sie die erregten Stimmen der drei Knaben.

»Fällt uns gar nicht ein«, rief Moritz.

»Nee, das machen wir nicht!«

»Das ist unsere Insel, die geben wir nicht her!«

Zwischendurch eine scheltende Männerstimme.

»Die wilden Stämme sind schon da«, sagte Erna zu Erik und eilte weiter. Aber es waren nicht die wilden Stämme, es war der Monteur mit seinem Gehilfen, der den Springbrunnen ausprobieren wollte. Als er die Kisten in dem Becken sah, verlangte er energisch deren Entfernung.

»Ferkel seid ihr alle«, zürnte der Monteur. »Im Wasser herumzupatschen!«

»In dem bissel Wasser können wir ruhig rumlaufen«, lachte Moritz, »wir gehen durch ganz andere Pfützen. Ich habe keine Strümpfe an, nur Sandalen, denn ich bin der wilde Stamm!«

»Macht, daß ihr mit den Kisten aus dem Becken kommt, sonst stelle ich das Wasser an!«

»Das ist jetzt unsere Insel!«

Inzwischen war Freitag mit seinem Lama herangekommen. Ernas Augen funkelten. »Hören Sie mal, der Robinson muß doch seine Insel haben. Lassen Sie das Wasser so spritzen, daß um die Insel ein See wird.«

»Packt euch mit den Kisten rasch fort, ich muß weiterarbeiten.«

»Nehmen Sie sich in acht«, rief Max und schwang die Streitaxt aus Pappe, »ich bin der wilde Stamm und kann gefährlich werden!«

»Und ich kann noch viel gefährlicher werden«, sagte der Monteur, »ich bin jetzt auch ein wilder Stamm!«

»Gehen Sie doch lieber wieder fort«, sagte das Lama besänftigend. »Das hier ist unsere Insel, da lassen wir keinen anderen herein.«

»Ich zähle bis drei«, rief der Monteur ärgerlich, »bei drei drehe ich den Hahn an. Eure Kisten werden bald unter Wasser stehen. Und ihr werdet pudelnaß. – Also: – eins!«

»Das ist 'ne Frechheit«, rief Moritz zürnend.

»Mensch, das ist unsere Insel«, schrie Lothar, »wir bleiben hier.« Dabei setzte er sich auf eine der Kisten.

»Zwei –« zählte der Monteur.

Mit einem Satz saß Freitag neben seinem Herrn auf der Kiste.

Auch Erna stieg ins Bassin.

»Mach, daß du herauskommst«, sagte der Monteur, »den Bengeln tut ein Wasserstrahl gut, aber du hast ein sauberes Kleid an.«

»Ich bin das treue Lama und bleibe bei meinem Herrn. – Du drehst ja doch das Wasser nicht an, denn das hier ist unsere Insel.«

»Zwei und ein halbes«, zählte der Monteur. »Ich warne euch zum letzten Male.« Dann gab er seinem Gehilfen einen Wink.

»Und – –«

»Das ist unsere Insel«, beharrte Erna erneut.

»Auf unserer Insel sind wir die Herren«, schrie Lothar.

»Drei!«

Eine Sekunde später sprang aus der Röhre ein hoher Wasserstrahl. Prasselnd fielen Tausende von Tropfen zurück in das Becken, auf die Kisten, auf die Kinder. Ein vielstimmiger Schrei.

»Pui – pui – pui«, schrie das Lama, sprang den Monteur an und wiederholte entrüstet: »Pui – pui – pui!«

»Aufhören«, brüllte Freitag, »das ist unsere Insel!«

Das Wasser sprühte weiter. Da sah auch Freitag ein, daß es das richtigste sei, die Insel zu verlassen. Er stieg über den Rand des Beckens. Als er außer dem Bereich des Wasserstrahles war, begann er heftig zu schelten.

Die beiden »wilden Stämme« hatten sich bereits in Sicherheit gebracht, nur eine Streitaxt aus Pappe schwamm auf dem langsam steigenden Wasserspiegel.

Der einzige, der die Flucht nicht ergriff, war Lothar. Trotz des niederfallenden Wassers blieb er mit verbissenem Gesicht auf der Kiste sitzen und murmelte: »Eine Gemeinheit ist das. Das ist meine Insel! – Aber«, dabei straffte sich sein Körper, »Robinson hat sich ja auch durch tausend Gefahren hindurchkämpfen müssen. Will mal sehen, wer hier der Sieger bleibt.«

»Wir sagen es deinem Großvater«, riefen Max und Moritz, »der wird den Menschen schon verjagen.«

Tobend und schreiend, wie es sich für zwei wilde Stämme geziemt, stürmten die Söhne des Kaufmanns in die Apotheke. Sie fanden dort zunächst Adrian, ließen sich von ihm zu Apotheker Wagner weisen und standen sehr bald keuchend und mit roten Köpfen vor Ernas Großvater.

»So 'ne Gemeinheit – –«

»Jagen Sie den Menschen doch rasch fort – –«

»Das Lama wollte er auch naßmachen – –«

»Er ersäuft unsere Insel – –«

Obwohl Wagner aus dem Durcheinander nicht klug wurde, da er nichts von dem Umzug der Robinsoninsel wußte, hielt er doch für gut und ratsam, den beiden »wilden Stämmen« zu folgen. Irgend etwas stimmte wieder einmal nicht.

Im Garten vernahm er das Geschrei der anderen Kinder. Schon hüpfte ihm das Lama entgegen.

»Opa, Opachen, das mußt du doch einsehen, daß das unsere Insel ist. Der Mann kann sein Wasser doch wo andershin spritzen lassen.«

Da stand nun Wagner an dem Springbrunnen, sah den Robinson wasserübersprüht auf der Kiste sitzen, sah die Streitaxt schwimmen und konnte nur mühsam das Lachen unterdrücken.

»Unsere Insel«, schallte es ihm mehrstimmig entgegen.

»Möchtest du deine feuchte Wohnung nicht verlassen, Robinson, – du Kistenbewohner!«

»Das ist meine Insel«, klang es trotzig zurück.

Wagner ließ das Wasser abstellen, doch das Becken war inzwischen bis zum Rande mit Wasser gefüllt. Drei Knaben und ein Mädchen redeten auf den Opa ein und versuchten ihm klarzumachen, daß der Monteur im Unrecht wäre.

»Aber, Klein-Goldköpfchen, du hast mich doch selbst gebeten, ich solle den Springbrunnen, der seit mehreren Jahren nicht im Gange ist, wieder in Ordnung bringen lassen. Deinetwegen habe ich es getan, und jetzt soll er wieder versiegen?«

»Nein, lieber guter Opa, aber er soll sein Wasser um die Insel springen lassen. – Das hier ist doch Robinsons Eiland.«

»Nein, das geht nicht. Zieht nur mit eurem Eiland wieder zurück auf den Rasenplatz.«

»Opa, dort ist doch kein Meer, und wir müssen ein Meer haben.«

»Das hier ist meine Insel«, klang es von Robinsons Lippen. Noch immer saß er auf der Kiste im Wasser.

»Nein, mein lieber Junge, das ist mein Springbrunnen«, sagte Wagner, »und wenn du jetzt deinen Sitz nicht verläßt, dann – –«

»Mich schützt Freitag!«

»Und die wilden Stämme«, brüllten die beiden Kaufmannsknaben.

»Auch das Lama verläßt seinen Robinson nicht«, flüsterte Klein-Goldköpfchen zärtlich und hing sich in den Arm des Großvaters. »Opa, laß uns unsere Insel, sie ist unser ganzes Glück.«

»So wollen wir einen Kriegsrat halten.«

»Ja, einen Kriegsrat! Ich bin der Häuptling«, schrie Moritz.

»Wasser gibt es nicht auf eurer Insel. Es ist viel schöner, wenn ihr die Qualen des Durstes durchmachen müßt.«

»Opa, vor Durst schlucke ich dann immerfort. – Opa, ich muß auch so ein Fell haben, wie es das Lama trägt.«

»Also, – meinetwegen mögt ihr vorläufig in dem Becken wohnen bleiben, aber der Springbrunnen springt nicht.«

»Wir brauchen doch ein Meer, Opa.«

»Grabt meinetwegen um das Becken einen Graben, damit die wilden Stämme nicht so leicht einsteigen können. Aber diese Pantscherei dulde ich nicht.« Dann sprach Wagner leise mit dem Monteur, doch der machte ein grimmiges Gesicht dazu. Erst sollte er die alten verrosteten Brunnenrohre wieder in Ordnung bringen, und jetzt sollte der Springbrunnen nicht in Tätigkeit gesetzt werden.

»Richten Sie alles so ein, daß die Kinder das Wasser nicht anstellen können, sonst machen sie nichts als dummes Zeug.«

»Und wenn Ihnen die wilden Stämme das Bassin zerschlagen?«

Wagner lächelte. »Sie sind alle nur zu den Ferien hier, in vier Wochen sind sie wieder fort. Da wollen wir ihnen ihre Freude lassen.«

So wurde die Robinsoninsel aus dem Garten des Kapitäns in den des Apothekers verlegt.

Schon am anderen Tage nähte Frau Wagner aus einem alten graubraunen Vorhang einen Anzug für das Lama. Das war vielleicht das billigste und zweckmäßigste. In dem Kleid, in Form eines Badeanzuges, konnte sich das Lama in Erdhöhlen aufhalten.

Erna war über den neuen Anzug entzückt. »Pui – pui – pui«, jubelte sie, »jetzt bin ich ein richtiges Lama!«


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