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Die Mitteilung, daß man im Herbst auf keinen Fall wieder nach Dillstadt reisen werde, löste bei den größeren Kindern tiefe Trauer, bei Marlene und Adele heiße Tränen aus. Doktor Kirschner versprach als kleine Entschädigung, er werde mit den Größeren am nächsten Sonntag bei schönem Wetter einen Ausflug nach der Sächsischen Schweiz machen.
»Mit den Größeren«, heulte Marlene los, »ich bin auch groß!«
»Und ich bin eine große Lieblichkeit«, weinte Adele, »ich komme auch mit in den sächsischen Schweiß!«
»Mutti, warum heißt das sächsischer Schweiß?« forschte Marlene.
»Dä. I.«, fiel Stefan ein, »es heißt Schweiz, genau so, wie die große Schweiz. Aber davon weißt du noch nichts!«
»Mutti, warum heißt das Schweiz?«
»Mein liebes Marlenchen, das ist eben der Name für das ganze Gebirge.«
»Ich weiß«, rief Jürgen, »im Gebirge muß man viel klettern. In der Schweiz hängen sich die Leute an Stricke, dann gehen sie an den Felsen hoch, genau so, wie in der Sächsischen Schweiz, und wenn sie endlich oben sind, sind sie voller Schweiß. Vor einer Million Jahren hat es einer verquatscht. – Mutti, meinst du nicht auch, daß die Schweiz zuerst ›der Schweiß‹ geheißen hat?«
»Das glaube ich nicht, Jürgen.«
»Doch, Mutti, ich glaub's! Der Kaufmann Wachter sagt, er hat in seiner alten Familie nachgeforscht; ganz früher hat er Wächter geheißen, denn seine Ur-ur-ur-ur-Großeltern waren mal Torwächter. Und mit der Schweiz ist es ebenso!«
»Mutti, weil wir hier in Sachsen sind, darum heißt es der sächsische Schweiß«, sagte Fritz sinnend.
»Und es gibt auch einen fränkischen Schweiß. Später haben es die Leute geändert und sagen auch Schweiz.« Jürgen blieb bei dieser Ansicht.
»Mutti, ich möchte auch in den sächsischen Schweiß«, weinte Adele, »ich schwitze so furchtbar gerne!«
»Für dich und Marlene steht am Sonntag eine ganz besondere Freude bevor. Der gute, alte Forstrat Schmeling holt euch in seine Villa; er will euch den ganzen Tag über dort behalten. Er hat gerade junge Dackelhunde. Mit denen dürft ihr spielen.«
»Ich möchte auch zu den Dackeln«, rief Fritz begeistert.
»Dann kannst du nicht mit uns zum Kuhstall gehen.«
»Mutti, ich nehme einen Dackel mit!«
»Nein, Fritz, du fährst mit uns am Sonntag in die Sächsische Schweiz. Wir fahren mit dem Auto nach Schandau, von dort gehen wir im Tale der Kirnitzsch entlang zum Lichtenhainer Wasserfall und weiter nach dem Moritzstein.«
»Ich denke zum Kuhstall?«
»Dummerchen, der Moritzstein ist ja der Kuhstall. Er ist der riesige Felsblock in Gestalt eines breiten, flachgedrückten Tordurchganges.«
»Warum heißt denn der Moritzstein Kuhstall?«
»Es wird behauptet«, erklärte Goldköpfchen weiter, »daß die Bauern im Dreißigjährigen Kriege mit ihrem Vieh dort Schutz suchten.«
»Na, dann will ich lieber mit zum Kuhstall kommen. Am Montag gehe ich dann mal zum Onkel Forstrat und sehe mir die jungen Dackel an.«
Hermann, Jürgen, Stefan, Erna und Fritz freuten sich unendlich auf die sonntägliche Wanderung mit den Eltern. Wohl kannten sie verschiedene schöne Punkte der Sächsischen Schweiz genau, trotzdem machte es ihnen immer wieder große Freude, gemeinsam mit den Eltern durch die herrliche Gegend zu wandern.
Schon am Sonnabendabend packten die drei Knaben ihre Rucksäcke. Es war so schön, im Walde zu essen. Jeder bekam seine Flasche mit kaltem Kaffee, die nötigen Butterbrote und einige Eier.
»Die ollen Jacken brauchen wir doch nicht mitzunehmen. Morgen ist es warm«, sagte Jürgen.
»Gegen Abend wird es kühl. An den Jacken tragt ihr euch nicht krumm, und ich habe keine Lust, euch am Montag zu kurieren.«
»Bleibt das Auto in Schandau? Vati, wir könnten doch gleich mit dem Auto bis zum Kuhstall fahren, da brauchen wir nicht zu laufen«, sagte Stefan.
»Du Faulpelz! Gerade die Wanderung ist das Schönste am Tage.«
Am Sonntagmorgen rüstete man zum Aufbruch. Man wollte gegen neun Uhr abfahren, um möglichst viel von der schönen Gegend zu genießen. Da kam kurz vor der Abfahrt ein Anruf. Doktor Kirschner wurde zu einer Patientin, die plötzlich schwer erkrankt war, gerufen. Da sie außerhalb Heidenaus wohnte, brauchte er den Wagen.
Ein paar Augenblicke lang schauten die Kinder verstört auf die Eltern. Angstvoll faßte Jürgen der Mutter Hand. »Kommt der Vater bald wieder?«
Doktor Kirschner sprach leise mit seiner Frau. »Nach dem, was man mir eben sagte, wird mein Aufenthalt längere Zeit in Anspruch nehmen. Ich möchte aber nicht, daß der Ausflug verschoben wird. Fräulein Rettich kommt mit. Ihr fahrt mit dem Zuge nach Schandau.«
»Es tut mir sehr leid für dich, Ewald. Dir hätte eine Ausspannung sehr gut getan. Aber da dich die Pflicht ruft, müssen wir uns ohne dich begnügen.«
»Recht so, Bärbel, die Kinder dürfen nicht um ihre Freude kommen.«
Es wurde allgemein bedauert, daß der Vater mit dem Wagen fortfuhr und nicht mitkommen konnte. Der Zug, der alle nach Schandau bringen sollte, ging erst in einer halben Stunde.
»Es ist schlimm«, meinte Erna, »wenn man einen Ehemann zum Manne hat, der immerfort weggeholt wird. Wenn ich mal heirate, nehme ich mir einen Ehemann, der immer bei mir sitzt, der mir, wenn ich stricke, die Wolle hält.«
»Nee, so 'nen Mann möchte ich nicht«, lachte Fritz.
»Du brauchst ja keinen«, meinte Erna wichtig, »du mußt eine Frau haben, die dir immerfort die Strümpfe stopft und die Knie mit Pflaster zuklebt, wenn sie bluten. Ihr Männer wißt euch ja ohne Frauen nicht zu behelfen. Ihr würdet schön schmutzig rumlaufen, wenn ihr nicht eine treusorgende Frau und Mutter hättet. Und bald wäre die ganze Stube voller Jungenssachen, denn eine Frau ist dazu da, die Unordnung fortzuhängen. Das tue ich schon immer, denn ihr seid eine faule Bande!«
Stefan fand es schließlich ganz nett, daß der Vater heute nicht dabei war. »Wir können dann mehr Dummheiten machen. Der Vati läßt auch nicht zu, daß wir immerfort bei der Mutti sind und sie quälen.«
»Ihr dürft die Mutti heute nicht quälen, dafür will ich sorgen«, sagte Hermann bestimmt.
»Ach du, – aus dir machen wir uns gar nichts. Du kannst reden, soviel du willst!«
Bei strahlendem Sonnenschein wurde der Ausflug angetreten. Auch Goldköpfchen fühlte sich glücklich und froh im Kreise ihrer fröhlichen Schar. Sie stellte nur fest, daß es Fräulein Rettich erheblich leichter hatte als sie; denn alle Fragen wurden an die Mutti gerichtet. Für das Kinderfräulein zeigten die Knaben wenig Interesse, obgleich sie das immer fröhliche junge Mädchen herzlich gern hatten.
Schandau war erreicht. Da man schon mehrfach in der Stadt gewesen war, hielt es Goldköpfchen für richtig, sogleich abzubiegen, um nach dem Kirnitzschtal zu gehen. Es war eine wunderschöne Wanderung am Ufer des Baches, und bald hatte man die Ostrauer Mühle erreicht.
»Auspacken«, kommandierte Jürgen, »das Frühstück heraus!«
»Aber Jürgen, – wir sind kaum eine halbe Stunde gewandert!«
»Ich spüre schon den ersten Hunger, Mutti.«
»Wir gehen noch bis zum Lichtenhainer Wasserfall, dort werden wir frühstücken.«
Auch dieser Wasserfall war den Kindern schon bekannt. Es machte ihnen großen Spaß, so dicht an ihn heranzugehen, daß sie von dem sprühenden Wasser ein wenig bespritzt wurden. Goldköpfchen mußte mehrmals die übermütigen Knaben zurückrufen, die nicht genug abbekommen konnten. Dann drängte sie, weiter zum Moritzstall zu gehen, um unter dem großen Felsblock zu sitzen oder über ihn hinweg weiter zu spazieren.
Der Kuhstall war erreicht. »Es wäre viel hübscher, Mutti, wenn das Loch klein wäre und man nur mühsam durchkriechen könnte«, meinte Stefan. »Jetzt gehen wir doch die Stufen hinauf?«
Man stieg die Stufen empor, gelangte an die verfallene Zisterne und ging weiter zum Schneiderloch, einer kleinen Felshöhle, in der eine Schere angemalt war.
»Mutti, erzähle!« riefen alle.
»Man sagt, daß in dieser Höhle lange Zeit ein Räuber ganz im Verborgenen lebte, der später von einem Schneider überlistet wurde.«
»Ich möchte auch in so einem Felsloch wohnen«, rief Stefan begeistert aus, »das muß ein herrliches Leben sein!«
»Nun kommt einmal hierher, Kinder, und seht euch die schöne Aussicht an. Dort drüben der Kleine Winterberg, dort der Lilienstein, der Pfaffenstein, dort die Lorenzsteine, und unten seht ihr das Kirnitzschtal.«
»Alles das macht furchtbaren Hunger«, meinte Jürgen.
»Jawohl, meine Jungen, wir werden jetzt rasten und essen. Wir wollen uns nur noch ein recht hübsches Plätzchen suchen.«
Das Mahl verlief ohne Zwischenfälle. Die Kinder waren übermütig, jedoch folgsam und brav. Goldköpfchen stellte mit innerer Befriedigung fest, daß der heutige Ausflug besonders schön sei. Sie hatte keinen Grund zum Tadeln, es genügte ein mahnendes Wort, um die Kinder wieder in Ordnung zu halten. Auch Fräulein Rettich meinte, sie wundere sich über die braven Knaben.
Dann brach man wieder auf und wanderte in Richtung des Großen Winterberges weiter. An einem Felsvorsprung, der mit einem Geländer gesichert war, hatte man einen herrlichen Tiefblick. Ganz unten sah man die Menschen wie kleine Schachfiguren. Fritz nahm seine Windjacke, machte daraus ein Segel und winkte den unten Wandernden damit lebhaft zu.
»Fritz, halte die Jacke fest«, mahnte die Mutter.
Da – ein kurzer Schrei, das Segel flatterte abwärts und blieb etwa zwanzig Meter tiefer an einer Felszacke hängen. So viel sah Goldköpfchen auf den ersten Blick, daß fürs nächste die Jacke nicht wiederzubekommen sei. Vielleicht wurde sie später einmal vom Wind hinunter ins Tal geweht. Für heute war sie nicht mehr zu erreichen.
»Eben haben wir uns über die artigen Kinder gefreut«, sagte Goldköpfchen zu Fräulein Rettich, »doch man soll den Tag nie vor dem Abend loben.« Dann erhielt Fritz einen kräftigen Verweis. »Wenn es abends kühl wird, was machst du dann?«
»Mutti, dann muß ich leider frieren. – Sei mal nicht böse, der Vater verdient mir eine neue Jacke!«
»Ich glaube«, sagte Stefan und machte eine entsprechende Handbewegung, »du verdienst beim Vater erst mal was anderes!«
Vertrauensvoll schaute Fritz zur Mutti auf: »Ich habe eine gute Mutti, die jedesmal, wenn ein kleiner Junge Unglück hat, aus ihrem großen Herzen, in dem soviel Liebe sitzt, was rausnimmt und alles Schlimme damit zudeckt. – Meinst du nicht auch, liebe Mutti, daß wir es wieder so machen?«
Da war Goldköpfchen schon wieder entwaffnet und beschloß, es wirklich wieder so zu machen. Der Vater hatte genug Sorgen, wozu ihm alles das aufbürden, was in ihren Bereich gehörte?
Man war auf dem halben Wege nach Schandau, als ganz plötzlich dunkle Wolken aufzogen. Hermann und Jürgen, die einige seltene Steine gefunden hatten, waren an einer ungefährlichen Stelle, ein wenig abseits, hinangestiegen, um noch mehr zu suchen.
»Kinder, es gibt Regen, wir müssen umkehren und sehen, daß wir den Kuhstall erreichen.«
Aber Hermann und Jürgen, die glaubten, seltene Pflanzen entdeckt zu haben, baten inständig, noch ein Stück weiter zu gehen.
»Kommt nur herab.«
Doch die beiden Knaben hörten nicht. Inzwischen wurden die heraufziehenden Wolken immer dunkler, so daß Goldköpfchen den Knaben ziemlich energisch zurief:
»Hermann, was soll das? Fritz hat keine Jacke, er darf nicht naß werden, er ist ohnehin erhitzt.«
»Macht nichts, Mutti«, sagte Fritz, »das ist eben der sächsische Schweiß!«
Noch zehn Minuten mußte Goldköpfchen warten, ehe Hermann und Jürgen wieder bei ihr waren. Erfreut und begeistert zeigten sie der Mutter ihre herrliche Ausbeute. Jürgen wollte eben die gefundenen Pflanzen vor der Mutter auf der Erde ausbreiten, als die ersten dicken Regentropfen fielen.
Schon eine Minute später setzte ein Platzregen ein, der in wenigen Augenblicken die fröhlichen Wanderer völlig durchnäßte. Goldköpfchen, die die Gefahr erkannte, in der der erhitzte Fritz schwebte, hatte sogleich bei Beginn des Regens ihre Jacke ausgezogen und Fritz umgehängt.
»Oh, Mutti, nu' wirst du ja naß! Mutti, nimm meine Windjacke«, sagte Hermann.
»Nein, mein Junge, wir wollen in großer Eile gehen, damit wir abwärts kommen. Im Kuhstall werden wir Schutz vor dem Regen finden.«
Mit lautem »Muh – Muh – Muh« stürmten Stefan, Jürgen und Fritz voran. Hermann blieb an der Seite der Mutter und betrachtete sie kummervoll.
»Mutti, deine Bluse ist schon ganz naß. Nachher wird es kalt, dann frierst du.«
»Wären wir sogleich umgekehrt, als ich dich rief, Hermann, ständen wir schon im Trocknen.«
Da sagte der Älteste nichts mehr. Er fühlte ein Brennen am Herzen. Wenn die Mutti fror, wenn sie sich erkältete,– er allein trug Schuld daran.
»Nimm meine Windjacke«, bat er dringender, zog sie aus und legte sie der Mutter um die Schultern.
»Hermann, du ziehst sofort die Jacke wieder an«, gebot Goldköpfchen streng. »Willst du dich erkälten?«
»Wenn du dich aber erkältest?« fragte er sorgenvoll.
»Komm rasch weiter.«
Nach kurzer Wanderung war der Gasthof am Kuhstall erreicht. Die kleinen Gastzimmer waren überfüllt, aber bereitwillig drängten sich alle zusammen, um den durchnäßten Touristen auch noch einen Platz zukommen zu lassen. Da draußen ein scharfer Wind eingesetzt hatte, verspürte Bärbel ein leichtes Frostgefühl. Sie war bis auf die Haut durchnäßt. Trotz des warmen Wetters, das am Vormittag geherrscht hatte, war es in den Gastzimmern kühl. Hermann warf immer wieder besorgte Blicke auf die Mutti, die sich oftmals die Hände rieb und schließlich ihr Jackett, das sie Fritz vorhin umgehängt hatte, überzog. Er überlegte, ob er zu den Wirtsleuten gehen und um ein Tuch bitten solle.
»Mutti – du frierst ja«, sagte er zärtlich, »ich hole dir ein Tuch.«
»Nicht doch, Hermann. Sobald ich trocken bin, ist mir wieder gut. Nachher gehen wir sehr rasch heimwärts. Wir wollen nur warten, bis besseres Wetter geworden ist.«
Die Kinder wunderten sich jedoch, daß sich die Mutti ein heißes Getränk bringen ließ und es rasch austrank.
Erst nach Stunden ließ der Regen nach. So war man gezwungen, im Gasthaus zu bleiben. Drangvolle Enge herrschte, denn nur wenige verließen während des schlechten Wetters das schützende Haus. Hermann und Jürgen benutzten die Zeit des Wartens, um das Gästebuch durchzublättern. Sie wollten sich auch eintragen. Da standen Gedichte, kleine Vierzeiler.
»Wollen wir nicht auch etwas dichten?«
Sie blätterten weiter zurück und lachten schallend auf, wenn drollige Eintragungen gemacht waren.
»Mutti«, rief Jürgen plötzlich so laut, daß die anwesenden Gäste aufmerksam wurden, »hier ist aber einer frech gewesen!«
Goldköpfchen machte ihm verstohlen ein Zeichen, die Stimme etwas zu dämpfen. Doch Jürgen war so bei der Sache, daß er laut zu lesen begann:
»Sieh mal, Mutti, erst hat einer geschrieben: ›Es ist geschehen, es ist geschehen, ich habe den göttlichen Kuhstall gesehen!‹ – Und darunter, Mutti, hat einer geschrieben, – so höre doch mal! – Hahaha, der hat's ihm aber gegeben! – ›Ich hab' es gelesen, ich hab' es gelesen, es ist ein Ochse im Kuhstall gewesen!‹ – Mutti, ist das nicht fein? – Mutti, dürfen wir auch was einschreiben?«
»Freilich, mein Kind, das darf jeder, der hier eingekehrt ist, aber erst muß ich wissen, was ihr einschreiben wollt.«
Die Kinder steckten die Köpfe zusammen und berieten. Alle möglichen Verse wurden Goldköpfchen zugeflüstert. Jürgen wollte durchaus einschreiben, daß die Mutti eine prächtige Frau sei. Fritz wollte alle wissen lassen, daß er der Mutti Jacke bekommen habe, weil es mächtig regnete. Da die Kinder zu keiner Übereinstimmung kamen, schrieben sie nur ihre Namen ein, um die Jürgen zum Schluß eine Klammer machte und mit seiner steilen Handschrift hinzusetzte: Alles Goldköpfchenkinder! Und wir sind noch mehr, die anderen sind zu Hause geblieben.
Je weiter der Tag vorrückte, je unbehaglicher fühlte sich Bärbel. Sie mußte unbedingt ihrem Sohne auch auf dem Heimweg die Jacke überlassen. – Wenn man nur erst in der Bahn säße, erst daheim wäre! Es hatte fast den Anschein, als werde sie einen tüchtigen Schnupfen mitbringen.
Das Wetter blieb unfreundlich, obwohl der Regen aufgehört hatte, so daß Bärbel und ihre Schar aufbrechen konnten. Die Kinder bedauerten, daß man schon wieder Schandau zustrebte.
»Es wäre fein gewesen, wenn wir erst nachts heimgekommen wären«, sagte Jürgen.
»Halte den Mund«, herrschte ihn Hermann an, »die Mutti friert.«
»Frierst du noch immer, Mutti? Dann gebe ich dir meine Jacke. Aber ein bißchen friere ich auch, Mutti.«
Endlich war Schandau erreicht. Noch mußte man ein Weilchen auf den Zug warten, dann ging es über Pirna heim. Es war noch nicht sieben Uhr, als man in Heidenau eintraf.
Frau Leuschner merkte sofort, daß Goldköpfchen nicht wohl war.
»Ich mache eine Zitronenlimonade zurecht. Dann rasch ins Bett, liebe Frau Bärbel.«
Sie widersprach nicht.
»Leider ist Herr Doktor nicht daheim, er hat noch einmal fortfahren müssen.«
»Mutti, – wirst du krank?« fragte Hermann besorgt.
»Nein, nein, mein Junge, morgen bin ich wieder ganz gesund.«
»Ach, Mutti, das wäre auch schrecklich«, sagte er mit leichtem Beben in der Stimme. – »Du sagtest, wäre ich gleich zurückgekommen, so hätte uns der Regen nicht erwischt. – Ach, liebe Mutti, du darfst nicht krank werden.«
Draußen bekam Fritz von Hermann noch bittere Vorwürfe. »Hättest du die Jacke nicht runtergeworfen, hätte die Mutti nicht zu frieren brauchen. Jetzt liegt sie im Bett und zittert. Daran bist du schuld.«
In der nächsten Minute war Fritz am Bett der Mutter. »Du wirst doch nicht krank werden, Mutti? Ich habe große Angst, ich werde auch nie wieder meine Jacke herunterwerfen.«
Schließlich kam Jürgen. »Mutti, der Hermann sagt, du wirst krank, weil wir uns zu lange herumgetrieben haben.– Aber du darfst nicht krank werden, Mutti, sonst gräme ich mich furchtbar, weil ich schuld daran bin, daß du frierst.«
Obwohl Goldköpfchen von heftigem Schüttelfrost erfaßt war, antwortete sie mit lächelndem Munde auf die besorgten Fragen ihrer Kinder und erklärte ihnen, morgen werde sie bestimmt wieder gesund sein. Sie sollten sie jetzt nur in Ruhe lassen. Als eine halbe Stunde später Doktor Kirschner am Bett seiner Frau stand, schaute er besorgt in deren Gesicht. »Du hast Fieber, liebe kleine Frau. Da will ich rasch etwas verordnen.«
Die Kinder wollten, als sie davon hörten, ins Krankenzimmer kommen. »Keiner«, klang des Vaters befehlende Stimme, »darf ins Zimmer, außer Frau Leuschner. Wer unfolgsam ist, mit dem rechne ich gründlich ab. – Wollt ihr, daß eure Mutti noch kränker wird?«
Nun saßen alle beisammen, einer an den anderen geschmiegt, und sprachen im Flüsterton davon, daß Fieber etwas Schlimmes sei.
»Sie hat doch gesagt, morgen ist sie wieder gesund«, meinte Fritz, »und unsere Mutti lügt nicht.«
»Sie kann doch auch nicht wissen, ob sie morgen wieder gesund ist. Ein Fieber schleicht heran, wird immer toller, und manchmal macht ein Fieber den Menschen kaputt.«
»Rede keinen Unsinn, Erna«, verwies Hermann der Schwester. Daß aber auch er von zitternder Angst befallen war, verbarg er nur mühsam.