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3. Kapitel
Goldköpfchen lernt Neid und Mißgunst kennen

Georg Hampel stemmte die Arme in die Seiten, schaute seinen Besuch interessiert an und sagte, während leise Erregung in seiner Stimme zitterte:

»Wissen Sie sonst noch etwas, Herr von Sasseneck?«

»Du liebe Zeit, man könnte noch mancherlei erzählen, schließlich will man aber einer alleinstehenden Frau den guten Ruf nicht untergraben.«

»Guten Ruf, sagen Sie, Herr von Sasseneck? Wenn man sich so beträgt, wenn man schon in frühester Jugend allerlei angezettelt hat, worüber anständige Menschen den Kopf schütteln müssen?«

»Ja, ja, im Atelier Brausewetter ging es mitunter toll zu. Ich habe Fräulein Bärbel damals schon ermahnt. Aber die kleine Krabbe war zu wild. Unerhört war es, als sie einmal im Zorn dem Herrn Brausewetter den teuren Apparat umstieß, alles nur, weil sie schlechter Laune war. Brausewetter machte ihr einen Vorwurf, da wollte sie sich rächen.«

»Eigentlich hat man immer gehört, daß ihre Ehe eine glückliche gewesen sei. In dem kleinen Heidenau spricht sich alles herum. Ich habe mich um die Wendelins niemals gekümmert.«

»Das scheint mir so, lieber Herr Hampel. Ich habe bei meinen Reisen so manches gehört. Auch in Dresden sprach man von der tollen kleinen Frau, die ihre goldenen Haare als Schlingen für die Männerwelt benutzte. Raffiniert ist sie immer gewesen. Nach außen hin brav und scheinheilig, aber faustdick dabei hinter den Ohren.«

»Und solch eine Person versucht, mir das Geschäft zu verderben! Hier, – sehen Sie mal diesen Wisch! Lesen Sie! Das hat sie natürlich nicht selber geschrieben, o nein, dazu ist sie zu schlau. Die Kinder richtet sie dazu ab. Ich habe es herausbekommen.«

Herr von Sasseneck lachte.

»Ich habe bereits durch Ihren Konkurrenten, Herrn Rotmühl, von diesen Zetteln gehört und sie auch gesehen. Daraufhin habe ich Frau Wendelin besucht. Gerissen ist sie! Ich habe mehrfach auf diese unschöne Reklame hingewiesen, doch sie gibt sich den Anschein, als verstehe sie nicht, was ich meine.«

»Ihre Lümmel sind es! Na, wartet nur, wenn ich euch einmal erwische! Ich hatte schon die Absicht, die Polizei hinzuschicken. Schreibt mir diese Frau auf den Zettel, meine Arbeit sei Kitsch! – Na, Sie haben es ja gelesen, Herr von Sasseneck. Schon viermal habe ich mein Firmenschild reinigen müssen. Nun lege ich mich auf die Lauer, und nächstens gehe ich zum Direktor der Schule. Dem will ich sagen, was die Wendelinschen Rangen für Verbrechernaturen sind.«

Sasseneck nickte dazu. »Bei solch einer Mutter, – kein Wunder. Ich kenne Bärbel Wagner. Das eine Jahr, als ich mit ihr bei Herrn Brausewetter arbeitete, steht heute noch mit allen seinen Schrecken deutlich vor meiner Seele. Ich könnte Ihnen allerlei Zeugen bringen, Herr Hampel, doch, wie gesagt, sie will sich eine Existenz gründen und hat es gar nicht mal nötig. Ihr Vater ist schwerreich, hat eine glänzend gehende Apotheke und unterstützt seine Tochter ständig. Er hat schon damals, als unser Lehrling in Dresden Schulden machte, anstandslos alles bezahlt.«

»Schulden hat sie gemacht?«

»Lieber Himmel, man spricht nicht gern davon. Wie gesagt, ich könnte Ihnen noch manches erzählen.«

»Ich glaube, übergenug zu wissen, Herr von Sasseneck. Aus allen Ihren Andeutungen ersehe ich, daß an jener Frau Wendelin gar nichts dran ist. Zu befürchten ist allerdings, daß sie uns Konkurrenz macht. Ich hörte schon mehrfach, daß man großes Mitleid mit ihrem Schicksal hat und aus diesen Gründen ihr Atelier besuchen wird.«

»Bester Herr Hampel, Mitleid braucht man mit der Frau Wendelin wahrhaftig nicht zu haben. Natürlich macht sie Ihnen Konkurrenz, und in geradezu raffinierter Weise. Dabei – das will ich Ihnen ganz im Vertrauen sagen, versteht sie verflixt wenig von ihrem Fach.«

»Hat sie überhaupt ihr Examen gemacht?«

»Mit Mühe und Not. Herr Brausewetter soll die Sache ein wenig geschoben haben. Man munkelte, daß Apotheker Wagner allerlei Bestechungen bei der Prüfungskommission gemacht hätte.«

»So, so, – im allgemeinen ist das nicht gut möglich.«

»Hier soll es aber geglückt sein. Ich habe es natürlich auch nur gehört. Doch etwas Wahres ist sicherlich an der Sache.«

»Dabei schreibt diese freche Person auf den Zetteln, daß nur im Atelier Goldköpfchen künstlerische Aufnahmen gemacht werden. – Atelier Goldköpfchen, wie finden Sie das, Herr von Sasseneck? Jeder anständige Photograph setzt seinen Namen unter seine Reklamezettel. Und hier? Atelier Goldköpfchen! Natürlich, ganz richtig, wie Sie vorhin schon sagten. Sie benutzt ihre blonden Haare für Reklamezwecke, und die Männer fallen darauf herein! Solch goldblonder Schopf und zwei schmachtende Augen darunter verdrehen den jungen Leuten die Köpfe. Wer fragt dann noch nach guten oder schlechten Bildern!«

»Sie sehen, mein Bester, raffiniert bis in die Fingerspitzen. Hüten Sie sich vor der weiblichen Konkurrenz!«

»Du liebe Zeit, ich kann ihr doch den Laden nicht schließen lassen.«

»Aber ein wenig Schikane kann nichts schaden, lieber Herr Hampel. Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es wieder zurück. Sie macht Ihnen unreelle Konkurrenz; so stellen Sie sie doch einmal auf die Probe.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie werden doch eine Bekannte haben, die in Heidenau viel Verkehr hat. Die Dame läßt sich photographieren, die Aufnahme glückt nicht, eine zweite, eine dritte wird gemacht – dann kann Ihre Bekannte mit gutem Gewissen erzählen, daß man im Atelier Goldköpfchen wohl sein gutes Geld los wird, daß man aber gute Bilder nicht bekommt.«

»Und wenn das Bild glückt?«

Herr von Sasseneck lachte auf. »Mein Lieber, ich glaube, ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, wie man eine photographische Aufnahme absichtlich verwackelt. Im entscheidenden Augenblick eine kleine Bewegung – –«

Jetzt lachte auch Hampel. »Aber natürlich, natürlich! – Selbstverständlich liegt es dann am Apparat. Er ist schlecht, man kann damit keine guten Aufnahmen machen. – Ganz prächtig, Herr von Sasseneck. Die Frau Goldkopf stellen wir auf die Probe, wir brocken ihr eine Suppe ein, an der sie sich den Magen gründlich verdirbt. – Ganz famos!«

In diesem Augenblick wurde im Vorzimmer eine Tür geöffnet.

»Kundschaft, Herr von Sasseneck. Vielleicht warten Sie im Vorzimmer. Sie haben doch Zeit? Ich möchte noch manches von Ihnen wissen.«

»Gern, auch ich habe Zeit, ich habe die hiesige Kundschaft besucht und brauche erst am Abend wieder in Dresden zu sein.«

Herr Hampel legte sein Gesicht in liebenswürdige Falten und öffnete die Tür zum Vorzimmer. Dort saßen drei Knaben. Einer von ihnen etwa vierzehnjährig, die beiden anderen erheblich jünger.

Hermann Wendelin, einer der drei, wandte sich ab. Er mußte erst das Lachen bekämpfen. Das würde ein köstlicher Spaß werden. Hugo und dessen großer Bruder waren sofort mit von der Partie gewesen. Schon lange trug man sich mit dem Gedanken, es einmal ebenso zu machen, wie es einst Onkel Kuno gemacht hatte, als die Mutti ein Lehrfräulein gewesen war.

In den großen Ferien in Dillstadt war es geschehen. Da hatte Onkel Kuno lachend davon erzählt, daß er, als ein Vierzehnjähriger, mit seinem Zwillingsbruder ins Atelier Brausewetter gegangen sei. Dort hätten sie sich als Ausländer ausgegeben und in einer selbsterfundenen Sprache die Empfangsdame verulkt. Dieser Spaß hatte auf Hermann den größten Eindruck gemacht, und schon lange hatte er beschlossen, auch einmal in ein photographisches Atelier zu gehen und den Ausländer zu spielen. Um sich auch äußerlich ein etwas exotisches Aussehen zu geben, hatte man bei Hugo besonders sorgfältig Toilette gemacht. Ein bunter Schal wurde um den Leib geschlungen, die Mütze umgedreht, so daß das bunte Futter nach außen kam, die Augenbrauen dunkel nachgezogen; Hugo hatte außerdem noch ein Pappmesser zur Hand genommen. So war man zum Atelier Hampel gegangen, um nach dem Vorbild des Onkels seinen Spaß zu haben.

»Ola buna sellke?«

»Was soll's?«

»Ekoiza bulla muster.«

»Was heißt denn dieser Unsinn! Bist du nicht der Wendelin?«

Hermann hatte sich bisher still verhalten. Er fürchtete, daß er in helles Lachen ausbrechen würde, wenn er zu reden begann. Um so mehr sprach Hugo. Immer lauter, immer schneller schrie er auf Herrn Hampel ein, wandte sich schließlich an Herrn von Sasseneck, um auch ihn anzureden.

»Sprecht he indis?«

»Was wollt ihr hier?«

»Enkel sein – Sohn – von indise Maharadscha. Bild itsipntsi matschi, große Brust. – Katschi maltubani.«

»Bist du nicht der Wendelin?« tobte Hampel los, indem er Hermann am Arm faßte.

»Auch Sohn von die indise Maharadscha!«

»Natürlich bist du der Wendelin! Du kommst mir gerade recht!«

»Butschi batschi matuschba«, rief nun auch Hermann.

Da holte Hampel weit aus und versetzte Hermann eine schallende Ohrfeige. Herr von Sasseneck griff Hugo, um an ihm das gleiche Strafgericht zu vollziehen. Der vierzehnjährige Herbert erreichte die Tür und lief davon.

»Ich sage es dem Maharadscha«, rief Hermann wütend.

»Also du bist der niederträchtige Bengel, der mir mein Firmenschild verklebt! Nun klebe ich dir auch ein paar!«

»Loslassen«, schrie Hermann. »Ich bin der Lederstrumpf, der Schwarzfuß-Indianer!«

»Schau schau, mit einem Male kannst du reden. Aber warte, deinem Klassenlehrer sage ich es. Einsperren muß man dich! So, nun kannst du zu deinem Lederstrumpf gehen«, grollte Hampel. »Wehe dir, wenn du noch einmal mein Firmenschild anrührst! – Hast du die Zettel geschmiert, Bengel?«

Mit finster gerunzelter Stirn schaute Herman den Photographen an.

»Willst du Antwort geben!«

»Nein!«

»Hast du die Zettel geschrieben?«

»Das brauchen Sie nicht zu wissen!«

»Solch ein Lümmel! Warte nur, Bürschchen, deiner Mutter will ich es anstreichen! Wenn euch eure Mutter nicht erziehen kann, müßt ihr in eine Anstalt kommen. – So, und jetzt macht schleunigst, daß ihr 'rauskommt! Und weiter rate ich euch, mein Haus in Ruhe zu lassen.«

Herbert stand unten vor der Haustür und wartete auf seinen Bruder und dessen Freund. Die beiden mußten ihren gepreßten Herzen erst ein wenig Luft machen. Vor der geschlossenen Tür setzte plötzlich ein Höllenlärm ein. Hugo schwang den Pappdolch und stieß in seiner eigenen Sprache furchtbare Verwünschungen aus, in die Hermann mit einstimmte.

»Sagte ich es nicht«, ereiferte sich Herr Hampel. »Das ist eine Erziehung! Sie haben ganz recht, mein lieber Herr von Sasseneck, der Frau zahle ich es heim. – Natürlich hat sie uns die Jungen auf den Hals geschickt. Ich werde mich doch wehren können. Sie soll nicht mit mir anfangen. Ich habe meine Kunden, und denen will ich vom Atelier Goldköpfchen erzählen. Sie haben wirklich recht, man muß sich rächen. Ich werde die Sache selbst in die Hand nehmen.« – –

Es war keine leere Drohung, die Photograph Hampel ausgestoßen hatte. Der von Sasseneck angeregte Plan ließ sich ohne Schwierigkeiten ausführen. Hampel konnte sich auf seine Schwester Trude verlassen. Trude war in Heidenau mit dem Postsekretär Lohmann verheiratet und liebte den Bruder über alle Maßen. Sie hatte sich schon lange über die neue Konkurrenz erregt und erklärt, daß sie im Kränzchen allen bekannten Damen und Kollegenfrauen abraten werde, in das neueröffnete Atelier in der Brückenstraße zu gehen. Trude würde ihm gern helfen, seinen Plan auszuführen.

Noch am Abend desselben Tages ging Hampel zu seiner Schwester und erzählte ihr von den Schikanen, unter denen er zu leiden habe, seitdem das Atelier Goldköpfchen eröffnet sei.

»Selbstverständlich stehe ich dir bei, Georg, natürlich werde ich deinen Wunsch erfüllen. Gleich morgen gehe ich mit Mauselchen ins Atelier, dann wollen wir sehen, ob diese falsche Person ein anständiges Bild herstellen kann. Ich werde mich und Mauselchen zusammen photographieren lassen.«

Mauselchen war die dreijährige, stark verzogene Tochter der jungen Frau Lohmann. Um Mauselchen drehte sich in dem kleinen Haushalt alles. Es war bisher selbst Herrn Hampel unmöglich gewesen, ein gutes Bild von dem Kinde zu machen, weil eben Nina Lohmann durchaus nicht still saß und sofort schrie und strampelte, wenn man sie aufforderte, ruhig und artig zu sein.

»Es ist besser, du läßt von Mauselchen allein ein Bild machen und dann eins von dir, Trude. Wir haben dann gleich zwei Aufnahmen, aus denen hervorgeht, daß jene eingebildete Frau Wendelin von der Kunst des Photographierens rein gar nichts versteht.«

»Ich werde bei allen meinen Bekannten erzählen, wie es dort zugeht. Sei versichert, Georg, wenn sie erst die beiden Bilder sehen, wird kein Mensch mehr ins Atelier Goldköpfchen gehen. Dafür laß mich sorgen. Ich komme nicht nur in unserm Kränzchen und in Frauenversammlungen mit den verschiedensten Damen zusammen, ich bin auch Mitglied zahlreicher Vereine und werde überall auf die Bilder zu sprechen kommen. Ich bin überzeugt, es dauert keine vier Wochen, dann weiß man in ganz Heidenau, daß Frau Goldköpfchen kein ordentliches Bild herstellen kann.«

»Ich danke dir herzlich, liebe Schwester. Natürlich muß dieser Plan unser Geheimnis bleiben. Im gegebenen Augenblick mußt du dich ein wenig bewegen, möglichst unmerklich, das Bild wird unscharf, verschwommen, kurzum, weder die erste, noch die zweite oder dritte Aufnahme darf gelingen.«

»Laß mich nur machen, Georg. Ich bin für Frau Wendelin eine Fremde, die Sache wird klappen.«

Hochbefriedigt trennten sich die Geschwister. – –

Bärbel war voller Freude, als am Vormittag des nächsten Tages eine Dame mit einem reizenden Kinde erschien, und von sich und der Kleinen je ein Bild verlangte.

»Es liegt mir daran, recht klare und gute Aufnahmen zu erhalten. Im allgemeinen habe ich wenig Vertrauen zu weiblichen Photographen, doch Sie preisen Ihr Atelier derartig an, daß ich einen Versuch machen möchte.«

»Ich hoffe, daß ich Sie zufriedenstellen werde, gnädige Frau.«

»Da Sie schreiben, daß man nur in Ihrem Atelier wirklich erstklassige Bilder bekommt, will ich natürlich nicht mehr zu Hampel oder Rotmühl gehen. Wer solch kühne Worte wählt, muß Außerordentliches leisten.«

»Ich wüßte nicht, gnädige Frau, daß ich mein Atelier besonders herausgestrichen habe.«

»Aber, werte Frau, in allen Häusern wurden doch Zettel, die auf Atelier Goldköpfchen hinweisen, abgegeben.«

»Was für Zettel meinen Sie?«

»Davon werden Sie doch etwas wissen. Auch ich und alle meine Bekannten haben derartige Zettel erhalten. Schade, daß ich einen solchen nicht mehr besitze.«

»Ich weiß wirklich nichts von derartigen Zetteln.«

Frau Lohmann wiederholte den Inhalt der Reklame, so gut sie es aus dem Gedächtnis heraus noch vermochte. Bärbels ohnehin blasses Gesicht wurde noch um einen Schein bleicher.

»Anscheinend von Ihren Kindern geschrieben. Mancher Zettel wies als schöne Zugabe noch einen Tintenklecks auf.«

Was hatte doch Hermann erst kürzlich gesagt? Er behauptete, er werde der Mutti ein glänzendes Geschäft verschaffen. Niemand werde mehr in ein anderes Atelier gehen. Alle Heidenauer würden zu ihr kommen. Hatte vielleicht Hermann diese Zettel geschrieben und in die Häuser getragen? Das wäre entsetzlich! Bärbel hatte ohnehin schon das Gefühl, daß man ihr in den beiden anderen Ateliers nicht wohlwollte.

»Ich werde noch heute die Kinder befragen. Es liegt selbstverständlich nicht in meiner Absicht, den anderen Herren in irgendeiner Weise unschöne Konkurrenz zu machen. Ich würde es sehr bedauern, wenn ganz unbeabsichtigt und in kindlichem Unverständnis etwas derartiges geschrieben wurde.«

»Im großen und ganzen müssen Mütter doch wissen, was ihre Kinder beginnen. – Doch lassen wir das. Eine jede Mutter erzieht sich das, was sie verdient.«

Bärbel erwiderte darauf nichts mehr. Sie hatte eine Kundin vor sich, die gleich zwei Bilder haben wollte. So mußte sie liebenswürdig bleiben.

Sie lenkte das Gespräch ab und fragte nach den weiteren Wünschen der Dame. Die dreijährige Tochter trippelte im Atelier umher und griff nach den umherliegenden Bildern. Sorgenvoll verfolgte Goldköpfchen die Bewegungen des kleinen Mädchens.

»Nichts anfassen«, sagte sie freundlich. »Ich will dir ein Lämmchen geben, mit dem du spielen kannst.«

Aus dem Schrank holte sie das Spielzeug und reichte es dem Kinde. Nina warf das Lämmchen auf die Erde und griff wieder auf das kleine Tischchen, auf dem Bilder lagen.

»Komm zu deiner Mutti, Mauselchen.«

»Mauselchen will die Bilder haben.«

»Willst du nicht lieber mit dem Lämmchen spielen?« fragte Bärbel und legte erneut das Wolltier dem Kinde in den Arm.

Die Kleine schleuderte es zornig nach Bärbel. »Ich will damit nicht spielen, ich will die Bilder haben!«

Die Mutter versuchte, zu besänftigen. Da begann Mauselchen zu weinen, schlug schließlich auf die Mutter ein, warf sich zu Boden, strampelte mit den Beinen. Alle Versuche Frau Lohmanns fruchteten nichts. Noch klangen Goldköpfchen die vorhin gesprochenen Worte im Ohr, daß eine jede Mutter sich das erzieht, was sie verdient. Aber jetzt hieß es schweigen, sie hatte eine Kundin vor sich, die bedient werden wollte.

»Ich sehe schon«, klagte Frau Lohmann, »es wird nichts mit der Aufnahme. Mauselchen hat kein Vertrauen zu Ihnen. – Mauselchen, mein Herzchen, deine Mutti bittet dich, sei vernünftig. Willst du Schokolade haben? Deine Mutti kauft dir nachher schönes Spielzeug. Komm, stehe auf, mein Mauselchen, mein Goldherzchen!«

Aber nur noch wilder und ungebärdiger schlug das kleine Mädchen um sich.

Inzwischen machte Goldköpfchen alles für die Aufnahme fertig. Wie konnte eine Mutter nur so unvernünftig handeln und dem eigensinnigen Kinde alles versprechen, anstatt ein energisches Wort zu reden. Mehrmals drängte es Bärbel, dazwischenzutreten. Immer hatte man ihr gesagt, daß sie mit Kindern sehr gut umzugehen verstehe. Wohl hatte sie anfangs im Atelier Brausewetter auch manchen Fehler bei Kinderaufnahmen gemacht, doch später hatte ihr der Chef das Zeugnis ausgestellt, daß sie es trefflich verstehe, erregte Kinder zu besänftigen und zur Aufnahme zu bringen.

»Vielleicht machen wir erst Ihre Aufnahme, gnädige Frau. Inzwischen beruhigt sich die Kleine ein wenig.«

»Soll ich Mauselchen auf der Erde liegen lassen?«

Bärbel wandte sich an die Kleine. »Paß nun mal schön auf, kleines Mädchen. Wir machen jetzt ein hübsches Bild von der Mama. – So, nun gib einmal gut acht.«

Noch immer schlug Nina um sich.

»Schau, auch so hübsche Bilder wie diese mache ich jetzt. Guck einmal zu, ob du die Mama hier herausfindest.«

Bärbel legte einige Bilder auf den Boden neben die Kleine. »Sieh einmal her, ist das deine Mama? – Oder vielleicht diese? Ach nein, das ist ja ein Papa! – Nun suche einmal nach, ob du die Mama darunter findest.«

Das Weinen und Schreien verstummte, der Kindermund schloß sich trotzig. Nina warf erst scheue Blicke auf die Bilder, die Bärbel rings herum auf den Boden streute. Schließlich nahm Nina ein Bild zur Hand, dann ein zweites.

»Wenn du die Mama gefunden hast, dann rufst du so laut du kannst: Hurra!«

Das Kind wurde dadurch abgelenkt. Zwar schaute Frau Lohmann noch immer besorgt zu ihrem Mauselchen hinüber; sie stellte aber sehr bald fest, daß die Kleine langsam ruhiger wurde.

»Darf ich bitten, gnädige Frau?«

»Ein recht gutes Bild möchte ich haben.«

»Ich werde mir alle Mühe geben.«

»Sie wissen doch, daß im Atelier Hampel keine guten Bilder gemacht werden.« Aus den Augen der Beamtenfrau schoß ein lauernder Blick zu Frau Bärbel hinüber.

»Davon habe ich nichts gehört, gnädige Frau, im Gegenteil, man sagte mir, daß die Heidenauer Photographen den Dresdnern in nichts nachstehen.«

»Daß Atelier Rotmühl keine anständigen Kinderbilder liefert, müssen Sie schon gehört haben.«

»Ich lebe sehr zurückgezogen, gnädige Frau. – Darf ich nun bitten!«

»Sie haben das sicherlich schon gehört. Herr Rotmühl ist außerdem ein recht unliebenswürdiger Herr, zu dem man nur ungern geht.«

»Ich kenne den Herrn persönlich gar nicht.«

»Sie haben doch aber schon gehört, daß er schlechte Bilder macht?«

»Nein, das habe ich noch nicht gehört. – Bitte, wollen Sie den Kopf ein wenig mehr nach links drehen.«

Ganz absichtlich stellte sich Frau Lohmann recht ungeschickt, so daß Bärbel mehrmals neue Aufstellungen zu machen hatte.

»Lieber Himmel, im Atelier Hampel wären in dieser Zeit schon drei Bilder fertig gewesen. – Sie haben anscheinend noch herzlich wenig Übung.«

»Wir haben uns bisher stets mißverstanden, gnädige Frau. Ich bitte, nicht so sehr nach links. – Den Kopf nicht so hoch – nein, auch nicht so tief. – So.«

»Das ist ja fast wie vor fünfzig Jahren. Heute setzt man sich hin und wird photographiert. – Sie wollen jeden Augenblick eine andere Stellung haben. – Ach, es ist schrecklich, man bekommt ja den Krampf, und dann soll es ein natürliches Bild werden.«

»Vielleicht wählen wir besser eine andere Stellung.«

Bärbel wurde unruhig. Soviel Mühe hatte ihr noch keine Aufnahme gemacht. Es schien fast, als setze diese Frau alles daran, sie mißzuverstehen.

»Also gut«, sagte Frau Lohmann höhnisch lachend, »fangen wir ganz von vorn an. Doch bis Mitternacht muß die Aufnahme gemacht sein, und das Kind soll auch noch an die Reihe kommen.«

Endlich war es so weit. Gespannt wartete Frau Lohmann auf den Augenblick, daß die junge Photographin die schwarze Hülle von der Linse nahm. Kaum war das geschehen, gab sie sich einen kleinen Ruck, der jedoch von Bärbel bemerkt wurde.

»Gnädige Frau, wir müssen eine neue Aufnahme machen. Sie haben leider nicht ruhig gesessen.«

»Ich nicht ruhig gesessen? Das hat mir noch kein Photograph gesagt. Im Gegenteil, allgemein behauptete man, daß ich mich vortrefflich photographieren lasse. Immer habe ich vorzügliche Bilder erhalten.«

Bärbel wechselte die Platten aus. »Ich bitte, noch eine Aufnahme.«

»Also wieder eine halbe Stunde.«

»Bitte, recht ungezwungen, gnädige Frau. – So ist es ja schon gut. – Bitte, nicht wieder steif werden.«

»Das Exerzieren beginnt von neuem!«

Die zweite Aufnahme folgte. Bärbels Stirn furchte sich. Auch diesmal hatte die Kundin eine kleine, kaum merkliche Bewegung im gegebenen Augenblick gemacht, doch Bärbels Auge war sie nicht entgangen.

»Wir wollen zur Sicherheit noch eine Aufnahme machen«, sagte sie leise.

»Noch eine? Soll ich drei Aufnahmen bezahlen?«

»O nein, nur eine Aufnahme wird berechnet.«

»Aber doppelt teuer, nicht wahr?«

»Auch das nicht. Sie müssen aber unbedingt ruhig sitzen, oder wir machen eine Momentaufnahme.«

»Nein! Ich denke, so viel werden Sie leisten, daß Sie ein gutes Bild von mir bekommen.«

»Verzeihung, gnädige Frau, doch es liegt an Ihnen.«

»Das ist arg! Also versuchen wir es zum dritten Male. Ich erkläre Ihnen jedoch schon jetzt, daß ich zum vierten Male mich nicht mehr hinsetze. – Also bitte.«

Gespannt schaute Bärbel auf ihre Kundin. Diesmal schien es geglückt zu sein. Erst in dem Augenblick, da sie die Hülle wieder überdecken wollte, schnellte der Kopf Frau Lohmanns ein wenig empor.

»So, und nun Mauselchen.«

Die Kleine suchte noch immer in den Bildern.

»Hast du die Mama noch nicht gefunden, kleines Mädchen? Wollen wir dich jetzt einmal vor den Apparat setzen? Soll er dich einmal genau angucken?«

Es zuckte hohnvoll um Frau Lohmanns Lippen. Sie wußte genau, wie es kommen würde. Zunächst ging alles glatt; wenn Mauselchen dann aber vor dem Apparat saß, begann das Schreien.

»Komm her, mein süßes – –«

»Bitte, bemühen Sie sich nicht, gnädige Frau.«

»Glauben Sie, mit der Kleinen allein fertig zu werden?«

»Ganz sicher, gnädige Frau.«

»Mauselchen, mein Liebling, die fremde Tante will dich photographieren. – Huh – vor den bösen Kasten setzen.«

»Komm, kleines Mädchen, wir wollen dich hier an den Stuhl stellen; auf den Stuhl setzen wir das Lämmchen, – oder – warte mal, wir holen lieber den großen Hund.«

Wieder war Bärbel an den Schrank geeilt, dem sie einen größeren Stoffhund entnahm.

»Schau mal, wie lieb dich der Hund ansieht, er freut sich über das kleine Mädchen. – Willst du ihn einmal streicheln?«

»Mauselchen, mein süßes – –«

»Bitte, gnädige Frau, bleiben Sie zurück.«

»Nun gut.« Frau Lohmann war ihrer Sache sicher. Sobald Bärbel den Apparat bereitmachte, begann das Geschrei des Kindes.

Wieder bereitete Goldköpfchen alles für die Aufnahme vor, während sie mit der kleinen Nina sprach.

»Soll der Hund nun auch einmal bellen?«

»Ach ja!«

»Wau – wau!« klang es aus Goldköpfchens Munde, und helles Lachen des Kindes antwortete.

Nina nahm den Hund hoch, legte ihren Kopf an den des Tieres, ein reizender Anblick. Sie richtete die strahlenden, lachenden Augen auf Bärbel. »Bellt er noch mal?«

»Jawohl, – paß mal auf, gleich bellt er wieder.«

In der nächsten Sekunde war die Platte bloßgelegt, atemlos wartete das Kind auf das Bellen, das aber erst ertönte, als Bärbel die Platte wieder verhüllt hatte.

»Wau – wau!« rief sie erleichtert. Sie wußte, daß sie soeben ein Bild von geradezu bezaubernder Anmut und Natürlichkeit geschaffen hatte.

Die Augen Frau Lohmanns stachen. »Schon fertig?« fragte sie giftig.

»Jawohl, gnädige Frau.«

»Ist es nicht richtiger, Sie machen noch eine zweite Aufnahme?«

»Es ist wirklich unnötig, gnädige Frau.«

»Sind Sie Ihrer Sache so sicher? Ich möchte aber noch eine zweite Aufnahme angefertigt haben.«

»Wenn Sie es wünschen, gern.«

»Jawohl, und jetzt eine Aufnahme ohne den Hund.«

»So, kleines Mädchen, nun stell dich dort an den Stuhl.«

»Mauselchen, gleich springt aus dem schwarzen Kasten eine böse Katze.«

»Aber, gnädige Frau, Sie machen die Kleine ja nur ängstlich.«

»Sie beißt dich, wenn du nicht ruhig stehst.«

»Will keine Katze sehen!« Das Gesicht des Kindes verzog sich zum Weinen.

»Nein, nein«, beruhigte Goldköpfchen, »aus dem Kasten kommt nichts. Und dort sitzt der Hund, er paßt gut auf.«

Aber mit der guten Laune Ninas war es vorbei. Sie betrachtete angstvoll den Apparat. Vergeblich bemühte sich Goldköpfchen, das Kind zu beruhigen. Frau Lohmann sorgte dafür, daß Nina immer unruhiger wurde und sich schließlich erneut auf den Fußboden warf.

»Eine zweite Aufnahme ist wirklich unnötig, gnädige Frau«, sagte Goldköpfchen. »Ich garantiere, daß Sie ein gutes Bild von der Kleinen bekommen.«

»Ich möchte aber eine Aufnahme des Kindes ohne den Hund haben.«

»Dann muß ich Sie dringend bitten, das Atelier zu verlassen. Ich werde mit dem Kinde fertig werden.«

»Das ist mir noch nicht gesagt worden. Jawohl, ich werde das Atelier verlassen, doch mit meiner Tochter. – Komm, Mauselchen. – Wann kann ich die Bilder haben?«

»In zwei Tagen.«

»Ich möchte die Bilder schon morgen haben.«

»Nun gut, Sie können die Bilder schon morgen haben.«

Mit kühlem Gruß entfernte sich die Mutter mit dem noch immer weinenden Kinde. Auf der Treppe, auf der sie andere Hausbewohner traf, sagte Frau Lohmann laut und deutlich:

»Sei nur ruhig, mein Liebling, die böse Tante darf dich nicht wieder schlagen. Einfach unerhört, wie sie mit den Kleinen umspringt. – Mich sieht man hier nicht wieder.«

Verwundert blickte das Ehepaar aus dem ersten Stockwerk der Hinabschreitenden nach.


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