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Bärbel saß am Schreibtisch. Hurtig glitt die Feder über das Papier, der Brief an die Mutter sollte fertig werden, ehe die Kaffeegäste erschienen. Es war noch Zeit genug zum Schreiben, denn alles war fix und fertig. Im Nebenzimmer stand der zierlich gedeckte Tisch. Bärbel hatte die Staatstassen hingestellt und den Kuchen eigenhändig gebacken.
Aus dem Kinderzimmer schallte das laute Kreischen und Lachen ihres Söhnchens. Sie brauchte sich im Augenblick um Hermann keine Sorgen zu machen, war doch der Großvater vor wenigen Tagen aus Dillstadt zu seiner Tochter zu Besuch gekommen, den der Knabe überraschend schnell in sein Herz schloß. Der Opapa war aber auch ein gar prächtiger Mann, auf dem es sich herrlich reiten ließ, der wie ein Hund bellen, wie eine Katze miauen konnte.
Bärbel hielt im Schreiben inne. Wie lange war es her, daß man ihr den Erstling in den Arm gelegt hatte? Zwei volle Jahre. Welch eine Freude hatte sie an dem goldlockigen Buben, der ihr allerdings durch seine Lebhaftigkeit mancherlei zu schaffen machte. Wie oft hatte sie schon erkennen müssen, daß das Erziehungswerk eine schwere Arbeit war, und wie der kleinste Fehler, den man beging, schlimme Folgen haben konnte. Ihr alter Übermut war freilich noch immer nicht von ihr gewichen. Sie konnte wie ein Backfisch umhertollen, konnte sich an manchem dummen Streich erfreuen und hatte oft Mühe, ihre mütterliche Würde zu wahren, wenn der Knabe gar zu drollig war.
Aber ihr Hermann, ihr Hermanus, war nun einmal ihr Stolz, ihr ganzes Glück.
»Du mußt bald wieder einmal herkommen, liebe Mutti, Hermanus wird mit jedem Tage klüger und niedlicher. Was plappert er alles zusammen. Der Vati wird Dir davon erzählen. Augenblicklich spielen sie wieder Pferd und Reiter nebenan. Ich höre meinen Jungen vor Vergnügen kreischen.«
Wieder hielt Bärbel im Schreiben inne. Aus dem Nebenzimmer war ein so jubelnder Aufschrei gekommen, daß sich die junge Mutter veranlaßt fühlte, einmal nachzusehen, was es gäbe. Sie öffnete die Tür, sah den Vater auf der Erde hocken, sah ihn allerlei possierliche Sprünge machen; da lachte auch sie herzlich.
»Opa, – wau – wau!«
»Wau – wau!« ließ Herr Wagner folgsam hören, während der kleine Mann lustig um ihn herumsprang.
»Opa, – ich will reiten!«
Sofort richtete sich der menschliche Hund in die Höhe, Hermann wurde aufs Knie des Apothekenbesitzers gehoben, und ein vergnügter Ritt begann.
»Doll, – recht doll, Opa, – guter Opa!«
Befriedigt kehrte Bärbel an den Schreibtisch zurück.
»Am meisten freue ich mich darüber, liebe Mutti, daß mein Hermanus ein so artiges Kind ist und uns nie durch einen häßlichen Ausdruck Sorgen macht. Wir sind aber auch ängstlich bemüht, alle schlechten Einflüsse von ihm fernzuhalten und –
»Opa – oller Dussel!«
Die Feder sträubte sich, Bärbel glaubte, nicht recht gehört zu haben. Hatte das wirklich ihr Hermanus gesagt? Sie stürzte ins Kinderzimmer.
Der Kleine, der die entsetzten Augen seiner Mutter falsch deutete, jauchzte beglückt auf:
»Oller Dussel!«
»Wirst du das noch einmal sagen?«
»Oller Dussel – oller Dussel – oller Dussel!« Hermann streckte beide Ärmchen nach der Mutter aus, legte das Köpfchen hinten über und begann erneut mit seinem kreischenden Lachen.
»Wer hat dir denn das gesagt? Vati, – hast du gehört? Was machen wir nun?«
»Das mußt du nicht sagen, kleiner Mann.«
Aber Hermann glaubte, daß er den großen Leuten damit einen ganz besonderen Spaß mache, und schrie noch lauter denn zuvor:
»Opa – Opa, – oller Dussel!«
Goldköpfchen war völlig verstört. Soeben hatte sie die Artigkeit ihres Jungen in dem Briefe an die Mutter lobend hervorgehoben, nun hörte sie ein Wort, von dem sie sich nicht erklären konnte, wo es der Knabe aufgeschnappt haben könnte. Es war vielleicht falsch gewesen, diesem Worte eine solche Bedeutung beizulegen, denn sie wußte bereits aus Erfahrung, wie tief sich derartiges einprägte und wie schwer es war, ein Kind diesen Ausdruck wieder vergessen zu machen. Sie überlegte daher, wie sie Hermann ablenken könnte. Dort, der große Tisch mit der lang herabhängenden Decke. Bärbel huschte unter den Tisch und rief neckend:
»Such' mich, – such' die Mutti!«
Sofort lief das Kind auf den Tisch zu, riß die Decke mit einem Griff herab.
»Da – da – da!«
Die Decke wurde wieder aufgelegt, Bärbel lief einige Male im Zimmer umher, huschte dann wieder unter den Tisch; und das Spiel begann von neuem.
»So, – nun ist es genug, nun wollen wir dir andere Schuhchen anziehen. Nachher kommen die lieben Tanten, dann darfst du hereinkommen, aber sehr artig sein, Hermanus. Jeder Tante machst du einen Diener. – So, – also komm, wir ziehen dir jetzt kleine braune Schuhchen an.«
Bärbel hob den Knaben auf einen Hocker, zog ihm die schwarzen Schuhe aus und warf sie in die Luft.
»Hoppla!«
Der Knabe jauchzte hell auf. Mehrfach wurden die Schuhe in die Luft geworfen, von Bärbel wieder aufgefangen; und immer lauter rief der Kleine: »Hoppla, – hoppla, hoppla!«
Endlich war das schwierige Werk des Anziehens beendet.
»Den Kittel zieht dir Grete nachher erst an, mein Junge. Jetzt darfst du mit dem Opa wieder weiterspielen, Mutti will noch rasch den Brief zu Ende schreiben.«
Bärbel ging zurück an den Schreibtisch, lauschte noch ein Weilchen, ob der Knabe die häßlichen Worte vergessen hatte; sie schien ihren Plan erreicht zu haben. Der Großpapa mußte sich verstecken, sie hörte wieder fröhliches Lachen und Scherzen, kein häßliches Wort fiel.
Bärbel nahm die Feder wieder zur Hand und las den letzten Satz des Briefes durch. Sie seufzte. Sollte sie das Lob über ihren Knaben wieder ausstreichen?
»Es wird natürlich nicht ausbleiben, liebe Mutti, daß er irgendwo ein häßliches Wort hört, aber man muß diese Eindrücke wieder verwischen. Das traue ich mir schon zu, obgleich ich von Erziehung noch sehr wenig verstehe. Ich merke immer wieder, daß es damit hapert. Man muß doch gar zu sehr aufpassen, denn ein Kind ist wie ein Äffchen, das alles nachmacht.«
Endlich war der Brief beendet. Bärbel gab ihn dem Mädchen, damit es ihn hinunter in den Kasten bringe.
»So, – Vati, nun nehme ich dir den kleinen Quälgeist ab. Wir gehen jetzt zusammen hinaus in die Küche, sehen nach dem Kaffee, denn die Damen werden bald kommen.«
»Gut, mein Kind, so mache ich mich inzwischen auch fertig.«
An der Mutter Seite trippelte der kleine Hermann nach der Küche. Für Bärbel gab es noch manches zu tun. Geschäftig lief sie hin und her, der Knabe begleitete sie auf Schritt und Tritt.
»Geh ein bißchen weg, Hermanns, ich gieße jetzt das heiße Wasser über den Kaffee, ich könnte dich leicht verbrühen.«
Bärbels ganze Aufmerksamkeit gehörte dem Kaffeetrichter. Sie bemerkte es daher nicht, daß der Knabe aus der Küche huschte, im Wohnzimmer stand und interessiert den gedeckten Tisch beschaute.
»Opa –!«
Es erfolgte keine Antwort.
»Opa – hat sich versteckt! Opa – Opa!«
»Komm her, Hermanus!« rief Bärbel aus der Küche.
»Erst den Opa suchen!« Schon hatten die kleinen Hände das lang herabhängende Tischtuch erfaßt. Erst vorhin hatte er mehrfach die Decke vom Tisch gezogen, um die Mutti und den Opa zu suchen.
Ein furchtbares Klirren. – Bärbel stockte der Atem. Dann warf sie den Kaffeetrichter hin, stürzte ins Wohnzimmer und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. In der Ecke des Zimmers stand Hermann, seine Hand hielt noch immer den einen Zipfel der Kaffeedecke, der Boden des Zimmers war bedeckt mit Scherben, Kuchenstücken, Blumen; ein weißes Bächlein rann über den schönen Teppich, die Zuckerstücken lagen durch das Zimmer verstreut.
Bärbel war fassungslos. In wenigen Minuten sollte ihr Besuch erscheinen, jetzt herrschte in dem Zimmer, in dem man behaglich den Kaffee trinken wollte, ein wüstes Durcheinander.
»Du Unhold, – du Scheu –« Bärbel schlug sich auf den Mund. Beinahe hätte sie selbst ein häßliches Schimpfwort gesagt. »Du Bengel, – was hast du denn gemacht? – Mein gutes Porzellan! – Pfui, du Unart!«
Bärbel war dem Weinen nahe. Jetzt kam auch noch der Vater hinzu, der entsetzt die Hände zusammenschlug.
»Darfst du das tun?« Mit energischem Griff hatte Goldköpfchen den erschreckten Knaben gefaßt, setzte sich auf den zunächst stehenden Stuhl, legte das Kind über das Knie und versetzte ihm mehrere Schläge.
Der Knabe begann laut zu schreien, strampelte mit den Füßen; doch Bärbel ließ nicht nach.
»Du – du – Unhold, – du – du –,« die hervorquälenden Tränen ließen ihre Stimme versagen. »Du – Freitagskind, – ich sperre dich ins Kellerloch, – auf den Boden zu den Mäusen. – Du Unhold!«
Grete war zurückgekommen, sah die Bescherung und zeterte ebenfalls.
»Nehmen Sie den Bengel hinaus, ich will ihn nicht mehr sehen. Du gräßliches Freitagskind! – Ja, ja, das kommt davon, wenn man am Freitag geboren ist.«
Bärbel und der Vater knieten auf dem Fußboden, sammelten die Scherben; jede zerbrochene Tasse wurde mit Tränen begossen.
»Mein bestes Porzellan, – die schöne Schlagsahne, – ach, es ist schrecklich!«
Herr Wagner hatte die meiste Geistesgegenwart. Er ließ sich von Grete eine Schaufel geben, man kehrte die Scherben zusammen, das Mädchen kam mit dem Lappen; Bärbel besah schluchzend den abgedeckten Tisch.
»Tröste dich, mein Kleines,« begütigte Herr Wagner, »das Unglück ist nun einmal geschehen, jetzt müssen wir zusehen, wie wir rasch einen neuen Kaffeetisch herrichten, deine Gäste können jeden Augenblick hier sein. Komm, mein Goldköpfchen, ich helfe dir.«
»Nimm den Lümmel,« sagte sie schluchzend, »Grete und ich wollen alles, so gut es geht, wieder in Ordnung bringen.«
Nun begann ein erregtes Durcheinander. Hermann war selbst so erschrocken, daß er sich bescheiden in eine Ecke der Küche zurückgezogen hatte und mit dem Fingerchen auf dem Fußboden zeichnete.
»Dort bleibst du ruhig sitzen,« rief Bärbel. »Wehe dir, wenn du aufstehst! Der Vater bringt heute einen dicken Rohrstock mit heim. – Na warte nur, du Freitagskind!«
Scheu blickte der Knabe die erzürnte Mutter an, dann sagte er jämmerlich: »Feitakin!«
»Du schweigst, – du sagst kein Wort. – Mutti ist sehr böse auf dich!«
Der Kleine begann zu weinen. »Feitakin, – Feitakin!«
Großpapa Wagner konnte die Kindertränen nicht sehen. Aus der Tasche holte er ein Stückchen Schokolade, schob es dem Knaben in den Mund und ermahnte ihn, er möge jetzt ganz still auf dem Stuhl in der Ecke sitzen bleiben, bis er wiederkäme.
»Aber ja nicht aufstehen, Bubi, – sei mein artiges Feitakin!«
Dann nahm er einen Porzellantopf aus dem Küchenschrank und sagte zu seiner Tochter:
»Ich laufe rasch zur Milchhalle und bringe dir neue Schlagsahne.«
»Du – Vati?«
»Natürlich, jetzt muß jeder 'ran! Deck' du mit Grete den Kaffeetisch, ich besorge das andere. Sollten inzwischen die Damen kommen, so empfange sie ruhig in deinem Zimmer, ich werde mit Grete alles fertigmachen.«
Herr Wagner war gegangen. Bärbel warf von Zeit zu Zeit einen vernichtenden Blick auf den Knaben, dessen Gesichtchen schon wieder recht vergnügt aussah. Er wagte sogar, die Mutter schelmisch anzulachen, zeigte seine kleinen Zähnchen und sagte dann zärtlich:
»Oller Dussel!«
Bärbel erwiderte nichts. Sie eilte geschäftig hin und her, wieder war der Tisch mit Tassen und Tellern bestellt; aber es stieg ihr heiß in die Augen, wenn sie die zweite Garnitur Tassen sah. Sie hätte so gern mit den echten Meißner Tasten jetzt Staat gemacht.
»Mein schönes, gutes Porzellan. – Oh, du Unhold!«
Der Knabe begann sich zu langweilen. Seine großen blauen Augen gingen suchend durch die Küche. Auf dem Fensterbrett lag ein dickes Buch. Wenn man sich lang machte, konnte man dieses Buch vielleicht erreichen. Die Mutti hatte oft dieses Buch in den Händen. Er wollte sich nur die Bilder darin besehen.
Für Sekunden war der Kleine allein, – ein rascher Griff, das Buch war in seinen Händen. Die Kinderhände durchblätterten es hastig, manche halbe Seite riß dabei ab, enttäuscht hielt es Hermann der zurückkehrenden Mutti entgegen.
»Keine schönen Bilder, Mutti!«
»Was – hast – du – denn da? Das ist ja mein Kochbuch!«
»Kochbuch,« wiederholte der Knabe strahlend.
Bärbel sah die abgerissenen Seiten; grimmig riß sie dem Kinde das Buch aus der Hand und versetzte ihm mehrere Schläge auf die Hände.
»Habe ich dir nicht befohlen, ganz still zu sitzen? Na warte, wenn der Vater heute abend mit dem langen Stocke heimkommt. Prügel bekommst du dann, – na – so, und jetzt drehst du dich zur Wand, ich will dich nicht mehr ansehen.«
Bärbel hob den Knaben hoch und setzte ihn rücklings auf den Hocker.
Das schien gewirkt zu haben. Der Knabe saß mäuschenstill; doch gerade das beunruhigte Bärbel. Immer wieder schaute sie hinüber, doch Hermann bohrte mit den Fingern an seinem Kittelchen herum, versuchte die Strümpfe zu durchstoßen und machte sich an den Schuhen zu schaffen. Das alles war ungefährlich!
Und nun klingelte es.
»Himmel, – das ist die erste! – Grete, gehen Sie öffnen, ich komme sogleich. Führen Sie die Dame ins Zimmer und helfen Sie ihr beim Ablegen. – Lieber Himmel, wenn doch erst der Vater wieder zurück wäre! Ich kann doch den Jungen nicht allein lassen. Jetzt traue ich ihm alles zu!«
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da erschien Herr Wagner. Er brachte neue Schlagsahne und ein großes Paket Kuchen.
»Die ersten Damen sind schon da,« sagte Grete, »die gnädige Frau ist drüben im Salon.«
»Dann wollen wir alles fertigmachen, Grete. Geben Sie mir eine Schürze, ich werde die Sahne schlagen. Sie kümmern sich inzwischen um den Kaffee.«
Bärbel saß inzwischen bei den Gästen, hatte Mühe, ihr erregtes Innere ein wenig zu beschwichtigen, dachte an den kleinen Unhold da draußen, den zerbrochenen Kuchen, die zerschlagenen Tassen und gab dabei liebenswürdig Antwort auf alle Fragen. Aber als sie jetzt aus der Küche das schmetternde Lachen ihres Kindes hörte, wurde es ihr wieder schwer ums Herz. Der Opapa verstand wirklich auch nicht viel von Kindererziehung, wie hätte er jetzt mit dem unartigen Knaben schäkern dürfen.
Die Damen waren versammelt.
»Na, Grete, nun sind wir fertig,« sagte Herr Wagner draußen in der Küche. »Nun brauchen wir nur noch die Schüssel mit der Sahne hineinzutragen, dann können Sie der gnädigen Frau ein Zeichen geben.«
Plötzlich von Kinderlippen ein lautes: »Hoppla, – Hoppla!« Über den Kopf des Apothekers flog ein Gegenstand. Dieser Gegenstand, der sich als ein niedliches Kinderschuhchen entpuppte, fiel direkt in die Schüssel mit der Schlagsahne.
»Hoppla,« jubelte der Knabe, der wieder ein neues Spielzeug gefunden hatte. Jedesmal, wenn ihm die Mutti die Schuhe an- oder auszog, warf sie eines der Schuhchen hoch in die Luft und rief dabei lachend: »Hoppla!«, fing es wieder auf; und mit diesem neckischen Spiel wollte Hermann jetzt dem guten Opa auch eine Freude bereiten.
»Hoppla!« Der zweite Schuh kam geflogen, fiel aber auf das Fensterbrett.
»Bengel!« rief Herr Wagner entrüstet.
Der Knabe kreischte vor Vergnügen. Schon zerrte er an den Strümpfen herum. Da sah sich der Opa gezwungen, dem Beginnen des Knaben energisch Einhalt zu gebieten und ihm einen kräftigen Klaps auf die unnützen Händchen zu versetzen.
»Ach, du liebe Güte, Herr Apotheker,« jammerte Grete und hielt den kleinen Schuh, der über und über mit Sahne bedeckt war, in der Hand. »Was machen wir nun?«
Ein Weilchen überlegte Wagner. Diese Schlagsahne konnte er unmöglich den Damen vorsetzen. Neue holen? Das würde viel zu lange Zeit in Anspruch nehmen, und die Verzögerung mußte unliebsam auffallen.
»Na, so muß es heute ohne gehen. Ich werde nachher den Damen das Mißgeschick erzählen, das heißt nur so, daß mein lieber Enkel den Tisch energisch abdeckte.«
Man setzte sich am Kaffeetisch nieder. Bärbel errötete, sie sah, daß die Schlagsahne fehlte.
»Grete, die Sahne,« flüsterte sie.
»Wir haben keine.«
Bärbel wagte nicht, weiterzufragen. Sie hatte gesehen, daß der Vater mit einem Topf voller Sahne zurückgekehrt war. – Was war wohl inzwischen wieder geschehen? So ächzte sie unhörbar in sich hinein:
»Hermanus, – du Freitagskind!«
Es blieb natürlich nicht aus, daß die Gäste den kleinen Knaben sehen wollten. Bärbel hatte Angst. Sie machte anfangs einige Ausflüchte; doch die Bitten der Damen wurden immer dringender, und so beschloß sie, den Kleinen zu holen.
Draußen setzte es erst noch energische Ermahnungen.
»Daß du jetzt sehr artig bist!«
Bärbel brachte ihr Kind herein. Ohne Scheu blickte Hermann die Damen an, machte auch, so gut er konnte, seinen Diener, schaute aber immer verlangender nach dem Kuchenteller auf dem Tische. Bärbel wurde schon wieder nervös. Sie kannte ihren Knaben. Dem gespannten Gesichtchen sah sie an, daß er schon wieder etwas auf dem Herzen hatte, und da sie heute so häßliche Worte aus seinem Munde vernommen hatte, fürchtete sie das Schlimmste.
»Wie heißt du denn, Kleiner?«
Hermann zuckte die Schultern.
»So sag' es doch!« rief Bärbel energisch dazwischen. »Wie nennt dich die Mutti?«
Der Knabe schob den Daumen in den Mund und sagte laut und deutlich: »Feitakin!«
»Wie heißt du?«
Aber diese Fragen erschienen dem kleinen Hermann recht langweilig, er streckte die Hand aus und sagte:
»Ich möchte ein Stückchen Kuchen haben.«
»Kinder müssen bescheiden sein!« rief Bärbel erregt.
»Aber, meine liebe Frau Wendelin, das ist doch Kinderart! Sind Sie nicht ein wenig zu streng mit Ihrem Jungen?«
»Es ist gewiß nicht leicht, Kinder zu erziehen,« mengte sich eine andere Dame ein, »ich weiß das von meinen fünfen her.«
»Fünf Kinder,« sagte Bärbel mit leisem Aufstöhnen, »mein einer zerschlägt mir schon übergenug. Daß ich Ihnen keine Schlagsahne geben konnte, das ist – das hat –« Sie verstummte.
»Aber, meine liebe Frau Wendelin, Sie werden doch nicht weinen. Was ist denn vorgefallen?«
Bärbel schluckte tapfer die aufsteigenden Tränen hinunter. »Ach,« begann sie wieder, »das erzähle ich Ihnen nachher.«
Der Knabe wurde wieder hinausgebracht, es war alles ganz gut gegangen. Auch während des Kaffeetrinkens herrschte eine fröhliche Unterhaltung, so daß Goldköpfchen mit ihrer Gasterei wenigstens in dieser Hinsicht zufrieden sein konnte.
Gegen sechs Uhr erschien der Gatte, der die Damen begrüßte. Nun kam auch Apotheker Wagner, der unter dem Gelächter der Anwesenden berichtete, welch kostspieligen Scherz sich Hermann heute geleistet hatte.
Mit verschleierten Blicken schaute Bärbel zu dem Gatten hinüber. Würde er sehr böse sein? Sie trug doch eigentlich die Hauptschuld daran, denn sie hatte den Knaben erst darauf gebracht, das Tischtuch vom Tische herunterzuziehen. Hätte sie gewußt, daß auch ihr lustiges Schuhspiel solche Folgen gehabt hatte, sie würde sicherlich noch zerknirschter gewesen sein.
Erst spät am Abend entfernten sich die Gäste, und Bärbel atmete auf, als sich die Tür hinter der letzten geschlossen hatte. Dann schlang sie beide Arme um den Hals des Gatten und sagte bebend:
»Alles hat mir das Freitagskind zerschlagen, alles!«
Harald beruhigte seine kleine Frau. Er meinte, es gäbe doch viel größeres Unglück als zerbrochenes Porzellan.
»Eigentlich verdiente er dafür mächtige Prügel, Harald. – Du mußt mir einen Rohrstock besorgen, einen recht kräftigen, der wird nützen!«
»Was soll ich besorgen, mein Bärbel? – Einen Rohrstock? Ich denke, solch Marterwerkzeug darf niemals in unser Haus kommen?«
»Das ist kein Marterwerkzeug, Harald, das ist der beste Erzieher, den man sich denken kann! – Ach, Harald, heute war es schrecklich!«
»So will ich den kleinen Mann zur Rede stellen. Das darf er natürlich nicht wieder machen.«
»Ja, halte ihm eine ordentliche Strafpredigt, aber kräftig, Harald. Ich bleibe im Nebenzimmer und werde alles mit anhören. Du kannst es immer noch besser als ich, obwohl du nicht so viele Erziehungsbücher durchliest. – Und mein Kochbuch hat er auch zerrissen.«
»Und die Schuhe hat er in die Schlagsahne geworfen,« fiel die eben ins Zimmer tretende Grete ein, »darum konnte ich der gnädigen Frau auch keine Sahne bringen.«
Da saß nun Harald, hatte sich sein Söhnchen aufs Knie gesetzt und sprach ermahnend zu ihm.
»Das darfst du nicht mehr tun, mein Junge, du darfst an keiner Decke ziehen, darfst überhaupt nichts anfassen, was in Muttis Zimmer ist. – Nun hast du der guten Mutti alles zerschlagen und sie sehr traurig gemacht. – Wolltest du Kuchen haben? Hast du darum die Decke vom Tisch gezogen?«
»Den Opa suchen!«
»Der Opa sitzt doch nicht unter dem Tisch, mein Junge.«
»Doch, – der Opa und die Mutti!«
Bärbel, die im Nebenzimmer stand, wurde dunkelrot. Und ihr goldhaariges Köpfchen sank noch tiefer, als der Knabe begeistert weitererzählte, daß die Mutti immer die Schuhe in die Luft schleuderte, ganz genau so, wie er es heute in der Küche auch getan habe.
Da unterblieben die Vorwürfe, die der Vater seinem Sohne machen wollte. Harald biß sich auf die Lippen. Wenn sein geliebtes Goldköpfchen dem Kleinen derartige Spielereien vormachte, wie durfte er dann schelten? Aber daß Bärbel die Äußerungen des Knaben im Nebenzimmer mit anhörte, war recht günstig. Man konnte bei der Erziehung der Kinder nicht vorsichtig genug sein.
»So, mein Junge, nun kommst du mit mir zur Mutti, umarmst sie recht lieb und sagst ihr, daß du nun wieder ein liebes und artiges Kind sein wirst. Du bist doch unser guter Bube?«
»Bin Feitakin!«
»Was bist du?«
»Mutti hat gesagt, ein Feitakin!«
Harald überlegte ein Weilchen, löste aber dieses Rätsel nicht. Er brachte den Knaben seinem jungen Weibe, das ein verlegenes Gesicht zeigte.
»Feitakin will nun wieder sehr lieb sein, Mutti!«
Da hob Bärbel den Knaben auf und küßte ihn zärtlich. Dann brachte sie ihn zu Bett.
Als das Ehepaar nach längerer Zeit zur Ruhe ging, lag Hermann in seinem Bettchen und schlief schon fest.
»Nun sage mir doch einmal, mein geliebtes Goldköpfchen, was ist das für ein neues Wort, das sich unser Junge ausgedacht hat. Ein neuer Kosename?«
»Freitagskind heißt es, Harald. – Ich war so furchtbar böse auf den Jungen, als er mir alles zerschlug. Da fiel mir kein anderes Wort ein. Er schnappt ja alles sofort auf.«
»Ja ja, mein Bärbel, kleine Kinder sind kleine Affen! Aber du hast heute wieder gesehen, wie vorsichtig wir Eltern sein müssen. Kinder sind die besten Erzieher der Eltern. Wir werden uns sehr in acht nehmen müssen, daß unser Feitakin nicht noch andere Dummheiten macht.«
»Ach ja, Harald, du hast ja so recht. Ich hätte niemals gedacht, daß man es als Mutter so schwer hat.«
Feitakin aber drehte sich in demselben Augenblick auf die andere Seite und lächelte im Schlummer.