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[An die Mosel]


 

An die Mosel! / Von A. Trinius

      Dir, gold'ner Moselblume, dies Lied erklingen soll!
Erfüllt von deinem Ruhme, von deiner Schönheit voll:
Preis ich dich laut mit Herz und Sinn, dich, deutscher Weine Königin!

      Vom grünen Hügellande, an deiner Heimat Strom,
Schau'n Burgen stolz zu Lande, klingt's fromm von manchem Dom.
Dort in der Sonne heil'gem Glüh'n sahst deine Jugend du erblühn.

      Wieviel ich auch im Wandern sah deutsche Mädchen fein,
Du bleibst vor allen andern mir doch die Liebste mein.
Schau' ich dein Bild auf gold'ner Welle, lacht mir das Leben doppelt helle.

      Ob sie mit durst'gem Sinne auch loben Pfalz und Rhein,
So duftig, hold wie Minne, dünkt mich kein and'rer Wein.
O, Moselblume, mild und zart, ein Trank, so recht nach deutscher Art.

      Laß sie von Sünde sagen, mir schafft es nicht Verdruß,
Ich will die Bußfahrt wagen bis zu des Lebens Schluß,
Und wenn die letzten Tropfen winken, beseligt in den Himmel sinken. –

      Heran, ihr deutschen Zecher! Stoßt an nach Männerart!
Schwört bei gefülltem Becher, daß Treue ihr bewahrt
Mit Herz und Mund und heit'rem Sinn der deutschen Weine Königin. –

So sang ich einst dem Moselweine zu. Und was dem goldigschimmernden, prickelnden Rebensafte galt, alle die Liebe und Begeisterung, die Treue: ich habe sie auch dem Moseltale gehalten. Wie oft ich auch zwischen Koblenz und Trier das wundersame Tal auf und nieder wanderte, immer war es mir, als klängen leise Harfen mir durch das Gemüt. Glocken schwangen sich durch die Lüfte, Rosen umblühten mich, girrendes Mädchenlachen trieb das Blut freudiger durch die Adern und in den Goldringeln, welche Frau Sonne in den gefüllten Römern malte, da sah ich alles Glück und Hoffen des Lebens selig eingeschlossen.

Um den herrlichen Rhein braust eine Weltgeschichte beinahe, in der von Germanien an sich das Geschick der deutschen Stämme in seinem Leid und seiner Lust in bunten packenden Bildern immer wieder spiegelt. So viel Sehnen und jauchzender Stolz, so viel Liederlust und Poesie ist mit dem Namen Rhein verknüpft, in dessen grünen Wogen sich eine Fülle stattlicher Städte beschauen, auf dessen Grund der Nibelungen Hort ruht, unser heiliger Strom, dessen Besitz uns immer wieder Blut und Tränen kostete. Eine Völkerstraße stellt der Rhein dar, an dessen Ufern die Zungen aller Kulturstaaten zusammenklingen. Stiller, inniger, frömmer mutet mich die Mosel an. Darum haben sie auch Dichter zur Jungfrau Mosel gestempelt, im Gegensatze zum kraftgeschwellten Vater Rhein. Anmut und Liebreiz gürten sie. Ein unaussprechlicher Zauber weht über ihre Rebenhügel, ihre trauten, mittelalterlichen Städtlein, über dem launisch gewundenen Strom, der, burgenreich wie kein anderer deutscher Strom, so recht für Maler, Dichter und beschauliche Wandersleute gemacht erscheint. Und für alle jene, die zu echten »Weinbeißern« zählen! Der Weltlärm, der den Rhein durchtobt, er dringt nicht in dieses liebe Tal. Wer hier wandert, von Ort zu Ort, von Berg zu Berg, da und dort in die Seitentäler eintauchend, der sei gepriesen. Der schmücke seinen Hut mit Rosen, der mache sein Herz frei von aller Last, er sitze an blumenüberwucherter Stadtmauer, im lauschigen Gärtlein nieder und schwenke den Becher mit dem »lockelnden« Weine. Er stimme ein in den Sang, und wo dunkle Mädchenaugen ihm lebensfreudig entgegenschimmern, da denke er daran, daß auch frische Mädchenlippen Nektar bieten, ohne daß er kranken Herzens weiterziehen muß.

Das Moseltal ist ein Gedicht. Prozessionen ziehen an den Ufern hin, Glocken rufen sich fromme Grüße zu, ab und zu ein Fischerkahn, der die Wellen langsam schneidet, während die Sonne über die bis zu den äußersten Felsschroffen mit Rebpflanzungen bedeckten Höhen rollt, allüberall Leben, Kraft, Reife, Süße weckend. So wohl tut der Frieden, der das Tal segnet. Und ob auch eine Uferbahn bis hinauf nach Trier sich windet: an dem Charakter dieses Tals vermochte sie nicht viel zu ändern. Wer hier pilgert, der ist bald daheim. Burgen und Kapellen, Heiligenbilder und malerische Siedelungen reihen sich aneinander bis am Ende der Fahrt das heilige Trier, eine der ehrwürdigsten Städte Deutschlands, herauftaucht.

Statt heldenhaften Überlieferungen aus blonden Germanentagen hat hier der Römer einst seinen Stempel, der Landschaft und ihrem Boden das bestimmende Zeichen aufgedrückt. Fromme Sagen tönen uns allüberall ins Ohr, Legenden haben unverwelkbare Kränze um so viele stille Stätten gewunden. Wohl sind die Wunderbauten der kurznackigen Römer verweht, die hier mit brutaler Gewalt und berauschender Machtfülle die Kunst ihres Heimatlandes herüberbrachten. Was die Erde durch Jahrhunderte festgehalten hatte, was man ausgrub, das birgt jetzt zu Trier das interessante Römermuseum. Aber dem tiefer blickenden Auge offenbart sich doch noch so manches in der Sitte und Art, im Äußeren der Moselaner, in erhaltenen Formen mancher Gebrauchsgegenstände, das wie ein ferner Gruß Roms zu uns spricht. –

Die Römer muß man als die »Entdecker« der Mosel bezeichnen. Sie brachten die Rebkultur ins Tal. Unter ihrer Herrschaft erstanden schimmernde Paläste, Tempel, säulengeschmückte Gärten, Wasserleitungen, Bäder, Arena und reizvolle Landhäuser. Die weiche Luft, die warmen Quellen, die Fruchtbarkeit des Bodens, dies alles zog die verweichlichten Söhne des Südens an. So wurde Trier das zweite Rom. – Die zuerst den Preis der Mosel im Sange feierten, es waren ebenfalls Römer. Voran Decimus Magnus Ausonius! Viele, viele Sänger sind dann dem alten Ausonius nachgefolgt. Preiswettsingen wurden ausgeschrieben. Tausende von Flaschen wurden von deutschen Singerknaben geleert, doch über alle hinweg hat sich nur das eine Lied im Volke erhalten, das allüberall begeistert erklingt, wo frohe Moselaner zusammensitzen, das da anhebt:

»Im weiten, deutschen Lande zieht mancher Strom dahin,
Von allen, die ich kannte, liegt einer mir im Sinn.
      O Moselstrand, o selig Land!
Ihr grünen Berge, o Fluß und Tal.
Ich grüß' euch von Herzen vieltausendmal!« – –

Trevirer saßen wohl zuerst an diesen grünen Borden. Dann setzte Rom als Sieger seinen Fuß fest auf den Nacken der Besiegten. Gegen 500 Jahre hin. In jenen fernen Tagen entstand die urgewaltige düstere Porta nigra, die uns heute noch beim Betreten Triers mit Schauern der Ehrfurcht erfüllt. Neben Trier entstanden andere blühende Städte an der Mosel. Aufgefundene Mosaikböden, Bildsäulen, Denkmale, Waffen, Architekturteile, Gräberreihen, dies alles erzählte den Forschern von der reichen Besiedelung des Tales. Germanische Völkerscharen drangen dann herein. Rom mußte vor diesem wuchtigen Anprall weichen. Vor dem Dome zu Trier liegen noch angefangene Säulenschafte. Hier wie an der Bergstraße im Odenwalde verließen römische Steinmetzen Hals über Kopf ihre Werkstätten und flüchteten südwärts. Franken- und dann Hohenstaufenkaiser kamen und setzten sich als Herrscher ein, bis der Bischofsstuhl zu Trier die Macht an sich für lange riß. Im 17. Jahrhundert ist dann der »Sonnenkönig«, der allerchristlichste Ludwig XIV. von Frankreich gekommen und hat das Moselland tief gebeugt und gedemütigt. Mit der Besitzergreifung Preußens ging endlich langsam ein Stern über dem Tale auf, der aber erst nach den Waffentaten von 1870/71 hellsten Glanz gewann. Nun konnte man beschützt in Frieden seinem harten, auf die Gunst der Witterung so bedenklich eingestellten Tagwerk nachgehen. Seit einigen Jahrzehnten hat sich derselbe Wein, den man einstens glaubte geringschätzig nur als »Bowlenwein« einschätzen zu dürfen, zu einem recht erheblichen Mitkämpfer neben dem Rheinweine aufgerungen. Der Moselwein hat sich in schwerem Ringen die Welt erobert. Die Gerechtigkeit sprach das letzte und entscheidende Wort. –

Friedlich und bedachtsam erscheint jedem der Lauf der Mosel. Und doch würde sie einen reißenden Strom darstellen, wenn die Natur ihr nicht als echt weiblichen Zug verliehen hätte, in schier launischen Hin- und Hersprüngen, in unglaublichen Schleifen eine Hemmung zu schaffen, daß ihre Wellen nun sanft dem Endziele entgegengleiten. Bedenkt man, daß der Gesamtlauf der Mosel zwischen Quelle und Mündung 505 km beträgt, die Entfernung in der Luftlinie jedoch nur 278, so versteht man, wie viele Schleifen der Fluß unterwegs schlingt, immer wieder rückwärts eilt, so den wilden Charakter bändigend und zugleich dem Tale eine Fülle von Überraschungen für den Wanderer verleiht.

Wer die Mosel kennenlernen will, der muß zum Stabe greifen. Den Rucksack übergehängt, ein Lied auf den Lippen und im Herzen Sonnenschein. Und dann das Tal hinaufgezogen! Rasten, wo es uns behagt, auskosten, was die Stunde beut, ein Stück Jugend im Gemüt, ein immer offenes Auge, alles aufzunehmen, was sich in ewig wechselnden Bildern uns bietet. Dann kehrt er heim, die Liebe zur Mosel im Herzen und ... die Sehnsucht nach ihr. – –

Wo die Bastionen des Ehrenbreitstein den Rheinübergang beherrschten, da kommt gegenüber die »lotharingische Jungfrau«, die Mosel, geflossen, um sich angesichts von Koblenz mit dem Rhein zu vermählen und nun die letzte Wanderung zum ewigen Weltmeere anzutreten. Hier bei Koblenz beginnen wir unsere Talfahrt aufwärts, den gefeiertsten Teil der Mosel bis Trier zu durchziehen. Koblenz ist heute eine echte Rheinstadt geworden. Doch einst nannte sie sich mit Stolz eine Moselstadt. Hart am Deutschen Eck, wo das stattliche Denkmal Kaiser Wilhelms aufragt, da scheiden sich Alt- und Neu-Koblenz. Nach der Mosel zu erheben sich noch ehrwürdige Zeugen aus Koblenz' fernen geschichtlichen Tagen. So das alte Kaufhaus, die Florinskirche, der ehemalige Bischofssitz, die Kastorkirche, in deren dämmrigem Schiff im Jahre 853 die Söhne Karls des Großen sich trafen, über die Teilung des Reiches zu beraten. Hier schwingt sich die uralte Moselbrücke über den Strom, auf der in früheren Jahrhunderten Bürger- und Ritterschaft gar manches sinnige, farbenfrohe, lustige Fest begingen. Am Rhein aber erheben sich heute die großen Gasthäuser, ziehen sich die öffentlichen Schmuckanlagen hin, entfaltet sich zwischen den anlegenden Dampfern und den Uferstraßen ein echt rheinisches Leben und Treiben.

Wir nehmen von der Völkerstraße des Rheines Abschied. Noch einen Blick zu der unvergeßlichen Reitergestalt des Kaisers Weißbart ... dann treten wir in das stille Moseltal ein. Anfangs zeigt es noch nicht den romantischen Charakter, der es später bis Trier eignet. Gewelltes Land dehnt sich zu Seiten, überschüttet geradezu von Obstanlagen, die in den Tagen ihrer Blütezeit einen wonnesamen Eindruck gewähren. Aber im Hintergrunde blauen uns bereits die Schroffen und Bergketten, die dann unserer Fahrt treu bleiben werden. Wer aber dieses Stück Tal lieber über die Karthäuser Höhe pilgern will, der schaut mit eins über eine scharf gezackte Berglandschaft, die sich aus den zerrissenen Uferhöhen der Täler Rhein, Mosel und Ahr zusammensetzt. Der stille Hunsrück tritt dabei in Sicht, ebenso die scharfkegligen ausgebrannten Krater der Eifel.

Beim Dörfchen Lay grüßt uns der erste Eckpfeiler der felsumgürteten Mosel. Bald darauf tritt Winningen in Sicht, dessen Kreszenzen hoch im Ansehen stehen. Hinter Winningen hebt der von Burgen besäte Teil des Moseltales an, den man darum auch oft das »Rittertal« nennt. Kaum weiß das Auge die Fülle der geborstenen Sitze zu überfliegen. Eine jede Feste lockt empor, und doch: der Weg ist noch lang, ehe die Türme von Trier vor uns heraufsteigen. Zwischen diesen Burgen, Kapellen und unter Obstbäumen träumenden Siedelungen steigen die Schroffen hinan, dicht bedeckt mit Rebkultur. Hier wird uns die ganze Schwere des Winzerberufes klar. Wer ihn nur aus zurechtgestutzten Bildern, aus lyrisch überhauchten Dichtungen kennt, der hat kein Ahnen von der harten Arbeit, all dem Wagmute, der eisernen Zähigkeit, welche der Winzerstand von seinen Vertretern fordert. Und dann Jahre der Mißernten, der Krankheiten, des Hereinbruchs elementarer Ereignisse! Wer das Herbsten des Weines kennt, wenn es heißt, mit verklammten Fingern in schwelenden Nebelmassen stumm, freudlos die Trauben ernten, der lächelt über die süßlichen Bilder, die Maler und Dichter immer wieder sich leisten.

Zum Dieblicher Berg klimmen wir hinan. Das ist der Blocksberg des Mosellandes. Hier droben haben im finsteren Mittelalter viele Opfer einer vertierten Rechtspflege unter grausamen Qualen ihr Leben lassen müssen. Und dann weiter, weiter, an Kapellen und Burgen hin, an verträumten Klosterstätten und Heiligenbildern! Kobern, Thurant, die Ehrenburg ... wer wollte die Fülle der herrlichen Burgen nennen? Bei Moselkern kommt der Eltzbach rechts seitlich gesprungen, und verfolgt man seinen Lauf durch schweigende Hochwaldpracht, so gelangt man in einer Stunde zu einem wahren Juwel des Mosellandes: Burg Eltz, die sich wunderbar in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten und gleichsam aus dem Felsen emporwächst, während ringsum der Wald ihr huldigend Grüße zurauscht.

Im Zickzack geht unsere Talwanderung hinan. Kulissen schieben sich ein, zuweilen meint man, das Tal müsse sich schließen. Da reißt es bei einer nächsten Wegbiegung wieder auf, und neues Staunen, unerwartete Überraschungen bieten sich dem dankbaren Auge. So geschieht es auch mit Stadt und Burg Kochem. Kochem zählt mit Traben-Trarbach und Bernkastel zu den drei ersten Perlen des gesamten Tales. Hoch über dem mittelalterlich anmutenden Städtlein thront die wieder erbaute Burg, ein wenig wohl allzu künstlerisch hergerichtet und doch wirksam und anziehend. So wohlig streichelt es über unser Gemüt, wenn wir an den alten Häuschen von Kochem emporpilgern, den Blick von der Burg zu gewinnen. Die alte Zeit steht dabei wieder vor unseren Sinnen auf, die noch nichts von der Hatz und dem nervenzermürbenden Kampfe unserer Tage kannte. Die Raubscharen Ludwigs XIV. sprengten einst das Schloß in die Luft, bis dann der Berliner Industrielle Ravens es wieder aufbauen ließ. – –

Jenseits Kochem gerät der Moselfahrer ins Schwanken, doch nicht um des üppigen Weingenusses willen. Während der bequeme Mann sich durch den langen Tunnel des Kochemer Berges tragen läßt, rät der Pilger hin und her, ob er den Weg über den aussichtsreichen Berg nehmen soll oder um ihn herum, dabei das von entzückenden mittelalterlichen Orten besäte Tal behaglich durchschweifend. Denn hier reiht sich ein Malernest an das andere. Nur einige wie Bruttig, Beilstein, Briedern, Senheim, Ediger und Eller seien hier genannt. Bei Eller kommt die Bahn aus ihrem schwarzen Schlund wieder gekrochen, um bald darauf wieder im Tunnel des von der Peterskapelle gekrönten Petersberges zu verschwinden. An der auf einer schweigenden Insel trauernden Klosterruine Stuben vorüber gelangen wir an Bremm, Aldegund und Neef vorbei nach Bullay-Alf, die sich seit Jahrhunderten in die Augen schauen. Hier öffnet sich uns ein tief poetisches Waldtal, das hinan nach Bad Bertrich leitet. Bei Bullay-Alf verläßt die von Koblenz kommende Bahn das Moseltal, um sich durch das Innere des Prinzenkopfes zum Reiler Hals und dann landein zu wenden. Auf dem weit vorgeschobenen Felskap, das hier eine jener merkwürdigen Moselschleifen umfließt, leuchten die herrlichen Ruinen der Marienburg nieder. Welcher Moselfahrer, welches Paar Neuvermählter wäre hier nicht hinangestiegen, sich droben für die Bußfahrt im offenen Chor der ehemaligen Klosterkirche an einem echten Moseltrunke zu laben, von Rosen umblüht, von dem Gezwitscher schwirrender Schwalben lieblich begrüßt?!!!

Wir verlassen für ein paar Stunden das Tal und streben über den bewaldeten Prinzenkopf und Reiler Hals weiter. Das Dickicht des Reiler Halses war einst der Unterschlupf des uns noch von Jahrmärkten her »berühmten Schinderhannes«, der hier lange Jahre sein Unwesen trieb, bis ihn die Gerechtigkeit traf und sein Haupt unter der Guillotine fiel. Mit Reil heben dann an beiden Stromufern jene wundertätigen Kreszenzen an, bei deren Namensnennung der Kenner scheu den Hut lüftet. Wandelt er aber selbst an diesen sonnüberstrahlten Hängen hin, dann möchte er am liebsten die Schuhe ausziehen. Demütig pilgert er von Berg zu Berg, von Ort zu Ort, und immer wieder klimmen und klettern seine bewundernden Augen die Rebterrassen empor und flehen Sonne und Reife, Süße und Feuerskraft für das Rebenblut herbei. Welch ein entzückendes Bild gewährt der blitzsaubere Doppelort Traben-Trarbach, der durch eine schöne Brücke mit Türmen heute verbunden ist. Man muß von den Befestigungen des von Ludwig XIV. geplanten Montroyal herniedersteigen, um die volle Schönheit dieser beiden gewaltigen Weinorte zu würdigen. Hier ist alles Denken und Fühlen so mit Wein durchsetzt, daß selbst die Deckenmalereien des Gotteshauses von Traben Weingeranke zeigen sowie das Bibelwort: »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben!« –

Wer von Trarbach das liebliche Kautenbachtal hinanzieht, der gelangt in die Bernkastler Schweiz und erreicht bei Bernkastel die Mosel wieder. Das idyllische Bad Wildstein streift er dabei, wie er auch viele schöne Felsgruppen berührt. – –

Folgt man dem Tale aufwärts, so geht es für den Weintrinker gleichsam in den Himmel hinein. Wolf, Cröv, Kinheim setzen ein, dann kommen Erden, Uerzig, Zeltingen, Wehlen, Josephshof, Graach, Eues, Bernkastel! Millionen güldener Tropfen haben diese Orte jährlich hinausgesandt, und die Welt draußen und über dem Ozean hat die Namen sich fest ins dankbare Gedächtnis geprägt. Wir aber ziehen durch die Gassen der Weinnester, halten Einkehr, schütteln Freunden die Hände, die Römer klingen an und Erinnerungen steigen herauf und grüßen uns lautlos. – Bernkastel ist ein köstliches Standquartier für alle Moselfahrer. Hier sollte man länger vor Anker gehen, die Schönheit der Umgebung zu genießen, sich am Zauber dieser entzückenden Stadt zu erfreuen, in ihrer Chronik zu blättern, ihre Weine zu probieren. Mehr denn einmal hat der alte Marktbrunnen eitel Wein gespendet, da Bürgerfreude und Bürgerstolz durften hohe Feste feiern. So am Tage der Erinnerung, da Bernkastel sein 600 jähriges Fest der Stadt beging.

Bernkastel ist vielleicht am weitesten bekannt durch seinen »Bernkastler Doktor« einem gar edlen Tropfen, dem es nur ebenso ergeht wie der Liebfrauenmilch und anderen »Spezialitäten«, die auf einem nur kleinen Raume wachsen und doch ... die ganze Welt mit ihrer Gabe erfreuen. Es war der Erzbischof von Trier, Boemund, der krank auf seinem Sommersitze Bernkastel lag, von den Ärzten aufgegeben. Da kam ein Bäuerlein und bat um Eintritt. Er gab dem Kirchenfürsten, einige Becher seines Weines zu schmecken, und ein Wunder geschah.

»Und wie er also Linderung spürt.
Sprach neu und neu dem Quell er zu,
Der golden perlt, vom Himmel rührt
Und Freuden schaffet, Glück und Ruh'.
Und als das Fäßlein ausgetrunken.
Da war das Fieber auch versunken,
Der wunderkräft'ge Wein jedoch
Heißt heut' davon der ›Doktor‹ noch.« – –

Als Dank soll damals auch der Erzbischof dem Orte die Stadtrechte verliehen haben. – Gegenüber dem altertümlichen Bernkastel baut sich, durch eine Brücke verbunden, Cues auf, dessen Weingewaltige manchen stolzen Sitz hier haben. An der Brücke erhebt sich der schlichte gotische Bau eines Hospitals, das der größte Sohn des Dorfes, der von einem Fischersohne zum Fürstbischof von Brixen emporstieg, stiftete: der im Jahre 1464 verstorbene Kardinal Nikolaus Cusanus. Sein Geburtshaus im Dorfe trägt seinen Namen mit Wappen (Krebs), und in der Kirche des Hospitals ruht sein Herz. – –

Auch jenseits Bernkastel-Cues fesseln uns wieder die Namen vieler Weinorte und Rebanlagen. So Lieser, Mülheim, Dusemond, der Brauneberg, Wintrich, Piesport, Ohlisberg, Paulinsberg, Nieder-Emmel, Dhron und andere. Dann nähern wir uns Neumagen. Wer würde es dem sanft hingelagerten, friedlichen Orte anschauen, daß wir in ihm das unter den Römern so berühmte Noviomagus begrüßen müssen? Das Museum zu Trier sagt uns noch in Resten, was hier einst sich erhob. Hier begrüßte der Dichter Ausonius, vom Hunsrück niedersteigend, zum ersten Male die Mosel, und, hingerissen von der Schönheit des Tales, der Pracht der sich zeigenden Stadt, empfing er die heiße Anregung zu seinem berühmt gewordenen Gesange »Mosella«. Hier erhob sich einst der gewaltige Palast des Kaisers Konstantin, drängten sich bildgeschmückte Gärten, Tempel, Bäder, Villen aneinander. 16 Rundtürme allein begrenzten den 134 m langen Sitz des römischen Herrschers. Von all den Herrlichkeiten ist in Neumagen nichts mehr zu finden. Die Zeit schritt vernichtend darüber hin.

Weiter geht unsere Fahrt. Da taucht Trittenheim vor uns unter Obstbäumen auf. Hier ward am 1. Februar 1462 der später so berühmte Abt von Sponheim geboren, Johannes Thritemus. Ein hochbedeutender Mann, aus dessen Vermischung mit der geschichtlichen Gestalt des Rektors zu Kreuznach, Dr. Faust, das Volk späterhin die Sagengestalt Fausts schuf. Noch eine Reihe von Weinorten kommen und gehen. Allmählich hört dann der Weinbau auf. Das Tal beginnt sich langsam zu weiten. Die Felsen treten zurück. Still, still ist es geworden. Bilder voll sanfter Träumerei kommen und gehen. Man glaubt die Zeit zuweilen summen zu hören. Das Schiefergestein hat dem Rotsandstein Platz gemacht. Dieser rotglühende Sandstein leiht besonders um Trier herum der Flußlandschaft den kraftvoll-wirksamsten Rahmen. Bei Ehrang kommt von der Eifel die wilde Kyll herangebraust, nicht weit davon zeigt sich das stille Pfalzel, einst auch ein Königsort, heute verlassen, vergessen. Nur die Sage von der armen Genoveva ist noch immer in dem Volke wach. Gegenüber kommt die Ruwer geflossen, und in dem Rotsandstein erkennt man noch deutlich die Wasserleitungsanlagen der Römer.

Dann öffnet sich uns ein breiter, sonnübergluteter Garten. Türme und Kuppeln steigen herauf, ein altertümliches Dächermeer drängt sich darunter hin. Glocken schwingen sich durch die Lüfte. Hoch vom Bergrande grüßt die Riesengestalt der Mutter Gottes. Heiliger Boden winkt uns. Trier ist erreicht. Und die Gewalt der Geschichte stürmt auch über uns und macht uns still. Durch die Porta nigra schreiten wir in die Stadt hinein. Dom und Kirchen suchen wir auf, Kaiserpalast, Thermen, Arena, die alte Moselbrücke, das Römermuseum. Immer wieder fesselt uns das lebendige Stadtbild. Dann aber treibt es uns mächtig empor, dort hinauf, wo die Mutter Gottes milden Antlitzes die Welt segnet. Hoch über der Stadt nehmen wir Abschied von dem Moseltale, dankbewegt, freudig, einen Schatz von Erinnerungen im Herzen heimtragend. – –


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