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Der Conde

Der Aufstand des Zambos Sarmiento hatte bereits eine erhebliche Ausdehnung erreicht, als man in del Roca die ersten Nachrichten darüber erhielt. Die Verbindungslinien des Landes waren schwierig; schon ein durch Regenfluten überschwemmter Gebirgsbach vermochte oft tagelang den Verkehr lahmzulegen.

Der Präsident hatte, wie man auf del Roca voraussah, in der äußersten Gefahr den einzigen Mann an die Spitze der Armee berufen, der auf Grund seiner Persönlichkeit und seiner Erfahrung befähigt schien, dem Aufstand mit einigem Erfolg entgegenzutreten: den alten General Carlos de Lerma. Lerma, ein müder, von einem schweren Geschick niedergedrückter alter Mann, war ungeachtet aller körperlichen Beschwerden dem Ruf unverzüglich gefolgt, hatte seinen abgeschiedenen Landsitz verlassen und war in die Hauptstadt geeilt. Er war ein sehr populärer, bei Bürgern, Soldaten und Landbesitzern gleich beliebter Mann; das streifende Raubgesindel, das in dem zerrütteten Staatswesen wieder sein altes Treiben begann, kannte ihn und hatte Grund, ihn zu fürchten.

Lerma war einer der ältesten, vornehmsten spanischen Familien entsprossen; er hatte den Rang eines Granden von Spanien und dem Grafentitel seit langem entsagt, hieß aber noch immer und nicht nur bei seinen Stammesgenossen kurzweg »der Conde«.

An einem der Tage, da der junge Pablo von den Mayas in die Berge entführt worden war, saß der General, schon in Uniform, im Gartenzimmer seines an die Placa grenzenden Hauses und schrieb; ein Adjutant trat herein und meldete den Señor Fernando de Callego.

»Wer?« fragte der General, der nicht richtig gehört zu haben glaubte, von seinen Papieren aufsehend.

»Señor Callego«, wiederholte der Offizier.

Ein flüchtiges Lächeln huschte über das zerrissene, verwitterte Gesicht des alten Soldaten. »Herein mit ihm!« rief er, »es gibt doch noch Freuden auf dieser Welt.«

Der Offizier ging, und gleich darauf trat ein alter Mann in straffer Haltung ein, dem man auch in Zivil sofort den Soldaten ansah.

»Amigo mio!« rief der General und ging mit ausgestreckten Armen auf den Ankömmling zu, »das nenne ich eine Freude. Sei willkommen, mein Freund!«

Der Mann in Zivil nahm die dargebotene Hand und drückte sie fest. »Da hast du mich, Don Carlos«, sagte er, »mit Haut und Haar. Nun stell mich dahin, wo du mich haben willst. Einstweilen halten die alten Knochen ja noch zusammen.«

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie gelegen du mir kommst«, versetzte Lerma, »komm setz dich zu mir. Ich brauche dein Organisationstalent. Noch heute schlage ich dich dem Präsidenten als Chef des Generalstabes vor.«

Callego lachte kurz auf und streckte sich behaglich in einem Sessel aus. »Stell mich hin, wo du willst«, sagte er. »Zwar, ob ich noch zum Generalstabschef tauge – –«

»Du taugst. Du bist der einzige, der taugt, Fernando. Um es gleich zu sagen: ich hätte dich in jedem Falle rufen lassen. Aber ich wußte nicht – wir haben lange nichts voneinander gehört; wo kommst du jetzt her?«

»Direkt von Mexiko. Ich habe von dem Aufstand gehört und mich sofort auf den Weg gemacht, um Guatemala meine Dienste anzubieten. Leider mußte ich einen Großteil des Weges zu Lande machen, deshalb komme ich später, als ich wollte. Die Häfen haben die Burschen ja schon im Besitz.«

»Leider«, nickte Lerma.

»Wir werden sie wieder nehmen.«

»Ja, wir werden. Aber – –«; Lerma unterbrach sich selbst und strich sich mit einer fahrigen Bewegung über das gelichtete weiße Haar. »Wir wollen uns nichts vormachen, amigo«, sagte er, »es sieht böse aus. Wir haben weder Waffen noch Geld. Einst hat mich das nicht gehindert, Armeen aus der Erde zu stampfen, du weißt es, aber ob ich es heute noch kann? Und nun der Gegner: Sarmiento ist bei aller Brutalität ein geriebener Bursche. Er hat geschickt agitiert, alle Unzufriedenen, alle Straßenräuber, aber – auch nahezu alle Farbigen stehen hinter ihm. Er lebt von Mord und Plünderung, aber seine Macht nimmt von Tag zu Tag zu. Den neuesten Nachrichten nach steht er bereits am Rio de la Pasion und rüstet sich zum Zug auf die Hauptstadt. Ich habe ihm entgegengeworfen, was ich verfügbar hatte. Es war nicht eben viel. Kriege ich keinen Zuzug vom Süden, unterstützt uns San Salvador nicht mit Waffen und Geld, dann wird, fürchte ich, Sarmiento bald den Turm der Kathedrale hier sehen, und wir können uns in die Berge zurückziehen.«

Callego hatte aufmerksam zugehört. »Und die Mayas? Hat er sie auch?« fragte er jetzt.

Der Conde zuckte die Achseln. »Ich fürchte ja«, entgegnete er. »Mindestens stehen sie stark unter dem Einfluß des Kaziken Chamulpo, dessen du dich entsinnen wirst, und das sagt eigentlich genug. Dieser Chamulpo ist nicht zu unterschätzen, seine Verschlagenheit gibt seiner Brutalität nichts nach. Einstweilen wartet er ab, er sieht mit Interesse zu, wie die Dinge sich entwickeln; sicher ist, daß er mit seinen Mayas eines Tages das Zünglein an der Waage bilden wird.«

»Kann man ihn nicht gewinnen?«

Lerma zog ein verdrießliches Gesicht. »Mir graut vor solchen Notwendigkeiten«, sagte er, »das ist schlimmer als das trojanische Pferd. Immerhin, ich bin Realist genug, um die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich habe deshalb Verhandlungen mit Chamulpo angebahnt; bisher hatten sie das von mir erwartete Ergebnis: Er ist bereit, uns dreitausend Mayas zuzuführen, aber er stellt Bedingungen, über die man überhaupt nicht verhandeln kann, wenn man die Grundfesten des Staates nicht erschüttern will.«

»Die erscheinen mir bereits erschüttert«, bemerkte Callego trocken. »Und wie steht es mit den Mayas in Yucatan?«

In dem feingeschnittenen, müden Gesicht des Conde erschien ein Zug von Resignation. »Wir wissen noch nichts«, sagte er, »bisher haben sie sich nicht gerührt, aber ich bin sicher, daß Chamulpo seinen ganzen Einfluß aufbieten wird, um sie für sich zu gewinnen. Es sind harte, wilde und tapfere Leute, die Mayas aus Yucatan; sie haben den Mexikanern gegenüber ihre Unabhängigkeit gewahrt und sind leicht imstande, zu einem entscheidenden Faktor in der gegenwärtigen Auseinandersetzung zu werden. Seien wir uns ruhig darüber klar: verfügt der Kazike über einige tausend dieser kampfgewohnten Männer zuzüglich zu unseren eigenen Mayas, dann entscheidet er hier in Guatemala den Bürgerkrieg. Und dann liegt, auf welcher Seite er auch kämpft, die Gefahr nahe, daß alles zugrunde geht, was wir seit dem Abzug der Spanier aufgebaut haben.«

Der General schwieg, und auch sein Besucher sah eine Weile, in Nachdenken versunken, vor sich hin. Dann hob er den Kopf und sah den Conde an. »Hör zu, Don Carlos«, sagte er, »du hast mir im Grunde nicht viel Neues gesagt. Ja, ich glaube, daß ich deine Mitteilungen ergänzen kann. Kennst du den General Arana?«

»Dem Rufe nach, ja. Er ist doch ein Maya?«

Callego nickte. »Ja, er ist ein Maya, und ich kenne ihn seit Jahren. Er ist ein besonnener Mann und ein erfahrener Soldat. Und auf sein Wort ist Verlaß, ich habe es erprobt. Ich habe ihn auf meiner Reise hierher getroffen und sehr eingehend mit ihm gesprochen. Wir sprachen auch von Chamulpo. Arana ist mit ihm tödlich verfeindet; von seinem gefährlichen Einfluß auf die Mayastämme spricht er ähnlich wie du. Dieser Einfluß geht auf Zusammenhänge zurück, die wir in den letzten Tiefen vielleicht nicht ganz begreifen. Wir kennen in friedlichen Zeiten unsere Mayas als ruhige und ordentliche Leute, sie sind größtenteils Christen geworden, und nach außen hin deutet kaum etwas darauf hin, daß da noch andere Einflüsse walten. Sie walten aber, sie bewahren allerlei dunkle Erinnerungen an ihre Vorzeit, und sie bewahren sie wie Heiligtümer. Sie sprechen nur nicht davon und gewiß nicht mit Weißen. Chamulpo soll, wie Arana mir sagte, mit dem alten, schon vor langer Zeit in der Hauptlinie ausgestorbenen Königshause der Mayas verwandt sein; oder vielmehr, er soll eine solche Verwandtschaft behaupten; Arana bestreitet nämlich, daß sie besteht. Jedenfalls scheint es Chamulpo gelungen zu sein, seine Landsleute an diese Abkunft glauben zu machen. Arana, der ja auch keineswegs ohne Einfluß und Anhänger ist, versicherte mir, daß er seine ganze Autorität aufbieten werde, um die Mayas in Yucatan von einer Beteiligung am Bürgerkrieg abzuhalten, setzte aber gleich hinzu, daß er überzeugt sei, sich hinsichtlich des Einflusses mit Chamulpo nicht messen zu können.«

»Die Dinge liegen so, daß wir keine Kraft entbehren können«, sagte Lerma, »ich werde Arana schreiben.«

»Tu das«, versetzte Callego, »er kennt dich, und es wird ihm gewiß eine Ehre sein, von dem Sieger von Dolores und Chinaja einen Brief zu erhalten.«

Die alten Freunde schwiegen ein Weile; Callego sah das müde, zerfallene Gesicht des Conde, er erinnerte sich alter Zeiten, und die Rührung überkam ihn.

»Was hast du getrieben in den ganzen Jahren?« fragte er leise.

Lerma sah ihn mit einem trüben Lächeln an. »Nichts«, sagte er, »ich bin damals, als ich die Revolution niedergeschlagen hatte, aufs Land gegangen. Dort habe ich gelebt, wie man eben lebt, wenn man allein ist. Du weißt doch am besten – –«

»Ja, ich weiß. Es muß ein furchtbarer Schlag für dich gewesen sein. Hast du nie wieder etwas gehört?«

»Nie. Es kam alles so schnell und so unerwartet damals; ich begreife es heute noch nicht. Du weißt, Mercedes war mein einziges Kind; ihre Mutter war mir schon früh vom Tode geraubt worden. Nun hatte sie selbst schon eine Tochter – ich sehe sie noch heute vor mir, die junge strahlende Mutter und das kleine Mädchen. Da kam der Aufstand, und die Sicherheit des Landes war in meine Hand gegeben. Diego flüchtete mit Frau und Kind und kam glücklich nach Mexiko. Als es an der Zeit war, die Ordnung im Lande wieder herzustellen, rief ich ihn zurück. Da mußte er diese unglückselige Reise nach England antreten; ach, schweigen wir davon.«

Callego sah mit allen Anzeichen der Überraschung auf. »Was für eine Reise nach England?« fragte er.

»Ach, es waren Dinge politischer Art. Diego de Pinnol wollte gewisse Verhandlungen für uns führen und Waffen kaufen. Man hat von dem Schiff, das ihn hinübertragen sollte, nie wieder etwas gehört.«

Callego schüttelte den Kopf. »Hier stimmt etwas nicht«, sagte er. »Dein Schwiegersohn ist damals gewiß nicht nach England gefahren. Er hat mit Doña Mercedes und dem Kind in Acapulco eine französische Brigantine bestiegen, um nach San José zu segeln.«

»Was sagst du da?« Der Conde sah aufs äußerste betroffen auf.

»Ich weiß es bestimmt«, antwortete Callego. »Zwar, ich erinnere mich, daß Pinnol nach England wollte, er hat diese Absicht aber im letzten Augenblick aufgegeben und sich nach San José eingeschifft, um rascher auf den Kampfplatz zu gelangen.«

Der Conde schien völlig verwandelt, sein Gesicht war gerötet. »Ich begreife nichts«, stammelte er, »was erzählst du da nur?«

»Ich sage, was ich sicher weiß. Ich selbst habe de Pinnol und die Seinen seinerzeit an Bord begleitet und mich dort von ihnen verabschiedet. Ich sehe deine Mercedes und ihr Kind noch vor mir. Sie freute sich so, zu dir zurückkehren zu können. Erst zwei Jahre später erfuhr ich, daß die Brigantine San José niemals erreicht hat.«

»In Acapulco sind sie an Bord gegangen, sagst du?«

»Ganz gewiß.«

Der Conde schwieg eine Weile; seine Augen blickten schon wieder leer, immer wieder fuhr er sich mit dieser fahrigen Bewegung über die hohe Stirn und das schüttere Haar. »Im Grunde bleibt es sich ja gleich«, sagte er. »So oder so ist der Ozean ihr Grab geworden.«

Callego war aufgestanden und ans Fenster getreten, um dem alten Kameraden Zeit zu lassen, sich zu fassen. Nach einer Weile wandte er sich um und streifte den im Sessel Zusammengesunkenen mit einem teilnehmenden Blick. »Deine Familie ist groß, Don Carlos«, sagte er leise.

Der Conde fuhr zusammen. »Ja«, antwortete er, »sie umfaßt alle Guatemalteken.«

»Gewiß. Aber das meinte ich jetzt nicht.«

»Nun, von meinen lieben Blutsverwandten reden wir besser nicht.«

»Deine Schwester hatte doch einen Sohn – –«

»Er ist tot.«

»Aber er hatte auch schon wieder einen Sohn, soweit ich mich entsinne?«

»Von ihm wollen wir lieber erst recht nicht reden. Ich halte ihn für einen Schurken, und ich würde mich keinen Augenblick wundern, ihn auf der Seite der Aufständischen zu finden. Daneben ist er sicherlich damit beschäftigt, meine Tage zu zählen. Nun, seine Enttäuschung nach meinem Tode wird groß sein.«

Er hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als der Adjutant eintrat und den Señor de Mendez meldete.

»Da hätten wir ihn«, knurrte der General, »das hat mir gerade noch gefehlt.« Sein Gesicht hatte sich finster verschattet, und zunächst sah es so aus, als ob er den Besucher abweisen lassen wollte, doch besann er sich schließlich anders und befahl, ihn hereinzulassen. »Bleibe ruhig hier und sieh dir meinen Herrn Großneffen an«, wandte er sich an Callego. »Ich vermute, es wird recht aufschlußreich sein.« Callego nickte und zog sich in den Hintergrund des Zimmers zurück.

Gleich darauf stand Mendez im Raum. Er sah keineswegs unvorteilhaft aus, machte vielmehr im ersten Augenblick einen gewinnenden Eindruck.

»Was verschafft mir die unerwartete Ehre?« fragte der Conde kurz.

»Liegt das nicht nahe?« Mendez hatte sich mit vollendeter Ehrerbietung verneigt. »Ich hörte, daß du an die Spitze der Armee berufen wurdest. Ich hielt es für meine Pflicht, mich dir zur Verfügung zu stellen.«

»Hoffentlich bringst du Geld und Männer mit?«

»Du scherzst, verehrter Großoheim.« Der junge Mann zeigte ein beinahe verblüfftes Gesicht. »Woher sollte ich Geld in diesen Zeiten nehmen? Daß im übrigen mein ganzes Eigentum zur Verfügung des Staates steht, ist in der Stunde der Gefahr selbstverständlich. Männer mitzubringen, hatte, wie die Dinge liegen, keinen Sinn. Meine Vaqueros sind unzuverlässig und die Indios erst recht, wie du dir selber sagen wirst.«

»So daß du nur deine werte Person dem Staat zur Verfügung stellst?«

»Mehr kann ich im Augenblick leider nicht bieten.«

»Gut.« Der General machte eine verabschiedende Bewegung. »Melde dich bei Oberst Lopez und laß dich in das Lanceroregiment einreihen, das gegenwärtig gebildet wird.«

»Ich verstehe vielleicht nicht ganz«, sagte Mendez gedehnt, »du wirst mir eine Eskadron geben?«

Der Conde maß den Großneffen mit einem erstaunten Blick. »Du stellst sonderbare Fragen«, sagte er. »Zu Offizieren kann ich nur kampferprobte Soldaten machen; das gilt grundsätzlich, und jetzt in der Gefahr gilt es erst recht.«

Der junge Mann zuckte zusammen, ein Schatten lief über sein Gesicht. »Louis de Mendez als gemeiner Soldat!« preßte er heraus.

Lerma streifte ihn mit einem kalten Blick. »Nicht nur Louis de Mendez«, sagte er, »er teilt diese Ehre mit zahllosen jungen Männern edelster Abkunft. Und es wird ausschließlich an dir liegen, dir die Rangabzeichen eines Capitanos in Kürze zu verdienen. Es geht hier um Leben und Tod. Zu Führern brauche ich erprobte Soldaten.«

Callego, im Hintergrund stehend, sah, daß Mendez sich gewaltsam beherrschte. Er sah sein verzerrtes Gesicht. Der Gedemütigte verbeugte sich knapp. »Louis Mendez wird seine Pflicht tun. Lebwohl, Großoheim«, sagte er und ging in guter Haltung zur Tür. Lerma rief ihn nicht zurück.

»Mir scheint, du bist ein wenig hart mit ihm umgegangen«, sagte Callego nähertretend, »der junge Mann sieht gar nicht übel aus.«

»Nein, deshalb fallen auch alle möglichen Leute immer wieder auf ihn herein«, versetzte der Conde. »Aber ich nicht mehr. Ich sehe ihm bis auf den Grund der Seele. Ich habe ihn mit erzogen, nachdem seine Eltern tot waren, und ich habe mir redliche Mühe gegeben, ihn zu meinem Erben zu erziehen. Da war jede Mühe vertan. Er ist verlogen, habsüchtig, grausam und feige; ich habe bisher, von einiger äußerer Haltung abgesehen, keine gute Eigenschaft an ihm entdecken können. Er hat meine Leute gequält und geschunden, hat Unsummen auf seine künftige Erbschaft hin verspielt, die ich dann bezahlen mußte, und hat sich bisher alles in allem als ein Lump erwiesen. Die Augen restlos geöffnet hat mir sein Verhalten, als ich einmal in seiner Gegenwart in Gefahr geriet. Ein angeschossener Jaguar nahm mich an und warf mich zu Boden. Er stand neben mir; den Ausdruck, den er im Gesicht hatte, werde ich bis zu meinem Ende nicht vergessen; er rührte keinen Finger. Mein alter Pepe kam dann im letzten Augenblick dazu und erlegte die Bestie. Mendez behauptete später, die Angst um mich habe ihn gelähmt. Ich habe diese ›Angst‹ in seinem Gesicht gesehen. Schweigen wir von ihm.«

Sie sprachen dann über andere, näherliegende Dinge. Und während sie sprachen, stand Louis de Mendez mit haßverzerrtem Gesicht im Hausflur. »Wir werden sehen, wir werden sehen, alter Narr!« murmelte er vor sich hin. Heraustretend rief er seinen Peon, stieg auf sein Pferd und jagte, von dem Diener gefolgt, in schnellem Galopp davon.

Er war kaum fort, als auf beinahe zu Tode gehetztem Pferd ein Lancero vor dem Hause des Generals aus dem Sattel sprang. Er wurde Lerma gemeldet und augenblicklich in das Zimmer geführt, in dem auch Callego noch weilte.

»Was bringst du?« fragte der General.

Der Soldat überreichte einen Zettel, und Lerma las laut:

»Gestern bei Fleagura mit Übermacht angegriffen, habe ich nach dreistündigem, hartem Kampf weichen müssen. Die Verluste sind schwer. Ich werde die Pässe von Colino zu halten suchen, brauche aber dringend Verstärkung.
Minas

Der General ließ den Zettel sinken. »Warst du dabei?« fragte er den Lancero. Der sah ihn aus schweiß- und schmutzverkrustetem Gesicht an. »Ja, General.«

»Warum seid ihr vor den rebellischen Schuften davongelaufen?«

Der Mann reckte sich, sein Gesicht flammte auf. »Wir sind nicht davongelaufen, General«, sagte er. »Wir haben einer erdrückenden Übermacht weichen müssen.«

Lerma hatte sich schon gefaßt, er streifte den Soldaten mit einem warmen Blick. »Ruhe dich aus und laß dich verpflegen, Mann«, sagte er, ihm ein Geldstück reichend.

»Mil gracias, Excellenza!« Der Lancero nahm die Münze, grüßte militärisch und ging.

»Das Unheil rückt näher«, sagte der Conde. »Minas ist ein tapferer Soldat, der nicht ohne äußerste Not weicht. Komm abends wieder, Fernando, ich will noch einige Befehle geben und dann zum Präsidenten gehen.«

Callego drückte ihm warm die Hand. Als er ging, betraten die diensttuenden Adjutanten das Zimmer, um die Befehle des Oberkommandierenden entgegenzunehmen. Bald darauf jagten die Ordonnanzen ins Land.


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