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Als Nechludoff am nächsten Morgen erwachte, hatte er sofort die unklare Empfindung, es wäre ihm am vorigen Tage etwas passiert, etwas sehr Schönes und Bedeutendes. Dann wurden seine Erinnerungen klarer. »Katuscha, der Schwurgerichtshof!« Dazu der feste Entschluß, mit der Lüge ein Ende zu machen und von jetzt ab die ganze Wahrheit zu sagen.
Infolge eines merkwürdigen Zufalles fand er unter seiner Post den so lange erwarteten Brief von Marie Wassiljewna, der verheirateten Frau, deren Geliebter er so lange gewesen war. Sie gab ihm seine Freiheit zurück und fügte die innigsten Glückwünsche für seine bevorstehende Heirat hinzu.
»Meine Heirat,« sagte er sich lächelnd, »wie fern das liegt!«
Dann erinnerte er sich an den Plan, den er am vorigen Tage gefaßt, dem Gatten seiner Geliebten alles zu sagen, ihn um Verzeihung zu bitten und sich ihm zu jeder Genugthuung, die er von ihm fordern würde, zur Verfügung zu stellen.
Doch dieser schöne Plan schien ihm am Morgen nicht mehr so leicht ausführbar, wie am vorigen Tage. Warum sollte er einen Mann unglücklich machen, indem er ihm eine Wahrheit enthüllte, die ihm nur Schmerz verursachen konnte? »Wenn er mich danach fragt, so werde ich es ihm sagen, doch es ihm selbst vorher mitteilen: nein, das ist nicht nötig!«
Ebenso undurchführbar erschien ihm nach längerer Ueberlegung sein Plan, Missy die ganze Wahrheit zu sagen. Auch hier lag kein Bedürfnis zum Sprechen vor, es hieß, sich unnütz demütigen. Bei ihr war es besser, sich auf Andeutungen zu beschränken, und Nechludoff beschloß an diesem Morgen, nicht mehr zu den Kortschagins zu gehen, außer, um ihnen den Grund seines Fernbleibens zu erklären, wenn sie ihn durchaus wissen wollten.
Was dagegen sein Verhältnis zu Katuscha betraf, so meinte er, daß er sich hier nicht auf Andeutungen beschränken konnte. »Ich werde sie in ihrem Gefängnis aufsuchen, werde ihr alles sagen, sie um Verzeihung bitten und sie, wenn es sein muß, heiraten.«
Der Gedanke, alles zur Beruhigung seines Gewissens zu opfern und im Notfalle Katuscha zu heiraten, gefiel ihm ebenso gut wie am vorigen Tage.
Was schließlich die Geldfrage anbetraf, so beschloß er, sein Verhalten den Grundsätzen anzupassen, denen er hinsichtlich der Ungerechtigkeit des Grundeigentums Ausdruck verliehen. Wenn er auch nicht die Kraft hatte, sich seines ganzen Vermögens zu berauben, so wollte er doch wenigstens nur einen Teil behalten und sein Möglichstes thun, um gegen sich selbst und die andern aufrichtig zu sein.
Seit langer Zeit hatte er sein Tagewerk nicht mit solcher Energie begonnen. Als Agrippina Petrowna seine Befehle im Eßzimmer einholte, erklärte er ihr sofort mit einer Festigkeit, über die er sich selbst wunderte, er würde seine Wohnung aufgeben und sähe sich gezwungen, auf ihre Dienste zu verzichten. Noch nie hatte er sich seit dem Tode seiner Mutter mit der Wirtschafterin darüber ausgesprochen, was er mit seinem großen, für einen Junggesellen viel zu luxuriösen Haushalt anzufangen beabsichtigte; doch es war stillschweigend abgemacht, er würde das Haus weiter bewohnen, da er ja kurz vor seiner Verheiratung stand. Der Plan, das Haus zu verlassen, hatte also eine besondere Bedeutung, die Agrippina Petrowna sofort verstand, und deshalb warf sie Nechludoff einen erstaunten Blick zu.
»Ich bin Ihnen für Ihre Freundlichkeit sehr dankbar, doch ich brauche jetzt keine so große Wohnung und so zahlreiche Dienerschaft mehr. Wenn Sie mir also behilflich sein wollen, so möchte ich Sie bitten, alles zu meinem Umzuge vorzubereiten und inzwischen alle unnötigen Möbel einpacken zu lassen. Wenn meine Schwester kommt, mag sie sehen, was sie damit anfangen will.«
Agrippina Petrowna schüttelte den Kopf und erwiderte:
»Wie, was sie damit anfangen will? Aber Sie brauchen das alles ja später noch.«
»Nein, ich brauche es nicht mehr, Agrippina Petrowna, ich brauche es wirklich nicht mehr,« entgegnete Nechludoff. »Und dann sagen Sie auch bitte Kornej, ich würde ihm zwei Monate vorher bezahlen, und er könne sich schon heute eine andere Stellung suchen.«
»Sie thun unrecht, so zu handeln, Dimitri Iwanowitsch; selbst wenn Sie die Absicht haben, ins Ausland zu gehen, brauchen Sie doch immer einen Platz, um Ihre Möbel abzustellen.«
»Das denken Sie wohl selbst nicht, Agrippina Petrowna,« entgegnete Nechludoff lächelnd. »Außerdem gehe ich nicht ins Ausland, und wenn ich irgendwo hingehe, so trete ich eine ganz andere Reise an, als Sie vermuten können.«
Bei diesen Worten überflog eine plötzliche Röte seine Wangen, und er dachte:
»Ich muß ihr alles sagen, ich habe hier keinen Grund zum Schweigen und muß ihr die ganze Wahrheit sagen.«
»Ich habe gestern etwas sehr Seltsames und sehr Ernstes erlebt,« fuhr er fort. »Sie erinnern sich wohl noch an die Katuscha, die bei meiner Tante Maria Iwanowna diente?«
»Gewiß, ich habe ihr ja das Nähen beigebracht.«
»Nun also! man hat sie gestern vor dem Schwurgericht, bei dem ich als Geschworener war, verurteilt.«
»Ach, du lieber Gott, entsetzlich,« sagte Agrippina Petrowna, »und weswegen hat sie man sie verurteilt?«
»Wegen Mordes ... Und ich bin an allem schuld!«
»Das ist in der That sehr seltsam; aber wie können Sie denn an allem schuld sein?« »Ja, ich bin an alledem schuld, und dieses Ereignis hat alle meine Pläne umgestürzt.«
»Was sagen Sie da?«
»Gewiß, denn ich bin daran schuld, daß sie diesen Weg eingeschlagen hat, und darum muß ich ihr zu Hilfe kommen.«
»Daran erkenne ich Ihr gutes Herz, Dimitri Iwanowitsch, doch von Ihrer Schuld ist bei alledem gar nicht die Rede, So was passiert einem jeden, und wenn jemand Vernunft hat, so läßt sich alles einrenken und vergessen, und das Leben geht weiter. Glauben Sie mir, es wäre Thorheit von Ihnen, wollten Sie sich dafür verantwortlich machen. Man hat mir schon lange gesagt, dieses Geschöpf wäre vom rechten Weg abgewichen, und die Schuld fällt nur auf sie allein zurück.«
»Nein, nein, ich trage die Schuld, und ich muß sie auch gutmachen.«
»Wie wollen Sie sie denn gut machen?«
»Das werde ich schon sehen, das ist meine Sache. Doch wenn Sie Ihretwegen in Sorge sind, Agrippina Petrowna, so will ich Ihnen gleich sagen, daß meine Mutter in ihrem Testament bestimmt hat ...«
»O nein, nein, meinetwegen bin ich nicht in Sorge. Die Selige hat mich so mit ihren Wohlthaten überhäuft, daß ich nichts mehr brauche. Ich habe eine Verwandte, die mich eingeladen hat, bei ihr zu leben; und wenn ich genau weiß, daß ich Ihnen nicht mehr dienlich sein kann, so werde ich zu ihr gehen. Doch ich muß Ihnen sagen, Sie thun unrecht, sich diese Sache so zu Herzen zu nehmen. So etwas ist jedem schon passiert.«
»Ich denke eben darüber nicht wie Sie, und bitte Sie, alles zu meinem Umzuge vorzubereiten. Seien Sie nicht böse, Agrippina Petrowna, ich bin Ihnen auch für alles, was Sie für mich gethan haben, dankbar.«
Merkwürdigerweise hatte Nechludoff von dem Augenblicke an, da er eingesehen hatte, er wäre ein Dummkopf und ein Schuft, aufgehört, die andern zu hassen und zu verachten. Im Gegenteil, er empfand für Agrippina Petrowna und seinen Diener Kornej die freundschaftlichsten Gefühle, und es ergriff ihn ein lebhafter Wunsch, sich vor Kornej zu demütigen, wie er es eben vor der Wirtschafterin gethan; doch Kornej war von einer so platten Dienstbeflissenheit, daß Nechludoff nicht den Mut fühlte, sich vor ihm zu demütigen.
Um sich in das Gerichtsgebäude zu begeben, wo er von neuem als Geschworener zu fungieren hatte, nahm er denselben Wagen, den er am vorigen Tage genommen, und der Kutscher fuhr ihn durch dieselben Straßen; dabei wunderte er sich über die ungeheure Veränderung, die sich während dieser vierundzwanzig Stunden in ihm vollzogen hatte, und bemerkte, daß er wirklich ein anderer Mensch geworden war.
Seine Heirat mit Missy, die er am vorigen Tage so nahe geglaubt, erschien ihm jetzt vollständig unmöglich. Am vorigen Tage war er noch überzeugt, er würde das junge Mädchen glücklich machen, wenn er sie heiratete; doch jetzt hielt er sich nicht allein für unwürdig, sie zu heiraten, sondern auch, mit ihr zu verkehren.
»Wenn sie wüßte, wer ich bin, so würde sie mich um keinen Preis der Welt weiter empfangen. Und ich trieb die Sorglosigkeit so weit, ihr ihre Koketterie mit Romanoff zum Vorwurf zu machen! Könnte ich selbst, wenn ich mich mit ihr verheiratet hätte, auch nur einen Augenblick glücklich oder ruhig sein, wenn ich wüßte, daß die andere, die Unglückliche, sich im Gefängnis befindet und morgen in einzelnen Tagemärschen zur Zwangsarbeit abgeführt wird, während ich hier mit meiner jungen Frau Glückwünsche entgegennehme und Hochzeitsbesuche empfange! Nein, das alles ist jetzt nicht mehr möglich,« sagte sich Nechludoff und freute sich über die Veränderung, die sich in ihm vollzogen hatte.
»Vor allem,« sagte er sich dann, »muß ich den Advokaten aufsuchen und das Resultat seiner Bemühungen erfahren ... dann ... dann muß ich sie aufsuchen und ihr alles sagen.«
Und jedesmal, wenn er sich in seinem Geiste vorstellte, wie er sie ansprechen, ihr alles sagen, das Geständnis seiner Schuld vor ihr ablegen und ihr erklären wollte, daß er allein alles gethan, dann wurde er gerührt über seine heroische Güte, und Thränen stiegen ihm in die Augen.
Im Korridor des Justizgebäudes begegnete Nechludoff dem Nuntius des Schwurgerichts. Er fragte ihn, wohin man die Verurteilten brächte und auch, an wen man sich wegen der Erlaubnis, mit ihnen zu sprechen, wenden müßte. Der Nuntius erwiderte, die Verurteilten würden nach verschiedenen Orten gebracht und nur der Staatsanwalt könne diese Erlaubnis geben.
»Uebrigens,« fügte er hinzu, »werde ich Sie nach der Sitzung abholen und Sie selbst zum Staatsanwalt führen; jetzt aber bitte ich Sie, gehen Sie schnell in das Geschworenenzimmer, denn die Sitzung wird gleich beginnen.«
Nechludoff dankte dem Nuntius und eilte nach dem Geschworenenzimmer. Als er eintrat, wollten die Geschworenen eben in den Sitzungssaal gehen. Der Kaufmann war, wie am vorigen Tage, in fröhlicher Laune, und man sah, daß er wieder tüchtig gegessen und getrunken hatte.
Er empfing Nechludoff wie einen Freund, und selbst Peter Gerassimowitsch machte auf den jungen Mann nicht mehr den unangenehmen Eindruck, den er am vorigen Tage ihm gegenüber empfunden hatte.
Nechludoff fragte sich, ob er den Geschworenen die Beziehungen mitteilen sollte, die er mit dem Weibe, das sie am vorigen Tage verurteilt, unterhalten hatte. »Schon gestern,« dachte er, »hätte ich im Augenblick, da das Urteil gefällt wurde, aufstehen und öffentlich meine Schuld bekennen müssen.« Als er dann aber in den Sitzungssaal trat und die Prozedur vom vorigen Tage wiederholt wurde – der Aufmarsch der Richter in der Amtsrobe, die tiefe Stille, der Aufruf der Geschworenen, die Gensdarmen, das alte Bild, der Priester – da hatte er das Gefühl, daß er mit dem besten Willen von der Welt am vorigen Tage nicht die Kraft gefunden hätte, eine so feierliche Ceremonie zu stören.
Die Vorbereitungen des Urteils waren dieselben wie bei der letzten Sitzung, nur mit dem Unterschiede, daß man den Geschworenen nicht den Eid abnahm, und der Präsident ihnen seine kleine Ansprache ersparte.
Der Fall, der an diesem Tage zur Verhandlung gelangte, war ein Einbruchsdiebstahl. Der Angeklagte war ein engbrüstiger, magerer, zwanzigjähriger Bursche mit gelbem Gesicht, der einen grauen Kittel trug. Er blieb auf der Anklagebank zwischen zwei Gensdarmen sitzen und hustete ununterbrochen. Dieser Bursche hatte mit seinem Kameraden die Thür einer Scheune aufgebrochen und sich eines Pakets Besen bemächtigt, die zusammen einen Wert von drei und einem halben Rubel hatten. Die Anklageakte erzählte, daß die Angeklagten gerade in dem Augenblick, als sie mit den Besen auf dem Rücken entfliehen wollten, von einem Polizisten verhaftet wurden. Beide hatten das umfassendste Geständnis abgelegt, und man hatte beide im Gefängnis behalten. Der eine war dort gestorben, und darum erschien nur der andere vor Gericht. Die Besen lagen als Beweisstücke auf dem Tische.
Der Prozeß nahm denselben Verlauf wie der der Maslow, mit genau demselben Apparat von Verhören, Zeugen und Sachverständigen. Der Polizist, der den Angeklagten verhaftet, antwortete auf alle Fragen des Präsidenten, des Staatsanwalts und des Verteidigers: »Ganz recht,« oder »Ich weiß nicht«. Noch hinter diesen mechanischen Antworten und der Achtung vor der Disziplin merkte man, daß ihm der Angeklagte leid that und er auf seinen Fang nicht sehr stolz war.
Ein zweiter Zeuge, ein Greis mit leidendem Gesicht, war der Besitzer des Hauses, in welchem der Diebstahl begangen worden. Als man ihn fragte, ob er seine Besen wiedererkenne, that er das in auffällig schlechter Laune, und als der Staatsanwalt ihn fragte, ob ihm die Besen sehr nötig gewesen wären, versetzte er ärgerlich: »Der Teufel hole diese verdammten Besen, sie haben gar keinen Wert für mich. Ich würde gern das Doppelte ihres Wertes geben, um nicht den Aerger und die Sorgen zu haben, die diese Sache mir bereitet hat. Ich habe ja allein in Droschken schon das Doppelte ausgegeben! Und dabei bin ich krank, seit sieben Jahren habe ich die Gicht!«
So sprachen die Zeugen. Was den Angeklagten anbetraf, so gestand er alles, erzählte die Sache, wie sie vor sich gegangen war, sprach mit heiserer, unaufhörlich von Hustenanfällen unterbrochener Stimme und drehte wie ein in einer Schlinge gefangenes Tier mit blöden Blicken den Kopf nach allen Richtungen.
Doch ebenso wie am vorigen Tage bemühte sich der Staatsanwalt, ihm spitzfindige Fragen vorzulegen, die seiner angeblichen Verschlagenheit die Spitze abbrechen und ihn überführen sollten.
In seiner Rede behauptete er, der Diebstahl wäre mit Vorbedacht begangen, von Einbruch begleitet gewesen, und der Angeklagte müßte infolgedessen mit den strengsten Strafen belegt werden.
Dagegen erklärte der vom Gericht eingesetzte Officialverteidiger, der Diebstahl wäre ohne Vorbedacht begangen, nicht vom Einbruch begleitet gewesen, und der Angeklagte wäre trotz seines ernsten Verbrechens nicht so gefährlich für die Gesellschaft, als der Staatsanwalt es hingestellt hatte.
Schließlich erklärte der Präsident mit derselben Unparteilichkeit den Geschworenen wie am vorigen Tage, was sie von der Sache wissen müßten. Wie am vorigen Tage wurde die Sitzung aufgehoben, die Geschworenen rauchten Cigaretten, der Nuntius meldete: »Der Gerichtshof«, und wie am vorigen Tage bemühten sich die Gensdarmen, die den Angeklagten mit gezogenem Säbel bewachten, nicht einzuschlafen.
Aus der Verhandlung ging hervor, daß der Angeklagte mit fünfzehn Jahren von seinem Vater in eine Tabakfabrik gebracht worden, wo er fünf Jahre geblieben war; im Monat Januar war er infolge eines Streites, der sich zwischen dem Direktor der Fabrik und den Arbeitern entsponnen hatte, entlassen worden. Nun hatte er keine Arbeit gehabt, war aufs Geratewohl in den Straßen herumgeirrt und hatte mit einem Schlossergesellen Bekanntschaft geschlossen, der ebenfalls seine Stelle verloren hatte und trank. In einer Nacht, als sie beide betrunken waren, hatten sie zusammen die Thür einer Scheune erbrochen und den ersten Gegenstand, der ihnen in die Hände gefallen war, daraus entwendet. Der Schlossergeselle war im Gefängnis gestorben, und jetzt wurde sein Komplize den Geschworenen als ein gefährliches Wesen vorgeführt, dem man die Möglichkeit nehmen mußte, der Gesellschaft weiter zu schaden.
»Ein ebenso gefährliches Wesen, wie die Verurteilte von gestern,« dachte Nechludoff, als sich die Einzelheiten des Prozesses vor ihm entrollten. »Alle beide sind gefährliche Wesen! Zugegeben! Aber was sind wir, die wir über sie zu Gericht sitzen? Was bin ich zum Beispiel, ich, der Wüstling, der Lügner, der Betrüger? Sind wir denn nicht gefährlich? ... Und selbst angenommen, dieses unglückliche Kind wäre das einzige gefährliche Wesen, das sich in diesem Saal befindet, was sollen wir jetzt, da er sich hat fassen lassen, mit ihm anfangen? – Es ist klar, daß dieser Bursche kein Verbrecher von Beruf, kein außergewöhnlicher Missethäter ist, sondern im Gegenteil der gewöhnlichsten Art angehört. Das weiß und fühlt jeder, ebenso daß er das, was er ist, nur darum geworden ist, weil er sich unter Verhältnissen befunden hat, die ihn notgedrungen dazu bringen mußten. Ebenso klar ist es in den Augen eines jeden verständigen Menschen, daß wir, um solche Wesen an ihrem eigenen Verderben zu hindern, uns vor allem bemühen müssen, die Bedingungen zu zerstören, die die unmittelbare Wirkung haben, sie ihrem Verderben entgegenzuführen. Was thun wir aber? Wir packen aufs Geratewohl einen dieser armen Teufel, obwohl wir ganz genau wissen, daß tausend andere derselben Art in Freiheit bleiben, werfen sie ins Gefängnis, verdammen sie zu völliger Unthätigkeit oder zu einer ungesunden und blöden Arbeit in Gesellschaft anderer armer Teufel ihrer Art, und lassen sie dann auf Staatskosten von dem Gouvernement A... nach dem Gouvernement Irkutsk transportieren, und zwar diesmal in Begleitung der schlimmsten Verbrecher. – Um aber die Bedingungen zu zerstören, die solche Wesen hervorbringen, dazu thun wir nichts. Was sage ich? Wir thun alles, um sie zu entwickeln, indem wir die Fabriken, die Werkstätten, die Schenken, die Bordelle vermehren. Wir zerstören diese Bedingungen nicht nur nicht, sondern wir halten sie für notwendig, ermutigen sie und verleihen ihnen den Schutz des Gesetzes! So bilden wir nicht einen, sondern Tausende von Missethätern, und reden uns ein, wenn wir zufällig einen fassen, die Gesellschaft gerettet und unsere Pflicht gethan zu haben, wenn wir es durchsetzen, daß der arme Teufel vom Gouvernement A... nach dem Gouvernement Irkutsk überführt wird.«
Das dachte Nechludoff, während er auf seinem Sessel mit der hohen Lehne neben dem Obmann der Geschworenen saß und auf die Stimmen des Staatsanwalts, des Verteidigers und des Präsidenten hörte.
»Und wenn ich denke,« fuhr er, das blasse Gesicht des Angeklagten betrachtend, fort, »daß nur jemand, als sein Vater ihn unter dem Drucke der Not in die Stadt schickte oder später, als der Unglückliche mit seinen Kameraden in den Schenken ein bißchen Zerstreuung suchte, mit ihm Mitleid hätte zu haben brauchen! Hätte damals jemand mit ihm Mitleid gehabt und zu ihm gesagt: »Gehe nicht hin, Wanja, das ist nicht recht!« so wäre das Kind nicht hingegangen, wäre nicht verdorben und hätte nicht das Uebel angerichtet, das es eben angerichtet hat! – Doch während dieser ganzen Zeit, da er wie ein kleines Tier in seiner Fabrik gelebt hat, hat niemand mit ihm Mitleid gehabt. Im Gegenteil, ein jeder, Werkmeister und Kameraden, hat ihn in diesen fünf Jahren gelehrt, daß die Klugheit für einen Jungen seines Alters im Lügen, Trinken, Schimpfen, Prügeln und den Weibern Nachlaufen besteht. Wenn er dann von einer ungesunden Arbeit, dem Trunke und von der gemeinen Ausschweifung erschöpft und verdorben, ziellos durch die Straßen irrt und sich hinreißen läßt, in eine Scheune einzubrechen und einige alte, längst nicht mehr gebrauchte Besen daraus zu stehlen, dann versammeln wir reichen und gebildeten Leute, denen es an nichts fehlt, uns in einem feierlichen Saale und sitzen zu Gericht über diesen Unglücklichen, den wir selbst zu Grunde gerichtet haben!«
So dachte Nechludoff, ohne auf das, was um ihn her vorging, weiter acht zu geben, und fragte sich, wie es nur kam, daß er und die andern das alles nicht schon früher bemerkt hatten.
Als die Geschworenen sich nach der Rede des Präsidenten in das Beratungszimmer zurückgezogen hatten, um die gestellten Fragen zu beantworten, trat Nechludoff, anstatt seinen Kollegen zu folgen, in den Korridor, da er plötzlich den Entschluß gefaßt, an den folgenden Verhandlungen nicht mehr teilzunehmen. »Mögen sie mit diesem Unglücklichen thun, was sie wollen,« sagte er sich, »ich kann mich nicht länger an einer solchen Komödie beteiligen!«
Er bat einen Aufseher, ihm das Zimmer des Staatsanwalts zu zeigen und begab sich sofort dorthin. Der Thürsteher wollte ihn zuerst nicht einlassen und behauptete, der Staatsanwalt wäre beschäftigt; doch Nechludoff öffnete, ohne auf ihn zu hören, die Vorzimmerthür, wandte sich an den dortsitzenden Beamten und bat ihn, dem Staatsanwalt zu sagen, ein Geschworener wünsche ihn in einer sehr dringenden Angelegenheit zu sprechen. Sein Titel Fürst und seine elegante Kleidung imponierten dem Beamten, der sofort den Staatsanwalt aufsuchte und es durchsetzte, daß Nechludoff sofort vorgelassen wurde.
Der Staatsanwalt empfing ihn stehend und war über sein Drängen augenscheinlich ärgerlich.
»Worin kann ich Ihnen dienen?« fragte er in strengem Tone.
»Ich bin Geschworener und heiße Nechludoff und muß dringend eine im Gefängnis sitzende Frauensperson, die unverehelichte Maslow, sprechen,« versetzte Nechludoff in einem Zuge unter heftigem Erröten.
Er fühlte, er thue da einen Schritt, der einen entscheidenden Einfluß auf sein ganzes Leben haben würde.
Der Staatsanwalt war ein kleiner, magerer und trockener Mann mit kurzen, grauen Haaren, sehr lebhaften Augen und einem spitzen, auf ein hervorstehendes Kinn auslaufenden Knebelbart.
»Die Maslow? Ja, die kenne ich. Des Giftmordes angeklagt, nicht wahr? Warum müssen Sie sie denn sprechen?«
Dann fuhr er in liebenswürdigem Tone fort: »Entschuldigen Sie meine Frage, aber ich kann die gewünschte Erlaubnis nicht bewilligen, ohne das Motiv derselben zu kennen.«
»Ich muß diese Frau sprechen; die Sache ist für mich von der größten Wichtigkeit!« sagte Nechludoff, von neuem errötend.
»So, wirklich?« versetzte der Staatsanwalt, erhob die Augen und heftete einen durchdringenden Blick auf Nechludoff, »Diese Frau ist gestern abgeurteilt worden, nicht wahr?«
»Sie ist zu vier Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, und zwar ungerechterweise, denn sie ist unschuldig.«
»Gestern?« versetzte der Staatsanwalt, ohne Nechludoffs Bemerkungen über die Unschuld der Maslow die geringste Beachtung zu schenken. »Da sie erst gestern abgeurteilt worden ist, so muß sie sich noch im Untersuchungsgefängnis befinden. Man kann die Gefangenen dort nur an bestimmten Tagen sprechen, und Sie müssen sich schon dorthin wenden.«
»Ich muß sie aber sofort sprechen,« erklärte Nechludoff.
Seine Lippen zitterten, und er fühlte, daß die entscheidende Minute nahte.
»Aber weshalb müssen Sie sie denn sprechen?« fragte der Staatsanwalt und runzelte mit etwas unruhiger Miene die Stirn.
»Ich muß sie sprechen, weil sie unschuldig ist, und man sie zur Zwangsarbeit verurteilt hat. Ich bin schuldig und nicht sie!« fügte Nechludoff mit zitternder Stimme hinzu.
»Wieso?«
»Ich habe sie verführt und in den Zustand gebracht, in dem sie sich befindet. Hätte ich das nicht gethan, so wäre sie der gestern gegen sie erhobenen Anklage nicht ausgesetzt gewesen!«
»Daraus erfahre ich noch immer nicht, weshalb Sie sie zu sehen wünschen.«
»Ich will meinen Fehler gutmachen und sie heiraten,« erklärte Nechludoff, und Thränen der Rührung und Bewunderung über sich selbst benetzten seine Augen, wahrend er diese Worte sprach.
»So? Wirklich?« versetzte der Staatsanwalt. »Das ist in der That ein ziemlich merkwürdiger Fall. Nicht wahr, Sie sind Mitglied des Zemstpo von Krasnoversk gewesen?« setzte er hinzu, als erinnere er sich endlich, bei welcher Gelegenheit er schon früher von diesem Nechludoff gehört, der ihm einen so unerwarteten Entschluß mitgeteilt.
»Gewiß! Aber verzeihen Sie, ich glaube, das hat mit meiner Bitte nicht das geringste zu thun!« versetzte Nechludoff in verletztem Tone.
»Allerdings nicht,« entgegnete der Staatsanwalt mit etwas ironischem Lächeln; »doch der Plan, den Sie mir ankündigen, ist so seltsam und liegt den gewöhnlichen Formen so fern ...«
»Aber kann ich die Erlaubnis bekommen?«
»Die Erlaubnis? Ja gewiß! Ich werde sie Ihnen sofort ausstellen. Setzen Sie sich gefälligst!«
Er ging zu seinem Schreibtisch und fing an zu schreiben.
»Setzen Sie sich, bitte!«
Nechludoff blieb stehen.
Als der Staatsanwalt zu Ende geschrieben hatte, erhob er sich und reichte Nechludoff, den er neugierig beobachtete, ein Papier.
»Ich muß Ihnen noch etwas sagen,« fuhr dieser fort; »es ist mir von jetzt ab unmöglich, an den Beratungen der Geschworenen teilzunehmen.«
»Wie Sie wissen, haben Sie dem Gericht Ihre Gründe darzulegen und sich von diesem dispensieren zu lassen.«
»Der Grund ist: ich halte alle diese Urteile für unnütz und unmoralisch.«
»Was Sie sagen!« rief der Staatsanwalt mit demselben ironischen Lächeln, aus dem hervorging, daß ihm solche Grundsätze nicht unbekannt waren und er sich nicht zum erstenmale darüber belustigte. »Sie werden sicher begreifen, daß ich in meiner Stellung als Staatsanwalt Ihre Ansicht in diesem Punkte nicht teilen kann. Aber erklären Sie das alles dem Gerichtshof; er wird Ihre Gründe würdigen, sie für annehmbar oder nicht annehmbar erklären und Ihnen im letzteren Falle eine Geldstrafe auferlegen. Wenden Sie sich an das Gericht!«
»Wie ich Ihnen bereits gesagt, bin ich entschlossen, nicht mehr dorthin zurückzukehren,« erklärte Nechludoff trocken.
»Ich empfehle mich Ihnen,« sagte der Beamte, der seinen seltsamen Besucher augenscheinlich loszuwerden suchte.
»Wen haben Sie denn da empfangen?« fragte den Staatsanwalt einige Augenblicke später ein Richter, der gerade, als Nechludoff hinausging, in das Zimmer trat.
»Nechludoff war das! Sie wissen doch, der sich schon früher im Zemstpo von Krasnoversk durch allerlei seltsame Vorschläge bemerkbar gemacht hat! Denken Sie sich, er hat als Geschworener auf der Anklagebank eine öffentliche Dirne gesehen, die er, wie er behauptet, verführt hat, und will sich jetzt mit ihr verheiraten!«
»Ist es möglich?«
»Er hat es mir eben gesagt! Und wenn Sie wüßten, mit welcher unglaublichen Aufgeregtheit!«
»Man möchte wahrhaftig annehmen, bei den heutigen jungen Leuten sei es im Oberstübchen nicht richtig!«
»Aber er sieht ja gar nicht mehr so jung aus! ... Hören Sie mal, Ihr berühmter Iwanschenkow hat Sachen erzählt! Der Kerl hat geschworen, uns umzubringen! Er spricht und spricht bis ins Unendliche!«
»Man sollte ihm einfach das Wort entziehen! Das wird ja in diesem Grade die wahre Obstruktion!«
Als Nechludoff vom Staatsanwalt kam, begab er sich geradeswegs nach dem Untersuchungsgefängnis. Doch dort fand er die Maslow nicht. Infolge einer vor vier Monaten erfolgten politischen Bewegung hatte man die meisten der in diesem Gebäude eingesperrten Gefangenen nach andern Gefängnissen überführt, um hier an ihrer Stelle eine Reihe Studenten, Studentinnen, Commis und Handwerker unterzubringen. Die Maslow war in das alte Gouvernementsgefängnis gebracht worden, und Nechludoff ließ sich sofort dahin fahren.
Doch das alte Gefängnis lag am andern Ende der Stadt, so daß Nechludoff erst bei Anbruch der Dunkelheit hinkam. Vor der Thür hielt ihn, gerade als er eintreten wollte, eine Schildwache auf. Die Schildwache klingelte, die Thür öffnete sich, ein Aufseher kam Nechludoff entgegen, las das Papier, das dieser ihm reichte, sehr langsam von einem Ende zum andern und erklärte schließlich, ohne Erlaubnis des Direktors könne er nichts thun.
Nechludoff erhielt wenigstens die Erlaubnis, sich zum Direktor zu begeben. Auf der Treppe, die in die Wohnung dieses Beamten führte, hörte er die dumpfen Töne eines Musikstückes, das auf einem Piano gespielt wurde, und als ihm eine Magd mit brummiger Miene, mit einer Binde über dem einen Auge, die Thür der Wohnung öffnete, gellten ihm die Töne des Piano, die aus einem Nebenzimmer kamen, heftig in die Ohren. Es war die schwierigste Rhapsodie von Liszt, die sehr gut gespielt wurde, doch seltsamerweise kam die Spielerin immer nur bis zu einer bestimmten Stelle. An dieser Stelle brach sie ab und fing wieder von vorne an, um von neuem nur bis zu derselben Stelle zu spielen.
Nechludoff fragte die einäugige Magd, ob der Direktor zu Hause wäre.
»Nein, er ist nicht da!«
»Und wann wird er wiederkommen?«
»Ich werde nachfragen!«
Mit diesen Worten trat sie in die Wohnung und ließ Nechludoff im Vorzimmer stehen.
Einen Augenblick später hörte die »Rhapsodie« schon vor der bestimmten Stelle auf, und Nechludoff hörte im Nebenzimmer eine Frauenstimme sagen:
»Sagen Sie, Papa wäre ausgegangen und käme zum Essen nicht nach Hause! Es wäre unmöglich, ihn heute zu sprechen! Man soll ein andermal wiederkommen!«
Von neuem begann die Rhapsodie wieder, wurde aber nach einigen Takten unterbrochen, und Nechludoff hörte, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde. Die Pianistin hatte sich offenbar entschlossen, den unberufenen Störenfried, der sich sie zu unterbrechen erlaubte, selbst zu verabschieden.
»Papa ist ausgegangen,« erklärte sie in ärgerlichem Tone und öffnete die auf das Vorzimmer führende Thür. Es war ein blasses junges Mädchen mit wirren gelben Haaren und breiten, blauen Ringen unter den Augen.
Als sie einen elegant gekleideten jungen Mann erblickte, änderte sie den Ton.
»Treten Sie gefälligst ein! ... Sie wünschen etwas von meinem Vater?«
»Ich möchte eine Frau sprechen, die hier untergebracht ist!«
»In der Abteilung für politische Gefangene jedenfalls?«
»Nein, nicht in dieser Abteilung. Ich habe eine schriftliche Erlaubnis des Staatsanwaltes.«
»Ich bin untröstlich, aber mein Vater ist ausgegangen und ich kann nichts ohne ihn thun. Aber treten Sie doch bitte ein, setzen Sie sich einen Augenblick,« fuhr sie fort.
Als Nechludoff Miene machte, fortzugehen, setzte sie hinzu:
»Sie können sich an den stellvertretenden Direktor wenden. Er muß im Bureau sein und wird Ihnen Auskunft geben ... Wie heißen Sie?«
»Ich danke Ihnen sehr,« sagte Nechludoff, ohne auf diese Frage zu antworten, und ging die Treppe hinunter, während die rauschenden Töne der Rhapsodie wieder hinter ihm erklangen, die mit dem Orte, wo sie sich hören ließen, ebenso wenig im Einklange standen, wie mit dem jammervollen Aussehen der Person, die sie hervorbrachte.
Auf dem Hof begegnete Nechludoff einem jungen Offizier mit hochgebürstetem Schnurrbart, den er fragte, wo er den stellvertretenden Direktor treffen könnte. Dieser junge Offizier war zufällig gerade der stellvertretende Direktor. Er nahm den Erlaubnisschein, durchflog ihn und erklärte, da der Schein sich nur auf das Untersuchungsgefängnis bezog, so könnte er es nicht auf sich nehmen, ihn auch für das Regierungsgefängnis als gültig zu betrachten. Außerdem wäre auch die Stunde zu vorgerückt, der Abendappell hatte schon stattgefunden.
»Kommen Sie morgen wieder! Morgen ist Sonntag; um zehn Uhr wird jeder bei den Gefangenen zum Besuch zugelassen. Dann wird der Direktor da sein. Sie können die Maslow im Frauensprechzimmer oder vielleicht auch, wenn der Direktor es gestattet, im Bureau sprechen.«
So in seiner Hoffnung, Katuscha noch an diesem Tage zu sehen, enttäuscht, begab sich Nechludoff wieder nach Hause. Zitternd vor Aufregung lief er durch die Straßen, und unaufhörlich kamen ihm die einzelnen Erlebnisse des Tages in den Sinn, Er wiederholte sich, daß er Katuscha wiederzusehen versucht, in zwei Gefängnissen nach ihr geforscht und dem Staatsanwalt von seiner Absicht, sich vor ihr zu demütigen, erzählt, und das Gefühl, dies alles gethan zu haben, verstärkte seine Aufregung noch mehr.
Als er nach Hause kam, holte er sofort aus einer Schublade das Heft, in das er früher seine Handlungen und seine Gedanken einzeichnete. Er las einige Stellen durch und fügte mit fiebernder Hand folgende Zeilen hinzu:
»Schon seit zwei Jahren habe ich nichts mehr in dieses Heft geschrieben und glaubte, diese Kinderei nie wieder zu begehen. Doch in Wirklichkeit war es keine Kinderei. Es war im Gegenteil eine Unterredung mit mir selbst, mit meinem wahren und geheiligten »Ich«. Seit diesen zwei Jahren hatte dieses »Ich« in meinem Herzen geschlummert, so daß ich niemand hatte, mit dem ich mich aussprechen konnte. Doch gestern, am 28. April, ist es infolge eines außergewöhnlichen Ereignisses im Schwurgerichtshofe, wo ich Geschworener war, wieder erwacht. Auf der Anklagebank fand ich jene Katuscha wieder, die ich einst verführt und verlassen habe. Ein eigentümliches Mißverständnis, das zu verhindern ich die Pflicht gehabt, hatte die Verurteilung der Unglücklichen zur Zwangsarbeit zur Folge. Ich bin heute zum Staatsanwalt und in das Gefängnis gegangen, wo sie untergebracht ist. Ich wurde nicht zu ihr gelassen, habe aber den festen Entschluß gefaßt, alles zu thun, um sie zu sehen, sie um Verzeihung zu bitten und meine Schuld wieder gutzumachen, und müßte ich mich zu diesem Zweck auch mit ihr verheiraten. Herr mein Gott, verleihe mir deine Hilfe! Nie habe ich größere Ruhe oder Freude in meinem Herzen empfunden.«