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Der Sturmvogel.


Sie hat kein Herz, Hugo, da lesen Sie, was sie auf meinen Antrag erwidert hat.«

Mit diesen Worten trat ein junger Mann in das Zimmer seines Freundes, des Herrn von Nordheim. Er schleuderte ergrimmt einen zerknitterten Brief auf den kleinen Mahagonitisch, und warf sich erschöpft in einen Fauteuil.

Nachdem Herr von Nordheim gelesen hatte, legte er den Brief stillschweigend vor sich nieder.

»Nun, was sagen Sie?«

»Daß diesen Brief keine Frau geschrieben hat.«

»Eine Kokette?«

»Nein!«

»Dann ein Satan?«

»Nein!«

»Nun, wer denn, zum Henker?«

»Ein Engel!«

Alfred Hilgar stutzte. Er blickte mit Verwunderung auf seinen Freund, der ruhig fortfuhr, seine Havanna-Cigarre zu rauchen und wieder nach dem Buche griff, das er weggelegt hatte. Unmuthig über diesen anscheinenden Mangel von Theilnahme, wiegte er sich im Stuhle, bis die Lehne brach.

»Hollah, Alfred! was ist das?« lachte Herr von Nordheim, indem er sich erhob und dicht vor ihn hintrat. »Ich habe Dir« – er brauchte diese vertrauliche Anrede oft – »immer gesagt, meide die Weiber, das ist nichts für Dich! Solche girrende Ritter, wie Du, werden von den gescheidten Frauen nur zu leicht erkannt. Ihr schwört nach der Tageszeit. Habt Ihr gut gefrühstückt, fließen Euch die Liebesworte süß wie milder Honigseim von den Lippen; hat Euch zufällig der Wirth den Credit versagt, sprecht Ihr so herbe, als hättet Ihr eine ganze Apotheke von Rhabarber und Wermuth verschluckt. Welche Geliebte, die schon eine Schule durchgemacht hat, würde das ertragen! Liebe Mädchen, Mädchen! Das ist noch ein Boden, der sich bebauen läßt mit einiger Aussicht auf Gewinn. Da kannst Du bilden, leiten, herrschen, aber bei Frauen, Alfred! wird Dir jeder Versuch mißglücken. Du wirst geleitet, beherrscht. Und es ist doch immer mißlich, sich später gestehen zu müssen, daß man ein Schulbube war, wo man glaubte, der Schulmeister zu sein. Denke doch an den Pantoffel! Jede Frau, die es einmal gewesen ist, sieht in uns Männern mit heimlichem Vergnügen den künftigen Unterthan!«

»Aber es giebt doch Ausnahmen,« warf Hilgar noch immer zornig ein – »es giebt fromme, schöne, böse, häßliche Frauen. Sie werfen Alle in eine Kategorie. Frau von Pahlen ist eine Ausnahme. Sie ist schön, geistreich, liebenswürdig, außerordentlich. Haben Sie denn das herrliche Wesen noch nicht gesehen? Sie muß Jedem auffallen. Oder kennen Sie sie vielleicht?«

»Ich kenne sie nicht. Ich bin in's Bad gereist, um meinen zerschossenen Körper durch Seebäder wieder zusammenzuflicken, nicht aber, um Frauenbekanntschaften anzuknüpfen.«

»Nun ja,« brummte Alfred, »Sie leben wie ein Einsiedler. Man sieht Sie nirgends, weder an der table d'hôte, noch auf der Promenade, noch im Spielsaal.« –

»Das hat seine Gründe. Sie wissen, ich habe kein Vermögen, und die wenigen Ersparnisse, die ich während meiner Dienstzeit in der Schleswig-Holsteinischen Armee machen konnte, werden wol mit Gottes und meines Arztes Hülfe bald aufgezehrt sein.«

»Und was wollen Sie dann beginnen?«

»Ich erwarte täglich Briefe von dem brasilianischen Consulat in Hamburg. Man hat mir eine Majorsstelle in Rio angeboten. Ich habe sie bereits angenommen.«

»Angenommen?«

»Gewiß! Was konnte ich Besseres thun? Im Ganzen hab' ich wenig gelernt, und das Wenige vergessen. Soll ich Schreiber werden, oder Korrespondent irgend eines kleinen Kaufmann's? Das verträgt sich nicht mit meinem früheren Character. Ueberdies dürfte mein Französisch kaum für correct erklärt werden, und mein Englisch und Spanisch klingt wirklich etwas befremdend.«

Ein Diener trat ein und überbrachte Herrn von Nordheim ein kleines Billet. Es enthielt eine Einladung zu einer Regatta, welche von der Bade-Direction zu morgen arrangirt war. Er zögerte, die beigefügte Liste zu unterschreiben. Als er aber ganz zuletzt den Namen der Frau von Pahlen las, ergriff er doch die Feder und setzte den seinigen möglichst zierlich darunter.

Als sich der Diener wieder entfernte, lachte er laut über die Eitelkeit, die ihn zur Theilnahme an der Parthie verleitet hatte.

»Man wird doch nie befreit davon,« brummte er halb für sich, »die Einen können sie nur mehr, die Andern weniger verbergen, das ist der ganze Unterschied. Wann wird denn mein Herz aufhören zu klopfen, wenn ich von einer hübschen Frau höre! Alfred,« fuhr er dann in ungewöhnlich guter Stimmung fort, »laß den Kopf nicht hängen! Junge, ich will Dich trösten! Ich will Dir ein kostbares Geschenk machen!«

»Sie mir?« fragte Alfred unwillkürlich lächelnd, indem ihm die Armuth seines älteren Freundes einfiel.

»Mit meiner Geduld!« bestätigte der ehemalige Major, an den Spiegel tretend und an die Toilette schreitend. »Ich will mit Dir spazieren gehen, so weit Du willst. Etwa nach Heimsdorf ... es liegt eine kleine Stunde von hier. Dazwischen kannst Du mir Alles über Dein Verhältnis zu Frau von Pahlen erzählen. Namentlich bin ich begierig zu erfahren, wie ein nicht ganz verrückter Mensch auf die unverantwortliche Idee kommen kann, sich einen Korb schriftlich geben zu lassen. So etwas macht man mündlich ab, in einer Jasminlaube, in einem Boudoir, hauptsächlich in der Dämmerungsstunde. Wer wird denn am hellen, lichten Tage erröthen wollen. Jedes Dienstmädchen liest den Triumph ihres Geschlechts auf Deinem verlegenen Gesichte!«

Alfred ärgerte sich, brach aber in ein anhaltendes Gelächter aus, als er sah, wie der Major im Eifer des Gespräches die Wasserflasche vergriff und Tinte in das Rasirbecken goß und sich demgemäß einseifte.

»Höll' und Teufel!« fluchte dieser aufmerksam gemacht und klingelte. Eine Magd und ein Diener stürzten in's Zimmer.

»Wasser! Viel Wasser!«

»Brennt's?« fragten die Angekommenen einstimmig.

»Von dieser Hand an Euren Köpfen, wenn Ihr nicht gleich fortmacht! Hinaus, zurück!«

Sie liefen kreischend die Treppe hinunter, athemlos kamen sie wieder zurück. Sie kannten den Major. Zwei volle Eimer brachten sie mit.

»Schön, Kinder, sehr schön!« besänftigte der Major die sichtlich Erschrockenen, und tauchte sein Gesicht in's Wasser. Es muß sehr frisch gewesen sein. Wenigstens hörte man einige darauf bezügliche, sehr ernste Ausrufungen.

Endlich war Alles in Ordnung, das Kinn des Herrn von Nordheim zum Bewundern schön rasirt, er selber völlig angekleidet.

»Kommen Sie, Alfred, kommen Sie!« rief er munter und nahm seinen Freund unter den Arm. »Ich leide an Gespensterfurcht. Ihr Gesicht, in diesem Augenblicke etwas von Hogarth'scher Verzweiflung ausdrückend, könnte mich Nachts in meinen Träumen verfolgen. Ich darf Sie nicht länger in meinem Zimmer lassen!«

Alfred nahm verdrießlich den Brief vom Tische und ging nur zögernd mit dem Major. Ihn ärgerte die ungewöhnlich heitere Laune desselben mehr, als der Korb, den er erhalten hatte. Er gestand es sich bereits heimlich zu, daß seine Leidenschaft für Frau von Pahlen keineswegs eine tiefe, nachhaltige sei. Er empfand aber in diesem Selbstgeständnisse eine leise Scham, die Jeden in ähnlicher Lage befällt, der nicht frei von Eitelkeit ist. Wir rechnen aber dabei gleichzeitig auf einen gefälligen Freund, der harmlos oder einfältig genug ist, das ernsteste Mitleiden mit uns zu haben, der, unerfahren mit den Schattirungen der menschlichen Eitelkeit, mit uns die Hände kreuzt und kläglich jammert. Wir wollen für gewisse Fehler und Schwächen, und zumeist die kleinlichsten, eine Art von Rechtfertigung in den Augen Anderer erhalten. Die Selbstbeschämung versteckt sich so gern hinter die Vernunftgründe Anderer.

So war es mit Alfred Hilgar. Er hatte auf die lebhafteste Theilnahme des Majors gerechnet und wurde mit Spott empfangen. Sein Zorn, angefacht, wollte auflodern. Wie gern hätte er diesem Luft gemacht! Er nahm einen energischen Anlauf, wurde aber sogleich durch das satyrisch lächelnde Gesicht des Major's zurückgeschreckt. Dies Auge, wie blitzte es hell und klar! Es zeigte so viel Bewußtsein auf innere Kraft, so viel Erfahrung, so viel Verständniß des menschlichen Herzens! Alfred's gutmüthige, aber nichts weniger als große Seele zog sich vor diesem Blicke beschämt zurück.

Die Freunde vermieden die Häuser Travemünde's und gingen durch einen kleinen Tannenwald, der sich längs der Lübecker Chaussee hinzieht. Hilgar fiel in ein verdrossenes Schweigen. Der Major pfiff ein Kriegslied. Er ging in leisen Gesang über, und endlich, von Erinnerungen hingerissen, stimmte er ein Lied an, laut, kräftig, feurig. Wie klang so siegsgewiß durch den lauschenden Wald »Lützow's wilde, verwegene Jagd!«

Ein Wagen rollte die Chaussee herab. Der Major hörte ihn nicht. Er sang mit voller Brust:

»Und wenn Ihr nach den schwarzen Gesellen fragt –
Es ist Lützow's wilde, verwegene Jagd!«

Der Wagen fuhr langsam, er mußte, dicht bei den Freunden, eine Biegung machen. Eine Dame beugte sich aus dem Schlage. Alfred grüßte ehrerbietig, verlegen, der Major stutzte, vergaß zu grüßen und erröthete. Der Wagen rollte weiter.

»Wer war die Dame? Alfred, wer war's?«

»Ein Engel!«

»Ach so! Der Engel, der einen so schlechten Briefstyl schreibt!« lachte Herr von Nordheim, sich von seiner Ueberraschung erholend. »Wer würde diesem kleinen, ungetrübten Antlitz so viel Menschenkenntniß zutrauen!« fuhr er weiter fort, ohne sich durch Alfred's abwehrende Mienen beirrren zu lassen. »Sie hat Sie doch recht gut erkannt. Sie schrieb Ihnen: Ein Mann von Ihren Jahren – sind Sie nicht fünfundzwanzig, Alfred?«

»Fünfundzwanzig.«

»Ein Mann in Ihren Jahren träumt die Liebe. Die Jugend hat Ihr Geschlecht bevorzugt, und doch verlängert es noch so gerne Träume und Jugend auf Kosten weiblicher Herzen. Eine Frau, die vielleicht ein Jahr älter ist, als Sie, muß mit dem kurzen Rest ihrer Jugend haushalten. Sie darf sie einem Traum nicht opfern, der selten länger währt, als das erste Lächeln des Glückes.«

»Die Frau weiß nicht, was sie will!« fuhr Hilgar auf, »ich habe sie heiß, glühend geliebt! Ich habe ihr jede Stunde des Tages geopfert, ja, in der Nacht verfolgte mich ihr Bild! Keine Blume war mir kostbar genug für sie. Das jämmerliche Travemünde erzeugt einen eben so miserablen Flor. Ich ließ die prachtvollsten Kamelien und Heliotropen aus Lübeck und Hamburg kommen. Jeder Postwagen brachte eine ganze Ladung. Ich werde Dir gelegentlich die Rechnungen zeigen. Eine darunter, von Monsieur Bambino auf den Hohen Bleichen übersteigt das Maß aller Billigkeit. Gedichte ließ ich anfertigen voll Schwung und Feuer. Jedes Wort war eine Herausforderung!«

Der Major lachte so laut auf, daß die Vögel stutzten und eiligst davon flogen, als verfolgte sie das Rohr des Jägers. Alfred blickte ihn verdutzt an.

»Sie sind ein Kaufmann, Hilgar, wie ich noch keinen gesehen habe. Ich bewundere Sie aufrichtig. Selbst im Zorn der Liebe denken Sie an Handelspolitik. Wär' ich König, Sie müßten mein Finanzminister sein! Wahrhaftig, jetzt fühl' ich erst, wohin die Liebe führen kann! Für so große Opfer keine Erwiederung, keine Anerkennung! Alfred, ich werde für Sie krank, wenn Sie es nicht werden.« –

»Sie sind ein Narr, ein herzlich gutmüthiger lieber Narr,« lachte jetzt Hilgar selbst und reichte seinem Freunde die Hand. »Kommen Sie, lassen Sie uns umkehren! Ich will den Rest meines Aergers mit einem Glase Wein hinunterspülen. Ich fühle wol, Frau von Pahlen hat Recht gehabt. Ich bin kein Mann für sie. Doch, trotzdem, daß sie mir einen Korb gegeben hat und ich weiß, daß ich sie nicht besitzen kann, gönne ich sie keinem Andern. Doch« – er blieb vor dem Major stehen, der nachdenklich vor sich niederblickte, »Ihnen Major, gönne ich sie! Ihr würdet für einander passen!«

Der Major schwieg.

»Nordheim! Haben Sie nicht gehört? Ich sagte, für Sie würde Frau von Pahlen passen!«

»Vergessen Sie so ganz,« entgegnete dieser ernster und mit einem leisen Anflug von Schmerz – »vergessen Sie so ganz, daß ich arm bin, daß ich kein Vaterland habe, daß ich jeden Tag den Befehl erhalten kann, mich nach Brasilien einzuschiffen?«

Die Freunde kehrten schweigend nach Travemünde zurück.

 

Der Morgen darauf versprach ein heiterer zu bleiben; der Himmel, beinahe wolkenlos, schien so hell und rein, als hätte er einmal zufällig den trüben Norden für den klaren Süden umwölbt. Das Meer lag so still und ruhig, als wüßte es gar nicht, was Sturm bedeute, wie viel Trümmer von Schiffen und Menschen in seinen Tiefen ruhten. Die Wellen schlummerten und blickten nur zuweilen auf in einzelnen Schaumperlen, die auftauchendes Seegras flüchtig erzeugte. Die Sonne selbst schien ihre Freude an dieser tiefen Ruhe zu haben, denn ihre Strahlen waren weniger brennend und peinlich, als es ein Tag im Monat August vermuthen ließ.

In dem kleinen Travemünde herrschte eine ungewöhnliche Regsamkeit. Der Omnibus von Lübeck brachte aus den benachbarten Orten zahlreiche Gäste. Alles wollte an der Regatta, die gegen Abend stattfinden sollte, Antheil nehmen. Es ging bunt zu in den Straßen. Die Gasthofbesitzer schmunzelten und rieben sich vergnügt die Hände. Einer von ihnen wurde kirschbraun vor Zorn, als ihm der Kellner berichtete, die Zimmer seines Hauses seien nun vollständig besetzt.

»Wo sollen denn die noch Ankommenden bleiben?« rief er höchst ergrimmt aus und entließ den treuen Jean höchst ungnädig.

Die Mittagszeit war vorüber. Alles drängte sich zum Hafen, von wo die bereitstehenden und festlich gezierten Böte auslaufen sollten. Das eine war besonders zierlich, mit kostbaren Teppichen belegt, mit herrlichen Blumenguirlanden ausgeschmückt. Am Wimpel oberhalb des kleinen Segelmastes prangten einige Kamelien und Heliotropensträuße.

»Major!« schrie Hilgar, der eben mit Herrn von Nordheim am Hafen anlangte, auf die Blumen deutend, »Major, das sind meine Kamelien und Heliotropen! Sehen Sie nur hin, wie sie mit den Sonnenstrahlen liebkosen!«

»Was thut das? Freundchen, verlangen Sie noch größere Beweise von Anerkennung und Erwiederung Ihrer Liebe? Bedenken Sie doch! eine schöne, geistreiche Frau prunkt öffentlich mit den Huldigungszeichen, die Sie ihr zu Füßen legten!«

»Ach was,« lachte Alfred halb komisch, halb ärgerlich, »über Nacht sind mir andere Gedanken gekommen. Ich habe viel an meine Cousine in Hamburg gedacht, der ich einmal früher den Hof machte. Sie hat Geld und der Vater wird an der Börse immer zuerst gegrüßt. Major, wenn Sie nicht nach Brasilien gehen, können Sie auf meiner Hochzeit tanzen.«

»Sehr verbunden, trefflicher Hilgar! Im Uebrigen glaub' ich wol auch, daß an der Verzierung des Bootes die Kammerfrau oder ein Bedienter der Frau von Pahlen den größten Antheil haben werden.«

Hilgar erwiderte nichts. Er blieb stehen und sah unverwandt auf die Straße, die sich von Travemünde nach dem Hafen schlängelte. Der Major folgte seinen Blicken. In Begleitung ihrer Kammerfrau und eines Dieners bemerkte er Frau von Pahlen in einiger Entfernung. Seine Augen flammten auf und hafteten an der edlen Gestalt. Reich, doch einfach gekleidet, kam sie immer näher. Er sah deutlich das schöne, ovale, etwas bleiche Antlitz, die klare Stirn, das dunkle, geistig belebte Auge.

»O, warum hat mich die Bombe, die bei Idstedt dicht in meiner Nähe zerplatzte, nicht mit fortgerissen! Ich liebe diese Frau, ohne sie gesprochen zu haben!« seufzte er verstohlen.

Hilgar unterbrach des Majors weitere Exklamationen durch einen leisen Rippenstoß und die Frage: »Major, was soll ich thun? Wie soll ich mich benehmen? Sie muß an uns vorüber? Sie ist gleich in unserer Nähe.«

»Nein, sie ist schon da!« lispelte der Major so leise als möglich.

So war es auch. Frau von Pahlen stand vor ihnen. Mit einer möglichst ungeschickten Verbeugung, wie man sich denken mag, stammelte Hilgar einige Worte. Eine brennende Röthe überflog sein Gesicht und war so unbescheiden, haften zu bleiben. Mit einer Unbefangenheit, die sich Alfred nach Belieben auch als Kälte auslegen konnte, fragte sie ihn, den Major mit einem flüchtigen Blicke streifend:

»Sie nehmen gewiß Theil an der Regatta? Wollen Sie mich zum Strande hinabbegleiten?«

»Mit so vielem Vergnügen, als mir Ihr Anblick gewährt, gnädige Frau!« erwiderte der Major mit einem Gesichte, als wenn es zur Schlacht ginge, für den noch immer verlegenen Hilgar.

Frau von Pahlen, die Antwort kaum abwartend, hatte eine Bewegung zum Weitergehen gemacht. Die herausfordernde Artigkeit des Majors jedoch hielt sie zurück. Sie blieb stehen und sah ihn mit einem Gemisch von Verwunderung und Neugierde an.

Alfred sammelte sich endlich energisch.

»Mein Freund, Major von Nordheim,« mit diesen Worten stellte er ihn vor.

»In Diensten?« fragte sie, ohne zu wissen was sie fragte.

»Der Schönheit in diesem Augenblicke, sonst ganz frei!« replicirte der Major hastig, als stände sein Kopf auf dem Spiele, wenn er etwas anderes und zögernd antwortete.

Unwillkürlich hatte er sich an die Seite der reizenden Frau begeben, und eben so unwillkürlich waren sie bald in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Es betraf nautische Gegenstände, die Regatta in Venedig und dergleichen Dinge mehr, die für uns zu interesselos sein würden, als daß wir ihrer hier weiter erwähnen sollten.

Hilgar, obgleich er, als Kaufmann, doch gewiß davon Einsicht hätte nehmen müssen, war so zerstreut und gedankenlos, daß er seinen Fuß, am Strande angekommen, in's Wasser setzte, um in seinem Wege fortzufahren. Rechtzeitig wurde er durch einige energische Fischerstimmen von seinem Irrthume zurückgebracht. Er blickte auf. Die Böte waren fast schon alle in Bewegung. Rufen und Schreien, Ruderschlag und Wellengeplätscher durchschallten die Luft. Bunte Flaggen und Wimpel flatterten lustig im Wind, die Segel blähten sich auf, ärger als ein geschmeichelter Pfau. Mützen und Hüte wurden geschwenkt. Ein hundertstimmiger Hurrahruf forderte das Echo heraus. Ein kleiner, dolldreister Fischerbube kletterte den Mastbaum eines größeren Schiffes hinauf und purzelte in's Wasser hinunter. Jubelnd wurde er herausgezogen, die Aufmerksamkeit Aller richtete sich auf ihn. Er wurde bewundert.

»Dafür kann man schon einmal in's Wasser fallen!« lachte der Kleine und sprang munter auf das vor Kurzem unfreiwillig verlassene Verdeck ...

Hilgar erblickte nirgends den Major. Doch halt, dort stand er ja! wenige Schritte von ihm, hinter einem Knäuel von Menschen, der sich eben entwirrte ...

Er küßte der Frau von Pahlen, die im Begriff war, ihr Boot zu besteigen, ehrerbietig die Hand, aber so lang und anhaltend, daß der eifersüchtig hinüberschielende Hilgar gleichzeitig einen Begriff von der Ewigkeit und einen Vorgeschmack vom Fegefeuer erhielt.

Endlich stürmte der Major einher, mit einem Gesicht, worin die gesammte Verklärung der Engelsschaaren lag.

»Unser Boot!« schrie er.

»Unser Boot?« wiederholte Alfred verwundert.

»Nun ja! Sollen wir in der Luft segeln!«

»Unser Boot? Ich denke Sie haben eins!«

»Wenn Sie eines haben, ist's ja genug! Was brauchen wir zwei!«

»Ja, haben Sie denn keins besorgt?«

»Nein! Sie?«

»Nein!«

»Sie sprechen acht Sprachen! Welche hat den kräftigsten Fluch? Hilgar, Kreuzmillio – Hol' Sie der Teufel! Sie müssen wirklich trunken oder verliebt gewesen sein! Jeder nüchterne Mensch denkt doch an ein Wasservergnügen nicht ohne Boot. Kommen Sie, wir müssen eins auftreiben, und wenn ich meine ganze zukünftige Majorsgage dafür verpfänden sollte!«

Er zog den sträubenden Freund hastig mit sich fort, wendete sich um, und blieb, wie vom Blitze getroffen stehen.

Eben verließen die Böte das Ufer. In geschlossener Reihe glitten sie langsam dahin. Jetzt griffen die Ruderer kräftiger ein, ein frischer Wind hatte sich erhoben ... die Linie zertheilte sich ... der Wettkampf begann ... dort schossen sie hin, wie eine Schaar von Geiern, die nach Beute jagen. Die Augen des Majors glänzten wie Raketen in finsterer Nacht – das Boot der Frau von Pahlen flog dahin wie ein Pfeil durch die Luft ... es ward von mehren andern verfolgt ... der Major sah scharf wie ein Adler ... die Boote waren überfüllt mit jungen Herren ...

»Höll und Teufel!« fluchte er, »Hilgar, a boat! a boat! a kingdom for a boat!«

Die Angerufenen schienen sich seiner zu erbarmen. Ein alter Fischer, außer Hilgar der einzige Mensch, der sich in diesem Augenblicke auf dem Strande blicken ließ, hörte den Ausruf. Er trat hinzu und mit einer, seinen Worten entsprechenden respectvollen Verbeugung, fragte er den Major:

»Sir, was ist das für ein Königreich?«

»Frankreich, Alter! Aber bis ich es Dir übergeben kann, nimm dies auf Abschlag!«

Er warf dem Fischer eine volle Börse zu und trieb ihn zur möglichsten Eile.

»Wo ist das Boot?«

»Hier, Herr!«

»Herr des Himmels!«

Der Major prallte zurück und winkte staunend Hilgar.

»Hilgar! Haben Sie schon so ein Boot gesehen?«

»O ja!« erwiderte dieser trocken, ohne aufzusehen.

Das Boot war wirklich in einem etwas verzweifelten Zustande. Durchlöchert und morsch, war es kaum mehr zu gebrauchen. Jede Hausfrau würde Anstand genommen haben, es für die Wäsche zu benutzen. Der Major prüfte und prüfte.

»Hm!« murmelte er leise, »das Wasser findet allwärts bequemen Eingang, aber auch allwärts einen ebenso bequemen Ausgang. –«

Sein Auge schweifte über die Ostsee. Er konnte das Boot der Frau von Pahlen nirgends entdecken. Am Himmel zeigten sich einzelne graue Wolken. Der Wind blies stärker.

»Giebt das Sturm, Alter?«

»In einer Viertelstunde.«

»Ich fahre! Her mit dem Boot! Hilgar, fahren Sie mit?«

»In diesem Boot? Wenn ich ertrinken will, wird's doch wol noch ein einfacheres Mittel geben.«

»Herr,« unterbrach ihn der alte Fischer, »das Boot ist gut! Ich fahre damit bis nach Neustadt und Kiel. Es gehört nur einige Geschicklichkeit zu seiner Handthierung. Was gilt die Wette, wir kommen heil dahin, wohin wir wollen und wieder zurück. Hoiho! Steigen Sie ein! Ich rudere!«

Mit einem Sprung war der Major im Boote. Hilgar blieb zurück. Jan, der alte Fischer, ließ sich die Richtung bezeichnen ... ein Stoß ... der stumpfe Kiel durchschnitt schäumend die leise auftauchenden Wellen ...

Der Himmel hatte sich mehr und mehr umwölkt. Er schien mißvergnügt über die Menschen zu sein, welche den heutigen Tag in Lust und Freude beschließen wollten. – Grau und zornig, wie ein mürrischer Hausvater, der seine Urenkel wiegen muß, wenn er am liebsten selbst schlafen möchte, blickte er hernieder auf eines seiner Lieblingskinder, das Meer. Es schien ihn zu verstehen. Es kräuselte sich mehr und mehr, hob sich sacht, gewaltig, höher und höher, jetzt thürmte es sich hoch empor. Der Wind schnitt scharf durch die zornigen Wogen und machte sie nur noch grimmiger ...

Das kleine gebrechliche Boot des Majors schwankte hin und her, nach oben und unten. Bald war es dem Himmel so nahe, daß er bereits glaubte, darin zu sein, bald sank er wieder so tief, daß er einige kleine Teufel und die Hölle recht gut unterscheiden konnte.

Er war ein Mann von großem Muthe, in dieser Situation aber wurde ihm doch etwas bänglich um sein tapferes Herz. Die unerschütterliche Ruhe und Gleichgültigkeit seines Begleiters war allein im Stande, ihn von lauten Verwünschungen abzuhalten, von Vorwürfen, die er sich über seine leichtsinnige Verwegenheit im Stillen machte.

»Da kommen sie zurück!« rief der alte Jan, indem er lachend fortfuhr: »das ist mir die beste Regatte, die der Himmel jetzt veranstalten wird. Wir wollen 'mal sehen, welches Boot zuerst nach Hause kommt. Ich dächte, Sir, wir kehrten gleichfalls um.«

Ohne die Antwort des Majors abzuwarten, der aufrecht, inmitten des Bootes, scharf auf einen Punkt blickte, gab er dem Kahn die bezeichnete Wendung.

Die Wellen gingen immer höher ... die Brandung stieg ... es klang gell und hohl ... der Wind strich pfeifend durch die grünen Wasserhügel ...

»Bald sind wir wieder am Land, und das ist recht gut, Sir,« lachte Jan, »denn seht nur hin, die Wolken sehen verdammt russig aus, und dort schwirrt der Sturmvogel einher ... klingt doch sein heiseres Gekrächz, als sollt' es Leichen geben.« –

»Schweig!« unterbrach ihn hastig der Major – »schweig, und rudere auf das Boot zu ... dort, dieses ... siehst Du ... zwanzig ... dreißig Schritte von hier.«

»Gut, Sir!«

Das Boot krachte in allen Fugen, flog aber, von einem Windstoß erfaßt, davon, als sollte es den Sturmvogel überholen, der gerade über demselben die Schwingen ausbreitete.

Das Boot schwankte und traf auf ein zweites. Es war das ihrige, das Boot der Frau von Pahlen.

»Was sagen Sie, Herr Major, zu diesem Sturm?« rief sie zu ihm herüber. »Es ist doch nichts unbeständiger, als das Meer« –

»Und Frauenliebe!« lachte seelenvergnügt der Major, indem er, versunken in den Anblick der herrlichen Augen, ganz vergaß, wo er sich befand.

»Es ist nur gut, daß wir nahe am Lande sind,« erwiderte mit etwas von Angst beklommener Stimme, die Antwort überhörend, Frau von Pahlen.

Eine mächtige Welle fuhr zwischen die beiden Böte und trennte sie.

»Sehen Sie nur den prächtigen Sturmvogel!« rief sie jetzt hinüber. Sie erhob sich von ihrem Sitze ... blickte empor ... das Boot schwankte ... sie wollte sich festhalten., griff mit den Armen in die Luft .... der Major schrie auf ... schon war sie in der Tiefe verschwunden ... Rasch sprang er ihr nach ...

»Hollah, der Junge schwimmt gut!« lachte der alte Jan laut, indem er die Bewegungen des Majors verfolgte, der mit gewaltiger Kraft die Wogen zertheilte, jetzt das Kleid der Frau von Pahlen ergriff, mit einem lauten Jubelschrei die süße Last in seine Arme preßte und schwimmend dann glücklich das Ufer erreichte.

Sanft legte er sie auf den Rasen ... sie schlug die Augen auf und heftete auf ihn einen langen, innigen Blick. Er kniete vor ihr nieder und preßte ihre Hand an seine Lippen.

Hilgar, der die ganze Begebenheit mit Angst und Schrecken angesehen hatte, eilte jetzt herbei und zugleich drängten sich von allen Seiten Theilnehmende hinzu. Die Regatte war unterbrochen zwar, doch ohne weiteren Unfall vorübergegangen, und jetzt die meisten Böte zurückgekehrt.

Nachdem Frau von Pahlen der Sorge ihrer Dienerschaft übergeben war, eilte der Major nach der Stadt.

»Kommen Sie, Freundchen,« rief er, sich schüttelnd, Hilgar zu, »begleiten Sie mich! Ich muß die Kleider wechseln. Ich bin naß und durchweicht, wie ein getränkter Schlauch. Mein Arzt hat mir Schonung anbefohlen. Namentlich soll ich mich vor Schnupfen in Acht nehmen.«

 

Zu Hause angekommen, wartete eine telegraphische Depesche auf den Major. Das brasilianische Consulat in Hamburg theilte ihm den Befehl ihrer Regierung mit, daß er sich sofort einzuschiffen habe. Das Dampfboot, daß ihn aufzunehmen bestimmt sei, verließe morgen den Hafen. Bis dahin habe er in Hamburg einzutreffen.

Das war ein gewaltiger Donnerschlag für den armen Major. Er fluchte, daß die Wände zitterten. Da half aber nichts. Er mußte zu einem Entschlusse kommen. Rasch und von einem Gedanken lebhaft ergriffen, nahm er eine Feder und schrieb im Fluge folgende Zeilen an Frau von Pahlen:

»Gnädige Frau! Ich muß binnen vier und vierundzwanzig Stunden auf der Reise nach Brasilien sein. Ich bin Major, arm, nicht grade schön, in den besten Jahren; Sie sind reich, unabhängig, schön, jung. Ich liebe Sie. Was kann ich hoffen?« –

Der überbringende Courier mußte ein gesatteltes Pferd, das grade unten hielt und Gott weiß, wem gehörte, für die kurze Entfernung im rasendsten Galopp – ventre à terre – benutzen. Genau gemessen, in sieben und einer halben Minute war der Courier zurück; es waren für den armen Major eben so viele Jahre.

Ein rosenfarbenes Billet enthielt:

»Sie haben mein Leben gerettet, es ist billig, daß Sie sich desselben fernerhin annehmen. Binnen vier und vierundzwanzig Stunden bin ich Ihre Gattin und Ihre Reisegefährtin nach Brasilien.«

»Engel!« hauchte der Major so süß und schmelzend, als wäre er von Zucker gebacken.

»Sturmvogel!« replizirte Hilgar leise seufzend, indem er auf die Veranlassung anspielte, durch welche Frau von Pahlen in's Wasser gefallen war und damit gleichzeitig die schnelle Handlungsweise des Majors bezeichnete.



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