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Eine Soldatenliebe.

Le plus beau jour de la vie est celui où on la quitte!


Mein Fräulein zu Ihren Füßen? Der Unfall ist ein Glück!«

Mit diesen Worten sprang ein junger Offizier, der durch einen Fehltritt auf dem Glatteise gerade vor einer Dame auf dem Hamburger Jungfernstiege niedergestürzt war, lebhaft vom Boden wieder auf.

»Sie haben doch keinen Schaden genommen?« rief diese mit einer freundlich klingenden Stimme, sich leicht verbeugend und im Begriff weiter zu gehen.

»Leider sehr großen!« entgegnete der Offizier, der Zeit genug gehabt hatte, gewahr zu werden, daß die junge Dame überraschend schön war.

»Wie?«

»Mein Herz ist tief verwundet!« hauchte er kühn, entschlossen, sich in ein Gespräch mit der Dame einzulassen. Allein er mußte einen unglücklichen Tag haben. Ein heftiger Windstoß riß ihm den Käpp vom Kopfe und trug ihn weit fort. Er jagte dem wankelmüthigen Filze nach, erhaschte ihn glücklich und kehrte schleunig zurück – aber die schöne Unbekannte war verschwunden.

Hugo von Falken, so hieß unser Offizier, der recht artig zu fluchen verstand, machte jetzt von seiner Kenntniß Gebrauch und verwünschte sein Geschick, das ihn zwang, noch heute Hamburg zu verlassen. –

Aus dem Norden Holsteins zu einem Besuche herübergekommen, erwarteten ihn einige Kameraden im Hotel de Russie, um die Fahrt nach Rendsburg zurück, gemeinschaftlich zu machen. Es war die höchste Zeit, daß er ging. Auf den leicht zündbaren Lieutenant hatte aber die, wenn auch nur flüchtige Begegnung einen ungewöhnlich tiefen Eindruck gemacht und, die Uhr in der Hand, durchlief er noch mehrere Straßen, um die spurlos Verschwundene wieder aufzufinden. Da er ihr jedoch nicht mehr begegnete, so kam er endlich verdrießlich in dem Hotel an, wo man ihn bereits erwartete und tüchtig wegen seines Zögerns ausschalt.

Falken, der mit seinem Freunde, dem Hauptmann Bärenhorst, gemeinschaftlich in einer Droschke nach dem Altonaer Bahnhofe fuhr, erzählte diesem sein Abenteuer. Bärenhorst, ein wilder Haudegen, der sich in aller Herren Länder herumgetrieben, hatte keine sonderliche Meinung von den Frauen, und wurde durch die Beschreibung seines jüngeren Kameraden, der nicht aufhören konnte von der Anmuth der reizenden Unbekannten zu sprechen, darin nicht umgestimmt. Er strich seinen schwarzen Kinnbart und brummte:

»Reize? Anmuth? den Teufel auch! Ich bin viermal gründlich verliebt gewesen und viermal bin ich gründlich betrogen worden. Alle Mal gründlicher. Wir Männer taugen nicht viel, aber die Frauen sind der Ansicht, sie müssen uns in Allem übertreffen.«

Er erzählte hierauf, als sie im Waggon saßen, manche Episode aus seiner reichen Vergangenheit.

»Dort steht ja noch das alte verteufelte Nest! Sehen Sie, Falken, dort über dem jetzt entlaubten Walde, den Schnee und Eis in den winterlichen Banden halten.«

»Was ist mit dem alten grauen Schlosse?«

»Ich hätte ein ähnliches bald erheirathet. Es sind viele Jahre her. Fragt mich nicht wie alt ich bin, ich habe es im Sturm der Begebenheiten vergessen. Damals war ich aber zwanzig Jahre alt und in der Brandung der ersten Liebe. Donnerwetter, es war doch schön! Um einen Kuß, um einen Blick von meiner Geliebten, hätte ich die ganze Welt in Brand gesteckt.«

Nach diesem lebhaften Ausbruche schwieg der Capitain und blickte nachdenklich durch das Fenster des Waggons auf die winterliche Landschaft hinaus. Er schien keine Lust zum Weiterreden zu haben und beachtete die Aufforderungen seiner Kameraden nicht, die sich durch seine Erzählung ein großes Vergnügen versprachen. Er fertigte sie endlich mit kurzen Worten ab, lehnte sich zurück und schloß die Augen ...

 

Rendsburg war überfüllt mit Soldaten. Ganz Deutschland, mit Ausnahme Oestreichs, hatte sich an dem Kampfe der Herzogthümer gegen Dänemark betheiligt. Es galt damals noch für Recht, was später, als Uebereilung und Unrecht bezeichnet, ein so klägliches Ende nahm. Die schwarz-roth-goldene Fahne wallte von allen Thürmen, von den Citadellen, und Jeder geizte nach der Ehre, das so lang begrabene Panier deutscher Einheit, zum alten Ruhme zu erheben. Die Soldaten sangen in den Straßen: »Was ist des Deutschen Vaterland?« und ließen nach den Schlußversen ein Hoch ertönen, das in der Brust Aller ein Echo fand. Preußen und Nassauer, Würtemberger und Hannoveraner, Alle hatten nur Ein Vaterland: Deutschland, Eine Ehre: Kampf und Sieg!

Im goldenen Löwen, wo der Hauptmann mit seinem Freunde einkehrte, ging es wirr und bunt zu, kaum, daß sie ein leidliches Unterkommen fanden. Der alte Haudegen zankte sich mit dem Wirthe auch sogleich über schlechten Grog und ein allzu frugales Abendessen.

»Das sind ja Eier so hart wie Bombenkugeln,« schrie er mit seiner gewaltigen Stimme. »Wenn ich sie in den Magen lade, bin ich todt, noch ehe ich vor dem Feinde gestanden habe!«

Der Wirth zuckte die Achseln und lachte, worüber der Hauptmann nur noch heftiger ergrimmte und noch ausfallender zu schimpfen begann.

Die Hausfrau, durch den Lärm aus der Küche herbeigerufen und schnell von der Sache unterrichtet, nahm sofort die Partei ihres Gemahls, in angemessenster Weise ihre beleidigte Küchenehre vertheidigend. Die Dazwischenstehenden zurückdrängend, stellte sie sich vor den Hauptmann hin und rief mit funkelnden Augen:

»Meine Kochkunst kennt Rendsburg –«

»Und Umgegend!« warf Bärenhorst dazwischen; von welchem Einwurfe sich die Wirthin aber nicht unterbrechen ließ, sondern, sich mehr und mehr erboßend, fortfuhr: »Wo viel Volk ist, kann man's nicht Jedem Recht machen. Ich bin immer ein practisches Mädchen gewesen und habe mich als Frau vervollkommnet. Ich stand auch in Dienstverhältnissen, habe aber nie mehr verlangt, als der Augenblick gestattete. Ich war sechszehn Jahr alt, da hab' ich's gezeigt, daß man sich in alle Umstände finden kann.«

Durch die meisterhaft logische Sprechform der erzürnten Frau etwas verwirrt, wollte sich der Hauptmann zurückziehen, sie hielt ihn aber am Arme fest, indem sie fortfuhr:

»Sie sind zwar ein Mann, aber ich werde auch mit Ihnen noch fertig.«

»Komm, Bärenhorst, laß die Frau,« rief Falken und ging zur Thür hinaus.

»Wie? Sie heißen von Bärenhorst?« schrie die Frau, indem sie hinzusetzte: »Vor zwanzig Jahren hatte ich auch mit Einem dieses Namens zu thun – oder sind Sie's am Ende selbst?« –

Da sie ihm bei dieser Frage scharf in's Auge blickte, rief er unwillkürlich »Hanne!«

»Also Sie sind es! Derselbe wilde junge Mann, wie damals!«

Die Frau schlug die Hände klatschend in einander und konnte sich vor Staunen kaum erholen. Der Hauptmann gerieth in große Verlegenheit, die sich steigerte, als er ringsum neugierige Gesichter bemerkte. Er hielt es darum für das Beste, den Ausgang zu suchen. Im Gehen flüsterte er der vor Verwunderung sprachlosen Wirthin zu:

»Ich muß Sie sprechen, heute noch, morgen muß ich marschiren.«

Sie nickte mechanisch mit dem Kopfe und entgegnete eben so leise:

»Ich bringe Ihnen sogleich anderes Essen hinauf. Beruhigen Sie sich nur.«

Der Hauptmann trat sehr verstimmt in sein Zimmer und warf die Thür in's Schloß, daß die Fenster klirrten. Hanna folgte ihm auf dem Fuße. Sie setzte auf den Tisch, vor welchem Falken über einen Schlacht-Plan brütete, eine dampfende Bowle und fragte wiederholt:

»Also Sie sind es, Sie sind es?«

»Nun ja doch!« bestätigte Bärenhorst ärgerlich.

»Und immer noch derselbe wilde Mensch!«

»Das hab' ich bereits gehört, Hanna, daran läßt sich nun einmal nichts ändern. Was hat sich seit meiner Abwesenheit von Schloß Holmeneck ereignet?«

»Ich bin verheirathet!« entgegnete die Wirthin, die nie schön gewesen sein konnte, mit vielem Wohlgefallen und in der Voraussetzung, die Frage gelte lediglich ihr.

Der Hauptmann schien anderer Meinung zu sein. Er nahm die Pickelhaube vom Kopfe, warf sie in eine Ecke, wickelte den schwarzen Schnurrbart einige Mal um den Zeigefinger, fixirte mit seinen dunklen Augen, die wie Raketen brannten, die Wirthin und verblieb mehre Minuten in einer nachdenklichen Stellung. Plötzlich ergriff er ein Glas Punsch, leerte es auf einen Zug, kreuzte die Arme und trat dicht vor die erschreckende Hausfrau hin.

»Ihr seid auch noch die Alte,« brummte er halblaut und setzte nachdrücklicher hinzu: »immer noch die alte Schwätzerin. Ich wollte der Teufel hätte Euch vor zwanzig Jahren geholt, dann wär' es anders geworden!«

Die, Frau war ganz verblüfft und stammelte:

»Jesus, seid Ihr ein Heidenkind! Wie kann man Euch nur in einer christlichen Armee dulden!«

»Das geht Euch nichts an!« donnerte der Hauptmann, »das hat die Statthalterschaft zu verantworten. Wo ist das Fräulein?«

»Fräulein Marie von Salm?«

»Wer sonst? Ja!«

»Sie ist verheirathet!«

»Auch verheirathet?«

Der Hauptmann fluchte lästerlich und ging einige Mal durchs Zimmer. Falken lachte laut auf und trommelte mit der Punschkelle auf dem Tische, die Wirthin fing an zu schluchzen, daß es zum Erbarmen war. Indeß hatte sich der Hauptmann etwas beruhigt und begann nach einigen Verwünschungen von Neuem das Verhör.

»Wann hat sie sich verheirathet?« fragte er.

»Wenige Monate nach Ihrer Entfernung,« antwortete Frau Hamm zögernd.

»Das ist die echte Weiberart!« brauste Bärenhorst wieder auf, indem er zugleich mit einem ärgerlichen Blicke seinem Freunde das unleidliche Trommeln verwies.

»Meine Schuld war es nicht,« fuhr die Wirthin fort. »Baron Delmen« –

Bei diesem Namen zuckte der Hauptmann zusammen, seine Augen sprühten Verderben und hafteten an den Lippen der Sprecherin; eine dunkle Röthe stieg ihm in's Gesicht.

»Nun?« fragte er zähneknirschend.

»Baron Delmen,« wiederholte Hanna – »bekam das Jawort des Vaters, er –«

»Er ist ihr Gatte!« donnerte der Offizier. »Er! Hanna, lügst Du nicht?«

Sie bei den Schultern ergreifend, blickte er so tief in ihre Augen, daß sie den Blick nicht ertragen konnte und sich abwenden mußte.

»Also ihn hat sie geheirathet, wirklich ihn, meinen Feind? Ihn, der Schuld ist, daß ich aus meinem Vaterlande flüchten mußte, heimlich, wie der Dieb bei Nacht? Daß ich mich herumtreiben mußte, wie ein Landstreicher, das Glück hinter mir, die Sorge vor mir? O, über die Erbärmlichkeit der menschlichen Natur!«

Falken wagte nicht den Wuth-Ausbruch seines Freundes zu unterbrechen.

Hanna hatte sich in eine Ecke geflüchtet und blickte verstohlen auf den Hauptmann, der, in einen Sessel gesunken, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt hielt und mit seinem Geiste abwesend zu sein schien. Eine drückende Stille herrschte in dem Zimmer, die durch das trübe brennende Lampenlicht nur noch peinlicher wurde ...

Endlich fuhr der Hauptmann auf, blickte einen Augenblick starr vor sich hin, raffte sich dann rasch empor und, die Hand seinem Freunde reichend, sagte er, wie sich entschuldigend:

»Junge, ich habe sie sehr geliebt!«

Falken reichte ihm stillschweigend ein Glas, er leerte es ohne Zögern und mit der alten Laune trat er der Wirthin, die eben im Begriff stand, sich sachte zu entfernen, entgegen.

»Noch Eins, Hanna! Wo steckt jetzt die ganze Sippschaft? Vater und Mutter?«

»Sind todt!«

»Hm! und Marie, die jetzige Frau Baronin von Delmen?«

»Lebt theils in Hamburg, theils auf ihren Gütern im Holsteinischen.«

»Nun, und er, der Baron, mein glücklicher Freund?«

»Hat sich beim Ausbruch des Krieges nach Kopenhagen begeben.«

»Also ein Dänenfreund?« jubelte der Hauptmann. Sein Auge flammte.

»Ja!« bestätigte die Wirthin, indem sie rasch zur Thüre hinausfuhr, der Stimme ihres Gatten folgend, der sie in's Gastzimmer rief.

»Junge!« jubelte der Hauptmann, von einer neuen Idee angeregt, »Junge, wenn ich dem Kerl in der Schlacht begegnete! Ich würde ihn aus Tausenden heraus erkennen!«

»Es liegen zwanzig Jahre dazwischen,« meinte Falken.

»Der Haß schärft das Auge! Uebrigens hat Gott den Kerl gezeichnet. Er trägt von einem Falle, den er in seiner Jugend gethan, eine Narbe auf der Stirn.«

Falken erwartete jetzt eine umständliche Erzählung, sah sich jedoch getäuscht, denn sein Hauptmann sprach den ganzen Abend nicht mehr und legte sich sogleich zur Nutze.

 

Zwei Tage brachte die Compagnie Bärenhorst's auf dem Marsche zu, ehe sie ihren Bestimmungsort, ein kleines Dorf in der Gegend von Eckernförde, erreichte. Es war zu Anfang April. Ein anhaltendes Schneegestöber hatte die Straßen ganz unfahrbar gemacht, die sich auch für Fußgänger nicht minder beschwerlich und mühsam erwiesen. Bärenhorst saß zu Pferde. Nie ein Freund der glatten Toilette, verschönerten ihn ein grober Commismantel und ein Paar unförmige Stiefel keineswegs. Er rauchte trotz Wind und Wetter und verschmähte es nicht, mit seinen Soldaten zu fluchen und in derbe Scherze einzustimmen.

Falken war dagegen auch im Felde der Offizier, der stets gut und sorgfältig gekleidet erschien. Nichts desto weniger galt er als kein schlechterer Soldat als sein Hauptmann, und brannte vor Begierde, die erste Schlacht mitzumachen. Dazu war nun augenblicklich wenig Aussicht, denn die Dänen hatten die Herzogthümer geräumt und occupirten nur durch ihre Marine die Strandgegenden ...

Müde, durchnäßt und hungrig erreichte das Detachement endlich am dritten Tage die Quartiere. Das Dorf war armselig genug, da sich aber dem Soldaten die Lehre von der Genügsamkeit stündlich einprägt, so war Alles froh, nur unter Dach und Fach zu kommen.

Bärenhorst und Falken nahmen im Wirthshause Quartier. Der Besitzer war ein armer Teufel, dem der Krieg schon viel gekostet hatte. Sie richteten sich ein, so gut es die Umstände zuließen und dachten vor Allem an ein ordentliches Abendessen.

Während Bärenhorst ins Dorf ging, um seine Leute zu inspiciren, sollte Falken für einen Braten Sorge tragen. Eine Magd, die sich in der Eigenschaft einer Köchin meldete, war von so widerwärtigem Aussehen, daß sie der Lieutenant sofort aus der Küche jagte und nach der Tochter vom Hause verlangte.

»Eine Tochter muß da sein, welcher Wirth kann auf Gäste rechnen, wenn er keine schöne Kinder im Hause hat?«

Der Wirth wollte sich entschuldigen, Falken hörte ihn nicht an, sondern eilte Trepp' auf, Trepp' ab und klopfte an alle Thüren. An der einen ertönte endlich ein weibliches »Herein!«

»Aha!« dachte Falken und trat ins Zimmer. Es war ersichtlich das Beste im Hause. Eine junge Dame erhob sich vom Sopha und ging ihm einige Schritte entgegen. Er sah sie an und »Himmel!« war das Einzige, was er zu sagen vermochte. Auch sie wurde verlegen.

»Himmel, Sie – Sie – Himmel!«

Er konnte vor Staunen und Verwunderung nicht aus dem Himmel herauskommen.

Sie faßte sich zuerst und lispelte:

»Irr' ich nicht, so haben wir uns schon in Hamburg gesehen.«

»Allerdings, es sind wenige Tage erst verflossen, aber läge ein Jahrhundert dazwischen, ich hätte Ihre Züge nicht vergessen!«

Sie erröthete und spielte mit den Fransen ihres Shawls.

»Aber welch' ein unerklärliches Wiederfinden!« fuhr Falken fort, »welches Glück zugleich! Wie kommt dieses erbärmliche Nest zu der Ehre, Sie aufzunehmen, gnädiges Fräulein?«

»Es geht sehr natürlich zu. Einen Tag nach unserer Begegnung verließ ich Hamburg, wo ich Einkäufe zu besorgen hatte, und fuhr nach Rendsburg. Dort erwartete mich der Wagen meiner Mutter, die im Holsteinischen Güter hat und eins davon, zwei Stunden von hier, bewohnt. Ich fuhr in Begleitung unseres Verwalters bis hierher. Das anhaltende Schneegestöber hat aber ein weiteres Fortkommen zu Wagen auf den Feldwegen unmöglich gemacht. Ich sandte deshalb einen Boten nach B… und erwarte nun jede Minute einen Schlitten, der mich zu meiner Mutter bringt.«

»Fräulein, wie habe ich mich gegen die Vorsehung versündigt! Mit der Compagnie marschirend fluchte ich meinen redlichen Theil über das schlechte Wetter, und ohne dieses« – er ergriff ihre Hand und drückte für jeden Buchstaben des fehlenden Nachlasses einen erläuternden Kuß auf die rosigen Finger. Sie wollte ihm die Hand entziehen, aber der Lieutenant hatte den ersten Kriegsartikel zu wohl im Sinne, der Feigheit im Felde mit dem Tode bestraft, und ließ seine Beute so leicht nicht entschlüpfen.

Ein ängstliches: »Ich muß um Hülfe rufen, wenn Sie so fortfahren!« brachte ihn endlich zur Besinnung, doch niemals schien er sich seiner Lieutenantswürde bewußter zu sein, als in diesem Augenblicke, denn mit gerechtfertigtem Stolze warf er sich in die Brust und sagte:

»Mein Fräulein, hier kann Sie Niemand beschützen, als wir. Lassen Sie die Dänen anrücken, ich will nicht Falken heißen, wenn Einer lebendig davonkommt!«

Diese Bravour konnte nicht ohne Wirkung bleiben, er lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit auf eine Antwort, die sie ihm auch sogleich mit den Worten ertheilte:

»Die Gefahr eines Ueberfalls haben Sie wol nicht zu befürchten, und was mir gefährlich sein könnte, wüßte ich nicht!«

Sie machte eine Verbeugung, die einem Abschied sehr ähnlich sah, der Lieutenant hatte aber kein Verständniß dafür und schien in dem Zimmer etwas verloren zu haben, denn sein Auge suchte bald den Boden, bald die Decke, zuletzt hefteten sie wieder an der Gestalt der holden Fremden.

»Und darf ich nicht die Ehre und das Glück haben, meine schöne Unbekannte zu ihrer Mutter zu begleiten? Es beginnt zu dunkeln, wer kann für alle Fälle stehen.«

Das Anerbieten wurde mit einer verbindlichen Artigkeit abgeschlagen.

»Der Verwalter, der mich hierher brachte und den ich zu meiner Mutter sandte, wird wol auch zurückkehren und mich begleiten.«

In der That ließ sich das Schellengeläute eines Schlittens vernehmen, zugleich aber auch eine Stimme, welche rief:

»Donnerwetter, Falken, wo stecken Sie denn?«

»Hier!« rief der Lieutenant unwillkürlich.

»Was haben Sie denn nun wieder gemacht? Der Braten ist ja ganz verdorben! Auf der einen Seite ist er ganz verkohlt, auf der andern Seite schwimmt das Fleisch noch im Blute. Sie sind mir auch der rechte Koch!«

Das letzte Wort noch auf den Lippen, trat der Hauptmann ins Zimmer. Verblüfft darüber, hier unerwartet eine Dame zu finden, machte er eine ziemlich steif ausfallende Verbeugung und den Versuch einer Entschuldigung, der ihm sehr schlecht gelang. Sein Glück war, daß der Verwalter ihn der Verlegenheit entriß, der dem Fräulein die Ankunft des Schlittens anzeigte. Sie verneigte sich gegen die Offiziere und schlüpfte zur Thür hinaus. Falken folgte ihr auf dem Fuße und beschwor sie, ihm wenigstens ihren Namen zu nennen.

»Mehr darf ich ja jetzt nicht fordern,« flehte er.

Schon im Schlitten, reichte sie ihm die Hand und flüsterte:

»Leonie von Delmen.«

Gleich darauf zogen die Pferde an.

»Leonie von Delmen!« wiederholte er langsam, und starrte der Davonjagenden nach, so lange es die Dunkelheit gestattete.

In's Haus zurückgekehrt, fand er den Hauptmann mit ungewöhnlich ernstem Gesichte und verschränkten Armen auf- und niedergehend. Auf seine Frage, was ihm fehle, erhielt er keine Antwort. Auch der Bursche, der mit dem Nachtessen hereintrat und den Tisch decken wollte, erhielt keinen freundlicheren Empfang, sondern wurde mit einer stummen aber deutlichen Handbewegung hinausgewiesen.

Falken, der sich wenig an diese Zeichen eines großen Unmuthes kehrte, setzte sich in eine Ecke und in selige Gedanken versunken, träumte er von der schönen reizenden Dame. Plötzlich fiel ihm ihr Name wieder ein, er sprang vom Stuhle und rief:

»Hauptmann!«

»Was giebts?«

»Wie gefällt Ihnen meine neue Bekanntschaft? Es ist dieselbe junge Dame, vor der ich in Hamburg auf dem Glatteise niedergestürzt bin.«

»Da steckt eben der Teufel meiner Verdrossenheit,« ergänzte der Hauptmann. »Sie kommt mir bekannt vor.«

»Denken Sie zwanzig Jahre zurück, Hauptmann!«

»Falken!« der Hauptmann blieb stehen und heftete die Augen durchdringend auf Hugo.

»Es ist Leonie von Delmen,« fuhr dieser rücksichtslos fort.

»Leonie? Leonie?« wiederholte Bärenhorst in einem Tone, der Schmerz und Freude zugleich enthielt und so heftig, daß Falken zusammenschrak.

»Also sie, sie!«

Der Hauptmann suchte sich vergeblich zu fassen und seine Erregung zu verbergen. Eine Zeitlang schweigend, kam er dann immer wieder auf denselben Gedanken zurück, und murmelte einige abgebrochene Sätze vor sich hin. Von Falken nicht unterbrochen, redete er sich immer tiefer hinein, bis er endlich gefaßter kurz abbrach und sich an den Lieutenant mit der Frage wandte:

»Wollen Sie eine Geschichte anhören? Sie ist nicht lang, bemerke ich zu Ihrem Troste im Voraus. Wir leben im Kriege, wer weiß, was uns der nächste Tag bringt. Ueberdies ist morgen mein Geburtstag, glaub' ich, und eine alte Schachtel, eine Verwandte des Satans, die ›Auf den Mühren‹ in Hamburg wohnt, hat mir prophezeiht, ich würde um diese Zeit herum zur Hölle fahren und die Bekanntschaft ihres Großonkels, des Teufels, machen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, rief er den Burschen, bestellte Cigarren, Gläser und Wein und, nachdem Alles gebracht war, erzählte er:

»Schloß Holmeneck muß hier herumliegen. Falken, Sie haben vorhin den Schlachtplan studirt, sehen Sie einmal nach.«

Der Lieutenant suchte mit dem Zeigefinger auf der Karte, fand den Ort und bejahte die Frage.

»Dort wurde ich geboren. An ein und demselben Orte, einem kleinen Pavillon im Schloßgarten, starben meine Eltern. Unser Gutsnachbar, Baron von Plessen, wurde mein Vormund. Er war ein Tyrann seiner Familie, der Schrecken seiner Umgebung, ein Freund des Spieles, des Weines und der Weiber. Ich war ein junger, wilder Mensch, der sich blindlings seiner Leitung überließ und im wüsten Treiben mit ihm wetteiferte. Umsonst warnte mich seine Gattin, eine brave, würdige Frau, die unendlich viel erdulden mußte. Der Kummer, die Sorge, hatten ihre Gesundheit gänzlich zerrüttet, und dennoch hing sie an ihrer Familie, ihrem Gatten mit ungeschwächter Liebe. Mag's zugegangen sein wie es will, was ich damals nicht begriff, ist mir durch reiche Erfahrungen nicht verständlicher geworden, ich habe keinen Sinn für die Räthsel der menschlichen Natur, aber die Erinnerung an sie erfüllt mich mit einer Achtung, einem Schmerz, wie ich sie bei dem Andenken keiner anderen Frau empfinde. Die Ankunft ihrer ältesten Tochter Marie veränderte auf einmal mein ganzes Verhältniß zu dem Baron. Sie war in einer Pension Berlins erzogen worden. Sie sehen und glühend lieben war bei mir Eins. Marie war schön, wie die Rose von Schiras, aber ihre Schönheit überstrahlte das milde, weiche Herz. Die Sanftmuth ist die stärkste Anziehungskraft des Weibes ... Hanna, die Wirthin, die Sie in Rendsburg kennen lernten und die damals auf dem Gute als Wirthschafterin diente, war unsere Vertraute.«

»Marie liebte Sie wieder?« fragte Falken.

»Ja!« sagte Bärenhorst, indem er das geleerte Glas auf den Tisch stieß, daß es in tausend Scherben zersplitterte. »Sie liebte mich und das ist das einzige Glück in meinem Landstreicherleben gewesen. Der Vater kam bald dahinter. War er früher ein Trunkener, der taumelnd mit der Hetzpeitsche nach seinen Leuten schlug, so war er jetzt ein bodenloser Wütherich, der die eigene Familie in seiner Rohheit nicht verschonte. Er haßte mich, weil ich nicht spielen wollte, er beschimpfte und nannte mich einen Weiberknecht, weil ich nicht mehr mit ihm in schlechte Gesellschaft gehen mochte und endlich nannte er mich einen Bettler, und wies mich aus seinem Hause, weil ich mein Erbtheil mit ihm verschwendet hatte. Die Ankunft seines Neffen, eines Herrn von Delmen, brachte mich vollends zur Verzweiflung. Er ist ein Mensch, der schlau wie ein Fuchs, sich tausend Löcher zum Fortkommen offen hält, und es meisterlich versteht, die Neigungen der Menschen zu erkennen und auszubeuten. Er ist ein Diplomat, der seine Seele an hundert verschachert, ohne je verkauft zu sein. Marie durfte ich nur noch heimlich sehen, aber welche Wege kennt die Liebe nicht! Die Kraft wächst mit der Gefahr und die Hindernisse in der Liebe sind nur ein Reiz mehr für den Starken. Ich sah meine Geliebte täglich. Sie beschwor mich zu handeln, denn ihr Vater wollte sie mit Delmen vermählen. Ich beredete sie zur Flucht. Marien's Mutter und Hanna wurden ins Geheimniß gezogen ...

Es war Nacht, ein Sturm fuhr über die Dächer, als wollte er in den Odenwald jagen und das wilde Heer aufschrecken. Mit Degen und Pistolen bewaffnet, kletterte ich über die Gartenmauer. Hanna sollte mich erwarten, ich sah sie nicht ... Bis an das Schloßgebäude schleichend, bemerkte ich Licht in Mariens Zimmer. Ich warf einen Stein an's Fenster ... es öffnete sich ... ich schleuderte eine Strickleiter hinauf, sie wurde befestigt, rasch klomm ich empor, sprang in's Zimmer und taumelte erschrocken zurück ... mit höhnischem Lachen stand mir Delmen gegenüber, in einiger Entfernung Baron Plessen, zu seinen Füßen Marie mit aufgelöstem Haar und dem Ausdrucke der Verzweiflung ...

›Ein später Besuch!‹ Mit diesen Worten trat mir mein Vormund entgegen, indem er fortfuhr: ›Sie sind ein Tropf, dem man seine Dummheit beinahe verzeihen könnte. Eine Hanna zur Vertrauten zu wählen, die von Gott nicht umsonst die Zunge erhalten hat und gründlich die Kunst zu plaudern versteht!‹

Dieser Spott reizte meine Wuth und nichts bedenkend fuhr ich heraus: ›Beschimpfen Sie mich nicht, Herr Baron, denn Sie müssen mir Marie zur Gattin geben.‹

›Müssen?‹

›Ja! Ihre Tochter, Ihr Haus ist entehrt, wenn Sie es nicht thun!‹

Ein Schrei ertönte, er kam von Marie ... Der Vater beachtete sie nicht ... Vor Wuth schäumend faßte er mich an der Brust und schlug mir ins Gesicht. Meiner Sinne nicht mehr mächtig trat ich zurück und zog den Degen ... Ein Stoß ... der Baron taumelte ... stürzte getroffen zu Boden ...«

»Entsetzlich!« fuhr Falken unwillkürlich heraus.

Der Hauptmann antwortete nicht. In den Sessel zurückgesunken, die geballte Faust auf dem Tische, die Augen geschlossen, schien er mit seinen Sinnen abwesend zu sein.

Nach einer langen Pause athmete er tief auf und begann von Neuem:

»Der Baron war roh, grausam, unbeugsam bis zur Hartnäckigkeit, aber doch in gewissem Sinne ein Edelmann. Die Ehre seines Hauses ging ihm über Alles. Als ich mich dem Verwundeten näherte, wandte er sich von mir ab und winkte dem Herrn von Delmen. ›Sie wissen nun Alles,‹ murmelte er – ›wollen Sie meine Tochter noch nehmen? Ich bin reich, Sie werden mein einziger Erbe.‹

Delmen überlegte nicht lange. Arm, schlecht, geizend nach Reichthum, legte er seine Hand in die des Barons. Verzweifelnd wagte ich noch einmal ihn umzustimmen. Ich bat ... flehte ... Er blieb unerschütterlich und ersuchte mich auf die höflichste Weise, das Haus zu verlassen.

›Die Sache, wie sie vorgefallen ist, bleibt Geheimniß, es hat Jeder ein Interesse, sie zu verheimlichen, wenn ich auch nicht bedenken will, daß wir Edelleute sind.‹ Dies waren die letzten Worte, die er an mich richtete.

Noch einen Blick warf ich auf Marie, die noch immer bewußtlos auf dem Boden lag, dann verließ ich das Haus und einige Tage später die Gegend. In Frankreich, wohin ich mich zunächst begab, bekam ich die letzte Nachricht aus meiner Heimath. Der Baron starb drei Monate nach jener Nacht an seiner Wunde, bald darauf, wie Sie von Hanna gehört haben, fand die Verbindung Marien's mit dem Herrn von Delmen statt. Es war möglich, daß sie es thun konnte!«

»Und Sie kommen zurück, Bärenhorst? zurück in diese Gegend?« fragte Falken.

»Warum nicht? Die Leidenschaft hat ausgerast, ich habe nichts mehr zu fürchten. Ueberdies, können Sie gegen das Schicksal ankämpfen? Wenn die Nothwendigkeit Ihnen zuruft: Du mußt! Was hilft Ihnen Widerstreben? Ich bin müde gehetzt im Leben, aber noch nicht fertig. Ich muß dem Bissen Brot nachjagen und wenn er mir erst am Ende der Welt gereicht würde. Sie wissen ich bin arm.«

Ein Kanonenschuß dröhnte durch die Stille der Nacht ... ein zweiter ...

»Die Dänen?«

Die Freunde horchten hinaus.

Ein Reiter sprengte durch die Straßen, er hielt vor dem Hause und brachte dem Hauptmann eine Depesche.

»Eine dänische Flottille,« hieß es, »occupirt den Eckernförder Meerbusen, sie führt Truppen an Bord und versucht zu landen.«

Die Trommel rasselte durch die Straßen, bald stand die Compagnie marschfertig in Reih' und Glied.

Bärenhorst war ganz Soldat, der vor Begierde brannte, dem Feinde zu begegnen. Falken hatte weniger kriegerische Gedanken. Die Erzählung seines Freundes, die unerwartete Begegnung mit Leonie, ihre Nähe, Alles beschäftigte ihn lebhafter, als die Dänen und ihre beabsichtigte Landung. Er wäre viel lieber nach dem Schlosse geeilt, wo er wußte, daß seine Geliebte sich aufhalte.

 

Es war ein rauher kalter Morgen, der fünfte April. Ein frischer Nordostwind strich über den Eckernförder Meerbusen, dessen Eingang die dänische Flottille belagerte. Der Commandant derselben ließ die Segel aufziehen und steuerte mit der »Gefion,« einer Fregatte und dem Linienschiffe »Christian VIII.« auf die schleswig-holsteinischen Batterien zu, in der Absicht, sie zu demontiren. Die eine war auf der Nordseite des Meerbusens vortrefflich postirt zwischen zwei schleswigschen Dörfern, von denen das erste gleichsam eine Vorstadt von Eckernförde bildet. Sie correspondirte mit der gegenüberliegenden Süd-Batterie, welche die Kieler Chaussee und den Kieler Hafen bestrich. Beide Batterien nahmen die Schiffe in ein Kreuzfeuer, welches von diesen lebhaft erwidert wurde. Ein Schuß traf Christian VIII., das Schiff schwankte, der Commandant, die Fruchtlosigkeit seines Unternehmens einsehend, wollte aus dem Hafen herauszukommen suchen. Es war zu spät. Der Wind, dem Einlaufen so günstig, hatte sich inzwischen gedreht und verhinderte jetzt das Auslaufen. Schuß um Schuß fiel. Vergebens machten einige Dampfer den Versuch, die gefährdeten Schiffe herauszubugsiren. Der Commandant zog die weiße Flagge auf und bat um einen Waffenstillstand. Seine Bedingungen konnten nicht erfüllt werden. Von Neuem dröhnte der Kanonendonner, von Neuem traf ein Schuß, er zerschmetterte das Verdeck Christian VIII., ein zweiter durch einen merkwürdigen Zufall das Tau, durch welches es aus dem Hafen bugsirt werden sollte.

Die Kunde von diesem Ereigniß hatte sich rasch verbreitet. Die hin und her eilenden Couriere, der anhaltende Kanonendonner allarmirten das Land. Von Kiel, Rendsburg und den in der Nähe liegenden Ortschaften strömte Alles nach dem Schauplatz dieses geschichtlichen Vorfalls. Die Landstraßen waren von Wagen, Reitern und Fußgängern bedeckt. Es war indessen schwer, nach Eckernförde ungefährdet zu gelangen. Die feindlichen Kugeln reichten zu weit, sie gingen über die Dühne der Stadt, schlugen in das hinter derselben gelegene Moor, und bestrichen die Dörfer und Wege.

Bärenhorst hatte den Befehl, mit seinem Corps die Besatzung von Eckernförde zu verstärken. Sie wußte einen der gefährlichsten Puncte, zwischen der Stadt und der Südbatterie passiren. Die Unmöglichkeit einsehend, vorzudringen, ließ er die Compagnie Halt machen und ging in Begleitung Falkens auf eine Recognoscirung aus. Sie bestiegen einen Hügel, von dem herab sie glaubten den Kampf in seiner ganzen Ausdehnung mit ansehen zu können. Ein Wagen kam in derselben Absicht von der Chaussee den Hügel hinauf und ihnen entgegen.

»Plagt die Frauenzimmer der Teufel?« rief der Capitain unwillig, die zwei darin sitzenden Damen bemerkend. »Die verdammte Neugierde ...!«

Er vollendete den Satz nicht, das plötzlich auftauchende Bild zu seinen Füßen fesselte ihn zu lebhaft. Die Sonne brach eben durch das graue Gewölk und überstrahlte die unermeßliche Fläche. Am Rande des Horizontes zeigten sich die dänischen Dampfer, in vergeblicher Bemühung, dem Schauplatz des Kampfes näher zu kommen; die Elemente selbst waren gegen sie. Ein heftiger Wind peitschte die See, die, aufgewühlt in der innersten Tiefe, die empörten Wellen so grollend und schäumend gegen den Bauch der Schiffe warf, daß alle Fugen krachten und ächzten. In einer Wolke von Schaumperlen zerstiebend, jagte der Wind die Wassermasse von Neuem empor, so oft sie sich in das Niveau zurückverlor. Die Strand-Batterien, die Kanonen der Segelschiffe dröhnten dazwischen, weithin antwortete der donnernde Wiederhall.

Ein Dampfer keuchte heran; ein Maschinenrad wurde ihm zerschmettert, er legte sich auf die Seite, arbeitete mühsam, schwamm zurück – ein Wasservogel mit gelähmtem Fittig. Ein anderer brauste durch die Wogen, ein zweiter Schuß zersplitterte das Bugspriet, riß das Takelwerk entzwei. Einige Kanonenböte stießen vom Strande, sie wogten dahin, unter dem Hurrahruf der Mannschaft, ungefährdet, spottend der Kugeln, die über sie hinwegsausten und ein so tiefes Ziel nicht erreichen konnten. Die schwarz-roth-goldene Fahne der Nordbatterie wurde vom Feinde heruntergeschossen, das dänische Hoch erfüllte die Luft, ein Augenblick, und die Fahne wallte höher, stolzer, das deutsche »Hurrah« bewältigte den Ruf des Gegners. Der Kanonendonner wurde wilder, betäubender, die Gefahr rückte den feindlichen Schiffen näher und näher. Der immer heftiger tobende Wind trieb Christian VIII. immer weiter gegen den Strand, eine glühende Kugel fiel auf's Verdeck, zerschmetterte den Boden und drang zerstörend in das Innere des Schiffes.

»Das Schiff brennt!« ertönte es schrecklich von hundert bebenden Lippen.

Bärenhorst hatte mit steigender Aufmerksamkeit den Kampf verfolgt, jetzt rief er jubelnd zu Falken hinüber:

»Junge, der Danebrog sinkt, die weiße Fahne wird aufgezogen, die Schiffe sind unser.«

Auf die Frauen, die unterdeß herangekommen waren, wirkte diese Nachricht electrisch. Sie fuhren zusammen, blickten bald hinunter in die Tiefe, bald auf den Hauptmann und den Lieutenant Falken. Dieser hatte in der Jüngeren sogleich Leonie wieder erkannt und begrüßt. Von ihr war er der älteren Dame, ihrer Mutter, vorgestellt worden. Nachsinnend über das wunderbare Verhängniß, das hier drei Menschen zusammenführte, die sich so nahe angehörten, ohne daß sie es ahnten, hatte er mit weniger Interesse den Kampf verfolgt, als die Uebrigen. Er wußte nicht, was er thun sollte; ob Bärenhorst mit der Sachlage bekannt machen, oder seine Entdeckung auf eine andere Zeit hinausschieben.

Noch war er unentschlossen, als seine Gedanken der Ausruf Bärenhorst's unterbrach. Zu gleicher Zeit entschlüpften der Mutter Leonien's die Worte:

»Mein Gott, Delmen? Er ist auf dem brennenden Schiffe!«

Bärenhorst heftete bei diesem schmerzlichen Ausrufe sein Auge durchdringend auf die Dame. Beim Anblick Leonien's zuckte er zusammen, ein plötzlicher Gedanke trat vor seine Seele. Früher hatte er sie nur flüchtig in der Dämmerung gesehen, jetzt, im hellen Lichte des Tages erkannte er eine Aehnlichkeit, welche die Erinnerung mächtig in ihm heraufrief. Er stand rathlos, zweifelnd, jetzt wollte er näher treten ... ein heftiges Krachen, das aus der Tiefe heraufscholl, hielt ihn zurück.

Der Kanonendonner war verhallt. Von allen Seiten näherten sich Barken dem brennenden Schiffe, um die Mannschaft zu retten und dem Feuer Einhalt zu thun. Ein Theil der ersteren war bereits geborgen, aber vergebens suchte man den Brand zu löschen. Die Flammen schlugen gefräßig aus allen Luken und loderten höher und höher empor. Schon gerieth das Verdeck in Brand, die nicht Geretteten erkletterten den Mast und erfüllten die Luft mit ihrem Schmerzensschrei. Viele sprangen über Bord, und fanden ihren Tod in den mächtig anschwellenden Wogen.

Jetzt, mit Einemmale brauste und zischte das Wasser. Die Wellen stiegen bergeshoch ... ein gewaltiger Ruck erschütterte das Schiff, alle Fugen stöhnten und ächzten ... zischend vermischten sich Feuer und Fluth ... ein fürchterliches Krachen erfolgte ... Pulverdampf rollte auf ... das Schiff stieg in die Höhe, schwebte einen Augenblick über der grollenden See und flog, auch so noch verderblich und verheerend in tausend Theile zerschmettert in die Luft.

Ein allgemeiner Schreckensruf begleitete das ebenso großartige, als furchtbare Schauspiel. Frau von Delmen war verzweifelnd in die Knie gesunken und hielt die Hände gefaltet. Leonie lag ohnmächtig in den Armen Falken's. Ein naher Ruf: »Ich bin zum Tode getroffen!« schreckte Alle auf ... Der Hauptmann Bärenhorst lag bewußtlos am Boden ... Sie eilten hinzu ... ein Balken hatte ihm die Brust zerschmettert ... Schon mit dem Tode ringend, schienen seine Sinne sich zu erleuchten, er erkannte Leonie, ihre Mutter, und nannte ihre Namen. Falken löste jetzt mit kurzen Worten das Räthsel.

»Welch' ein Wiedersehen! Es ist schlimmer als Sterben!«

Mehr vermochte Frau von Delmen nicht zu sprechen, unter einem heißen Thränenstrom sank sie neben ihn hin. Mit der letzten Kraft raffte sich Bärenhorst noch einmal empor, reichte dem treuen Freunde die Hand, zog Leonie an seine Brust, küßte sie leise auf die Lippen und hauchte: »Leb wohl, mein Kind!« ... Dann einen wehmüthigen Blick auf die Mutter richtend, verschied er.

Eine tiefe Stille trat ein, von unten herauf erscholl nur dumpf das Brausen der See und das wirre Geräusch von menschlichen Stimmen. Eine lange Zeit verging, ehe sich die Frauen von ihrem Schmerze erholten. Falken ließ den Entseelten durch einige Soldaten nach Eckernförde bringen und geleitete die Damen in ihrem Wagen selbst dahin. Hier wartete ihrer noch eine schmerzlichere Nachricht: Baron von Delmen war mit Christian VIII. untergegangen. Die Baronin hatte ihn nicht geliebt, sein Entschluß, gegen die Herzogthümer zu fechten, denen sie angehörte mit Leib und Seele, hatte ihn vollends um den letzten Rest ihrer Zuneigung gebracht. Dennoch führte sie den Namen ihres Gatten, sie hatte viele Jahre mit ihm gelebt und aus ihrem Verhältnisse zu ihm waren Rechte entsprungen, die sie ehren mußte. Der Schmerz griff daher auch hier in neue Saiten. Sie verklangen erst nach geraumer Zeit und nach beendigtem Kriege durch das Glück ihrer Tochter an der Seite ihres Schwiegersohnes, Hugo von Falken.



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