Ludwig Tieck
Wunderlichkeiten
Ludwig Tieck

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Und wenn sie uns nicht das Wenige bezahlt, was sie uns schuldig ist? fragte das junge blonde Mädchen mit höchst bekümmertem Ton.

In dem Fall, sagte die Mutter trübselig, wüßte ich mit gar nicht mehr zu helfen. Wenn nicht der alte Oheim –

Denken wir nur an den alten Geizhals nicht, rief die lebhafte Henriette, halb im Weinen und halb im Zorn; er thut nichts für uns, wenn er uns auch sterben sieht, das hat er ja selber oft genug gesagt.

Schelte nur nicht auf ihn, antwortete die Mutter zurechtweisend, er hat freilich etwas mehr als wir, aber er ist doch ebenfalls arm. Und sein eigner Bruder, Dein Vater, Kind, hat ihn zu Grunde gerichtet; und darum ist es auch natürlich, daß ihm von Zeit zu Zeit das wieder beifällt und er auf uns böse ist.

So muß ich also, in dieser Hitze, noch einmal über die Brücke laufen, sagte Henriette, um die gnädige Frau drüben um die paar Groschen zu mahnen, die sie mir schon so lange für die mühselige Stickerei schuldig ist. Und wer weiß noch, ob ich sie zu Hause treffe.

Schlimmer, sagte die Mutter, wenn sie es übel nehmen sollte und künftig gar nicht mehr bei uns arbeiten läßt, oder gar andere Reiche und Vornehme vor uns warnt, als wenn 228 wir schlecht erzogene und unverschämte Leute wären. Das ist das Entsetzliche bei den Reichen, daß sie es nicht fassen, wie wichtig dem Armen so oft ein paar Groschen sind, die sie in ihrem Leichtsinn immer und immer wieder vergessen.

Wenn nur, sagte Henriette ganz in Trauer aufgelöst, unterdeß der grobe Wirth nicht heraufkommt, uns auspfändet und aus dem Zimmer wirft, wie er uns neulich gedroht hat.

Er wird doch nicht, sagte die Mutter besänftigend; solche Leute sagen auch oft mehr, als sie ausführen wollen, um sich vor ihren Schuldnern ein rechtes Ansehen zu geben. Man muß ihnen das zu Gute halten.

Aber im Stillen war die Mutter ganz von derselben Furcht erfüllt; sie wollte nur der jungen, unerfahrnen Tochter nicht den letzten Muth rauben, und darum nahm sie eine heitere Miene an, betrachtete ihr Kind lächelnd, die sich schon die schwarze, wohlgeschonte tafftne Schürze vorband, um auf der Straße im hellen Sonnenlicht so anständig als möglich zu erscheinen.

Diese Scene des Kummers fiel in einem engen niedrigen Dachstübchen vor, dessen Fenster auf einen beschränkten Hof herabsahen. Man hörte in dieser Höhe nur selten etwas von dem Geräusch, das unten im Eingange erregt wurde, von der Straße vernahm man gar nichts. Zwei Stühle von Stroh, ein kleiner Tisch waren das dürftige Mobiliar, in der noch kleineren Kammer standen die Betten für Mutter und Kind. Ein kleiner Spiegel in schwarzen Rahmen gefaßt, war an der schiefen Wand zwischen den Fenstern befestigt. Eine Stadt im Kupferstich, roth und grün mit Wasserfarben illuminirt, verzierte, ohne Glas, in braunes Holz eingelegt, die größere Wand, und gegenüber zeigte sich, verdunkelt und geschwärzt, ein ziemlich altes Bild, in welchem 229 man nur nach einiger Anstrengung eine Kreuztragung herausfinden konnte, so stark hatten Rauch und Staub auf dieses Alterthum eingewirkt, über welches Henriette doch wohl zuweilen gelacht hatte, wenn sie die zu dünnen und langen Beine der Kriegsknechte, oder die zu großen und dicken Thränen der klagenden Frauen im Gefolge mit weltlicher Kritik recensirte. Die Mutter tadelte auch jedesmal diesen Leichtsinn, der sich, nach ihrer Meinung, bei einem so heiligen Gegenstande nicht gezieme, wo die fromme Gesinnung die Hauptsache sei und somit von selbst jede Einrede abweise.

Indem Henriette die Thür aufmachte, hörte man von unten herauf ein lautes Lachen und männliche und weibliche Stimmen durcheinander. Die Tochter blieb in Verwunderung stehen und die Mutter war auch vom strohgeflochtnen Stuhl aufgestanden, denn auch im Elend findet der Mensch in der aufgeregten Neugier und ihrer Befriedigung Trost und Erheiterung. Indem die Alte nach der Thür eilte, traten zwei fremde Frauenzimmer schon herein und begrüßten die Verwunderten mit vieler Freundlichkeit. Auch die Fremden schienen Mutter und Tochter, und die Aeltere machte in großer Eile die Thür zu, um vielleicht das laute Gelächter, welches noch ertönte, weniger zu vernehmen. Verzeihen Sie, sagte die alte Frau dann, wenn wir Sie gleichsam überfallen und Schutz bei Ihnen suchen, um uns der Rohheit ungezogener Menschen zu entziehen.

Die Wirthin war in Verlegenheit, indem sie die Fremden zum Sitzen nöthigte, weil sie nun selber stehen mußte, indessen vereinigte man sich nach einigen Höflichkeiten dahin, daß die beiden alten Frauen die Stühle einnahmen und die jungen Mädchen sich an den Tisch lehnten, denn Henriette war aus Neugier nun auch geblieben, um abzuwarten, was dieser unerwartete Besuch zu bedeuten haben könne.

230 Als ich unten auf der Straße diesem Hause vorbeiging, fing die Fremde nach einigem Zögern an, befiel mich eine sonderbare Ahndung, ein Zucken, ein Anmahnen, oder wie soll ich es nennen, das mich zu meinem Glücke oftmals aufregt und dem ich immer Folge leisten muß. Dann wird mir innerlich nicht, wie es wohl manchem Andern geschehen ist, Unglück, sondern Glück geweissagt. Wollte ich diesem Winke nicht Folge leisten, so würde ich nachher in tiefe Betrübniß, wohl gar in eine gefährliche Krankheit versinken. Ich versäumte also nicht, unten die große Treppe hinaufzusteigen und mich dort bei den reichen und vornehmen Leuten zu melden. Ich fand aber durchaus nicht, was ich suchte, indessen ward ich doch mit Höflichkeit entlassen. Nachher ward mir nicht mehr dieselbe feine Behandlung, aber doch noch keine Beschimpfung, indem man mir, zwar ungern, die Erlaubniß gab, alle Zimmer zu durchforschen. Nun aber gerieth ich an jene rohen Menschen hier im obersten Stock, unmittelbar unter Ihrer Wohnung. Nicht genug, daß man mir kaum die Zimmer öffnete, mir nur kurze Zeit gönnte, mich umzusehen, so verfolgte mich auch noch, wie Sie es selbst gehört haben, ein schallendes Gelächter. Nun bin ich bei Ihnen, und gewiß, und ich sehe schon, daß es so wird, eine bessere Aufnahme zu finden.

Und worin kann ich Ihnen dienen? fragte die Mutter.

Ich bin überzeugt, begann jene wieder mit neuer Lebhaftigkeit, da ich alle Zimmer des großen Hauses durchsucht habe und dieses das letzte ist, daß Sie etwas besitzen, was Sie mir wohl gern verkaufen werden, denn mein Geist kann mich nicht trügen.

Und was wäre dies?

Irgend ein Gemälde, das für Sie keinen Werth hat und mir sehr erwünscht seyn wird; antwortete die Fremde.

231 Die Mutter und die Tochter sahen sich verwundert an, endlich sagte die Alte zögernd: Wenn Sie da die gute Stadt Regensburg belieben sollten, so könnte ich Ihnen diese, obgleich es ein Geschenk meines Schwagers ist, um ein Billiges verkaufen.

Die Fremde erhob sich sehr lebhaft und stellte sich mit forschendem Auge an die Wand. Liebe, sagte sie, das ist kein Gemälde, sondern ein schlechter Kupferstich, der mit groben Farben illuminirt ist und gar keinen Werth hat.

So? sagte die Alte kurz und wandte sich ab. Nur die Tochter verstand die ganze Trostlosigkeit dieser kurzen Sylbe, da schon im Auge der Mutter ein Strahl von Hoffnung aufgeleuchtet hatte, das bunte Bild um eine kleine Summe verkaufen zu können. Die Fremde sah sich mit einem Seufzer noch einmal in dem Stübchen um, und jetzt fiel ihr Auge auf die beschattete Wand, an welcher jenes ganz verdunkelte Bild befestigt war. Was haben Sie denn da? rief sie mit der größten Lebhaftigkeit. – Ach! antwortete die Wirthin mit gedämpfter Stimme, ein ganz altes verschwärztes Ding, das wohl etwas aus der Leidensgeschichte unsers Herrn vorstellen soll. Die Besuchende war indessen näher an die Wand getreten. Friederike! rief sie aus, und die Tochter ging zu ihr. Hatte mein mahnender Geist nicht Recht? sprach sie mit einer Stimme, die vor Freude zu beben schien. sieh da! hier ist der Schatz, den wir unten im Hause thöricht bei den Thörichten suchten. Was wollen Sie, liebe Frau, für dieses Gemälde haben, wenn es Ihnen anders verkäuflich ist? so wendete sie sich an die verwunderte Alte. – Ja, mein Gott, sagte diese höchst verlegen, – wenn Sie es irgend brauchen können, – was meinst Du, Henriette?

Die Tochter, welche dreister war, trat näher und sagte keck. Um einen Thaler steht es zu Ihren Diensten. – Um 232 einen Thaler? rief die Fremde. – Nein, sagte die Mutter, die den Uebermuth der Tochter nicht begriff, wir lassen es Ihnen auch wohl um die Hälfte, oder –

Frau! Frau! sprach die Fremde wie begeistert, schämen Sie sich, so unvernünftige Preise nur über Ihre Lippen zu bringen. –

Nun, so taxiren Sie es selber, erwiederte die Mutter beinahe weinend, – so viel Groschen Sie wollen.

Ich will Ihre Unwissenheit nicht mißbrauchen, sagte die Fremde, die jetzt selber gerührt wurde, denn ich sehe wohl, daß Sie keine Kennerin von Gemälden sind. Wäre ich reich, so würde ich Ihnen eine große Summe anbieten, aber ich bin arm und kann nur wenig geben. Doch hintergehen will ich Sie nicht. Sie können vielleicht, wenn Sie es abwarten, wenn reiche Kenner zu Ihnen kommen, etwas Bedeutendes für dieses Bild erhalten: ich frage Sie also, ob Sie von mir diese drei Louisd'or annehmen wollen, da ich Ihnen nicht mehr bieten kann. Aber freiwillig müssen Sie einstimmen, gute Frau, denn ich will Ihre Unkenntniß nicht mißbrauchen.

Die Alte war wie im Traum, die lebhafte Tochter aber hatte die Tafel schon von der Wand losgemacht, wischte den Staub ab und gab sie der Fremden. Diese drückte der Mutter die drei Goldstücke in die Hand und entfernte sich mit ihrer Begleitung.

Nachdem die Fremden schon die Treppe hinuntergegangen waren, konnten die Zurückgebliebenen, die sich lange im stummen Erstaunen angesehen hatten, erst die Worte wiederfinden. Die Mutter war auf den Stuhl gesunken und rief: Ist es nicht wie ein Wunder? Nun sind wir ja aus einmal aus aller Noth. Ach! Jettchen! ich hatte wirklich Angst, sie würden uns Betten und Alles nehmen. Auf lange sind wir 233 gerettet, und nachher findet sich vielleicht wieder unvermuthete Hülfe.

Die Tochter umarmte fröhlich die beglückte Mutter, indem sie ausrief: Wer hätte denken können, daß das uralte geschmierte Wesen da uns einmal solchen Dienst leisten könnte! Man soll nichts verachten, denn oft ist uns das der beste Freund, worüber wir gelacht und gespottet haben.

Es kam jetzt ein schwerer Fußtritt die Treppen langsam herauf. Das ist der Schwager! rief die Mutter; ich weiß nicht, ob es nicht besser ist, ihm den Vorfall zu verschweigen.

Der alte Simon schob sich mit seiner Schwerfälligkeit durch die enge Thür und warf sich sogleich auf einen der Stühle, ohne nur seinen breiten Hut abzunehmen, der ihm fast das ganze Gesicht verschattete. Er dehnte sich gähnend, indessen sich die Tochter auf eine Fußbank in seiner Nähe niederließ. Da die beiden Frauenzimmer von ihrem großen Glücke noch zu bewegt waren und der alte träge Mann nur ungern sprach, so konnte sich lange kein Gespräch entwickeln, und in diesem Stillschweigen wurde Simon immer verdrüßlicher. Man fragte ihn nach seinem Befinden, und er fand es nicht der Mühe werth, diese unnütze Anrede zu beantworten. Nach einer Pause sagte er endlich: Wenn mein Doctor mich das fragt, so strecke ich nur die Zunge heraus; bei euch hier wäre das unartig.

Jetzt nahm er den breiten runden Hut ab und hängte ihn über die Lehne seines Stuhles, schob sich die graue Perücke zurecht und sagte nach einem starken, anhaltenden Gähnen: Ihr seid heut unausstehlich, Menschenkinder, und ich werde wieder gehen, sobald ich etwas ausgeruht habe. – Aber, fing er bald darauf wieder an, ich weiß gar nicht, was mir in eurer Stube heut hier fehlt, warum mir so sonderbar ist – es stört mich was, es ist nicht Alles wie sonst. 234 Teufel! wo habt ihr denn das alte Bild hingethan? Darum ist die Wand so kahl und die Stube so fatal weitläufig und ausgeräumt; das Auge findet in dieser Unendlichkeit keinen Ruhepunkt. Der Trost der Kunst geht uns ab in dieser unabsehbaren Wüstenei.

Ich will Ihnen die Sache nur bekennen, lieber Schwager. sagte die Mutter furchtsam, und so fing sie an, von ihrer großen Noth und dem unvermutheten weiblichen Besuch zu sprechen. Der Schwager Simon schüttelte sein großes Haupt und sagte dann: Und was haben Ihnen diese Bilderstürmer dafür gegeben? Gestehen Sie es mir nur unverholen, denn ich gebe Ihnen mein Wort, ich will nichts davon haben, wie Sie vielleicht glauben; nein, ich will Sie gewiß mit solchen Anforderungen nicht quälen. Als ihm die Summe genannt war, rief er aus: Seid ihr denn besessen, daß ihr euch in eurer Einsiedelei hier noch im späten Alter so auf die Spitzbüberei verlegt? Schelmenpack ihr! Bethörer so dummer Weibsbilder, die mit ihrem Verstand Schiffbruch gelitten haben! Schämt euch tief in euer Gewissen hinein und bessert euch!

Die Mutter wurde empfindlich und setzte ihm nun das ganze Abentheuer auseinander, das sie selbst wie eine unbegreifliche, wundervolle Begebenheit überrascht habe, und Simon sagte dann: Also entschuldigte sich das dumme Weibsen noch, daß sie nicht mehr hat geben können? Seht, wenn sie für die gute Stadt Regensburg zwei Groschen gab, so war sie noch um einen Groschen betrogen. aber zehn Bilder, wie jenes war, wiegen den Zinnober hier auf den lieben Dächern noch nicht auf, und der leere Fleck an der geräucherten Wand, der jetzt so bläßlich schimmert, ist ein großes Original-Kunstwerk gegen jene abscheuliche Schmiererei, die ihr so unter dem Preise in euerm sündlichen Leichtsinn losgeschlagen habt. 235 Der braune Quark kommt nun wohl auf die Gallerie und wird den Spitzbübinnen mit tausend Goldstücken als ein Wunderwerk und einziges Exemplar bezahlt; denn ich wenigstens habe noch nirgend, weder in dem Museum noch auf dem Trödel etwas gesehen, was sich mit der alten Schwarte nur von ferne vergleichen ließe.

Sie lachten, und nach einer Weile fuhr der Schwager so fort: Ihr habt mich immer gedauert, und doch war ich auf euch böse, und so setzte ich meinem Gewissen eine Frage, ob ich mich ganz von euch losreißen, euch umkommen lassen, oder euch helfen sollte. Geschah in dem Termin, der heut zu Ende ging, nichts für euch, so hatte der Himmel beschlossen, daß ihr unterginget, ich zog dann ganz meine Hand von euch ab und ihr saht mich nie wieder. So kam ich denn, um nachzufragen. Aber der Himmel hat euch wie durch ein Wunder geholfen, er hat sich durch die närrische Geschichte ganz ausdrücklich für euch erklärt, und so sollt ihr denn auch meine brüderliche Liebe und Hochachtung genießen. Wir machen jetzt gemeinsame Wirthschaft. Ich habe in der Lotterie was Ansehnliches gewonnen, das theilen wir miteinander, und eure Hälfte ist groß genug, daß ihr jetzt ohne Sorgen seyn könnt. Nach meinem Tode seid ihr meine Erben.

In dem kleinen Dachstübchen, welches sie schon in den nächsten Tagen mit einer bessern Wohnung vertauschen wollten, war statt der Noth und Verzweiflung Freude und Entzücken eingekehrt.



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