Ludwig Tieck
Die Vogelscheuche
Ludwig Tieck

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Fünfter Aufzug.

Erste Scene.

Ledebrinna oder Herr von Milzwurm ist krank, und wird durch Magnetismus geheilt.

Der Apotheker fühlte sich ganz unglücklich. Das Schicksal seiner Tochter war entschieden, und an eine Verbindung mit dem gelehrten Ledebrinna nicht mehr zu denken. Wenn er alle Umstände überlegte, mußte er auf den Argwohn gerathen, daß der neckende, schadenfrohe Peterling um die Sache gewußt und sie betrieben habe, denn ihm fehlte nichts an seinen Geldern oder Kostbarkeiten aus seinen geöffneten Schränken. Er legte den Bogen und beschädigten Hut wieder an seinen Platz, und er mußte es sich gestehn, daß diese Heiligthümer in seiner Schätzung viel von ihrem Werthe verloren hatten. Der Mann, welchen er als seinen Schwiegersohn zu betrachten gewohnt war, den er früher verehrte und fast für mehr als einen Sterblichen hielt, der jetzt aus einem Prozeß, welcher seinem Ruf und Dasein gefährlich schien, siegreich hervorging, war ihm gerade in der Entscheidung und Lossprechung verdächtiger als je geworden, ja selbst jene Ansicht, die er früher als eine aberwitzige weit weggeworfen, trat ihm in einem gewissen Nebel von Wahrscheinlichkeit 314 näher, daß er doch in der That eine Vogelscheuche seyn möchte. Wenigstens hatte er dadurch fast eben so viel in seiner Imagination verloren, daß er für ein verlornes Kind des abentheuerlichen Milzwurm war anerkannt worden. Durch die letzte Erklärung des Doktors hatte er gegen diesen, fast wie gegen einen Straßenräuber, ein unbedingtes Mißtrauen gefaßt, nur mußte er ihm wieder darin Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß ihm von seinen Geldern auch nicht ein Thaler fehle. So hin und her schwankend fand er sich endlich darein, daß er, wenn Elisa sich erst sehr gedemüthigt hatte, den Offizier, nach einigem väterlichen Zorn, wohl als Schwiegersohn würde anerkennen müssen.

Heinzemann war mit dem Ausgang des Handels nicht ganz zufrieden. Er hatte sich zwar nie ganz davon überzeugen können, Ledebrinna sei der entflohene Robin Hood, aber er hatte auf die Versicherung seines Alfieri gerechnet, daß sich Puck zeigen und durch seinen Einfluß den Prozeß so endigen solle, daß Ledebrinna doch für eine lederne Puppe anerkannt werde. Alfieri schaute immerdar aus dem Fenster, oder lief am Abend vor das Thor, ungeduldig, daß Puck immer noch nicht sein Versprechen halte und sich nicht blicken lasse. Was kann ihn nur abhalten? sagte er zu seinem Gebieter, da er mir den feierlichen Geisterhandschlag gegeben hat, daß er erscheinen würde. Daß ihn irgend ein Sterblicher, etwa so wie mich, eingefangen hätte, ist ganz unmöglich, denn er ist viel mächtiger und hundertmal klüger als ich. Auch ist er gar nicht poetisch, daß er sich etwa in irgend eine glänzende große Elfe sterblich verliebt hätte. Eingesperrt können ihn die Regenten auch nicht haben, denn die waren schon damals, als ich den Puck suchte, nach dem fernen Indien abgereiset. Ich werde ihn aber bei den nächsten Assisen daheim verklagen, daß er sein feierliches Wort gebrochen hat.

315 Heinzemann tröstete ihn und sagte: Mein Kleiner, die Sache ist toll genug zu Ende gegangen, und am Ende hat es denn doch der Neffe meines Freundes durchgesetzt. Laß den Puck nur laufen, wenn er sich so kostbar machen will. Jetzt fände er ja auch nichts mehr zu thun, die Hauptsachen sind abgemacht.

Am glücklichsten von allen war Ambrosius. Sein Gemüth war nun endlich beruhigt, denn er hatte einsehen müssen, daß er sich in Ansehung Ledebrinna's geirrt habe. Er gönnte diesem Abbilde seines Ideals jetzt seine bürgerliche Existenz, seinen neuen Namen Milzwurm, und machte seiner Tochter, die zu seiner großen Freude auch gesunder und etwas klüger zurück gekommen war, die Freude deutlich, welche sie beide empfinden müßten, daß jenes wohlgerathene Bildniß, welches für Europa freilich verloren sei, drüben in fernen Wäldern bei entstehender Cultur als Gründer neuer Religion und Sitte verehrt werde. Und glücklicher, sagte er dann, sind diese Waldmenschen, als die alten Griechen: diese mußten lange Zeit vor grobgeschnitzten Götzenbildern knieen, die meist der menschlichen Figur nicht einmal ähnlich waren, und diese Indianer erhalten sogleich eine vollendete Gottheit aus der schönsten Zeit der Kunst und können um so leichter das Höchste und Beste erreichen.

Alexander, der aus wahrem Uebermuth und Scherz die wunderliche Anklage übernommen hatte, war doch mehr beschämt, als er sich selbst gestehn wollte, daß ihn der geschwätzige Magister Ubique mit allen seinen Argumenten so aus dem Felde geschlagen hatte. Er war der Meinung gewesen, daß, da er einmal, wider alles Vermuthen, Willigs und Speners Meinung für sich gewonnen hatte, es ihm ein Leichtes seyn würde, das Gericht und die Geschwornen dahin zu bringen, daß sie den ruhmredigen Ledebrinna als schuldig 316 erkannten und ihn für eine Vogelscheuche erklärten. Erzürnte daher auch dem Milzwurm, daß dieser für Geld und gute Worte den Verdächtigen als Sohn angenommen hatte, denn er zweifelte gar nicht daran, daß der reiche Apotheker ein Kapital daran gewendet habe, um den Abentheurer, dessen Ursprung und Familie Niemand kannte, zu diesem entscheidenden Schritt zu bewegen, am meisten aber war er über den fremden Doktor aufgebracht, der durch seine wunderbare Erzählung, die ganz wie ein Mährchen klang, jede künftige Untersuchung und Anregung auf immer niedergeschlagen hatte.

Als von allem diesem in Gegenwart des Senators Willig im Hause der Tante und des Fräuleins Amalie die Rede war, sagte diese: Eigentlich geschieht Ihnen Recht, daß Sie Ihren Muthwillen so haben büßen müssen. Seit ich die Thorheiten beachte, die seit Kurzem hier vorgegangen sind, seit ich sehe, wie gern Sie die Hand zu dergleichen bieten, wie unser verständiger Freund Willig, der durch keine Leidenschaft hingerissen war, einen solchen unerhörten Prozeß zuläßt, habe ich mich überzeugen müssen, daß es Zeiten und Umstände giebt, in welchen die Menschen wie von einem ihnen unmerkbaren Zauber gebunden werden. Seit nun gar der dämonische Leibarzt des Prinzen hier ist und sein Wesen treibt, ist alles noch mehr in seiner seltsamen Stimmung gesteigert. Ich begreife nun etwas mehr, wie große und ausgezeichnete Männer so auf ihre Umgebung und Zeitgenossen wirkten, daß alle das Unglaublichste glaubten, ihren eignen Sinnen zum Trotz. Viele Wundersagen und unerhörte Seltsamkeit in der Geschichte sind mir seitdem verständlicher.

Sie haben wohl Recht, Fräulein Amalia, antwortete Willig: denn seit wir jetzt den Prozeß geschlossen haben, kommt mir alles, was geschehen ist, nur wie ein Traum vor.

317 Ledebrinna hatte seine Wohnung verlassen und war in das geräumige Haus seines neuentdeckten Vaters gezogen. Er zeigte jetzt in seiner Miene einen melankolischen Zug, der ihn interessanter machte, als je, denn ob er gleich über seine Verfolger den Sieg davon getragen, so hatte er dennoch nicht den Erschütterungen widerstehen können, die während des Prozesses seine Nerven sehr angegriffen hatten. Die geschminkte Hausfrau hatte sich seiner sogleich sehr vorsorglich angenommen und gegen ihren erst kürzlich geehlichten Gemahl geäußert: Sie wagen viel, Herr Baron, mir einen so interessanten Sohn unter mein Dach einzuführen. Haben Sie denn niemals die erstaunliche Tragödie von der Phädra aufführen sehn? Daß nur Melpomene sich nichts mit uns, den bisher so friedlichen Einwohnern, zu schaffen macht.

Liebe Frau, erwiederte Milzwurm, wenn ich Deine Tugend nicht noch mehr als Deine Schönheit vergötterte, so hätte mich wohl keine Gewalt in die Fesseln Hymens schlagen sollen. Denn ich liebe meine vorige Freiheit und jetzt Dich eben so sehr, wie der Mohr Othello die seinige und seine Desdemona, aber ich werde niemals so eifersüchtig, wie er, seyn können.

Doch vielleicht, sagte Pankratius, der bei dieser häuslichen Scene zugegen war, wenn ich es über mich gewinnen könnte, die Rolle des Jago zu spielen.

Wie vertrüge sich das, erwiederte sie, damit, daß Sie sich selbst zu meinem Ritter erklärt haben?

O meine Gnädigste, antwortete er, Sie begreifen es bloß deshalb nicht, weil Ihre edle reine Natur, Ihr lautres stilles Herz, das ganz die Eigenschaft des Lammes hat, nichts davon fassen kann, daß in der Ausübung der Bosheit eine Wollust, eine Seligkeit liegt, die über uns tief gesunkene Sterbliche eine unendliche Zauberkraft übt. Es ist anfangs 318 nicht so eigentlich die Lust, Schaden zu stiften, es ist vielmehr eine reine Freude in der Bosheit selbst: Unwahrheit, Lüge zu sprechen, Menschen an einander zu hetzen, Freunde zu verfeinden, die Besten zu verleumden, den Schwachen Lästerungen zuzutragen. Nicht wahr, Herr Baron, wir Männer wissen dergleichen schon zu würdigen, was das schöne Geschlecht freilich nicht so mitgenießen kann?

Ich gestehe, Herr Doktor, antwortete Milzwurm etwas beklemmt, ich fasse es immer nicht, wie es so verworfne Menschen geben könne.

Männchen! Männchen! sagte der Doktor, und schlug den Freiherrn mit zärtlicher Vertraulichkeit auf die Schulter: Sie, tiefer Denker, Menschenkenner, Prüfer der Leidenschaften, der Sie Provinzen und Länder mit Nutzen durchreiset sind, Sie gewiegter, und gleich dem Odysseus vielgewandter Mann, oder vielverschlagner, oder wie Sie polytropon nach Gelegenheit übersetzen wollen, – Sie, die Krone aller Beobachter, ei! Sie Vocativus enfin, – der mit allen Hunden schon längst gehetzt ist, Sie, Verehrungswürdigster, sollten nicht schon längst an sich und andern die Richtigkeit meiner Behauptung wahrgenommen haben? O machen Sie das einem Knaben weiß, der noch mit seinem Eutropius nicht fertig werden kann.

Es ist entsetzlich, sagte die Gemahlin, wie abgefeimt und verrucht doch eigentlich selbst die Besten unter den Männern sind; wir haben Ursach, vor jedem zu zittern, wenn er sich auch noch so unschuldig und liebenswürdig ankündigt.

Außer vor mir, sagte der Arzt, und wies in der grinsenden Freundlichkeit alle seine Zähne, indem er die Augen fest zudrückte, und mit der rothen dünnen und langen Nase lebhaft zitterte. Die Gesellschaft wäre fast in Lachen ausgebrochen, er aber sagte feierlich: Ich bin, auf meine Ehre, 319 die Unschuld selbst; ich habe mich ganz und auf meine Lebenszeit der Liebe geweiht. So reise ich auch am liebsten, und Durchlaucht waren erst etwas erstaunt, als ich mich Hochdenenselben als einen Professeur d'amour ankündigte. Mein Herz ist immerdar in der süßesten Aufwallung. Wo ich es irgend mit Anstand kann, setze ich mich in einen Winkel und weine meine Unschulds-Thränen. Aber man wird verkannt, und das ist gewiß noch keinem Menschen so oft, als mir geschehn. Durchlaucht sagen auch zuweilen zu mir: Sie sind, Pankraz, zu gut für diese Welt! Und der Kammerherr Hollabrunn nennt mich gar nicht anders als sein Kind, oder das Lamm. Das tröstet denn auch wieder. O glauben Sie mir, dem Manne, der über vierzig ist, der die Welt gesehn hat, und der doch kein Menschenfeind ist, dem sollte man Altäre aufrichten. Ich bin einer von diesen Edlen.

Als er die Gesellschaft verlassen hatte, wurde das Haus in der Nacht durch Ledebrinna gestört, bei welchem sich ein heftiges Nervenfieber offenbarte. Der gewöhnliche Arzt der Familie erklärte es für so gefährlich, daß der Kranke höchst wahrscheinlich daran verscheiden würde. Alle waren trostlos.

Als es Tag geworden, sendete man sogleich zu Pankratius, der es auch nicht versäumte, sich einzustellen. Nachdem er den Kranken beobachtet, der schon in wilden Phantasien schwärmte, und den Puls untersucht hatte, sagte er: Meine Freunde, Lebensgefahr ist nicht vorhanden, aber dies wird eine der merkwürdigsten Krankheiten werden, so seltne Erscheinungen und Krisen werden eintreten, daß sich von diesen Begebnissen allein ein ganzes Journal schreiben ließe. Wollte man hier hemmen und unterdrücken, so würde man den Patienten umbringen: man muß im Gegentheil alles dazu thun, daß er sich nur ausraset, und er wird dann seine 320 Vernunft, die sich indessen etwas hat ausruhen können, um so frischer und thätiger wieder antreffen.

Sollte mir mein nur eben gefundener Sohn so grausam wieder entrissen werden? klagte der Herr von Milzwurm.

Er wird es überstehn, tröstete Pankratius: es hat sich so vielerlei Stoff von Aberglauben, Phantasie und Poesie auf seine Seele hin gelegt, daß sie muß durch Explosionen wieder gelichtet werden. Er hat immer zu viel geschwärmt, der theuere Mann, seiner Phantasie einen zu großen Spielraum gegeben, den kalten Verstand etwas zu wenig gelten lassen, es brauchte nur noch die Erschütterung hinzu zu kommen, die ihm diese gerichtliche Untersuchung machte, und so ist denn nun der komplette Wahnsinn reif geworden.

Und Ihre Kur? fragte die Stiefmutter.

Diese Verrücktheit, sagte der Arzt, bringe ich nun durch Magnetismus zur vollkommenen Reife, auch kein Atom von Wahnsinn muß in seiner Seele zurückbleiben, alles muß in Farben-Pracht, Glanz und Ueppigkeit heraus blühen, dann wird die Ernte gehalten, und der Mann ist nachher, und wenn er Methusalems Alter erreichte, keinem Anfall mehr ausgesetzt. Nur freilich fragt es sich dabei, ob er noch ein Dichter bleiben wird.

Ich dächte doch, sagte Milzwurm, wir haben so verschiedene Gattungen der Poesie, daß seinem Talent noch immer eine oder die andre übrig bleiben wird, zu welcher gar keine Phantasie gehört.

Ja, meine Freunde, fuhr der Arzt fort, die Phantasie, die unglückselige, die ist das höllische Arsenal, wo alle Arten von Waffen für Wahnsinn, Aberglauben, Raserei und Tollheit geschmiedet werden. Da sich der Kranke nun schon deklarirt hat, so kann ich die Hoffnung fassen, daß er alles, 321 was er von diesem Unkraut in sich hat, ganz und völlig in den Convulsionen herauswürgen wird. Nachher wird er erst der Mann werden, wie er seyn soll, und sich uns, dem Staate und der Menschheit ganz unverkümmert widmen können.

Indem rief der Kranke: Doppelt, doppelt ist jeder Mensch! Ich sehe den Feind wohl, der in mir hauset, einen schönen Anschein giebt er sich, aber er ist nicht mein Ich, und will sich doch für meine Seele ausgeben. Er behauptet, besser zu seyn, als ich selbst; und doch kann meine Natur den verachten, der offenbar höher steht, als ich. Sein Ich ist in mir, und doch fühle ich es außer mir; er erfüllt mein Inneres und dennoch ist es leer. Mein Schauen ist oft nur ein Schauen seines Schauens, aber es strömt, es spiegelt nicht in mein wahres Ich zurück, in der höchsten Aufregung der Aktivität fühle ich doch nur meine Passivität, und das Gefühl dieser Passivität ist dann einzig und allein die Aktivität meines Ich.

Himmel! rief die Baronesse, wie schrecklich der Arme faselt.

Deliciös! deliciös! sagte herumhüpfend der Arzt. O das ist von der schönsten Sorte! Nicht wahr, Sie fassen den Tiefsinn wohl kaum?

Kaum? sagte der Baron, es ist ja gar kein Menschenverstand in dem Gerede.

Es ist ächt! antwortete Pankraz: so was ist freilich mehr für unser einen, dem es nicht neu ist, in der tiefsten Tiefe des Abgrundes doch nur wieder die triviale Oberfläche eines neuen Abgrundes zu erschauen. Und haben wir auch diesen durchbrochen und dringen ein, daß wir jenseit sind, so stehn wir doch nur wieder als gleichsamige Antipoden auf dem Rande einer Oberfläche, und unsere allererste 322 Oberfläche, die wir forschend verließen, wird uns nun wieder Tiefe und Mysterium, welches zu ergründen wir mit allen Kräften streben. Nicht wahr, das ist doch verständlich genug?

Ja, das ist klar, sagte der Baron: wenn Sie aber alle Verrücktheiten der Menschen so schön ausdeuten können, so sind Sie ein höchst beglückter Weiser.

Dessen rühme ich mich, sagte der Arzt. Haben Sie schon beobachtet, wie eine kleine gläserne Stange, die spiralförmig ist, wenn man sie dreht und dreht, immerdar in die Hand hinein zu gehen scheint? Es ist aber natürlich gar nichts dahinter, nur Schein vom Schein; und doch schwört der Unkundige, die Spitze müsse jetzt, und wieder jetzt aus der Hand unten hervor kommen.

Ich habe wohl als ein Kind mit dem Dinge gespielt, sagte der Baron.

Fi! Du loses Vieh, was sie Philosophie nennen, schrie der Kranke.

Sehen Sie, sagte Pankraz, nun kommt er in die Wortspiele, ein sehr gutes Zeichen, daß es immer schlimmer mit ihm werden wird.

Also ein Geist bist Du, fuhr der Phantasirende fort, und ich selbst nur Kapsel, Hülle, Futteral? Nein, Lügenprophet! Ich bin mehr als Du! Der Kern ist nicht das beste der Kirsche oder des Apfels, wenn er auch im Innern steckt; hier ist die Kapsel die Hauptsache.

Er hat doch schöne Natur-Ansichten, sagte der Doktor.

Und so, Geist, bist Du vielmehr meine Made, schrie Ledebrinna: Du ziehst Deine Kraft aus meinem Dich umkapselnden Wesen; ohne mich bist Du ein Schafskopf!

Er spricht mit Verachtung von seiner eigenen unsterblichen Seele, sagte die Baronesse.

Es ist vielmehr, erwiederte Pankraz, ein humoristisches 323 Zweigespräch, ein Zank der Zärtlichkeit zweier Verliebten, oder eine häusliche Ehestands-Scene.

Nichts dummeres, rief Ledebrinna, als wenn sich das Unsterbliche mit dem Sterblichen verbinden will! Sterblich! Unsterblich! beides gleich lächerlich.

Er lachte laut auf. Mein armer Sohn, mein geliebter Eduard! klagte der Baron; jetzt zweifelt er sogar an der Unsterblichkeit seiner Seele.

Hat nichts zu sagen, sprach Pankraz, wir wollen sie ihm schon wieder unsterblich machen.

Hinaus muß mein Geist aus meinem Innern, schrie Eduard, wenn ich gesund werden, wenn ich leben soll. Mir genügt an der Sternenkraft und dem Geist der Elemente, ja die elendeste Sternschnuppe, ein Irrlicht ist mir lieber als dieser mein dummer, kindischer Geist.

Himmel, wie bescheiden ist der große Mann, sagte die Baronesse.

Sein Stolz wird sich auch wieder finden, antwortete Pankraz: Bescheidenheit bei solchen Charakteren ist immer nur ein Krankheits-Symptom: Unverschämtheit ist das Element der großen Männer dieses Charakters. Doch lassen wir ihn heut in Ruh, er wird hoffentlich morgen eine Krise erleben und in ein neues Stadium übergehn.

Der Ruf von der sonderbaren Krankheit des ehemaligen Ledebrinna, welcher jetzt Eduard Milzwurm hieß, verbreitete sich schnell in der Stadt. Ich sehe jetzt, wie sehr ich mich geirrt habe, bemerkte Ambrosius, ein Nervenfieber könnte er nicht bekommen, wahnsinnig könnte er nicht werden, wenn er der wäre, für den ich ihn gehalten habe. Der Mann geht durch harte Proben. Der Apotheker meinte, die Krankheit habe ihn aus übermäßiger Liebe zu seiner Tochter ergriffen. Heinzemann ging am folgenden Tage in Begleitung von 324 Ophelia und seines Alfieri in das Haus des Barons, um den seltsamen Kranken zu beobachten, auch der scharfsinnige Peterling ging mit ihnen. Eduard schien zu schlafen, doch hob sich seine Brust ungestüm und sein Athem röchelte. Alle setzten sich in der Nähe des Kranken nieder. Alfieri stand hinter seinem Gebieter. Jetzt trat der Arzt herein und alle begrüßten ihn mit Ehrfurcht, er wendete sich an die Besitzer des Hauses und sagte: Mir zu Gefallen läßt es sich mein durchlauchtigster Prinz gefallen, noch einige Tage in diesen Mauern zu verweilen, denn ich kann den Kranken unmöglich verlassen, bis ich ihn durch meine geheime Kunst völlig hergestellt habe. Da er aber gar kein Amüsement, auch kein Theater oder eine Kunst-Ausstellung hier findet, so bittet er um die Erlaubniß, ein Zeuge von der Entwickelung dieser merkwürdigen Krankheit seyn zu dürfen.

O wir sind höchst beglückt! rief die Baronesse, ich hoffe, unser Sohn wird Ihrer Durchlaucht einige Unterhaltung gewähren, und unser geringes Haus fühlt sich sehr geehrt, bei dieser Gelegenheit einen so hohen Gast aufnehmen zu können.

Der Prinz trat mit seinem Kammerherrn Hollabrunn herein und sagte: Thut mir sehr leid, gnädige Frau, Herr Baron, durch eine so betrübende Veranlassung Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Geht's besser mit dem Legationsrath?

Er schläft noch etwas, Durchlaucht, antwortete die Baronesse; hätte er gewußt, daß Durchlaucht ihm eine so große Ehre zudächten, so würde er gewiß nicht so unhöflich seyn. Er wird aber gewiß gleich aufwachen und sich Mühe geben, den gnädigen Herrn zu unterhalten.

Jetzt schlug Eduard seine schwarzen Augen auf. Er blickte wild umher und rief dann: Nein, es ist kein Geist, der in mir wohnt, ein wahrer, reeller Teufel hat Besitz von 325 mir genommen! Der satanische Hund beengt und regiert mit seiner höllischen, verdammten Macht alle meine Kräfte.

Verzeihen Euer Durchlaucht, sagte die geschminkte Dame, er muß nicht wissen, daß Sie zugegen sind, denn er redet so grob und unhöflich. Gestern sprach er recht nachdenkliche Sachen, die auch der Herr Leibarzt sehr lobenswürdig fand.

Habe ich es nicht gesagt, daß es so kommen würde? rief Pankraz: wenn er wirklich besessen wäre, so müßte eine förmliche Beschwörung mit ihm vorgenommen werden. – Er legte ihm die Hand auf die Herzgrube, strich dann vom Haupte und den Schultern niederwärts und der Kranke wurde ruhiger. Er machte die Augen größer, richtete sich dann im Bette auf, seufzte und machte eine schmerzliche Miene. Er faßte mit der Hand nach seinem Halse, als wenn er dort etwas nieder drücken wollte, und plötzlich rief er mit einer ganz feinen Stimme: Kuckuk! Kuckuk!

Ach! ach! wer spricht denn da? schrie Alfieri, sich selber vergessend, und sprang nach dem Bette des Kranken. Pankraz drehte sich um und sah den Pagen scharf von der Seite mit seinen schielenden Augen an, indem er sagte: Hier kriegen wir wohl noch einen neuen Kranken zu behandeln.

Die übrigen bemerkten erst jetzt die Schönheit des Knaben, welchen Alle vorher übersehen hatten, und der Prinz meinte, er möchte sich gern einen solchen Jockei anschaffen, als der Kranke noch lauter, indem er schreckhaft die Augen verdrehte, ausrief: Kuckuk! liebster Kuckuk! bist Du denn endlich da?

Der Page, ohne auf die übrigen zu achten, warf sich auf den Kranken, umarmte diesen heftig und weinte und klagte laut: Ach! mein Heimchen, mein geliebtes Heimchen! so habe ich Dich denn endlich doch, und zwar so unvermuthet wieder gefunden! O komm heraus, folge mir nach. Sie erwarten uns gewiß schon alle, und Dir wird Deine Flucht verziehen werden.

326 Nun raset der hübsche Jockei auch, sagte der Prinz. Ich bin es nicht, der nach Kuckuk ruft! schrie der Kranke in einem tiefen Ton, das ist ein sehr fatales Bier, welches in Wittenberg gebraut wird und mir immer zu stark war. Ich will keinen Kuckuk.

Ich bin Kuckuk, rief Alfieri wieder und rang mit dem Leibarzt, der ihn mit Gewalt vom Kranken wegziehn wollte, auf dessen Brust sich der Knabe gelegt hatte. Nein, rief der Page, davon verstehn Sie nichts, Herr Doktor mit der langen Nase, Herr Unwissend: nun begreife ich es erst, was Rohrdommel neulich mit seinen räthselhaften Worten meinte. Ja, ich bin schon seit lange ein Mensch, mein Heimchen, gefangen und in Dienstbarkeit gerathen, und Du bist nun gar in solch' Wesen hinein verzaubert worden.

Endlich war es Pankraz gelungen, den Knaben empor zu reißen. Ein Wort! rief er mit einer drohenden, fast furchtbaren Geberde, und Alfieri schrak zusammen. Der Doktor führte den Zitternden abseits in ein Fenster und redete ihm sehr ernsthaft zu; was er ihm sagte, konnte man nicht hören, bloß den Ausdruck: dummer Junge! vernahmen die Uebrigen. Hierauf umarmte der Page den häßlichen Doktor wie in der höchsten Freude zu verschiedenen Malen, dann küßte er ihm weinend die Hände, sprang noch einigemal wie unsinnig umher und entfernte sich dann, indem er sich mit einigen höflichen und sehr anständigen Verbeugungen von der Gesellschaft beurlaubte. Draußen hörte man ihn noch einigemal laut lachen und dann schnell die Treppen hinunter springen.

Was war das, Doktor? fragte der Prinz.

Ein schneller Anfall von Raserei, gnädiger Herr, antwortete der Arzt, der eben so schnell vorübergegangen ist. Das Kind ist in einer schönen Periode, in welcher sich die 327 Jugend entwickelt: wir sind dann überaus reizbar, und weinen bei Mondschein und Musik; aber in dieser schönen Reizbarkeit sind wir auch den Eindrücken zu sehr bloß gestellt, die unser Selbst zerstören können. Der Anblick dieses Kranken hatte das Kind so erschüttert, daß der Knabe mit der größten Hastigkeit überschnappte und im Begriff stand, in eine vielleicht unheilbare Raserei zu verfallen. Denn in uns allen schläft das Gelüst, ein gewisser mimischer Trieb, alles nachznahmen, was wir vor uns sehn und uns affizirt. Darum stellen sich die Dummen in Gegenwart der Verständigen oft so klug an: und ist man nicht in so gesetztem Alter, wie wir alle hier, und mit dauerhaftem Verstande begabt, so machen wir erst, wie aus Spaß, dem Unsinnigen seine Streiche nach, bis es dann unvermerkt Ernst wird. Darum habe ich das Kind entfernt, weil es nicht standhaft genug war. – Man erlaube mir aber, das ferne Fenster dort zu öffnen, die Luft ist schwül hierinnen.

Heinzemann, der sich schon um seinen Alfieri geängstigt hatte, wurde durch diese Rede wieder beruhigt; er sah jetzt ein, daß das Geheimniß der Feenwelt, von welchem der Doktor nichts zu wissen schien, nicht an den Tag kommen würde. Er merkte nun wohl, daß durch ein seltsames Ereigniß Heimchen in den Legationsrath hineingezaubert sei, doch hielt er sich ganz still und gab nur um so mehr auf den Doktor und dessen Heilmethode Acht.

Jetzt weinte der Kranke und sagte schluchzend: Entflohn ist er mir jetzt, entflohn! Ach! mein Kuckuk! Wie lange soll mein Elend noch dauern!

Der Schwerenöther, schrie Eduard jetzt in einem andern Ton, ist doch ganz des Teufels! Was hat er denn in meinem Leibe zu suchen? Habe ich ihn denn etwa herein invitirt? Er fiel ja wie eine Bombe in mein unschuldiges Innres, der Halunke.

328 Entschuldigen, Durchlaucht, sagte die geschminkte Dame, seine Raserei ist heut eine unanständige, er gebraucht lauter Worte, die man in der vornehmen Gesellschaft nicht zu vernehmen giebt.

Der Prinz sagte: Ich muß nur bitten, daß er sich meinetwegen nicht genirt, es könnte dem Legationsrath schaden, ein Kranker kann nicht Etikette so beobachten, wie ein Gesunder, besonders wenn er sich der Raserei hingiebt.

Sehr fein bemerkt, erwiederte der Arzt: man möchte überhaupt vielleicht vermuthen dürfen, daß alle Etikette als eine Art Nothstall erfunden sei, um die Leute vom Rasen abzuhalten, damit sie sich in einer anständigen Genirtheit bewegen, daß aber, wer einmal schon über die Stränge geschlagen, nicht mehr so wie die Verständigen zu behandeln sei. Der Rasende aber ist ein erklärter Feind aller Etikette. – Er wandte sich wieder zum Kranken, der jetzt zur Abwechslung etwas mit den Zähnen knirschte. Er strich ihn mit den Händen, er suchte das Auge des Leidenden durch seinen Blick zu fixiren, und plötzlich rief Eduard: Jetzt seh' ich, rückwärts schauend, den Teufel, der in mir tobt, mit meinen leiblichen Augen. Er sieht schmuck genug aus, und könnte einen, der jünger wäre, als ich, leicht verführen. Aber basta! denn darin werde ich Zeitlebens meinen Ruhm setzen, daß mich die eigentliche Schönheit nicht im allermindesten interessirt. Hat der Mensch sich einmal diesem unglücklichen Hange hingegeben, so ist er eigentlich schon verloren. Das erfahren wir durch die Geschichte von Perikles, das lernen wir von einigen der besten Medicäer. Das Schöne war von je an der Vorwand, um sich dem Häßlichen zu eigen zu geben. So schaut die Sirene, der kleine glutäugige Teufel aus meinem Innern mich an, und möchte mich verführen, aber – wie gesagt – wäre dieser Teufel garstig, so könnte 329 es ihm mit einem aufgeklärten Manne, wie ich einer bin, vielleicht eher gelingen. O sehr, sehr bin ich für das Häßliche eingenommen. Das Häßliche ist, wenn man es im Grunde des Tiefsinns betrachtet, eigentlich das Schöne. Denn das Schöne entsteht nur, wenn alles das von der Figur weggenommen wird, was das Häßliche ausmacht, so ist denn die wahre Schönheit weit mehr ein Negatives als ein Positives.

Hübsch! sagte die Baronesse, nun spricht unser Eduard doch wieder einmal reine Aesthetik.

Jetzt wendete sich der Doktor wieder zu dem Kranken. Er bestrich ihn auf seine Weise, er faßte dessen Puls, er legte ihm die Hand auf die Herzgrube und fragte dann: Wie ist Ihnen jetzt?

Jetzt? erwiederte der Kranke: in diesem Augenblick? oder meinen Sie überhaupt die Zeit, das Jahrhundert, in welchem ich lebe? Denn jetzt ist eigentlich wohl nur eine unbillige und ganz moderne Abkürzung von jetzund, jetzund war vormals wieder eine Abkürzung von jetzo zur Stund, und da ständen wir denn wieder an dem verdächtigen jetzt, jetzo, oder gar itzt, wie manche Spitzsprechende zu meinem unsäglichen Verdrusse statt anjetzt, oder anjetzo sagen wollen: an vorgesetzt, also anjetzt, etwas unverständlich, aber im Grunde nicht übel, an der Zeit von jetzt. Denn im Jetzt, jetzo, jetzund und itzt, steckt doch wohl immer noch das Wort Zeit: wie au jour d'hui: am Tage von hui, von heut.

O weh! o weh! sagte der Leibmedikus, dieses Denken ist gefährlich, der Grammatikus ist gewiß am allerweitesten vom Rasenden entfernt. Dem müssen wir vorbeugen.

Er strich ihn von neuem, und der Blick des Kranken nahm auch alsbald einen andern Charakter an. Er knirschte wieder mit den Zähnen und wand und krümmte sich, und man sah, daß er große Schmerzen erduldete. Husch! husch! 330 schrie er dann. – Ja, ja, – jetzt, – sagte eine andre Stimme. – Mein Gangliensystem, fuhr er fort, ist jetzt stärker, als mein Nervensystem, mein Wille liegt ganz gelähmt, aber ein gewisser Furor macht sich keck heraus und auf die Beine, und, wenn ich nicht irre, wird das der rechte Moment seyn, den ungebetenen Gast auf immer zu verjagen. Husch! husch!

Der Magnetiseur half nach, und nach einigen Windungen des Kranken, indem er ganz blaß geworden war, stieß er ein fürchterliches Geschrei aus, das man wohl ein Brüllen nennen konnte. Alle waren erschrocken. Da glaubten sie zu bemerken, daß ein Ding, wie ein kleiner Vogel, aus dem Munde des Besessenen fuhr, einige nannten es einen Sperling, andre eine Nachtigall. Das Wesen flatterte nur einen Augenblick umher, und dann zum Fenster hinaus, welches unglücklicherweise noch offen stand. Heinzemann rannte nach, die andern waren vor Erstaunen auf ihren Sitzen fest gebannt. Heinzemann bildete sich ein, draußen im Garten zwei Gestalten wandeln zu sehn.

Jetzt legte sich der Kranke zurück und sagte: Nun bin ich doch wenigstens von diesem Kobold erlöset. Er fiel sogleich in einen tiefen Schlaf und schnarchte so laut und unanständig, daß alle einsahen, heute würde sich aus seiner Kur nichts Lehrreiches mehr ergeben. Der Doktor gab also das Zeichen zum Aufbruch.

Als Heinzemann sich um Mitternacht in sein Bett legen wollte, nachdem er vergeblich vorher seinem Pagen nachgefragt hatte, hörte er plötzlich in der Stille der Nacht ein Tänzeln feiner Füße vor seiner Thür, und Alfieri sprang, vor Freude glänzend, in das Zimmer und in seine Arme. Meister! Herr! Gebieter! rief der Kleine, ach! was bin ich so unaussprechlich glücklich! Heimchen ist, da ihre Zeit um ist, von ihrer Verbannung erlöst, ihr und ihren Eltern ist 331 vergeben, die Eltern sind glücklich und ausgesöhnt; der zu verständige Domgall hat sich auch zum Ziele gelegt, sie darf zurück kommen, und der eigensinnige Endymion giebt seine Einwilligung zu meiner Verheirathung mit Heimchen.

Ich gratulire, sagte Heinzemann mit schmerzlichem Ton, so werde ich Dich aber verlieren.

Nicht ganz, sagte Alfieri, denn ich werde Dich manchmal besuchen, sterblicher Freund, wenn es Dir Freude macht.

Wie hast Du aber alles dies erfahren? fragte Heinzemann.

Alfieri tanzte wieder wie unsinnig in dem kleinen Zimmer herum, und als er fast außer Athem war, fing er wieder an: Ei, Du lieber Mann! hast Du es denn nicht gesehn und gemerkt, wie ich heut bei der kranken ledernen Kapsel ganz wie außer mir gerieth? Ich merkte nehmlich mein Heimchen in dem dürren Kerl: sie hatte mich erkannt, und rief mich. Es war ein sonderbares Wiedersehn und eine schnurrige Erkennungsscene. Nun wurde mir der Doktor recht böse, er zerrte mich bei den Haaren, er schleppte mich bei Seit und gab sich mir zu erkennen. Und, Herr, der vertrackte Doktor ist eben niemand anders, als unser toller Puck, auf den wir so lange gehofft und geharrt haben. Er brachte mir eben alle die Nachrichten, von der allgemeinen Aussöhnung, der Freude von Allen, daß Domgall meinem Heimchen verziehen habe, in Erwägung, daß es ein junges einfältiges Ding sei, und daß die Sterblichen sie verdorben hätten. Nun flog sie als graue Nachtigall aus dem Saale heraus, und ich fing sie unten gleich in meinen Armen auf. Als sie mich küßte und tief aufathmete, sagte sie: Nach langer Zeit also Kuß, Lust, Himmelsluft statt Leder: o Kuckuk, das ist eine Wonne, die Du nicht fassen kannst. – Nun thut es mir nur leid, daß ich Dich, meinen so gütigen Gebieter, verlassen muß.

332 Und wie schmerzlich muß es mir erst seyn? antwortete Heinzemann.

Sieh, sagte der Kleine, ich besuche Dich noch manchmal, Sonnabends, wenn wir in Europa sind. Und meine Hochzeit will ich mit Dir, in Deiner Gesellschaft feiern, weil Du so gar ein lieber Herr und Gebieter gegen mich gewesen bist. Da hast Du meine Hand darauf, aber diesmal lasse ich sie Dir nicht, weil ich mein Heimchen karessiren muß. – Mit den letzten Worten war er schon verschwunden.

Ubique hatte seinen kranken Freund nicht besuchen können, weil er jetzt allein die Herausgabe des vortrefflichen Tageblattes besorgen mußte. Da er aber von den Seltsamkeiten hörte, die sich bei dieser Krankheit ereigneten, so wollte er es nicht aufschieben, ein Zeuge derselben zu seyn. Der Prinz interessirte sich ebenfalls für die Genesung seines Schützlings. Heinzemann und Peterling hatten jetzt das Interesse an dem Kranken verloren, seit Heimchen befreit war, und Kuckuk oder Alfieri sich entfernt hatte. Peterling hatte den Apotheker versöhnt und reisete seinem Neffen Linden und Elisa entgegen, die sich in Orla schon mit einander hatten trauen lassen. Ambrosius aber war sehr neugierig darauf, wie sich diese Krankheit entwickeln würde, und seine Tochter Ophelia war so gespannt auf die Erscheinungen, daß sie, so reizbar wie sie war, die Stunde kaum erwarten konnte, in welcher man mit Schicklichkeit den Kranken wieder besuchen durfte.

Als der Prinz mit seinem Leibarzt das Krankenhaus betraten, redete sie der sehr betrübte Vater an, und die weinende Mutter erzählte umständlich, wie der Leidende eigentlich mit jedem Tage schlimmer würde. Als Sie sich gestern, Herr Doktor, entfernt hatten, war der Arme recht vergnügt und ruhig, er war auch ganz vernünftig und sprach 333 wie ein Mensch, welcher vollkommen bei sich ist. Er setzte uns auseinander, wie erlöst er sich nun fühle, seit ein ihm feindliches Wesen sein Innres verlassen, das immer seiner Vernunft und seinen besseren Kräften entgegen gestrebt habe. Er sei nun erst ganz der Mann geworden, zu welchem die Natur ihn bestimmt habe. Bis dahin sei ihm vorgekommen, als werde er zu Zeiten gehemmt durch eine Natur, die etwas anderes wolle, die ihm vorlüge, dies sei das Bessere und Höhere: nun aber beherrsche ihn nur ein und derselbe Wille, der nur auf das durchaus Reelle hinausgehe. Als er aber so einschlief und eine Weile geschlafen hatte, so erwachte er wieder tobend und war schlimmer als je.

Wie so? fragte Pankraz; ist vielleicht schon die Metall-Scheu bei ihm eingetreten? Bekommt er Krämpfe, wenn er etwas Glänzendes sieht? Muß man alles Eisen, Kupfer, Silber, kurz Metall, vor ihm verbergen?

Eher umgekehrt, sagte der Baron, er will Alles an sich reißen, was nur irgend glänzt, oder was gar so wie Geld aussieht.

Das ist ein gutes Symptom, sagte der Doktor: er will besitzen, sich arrondiren, der sicherste Beweis, daß ihn der Teufel der Phantasierei verlassen hat. Denn das Kapitel von der Besessenheit wird in unsrer heutigen Psychologie ganz falsch interpretirt oder völlig mißverstanden.

Wie so? sagte der Prinz, Ihr glaubt also diese Teufel?

Durchlaucht, erwiederte Pankraz, ich muß wohl, wenn mich Sinn, Ueberzeugung, Religion und Philosophie dazu zwingen. Haben wir denn nicht Alle aus ihm heraus etwas sprechen, mit ihm selber zanken hören? Haben wir nicht gesehn, wie etwas, das einem Vogel glich, ihm aus dem Munde fuhr? War er nicht nachher beruhigt? Der Mensch denkt sich jeden Teufel als ruchlos, schwarz, ungeheuer, voll 334 Verbrechen und Laster, nur höllische Flammen athmend. Nichts macht es den Satans und Satanisken so leicht, in die armen Menschen überzugehn, als daß sie diese ganz falsche Vorstellung haben. Denn jeder von ihnen würde sich wohl in Acht nehmen, wenn ein solches schwarzes Ungeheuer vor ihn träte. Derjenige müßte doch wirklich in einer sonderbaren Stimmung seyn, der sogleich mit solchem ausgemachten Vieh genaue Bekanntschaft stiften und ihm die rußigen Fäuste schütteln und drücken möchte. Wenn so ein Schornsteinfeger also sagte: Ist hier kein Absteigequartier in Ihrem Innern zu vermiethen? so müßte derjenige schon vorher vom Teufel besessen seyn, der auf solche Anfrage die ruchlose Bestie in sich hinein ließe. O nein, meine Verehrten, weder sehn alle Teufel so aus, noch fangen sie es so dumm an. Wollen sie einen geizig machen, so kommt ein bescheidner Mann, mit edlem Blick und ehrbarer Geberde, der sagt etwa: Recht so, mein Biedrer, Du sparst für Dich und die Deinigen, Du bist auf die wahre Art großmüthig: wie verächtlich ist jener leichtsinnige Verschwender! Wir sympathisiren, ruft der werdende Geizhals, steigen Sie doch zu mir herein, daß wir uns näher kennen lernen. Die schlimmsten Satanchen sind aber jene herumvagirenden Taugenichtse, die die Nichtigkeit, Albernheit, das Abgeschmackte und alle jene Thorheiten repräsentiren, die den armen Menschen nur zu oft verführen. So lebt hier ein junger Mann in der Stadt, Ulf, Ihr Freund, Herr Magister Ubique. Dieser Mann hatte einen unbescholtenen Ruf, er war fleißig, schrieb eine gute Hand, hatte ein mittelmäßiges Einsehn in seinen Beruf und wäre ein verständiger Hausvater in Zukunft geworden. So betrachtete er auch selbst sein Leben. Da giebt es aber in der kleinsten Teufelsrace ein recht nichtsnutziges Subjekt, einen lustigen Patron, mit rosenrothem Gesichtchen und heitern Augen; der 335 Taugenichts sprang und hänselte immer um den guten rechtschaffenen Ulf: O, wie schön bist Du! flüsterte er ihm zu; nun sitzt das Männchen wieder da und studirt, und rechnet Zahlen zusammen: ei! und hat so viel Phantasie, Witz, Menschenkenntniß, Suada, welch' ein großer Mann könnte mein kleines Ulfchen werden, wenn er nur wollte! Herr Ulf sieht sich um: Wer da? Ich bin Deine Phantasie, flüstert ihm der Kleine zu, Dein Genius, Dein Schutzgeist; ich weiß, was Du werth bist, Du selbst lebst in einer unschuldigen, edel kindlichen Unwissenheit so hin; Du darfst aber nur die Fingerchen ausstrecken, sie ein bischen in Bewegung setzen, so entquellen ihnen Hippokrenen, denn alle Musen warten nur darauf, um Dir dienstbar entgegen zu treten. – O steigen Sie, werther glänzender Genius, in mich hinein, ruft Herr Ulf. – Der Kleine läßt sich das nicht zweimal sagen, und nun hat der Arme einen recht dummen Teufel in seinem Leibe, eine ganz nüchterne Einbildung, er wähnt ein Poet zu seyn und schreibt Albernheiten und armseliges Wesen. Der Sataniske läßt ihm nun keine Ruh, er dichtet und dichtet, hält sich für einen Liebling der Musen und ist ein Verdünner statt Dichter geworden. Nicht wahr, Herr Ubique?

Ubique war zwar etwas verlegen, antwortete aber doch nach einer kleinen Pause mit ziemlicher Sicherheit: Es ist nicht ohne, daß unser Freund sich etwas zu viel zutraut: aber doch kann ich nicht so ganz unbedingt der Meinung des gelehrten Herrn Doktors seyn. Was nun Ihre Theorie in Ansehung der Teufel und Satans betrifft, so ist sie doch auch wohl noch mehr Hypothese, als eine auf unumstößliche Wahrheit begründete Wissenschaft.

Pankraz warf auffallend die Schneide der langen Nase nebst dem kleinen Kopf in die Höhe und sagte: Sie beleidigen mich, Herr Magister. Könnte ich Ihnen den 336 chamäleonischen, in allen möglichen Farben schillernden, nach allen Winden sich drehenden Wetterhahn von Sataniskus zeigen, der in Ihnen wohnt, so würden Sie selber sich über die Vielseitigkeit des Kerlchens verwundern. – Doch, wir wollen das gut seyn lassen, weil es uns zu weit von unserm Thema abführt, den armen Teufel von Ledebrinna nehmlich zu kuriren. – Was haben Sie an ihm bemerkt, Dame meines Herzens?

Sie sind sehr gütig, sagte die Baronesse: so wie er alles Glänzende, Geld und Geldeswerth an sich reißen wollte, so war er fast noch wüthiger auf alles bedruckte Papier. Das sind französische Sachen, schrie er, die muß ich übersetzen! her damit! das sind die göttlichen Melodramen, die Mörderstücke, die zarten Blüthen von Raub und Brand! Ich muß wirken! Ich muß die Welt unterhalten und aufklären.

Gut! rief der Leibarzt, sehr gute Symptome! Nun kommt es bald zum völligen Durchbruch. Er berührte den Kranken, der sogleich wach wurde, um nach wenigen unbedeutenden Worten, welche er sprach, in einen noch tiefern Schlaf zu fallen. Pankraz bearbeitete den Schlafenden, bis dieser rief: Arbeit her! Jetzt ist es an der Zeit! – Geben Sie wohl Acht allerseits, sprach der Doktor, wie gewaltig der Geist in ihm wirken wird, jetzt ist er im dritten Grade des Hellsehens.

Er ließ ein Brett auf das Bett und auf dieses Feder, Dinte und Papier legen. Jetzt, sprach Pankraz, schiebe ich ihm dieses neue französische Drama unter die Bettdecke, drücke es ihm auf die Herzgrube, er hat die Augen dicht verschlossen, aber er wird sich, ohne die Blätter anzusehn, schon gut genug aus der Sache ziehen.

Kaum war das Buch dem Patienten auf die Herzgrube gelegt, als er, ohne die Augen zu öffnen, mit unglaublicher 337 Schnelligkeit die Feder ergriff, sie in die Dinte tauchte und nun in fliegender Eil die Blätter, die der Doktor ihm immer hastig hinlegte, ohne anzuhalten, voll schrieb. In weniger als einer Viertelstunde war das ganze Stück übersetzt. Alle erstaunten über das Wunder. Es ist noch seltsamer, sagte Pankraz, daß, wenn er nun wieder erwacht, er vom Stücke selbst und dessen Inhalt gar nichts weiß, er muß es dann erst von Neuem kennen lernen. Hier habe ich noch einen andern Wisch, so von dem französischen Zeuge, da er einmal im Zuge ist, soll er den auch noch übersetzen. Es war in noch kürzerer Zeit vollendet.

Höchst merkwürdig! sagte der Prinz. Wir sind zu Hause oft um Gesetze verlegen, da kommt nichts zu Stande, man spricht hin und her, und nach sechs, acht Wochen stehn wir auf dem alten Fleck. Doktor, könnte er uns Gesetze wohl eben so schnell liefern? Das heißt gute und heilsame.

Durchlaucht, erwiederte Pankraz, in dem Zustande, in welchem er sich jetzt befindet, kann er alles. Geruhen Sie diese Uebersetzungen, die er, ohne das Original anzusehn, vor unsern Augen gemacht hat, zu durchblättern; es ist wahr, sie sind voll von Schnitzern und Sprachfehlern, das Deutsch ist schlecht und der Dialog ganz ungelenk, manche Stelle hat er wohl gar nicht, oder falsch verstanden, – indessen, wenn man die Schnelligkeit bedenkt, so bleibt das Wunder doch immer dasselbe. Alles, was der Sterbliche schafft, hat seine Fehler, und so würden denn auch die Gesetze, die er Ihnen fabriciren könnte, vielleicht und sogar wahrscheinlich einigen Tadel zulassen.

Ich werde doch mit meinem Papa darüber sprechen, sagte der Prinz, wenn er nur was davon versteht.

Durchlaucht, erwiederte Pankraz, haben ihn schon zu Dero Legationsrath gemacht, und so gestempelt wird er im 338 hellsehenden Zustande gewiß die richtigen Wege finden. Glauben Sie mir, er kann Ihnen, so, wie er da liegt, in einem Umsehn, Constitutionen aller Art, und für alle Provinzen und Reiche und Umstände machen. Mit einer Kammer, oder mit zweien, populäre, demokratische, monarchische oder oligarchische, im aristokratischen Sinn oder im liberalen, mit Repräsentanten nach Geldeswerth oder Korporationen, hierarchisch und völlig antimonarchisch, mit und ohne Sektionen, mit Juden, mit und ohne Pairs. Sektionen, Assisen, Wahlbezirke, öffentliche Ankläger, Jury, nebst Cultur und Agricultur, Cultus und Menschenmenge, Dreifelder-Wirthschaft und Brache, alles, alles liegt wie Würfel und durcheinander geschüttete Worte vor den Augen seines Geistes, er darf nur wie zufällig hinein greifen, und er wird immer das Richtige erwischen.

Es ist zum Erstaunen! sagte der Prinz. – Ja wohl, fügte die Baronesse bekräftigend hinzu.

Ophelia schien am allermeisten von Erstaunen und Bewunderung ergriffen, und zwar so sehr, daß ihr die Sprache versagte und daß sie für ihre Gefühle keine Worte finden konnte. Sie hatte sich dem Kranken genähert und beobachtete ihn mit scharfem und prüfendem Auge. Plötzlich sprang aus seiner stillen Ruhe der Hellsehende in die fürchterlichste Wuth über. Er warf sich herum, bäumte sich auf, schrie in der Raserei und entsetzte Alle so, daß sie scheu vom Bette zurück traten. Was ist vorgefallen? rief Pankraz, das ist gänzlich gegen meine Rechnung und Erwartung. Er strich, um ihn zu erwecken oder zu beruhigen, aber vergeblich, das Toben des Wahnsinnigen wurde immer furchtbarer. Pankraz staunte, sah nur stillschweigend seinen Kranken an und schien selbst nicht mehr zu wissen, welch ein Mittel hier anzuwenden seyn möchte. Endlich sagte er: Es muß irgend etwas in 339 die Nähe des Kranken gekommen seyn, ein mir Unbekanntes, welches diese ungeheure Aufregung hervor gebracht hat. Er sah nach allen Seiten um und entdeckte endlich unter dem Kopfkissen ein Buch, es war der Theil von Shakspeare, welcher Hamlet enthielt. Ja so! rief triumphirend Pankratius, nun erklärt sich das ganze Wunder.

Ach! das ist mein Buch! rief Ophelia, ich muß es vorher haben fallen lassen.

Sehn Sie, mein Prinz, und meine geehrten Zuhörer, docirte der Doktor, hier sehn wir nun wieder das Erscheinen einer rein geistigen Explosion. Der Kranke kann diesen Autor nicht leiden, und mit Recht, denn er hat von je an, seit er existirt, das schlimmste Unheil in der Welt hervor gebracht. Er ist der völlige Gegensatz zu dem, was unser verehrter Kranker liebt und was unser ganzes Zeitalter zu fordern scheint: er ist der wahre Feind und Antipode aller Melodramen und Pariser Stückchen, Scribe und Victor Hugo, und Dumas und dergleichen. Nun hat dieser Hamlet hier und einige andre unnütze beigebundene Sachen den Eduard aus dem Hellsehen, durch die zu starke Opposition, in eine völlig entgegengesetzte Wuth geworfen. Wir müssen ihn also auch mit Büchern und Zeitschriften, die seinem Gemüthe zusagen, kalmiren, denn das Streichen will hier nichts mehr helfen.

So geschah es, und viele neue Romane und Tagesblätter wurden auf den Rasenden gepackt, unter denen sich das Mitternachtblatt und die Abendzeitung als ganz vorzüglich beruhigend erwiesen. Als er wieder besänftigt war, stellte man noch manche interessante Proben mit dem Kranken an, der wieder in den hellsehenden Zustand verfallen war. Man hielt ihm das und jenes berühmte oder weniger bekannte Werk hin, und, wie man wohl Kräuter, Steine und dergleichen den Leidenden dieser Art in die Hände gegeben 340 hat, so versuchte man es hier mit Gedichten und Geisteswerken. Wenn es der Raum gestattete, wäre es für den psychischen Forscher, so wie für den Physiologen wie für den Kritiker vielleicht nicht ganz unwichtig, genau anzugeben, was sich bei jedem vorgehaltenen Werke für Wirkungen zeigten. Allein unsre Geschichtserzählung hat schon zu großen Raum eingenommen, und wir müssen dies, so wie einige merkwürdige Details einer spätern Ausgabe vorbehalten. Manzoni's promessi sposi führten fast den vorigen schrecklichen Zustand zurück, und van der Velde mußte wieder kalmiren: Graf Platens Gedichte und dessen Schauspiele besonders erregten starke gichtische Zuckungen, auch Immermanns Schriften verschlimmerten den Zustand des Kranken: dagegen waren die Romane von Clauren oder dessen Komödien von der wohlthätigsten Wirkung.

Am Abend sagte Ophelia zu ihrem Vater Ambrosius: dieser Eduard von Milzwurm könnte mich an meinem bisherigen Geschmack irre machen. Er wird auch meinem Ideal mit jeder Stunde ähnlicher; wie ich ihn kennen lernte, ja sogar bis zu dem Augenblick, als ihn jener Geist verließ, war etwas Rohes, Unheimliches in seinem Wesen. Ich habe nun auch heute von seiner wundersamen Stimmung, die man wirklich eine geheiligte nennen kann, gelernt, wie ich mit Unrecht und nur im Jugendwahn bis jetzt diesen Shakspeare geliebt habe. Ich werde mir diese Vorliebe abgewöhnen. Nur seine Art, wie er im Hellsehen kritisirte, war etwas wunderlich. Haben Sie sich nicht auch darüber gewundert, lieber Vater? Wenn er bei Berührung schlechter Schriftsteller schauderte, schalt, oder schimpfte, das war zu begreifen. Warum er aber, wenn ihm die Berührung wohlthätig war, mit jenem süßen Lächeln, das ihm so schön steht, sagte: Ach! ledern! süß ledern! und ein andermal noch inbrünstiger: 341 O durchwürzte, durchblümte und verklärte Lederthümlichkeit! das ist doch wenigstens sehr sonderbar.

Liebes Kind, sagte Ambrosius, ich habe seither so viel Seltsames an mir und Andern erlebt, daß ich einsehe und behaupte: man muß nicht zu sehr grübeln, sonst wird man am Ende an allen Dingen irre. Der Mann hat nun einmal eine Vorliebe für das Leder, die sich in allem seinen Treiben äußert. Nach dieser Vorliebe hat er seine gelehrte Gesellschaft und sich benannt, und er wollte schon, als er krank wurde, ein neues kritisches Blatt »die Gerberei« stiften. Ich, Ophelia, denke seit einiger Zeit über nichts mehr, so macht es auch mein Freund Heinzemann, und auch Peterling hat sich dazu entschlossen. –

Der Apotheker war mit seinem Eidam ziemlich zufrieden, er wollte, so wie sein Freund Spener, aus der gelehrten Gesellschaft wieder scheiden, um mit seiner Tochter und ihrem Gatten in Friede leben zu können. Sie schlossen sich dem Fräulein Weiler wieder an, die in wenigen Tagen mit ihrem Bräutigam Alexander vermählt werden sollte.

Heinzemann sah in der Nacht seinen kleinen Alfieri wieder. Dieser sagte zu ihm: Wenn Du es willst, freundlicher Mann, der Du eine Zeit lang mein Herr warst, so komme ich, da ich auch meine Hochzeit an dem Tage feiere, an welchem Alexander so beglückt wird, mit meinem Bräutchen zu Dir, auch meine Schwiegereltern werden kommen, Endymion und Rosenschmelz, so wie der würdige Priesterfürst Domgall mit einigen von seinen Superintendenten; auch einige neckische Elfen werden dabei seyn, die unsern Puck wieder abholen wollen. Wir haben dann Vollmond und Alexander wird im Gartensaal eine Tafel anrichten lassen. Sorge Du, daß ein kleiner Tisch draußen, unmittelbar vor der Thüre, gedeckt wird, für viele, dann kommen 342 wir und sind alle lustig. Aber vorher mußt Du aus diesem Fläschchen, das ich Dir hier gebe, jedem in sein Getränk einige Tropfen gießen, damit sie uns sehn und nachher auch Alles wieder vergessen und sich einbilden, Alles sei nur ein närrischer Traum gewesen.

Heinzemann versprach, Alles so einzurichten. Der Baron Milzwurm und seine Gattin schienen mit dem Erfolg der Krankheit, der Behandlung des Arztes, so wie den beobachtenden Besuchern nicht ganz zufrieden. Sie hätten es lieber gesehn, wenn sich der Prinz allein und ohne weitere Zeugen bei ihnen eingefunden hätte: und der Baron war vorzüglich verstimmt, denn er meinte, im Grunde sei es gottlos, einen Kranken in eine solche hellsehende Stimmung zu versetzen, in welcher er durch Wände schauen oder Geister erblicken, auch die Geheimnisse des Gemüthes anderer den Ungeweihten verrathen könne. Man hatte daher den Kranken, der ziemlich wohl war, in sein voriges Quartier geführt und war der Meinung, diese Veränderung würde die Besuchenden zurück halten. Obgleich aber das uralte Haus mit seinem großen Garten entfernter lag, so kam doch zur bestimmten Stunde nicht nur der Prinz mit seiner Begleitung, sondern auch Heinzemann und Peterling fanden sich ein, Ambrosius mit seiner Tochter, der Apotheker nebst Elisa und ihrem Lieutnant, der Syndikus Spener und der Senator Willig, so daß im Krankenzimmer mehr Zuschauer als jemals umher saßen. Nur Ubique war ausgeblieben, welcher fürchtete, wieder Sottisen vom groben Doktor hören zu müssen.

Dieser eröffnete die Sitzung, indem er sagte: Heute, neugierige, erbauliche und wahrheitforschende Zuschauer, Durchlaucht, Adel, Bürgerstand, heut wird der letzte Tag der Kur seyn und der Kranke ohne Zweifel genesen, wenn, wie ich hoffe, die Vision eintritt.

343 Der Kranke nickte ihm freundlich entgegen, der heut sich außer dem Bette befand und behaglich in einem gepolsterten Armstuhl saß. Der Doktor zog seine magischen Striche und der Kranke schlief nach kurzer Zeit ein. Bald verklärte sich sein Antlitz, er lachte, und da alles gespannt war und der Arzt mit Streichen fortfuhr, fang er plötzlich mit klarer Stimme:

In Leipzig war ein Mann,
In Leipzig war ein lederner Mann,
Hopsa lederner Mann,
In Leipzig war ein Mann.

Der streichende Finger des Doktors hielt inne, er sah mit großer Zufriedenheit umher und sagte: Habe ich es nicht gewußt? Nun singt unser lieber Patient jenen alten National-Hymnus, den jeder ächte Deutsche kennt, und auch wohl einmal, in der Jugend wenigstens, gesungen hat.

Sie kommen, sie kommen, die großen Heroen, sagte Ledebrinna. Seht ihr sie nicht? sie stehn an den Wänden umher. Kaum hatte Herrmann sein Deutschland vom Römerjoche befreit, so sorgten edle Patrioten dafür, daß der neue Aufschwung nicht zu weit gehn möchte. Rechtschaffen ward, des allgemeinen Besten wegen, dem guten Herrmann das Leben verbittert. Dadurch erhält sich deutsche Natur und Art und Weise. Das Mittelmäßige, Philisterhafte, das herrlich Lederne muß immer, immer wieder in seine Würde eingesetzt und vor Verfolgung und Verkennung gesichert werden. War es denn nach dem großen Befreiungskampfe gegen Napoleon anders? Damals schien alle gute und schöne Mittelmäßigkeit unterzugehn, und wie schnell hat sie sich mit dem seichten Geschwätz und allen Muhmen, Basen und Klatschschwestern wieder erhoben! So saß in allen Zeiten der nüchterne, vortreffliche, mäßig denkende, langweilig dichtende, müßig 344 schwatzende, mäßig klatschende große Lederne auf seinem ledernen Thron, und nicht in Leipzig allein, in allen deutschen Gauen regierte er und fand seine Verehrer. Aber warum nennt uns das verehrungswürdige Nationallied Leipzig vorzugsweise? Hier war schon längst durch die Universität, durch die Büchermesse viel, sehr viel geschehn, aber doch schwebte jener uralte National-Gesang noch gleichsam unbefiedert umher. Als nun aber endlich wirklich in Leipzig unser großer Gottsched regierte, da ging die Prophezeiung der alten Sangweise in Erfüllung. Da kommt er herein, unser Heros, unser Schutzpatron, unser Gottsched, der große Lederne. O könnte ich, Herrlicher, in deine geweihten Fußstapfen treten. Er nickt mir zu, und Puderstaub fliegt aus seiner mächtigen Perücke. Aber ich soll so viel lernen, als er, ich soll mich eben so bemühen, so viel Deutsch wissen, die alten Gesänge lesen und eigenhändig abschreiben: – nein, Großer, das kann ich nicht, das will ich nicht. Jedes Säkulum hat seine eigenthümliche Ledergröße. Und so das unsre. Du hast viel übersetzt, aber nicht so schnell als wir. Du warst, trotz deiner ungeheuren Mittelmäßigkeit, Pedant. Ja, Weiser, du wurdest auch mit Recht der lange deutsche Michel genannt, und ein anderes Volkslied hat wieder dich verewigt. – Eduard sang:

Gestern Abend war Vetter Michel da. u. s. w.

– Ja wohl wollen und müssen wir dafür sorgen, daß dieser Vetter Michel unter uns bleibe, denn er schützt und erhält unsern deutschen Charakter. –

Alle sahen sich um, sie nahmen aber nichts wahr, als die leeren Wände. Nur der Doktor behauptete, Alles zu sehn, und bat den Prinzen und Hollabrunn, die Füße etwas zurückzuziehen, damit der große, etwas ungeschlachte Gottsched ihnen nicht auf die Zehen treten möge.

345 Sollte jetzt nicht die gelegene Zeit seyn, fing der Doktor an, den Kranken nach der Muhme Brigitte und ihrem Testamente zu fragen, da Ihr seht, daß unser Freund Alles weiß.

Wozu ihn noch länger quälen? fragte der Baron. Der Arzt strich aber schon, ohne von diesem Einspruch irgend Notiz zu nehmen, legte die Hand auf die Herzgrube des Kranken und fragte: Ist der große Deutsche, der lederne lange Michel und Vetter Michel genannt, wieder fortgegangen?

Ja.

Wollen Sie sich bemühen, an eine gewisse alte Frau, Brigitte, zu denken, und diese in Ihre Imagination hervor zu rufen?

Herzlich gern.

Nun?

Sacht, ich seh schon wie in der Dämmerung und in Nebel ein solches altes Weibsen. Sie hat nur wenige graue Haare, die sie unter ihrem Kopftuch zurück gebunden trägt. Ihr Gesicht ist runzlicht. Sie winkt mir. Sie scheint zu fragen. Sie deutet mit dem Finger, daß sie die Frage, die ich im Innern thue, noch nicht ganz verstehe. O ho! sie lacht mich aus.

Frage, sagte Pankraz sehr feierlich, wo die Geldsummen sind, die ihr Testament nennt, und die kein Mensch gefunden hat.

Gleich! rief Eduard. – Sie will nicht bekennen, sie schüttelt mit dem Kopf.

Der Arzt strich noch eifriger. Der Kranke zuckte: Halt! rief er, jetzt sagt sie mir, daß eine Schrift von ihr unbeachtet und nicht gefunden in der Plunderkammer dieses Hauses liege.

Es giebt keine Plunderkammer hier, rief der Baron.

346 Doch! sagte der Kranke, halb erwacht: es ist ein großer wüster Saal, in dem alte Möbeln stehn und abgelegtes Hausgeräthe, wenn man hier über den Gang geht, ist es gleich das erste große Zimmer.

Und wo ist diese Anweisung, oder das letzte gültige Testament? fragte der Arzt.

Ein langes Stillschweigen. Der Geist ist eigensinnig, sagte Eduard, er will nicht gestehn und lacht wie schadenfroh und verfinstert sich in seinem Nebel. Jetzt schüttelt das Gespenst mit dem Kopf und verschwindet ganz.

Ho ho! rief der Doktor, das unglückselige Gespenst will uns gleichsam zum Besten haben, aber darin soll es sich irren. Folgen Sie mir alle, meine Herrschaften, zur sogenannten Pluder- oder Plunderkammer, und Sie werden sehn, wie ich auch den Eigensinn solcher kleinen Geister, solcher Frau Basen besiege.

Er ging voran und alle folgten ihm nach. Schon auf dem Gange machte er seine Vorbereitungen, und als man das alte, dumpfe, weite und trübe Zimmer aufgeschlossen hatte, sah er sich mit seinen kleinen Augen nach allen Seiten um, er hielt zwischen den Fingerspitzen einen feinen seidenen Faden, an welchem ein goldner Ring befestigt war. Merken Sie, Verehrteste, dieser feine Pendul wird mir Alles zeigen, was ich zu wünschen wisse und was das eigensinnige Gespenst, welches schon im Leben eine eigensinnige alte Frau gewesen seyn muß, uns verschweigen will.

Er ging behutsam und forschend voraus, indem der Pendul nach einer gewissen Richtung schwang, bald schneller, bald langsamer. So wie ich meinen Willen fixire, und recht stark meinen Willen will, sagte er, nehmlich das verloren gegangene Papier finden, welches der Drache, oder, ich bitte um Vergebung, die alte Muhme versteckt hat, so zeigt mir 347 der Ring an, wo es liegt, falls es in dieser alten Rumpelkammer ist. Er war bis an die hintere Wand gerathen, wo der wahrsagende Pendul plötzlich stille stand. Was ist das? rief er aus: der Faden zittert mir zwischen den Fingern, und zeigt doch nach keiner Weltgegend mehr. Aha! willst du hinauf? Sonderbar! hinauf! O eine Leiter, eine hohe Leiter, die hier bis zur Decke reicht.

Ein Diener wurde gerufen, welcher fortgeschickt wurde, und bald nachher eine große Gartenleiter mühsam durch die Thür herein schleppte. Man legte die hohe schwankende Leiter an, und der wunderthätige Doktor kletterte schnell und behende wie ein Kätzchen die knarrenden Sprossen hinauf. Als er ganz oben war, beugte er sich zurück, ließ seinen Pendul wieder schwingen und arbeiten, streckte dann die Hand aus, und zog ganz oben, von dem staubbedeckten Sims, der um die Decke herum lief, und in Gips geformt, wohl einen halben Schuh sich ausdehnte, eine versiegelte Lage von Blättern herab. Noch eiliger, als er hinauf gekommen war, kletterte er wieder zurück, und als er unten war, übergab er das Paket dem Lieutenant Linden, an welchen es gerichtet war. Es war ein neues, letztes Testament der Alten, in welchem sie dem Offizier, obgleich er ihr nur weitläuftig verwandt war, alle jene Kapitalien vermachte, nach welchen schon vor Jahren der Bürgermeister Heinzemann vergeblich geforscht hatte. Die Erblasserin fügte hinzu, daß Heinzemann, der nähere Vetter, schon reich genug sei, daß sie aber durch dieses Vermächtniß einen jungen Menschen, der ihr, da sie ihn kennen gelernt, sehr wohl gefallen habe, glücklich machen wolle. – Am Schluß fand sich auch eine Nachweisung, wo man diese verlornen Gelder finden würde. Im Garten war ein ausgetrockneter verschütteter Brunnen, aus dessen Mündung jetzt Rosenbüsche heraus wuchsen. In diesem Brunnen 348 war zwanzig Fuß tief eine eiserne Truhe versenkt, welche jene Kapitalien enthielt.

Heinzemann, ob er gleich verlor, wünschte dem Offizier mit dem redlichsten Herzen Glück, dieser war sehr erfreut und umarmte seinen Schwiegervater noch dreister und herzlicher, als er es bis jetzt gewagt hatte. Der Apotheker fühlte von diesem Augenblick gegen seinen Eidam eine stärkere Liebe, die mit einer Art von Ehrfurcht gemischt war.

Da wir nun einmal so weit sind, sagte der Arzt Pankraz, sollte es vermittelst dieses Penduls nicht auch vielleicht möglich seyn, den verschollenen Lederer zu entdecken.

Lederer? rief der Baron Milzwurm, welcher Gedanke! Soll er etwa auch oben wo auf dem Gesimse liegen, oder in einem von diesen Schränken stecken?

Man kann es ja eben nicht wissen, sagte Pankraz, und um es zu erforschen, ist solch Ringelchen recht nützlich. – Er ging feierlich herum, und ließ den Pendul schwingen: endlich wendete er sich zu den Begleitern, die ihm gefolgt waren, und nicht lange, so schnippte der kleine Ring mit großer Schnelligkeit an die Nase des Herrn von Milzwurm.

Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Lederer, sagte der schadenfrohe Doktor, indem er sich tief verbeugte.

Wie? Lederer? riefen alle mit Erstaunen, am lautesten aber der ehemalige Ledebrinna, welcher auch ganz gesund, wie es schien, der Gesellschaft gefolgt war.

Ja, meine Herren, rief Pankraz laut, mein Ring kann nicht täuschen: gestehen Sie es nur ein, Herr Lederer, warum wollen Sie auch so lange zaudern. Ist Lederer nicht ein hübscher Name? Mehrere achtungswürdige deutsche Gelehrte haben ihn geführt, einige ausgezeichnete Musiker sind so genannt worden.

349 Ambrosius machte sich gleich herbei, nahm den ganz Bestürzten beiseit, der anfangs vor Verwirrung kein Wort hervor bringen konnte. Sie verglichen sich, mit Hülfe Alexanders ward nachher in weniger Zeit der Prozeß geschlichtet, und alles angeordnet, ohne daß großes Aufsehn erregt wurde.

Der Offizier war ein reicher Mann geworden, Elisa war mit ihm glücklich, und der Apotheker jetzt ganz zufrieden. Ophelia verhehlte ihre Liebe zu Eduard nicht mehr, und er kam ihr mit Dankbarkeit entgegen, und der Vater Ambrosius wußte nicht, ob er darüber erfreut seyn sollte oder nicht. Die Baronesse war anfangs sehr ungehalten, daß ihr Gemahl der verschollene berüchtigte Lederer, ein bürgerliches Kind aus dem kleinen Ensisheim seyn sollte, und der grausame Eduard schien auch keinen großen Werth mehr auf diese Kindesfindung oder Adoption zu legen. Doch ward alles ausgeglichen, denn die Familie kaufte nachher den Adel, und nannte sich, vielleicht um die sonderbare Begebenheit im Andenken zu erhalten, Ledebrinna.



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