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Abschied und Trauer.
Am folgenden Tage schon reisete Ambrosius in seine Heimath zurück, nachdem er von seinen beiden Freunden das heilige Versprechen bekommen hatte, daß sie ihn nach wenig Tagen besuchen würden. Heinzemann sagte noch beim Abschied: Gedenke, mein geliebter Ambrosius, meiner Worte und Verkündigungen. Unser Peterling ist ungläubig, und Dich hat Deine Vorliebe für die Kunst in Fesseln geschlagen, darum beachtet ihr das Höchste, die Natur allzuwenig. Bedenke, daß an demselben Tage, an welchem das große Lissabon durch das ungeheuerste Erdbeben, von welchem die neuere Geschichte weiß, vernichtet wurde, die unglückselige Maria Antoinette in Wien geboren wurde. An demselben Tage, an welchem der zu strenge Hohenstaufe, Heinrich der Sechste, so viele seiner Vasallen in Italien, und unter diesen auch manchen nur halb Schuldigen auf grausame Art hinrichten ließ, sein großer Sohn, der zweite Friedrich, zur Welt kam: die Vorbedeutungen des Geburtstages gingen an beiden nur zu sehr in Erfüllung. Gedenkt also des Himmelszeichens, jener Naturverkündigung, die ihr, Erblödeten, eine simple Sternschnuppe nennen wolltet, und fügt eurem löblichen Streben noch jenen Tiefsinn hinzu, in jedem Einzelnen das Ganze der Schöpfung abspiegeln zu sehen und aus der Totalität die einzelne Erscheinung zu errathen und zu deuten.
Ambrosius fuhr jetzt nach dem Gebirge zu und Peterling ging an sein Geschäft, er nahm aber mit dem Freunde Heinzemann die Abrede, wann und wie sie nach wenigen Tagen den kunstliebenden Ambrosius in seiner Bergstadt 34 besuchen wollten, um seine Bildsäule oder künstliche Maschine in Augenschein zu nehmen.
Aber schon vor ihrer Abreise erhielten sie nach einigen Tagen folgenden Brief, welcher sie sehr erschreckte:
Geliebte, einzige Freunde, mitfühlende Brüder!
Ich bin höchst unglücklich. Gleich wie ich hier ankam, hat mich der größte Schreck ergriffen, die furchtbarste Trauer, welcher mein Gemüth und alle meine Seelenfähigkeiten erliegen. Alles ist für mich vorüber, alle Aussicht verschlossen, alle Hoffnung auf immer todt. Wir leben in einem Jahrhundert, in welchem nichts gedeihen soll. – Eilt in meine Arme, vielleicht wird mir am Busen wahrer Freunde einiger Trost.
Euer tiefgebeugter Ambrosius.«
Er muß seine Tochter verloren haben, sagte Heinzemann, denn sonst würde er nicht diese Ausdrücke der Verzweiflung brauchen.
Wir müssen gleich morgen reisen, sagte Peterling, um zu erfahren, was ihm geschehen ist, und ihn, wo möglich, etwas zu beruhigen.
Schon am folgenden Morgen saßen die Freunde im Wagen, um schnell zu dem Unglücklichen zu gelangen, von dem sie nicht wußten, welch' ein Unheil ihn betroffen hatte. Sie sprachen hin und her, wie man den Leidenden wohl zerstreuen und aufheitern könne; das Vogelschießen in der Stadt Ensisheim war im Julius, doch war die Reise für Menschen, die Geschäfte hatten, zu weit; jedoch erinnerte sich Peterling, daß Ambrosius dort noch einen alten Prozeß schweben habe, den er vielleicht durch einen billigen Vergleich glücklich beendigen könne, und daß man also dieses ernste Geschäft mit einer Reise zum Vergnügen verbinden möge, um Ambrosius nur vorerst in eine neue Umgebung zu versetzen.
35 Heinzemann fand den Gedanken lobenswerth und erinnerte sich jetzt, daß er in diesem Ensisheim auch ein Geschäft mit einem Neffen, einem jungen Rechtsgelehrten, abzumachen habe, eine Auseinandersetzung einer Erbschaft von einer alten Muhme, welche Sache sich vielleicht bei Gelegenheit dieses berühmten Vogelschießens ins Reine bringen ließe, und Peterling hoffte dort oder in der Gegend wenigstens einen jungen, wilden Offizier wieder zu sehen, welcher ihm ziemlich nahe verwandt war.
Sie fuhren am Abend an der Thür ihres Freundes vor. Er kam ihnen blaß und mit einer ungeheuchelten Leidensmiene entgegen. Stumm schloß er sie in die Arme und führte sie dann auf sein Zimmer. Sie setzten sich. Keiner wollte zuerst sprechen, jeder fürchtete den andern. – Und nun, sagte endlich Ambrosius, und das Wort erstarb ihm auf der Zunge. – Freund! stammelte Heinzemann, und Peterling reichte ihm seufzend die Hand. – Also Deine Tochter, das liebe Kind, – sagte er dann zögernd.
Freilich, klagte Ambrosius, sie leidet fast eben so sehr, wie ich, ja, ich könnte behaupten, sie empfindet noch mehr und tiefer.
Sie lebt also? rief Heinzemann einigermaßen beruhigt.
Sie lebt in Thränen, antwortete Ambrosius, und der Verzweiflung nahe.
Was ist aber Dein Unglück? fragte nun Peterling, und der Ton seiner Stimme war schon kälter und trockner geworden.
In derselben Nacht, sagte Ambrosius, als wir drüben auf Heinzemanns Ruhe so freundlich mit einander sprachen, vielleicht in demselben Augenblick, in welchem jene merkwürdige Sternschnuppe niederschoß, ist der ungeheuerste Raub an mir, dem Lande, der Menschheit ausgeübt worden. Ich 36 komme hier an und mein erster Gang ist, nach meinem Robin Hood, oder Apollo, oder Adonis, draußen auf meinem Felde zu sehen. Aber – denkt euch mein Entsetzen, – wie wahnsinnig stürzt mir meine Tochter entgegen – er war fort, dahin, unwiederbringlich, mir in jener Nacht diebisch entwendet worden.
Die kunstreiche Vogelscheuche? rief Peterling, mitten aus den Erbsen heraus?
So ist es, fuhr Ambrosius fort, – in der Stille dunkler Nacht, unter dem Mantel der Finsterniß ist der fürchterliche Raub gelungen. O ich weiß, wie es zusammen hängt! Schon seit lange treiben sich hier, der schönen Gegend wegen, wie sie sagen, so manche von jener fürchterlichen Nation herum, die alle Schönheit als ihr Eigenthum betrachten, von jenen Engländern, die uns so viele Inkunabeln, Gemälde und Seltenheiten entrissen haben, weil sie gewohnt sind, für Geld Alles feil zu finden. Alle diese Schätze schleppen sie dann in ihre ungastliche Insel hinüber. Einer nun von denen, die sich hier umtrieben, wohl wissend, daß ich ihm mein Kunstwerk niemals für schnödes Geld überlassen würde, hat es mir gestohlen; und wie leicht war ihm dies, da es offen, zugänglich, unbewacht da stand, indem ich dem Gefühle der allgemeinen Sicherheit, der Pietät vertraute, die jedes Kunstwerk als ein Heiligthum beschützen sollte. So haben diese Tempelräuber es mit jenen Kunstschätzen gemacht, die Lord Elgin dem weltberühmten Athen entzog; neben diesen Marmorfragmenten des Phidias wird mein Liebling nun im brittischen Museum prangen. Oder irgendwo auf einem unzugänglichen Landsitz steht er in einer Gallerie neben den Werken eines Rafael und Buonarotti. Nun ist auf immer der Kunsttrieb bei meinen Landsleuten gebrochen, die schon keinen öffentlichen gemeinsamen Sinn aussprechen, wenn sie nicht 37 außerordentlich aufgemuntert werden. Keiner wird nun die Bahn betreten, auf welcher ich zuerst originell voran schritt, das ganze Zeitalter, alle Gesinnungen, alle Entwickelungen, auf welche ich durch mein Beispiel hoffen durfte, sind nun auf ewig wieder untergesunken.
Aber hast Du, fing Heinzemann an, keine nähere Spur des Räubers?
Gar keine, erwiederte Ambrosius, als meine Vermuthung. Der Nachtwächter, der aber immer betrunken ist, hat mir da ein Mährchen aufheften wollen. Er war in der Nacht draußen, weil er auch dort Umgang hält, und bald nach Mitternacht, in der Zeit muß es seyn, in welcher jene denkwürdige Sternschnuppe niederfiel, will er einer sonderbaren Gestalt begegnet seyn, die ihm auf meinem Felde entgegen trat. Wie er sie beschrieb, der verwirrte Mann, nach der Bekleidung, dem Hut und allen Dingen, müßte es mein geliebter Jägersmann, mein Robin Hood selber gewesen seyn: aber die Trunkenheit macht seine Augen blind, mein Standbild war noch in seiner Phantasie, und er lieh einem der Räuber dessen Züge. Er erzählte, die Gestalt sei von der Stadt abwärts über den Berg hin, nach der Ebene zu, geflohen, als wenn der Wind sie triebe. Doch, wie gesagt, es ist auf die Aussage des Trunkenen nichts zu geben, der im vorigen Jahre einmal vor Gericht eidlich bekräftigen wollte, er habe den Mond vom Himmel fallen sehn, und er habe dabei gestanden, wie er im Grase sich umgewälzt und dann wieder langsam seinen Weg zum Himmel hinauf genommen habe.
Jetzt trat die Tochter Ophelia, bleich, mit rothgeweinten Augen und aufgelöstem fliegenden Haar in das Zimmer. Sie warf sich laut weinend an die Brust des Vaters. O mein Kind, mein tieffühlendes Mädchen, meine enthusiastische 38 Ophelia, in Deinem Schmerz findet der meinige noch einigen Trost, diese Sympathie der Gemüther ist eine Bürgschaft unserer Unsterblichkeit. – Vernehmt es, meine Freunde, sie hat jetzt wiederum den reichen Sohn unsers Bürgermeisters, der sterblich in sie verliebt ist, ausgeschlagen, weil sie erklärt, sie habe ihr Herz auf ewig diesem Bilde, welches sie Adonis nennt, gewidmet.
Peterling konnte sich nicht enthalten, auszurufen: Das ist denn doch ein wenig stark!
O wie wenig, wie wenig, sagte Ophelia, indem sie ihn mit dem großen durchdringenden Auge ansah, kennen Sie das Herz der wahren Jungfrau, die ächte, idealische Liebe. Das ist wohl mädchenhaft, wenn Julia gleich in der ersten Nacht ihrer Bekanntschaft den Romeo dringend auffordert, sie zu heirathen? Wenn sie gleich zur Trauung eilt, und nachher den Besuch des Geliebten nicht erwarten kann? Nein, mein Herr, das ist eine Rohheit früherer Jahrhunderte, und eine Gemeinheit des Dichters. – O wie wenig bedarf dergleichen mein Herz, in der Liebe meines Ideals.
Hier ist von keiner Leidenschaft die Rede,
Die sich des Gegenstands bemeistern will,
Ausschließend ihn besitzen.
O wo steht, wo weilt jetzt mein Geliebter? hinter welchen Bergen ist er versteckt, in welchem Schrank verborgen, in welcher Raritätenkammer hingestellt? Die Welt möchte ich durcheilen, um ihn wieder zu finden, die Meere durchsegeln, um mich an seinem Anblick wieder zu weiden!
Wo weilt nun mein Geliebter?
Woran kenn' ich ihn nun?
An seinem Muschelhut und Stab,
Und seinen Sandalschuhn. –
39 O Pilgrimm! süßer Pilgrimm! Hamlet, Adonis und Bruder Graurock, schwärmender Robin Hood, – deine Mariane streckt trostlos die Arme nach dir aus.
Sie stürzte weinend aus dem Zimmer, um in der dunklen Laube des Gartens einigen Trost in der Einsamkeit zu suchen.
Die Freunde fühlten wohl, daß für jetzt alle Worte vergeblich waren, denn die Reise nach dem Vogelschießen war von dem zu erschütterten Ambrosius mit der größten Verachtung zurückgewiesen worden. Man wollte die wohlthuende Hand der Zeit gewähren lassen, damit erst die frische Wunde etwas verharrschen könne. Im Herbst wollte man sich wieder sprechen, und bis dahin alles auf sich beruhen lassen.
Man wallfahrtete auf das Feld hinaus. Man sah zwischen den Erbsen Fußtapfen, aber nur von Einem Menschen. Es hatte also ein einziger den Raub gewagt, der über die Familie des Kunstfreundes diesen Schmerz herbei geführt hatte. 40