Ludwig Tieck
Tod des Dichters
Ludwig Tieck

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Die Freunde baten ihn, das zu erzählen, was ihm selber merkwürdig schien, und Luis, nachdem er eine Weile still vor sich niedergesehen hatte, begann also: »Einem Freunde von mir, welcher lange in Ostindien lebte und dort Kriegesdienste tat, ist Folgendes begegnet, welches er mir selber mitgeteilt hat.

In einem Kampfe mit jenen wilden Horden, die bald von uns Portugiesen besiegt werden und sich unterwerfen, bald wieder die Waffen ergreifen und oft als tapfere Krieger kämpfen, noch häufiger als Räuber uns überfallen – in einem von jenen nie endenden Kriegen war mein Freund in einem scharfen Gefecht schwer verwundet worden. Er ward zurückgeführt, und sein Neger trug ihn schnell in eine Felsenhöhle und verband in Eile, so gut er es vermochte, seine Wunden. Das Gefecht ging indessen fort und wendete sich sehr zum Nachteil der Portugiesen. Mein Freund bemerkte die Gefahr aus seiner Höhle und schloß sich, so erschöpft er auch war, dem Trupp, welcher sich zurückziehen mußte, wieder an. Bald ward der Rückzug übereilte Flucht, und indem die Feinde die Mehrzahl des Truppes verfolgten, blieb er mit wenigen in der Wüste zurück. Wir waren, das wußte er, von unsrer Station durch den siegreichen Feind abgeschnitten, sonst aber war er der Gegend ganz unkundig und seine Lage um so trostloser, da nirgends ein Baum, Strauch, Wasser oder Frucht zu entdecken war, um nur eine augenblickliche Erquickung zu gewinnen. Alle irrten klagend umher, in der Furcht, von streifenden Feinden angetroffen und erschlagen zu werden. Das Elend steigerte sich aber am folgenden Tage schon so, daß bei manchem diese Furcht sich in Wunsch verwandelte, um des Jammers nur auf einmal loszuwerden: denn der fürchterlichste Durst quälte alle, vor Hunger waren alle erschöpft und sterbend, die heiße Sonne stach herab und quälte unerträglich; die Nacht war ebenso verderblich kalt.

Mein Freund, der sein Leben aufgegeben hatte, lag mit dem Haupte unter einem Stein, der ihn einigermaßen vor den Sonnenstrahlen schützte, er konnte nicht mehr gehn, und der Blutverlust hatte ihn so geschwächt, daß er oft selbst das Ächzen und Verzweifeln seiner Leidensgefährten nicht mehr vernahm, die bald winselnd, bald ihr Schicksal verwünschend, hin und wider irrten. Einige, die noch die stärkern waren, hatten vordringen wollen, um einen Ort zu entdecken, der ihnen Trost oder Linderung gewähren möchte. Nach ihren Reden erstreckte sich die Wüste, so weit nur das Auge reichte, und so verwirrt, wie alle waren, konnten sie sich nicht einmal erinnern, nach welcher Richtung die Stadt liegen mochte, aus der sie den unbesonnenen Streifzug unternommen hatten. Denn nun rächte sich die törichte Kühnheit eines jugendlichen Anführers, der, unbedacht, da er anfangs keinen Widerstand traf, sich zu weit vorgewagt, dann den bedeutenden Trupp in lauter kleine Korps zerstreut und sich hernach ohne Kenntnis des Landes in die Wüste zu fern hinausgewagt hatte, eines leichten und schnellen Sieges gewiß. Die Feinde hatten die einzelnen Truppen aus dem Hinterhalte überfallen, sie umgangen und dann mit Vorbedacht in die Wüste hinausgetrieben, um ihnen den Rückweg unmöglich zu machen. Alle diese Vorstellungen und Überzeugungen, die noch am vorigen Tage meinen Freund geängstigt hatten, entschwanden ihm jetzt oder waren ihm gleichgültig. In seinem Verschmachten, welches er bald mit unsäglichen Schmerzen fühlte, bald wieder im dumpfen Hinstarren vergaß, quälte ihn die Vorstellung einzig noch, daß sein treuer Neger, der ihm schon einigemal das Leben gerettet hatte, ihn verlassen habe oder schon umgekommen sei.

So erschien der dritte Tag, und wenn mein Ohr erwachte, so erzählte mein Freund, horchte ich nach meinen Gefährten und erriet aus einzelnen Silben eines, der nicht weit von mir lag, daß die übrigen schon ihren Tod gefunden haben müßten und dieser letzte auch im Sterben sei. Nur der Wunsch, bald ihnen zu folgen, blieb als einzige und letzte Spur des Lebens in mir zurück. Wie lange ich schon das Bewußtsein verloren hatte, kann ich nicht sagen, als – ich spreche im Namen des Freundes, wie er mir die Begebenheit vortrug – ich plötzlich eine Kühlung, ein mildes Anwehn, ein sanftes Hauchen fühlte und zugleich eine schmerzliche Klage vernahm. Ich konnte die Augen nicht aufschlagen, konnte auch den Ton nicht unterscheiden, und wie dem Kranken, dem Sterbenden in den Sinnen zuerst wieder Gefühl und Bewußtsein erwacht, so waren es meine geborstenen Lippen, die sich zusammenzogen, weil eine Kühlung, ein Saft, eine Süßigkeit sie benetzte. Unwillkürlich versuchte ich diesen Tau zu schlucken, der die Scherben meines Mundes erweichte, und wie dies einigemal gelungen war, konnte ich die Augen, als wenn von ihren Decken eine Last genommen würde, wieder aufschlagen.

Ein dunkel schwarzes Gesicht mit seinen brennenden Augen stand dicht vor dem meinigen, es war mein treuer Neger, der mir Beeren auf den Mund drückte und mir einige, als ich dessen erst fähig war, zu essen gab. Er verband dann meine Wunden von neuem, so gut es sich tun ließ, und als ich mich noch mehr besonnen hatte und er glaubte, der Genuß würde mir nicht mehr schaden, gab er mir noch viele, die er sorgsam in ein reines Tuch gewickelt hatte. Zum neuen Leben erwacht, konnte ich es jetzt erst fühlen, wie schwach ich sei: Es war, als sei in allen meinen Gliedmaßen die Willenskraft, sie zu regen, auf immer erloschen.

Ich forderte den treuen Sklaven auf, meinen Kameraden einiges von seiner erquickenden Frucht mitzuteilen, er erzählte mir aber, daß er alle, wie er angekommen sei, schon als Tote gefunden habe, daher seine unbeschreibliche Angst um mich und seine unendliche Freude, wie er noch einen Funken des Lebens in mir wahrgenommen. Verzweifelnd um seinen Herrn war er in die Wüste hinausgerannt: Er, in einem ähnlichen Himmelsstrich geboren, hatte die Spuren genau beobachtet, die ihn den Keimen des Lebens näher bringen möchten. So traf er nach vielen Meilen Umirren auf einen Fleck, wo an niedern Zweigen, unter Stein und Kies, eine Frucht wuchs, den Brombeeren oder ähnlichem Dorngewächs nicht unähnlich. Mühsam sammelte er sie und mußte dann rückwärts die weite Reise machen, um seinen Herrn mit dieser geringen Hülfe zu laben und zu erwecken.

Aber, so fuhr mein Freund fort, ich war doch verloren, wenn ich an dieser fürchterlichen Stelle verharren mußte, wo der Tod selbst auf der erstarrten Natur zu thronen schien. Gehn konnte ich unmöglich. Der treue Diener lud mich also auf seine Schultern und trug mich mit aller Anstrengung seiner Kraft von diesem Fleck der Verzweiflung. Oft, da er selber krank und ermattet war, mußte er mich wieder auf den Boden legen, um auszuruhn, dann erquickte er mich mit den Beeren, die jetzt dem Schmachtenden als das herrlichste Labsal erschienen. Aber keine Überredung, kein Befehl vermochten es über den Neger, daß er selbst von der Frucht, auch nur ein einziges Korn, genossen hätte, denn er behauptete, der Vorrat würde kaum hinreichen, um mich lebend an jene Stelle zu schaffen.

So zeigte es sich auch, denn wir brauchten zwei Tage und zwei Nächte, ehe wir dorthin gelangten, denn er ließ es sich nicht nehmen, mich auch des Nachts fortzutragen, soviel es seine Kräfte, die mit jeder Stunde mehr abnahmen, nur irgend erlaubten. So kamen wir endlich dorthin, wohin sein Eifer strebte, ich todesmatt, er, so schien es, im Sterben. Er machte mir sogleich ein Lager in einer kleinen Höhle zurecht, die er sich schon damals gemerkt hatte, er bedeckte mich mit seiner Kleidung gegen die Kälte der Nacht, er ging, wie eine sorgsame Amme, sogleich aus, um mir wieder Beeren zu suchen, mit denen er mich noch vor meinem Schlaf erfrischte, und nur erst, als er mit übermenschlicher Anstrengung alles getan hatte, was man unmöglich nennen möchte, setzte er sich mit seligem Behagen zu meinen Füßen nieder und genoß nach vier, fast fünf Tagen zum erstenmal wieder sparsam und kärglich von seinen mühsam gesammelten Früchten, denn noch immer behielt er nur mich im Auge und mein Wohl.

Am folgenden Tage, als ich mich etwas besser nach einer ruhig durchschlafenen Nacht befand, suchte ich in Worten ihm meinen Dank auszusprechen. Er war ebenso verwundert als betrübt darüber, denn er meinte, er habe nichts als seine Pflicht getan, und meine Liebe, und wie ich ihm ehemals geholfen, seien mehr, als er mir jemals erwidern könne. Mit ihm kam ein Weißer, auch der Diener eines Offiziers, der sich gerettet und unvermerkt den Schritten meines Negers gefolgt war, in der Hoffnung, einen Weg aus der Wüste zu finden. Dieser setzte sich zu mir, als mein Neger wieder ausgegangen war, um Früchte zu sammeln. ›O mein Herr‹, fing er an, ›was habt Ihr für einen Sklaven: dergleichen, wenn ich es nicht mit angesehn hätte, würde ich keiner Erzählung glauben. Wir rannten hieher, und der Schwarze, als wir nach zwei Tagen diesen Fleck gefunden hatten, schrie und sprang vor Freude, so verhungert und verdurstet er auch war. Wie ein Tiger fiel er über die Früchte her, sowie sie entdeckt waren, und sammelte sie in ein Tuch. Er wollte mich keine genießen lassen und drohte mir den Tod, wenn ich die abrisse, die seine Augen entdeckten. Als ich ihm seine unmenschliche Gier vorwarf und ihn schelten wollte, sagte er mir, daß er alles nur für seinen kranken Herrn einernte, und er riet mir, es ebenso zu machen, ohne ihn zu stören. Ich konnte ihn nicht begreifen, da er schalt, als ich selbst genoß, was ich Kümmerliches fand, denn ich war dem Verschmachten ganz nahe, wie Ihr selbst denken könnt. Er aber, der ebensolange gefastet hatte als ich, nahm keine einzige der Beeren in seinen lechzenden Mund, weil er alles, wie er sagte, seinem lieben Herrn bringen müsse. Wäre unsre Not nicht so fürchterlich gewesen, so hätte ich lachen mögen. Wirst du ihn noch lebend antreffen? sagte ich. Es ist unwahrscheinlich, er wird schon längst dort, so gut wie mein Herr, verschmachtet sein. Wenn du nun hinkommst, wirst du dort, oder schon vorher, ebenfalls sterben, und es ist noch sehr die Frage, ob du die vermaledeite Stelle nur wiederfindest. Dann, sagte er, möge er auch nicht mehr leben, wenn sein lieber Herr gestorben sei. So, ohne eine einzige Frucht zu kosten, ohne sich einen einzigen Augenblick Ruhe zu gönnen, ist er nun, wie ein Wahnsinniger, zurückgerannt und hat Euch, er, der Verhungerte, sogar noch auf seinen Schultern hergetragen.‹

Mein Freund, als er mir nach Jahren diese Geschichte erzählte, konnte sie nur mit der größten Rührung vortragen, er bemerkte hierauf: Wie die Erschütterung der Seele wohl manchmal den Gesunden töten oder ihn krank machen kann, so half die Bewegung meines Herzens, das bei allen diesen Umständen so groß wurde, als wenn es brechen wollte, mir jetzt zu einer Art von Gesundheit, und gewiß kann unsre Seele durch so erhabene Erschütterungen ihren Körper vernichten oder den gebrechlichen wieder stärken. Ich konnte etwas gehn, und so folgte ich ihm, indem er mich wieder fast immerdar trug, zu einem kleinen Wasserbehälter, den er entdeckt hatte. Was ist ein Trunk Wassers dem Elenden, der diese frischende Woge seit manchem Tage entbehrt hat. Nur dem es so mangelte, der es so wiederfand, kann wissen, welche Wollust und Wonne der Schöpfer dem Ermattenden in einem hohlen Steine zubereitet hat und wie das Herz dann die Güte Gottes erkennt und sie mit Tränen des Dankes genießt um etwas, das selbst unser Bettler hier in seiner höchsten Not kaum des Anblicks würdiget. – Kurz, der Neger half so seinem Herrn und Freunde, sorgend, liebend, unermüdlich, pflegsam, tröstend, ihn leitend, führend, ihn speisend und tränkend, mehr vielleicht ausübend, als die Mutter für den geliebten Säugling tun würde, so unersättlich sich aufopfernd, daß er nach zehn vollen Wochen der ungeheuersten Anstrengung seinen Herrn wieder einigen Landsleuten in einem kleinen Orte übergeben konnte, zu welchem sie endlich nach der mühseligsten Wanderung gelangten. – Jener weiße Diener hatte sich schon viel früher von uns entfernt, und mein Freund hat ihn niemals wiedergesehn, wahrscheinlich ist er doch, so wie sein Herr, in dieser heißen Wüste verschmachtet.

Auf diese wunderbare Weise ward mein Freund damals gerettet, und er war der einzige, der von jenem ausgesendeten Truppenkorps jemals wieder zur Stadt zurückkehrte, alle übrigen waren untergegangen. Und ohne seinen Sklaven ging er auch dort in der Wüste verloren.«

Der Kammerdiener meldete jetzt, daß Don Alonso oben im Zimmer des Grafen warte und dringend um ein Gehör ersuche.

»Hast du gesagt«, rief der Graf, »daß wir noch bei Tische seien?«

»Wohl«, erwiderte der Diener, »er wünscht auch nur wenige Minuten.«

»Er möge sich gefallen lassen«, sagte Fernando, »oben sich etwas niederzulassen, ich würde ihm binnen kurzem meine Aufwartung machen. – Der Lästigste aller Menschen«, fuhr Fernando fort, als sie wieder allein waren, »der es nicht müde wird, zu drängen und zu sollizitieren: Ist es eine Verschreibung, die übermorgen zahlbar ist, so kommt er schon heute, gibt es eine Verhandlung oder Streitfrage, die das Gericht entscheiden muß, so plackt und quält er vorher den Teilnehmer des Prozesses, bringt so vielfältige Fragen und Möglichkeiten herbei, daß, wenn man ihn geduldig anhört, die klarste Sache zur verwirrtesten wird und kein Gespräch mit ihm das Ende findet. Er mag darum etwas warten, denn ich bin nicht gesonnen, mir gleich meine heitre Laune verderben zu lassen.«

»Was Ihr uns vortrugt, Sennor«, fing jetzt der Hauptmann an, »ist höchst merkwürdig. Die Treue dieses Schwarzen ist fast eine beispiellose zu nennen, und freilich müssen wir mit Beschämung alle unsre vorigen Behauptungen zurücknehmen. Ich meine aber, jener Gerettete, wenn er irgend die Mittel dazu hatte, wird sich auch gegen diesen Sklaven dankbar erwiesen und seine Treue auf ungewöhnliche Art belohnt haben.«

Luis verfärbte sich. »Gewiß«, sagte er dann, »ungewöhnlich genug, meine Herren. Es fügte sich nämlich, daß nach vielen Jahren, in welchen jener Freund aller Bitterkeiten des ihm feindlichen Glückes getrunken und den Kelch bis auf die Hefen ausgeleert zu haben meinte, er endlich wieder in sein Vaterland und in eine große Stadt desselben zurückkehrte. Seine Wünsche waren bescheiden, denn er war nicht mehr jung. Für alle Mühsal und Kränkung ward ihm aber nichts erwidert, und als er nun jede Hoffnung aufgeben mußte und nahe daran war, unter seinen Landsleuten, den Reichen, Vornehmen, Kaufleuten und Krämern, auf ähnliche Art zu verschmachten wie dort in der Wüste, da erhielt ihn, nährte und kleidete ihn dieser treue Sklave wiederum, indem er für seinen Herrn bettelte und ebenso keinen Pfennig für sich zurückbehielt, wie er damals keine Beere zur eignen Rettung genießen wollte. Und nun, um solcher Tugend wenigstens einigen Lohn oder etwas Ehre zu verschaffen, sollte ich diesen hochherzigen Sklaven wohl nennen, wenn ich es nicht meinem armen Freunde gelobt hätte, ihn und seinen Diener niemals kenntlich zu machen. – Und so verzeiht, edle Herren, daß ich Euch überall mit einer so traurigen Geschichte behelliget habe, die für kein frohes Gastmahl geeignet ist. Wenigstens schäme ich mich meiner Bitterkeit, die mich nach Jahren heut zuerst wieder überschlichen hat, was in einer so vorzüglichen Gesellschaft am wenigsten hätte geschehen sollen.«

Man war verlegen, was man erwidern sollte, da der Gast diese Worte mit sichtbarer Bewegung gesprochen hatte. Sonderbare Gedanken stiegen im Geiste des jungen Grafen auf, denen er aber jetzt nicht Raum geben mochte, da sie ihn doch zu keiner Gewißheit führen konnten, denn es wäre unschicklich gewesen, nach diesen Reden auf eine nähere Erklärung zu dringen.

Nur konnte der Hauptmann nicht unterlassen zu sagen: »Es scheint also, daß Undankbarkeit gegen verdiente Männer wohl hier in Portugal nicht weniger der Inhalt alltäglicher Klagen ist wie in andern Reichen.«

»Es kann wohl nicht anders sein«, fuhr Luis in einem milden und heitern Tone fort, »wenn man billig sein und alle Umstände gehörig erwägen will. Der Staat, so künstlich zusammengesetzt, wie er ist, bedarf unendlich vieler Kräfte; sollte, was sich anstrengt, immerdar belohnt und bezahlt werden, so möchte die Ausgabe des Gutes die Einnahme des Nutzens übersteigen. Vergessen wir auch niemals, daß, wenn die großen und reichen Familien immerdar zuerst bedacht werden, sie, indem sie sich dem Staat hingeben, auch ihre Macht, ihren Einfluß, Namen und Reichtum ihm mitbringen. Mögen die einzelnen uneigennützig sein, von selbst fallen die kleineren Flüsse in den größeren Strom, und daß sie ihren Reichtum erhalten und vermehren, kommt doch auf vielfache, wenn auch oft unsichtbare Weise dem Volke wieder zugut. Unser Staat, der, so klein er ist, durch Politik und Heroenmut ein Weltstaat geworden ist, dem in fernen Zonen unbekannte Völker huldigen und dienen, kann nur seine ungeheure Kraft erhalten und vermehren, wenn nichts vom Vermögen des Staates versplittert wird. In den beiden Indien ist für abenteuernde Streiter, für glücksuchende und unternehmende Geister ein ungeheures Feld eröffnet. Wer Mut besitzt, Kenntnisse mitbringt, die Welt und Menschen versteht, dem kann dort Fortuna in tausendfacher Gestalt erscheinen. Und hat sie nicht viele Tausende, seit wir in jenen fernen Zonen herrschen, erhoben und gekrönt? Vielen mißglückt die Wagnis, durch eigne Schuld oder Mangel an Geschick. Doch an diesen einzelnen, die in dem ungeheuern Spiel untergehn, ist nichts gelegen, und unser Staat verliert an ihnen nichts. Durch diese Gesinnung, indem Macht und Adel zugleich mit den Abenteurern zum Kampfe hinausschifften, daß Vasco, Pacheco, Albuquerque sowenig wie unsre Könige den einzelnen achteten, haben wir uns diese ungeheuren Indien unterworfen und werden sie noch mehr bezwingen, wenn nicht etwa die kurzsichtige Mittelmäßigkeit sich des Regimentes bemeistert.«

»Edler, milder Mann«, erwiderte der Graf, »Ihr führt, ohne es zu wollen, die Sprache der Tyrannen.«

Luis lächelte und betrachtete den jungen Mann mit einem prüfenden Blick. »Sonderbar ist es«, sagte er dann, »daß es noch keinen großen Regenten gegeben hat, den viele seiner Zeitgenossen nicht einen Tyrannen gescholten hätten, dem sie nicht Geiz, Grausamkeit, Untreue, Brechen seines Wortes sowie Undankbarkeit gegen Freunde und treffliche Diener vorrücken mochten. Es ist aber unrecht, ich wiederhole es, wenn eine ungemessene Liebe zum Vaterland und Fürsten, eine unbedingte Aufopferung, auch ungemessene Belohnung fordert oder erwartet. Die Zeiten des wildesten Elendes, des Untergangs der Staaten werden oft durch anscheinende Gutmütigkeit und dadurch herbeigeführt, daß man das Überflüssige und Unnütze wuchern läßt und nirgend hemmt und jätet. Aus diesem Unkraut erwächst dann das Verderbliche, die Giftpflanzen, die Bäume und Getreide und Wein ersticken. In vielfacher Gestaltung tritt dieser Aberwitz hervor, anfangs in gelinder Gestalt, oft sogar in der Maske der Tugend. In alten Zeiten wurde der Adel, der Leib und Leben für den anführenden König wagte, mit Recht belohnt, edle Unabhängigkeit, Vermögen, Einfluß wurden ihm zugesichert. Es war nur billig und recht, daß das unwissende Volk, welches kein Eigentum verwalten und sich zu großen Gedanken nicht erheben konnte, ihm unbedingt gehorchte. Wie es nun aber im Verlauf der Zeiten dahin gedieh, daß der Adel, immer mächtiger geworden, nur sein angestammtes unveräußerliches Recht zu schützen glaubte, wenn er gegen die Krone kämpfte und sie zu erniedrigen suchte, da war es notwendig geworden, daß der Fürst Schutz und Hülfe beim Volke suchte, gegen den Adel. Blicken wir umher, so ist dies fast die Geschichte der neueren Reiche. In Frankreich ist der Kampf zwischen Adel und Krone, zwischen Krone und Volk und des Volkes gegen den Adel noch nicht entschieden. Wie mußte der siebente Heinrich in England nach seinen Erfahrungen denselben Adel fürchten, durch welchen ein dritter Eduard so mächtig geworden war. Mit Recht hielt er Geld und Gut zurück und ließ sich lieber geizig schelten, als daß er sich durch Mangel vom Volk oder seinen Großen so abhängig gemacht hätte wie der unglückliche sechste Heinrich. Ein Regent, den alle Welt großmütig nennt, wird von den Klügern nur mit Verdacht angesehn. Hält er die Hand fest, so hat seine Gabe um so größern Wert. Ähnlich war es mit dem Ferdinand von Castilien. Seine Sparsamkeit ward gescholten, und seine Klugheit, mit der er die Willkür der Gemeinden und Korporationen beschränkte, Tyrannei geschimpft. Und doch bedarf die Welt zuzeiten der harten und klugen Gemüter. Die Völker selbst, Bürger und Bauern sind froh, wenn ein starker Geist den Unfug des Adels dämpft und selbst mit Grausamkeit jenen starren, grausamen Sinn der Ritter, Grafen und Herzöge beugt, der so oft den gemeinen Mann geringer als das Lasttier schätzt und behandelt. Und geht denn diese Tyrannei nur von Fürsten und Adel aus? Als die milde Regierung der Medici in Florenz vertrieben war, mit welcher Tyrannei schaltete eine Zeitlang das Volk und der begeisterte Savonarola, die sich Befreier, Retter und Vernichter der Tyrannen nannten.«

»Ihr kennt die Geschichten, auch meines Vaterlandes«, sagte der Florentiner. »Ich muß Euch nur bemerken, daß Ihr, um zu entschuldigen, in der Verteidigung etwas zu viel sagt, wie es wohl zu geschehen pflegt, daß der Mensch, um einer gehässigen Anklage zu erwidern, die freundliche Entschuldigung zu weit treibt. In allem Maß halten, war die Weisheit der alten Griechen.«

Ein Brief, den der Marques schickte, ward dem jungen Grafen überreicht. Er enthielt eine alte Handschrift, welche auf den Prozeß, in welchen auch Alonso verwickelt war, Beziehung hatte.

Der Graf warf das unleserliche Blatt mit Unwillen von sich, indem er ausrief: »Es ist eine Plage, sich mit solcher stotternder Schrift befassen zu müssen, die, wie mir mein Oheim schreibt, sein Advokat selbst nicht habe entziffern können.«

Luis bat um die Erlaubnis, das Blatt ansehn zu dürfen, und las es zum Erstaunen des Grafen, fast ohne zu zögern, ihm vor. Als der Graf seine Verwunderung ausdrückte, erklärte ihm Luis, wie er sich von Jugend auf mit Lust darin geübt habe, die rätselhaftesten Handschriften zu entwirren, und wie er eine Zeitlang in einem Amt gewesen sei, zu dessen Aufgaben gehört, alle Arten von Händen, die rohesten, kindischen sowie die eiligsten und undeutlichsten, lesen zu können.

»Teuerster Mann«, rief der Graf mit Lebhaftigkeit aus, »so möchte ich Euch wohl bitten, mir einmal einige Stunden Eurer Zeit zu schenken. Durch Erbschaft sind mir einige merkwürdige Schriften zuteil geworden, die ich sehr hochhalte. Manche Blätter habe ich verstanden, es finden sich aber einige, die mir ein Rätsel bleiben. Wolltet Ihr mir so freundschaftlich helfen, so diktiertet Ihr mir diese Schriften, damit ich sie als reine Abschrift erhielte. Gewiß könnt Ihr manche Abbreviaturen lesen und das Ganze in seine richtige Folge herstellen.«

Luis sagte seine Dienste zu, und man bestimmte einen Tag in der dritten Woche, an welchem Luis den Grafen wieder besuchen und den ganzen Tag bei ihm bleiben sollte. Zwar schien es, als wenn, sowie sie gegeben war, den Fremden diese Zusage wieder gereue, da aber der Graf mit jugendlicher Heftigkeit in ihn drang, so erneuerte er sein Versprechen.

Man hatte sich vom Tische erhoben, und der Florentiner blätterte in einem schön gebundenen Buche, in welchem er eine Stelle zu suchen schien. »Ich glaube nun, nach vielfältigem Studium«, sagte er, »das Werk gründlich zu kennen, und bin doch beschämt, wenn ich eine meiner liebsten Stanzen nicht gleich im Aufschlagen sicher finde. – Ihr kennt doch«, wendete er sich zu Luis, »das göttliche Gedicht des Camoens?«

»Nein«, sagte der Fremde, stark errötend und in Verlegenheit.

Der Hauptmann trat einen Schritt zurück und sah den Gast erstaunend mit seinen dunkeln Augen an: »Mann«, sagte er nach einer langen Pause, »verständiger, gebildeter Mann, der so spricht und so vieles kennt – und Ihr, Ihr ein Portugiese, Ihr wißt dieses Werk des Camoens nicht auswendig? Wozu geht Euch denn die Sonne auf und unter, wenn Ihr so das Allerwichtigste verschlafen könnt? Nein, Freund, laßt das Euer dringendstes, Euer erstes Geschäft sein: sowie Ihr zu Hause kommt, setzt Euch nieder und leset von Anfang bis zu Ende dies Gedicht mit Eurem klaren Sinn durch, und Ihr werdet es einem Fremden danken, daß er Euch dieses zur Pflicht gemacht hat. – Doch, vergebt meiner Heftigkeit«, setzte er nun ruhiger hinzu, da er sah, in welcher Verlegenheit sich der Fremde befand, »ich bin beschämt, so mit Euch gesprochen zu haben!

Wißt Ihr, Graf Ferdinand«, fuhr er fort, indem er sich an diesen wendete, »welche Vergleichung mir noch in dieser Nacht beigekommen ist, als mich der schöne Mondschein nicht schlafen ließ? Ich war, eben als ich jetzt mein Vaterland verließ und Ferrara besucht hatte, auch in Modena und Parma. Rom und Florenz sprechen immerdar von ihrem Raffael und Buonarroti, die Venezianer fast nur vom Tizian – und dort in Modena und den Kirchen von Parma fand ich so vollendete poetische Gemälde eines Antonio Allegri, den man nach italienischer Art nur Correggio, nach seinem Geburtsort, nannte, daß ich in diesen Werken das Höchste zu sehn glaubte, was die Kunst auf diesem Wege erschwingen kann. Wie ich nun immerdar über das Gedicht des Camoens denke, so kamen mir auch diese verklärten Bilder wieder in den Sinn. Auf ähnliche Art vergöttert Euer Camoens Lust und Freude und stellt uns das lieblichste Licht als das Gute, Göttliche selber hin, im Gegensatze oder Kampf mit dem Schatten, der Nacht oder dem Bösen. Aber dieser Schatten wird besiegt oder verherrlicht durch den Gegensatz, die göttliche Natur des Lichtes. Die Begeisterung des Malers hat sich, so wie ich es begriffen habe, mit dem Tiefsinn verbunden: gerade wie Euer heitrer Dichter, dessen Lust und Freude so unbegrenzt ist, weil sie mit dem Ernst und der Trauer eins und dasselbe wird. Indem ich die große Kuppel des Domes in Parma sowie die in St. Giovanni, seine Nacht sowie seinen heiligen Georg oder Sebastian, die ich in Modena betrachtete, mir in die Phantasie zurückrief, schien mir der große Camoens innigst mit diesem göttlichen Genius der Malerei verbunden, ja verschwistert. Es scheint wohl, auch darin sind sie sich ähnlich, daß der Maler wie der Dichter des Ruhmes nicht genießen, welchen sie verdienen.«

Indem man im Saale hin und her ging, schlug der Hauptmann eine Stelle auf und sagte, indem er auf einige Verse deutete: »Meine Herren, ich meinte lange Zeit, Ariost habe den Preis in der Verskunst errungen, und hier in dem Gedicht Eures Camoens finde ich Sprache und Vers, wenn Gefühl, Pracht und Süßigkeit der Liebe reden will, weit schöner und abgewogener. Schalkheit und Witz freilich trägt unser Ludwig so vor wie kein anderer Sterblicher.«

»Die Verskunst selbst«, fing Luis an, »mag wohl eine schwere und geheimnisvolle sein, denn selten sind die Kenner, wie ich es wohl sonst erfahren habe, in ihren Aussprüchen einig. Man hat ja oft bei den Italienern selbst darüber gestritten, welches Versmaß sich für das erzählende Gedicht am meisten eigne.«

»Der epische Vers der Römer und Griechen«, sagte der Hauptmann, »eignet uns nicht. Der wundersame, unergründliche Dante hat sich die Terzine ausgewählt, die seither fast mehr zu leichten Episteln von uns ist gebraucht worden. Dantes großes Werk ist aber auch kein episches, was man gemeinhin so nennt, ebensowenig ein schilderndes oder ein satirisches, man kann auch nicht unbedingt sagen, es sei bloß religiös oder dargestellte Mystik, sondern es ist darum so einzig, weil es alles dies enthält und in einer Sprache redet, die eben so wundersam und unnachahmlich ist. Denn zuweilen ist sie im Schelten bitter, dann donnernd, sie verschmäht selbst die gemeinsten Ausdrücke nicht und nennt alles, wie das Volk, bei seinem alltäglichen Namen; dann schwingt sie sich wieder prophetisch empor und klingt wie eines Psalmes Begeisterung; jetzt gibt sie sich dem lieblich Holden hin, spricht von Natur, Luft und Wasser so einfach und malend, daß wir alles sehen, alles fühlen. Scholastisch und dialektisch wird sie dann und spricht, wenn sie alles Grausen der Hölle erschöpft hat, in unbegreiflichen Worten von den Seligkeiten des Himmels. Ebenso wandelbar und ungleich ist der Vers. Bald sublim, bald gering, jetzt altertümlich wie manches Volksliedchen, jetzt in Pracht erklingend. Homers altertümlichen, schlichten Ton hat schon Virgil als ihm unbrauchbar verworfen. In Homers Gesängen vergessen wir immerdar den Verfasser, sie sind wie aus einer uralten Zeit herübergeschwommen, wie die Natur selbst. Nennen wir Virgil einen Dichter, so kommen wir fast in die Versuchung, dem alten Homer diesen Titel zu nehmen: und doch ist er der reichere und größere. Aber im Lateinischen wäre diese Einfalt schwach, dem Thron des Augustus gegenüber albern geworden, und so schlägt der Römer seine Leier voller an, Schmuck der Rede, Glanz der Bilder, Auswahl des Ausdrucks, Adel und Würde müssen harmonisch das Ganze durchklingen, und manche Verse Homers würden in diesen Rhythmen, wörtlich übersetzt und eingeschaltet, Lachen erregen. Ganz Redner, aber großartiger Wortkünstler wird Lucan. Statius ist geschraubt und krampfhaft. Dantes Art und Weise hat keiner wieder angerührt, weil alle vor dem Banne zurückschreckten, mit welchem der alte Magier sein Werk versiegelt hat. Schon Boccacz wählte die Ottave rime für die Erzählung. Aber seinen Ton, so wie den des Pulci, selbst des Bajardo, haben die Freunde der Dichtkunst zu matt und prosaisch erfunden. Man will Schmuck und Erhebung, Schwung und ausgewählte, geblümte Rede. Der sonderbare, schläfrige, ganz prosaische Ton des Trissino konnte sich darum keines Beifalls erfreuen, weil er den Reim wieder ganz wegwarf und nur in dürren Hendekasyllaben, fast ohne alle Redekunst, trocken, einige wahre und ersonnene Begebenheiten alter Zeit erzählte, oft so dünn und anspruchslos, daß ein eifernder Hirt oder Bauer mehr Bild und Kunst aufwenden wird. Bei ihm zeigte sich der Mißverstand am deutlichsten, des Altertums schlichte Einfalt einführen zu wollen. So hat der begeisterte Camoens, nach meiner Einsicht, den schönsten und edelsten Ton aus seinem tiefen Gemüte gefunden, ganz anders, als es vor einigen Jahren dem edlen Ercilla, dem Spanier, gelang, der etliche Gesänge seiner Araukanischen Kriege herausgegeben hat, obgleich vieles in diesem Gedichte zu loben sein mag.«

Der Kammerdiener trat herein und meldete, daß sich der alte Herr oben im Studierzimmer durchaus nicht mehr wolle festhalten lassen, denn sein Anliegen sei gar zu dringend, und er müsse durchaus in dieser Viertelstunde noch abgefertigt werden. Der Graf sendete zurück, um ihn jetzt anzunehmen, und Luis beurlaubte sich von seinem neuen Beschützer.

Als er dem freien Gefilde zueilte, nahm er sich, höchlich verstimmt, vor, alle diese Bekanntschaften wieder aufzugeben und wie sonst der Einsamkeit und jenem kleinen Kreise der beschränkteren Bürger getreu zu bleiben. Und wozu, sagte er zu sich selber, zu diesen Menschen wieder wie aus der Tiefe des Meeres auftauchen? Ein neues Ringen mit ihnen, um wiederum Beschämung einzukaufen? Wie leicht, daß ich in die Gesellschaft meiner alten Feinde geriete? Wie möglich, daß ich mich einmal vergesse, daß die Entdeckung plötzlich in die Mitte der Herzlosen springt, daß der längst tot Gewähnte noch ein Lebender sei? Im Taumel des Gespräches, in der weinerhitzten Rede konnte mir fast heut mein lang bewahrtes Geheimnis entschlüpfen. Ich muß zu meiner lieben Nacht und ihren verhüllenden Schatten zurückkehren.

Zum Erstaunen Ferdinands – und noch mehr des Florentiners – trat mit dem alten Alonso zugleich jener deutsche Hauptmann in das Zimmer. Er war von der Straße gekommen und drang, ohne sich um die Diener und ihre Fragen zu kümmern, jetzt mit Alonso, welcher von oben die Stiege langsam herunter schritt, zu den beiden Freunden vor, indem er mit einem bedeutenden Augenwink den Finger auf den Mund legte, als Zeichen, daß sie schweigen und in Gegenwart eines Dritten ihr Staunen mäßigen möchten. Obwohl beide Freunde vor Begier brannten, zu erfahren, was den Soldaten von Afrika so unerwartet zurückgeführt habe, so bezwangen sie sich doch, und Ferdinand wendete sich sogleich zu Alonso, indem er die Verzögerung mit Höflichkeit entschuldigte.

Alonso schien erhitzt und so beleidigt, daß man ihn so lange hatte warten lassen, daß er im Anfang auf alle Artigkeiten des Grafen nicht antworten konnte oder wollte. Er hielt viele Papiere in seinen zitternden Händen und sagte: «Ich bin eilig, weil viel auf dem Spiele steht. Der Regent, der mit allen seinen Zahlungen rückständig ist, hat mir eine Anweisung auf den Marques, Euern Oheim, gegeben, dieser hat sie anerkannt und unterzeichnet und sendet mich mit dieser zu Euch als demjenigen, der sie mir sogleich im Augenblick auszahlen würde. Und freilich muß ich darauf dringen, denn ich muß selbst Zahlungen leisten.«

Fernando prüfte die Papiere, indem er erwiderte: »Die Summen, welche Ihr hier fordert, werden vorrätig sein, nur wundert es mich, daß sich mein edler Ohm unter den jetzigen Umständen gleichsam zum Zahlmeister des Regenten macht und ihm auf eine unbestimmte Zeit ein so bedeutendes Kapital vorschießt.«

»Ihr wißt ja«, rief Alonso, »wie große Summen ich von Eurem Ohme noch zu fordern habe. Wäre jener unselige Prozeß nur erst entschieden, der mir durch so viele künstliche Rechtsverdrehungen das Meinige vorenthält!«

»Mein Ohm«, sagte Fernando empfindlich, »wird Euch gewiß nichts vorenthalten, was Euch zukommt, und ich muß mich nur verwundern, wie ein Mann von Verdrehungen sprechen kann, der mit so vielen seiner Behauptungen schon abgewiesen ist, weil sie als unwahr sind erfunden worden.«

»Streiten wir nicht«, sagte Alonso, »händigt mir jetzt nur aus, was unbezweifelt mein ist.«

»Wo ist Euer Diener«, sagte der Graf, »die Summe Goldes zu tragen?«

»Ich nehme sie selber hier unter meinen großen Mantel«, antwortete der Erbitterte, »den ich eigens deswegen umgetan habe. Ich werde keinem Fremden eine so große Summe anvertrauen, auch muß es keiner wissen und erfahren, daß so vieles Geld in mein Haus einkehrt, und darum will ich es lieber mit Schweiß und Not selber dahin schleppen.«

Fernando öffnete einen großen festen Schrein und nahm die versiegelten Beutel heraus, und indem er sie auf den Tisch stellte, setzte sich Alonso nieder, um die Quittung zu schreiben. Dann stand er seufzend auf, überzählte die Beutel und Rollen des Goldes, rechnete schnell nach und öffnete dann den Mantel, um das viele Gold an seinem Körper unterzubringen. Er schielte, indem er alles einsackte und zwei Beutel unter den Arm nahm, in das noch offen daliegende Buch und sagte dann mit bitterm Lachen: »Befaßt Ihr Euch hier mit den schlechten Versen jenes Bettlers und Vagabunden?«

»Von wem sprecht Ihr?« fragte der Graf mit großer Lebhaftigkeit, indem er die einzelnen Goldstücke auf den Tisch warf, welche noch der Summe fehlten.

»Von dem abgeschmackten Camoens rede ich«, erwiderte Alonso mit krächzendem Ton, »von jenem Lumpen, der in Indien mit mir und allen seinen Vorgesetzten Händel anfing, der aus bösem Herzen auch die edelsten Häupter verleumdete, dessen Übermut nach großer Würde strebte und der im Dünkel glaubte, alle Menschen verachten zu dürfen. Ich denke aber, wir haben es ihm damals heimgegeben, dem armen Schlucker. Er mußte endlich Gott und uns allen danken, daß er nicht eines schimpflichen Todes starb.«

Fernando hielt mit Zählen inne und schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, daß das Gold tanzend emporfuhr. »Wer seid Ihr«, rief er laut, »daß Ihr Euch so zu sprechen unterfangt? Er ist gestorben, der Ärmste, aber erfahrt, daß Ihr einen zu lästern wagt, den ich verehre, den ich wie einen Bruder liebe.«

»Als Dichter«, sagte der Florentiner, »muß ihn jeder Verständige bewundern.«

Der Deutsche, da er sah, daß sein Kamrad auch sein Wort im Streite abgab, rief jetzt im schlechten Portugiesisch: »Ja, das weiß Gott und die Welt, daß das berühmte Kerlchen jetzt der größte und erbaulichste Poet in der ganzen Welt ist, meinen Katechismus und einen gewissen Schuster in meiner Vaterstadt ausgenommen. Habt Ihr, einfältiger Mann, denn niemals etwas von den Camönen vernommen? Die kommen ja schön in der Grammatik und Syntaxis vor, und schon als Kind ward mir in der Schule die Herrlichkeit dieser Camönen eingebleut. Wir sollten hier nur das Exerzitium und den Unterricht mit Euch wiederholen, denn die verhärteten Gemüter schlagen nur in sich, wenn von außen etwas nachgeholfen wird.«


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