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Der Marques war neugierig hinzugetreten, und da es ihm schien, der Neger sei derselbe, von dem er neulich gesprochen und der ihn durch seine Aufdringlichkeit erzürnt hatte, so winkte er dem Schwarzen, ihm nach einer einsamen Stelle, nach dem Flusse hin zu folgen. Antonio, welcher den Greis auch sogleich wiedererkannte, folgte zaudernd und in Furcht; doch als er sah, daß der Marques keine Diener bei sich hatte, so wurde er etwas zuversichtlicher.
Als sie das Gedränge verlassen hatten, stand der Marques stille, betrachtete den Schwarzen aufmerksam und sagte endlich: »Warst du es nicht, Mann, den ich neulich mit meinem Stabe geschlagen habe?«
Antonio warf sich nieder und hob die Hände flehend empor. »Exzellenz«, winselte er, »war nichtnutzig, wollte zu viel, bekenne, bitte ab, nicht mehr tun, mir vergeben! Ist schlimm Handwerk, das Betteln, der Mensch wird geldgierig: denkt man, zwei ist mehr wie eins und drei mehr wie zwei, und drüber wurd ich unzufrieden und hätte nur danken sollen.«
»Steh auf«, sagte der Greis, »ich zürne dir nicht, du hast von mir nichts zu besorgen, ich hatte unrecht, mich zu erhitzen, und weil ich dir unrecht tat, so nimm dies zur Vergütigung und mache dir und den Deinigen etliche frohe Tage.«
Der Neger warf sich im Entzücken vor dem Marques nieder, denn er hatte im Griff schon sechs große Goldstücke schnell fühlend gezählt, und war so außer sich vor Freude, daß er in langer Zeit die Worte nicht finden konnte. »Ach! Komet, Komet«, rief er endlich, »hab's dir gleich angesehn, wie rote Weinnase aus Wolkengardine herausstecktest, daß mir ein gutes Jahr bedeutet. Weinernte ist schon gekommen, Traubenlese und Keltrung! Ach! Exzellenz! Was kann große, reiche Mann arme Bestie, niedrige Tier für himmlische Freude machen! Bloß um so was möcht ich mal Exzellenz und Graf sein. – Und wie, herrlicher Mann, soll ich danken? Könnt ich doch gleich was tun! Müßt aber was so extra sein! Mir Euch zulieb foltern lassen!«
»Sei ruhig, Mensch«, sagte der Greis, »erniedrige dich nicht selbst. Hast du Kinder und eine Frau?«
Antonio stand verlegen da und wühlte mit den Fingern in den dichten krausen Haaren. Er schlug die Augen nieder und legte einen Fuß über den andern, dann biß er sich auf die Nägel, und nach geraumer Zeit, als der Marques ihn zu antworten ermunterte, sagte er: »Großherrliche Exzellenz, ich schlechte Figur denke eben nach, ob recht tüchtig lügen und ja sagen soll: Könnte ja, wie mancher Arme, sieben oder acht Kinder haben. Ist aber nicht wahr, und kann nicht schändlich und Bestie gegen Wohltäter sein – nein, habe keine einz'ge Frau und kein einz'ges Kind.«
»Nun gut«, sagte der Marques, »du bist herrenlos und denkst wohl auf deine alten Tage einzusammeln, denn ein Gewerbe hast du wohl niemals getrieben und gelernt. Ist dein Herr gestorben? Hat er dich verabschiedet und frei laufenlassen, ohne für dich zu sorgen? Wenn du mir treu und ehrlich dienen willst, will ich dich unter meine Leute aufnehmen.«
»Gnade«, rief der Neger bekümmert und verwirrt, »allzuviel Gnade! Verdiene die liebreiche Barmherzigkeit nicht! Kann große, menschenfreundliche Güte nicht annehmen, bin zu schlecht, in solchen Palast zu treten. Muß lieber und immer Bettler bleiben und gebettelt Brot essen.«
Der Marques ward neugieriger und drang mehr in den verlegenen Neger, indem er sagte: »Wenn du aber verlassen und herrenlos bist, solltest du mein Anerbieten nicht so geradehin abschlagen, denn ich meine es gut mit dir. Ich traue es dir zu, daß du kein Dieb oder Mörder bist, und so sehr du dich auch an das müßige Herumlaufen magst gewöhnt haben, so könntest du es doch auf einige Zeit in meinem Hause versuchen. Gib mir Antwort.«
Den Neger befiel ein heftiges Zittern, er sah bald den Boden, bald den nächtlichen Himmel an, und endlich stotterte er mit zitternder Stimme: »Ach, wie gut haben's Menschen, die hübsch lügen könne, genießen alle Seelenruhe, könne alle Mensche so grad und dreist ins Angesicht schaue. Arme Jao, arme Antonio, bist dumm, bist unglücklich, immer arme, ehrliche Bestie gebliebe; ach, Exzellenz, ich tauge nix und weiß nix zu sagen. Bin schon gefoltert, wie ich mir erst wünschen tat.«
»Aber, Mensch«, sagte der verwunderte Marques, »ich verlange ja nichts Unbilliges von dir! Gib mir bloß einen Grund an, warum du nicht in meine Dienste treten willst.«
Antonio weinte bitterlich und sagte dann schluchzend: »Weil ich Herren habe, besten, schönsten von der Welt, ihn nie, nie verlassen werde, liebe ihn, mehr, als mir selber – ist der herrlichste Mann, den Sonne bescheint.«
Der Marques trat vor Erstaunen einen Schritt zurück und sagte dann im Ton des gelinden Vorwurfs: »Und schämst du dich nicht, Mensch, wenn du einem gütigen, edlen Herrn dienst, mit dieser Gier als Bettler den Wandelnden anzufallen und dich zum allerniedrigsten Gesindel zu gesellen? Dich Schlägen und Mißhandlungen auszusetzen? Ja, deinen eignen Herrn zu beschimpfen! Denn wenn er dich nun einmal in diesem Volksdrang, unter diesem Pöbel als Bettler fände, wenn er von einem Bekannten deine Geldgier erfahren sollte! Wie könntest du ihm Rede stehn? Müßtest du nicht die härteste Bestrafung erwarten und dir selber sagen, daß du sie verdienst?«
Der Neger sah unverwandt auf den Boden, trocknete sich die Tränen und nickte verstummt bei jedem Worte des Greises wie beifällig mit dem Kopfe.
»Darum«, fuhr der Marques im ernsteren Tone fort, »gib diese schimpfliche Lebensart und Angewöhnung auf und hüte dich, daß ich dich wieder so betreffe, deinen Herrn und dich beschimpfend.«
»Nicht mehr betteln? Nichts mehr bekommen? Mir strafen, wenn ich was suchen?« rief jetzt der Neger wie außer sich. »O Gold! Gold! Wie zwingst mir mit deiner Schönheit, alles zu sagen, zu bekennen, ach! Gold! Bist zu gewaltig für mein Herz. – Nein, Exzellenz, hoher, höchster Herr, bleibt gnädig gegen mir, nicht zürnen! Ich alles, alles meinem liebsten, schönsten Herrn gebe, der mir liebt, den ich anbeten möchte, der mir Gott ist, der ärmer als ich, der nur einzig mir, mir ganz allein auf dieser Erde hat, keinen andern Freund, kein ander Gut, kein ander Vermögen als mir hier, armen, nichtsnutzigen schwarzen Mann und Bettler, dem ich mit Herzensfreude alles ausliefern tu.«
Der Marques war vor Schreck blaß geworden. »Wie«, rief er aus, »für deinen Herrn sammelst und bettelst du, der Sklav? Und nennst ihn gut, freundlich und edel? Um des Himmels willen, nenne ihn mir! Kann ein Edler im Christentum, in unserm Land, hier in unsrer edlen Stadt, zu diesem entsetzlichen Elend hinabsinken? Mensch, nimm, da hast du noch mehr Gold, aber nenne mir den Mann, bringe ihn zu mir, ich will ihm helfen, ihn wieder aus dem Staube heben und dich für deine treue Liebe belohnen.«
Jetzt warf sich in der größten Erschütterung der Sklave nieder und küßte die Füße des Greises. »Nein, nein, hochmächtige Herr! Nur nicht nennen! Ist mir zu scharf verboten. Ach! Ja Glück genug, daß so viel geschenkt bekommen. Darf ihn aber nicht verraten. Unglück, daß so viel ausgeplaudert. Ist sonst niemals, niemals geschehn. Nein, göttliche Exzellenz, mir um Christi willen nicht zum Verräter machen: kein Judas Ischariot will werden; nicht verführt mir dazu, müßte mir auch gleich in Verzweiflung aufhängen.«
Wie verzweifelnd wand sich Antonio auf dem Boden, doch der Marques richtete ihn auf, indem er sagte: »Beruhige dich, mein Sohn, ich will dich nicht unglücklich machen, aber folge mir nach meinem Hause, ich will meinen Leuten befehlen, daß sie dir wöchentlich, oder sooft du erscheinst, etwas in meinem Namen verabreichen.«
Zitternd ging Antonio hinter seinem Wohltäter bis zu dessen Palast. Dem Türhüter und Haushofmeister ward befohlen, den Neger, sooft er komme, einzulassen und ihm ein namhaftes Geschenk zu reichen. Antonio ging freudig fort, aber auch tief bekümmert, daß man ihn verleitet hatte, so viel von seinem Herrn auszusagen, dessen melancholische Empfindlichkeit er fürchtete.
Der Marques de Castro fühlte sich erschüttert. Ist es möglich? sagte er zu sich selbst, indem er im Saale auf und nieder ging, kann es dahin kommen? Ein treuer Sklave muß einen Edlen, einen freien Mann, der von gutem Hause sein mag, der vielleicht seinem Vaterlande gedient hat, bettelnd ernähren? Ja, dieses Chaos, das uns Reichtum, Verfolgung, Plündrung, Stolz und Egoismus so fürchterlich aufbauen! Wer mag der Unglückliche sein? Von welchem Stamm? Was mag ihn so weit getrieben haben, alle übrigen Menschen aufzugeben?
Er nahm sich vor, den Sklaven von seinen Leuten im stillen beobachten zu lassen, um womöglich den Aufenthalt des Herrn zu entdecken. Er ging nur spät in sein Schlafzimmer und konnte dort den Schlummer nicht finden, weil seinem erschütterten Gemüt immerdar das drohende Bild dieser furchtbaren Armut und eines so tief erniedrigten edlen Mannes vorschwebte.
Auch Graf Ferdinand hatte sein Haus verlassen, um die Erscheinung des Kometen und die Bewegung des Volkes zu beobachten. Er begab sich nach einem andern großen Platz in einem entgegengesetzten Teile der Stadt, und hier, wo sich die stilleren Bürger versammelt hatten, war weniger Geschrei und Unruhe. Alle oder doch die meisten kamen darin überein, daß die Himmelserscheinung dem Könige und dessen Heer in Afrika Unheil, wohl gar den Untergang vorbedeute. Die Stimmung war eine schwermütige, und diese trauernden Menschen schienen auf alles gefaßt. Fernando nahm teil an ihren Gesprächen, und da sie ihn nicht kannten, begehrten sie seinen Rat und daß er ihnen sagen solle, wie er über die Angelegenheiten des Reiches und diese Naturerscheinung denke, welche allgemeines Schrecken verbreite.
»Ich hoffe«, sagte der junge Graf zu einem ehrsamen Bürger, »daß der Himmel uns und unsre gute Sache nicht verlassen wird. Warum sollte ein mutiges Heer, größer und stärker ausgerüstet als jemals eins nach Afrika hinüberschiffte, nicht so glücklich sein, dieselben Großtaten dort zu verrichten, welche schon sonst viel kleineren Scharen zum Ruhm des portugiesischen Namens gelangen?«
»Diese Hoffnung müssen wir festhalten«, sagte ein Mann von feinem Ansehn, welcher zu ihnen getreten war. »Außerdem findet unser König dort mächtige Bundesgenossen, und wir können uns der Aussicht erfreuen, daß die Christen und unsre Landsleute, wenn sie einige Siege errungen haben, nach und nach ein großes christliches Reich an jenen Ufern stiften und wiederherstellen können. Waren diese gesegneten Küsten dort schon einmal ein mächtiger Christenstaat, so war es wohl unserm heldenmütigen Sebastian vorbehalten, auch hier ein mächtiges Reich zu gründen, wie wir solche im östlichen und westlichen Indien besitzen. Dieses Himmelszeichen leuchtet nun den Streitenden auch dort, und wenn es dem Menschen erlaubt ist, die wunderbaren, unverständlichen Äußerungen der Natur, die irrenden Himmelskörper mit dem menschlichen Tun und Schicksal zu vereinigen, so brennt dieser gefürchtete Komet vielleicht als Siegesfackel, als Freudenfeuer, um uns hier, schneller als Schwalben oder Tauben fliegen können, anzusagen, daß dort in Afrika das Wichtigste, das Entscheidendste schon geschehen, der größte Kampf schon errungen sei.«
Alle erfreuten sich dieser tröstlichen Rede, und Ferdinand, dem die gut gesagten Worte des Mannes, noch mehr aber der Wohllaut gefallen hatte, mit welchem sie waren gesprochen worden, sah ihm nach, wie er sich entfernte, und war noch unschlüssig, ob er ihm nicht folgen und das Gespräch mit ihm fortsetzen sollte, denn das Wesen des Unbekannten hatte ihn wundersam angezogen.
Indem er zögerte, gewahrte er den Bildhauer oder Holzschnitzer Enriko im Haufen und wendete sich an diesen: »Kennt Ihr den Mann«, fragte er ihn, »der eben redete?«
»Jawohl, Herr Graf«, antwortete der Künstler, »dieser ist der nämliche, von welchem ich Euch neulich sprach, von dem wir alle nichts Näheres wissen und den wir nur Don Luis nennen.«
Fernando folgte in dem dämmernden Licht der Gestalt, bis beide zu einem einsamen Spaziergang gelangt waren, dessen Orangenbäume einen angenehmen Duft in der warmen Nacht ausstreuten.
»Verzeiht«, fing der Graf an, »ich bin Euch nachgefolgt, weil Eure Rede mir sehr wohl gefiel. Sie spricht meine Gesinnung aus – wäre dies aber auch nicht ganz so Eure Überzeugung, so war es auf jeden Fall sehr klug getan, das Volk durch diese verständigen Worte zu beruhigen.«
»Die ehrsamen Bürgersleute«, antwortete der Unbekannte, »sind ruhig, von ihnen ist kein Aufruhr wie vom Pöbel zu besorgen, es müßte denn der Fall eintreten, daß es Große und Vornehme für zweckmäßig hielten, auch diese betriebsame, gesetzte Klasse aufzuregen, um irgend politische Zwecke auszuführen. Außerdem aber ist, was ich äußerte, meine Überzeugung und feste Hoffnung. Ein neues Gestirn, ein glanzreiches, ist dem Vaterlande in unserm heldenmütigen Sebastian aufgegangen, die Länder, über die er jetzt sein leuchtendes Schwert hinstreckt, werden uns dienstbar werden, auch diese Meere werden unserm Gesetz gehorchen und vor dem Bilde Christi und seiner Mutter niederknien. Ein neues Morgenrot geht auch dort im Süden auf, und dort, wo der heilige Augustin geboren ward und als Fürst der Kirche regierte, wo unser Prinz Fernando als Geisel und Märtyrer verschmachtete, wo Alfons und Duarte siegreich kämpften, wird aus dem verströmten Christenblut sich ein Heldenreich erheben, um neue, frische Blätter in unsern Siegeskranz zu flechten.«
»Eure Hoffnung ist schön«, sagte der junge Graf, indem er den Redenden mit Erstaunen betrachtete. »Ihr gehört nicht jenen Bürgern an, unter welchen ich Euch traf und die mir schon früher viel Rühmliches von Euch erzählt haben. Darf ich nach Eurem Stand und Namen fragen? Denn es würde mich beglücken, wenn Ihr mir Eure nähere Bekanntschaft gönnen wolltet.«
Luis trat einige Schritte zurück und betrachtete nicht ohne Stolz im Ausdruck den, der sich ihm etwas eigenmächtig, wie es ihm schien, als Bekannter aufdringen wollte. »Ich habe noch nicht«, erwiderte er trocken, »Eurem Namen und Stande nachgefragt, Ihr seid mir fremd wie ich Euch, wir wandeln hier in der Nacht, welches Interesse könnt Ihr darin finden, mehr von mir zu wissen?»
»Das Interesse«, antwortete Fernando, »welches uns jeder edle Mann einflößt, dessen Bildung und feiner Sinn sich in jedem ausgesprochenen Worte ankündigt. Warum wollt Ihr Euch spröde und rauh zurückziehn, wenn Euer Wesen mich, möcht ich doch sagen, zu Euch reißt? Ich bin noch jung und bedarf der verständigeren Freunde, solcher Menschen, die besser sind als ich, die mehr Erfahrungen gemacht haben und das Leben besser kennen.«
Er nannte dem Fremden hierauf seinen Stand und Namen und beschrieb ihm seine Wohnung, indem er ihn zugleich mit freundlicher Höflichkeit ersuchte, ihm in den nächsten Tagen seinen Besuch zu gönnen und mit ihm zu essen.
Luis antwortete: »Verzeiht, wenn ich Euch zweifelnd, kalt und mißtrauisch erscheine: Ich habe viel Unglück erfahren, längst schon hatte ich meine Rechnung mit dem Leben und allen Hoffnungen völlig abgeschlossen. So habe ich denn die Menschen und ihren Umgang vermieden, am meisten aber – verzeiht dies Geständnis und mißversteht mich nicht – die große und vornehme Welt. Es ist mir neu, wieder Bekanntschaften zu machen, und gerade mit einem Jüngling aus einem hohen Hause, denn ein Kreis von harmlosen, gutdenkenden Bürgern genügte mir, deren Wohlwollen mir gut tat, mit denen ich las, sprach und unbefangen stritt und sie und ihre Gesinnungen anhörte. Ihr sagt, daß mein Wesen Euch anzieht, und ich muß Euch gestehn, ich empfinde eine ähnliche Zuneigung zu Euch. Wir wollen es also miteinander wagen, und fügen es die Götter nur, daß uns beiderseitig dieser Schritt nicht gereue. Nach vielen Jahren unternehme ich also wieder die Irrfahrt, ein echtes, menschliches Herz zu finden. Nur versprecht mir, nicht weiter in mich zu dringen, um meine Verhältnisse zu erforschen, und führt mich, wenn ich in Euer Haus trete, nicht in den Schwarm andrer Menschen, am wenigsten den Eures Standes. Wenn Ihr diese meine Menschenscheu anerkennen wollt, so bin ich zu Mittage an dem festgesetzten Tage in Eurem Hause.«
»So sei es«, antwortete Fernando lächelnd, »der seltsame Vertrag sei hiermit geschlossen. Ihr sollt ganz allein mit mir speisen, ungestört und unbelästigt und nur in Gesellschaft eines kranken florentinischen Hauptmanns, der Euch keinen Zwang auferlegen wird.«
So schieden sie, und Fernando eilte nach seinem Hause, in einer seltsamen frohen Stimmung, denn das Abenteuerliche und Geheimnisvolle dieser neugestifteten Freundschaft gefiel seinem jugendlichen Gemüte.
Luis verließ die Stadt, um sich nach seiner fern liegenden Nachtherberge zu begeben. An einer einsamen Stelle, zwischen Gartenmauern, traf er seinen Neger. Sie gingen schweigend nebeneinander, und nach einer Weile sagte Luis: »Was ist dir, Antonio? Du bist so still? Mich dünkt, du zitterst; ängstigt dich dieser Komet auch ebenso wie viele jener Menschen dort in der Stadt?«
»Nein«, antwortete der Schwarze, »Komet da oben ist gut Freund mit mich, hat gut, fruchtbares Jahr bedeutet, macht Beutel los und Herzen warm, und doch . . . Ach, liebster Herr, weiß meine dumme Zunge nicht, wie Euch das alles durcheinander erzählen soll, was meinem Maul auf seinem Herzen liegt.«
»Sprich, guter Mann«, sagte ermunternd sein Herr, »weiß ich ja doch, daß du nichts Unrechtes begangen haben kannst.«
»Doch, doch!« sagte Antonio, sehr eifrig. »Aber alles kommt davon, daß letzt mir ein großer Herr nach seinem Wohlgefallen geprügelt hat.«
»Wie?« sagte Luis. »Dich Armen? Ja, diese Vornehmen! Es wird ihnen so schwer, Menschen zu sein.«
»Nein, nein«, rief der Neger, »hatte ganz recht, der ansehnliche Mann, daß er mir über Buckel und Gesicht mit dem Stocke schlug. Hatte mich schon Silberling geschenkt, wollte mehr haben, war gierig nach großem Stück, wie er an den Musikanten gab. Gab ein Wort das andre, und aus meinem letzten Wort kamen die Schläge heraus. Da war mein Nasenweisheit aus, und ich ging weg, schämte mir, war gegen den alten Herrn grob und unbändig gewesen. Nun sieht mir heut, wie oben Komet über uns sein Kunststück macht, das alte liebe Herrchen wieder da auf großem Wasserplatz, wo du auch manchmal gern bist, lieber Mann. Denke, wird noch im Stock was zurückbehalten haben, und Prügelei wird bei Kometenschein weitermusizieren, wo sie bei Tageslicht zu Ende mit sein Lied war. Geh also sacht, sacht weg. Der mir in seine neue Stiefel nach, immer nach. Fragt mir, ob ich der und der von der Prügelei war. Ja. Und nun – ach, lieber Gott, legt sich alt Exzellenz auf Abbitt, als wenn ich Mensch wär wie er, und will es wiedergutmache und schenkt mir sechs große Goldstück und nachher noch mehr und macht großes Ding aus mir und schleppt mir nach sein Palast, sagt Dienstbot, sollen mir einlassen, wenn ich komm, und sollen mir gut Freund sein und sich räsonabel gegen mir betragen und jedesmal, zweimal in der Woche, groß Stück Geld schenk. So lieb hat mir weißbärtige Exzellenz gewonne und hat mir Ehrenerklärung getan und hat gesagt, wolle nicht mehr tun, nicht mehr prügeln.«
Der Sklave überantwortete zitternd die große Summe seinem erstaunten Herrn. Als dieser ihn schweigend ansah, fuhr der Neger fort: »Ist aber nicht aus so, kommt schlimm. Wie wir uns so was erzählt und vornehme Graubart beinah weinte, wie er erst 'n bissel geschimpft hatte, ach, so sagt ich ihm im Vertraun, ich möchte wohl lügen können, wie ich mir schon oftmals gewünscht habe – und so dacht ich wieder, und Exzellenz, die alte, meinte ebenso, Lügen sei schlecht, und kein Mensch kann klug lügen, wenn Herz und Brust bibbert und bebbert und heiße Tränen in Augen brennen und große, große Geist wie in das Tränenwasser steigt und drein regiert. So ist Lüge tot und nichts in Gegenwart Gottes, und so fuhr mir aus mein dummes Maul heraus, daß ich kein Kinder hätt, aber Herrn, dem ich alles geben tät, was mir mildtätige Herrn und so ausbündige Exzellenz zuwenden täte.«
Luis erschrak. »Und du hast ihm auch gesagt, wo ich wohne, wie ich heiße?« fragte er schnell.
»Davon nichts«, sagte Antonio, »nichts als das! Aber bitte, bitte, mir vergeben, mir dummen Mensch. Verdien nicht in solcher Sozietät und Kamradschaft zu sein. Würdet aber vielleicht selbst alles gestehn, großer, lieber Herr, wenn dein Herz mal so zerknirscht wäre.«
»Und wie heißt dieser alte Mann?« fragte Luis.
»Heißt der Marques de Castro«, erwiderte der Sklave.
»Ha! de Castro!« rief Luis laut aus. »Sieh, Antonio, ich vergebe dir alles, Bruder: Ich glaube, daß diese ansehnlichen, unerwarteten Geschenke, die Milde des großen Herrn dich so gerührt haben, daß du deine Fassung verlorst. Ich verlange aber, daß du nicht zum Palast dieses Mannes gehst, daß du auch ihn selbst vermeidest, sowie du ihn gewahr wirst. Nein, diesen Familien, die sich meinen schlimmsten Feinden damals verbunden haben, die mich verfolgten, will ich fortan nichts verdanken, mich ihnen niemals nähern.«
Dieser also! sagte er zu sich selbst. Taten alle diese Verbündeten nicht alles, mich zu zerstören? War ihr Durst nach Rache nicht unersättlich? Er, ihr Oheim, ist gewiß mit den Nichtswürdigen im Bunde gewesen, die mich noch durch Verleumdung verfolgten, als ihre Ketten und Dolche mich nicht mehr erreichen konnten. Nun sendet er mir, ohne mich zu kennen, diese Summe, die mir ein Schatz ist, und ich muß sie behalten, um mich vor dem Verschmachten zu erretten und diesen schwarzen Bruder zu ernähren.
Unter diesen Betrachtungen wandelte der Leidende nach seinem trübseligen Asyl.
Der Marques de Castro fand es gut und notwendig, seinem Neffen, dem Grafen Fernando, das Wesentlichste von der Geschichte Catharinens mitzuteilen, und da sie ihm nach einigem Zaudern die Erlaubnis gab, so erzählte er dem jungen Manne die Begebenheiten, die ihn selber tief gerührt hatten. Der Neffe nahm diese Mitteilung ganz so auf, wie es der Oheim von ihm erwartet hatte. Das Leben seiner Tante, ihre Trauer und Schwermut, ihr ganzes Wesen schien ihm jetzt von einem höhern und poetischen Glänze umleuchtet. Ihre traurigen Erfahrungen schmerzten ihn, aber er fühlte sich ihr durch ihre Verbindung mit dem vielgeliebten Dichter geistig näher verwandt. Die Aussicht, die ihm der Oheim eröffnete, nach wenigen Jahren der Gatte der liebenswürdigen Maria zu werden, erschien ihm höchst reizend, denn durch diese Verbindung glaubte er ebenfalls ein Sohn jenes Camoens zu werden, der schon längst seine Seele und sein Herz mündig gemacht und sein Geist immerdar Vater genannt hatte. Indem beide Männer mit erhöhter Vaterliebe das sonderbare Kind beobachteten, glaubten sie jetzt in jedem Ausdruck und jeder vorüberschwindenden Laune das dichterische Gemüt zu bemerken, das sich in der Enkelin vielleicht bestimmter abspiegelte, als es in der Tochter selber erschienen sein mochte. Der Marques hatte alle Vorbereitungen getroffen, daß Maria gerichtlich als sein Kind anerkannt werden sollte, und der Regent hatte sein Gesuch schon bewilligt, so wie es der Kardinal Heinrich auch bestätigte.
Das Volk hatte sich wieder beruhigt, und man konnte an jedem Tage, in jeder Stunde Nachrichten aus Afrika und Bestätigung jener Siege erwarten. Diese Vorfälle mußten größere und entscheidende Schlachten herbeiführen, und die Parteien des Adels, sowohl die Patrioten wie jene, die ihre Augen nach Spanien wendeten, waren in der höchsten Spannung. Ein jeder beobachtete den andern, und jeder traf auf jeden Fall seine Vorkehrungen. Die Freunde Spaniens waren nach den letzten Siegesnachrichten viel ruhiger und vorsichtiger geworden, denn sie mußten fürchten, daß die Patrioten das Volk von neuem aufregen, und dessen Haß gegen diese Faktion treiben könne.
An einer krankhaften Aufspannung litt vorzüglich die hochgestimmte Catharina. Es half nur wenig, wenn der Marques sie beruhigen oder zerstreuen wollte, wenn der alte, treuherzige Christoforo ihr von Indien und den sonderbaren Sitten und Begebenheiten jener fernen Länder erzählte; sie konnte ihre Gedanken von Afrika nicht zurückwenden, und sie horchte immerdar auf ihre innern Ahndungen, die ihr die Schlachtgefilde und Glück oder Unglück abwechselnd vorspiegelten.
Christoforo fing an, seine Leiden mehr zu überwinden, es besserte sich sichtlich mit seiner Gesundheit. Er fühlte sich schon um so vieles stärker, daß er sich von den Dienern in den Garten konnte hinunterführen lassen, wo er dann in der Laube ruhte oder unter den Granaten- und Orangenbäumen langsam wandelte. Dann setzte sich auch Catharina zu ihm, und das mutwillige Kind hüpfte und scherzte um sie her.
An dem Tage, an welchem der Graf Ferdinand seinen ungekannten Gast erwarten durfte, trat dieser in saubrer Kleidung in dessen Zimmer. Der Graf ward, da er am hellen Tageslicht seine neue Bekanntschaft genauer betrachten konnte, von dem schlichten Ansehn und dem natürlichen Adel dieser Erscheinung überrascht. Statt sich ihm mit Herablassung zu nähern, fühlte er sich im Gegenteil durch die Nähe des Mannes in Verlegenheit gesetzt. Der Fremde ging höflich auf ihn zu, und Ferdinand reichte ihm mit der größten Freundlichkeit die Hand, um sogleich ein vertrauteres Verhältnis einzuleiten.
»Ihr seht«, sagte er mit Heiterkeit, »wir werden wie zwei Einsiedler miteinander speisen, und nur mein florentinischer Freund wird uns Gesellschaft leisten, der jetzt in Afrika unter unserm Könige kämpfte, wenn ihn nicht eine plötzliche Verwundung in mein Haus geführt hätte. So fügt der Zufall, oft sogar der schlimme, wohl etwas Erfreuliches herbei, denn dieser Hauptmann ist mein Freund geworden, vielleicht gelingt es mir ebenso mit Euch.«
Der Gast antwortete mit höflichen und verbindlichen Redensarten, wie einer, dem die Gesellschaft der Gebildeten nicht fremd ist. Als der Hauptmann zu ihnen trat, setzten sich die drei Männer zu Tische, heitere Gespräche wechselnd.
Der Florentiner blickte den fremden Gast scharf an und sagte endlich: »Ist mir doch, mein Herr, als wenn ich Euch schon sonst wo gesehn haben müßte; wart Ihr niemals in Italien?«
»Niemals«, antwortete Luis, »mein Schicksal verschlug mich nach fernen Weltgegenden, aber dieses schöne Land habe ich niemals betreten. Doch sind wir uns neulich hier in Lisboa begegnet.«
»Die Ähnlichkeit der Menschengesichter«, sagte der Graf, »ist insofern etwas Wunderbares, weil jedes Auge sie anders sieht, jedermann eine andre findet, die der Nachbar nicht bemerkte, so daß jedes verständige Antlitz einem magischen Spiegel gleicht, der, so oder so gewendet, die verschiedensten Bildnisse darstellt. Oft ist es aber auch ein bestimmter Ausdruck von Edelmut, Gutmütigkeit, Verstand oder Scharfsinn, der uns beim ersten Anblick sogleich als etwas längst Bekanntes überrascht und unser Vertrauen erweckt. So geht es mir mit dem Sennor Luis, der mir auch als ein längst Gekannter erscheint. Man kann es ein Glück, eine Gabe des Himmels nennen, so erschaffen zu sein, und wahrhaft zu beklagen sind die Menschen, deren Anblick zurückscheucht, in deren Nähe sich unser Herz verschließt und kein Wort des Vertrauens über die Lippen geht. Diese Menschen sind oft nicht die schlimmsten, und ihr stechender Blick, ihre lauernde Miene, ihr geistloser oder roher Mund sind nicht immer das Zifferblatt für Bosheit oder gemeine Gesinnung.«
»Es gibt eine Häßlichkeit«, sagte Luis, »die den edlen Ausdruck gewiß nicht ausschließt, selbst das Kranke, Entstellte und Krüppelhafte kann liebenswert erscheinen. Wir sind von der Natur angewiesen, unserm Instinkt zu folgen, denn auch er ist Gabe, die uns leitet und warnt. Niemand wird, wenn er noch Wahl hat, die Speise genießen, die ihm einen bestimmten Ekel erregt. Warnt uns nun unser Genius deutlich vor einer Physiognomie, so sollten wir auch hier wohl dem verständlichen Gefühle folgen und einen solchen Menschen vermeiden, wenn wir bis dahin auch noch nichts Schlimmes von ihm wissen. Wir sollen wenigstens empfinden und uns dieses Gefühl eingestehn, daß dieser und jener nicht zu unserm Umgang passen. Dagegen verstoßen wir zu oft und bereiten uns dadurch große Leiden und vielen Verdruß. Nicht selten, daß wir irren: daß wir gut mit solchem Bekannten fahren, daß er uns späterhin lieb wird, aber die Mienen und der Ausdruck können sich aber auch geändert haben, jene früheren Anzeichen deuteten vielleicht auf eine Seelenkrankheit, die jener Mann, den wir jetzt anders ansehn, in dessen Gegenwart uns jetzt wohler ist, seitdem überstanden hat. Nur scheint es mir tadelnswert, daß wir aus falscher Tugendansicht jenem Instinkt, wenn er uns warnen will, zu vorsätzlich widerstreben, denn die Menschenliebe, die uns Christus und die Moral befehlen, braucht dadurch nicht ausgeschlossen oder nur vermindert zu werden.«
»Jawohl«, sagte der Florentiner, »denn eine Verstimmung des Gemütes, eine Art von Wahnsinn oder Irrsinn kann uns mit Fug ebenso verletzen und erschrecken, als wo wir Lug, Heuchelei und Bosheit in der Physiognomie wahrzunehmen glauben. So sprach ich Euch neulich, Herr Graf, von dem echten Dichter Torquato Tasso, den ich in Florenz kennenlernte und ihn kürzlich in Ferrara wiedersah. Das Wesen dieses Mannes ist so unruhig und hin und her fahrend, sein Auge so mißtrauisch und ungewiß, seine Miene so schnell und erschreckend von Heiterkeit zum finstern Ernste wechselnd, daß er, sosehr man ihn achten muß, kein Vertrauen erwecken kann. Es scheint in ihm sich eine Krankheit vorzubereiten und auszubilden, die er vielleicht erst überstehen muß, um dann als eine ganz verschiedene Erscheinung aufzutreten. Wird ein schon reizbares Gemüt durch steten Verdruß, Neid und Mißgunst geneckt, so kann auf lange in seinem Auge und Blick ein scheues Lauern, eine heimliche Tücke sichtbar werden, wie sie uns an manchen wilden Tieren widerwärtig auffällt. Jene Verfolgten, die durch ihre harten Schicksale auf eine Zeitlang irre werden, haben meistens diesen Blick.«
»Im Auge«, sagte Luis, »ist eigentlich das ganze Wesen des Menschen, wer es zu lesen versteht. Blick und Auge scheinen mir so deutlich und verständlich, daß wir uns eigentlich, wenn wir diesen Spiegel des Geistes beschauen, niemals an einem Menschen irren sollten. Darum sind auch die Blinden so unglücklich, weil dieses Kennzeichen in ihnen ausgelöscht ist – und schon der ist zu beklagen, dem das Auge verwundet ward oder der die Hälfte seines Sehvermögens einbüßte.«
Die Zuhörenden waren still und fast verlegen, denn das tote Auge neben dem schönen lebenden des fremden Mannes machte einen sonderbaren und wehmütigen Eindruck.
Der Hauptmann, um die Stille zu unterbrechen, fragte: »Bei welcher Gelegenheit, edler Herr, hat Euch das Unglück betroffen?«
Der Graf sah ängstlich auf, weil der Florentiner den Vertrag gebrochen hatte, doch Luis blieb ruhig und sagte fest und kalt: »Verzeiht, wenn ich darauf nicht antworte, ein Gelübde zwingt mich schon seit manchem Jahr, alles das nie zu berühren, was ich selber erlebt habe. Ihr könnt mir aber glauben, daß ich dieses Auge nicht auf unrühmliche Weise verloren habe.«
»Nehmen wir unser voriges Gespräch wieder auf«, begann der Graf. »Es ist nach den vorigen Bemerkungen nicht unnatürlich und auch nicht ganz zu tadeln, wenn fremde Volksstämme, Menschen aus andern Regionen oder gar solche, die unserm Vaterlande immerdar feindlich gesinnt waren, uns Mißtrauen einflößen und ein unangenehmes Gefühl erregen. Dies ausgebildet oder als Tugend geachtet, bildet dann jenen Nationalhaß, dessen schreckliche Wirkungen wir oft in der Geschichte mit Widerwillen wahrnehmen. Und doch soll jeder, vorzüglich in Zeiten der Not, fest und entschlossen beim Landsmann stehn und den Fremden, wenn er uns Elend und Unterjochung entgegenträgt, mit vollem Herzen hassen.«
»Wir können, so scheint es«, sagte Luis, »diese Gefühle und Vorurteile nicht so scharf und sicher beobachten und feststellen, daß wir sagen könnten, in welchem Grade oder unter welchen Umständen sie unbedingt Laster oder Tugend werden können. Aber der Jude, der Türke und Muselmann, der Chinese und Indier werden uns immerdar ein Gefühl erregen, als ob wir etwas Unheimliches in ihrer Nähe empfänden, eine gewisse Ängstlichkeit, so daß es schwer dünkt, mit allen diesen Menschen vertraut umzugehn oder gar mit ihnen Freundschaft zu schließen.«
»Wie nun vollends wird uns das Gefühl dieses Fremdseins deutlich«, fuhr der Italiener fort, »wenn wir auf jene schwarzen Negerstämme sehen, die recht eigentlich die Auswürflinge der Menschheit zu sein scheinen: sozusagen zur Knechtschaft geboren und der Freiheit und aller edlen Triebe unfähig, welche die kultivierten Nationen charakterisieren. Ihre Körpergestalt – wie abweichend von allen andern Völkerstämmen; ihre schreckende Farbe, die unter keinem Klima, wenn sie nicht mit Weißen Kinder zeugen, gemildert wird. Diese Riesenkraft, dieser sonderbare Schädel, alle diese Züge, die mit dem übrigen Menschengeschlecht kaum noch etwas Gemeinsames haben. Hier zeigt sich diese Entfremdung, von der wir sprachen, wohl am deutlichsten, und selbst der Leichtsinnigste wird es nicht über sich gewinnen können, eine solche Kreatur wie einen weißen Nebenmenschen zu behandeln.«
»Darum ist es auch fast begreiflich«, setzte der junge Graf die Betrachtung fort, »daß manche Philosophen und Beobachter der Natur auf den Gedanken gekommen sind, diese dunkeln Wesen möchten von einem andern Stammvater als das übrige Menschengeschlecht herrühren. Andere wollen sie zu Nachkommen Kains machen, die der Sintflut entronnen wären, und finden es deshalb nicht unbillig, wenn sie in Amerika und vielen Ländern als leibeigene Sklaven gebraucht werden, weil dadurch der Fluch nur, den Gott auf Kain gelegt oder Noah auf den Bösewicht Ham, in Erfüllung gehe. Wenn das auch Träume sind, so fühlt doch jeder von uns, daß sie tief unter den übrigen Menschen stehen, und dies Gefühl läßt sich auf keine Weise vernichten. Allein . . . Was ist Euch, Herr Luis? – Verzeiht, wenn ich besorgt bin. – Ihr scheint gerührt, erschüttert . . . ist Euch nicht wohl? – O redet, teurer Mann, und befreit mich von dieser Angst um Euch!«
Luis hatte die Farbe verändert, er schien mit einer außerordentlichen Bewegung zu kämpfen, welche er verbergen wollte. Er gewann endlich die Fassung wieder und sagte nach einer Pause: »Meine verehrten Herren, es schmerzt mich, daß ich mich wieder habe verleiten lassen, was mir im Leben schon oft begegnet ist, Dinge zu behaupten, die immer nur mit schwachen Fasern in unserm Innern wurzeln können, denn die letzte Schilderung, zu welcher unser Gespräch führte, hat mich aus dem Schlummer geweckt, in welchen uns Worte nur zu oft einschläfern. Unsre Bemerkungen über die unglücklichen Neger haben mich tief erschüttert, denn von hier aus sah ich zurück, daß ich auch wohl in allem vorigen geirrt – und schlimm geirrt haben könnte. Erlaubt mir, Euch vorzutragen, was ich selbst erlebt habe, wovon ich Zeuge war, und das ist das mindeste, was ich zur Verteidigung dieser armen Schwarzen tun kann.«