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Musikalische Leiden und Freuden

Zwei Freunde stiegen vor der Stadt vom Wagen, um zu Fuß durch die Gassen zu wandeln und den Fragen am Thor auszuweichen. Es war noch ganz früh am Morgen, und ein Herbstnebel verdeckte die Landschaft. Etwas entfernt vom Wege bemerkten sie ein kleines Häuschen, aus welchem schon früh vor Tage eine herrliche Frauenstimme erklang. Sie gingen näher, erstaunt über den unvergleichlichen Diskant wie über die ungewöhnliche Stunde. Einige Träger brachten Lauten und viele Notenbücher, die kleine Thüre öffnete sich, und neugierig gemacht, fragte der ältere Reisende einen von den Tagelöhnern: »Hier, mein Freund, wohnt wohl ein Musikus und eine Sängerin!«   »Der Teufel und seine Großmutter wohnt hier!« erscholl eine krächzende Stimme von oben aus dem offenen Fenster, und zugleich fiel ein Lautenfutteral dem Fragenden auf den Kopf. In diesem Augenblick hörte der Gesang auf, und der Frager sah im Fenster ein kleines greises Männchen stehen, welches die zornigsten Gebärden machte, und dessen funkelnde schwarze Augen aus tausend Runzeln hervor grimmige Blicke herunter schossen. Der Reisende wußte nicht, ob er lachen oder schelten sollte, doch sprach ihm aus dem greisen Kopfe etwas so Wunderliches an, daß er in Verlegenheit den Hut zog und sich mit einer höflichen Verbeugung stumm entfernte.

»Was war das, Herr Kapellmeister?« sagte der jüngere Reisende, als sie das kleine Häuschen schon im Rücken hatten. »Ich weiß nicht«, erwiderte jener, »vielleicht ein wahnsinniger alter Mann, vielleicht gar dort in der Einsamkeit, in der Nähe des Tannenwäldchens, eine Spukgestalt.«

»Sie scherzen«, sagte der Sänger; »ich begreife jetzt selber nicht, Wie wir so gelassen sein konnten, dem Alten auf seine Grobheit nichts zu erwidern.«

»Lassen wir es gut sein«, sagte der Kapellmeister, indem sie schon die noch ruhige Straße der Residenz hinuntergingen, »in dem Ton der Sängerin war etwas so Wunderbares, daß es mich tief ergriffen hat; ich war wie im Traum, und darum konnte mir auch der alte Thor keinen Zorn abgewinnen.«

»Wieder die alte Schwärmerei und Güte!« rief der Sänger lachend aus; »denn erstens haben wir so gut wie nichts gehört, und zweitens war in dem Wenigen noch weniger Besonderes zu vernehmen, es war weder Methode noch Schule in dem traurigen Gesange.«

Als sie jetzt um die Ecke nach dem Gasthofe zu bogen, hörten sie aus einem obern Stock ein Lied pfeifen; ein rundes, junges Gesicht guckte mit der Schlafmütze aus dem Fenster, und sowie er die Fußgänger gewahr wurde, schrie er: »Haltet, Freunde! einen Augenblick! Ich bin gleich unten! Gott im Himmel! das ist eine Erscheinung!« Er zog den Kopf so schnell zurück, daß er ihn heftig an das niedere Fenster stieß und die Bekleidung des Hauptes langsam schwebend zu den Füßen des Kapellmeisters niedersank.

»Wunderbar!« rief dieser, indem er die Zipfelmütze aufhob; »sagen diese sonderbaren Vorbedeutungen uns etwas Gutes oder Schlimmes voraus?«

»Es ist unser Enthusiast Kellermann«, erwiderte der Sänger, »hören Sie, er rasselt schon mit dem Hausschlüssel.«

In diesem Augenblick stürzte der Bewunderer im Schlafrock heraus und umarmte die beiden Künstler mit theatralischer Herzlichkeit; er wurde es nicht müde, jedem wieder von neuem an die Brust zu stürzen, ihn zu drücken und dann die Arme verwundernd in die Höhe zu strecken, bis der Sänger endlich sagte: »Laßt es nun gut sein, Hasenfuß! Bei Tieck im Sinne von »Thor, Narr«. Ihr habt das Ding jetzt hinlänglich getrieben. Ein Glück, daß noch kein Mensch auf der Straße ist, sonst würden Eure Bockssprünge in dem safrangelben Schlafrock alle Gassenjungen aufregen.«

»Also ihr seid nun wirklich da, ihr goldenen Menschenkinder?« rief der Enthusiast aus; »was würde es mich kümmern, wenn der vollständige Magistratus an meinem Entzücken Ärgernis oder Teil nehmen wollte«? Habe ich doch seit drei Monaten nicht begreifen können, wozu diese Gasse eigentlich gebaut sei, noch weniger, warum sie so viele Fenster zum Auf- und Zuschieben habe, bis nun endlich ihre Bestimmung erfüllt ist; ihr kommt durch dieselbe hergegangen, und ich gucke da oben mit meiner verlornen Mütze heraus, um euch im Namen der Nachwelt zu begrüßen. Also nun wird eure Oper doch gegeben werden, ausbündigster Mann?«

»Sind denn Sänger und Sängerinnen auch noch alle gesund?« fragte der lebhafte Kapellmeister.

»So, so«, erwiderte jener, »wie es die Laune mit sich bringt; genau genommen, existiert das Volk gar nicht, sondern lebt nur wie im Traum; die Zugabe, die an die Kehle mit Arm und Bein gewachsen ist, macht es oft schwer, sie nur zu ertragen, der unnatürliche Geschwulst aber oben, den sie Kopf titulieren, ist wie ein Dampfkolben, um in diesem Rezipienten An der Luftpumpe die luftleere Glasglocke, welche die zu beobachtenden Gegenstände aufnimmt. die unbegreiflichsten Verrücktheiten aufzunehmen. Insoweit sind sie alle gesund, als es ihnen bis jetzt so gefällt, ist aber die und jene Arie ihnen nicht recht, hat der eine zu viel, die andre zu wenig zu singen, geht die Arie aus As moll, wenn sie Gis Nur genetisch verschieden, dem Klange nach derselbe Ton. sein sollte, so fallen sie vielleicht binnen drei Tagen wie die Fliegen hin.«

»Zieht Euch an«, sagte der Sänger, »und kommt zu uns in den Gasthof hier drüben, so können wir mehr sprechen, auch sollt Ihr uns auf den Besuchen begleiten.«

Ohne Antwort sprang Kellermann in sein Haus, und die Reisenden begaben sich in das Hotel, wo sie ihren Wagen schon fanden.


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