Ludwig Tieck
Das alte Buch und die Reise ins Blaue hinein
Ludwig Tieck

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Auf ihrer Reise gelangten sie in eine sonderbare bergige Gegend, in welcher zerrissene, unzusammenhängende Hügel, auf welchen einzelne Tannen dunkel standen, ein verworrenes Bild darstellten. Hier ist es melancholisch, sagte der König. Freilich wohl, antwortete Gloriana, hier hausen die Zwerge und Gnomen. Viele unter diesen sind schadenfrohe und 111 tückische Wesen, die an Verdruß und Unglück ihre Freude haben.

Indem wimmelte es aus allen Hügeln hervor, und die Mißgestalten beeilten sich, dem neuen Herrscher ihren Willkommen zu bringen. Ein widerwärtiges Geheul erfüllte die Gegend, welches Gesang und Musik bedeuten sollte. Athelstan fühlte sich unbehaglich und ward ängstlich, als er sich so von allen Seiten umdrängt sah. Noch mehr ward sein Verdruß erhöht, als die Massen der Gespenster sich zu Tänzen anschickten, und das weite traurige Feld von den wackelnden Gestalten in widerwärtigen Gruppen belebt und durchtobt wurde. Zwischen zwei häßlichen voreilenden Alten fiel um so mehr die außerordentlich schöne Gestalt eines Jünglings auf, der mit schwermüthigem Antlitz alle diese Bewegungen nur gezwungen und widerwillig mit zu machen schien. Die Königin war immer heiter und betrachtete auch diese wilden Gesellschaften mit holdseligem Lächeln. Als eine Pause entstand und die Gespenster auszuruhen schienen, winkte sie den Jüngling und seine beiden alten Begleiter zu sich heran. Ich versprach Dir neulich, sagte sie, Dir beim nächsten Fest Deine Freiheit zu schenken; es sei heut, kehre zu Deinen wahren Eltern zurück, Ferdinand. – Der Jüngling war dankbar, aber die beiden Alten fingen an zu heulen und zu schreien. Er ist unser Sohn! krächzten sie, und wir haben uns nun seit Jahren an ihn gewöhnt: er ist hübsch und groß geworden, und es ist eine wahre Freude, den Bengel nur anzusehn.

Er hat aber, wie ihr es wißt, antwortete Gloriana, niemals zu eurem Stamm gehören, noch sich für einen andern einweihen lassen wollen. Er findet keine Freude daran, nach Gold und Silber in der Erde zu wühlen, oder in euren Bergwerken zu arbeiten, er wünscht sich zu den Menschen 112 hin, die er noch nicht hat kennen lernen, und die Zeit seiner Prüfung soll nun zu Ende seyn.

Ferdinand ließ sich dankbar auf ein Knie nieder. Die königliche Fee steckte mit ihrer weißen Hand einen einfachen Goldreif an den Finger des Jünglings. Durch die Berührung dieses Goldes, sagte sie, hast Du nun Alles schon vergessen, was Du hier in diesem Reiche erlebt und gesehen hast. Du wirst dort oben von den Geheimnissen unsrer Haushaltung nichts ausschwatzen können. Beim Ausgang der Höhle soll Dir aber ein Kleinod gegeben werden, was Dich und Deine Eltern, die auf der Höhe des Gebirges wohnen, reich machen wird. Dafür kauft euch in einem fremden entfernten Lande an, und lebt dort glücklich, damit eure Nachbarn und Richter und Priester nicht forschen, woher euch dieser Schatz komme.

Indem sich Ferdinand, von zwei Geistern in Gestalt von Jägern begleitet, schnell entfernte, schrien und heulten die beiden Alten auf die widerlichste Weise. So wollen wir doch wenigstens unsern guten klugen Hannes wieder haben! zankte die Mutter, der muß wieder hergeschafft werden; denn wenn er auch bei den Menschen nichts Vernünftiges wird gelernt haben, so ist er doch von unserm Blut und Geist. Aber das sage ich Euch, Frau Gloriana, die Ihr uns heut dies große Unrecht thut, wenn ich wieder, wie ich es denn hoffe, von meinem Alten hier ein rechtes Scheusal zur Welt bringe, so vertausche ich den Balg gegen den allerschönsten Prinzen, der nur auf Erden zu finden ist.

Indem erhob sich ein ungeheures Geschrei von allen Zwergen, und die ganze große dunkle Masse erhob sich jauchzend in Sprüngen, denn der hinkende übelgestaltete Hannes kam schon herbeigerannt. Die beiden Eltern umarmten ihn und musterten dann seine Gestaltung. Er hat doch ordentlich 113 etwas Menschliches angenommen, sagte der Vater, er hat so einen vornehmen Blick gekriegt, gleichsam etwas Gebietendes. Ich denke, wir machen ihn zum Prinzen von Geblüt bei der Arsenikspinnerei, da unten in dem Bleibergwerke, wo die recht boshaft giftigen neuerfundenen Libelle und sogenannten Scharteken gewirkt werden, die wir nachher mit ihren dreckigen Farben und Schmutz den sterblichen Menschen verkaufen, die so große Freude daran haben.

Es lebe der Arsenikprinz! schrien die Zwerge.

Hannes wollte sich bedanken und die Feenkönigin begrüßen, als er jetzt erst den König bemerkte. Ei! ei! der Herr Vetter Monarch! sprach Hannes, also seid Ihr hier, glorreichster Kaiser, zum Oberon geworden? Das hätt' ich vor einiger Zeit nicht denken können, als ich Euch in den Brunnen auf unserm Hofe hinabstieß.

O Geliebte, sagte Athelstan, befreie auch einen unglücklichen Greis, den dieser boshafte Zwerg bei dessen Vorgesetzten angegeben hat, und so viel ich sehen konnte, war bei jenen Blödsinnigen der arme Schulmeister in Gefahr.

Ja, rief Hannes mit grinsendem Lachen aus, sie wollten ihn ganz simpel auf einen brennenden Holzstoß als einen Zauberer setzen, und das kann ein solcher dürrer Mann nicht aushalten. Uebrigens, Herr Vetter Oberon, verbitte ich mir alle Anzüglichkeiten und persönliche Injurien! Wer ist ein Zwerg? hier sind alle meine Landsleute wie ich gewachsen, und die Menge hat immer Recht.

Sei ohne Sorge, mein Gemahl, um jenen Sterblichen, sagte Gloriana, er ist schon gerettet und für seine Angst entschädigt. Das plötzliche Verschwinden des Arsenikprinzen hat den alten Mann gerechtfertigt und die Bosheit der Anklage erwiesen. Sie haben ihm jetzt eine bequeme und einträgliche Priesterstelle gegeben, in welcher er sein Alter 114 pflegen kann. – Auch der sogenannte Besessene dort ist geheilt, denn er sieht jetzt mit den Uebrigen ein, daß ihm nichts fehlte. Dem simpeln Mann erwachte zuweilen ein besserer und hellerer Geist, er sprach verständiger als gewöhnlich, und seine noch einfältigern Verwandten meinten, er müsse besessen seyn; da er es immer wieder hörte, ward er selbst davon überzeugt, und ließ seinen Verstand, als wenn ein böser Dämon aus ihm spräche, von Priestern beschwören.

Man zog weiter, und das Gemüth Athelstans erheiterte sich wieder, als sie in schönere Gegenden gelangten. Du verstehst noch nicht, mein Oberon, sagte Gloriana, Dich ganz in Dein erhöhtes Wesen zu finden. Du giebst noch den Zufälligkeiten Raum, und bist nicht so glücklich in meiner Nähe, wie ich in der Deinigen, denn ich verlange nichts, wie Dich und Deine unwandelbare Liebe. Was auf Erden die verschiedenen Stimmungen der Menschen sind, ihre Launen, Trauer und Freude, geheimnißvolle Ahndung und witzige Lust, Alles das findest Du hier in Wirklichkeit und Wahrheit. So Vieles, was erst in Zukunft auf der Welt einheimisch werden kann, wächst und gedeiht hier im Voraus und entsprießt erst spät in mannichfaltiger Gestaltung und That dort auf der Erde. Hier ist das geistige Vorrathshaus für die Zukunft der Sterblichen.

Aber das Häßliche! rief Athelstan, wie kann man sich damit befreunden?

Doch, antwortete Gloriana, indem es als Erscheinung auftritt und unbewußt den Witz darstellt. Es ist nicht mehr ganz häßlich, wenn wir es scherzhaft nehmen und das Gemeine durch unsern Witz adeln. Alle Ordnung, mein Geliebter, ist nur dadurch, daß es auch das Ungeregelte giebt und geben darf, und wenn man nur nicht das Häßliche selbst für schön nimmt und sich darin vergafft, so erläutert durch 115 ihren Gegensatz die Häßlichkeit die Schönheit. Außerhalb der Kunst darf und muß sich eine Unkunst bewegen, und je genialer, größer und poetischer, um so besser und zum Gewinn für die Kunst. Und glaubst Du denn, daß jene häßlichen und abscheulichen Wesen, die Dir so unangenehm sind, so seyn würden, wenn sie nicht aus freier Wahl so seyn wollten?

Wie, rief Oberon erstaunt, aus freier Wahl?

Das ist eben das Geheimniß der Geisterwelt, antwortete die holdselige Gloriana mit feierlichem Ton. Seit ewigen Zeiten geschieht es, daß in den höchsten und zartesten Geschöpfen sich oft ein Keim entwickelt, der uns Allen zu unserm Dasein nothwendig ist, der Keim eines Gelüstes, sich selbst zu zerstören, aus den heiligen, süßwollüstigen, beseligenden Schranken zu treten, in denen nur unsre Freiheit möglich ist, und diese ächte beglückende Freiheit, in welcher alle unsre Kräfte ihre Flügel entfalten, mit einer unsinnigen Willkühr, mit nichtiger Unbedingtheit, mit sklavischer Schrankenlosigkeit zu vertauschen. Selbst im Glück des Erkennens blitzt auch in den Seligen ein Taumel des Entzückens auf: wie es geschieht, daß so oft die Seele dann aus der Begeisterung freiwillig in die Leidenschaft stürzt, ist das ewige Räthsel und Geheimniß. Nun rennt der Geist, wie sich selber zum Trotz, auf der Bahn des Feuers fort, verschmäht das Licht als ohnmächtig und versenkt und vertieft sich in Das, was seinem Wesen das Widerwärtigste ist, indem er jetzt erst glaubt, im Wilden, Schroffen, Unverständigen seine Eigenthümlichkeit angetroffen zu haben. Nun wohnt er in der Lüge und Unwahrheit und lästert auf Schönheit und Heiligkeit, als wenn diese die Lüge wären. Aus übermäßigem Freiheitstaumel muß der Geist nun ein Sklave der Häßlichkeit werden, und je enger ihn die Ketten schnüren, je mehr 116 pocht er hohnlachend auf seine Ungebundenheit. Solche aus ihrer ersten Bestimmung tief gesunkenen Geister sind diese Zwerge und Mißgeburten, diese widerwärtigen Gnomen und Kobolde. Manche sind erst nach vielen Verwandlungen ihres Irrthums in diese Unformen gerathen, die heftigsten sind mit Blitzesschnelle aus der schönen Form hinein gestürzt. Finden sie in entzündeter Sehnsucht die Wahrheit wieder, so steigen sie schneller oder langsamer zur Schönheit wieder empor: doch ist es unendlich schwer, daß dieser Eigensinn wieder gebrochen werde, der jetzt die Wurzel ihres Wesens ist.

Und doch, sagte Athelstan, werfen sie ihre Kinder den Menschen hin und holen sich die schönen Gestalten.

Aus Schadenfreude, antwortete Gloriana, um die Menschen zu betrüben, und in der Hoffnung, daß ein solcher Wechselbalg in der Familie recht viel Unglück anrichten wird. Auch ist ihnen, zu ihrem Mißbehagen, noch ein Rest von Schönheitssinn geblieben, so daß sie oft wie mit Gewalt zu einem solchen Raube getrieben werden. Machen es bei euch die Menschen und sogenannten Poeten anders? Wie mancher dürftige Zwerg, der nur das kümmerlich Häßliche hervorbringen kann, reißt dem ächten Dichter eine glänzende Stelle diebisch weg, und fügt sie seiner Dummheit ein.

Du sprachst auch, Titania, fing Oberon wieder an, von Geistern, die aus ihrem Beruf und aus der Bahn der Schönheit sich stürzen, und dennoch groß bleiben.

Du wirst es immer mehr fühlen, je länger wir beisammen leben, erwiederte Titania, daß es kein anderes Erkennen giebt, als indem sich ein Geheimniß in ein höheres auflöst. So wie Wahrheit, Schönheit, Glaube und Kunst das Höchste sind, und sich Alles, was Kraft, Glück, Begeisterung, Andacht und Liebe in hunderttausend und unzähligen Gestaltungen in diesen Regionen formt und immer 117 vollendet ist: – so wohnt dem Jenseitigen, dem wilden Garten der Unkunst und Nichtliebe solch Wunder bei, so kräftige und glänzende Pflanzen entwachsen dieser Wildniß, daß sich immer von Zeit zu Zeit ein himmlischer Geist in diese unauflösbare Räthselwelt vergafft, hier einheimisch wird, und Riesenkräfte entwickelt, die in so frecher Gewalt niemals im Garten der Kunst sichtbar werden können. Bleiben die Geister in dieser düstern Region, welche gegen Liebe und Schönheit anstürmt, so erwächst aus diesem Kampfe, welcher die Wahrheit zu vernichten scheint, dieser, sowie der Liebe eine neue Kraft und frisches Vertrauen. Es bilden sich dann zwei Welten, die einander unentbehrlich sind: aber nur selten, selten nur verharren diese großstrebenden Geister in dieser schauerlichen Wildniß, wo sie ganz neue Wunder entdecken köunten, sie lüstern wieder zur Schönheit und Kunst hinüber, und doch haben sie selbst in ihrem riesenhaften Bestreben die zarten Flügel zerbrochen, die sie hinüber tragen konnten.

O Titania, holdselige Göttin aller Poesie, meine Gattin, meine Braut, meine Geliebte, Freundin und Lehrerin, welch Leben hast Du mir vergönnt! rief Oberon in seligem Entzücken.

Auch Du, antwortete Titania, bist jetzt der König aller Poesie. So laß uns denn in jene Gefilde hinüberschweben, wo die Dichter leben und glücklich sind.

Sie erhoben sich leicht und fast unsichtbar bis zum Aether und sanken als lichte Wolken wieder in einen frisch grünenden Wald hinab.


Sie sahen und sprachen die großen Dichter des Alterthums. Viele, deren Namen und Schriften erloschen sind, 118 fanden sie in diesen geweihten grünen Hallen, unter Felsen und Blumen, an rinnenden Bächen und Quellen, oder auf der Höhe der Berge, indem Alle sangen oder still dichteten. Holdselige Nymphen und reizende Jungfrauen waren zu ihrer Gesellschaft geschäftig und scherzend gegenwärtig. Die süßeste Musik schwang sich durch die Haine, in denen die Sommerlüfte sich summend schaukelten, und das Echo und Nachtigallen antworteten den Gesängen.

Oft, sagte Gloriana, kehrt einer dieser Geister zur Erde zurück und bewohnt eine neue Gestalt, um die Menschen zu erheben und zu entzücken, andere Wohnplätze sind hier für Diejenigen bereitet, die in Zukunft die Erde verlassen werden. So geschieht es auch, daß, wenn ein Sterblicher boshaft und schlecht ist, daß er Alles verwirrt und seine Nächsten beschädigt und kränkt, daß er alsdann, in einen häßlichen Zwerg verwandelt, die Gesellschaft jener widerwärtigen Gnomen vermehrt. Es ereignet auch wohl, daß diese Gnomen, wenn sie immer verkehrter und böswilliger werden, um noch tiefer zu sinken, in Menschengestalt verwandelt werden, um dort auf Erden ein recht nichtswürdiges Leben zu führen; die meisten besinnen sich dann, und können nach ihrem Tode wieder eine höhere Region einnehmen.

Oberon und Titania durchreisten alle Theile des großen und schönen Reiches. Athelstan lernte es bald, die Gestalt der Geister auf Zeiten anzunehmen, und so scherzten sie in mondhellen Nächten, nicht größer als die Blüthen der Aurikel und Vergißmeinnicht, mit ihren Elfenchören auf den grünen duftenden Wiesen, schaukelten in den Wipfeln der Bäume und glitzerten fliegend in den Funkenwolken der schwärmenden Johanniswürmchen.

Dann ließen sie sich wieder vom göttlichen Homer die Begebenheiten erzählen, die seine Gedichte nicht aussagen; 119 der ungestalte Thersites, der schon einmal zum Gnomen geworden war, aber seine Strafzeit überstanden hatte, kam mit den griechischen Helden und lästerte noch wie ehemals.

Alles, was die Welt Großes und Schönes gedichtet hatte, ging in wechselnden Gestaltungen ihnen vorüber. So lernte Athelstan Alles kennen, was auf Erden Glänzendes vor seiner Geburt geschehen war. Im Anschauen und Gefühl besaß er Alles, wouach der Sterbliche in vergeblicher Sehnsucht ringt, und im Besitz der schönen Gattin, in ihrer Liebe war Alles erfüllt, was Phantasie und Wirklichkeit, das Mögliche und die Poesie gewähren können.

Jetzt, sagte nach einiger Zeit Titania zu ihm, kennst Du Alles. Du hast als Herrscher Deine Provinzen und Unterthanen gesehn, die edlen Geister sowie die niedrigen kennen lernen; Du darfst strafen und belohnen nach Deiner Ueberzeugung oder Deinen Wünschen gemäß, denn die Macht meines Scepters ist auf Dich übergegangen, ich weiß es, Du wirst Deine Gewalt niemals mißbrauchen, sondern die Geisterwelt eben so gern wie die Menschen beglücken.

Welche Sprache, antwortete König Oberon, könnte mein ganzes Glück aussprechen, ich wünsche nichts als Dich, Deine Nähe ist mein Himmel; aber ist es mir vergönnt, wenn vielleicht einmal die Sehnsucht mich treibt, auf kurze Zeit zur Erde zurückzukehren?

So oft Du willst, antwortete Gloriana; hast Du doch gehört und gesehn, daß ich selbst zu Zeiten mit meiner fröhlichen Jagd hinaus ziehe. Du bist unumschränkter Gebieter, und Dein Wille ist Dein einziges Gesetz, doch kannst Du die Verhängnisse nicht brechen, die unser Reich in ewigen Schranken bewahren und sein Glück sichern. Erkennst Du diese nicht mehr an, so bist Du wieder Mensch und unglückselig und stirbst im Elend. Wenn Du auf Erden wandelst, 120 so kannst Du eine Gestalt annehmen, welche Du willst; Du kannst dort Deine Menschen, die Du als Deine ehemaligen Brüder immerdar lieben wirst, beglücken, Noth und Elend lindern, die Armuth erleichtern, und wen Du mit der Absicht anblickst, ihn berührst, oder ihn gar umarmst, dem wird die Gabe der Dichtkunst mitgetheilt. Wenn ich dann aber zu Dir sende, da darfst Du Dich nicht entziehn, schnell zurückzukehren, denn diese Sendung ist ein Zeichen, daß ich Dein bedarf, daß mir ein Drangsal, unserm Reich eine Gefahr nahe kommt.

Keine Eide kann und will ich Dir schwören, antwortete Oberon, aber Du bist meiner so gewiß, wie ich meiner Seele, und mit demselben Glauben weiß ich es, daß Du mir bleibst: unser Glück ist unzerstörbar, was die fernsten Zeiten bringen und noch verhüllen, sei uns, wenn die Jahrhunderte verflossen sind, auch dann willkommen.

Alles wird auch dann Glück und Freude seyn, antwortete Gloriana, wie Welt und Erde sich einmal anders gestalten mag, welchem neuen Gesetz dereinst die Geisterwelt gehorcht, wir selbst können uns niemals wieder verloren gehn.

Dein Reich, Titania, sagte Oberon, indem er sie umschlang, wird sich immerdar vermehren, und mir liegt es jetzt ob, mit neuen gläuzenden Geistern die schöne Provinz der Dichter hier zu bevölkern.

Wie viele Gewächse in den Thälern, sprach Titania, wie viele Bäume in schönen und sonderbaren Wäldern, die Wundergegend an den Wasserfällen, die Zauberwände, an denen immerdar die Regenbogen spielen, der lichtgrüne Hain voll seltsamer fremder Vögel, jene Tiefe, die ernst wie Verzweiflung von oben anzusehn, und in welcher die weinenden Bächlein fließen, die wolkenhohen Paläste mit den blanken Zinnen, alle diese und viele andre Zauberorte stehn noch 121 unbewohnt, alle diese Poesie muß sich noch in menschlicher Dichtung entwickeln und die erstaunte und trunkene Welt durchdringen. Sind auch nur wenige dieser Geister zur höchsten Vollendung berufen, so schlummern doch noch tausend und tausend entzückende Melodien in jener großen Naturharfe, deren klingende Saiten die Welt durchtönen sollen. Eine neue Zeit wird durch Dich erwachen, die der Wunder und der Liebe; Gesänge werden die Welt durchströmen, wie sie noch niemals gehört waren, und ein Kampf der Poesie wird mit jenen alten ewigen Heroen entbrennen, daß der forschende Sinn zweifeln wird, welcher Schönheit er den Kranz reichen soll. Meine Geister haben mir schon Manches von diesen Wunderereignissen zugeflüstert, und mein scharfes Auge dringt in die Fernen der Zukunft. Der Kaiserstamm der Hohenstaufen, welcher jetzt auf Erden herrscht, wird diese Kraft entbinden und den Sinn begeistern, Religion, Andacht, Liebe, Alles wird unter dem Schutze großer Kirchenfürsten die geistigen Flügel weit ausbreiten, und dann – dann – wie alles Sterbliche, wie alles Schöne, erbleicht auch diese Herrlichkeit, und Italien wird, Spanien nachher, später ein nordisch Volk die Harfe schlagen, und Dein geliebtes Deutschland fast vergessen seyn, bis dann freundlich der Jüngling Dir im einsamen Walde begegnen wird, dem Du die Weihe ertheilst, dem jugendfrischen Helden, dem sich die Geister der Vorzeit und der Nachwelt neigen werden. – O mein Oberon, o mein schöner Athelstan! welche Freuden werden wir noch mit einander genießen! Alle diese Unsterblichen, und er, der deutsches Wort am höchsten adelt, sind dann glückselig hier bei uns, und wir sind in ihrem Glück beglückt und lernen von denen, die unsre Schüler waren. Geschichte, Natur, Andacht, Liebe, Thorheit, Weisheit und Scherz, Alles spricht uns verständlich und wir fühlen in jedem 122 das Ganze und sind die Fürsten und geliebten Freunde dieser seligen Geister.



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