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Es war ein alter Freund, ein Bekannter aus meiner frühesten Jugend, der mich vor ungefähr drei Jahren verließ, um sich wieder einmal in den Gebirgsgegenden umzuschauen und zu ergötzen, die er immer wieder besuchte, wenn es ihm möglich war, eine Reise zu unternehmen. Niemals bereisete er zum Vergnügen ein ebnes Land, noch weniger richtete er seinen Zug jemals nach Norden. Dies waren seine Eigenheiten, deren er viele hatte, und manche so wunderliche, daß seine Freunde unter diesen Capricen oftmals litten. Was am schwersten zu übertragen war und was uns Andere am meisten störte, war sein unerschütterlicher Prosaismus, wie man wohl seit manchem Jahre die Unfähigkeit, durch Poesie, oder seltsame Verhältnisse sich erhitzen oder begeistern zu lassen, hat nennen wollen. Philisterei ist seit 1774, in welchem Jahre Göthe's Werther erschien, noch mehr als Bezeichnung ruhiger, verständiger und brauchbarer Menschen beliebt worden, die eben kein heißes Herz, keinen Enthusiasmus haben, oder die das Geheimniß in der menschlichen Natur, den Adel der Leidenschaften, die Naivetät und Großheit ächter Simplicität nicht sehen und anerkennen wollen; denn dieses alles wird immer von jenen, die halbgebildet sind, durch Altklugheit und frühreife Weisheit, so wie voreiliges Abschließen der schwierigsten Fragen und Zweifel auf immer vertilgt. Die Worte Philister und Philisterei sind 6 uns geblieben, ja unserer Sprache nothwendig und unentbehrlich geworden. Doch hat sich unvermerkt der Begriff, den Göthe zuerst damit bezeichnen wollte, in diesen funfzig Jahren so geändert, daß altdeutsche, oder liberale, politische, religiöse Alberts, gegen welche der Albert von 1774 wohl genial, enthusiastisch und abergläubig zu nennen ist, im Jahre 1834 den damaligen Werther einen kleinlichen, sentimentalen Philister nennen würden, der sich weder für Staat, Menschheit, Freiheit noch Natur begeistern könne, sondern der nur einer armseligen Liebe lebt und stirbt. Mich dünkt, dergleichen ist auch schon (schlimmer als es im Jahre 1775 Nicolai aussprach) in frommen oder begeisterten, sowie auch politischen Büchern, Journalen und Recensionen gesagt worden.
Nach dieser Sprachumkehrung nannten wir aber nicht unsern Beeskow einen Philister, weil er etwa dem Werther zu ähnlich gewesen wäre, sondern in der Bedeutung, mit welcher Göthe zuerst jene Anti-Enthusiasten, Unpoeten, die Kinder und Schüler des Herkommens und der Gewöhnlichkeit bezeichnen wollte. Und so war denn Freund Beeskow ein geordneter, rechtlicher Mann, der anständig von seinem mäßigen Vermögen lebte, immerdar ruhig, beständig vernünftig war, gewöhnlich im Nachtrabe hinter der Zeit, ihr niemals vorauseilend, stets mäßig in Gedanken und Worten, und ein solcher Liebhaber der Beschränkung, daß er nicht nur jeden tiefsinnigen, kecken, sondern selbst oberflächlichen Gedanken gerne noch beschnitt und moderirte, um ihm alles noch etwanig Anstößige zu nehmen. Kam also unsere Gesellschaft, welche viele Unwissende die gelehrte nannten, zusammen, so war er, wenn er nicht stritt, ruhig und schweigsam. Stritt er aber, so war er wirklich unleidlich, indem er Alles verneinte, er mochte es kennen, oder nicht, sei es 7 nun Philosophie oder Kritik und Poesie, und gegen Fichte, Kant, Schelling war er eben so ein unerbittlicher Widersacher, wie gegen Jean Paul oder Jakob Böhme, gegen Jakobi, Göthe oder Schiller, gegen die Nibelungen und Tristan oder Titurell, wie gegen Bader, la Mennais oder St. Martin. Auch Krug oder der menschenfreundliche deutsche Lafontaine, wie Tiedge und Raupach, oder wer es immer sei, auch der schuldloseste vergessene berühmte oder ganz unbekannte Selbstdenker und große Autor fand keine Gnade vor ihm, so daß seine vieljährigen Freunde nicht wußten oder sagen konnten, was er denn eigentlich wolle; weshalb auch der jüngste an unserer Meistersängertafel einmal dreist aussprach, unser Beeskow sei eigentlich ein Fanatiker für das Nichts, diesem nur wolle er leben und sterben. Seltsam war es freilich, daß dieser fast noch junge Mann (der aber auch vielleicht seiner Unreife wegen der Wahrheit nicht ganz treu geblieben ist) uns versicherte, er habe jenen in seiner Wohnung überrascht, indem Beeskow nicht ohne Wohlgefallen ein Buch von Clauren, ja sogar die Uebersetzung eines neuen Pariser Lustspiels, Melodrams, oder Schauspiels gelesen habe. Wie gesagt, diese Anzeige glaubte die gelehrte Gesellschaft nicht, wohl aber waren wir alle davon überzeugt, daß es unserm ehrbaren, verneinenden Beeskow an Sinn für Poesie, Humor und Kunst mangle, und daß er in der Welt, wie so Viele, mitlaufe, ohne von sich oder Andren über das Bedeutsame ihrer Bestrebungen irgend Rechenschaft zu fordern.
Freude an der Natur mußten wir ihm wohl zugestehen, da er so oft Reisen unternahm und immer fröhlich und gesund wiederkehrte.
Bei seiner letzten Reise war es auffallend, daß er von einem Buche, Gedichte oder einer Erzählung sprach, welche 8 er in einem Dorfe, dem höchst gelegenen des Gebirges, aufsuchen wolle, und die er schon in seiner Jugend dort angesehen, aber nicht gehörig beachtet habe. Er behauptete, die sonderbare Legende sei gewiß um die Zeit des Hans Sachs und der Schule der Meistersänger niedergeschrieben worden, es scheine ihm aber ein älteres Gedicht, welches man nur verändert habe, und in welchem manches fehlende Blatt durch spätere, sonderbare Prosa sei ersetzt worden. So zöge sich, seiner verwirrten Beschreibung nach, der Ursprung der Erzählung wohl bis in die ächt poetische Zeit des Mittelalters hinaus, und sei verstümmelt, ergänzt, und durch neue Zusätze von Schulmeistern, Predigern, oder fahrenden Schriftstellern in Grund und Boden verdorben worden.
Wir kümmerten uns Alle nicht sehr um diese seine unkritische Kritik, um so weniger, da unser Forscher von dem eigentlichen Inhalte des Gedichtes oder Romanes gar nichts anzugeben wußte. So reisete er ab, schrieb nur selten, und nach einigen Monaten meldete er mir, daß er jene Legende kopirt und das Fehlende auf seine Weise ergänzt, auch manche zu grobe Unrichtigkeiten und Widersprüche verbessert habe. Nach einem halben Jahre erschraken wir Alle, als wir die Nachricht seines Todes vernahmen. Jeder Bekannte, an welchen wir uns seit Jahren gewöhnt haben, macht im Kreise der Freunde eine schmerzliche Lücke, sollten auch Alle immerdar mit ihm gestritten haben, sollte er selbst der Umgebung oft lästig gefallen seyn. Sieht man doch selbst nicht ohne Wehmuth den Zahn seine Stelle verlassen, der uns Monden lang gemartert hat.
Ich war nicht wenig erstaunt, als ich nach einigen Wochen fünf Hefte, als das Vermächtniß des alten unpoetischen Beeskow empfing. Denn es zeigte sich nun (wie es so oft geschieht), daß wir ihm Alle Unrecht gethan hatten. Er war 9 im Innern nicht so ohne Poesie gewesen, wie unser eigensinniger Widerspruch angenommen hatte. Ich las erfreut jene alte Geschichte, die er wollte im Gebirge abgeschrieben haben. Sie schien mir vielmehr ganz und gar von ihm umgearbeitet, wenn nicht selbst erfunden zu seyn. Mir ward es ungewiß, ob die Nachricht von jenem Manuscripte, von dessen Lücken, alten Fragmenten und Aenderungen und Zusätzen der spätern und neuesten Zeiten nicht alles nur ein Mährchen sei. Indem ich las und über das Gelesene sann, entwickelten sich auch in meiner Phantasie neue Vorstellungen, Zusätze, Aenderungen drängten sich mir unwillkührlich auf, und ehe ich noch gewiß war, ob es erlaubt sei, das bunte Geflechte eines fremden Geistes noch mit andern Farben und Bändern zu bereichern oder zu verderben, war in heitern Stunden die Arbeit schon vollendet. Ich theilte sie in dieser, ihrer letzten Gestalt den harmlosen Freunden mit, die mit mir die sogenannte gelehrte Gesellschaft bilden. Ich sage aber nicht, welche Wirkung auf diesen Kreis diese Erzählung hervorgebracht hat, um auf keine Weise irgend einer wohlwollenden oder zankenden Kritik vorzugreifen, die jetzt Gelegenheit findet, mit Scharfsinn zu sondern, was mir, dem letzten Bearbeiter, dem ehrlichen Beeskow, dem Mittelalter, der Zeit des Hans Sachs, oder der des Gottsched angehört. –
Ich lasse nun den Bericht des Erzählenden folgen. Auch er giebt eine Einleitung, die aber epischer ist, als die hier geschlossene.